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„Lobsang Dargayaa heißt jetzt
Zava Rinpotsche“
Revitalisierung des Buddhismus in der
postsozialistischen Mongolei
am Beispiel der Lebensgeschichte
eines Mönches
Magisterarbeit zur Erlangung der Würde des Magister Artium
der Philologischen, Philosophischen und Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftlichen Fakultät
der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Brsg.
vorgelegt von Bernhard Schittich aus Waiblingen
Sommersemester 2005
Ethnologie
meinen Eltern
Inhalt
VORWORT.............................................................................................................................. 5
1. EINLEITUNG.................................................................................................................. 7
2. ASPEKTE DER FELDFORSCHUNG.........................................................................12
2.1 ORTE UND PERSONEN........................................................................................................ 12
2.2 VERLAUF UND METHODEN................................................................................................. 13
2.3 CHANCEN UND SCHWIERIGKEITEN ........................................................................................17
3. ASPEKTE DES BUDDHISMUS.................................................................................. 21
3.1 DIE DARSTELLUNG DES BUDDHISMUS ALS PROBLEM WESTLICHER REZEPTION.................................21
3.2 LEHREN DES BUDDHA .......................................................................................................24
3.2.1 Buddha Schakyamuni....................................................................................................................... 24
3.2.2 Die Vier Edlen Wahrheiten............................................................................................................... 25
3.2.3 Aspekte der Verbreitung................................................................................................................... 31
3.3 DER BUDDHISMUS IN TIBET................................................................................................33
3.3.1 Diamantfahrzeug..............................................................................................................................33
3.3.2 Meister............................................................................................................................................. 36
3.3.3 Tulku-System.................................................................................................................................... 38
3.3.4 Geschichtliche Entwicklung.............................................................................................................. 42
4. GESCHICHTE DES BUDDHISMUS IN DER MONGOLEI BIS ZUM
ZUSAMMENBRUCH DES SOZIALISTISCHEN SYSTEMS..................................... 44
4.1 STATIONEN DER AUSBREITUNG DES TIBETISCHEN BUDDHISMUS IN DER MONGOLEI........................... 44
4.2 UMWÄLZUNGEN IM 20. JAHRHUNDERT.................................................................................. 47
5. EIN MÖNCH IN DER MONGOLEI........................................................................... 51
5.1...UND EIN ETHNOLOGE - REFLEXION EINER FELDFORSCHUNGSBEZIEHUNG....................................... 51
5.2...UND SEINE LEBENSGESCHICHTE – STATIONEN EINER RELIGIÖSEN LAUFBAHN................................. 55
5.3...UND SEIN VORGÄNGER - ENTDECKUNG ALS TULKU................................................................ 58
5.3.1 Eigen- und Fremddarstellung des Rollenwechsels anlässlich der Ernennung zum Tulku....................59
5.3.2 Detailbetrachtungen der Selbstwahrnehmung................................................................................... 65
5.4... UND SEINE ARBEIT – REVITALISIERUNG DES BUDDHISMUS AUS DER HANDLUNGSPERSPEKTIVE..........69
5.4.1 Erster Versuch der Etablierung einer Struktur: die NGO Amar Mur................................................. 70
5.4.2 Anknüpfen am Lebenswerk seines Vorgängers: der Wiederaufbau des Klosters Delgeruun Choira....73
5.4.3 Umsetzungsprozess der Reimplantierung des Buddhismus: Aufgaben, Ziele und Strategien...............77
6. INTERNATIONALE VERFLECHTUNGEN DER GLAUBENSGEMEINDE AM
BEISPIEL DER AUSBILDUNG ZAVA RINPOTSCHES............................................ 83
6.1 DIE ANFÄNGE IN DER MONGOLEI: VERBINDUNGEN DURCH GURU DEVA RINPOTSCHE......................83
6.2 TRANSFORMATION IN DER SCHWEIZ: STUDIEN BEI GONSAR RINPOTSCHE....................................... 85
6.3 RÜCKKEHR IN DIE MONGOLEI: EIN AKTEUR AUF TRANSNATIONALER EBENE................................... 89
6.4 RESÜMEE ZUR TRANSNATIONALEN PROBLEMATIK..................................................................... 93
7. WIEDERAUFBAU DES BUDDHISMUS IN DER MONGOLEI............................. 97
7.1 AUSGANGSLAGE UND ENTWICKLUNGEN DER REIMPLANTIERUNG DES BUDDHISMUS IN DER MONGOLEI SEIT
DER AUFHEBUNG DES RELIGIONSVERBOTES 1990..............................................................97
7.2 RAHMENBEDINGUNGEN UND VERLAUF DER REVITALISIERUNG .................................................... 98
7.3 PROBLEME UND LÖSUNGSVERSUCHE: ANALYSE UND DISKUSSION.............................................. 101
8. SCHLUSSBETRACHTUNG UND AUSBLICK.......................................................108
9. GLOSSAR.....................................................................................................................113
9.1 PERSONEN.....................................................................................................................113
9.2 ORTE...........................................................................................................................116
9.3 BEGRIFFE......................................................................................................................117
10. QUELLENVERZEICHNIS...................................................................................... 122
11. ABBILDUNGSVERZEICHNIS............................................................................... 133
Vorwort
Die vorliegende Arbeit soll Einblicke in die innersten Kreise des wiederaufkommenden
Buddhismus in der Mongolei gewähren. Hatte es in der Zeit der sozialistischen Mongolei
über mehrere Jahrzehnte keine offizielle Religionsausübung mehr gegeben, so erfährt der
Buddhismus tibetischer Ausprägung seit der demokratischen Umwälzung 1990 eine
allerorten sichtbare "Auferstehung". Durch eine Reise in dem postsozialistischen Land im
Jahr 2003 wurde in mir ein derartig starkes Interesse an der Mongolei geweckt, dass ich
beabsichtigte, eine (theoretische) Arbeit über die filmische Rezeption der Mongolei zu
schreiben. Bei der ersten Rücksprache mit meiner betreuenden Professorin schlug diese
jedoch unmittelbar vor, eine empirische Arbeit über die Revitalisierung des Buddhismus in
der Mongolei anzufertigen und dabei in einer erneuten Feldforschung meine bestehenden
Kontakte zu nutzen. Damit böte sich mir die Chance, so ihre überzeugende Argumentation,
ein relativ unbearbeitetes Gebiet wissenschaftlich zu erforschen. Meine Ausgangsbasis
hierfür war günstig, denn im Laufe meines Studiums hatte ich begonnen, mich mit dem
Buddhismus zu beschäftigen und hatte dabei auch öfters ein tibetisches Kloster besucht,
welches in der Nähe des Genfer Sees in der Schweiz gelegen ist. In diesem Kloster
studieren unter anderen auch Mönche aus der Mongolei, in welcher einst der tibetische
Buddhismus vorherrschend war. Durch glückliche Umstände konnte ich 2003 an einer
Reise teilnehmen, in der sich nebst einer Gruppe westlicher Interessierter auch wichtige
Vertreter des tibetischen Buddhismus in der Mongolei befanden. Dementsprechend wurden
die für den Buddhismus relevanten Orte besichtigt, wobei sich mongolische und
buddhistische Gastfreundlichkeit gegenseitig beim Empfang dieser Gruppe bestärkten.
Stolz wurde von Seiten der Gastgeber die eigene Kultur präsentiert, Probleme wurden
angesprochen, Errungenschaften vorgeführt. Dadurch hatte ich schon einige zentrale
Einblicke in den Wiederaufbau des Buddhismus in der Mongolei bekommen. Bei diesem
ethnologisches Neuland darstellenden Thema ist von besonderer Brisanz, zu eruieren, auf
welche Weise in den postsozialistischen Ländern der eng mit der Tradition verhaftete
Lebensbereich Religion neu aufgegriffen und revitalisiert wird. Einige der Fragen, die hier
interessieren: Inwieweit konnte sich der Buddhismus erhalten und auf welche Art und
Weise wird die Religion von den Akteuren der Revitalisierung aufgegriffen? Welchen
Stellenwert nehmen Tradition und Religion im aufkommenden Kapitalismus ein? Und vor
allem: Wer versucht wie und mit wessen Hilfe, die Religionen wieder zu beleben? Im
Hinblick auf den Schamanismus hat meine Betreuerin, Frau Schlehe, selbst in dem
5
unbearbeiteten Gebiet geforscht, für den Buddhismus gibt es bislang solche Forschungen
noch nicht. Die Mongolei stellt also in dieser Hinsicht eine terra incognita dar, in der ich
mich bereits ohne konkrete Forschungsabsicht bewegt hatte und in die ich mich nun
entschied auszuziehen, um konkretere Fragestellungen zu erschließen und die Ergebnisse
mit dieser Arbeit öffentlich zu machen.
Viele Menschen haben mir beim Schreiben dieser Arbeit geholfen. Allen voran möchte ich
meinen Informanten danken für die liebenswerte und allumfassende Unterstützung,
besonders
Gonsar
Rinpotsche
und
Zava
Rinpotsche.
Besonderer
Dank
geht
selbstverständlich an Prof. Dr. Judith Schlehe für die Anregung zur Arbeit und die
Betreuung, insbesondere während der Feldforschung in der Mongolei, ferner an PD Dr.
Eveline Dürr und Dr. Hans-Peter Hagmann, die mein Interesse für die Ethnologie geweckt
haben. Des weiteren unterstützten mich durch Korrekturlesen und anregende Diskussionen
Uschi, Muneer und Michael. Die vielen nicht genannten Helferinnen und Helfer habe ich
nicht vergessen.
6
1. Einleitung
Religion ist seit einiger Zeit wieder ins Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit gerückt.
„Wenn Gott das noch erlebt hätte“ betitelt die „taz" (Ausg. v. 19.08.2005) den Boom um
den Papstbesuch in Köln anlässlich des 16. Weltjugendtages. Ironischerweise wird mit
dieser Überschrift ein Wiederaufleben der Religion vor dem Hintergrund ihrer Kritik in der
abendländischen Geistesgeschichte beäugt. Die taz stellt auf derselben Titelseite die
hintersinnige Frage, ob denn „der Wohlstands- und Gleichgültigkeits-Atheismus in
Deutschland bedroht“ sei. Nicht ohne Grund, denn im beginnenden 21. Jahrhundert
gewinnen religiöse Fragen zunehmend an Popularität, wobei hierzulande insbesondere
auch östliche Religionen starken Zuspruch erfahren. Der Dalai Lama verkörpert dabei das
breit verankerte Sinnbild für diese „Sehnsucht nach Harmonie“ (ARD 2005) und nimmt so
einen beträchtlichen Raum in öffentlichen Darstellungen ein. Anlässlich seines 70.
Geburtstages am 6. Juli d. J. erschienen zahlreiche Publikationen: Themenabende,
Sonderhefte und Artikelserien etc.. Ulrich Beckmann versuchte beispielsweise scherzhaft
in einem Fernsehinterview1 dem Friedensnobelpreisträger menschliche Schwächen
nachzuweisen (vgl.: ARD 2005), und auch die Zeitschrift „Geo" startet eine Reihe über
Buddhismus, in der zu Beginn „Der gute Mensch von Lhasa“ (Riedle 2005: 40) ausführlich
porträtiert wurde. In der gesamten Presselandschaft werden kaum kritische Stimmen laut,
der „lebensfrohe Asket zwischen Weisheit und Weltpolitik“ (Geo, H. 07-2005) scheint in
der Öffentlichkeit nicht so kontrovers diskutiert zu werden, wie es bei seinem katholischen
Pendant der Fall ist. Wo er auftaucht, zieht der Autor, dessen Name in Bestsellerlisten
verankert zu sein scheint, begeisterte Menschenmassen an (wie Mitte August 2005 in
Zürich) und füllt Hallen mit begeisterten Sinnsuchenden, die Unterweisungen hören oder
Einweihungen erhalten möchten, wie es Werner Herzog in seinem Film „Rad der Zeit“ an
Hand einer Veranstaltung in Graz dokumentierte.
Die „sanfte Weltmacht Buddhismus“ (Geo, H. 07-2005) „bedroht“ somit auch ganz
offensichtlich die insbesondere in der Soziologie weit verbreitete Annahme einer engen
Verknüpfung von Säkularisierung und Moderne. Soziologische Theorien versuchen die
„Rückkehr der Religionen“ (Riesebrodt 2000) zu erklären, indem sie diese als eine weitere
Folge der Modernisierung untersuchen. Als Krisenbewältigungsstrategien für die
auftretenden Probleme in einer individualisierten globalen Welt könnten, so die zugrunde
1
Ausgestrahlt am 20.6.2005 in der ARD um 23 Uhr
7
liegende Hypothese, die unterschiedlichsten Religionen zu Rate gezogen werden. Von
einer postsäkularen Gesellschaft ist dann die Rede, für die weltweite Verflechtungen durch
moderne Kommunikationsmedien konstitutiv sind (Eder 2002). Die globalen Netzwerke
ergeben einen reziproken Effekt bei der Rückkehr der Religionen. Am Beispiel des
tibetischen Buddhismus lässt sich zeigen, dass dieser aus Zentralasien in die westliche
Welt gelangte und dort auf dem Nährboden einer „postsäkularen“ Sinnsuche gedieh. Unter
diesen Umständen konnte er im Westen Ressourcen ausbauen, welche wiederum die
Revitalisierung in seinen Ursprungsländern speist. Die Mongolei hat mit der
sozialistischen Zeit im vergangenen Jahrhundert eine knapp 70 Jahre andauernde Phase
radikaler Säkularisierung hinter sich. Nachdem der tibetische Buddhismus zuvor über viele
Jahrhunderte fest mit der mongolischen Kultur verwachsen war, erfolgte während der
kommunistischen Zeit eine totalitär erzwungene Zäsur, in der die Religionsausübung
verboten war und die Klöster zerstört wurden. Seit 1992 ist in der fortan demokratischen
Mongolei die Religionsfreiheit verfassungsrechtlich garantiert, was zu umfangreichen
Revitalisierungsbemühungen seitens der buddhistischen Glaubensgemeinschaft geführt
hat.
Unter
Revitalisierung des
Buddhismus verstehe ich den Prozess seiner
Reimplantierung, nachdem er aus dem öffentlichen Leben verschwunden war. Ein solches
Verständnis fällt noch unter die weit gefasste Definition des Klassikers Anthony Wallace
(1958), der Revitalisation als „...a deliberate, organized, conscious effort by members of a
society to construct a more satisfying culture“ (Wallace zit. in. Dürr 1990: 8) definiert,
setzt aber die erkenntnisleitende Fragestellung etwas anders. Der Fokus liegt bei dieser
Arbeit nicht auf dem Ablauf der Revitalisierung als einer sozialen Bewegung, da der
Wiederaufbau des Buddhismus in der Mongolei lediglich einen Teilaspekt der
gesamtgesellschaftlichen Umwälzungen darstellt. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen
hier vielmehr die Quellen, aus denen sich die Revitalisierung speist sowie deren konkrete
Nutzung. Dabei kommen vorhandene Glaubensrelikte aus der vorsozialistischen Zeit und
der Rückgriff auf Traditionen aus der Mongolei ebenso zum Tragen wie die Unterstützung
einer transnational verflochtenen Glaubensgemeinde. Um ein solches Phänomen
untersuchen zu können, bot sich ein biographischer Ansatz an, weil sich aus der
Innenperspektive die Spannungsfelder, Möglichkeiten und Verflechtungen, die für die
Situation in der Mongolei ausschlaggebend sind, an Hand eines Fallbeispieles durch
Grundlagenforschung am aussagekräftigsten untersuchen lassen.
Die Biographieforschung ist in der Ethnologie eine etablierte Methode, die sich
zunehmend auch in Nachbardisziplinen wie der Soziologie regen Interesses erfreut. Geht
8
es in der Soziologie eher um die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Strukturen, die sich
beispielsweise mit Hilfe von rekonstruktiven Verfahren (Bohnsack 2003) analysieren
lassen, so sucht die Ethnologie neuerdings vorrangig über die biographisch erforschte
Lebenswelt Zugang zu kulturellen Prozessen zu bekommen (Spülbeck 1997). Die
Lebensgeschichte des hier ausgewählten Schlüsselinformanten Zava Rinpotsche spiegelt
alle signifikanten Prozesse der Revitalisierung des Buddhismus in der Mongolei wider.
Sein Entwicklungsgang ist somit ein ideales Beispiel, um „die persönlichen
Handlungsmöglichkeiten in den Blick zu nehmen, die sich die Einzelnen innerhalb der
komplexen lokal-globalen Verflechtungen zu erschließen suchen“ (Hermann et al 2003: 2).
Mittels des Handlungsrahmens, in dem sich Zava Rinpotsche bewegt, lassen sich die
vielfältigen Faktoren beschreiben und das gesellschaftliche Spannungsfeld aufzeigen, in
dem sich die Revitalisierung des Buddhismus in der Mongolei bewegt. Das recht junge
Phänomen befindet sich auch im zweiten Jahrzehnt der Bemühungen noch in den
„Kinderschuhen“; dieser Eindruck drängt sich einem zumindest auf, wenn man die dürftige
Literaturlage zugrunde legt. Wie wenig Beachtung dieser landesweit zu beobachtende
Prozess in der Forschung bisher fand, zeigt sich daran, dass –speziell zur Revitalisierung
des Buddhismus in der Mongolei nach 1990- nur einige wenige Zeitschriftenartikel
existieren. Dies war ein weiterer dringender Grund, Grundlagenforschung zu betreiben.
Durch die bestehenden Kontakte bot sich die Möglichkeit, direkte Einblicke in die
relevanten Prozesse zu bekommen, weswegen die Arbeit sich als eine empirische
Grundlagenforschung versteht. Mit dieser Vorgehensweise war es – wie schon angedeutet möglich, jene aktuellen Spannungsfelder und Rahmenbedingungen in der Mongolei
aufzuzeigen, in denen sich das Handeln einer zentralen Figur des Wiederaufbaus bewegt.
Des weiteren wurde Wert darauf gelegt, in emischer Sicht die Kräfte zu beschreiben, mit
denen
die
transnationalen
Verbindungen
geflochten
sind.
Die
Entscheidung,
Grundlagenforschung zu betreiben, bietet in besonderer Weise die Chance, zu untersuchen,
wie sich die Netzwerke, auf welche die Revitalisierung angewiesen ist, in dem
buddhistischen Weltbild manifestieren. Für den Betrachtungsfokus dieser Arbeit erschien
es daher stringenter, die dem manifesten „Globalisierungsphänomen“ inhärenten
buddhistischen Grundlagen zu betrachten, anstatt die gängigen Globalisierungstheorien
ausführlich zu diskutieren. Dennoch wurde nicht darauf verzichtet, am Ende der Arbeit
kurz auf Anknüpfungspunkte aktueller Theoriediskussionen zu verweisen.
9
Da die vorliegende Arbeit eine empirische Ausrichtung hat, wird im folgenden zweiten
Kapitel eine Übersicht über die Feldforschungen, die dieser Arbeit zugrunde liegen,
gegeben. Um einen Überblick über die erhobene Datenlage und eine Transparenz in deren
Gewinnung herzustellen, werden die Orte der Erhebung, die relevanten Personen sowie die
methodische
Vorgehensweise
beschrieben
und
die
aufgetretenen
Problemlagen
thematisiert.
Um dem Anspruch einer emischen Darstellungsweise nahe zu kommen beschäftigt sich
das dritte Kapitel mit dem Buddhismus. Nach einer kurzen generellen Einführung werden
dann im besonderen diejenigen Grundlagen dargestellt, welche für die untersuchten
Sachverhalte von Relevanz sind. Da der mongolische Buddhismus sich aus dem tibetischen
ableitet und mit diesem eng verbunden ist, werden maßgebliche Elemente aus dieser
Weltanschauung dargelegt. Diese Aspekte sind für ein Verständnis der später untersuchten
Verflechtungen unabdingbar. Im vierten Kapitel wird die gesellschaftliche Genese und
Verankerung des Buddhismus in der Mongolei unter einem historischen Blickwinkel
skizziert. Die gesellschaftlichen Entwicklungen im 20. Jahrhundert bilden den
Ausgangspunkt für die Revitalisierung des Buddhismus und sind für das Verständnis der
hierbei stattfindenden Prozesse konstitutiv.
Das Kernstück der Arbeit stellt das fünfte Kapitel dar. An der Lebensgeschichte des
Schlüsselinformanten Zava Rinpotsche lassen sich alle relevanten Stationen der
Revitalisierung aufzeigen. Zu Beginn des Kapitels wird die Feldforschungsbeziehung noch
einmal gesondert reflektiert um eine Transparenz bezüglich der Datengewinnung
herzustellen.
Anschließend
werden
die
essentiellen
Spannungsfelder
des
Revitalisierungsprozesses anhand des Werdegangs des maßgeblichen Entscheidungsträgers
und Akteurs dargestellt.
Im Fokus des sechsten Kapitels stehen die transnationalen Verflechtungen der
buddhistischen Glaubensgemeinschaft, auf welche die mongolische Revitalisierung
essentiell angewiesen ist. Am Beispiel von Zava Rinpotsches Ausbildung werden auf
Beziehungsebene die Kräfte dargestellt, welche die internationalen Verflechtungen
ausmachen. Nach seiner Transformation zum maßgeblichen Akteur obliegt es ihm, die
vielfältigen internationalen Hilfeleistungen zu koordinieren.
Das
siebte
Kapitel
gesamtgesellschaftlicher
betrachtet
Ebene.
die
Die
Revitalisierung
Ausgangslage
bei
des
der
Buddhismus
auf
Aufhebung
des
Religionsverbotes und die getätigten Entwicklungen kommen dabei ebenso zur Sprache
wie Probleme und Lösungsstrategien. In einer abschließenden Betrachtung werden die
10
angewandten Strategien diskutiert und Berührungspunkte mit theoretischen Konzepten
aufgezeigt.
Abschließend erfolgt eine bilanzierende Gesamtbetrachtung der Entwicklungen in der
Mongolei, wobei neben einer Einschätzung der Sachlage mögliche zukünftige
Forschungsfelder aufgezeigt werden.
11
2. Aspekte der Feldforschung
Da die Forschung für diese Arbeit an mehreren Orten stattfand und sowohl Informanten
aus der Mongolei wie auch Informanten über die Mongolei eine Rolle spielten, werden
diese einleitend kurz vorgestellt, um mehr Klarheit über den Verlauf und die Methoden zu
schaffen. Alle relevanten Orte und Personen wurden vom Autor hervorgehoben und lassen
sich in einem Glossar im Anhang nachschlagen. Anschließend werden dann die
aufgetretenen Probleme im ethischen Bereich behandelt.
2.1 Orte und Personen
Der zentrale Informant für die Arbeit war, wie der Titel berechtigterweise vermuten lässt,
Zava Rinpotsche selbst, mit dem zusammen die zweimonatige Feldforschung in der
Mongolei erfolgte. Drei Orte waren dort - nebst dem Jeep, der sich für mongolische
Verhältnisse meist rasend schnell zwischen diesen dreien hin- und herbewegte - wichtig.
Der eine war das Kloster Amarbayasgalant, das eines der wenigen großen Klöster in der
Mongolei ist, welches in den Zeiten der Kulturrevolution in den 1930er Jahren nicht
vollständig zerstört wurde. Es war das Kloster, in das Zava Rinpotsche eintrat; heute leben
dort ungefähr 50 Mönche. Der zweite Ort liegt ca. 250 km südlich von Ulaan Baatar in der
Mittelgobi, wo Zava Rinpotsche, resultierend aus seiner Verpflichtung als Tulku, an der
Stelle, an der sein Vorgänger lebte, einen Tempel bauen ließ. Der dritte Ort war Ulaan
Baatar, die Hauptstadt der Mongolei. Dort lebten wir bei Zava Rinpotsches Mutter und
besuchten fast täglich die Villa seines Lehrers. Diese dient als Zentrum in Ulaan Baatar, es
befindet sich ein Tempelraum darin und es leben jeweils acht Mönche dort, die tägliche
Zeremonien durchführen. Dieser Lehrer heißt Guru Deva Rinpotsche, war zum Zeitpunkt
der Feldforschung 96 Jahre alt und ist einer der wenigen alten mongolischen Mönche, die
die Zeit der sozialistischen Mongolei im Ausland überlebten. Ihm kommt in der Mongolei
eine zentrale Rolle beim Wiederaufbau des Buddhismus zu. In Anbetracht seines Alters,
der Verständigungsprobleme und seines damaligen Gesundheitszustandes wurde er vom
Verfasser nicht um Interviews gebeten. Weitere wichtige Personen für die Feldforschung
in der Mongolei waren die Familie von Zava Rinpotsche, soweit es die sprachliche
Situation erlaubte, und weitere Mönche, vor allem diejenigen, die ebenfalls im Ausland
12
studiert hatten und Englisch sprachen. Auf deren Wunsch hin und aus Gründen des
Informantenschutzes werden sie nicht namentlich erwähnt. Ein weiterer Informant, den der
Verfasser in der Mongolei traf, war Zasep Tulku Rinpotsche, ein tibetischer Meister, der
in Kanada lebt und im englischsprachigen Raum mehrere buddhistische Zentren gegründet
hatte. Er besuchte mit drei seiner Schüler die Mongolei, die sie vom Ausland aus
unterstützen.
In Europa sind zwei Orte von Belang: Rabten Choeling in der Schweiz und Tashi Rabten
in Österreich. Es sind zwei zusammengehörige tibetische Klosterinstitute, die in den
1970er Jahren gegründet wurden2. Zava Rinpotsche, der damals noch Lobsang Dargayaa
hieß, gehörte zu den ersten Mönchen aus der Mongolei, die dort studierten. In diesen
Klöstern sind zwei Personen wichtig für die Arbeit: Gonsar Rinpotsche, der Abt beider
Klöster und Gesche Thubten Trinley, der sich in Rabten Choeling als „teaching master“
um die Ausbildung kümmert. Gonsar Rinpotsche hat die Beziehungen zur Mongolei
hergestellt und Gesche Thubten besucht seit mehreren Jahren in den Sommermonaten die
Mongolei um dort zu unterrichten und die Zeremonien während einer bestimmten Klausur
zu leiten. Beide sind Lehrer von Zava Rinpotsche und stehen somit in sehr enger
Beziehung zu ihm (vgl. Kap. 3.2.2).
2.2 Verlauf und Methoden
Die Forschungen vollzogen sich in mehreren Stationen und hatten prozesshaften
Charakter. Aufgrund einer 3-wöchigen Reise im Jahre 2003 waren dem Verfasser erste
Einblicke in die Situation der Mongolei gegeben. Der Kontakt zu den Exilklöstern in
Österreich und der Schweiz bestand schon länger. Als der Entschluss fiel, eine Arbeit über
den Buddhismus in der Mongolei zu schreiben, erfolgten mehrere ausführliche
Vorgespräche
mit
Gonsar
Rinpotsche.
Dessen
Vermittlung
ermöglichte
den
zweimonatigen Feldforschungsaufenthalt in der Mongolei an der Seite von Zava
Rinpotsche, dessen Lebensgeschichte den Kern der Arbeit bildet. Nach der Auswertung
der Forschung in der Mongolei erfolgten dann noch weitere Interviews in der Schweiz und
Österreich.
2
Im indischen Exil bat der Dalai Lama den jüngeren seiner beiden Tutoren, Gesche Rabten Rinpotsche, sich
um die am Buddhismus interessierten Personen aus dem Westen zu kümmern. Von diesen in die Schweiz
eingeladen, gründete er in der darauffolgenden Zeit mehrere buddhistische Zentren in Europa. (Vgl: Gonsar
Rinpotsche 1997)
13
Die vorliegende Arbeit richtet sich in ihrer methodischen Vorgehensweise nach der
Grounded Theory3, was sich in zwei wichtigen Aspekten äußert: Erstens wurden im
Vorfeld keine Hypothesen an die Forschung herangetragen und zweitens hat sich die
Fragestellung prozesshaft entwickelt.
Grounded Theory versteht sich als „eine qualitative Forschungsmethode bzw.
Methodologie, die eine systematische Reihe von Verfahren benutzt, um eine induktiv
abgeleitete, gegenstandsverankerte Theorie über ein Phänomen zu entwickeln“
(Strauss/Corbin 1996: 8). Die Forschung soll also Theoriekonzepte entwickeln und nicht
vorgefertigte Hypothesen überprüfen. Selbstverständlich geht ein Forscher nicht frei von
Konzepten und Vorstellungen – und somit Hypothesen - an eine Forschung heran, doch
wird dieses Kontextwissen in den Forschungsprozess bewusst eingearbeitet. Es dient dazu,
Vermutungen anzustellen und eine Fragestellung zu entwickeln, was Strauss als Induktion
bezeichnet. Mittels Deduktion sollen dann durch logische Überlegungen und Reflexion aus
dem Datenmaterial Hypothesen und deren Konsequenzen abgeleitet werden, die in einem
weiteren Schritt durch Verifikation in der Forschung überprüft werden. Es werden also nur
Hypothesen verifiziert oder verworfen, die im Laufe der Forschung entstehen. Diese drei
Arbeitsschritte sind zentral für die Theoriegenerierung und wiederholen sich im Laufe des
Forschungsprozesses. Dadurch wird die Subjektivität in der Methodik des Forschers
reflektiert und durch die verschiedenen Arbeitsschritte kontrolliert (Strauss 1998: 37-40).
Es wurde also versucht, offen an die Untersuchung heranzugehen und den
Forschungsprozess entscheiden zu lassen, was wichtig ist. Daraus ergibt sich eine
prozesshafte Entwicklung der Fragestellung. Damit ist eine zweite Bedingung der
Grounded Theory, wie Strauss und Corbin sie postulieren, erfüllt (1998: 21-25). Diese
Vorgehensweise bildet sich auch im konkreten Ablauf der Forschung ab: Bildete zu
Beginn des Projektes das Thema ‚Revitalisierung des Buddhismus in der Mongolei’ einen
essentiellen Ausgangspunkt, so hat sich im Laufe der Forschung diese Fragestellung
stärker ausdifferenziert und durch die verschiedenen Stationen verändert. War am Anfang
das Kloster Amarbayasgalant im Sinne einer Lebenswelt als Zentrum für die Forschung
gedacht, so stellte sich schon durch die Vorgespräche heraus, dass Zava Rinpotsche darin
eine wichtige Rolle spielen könnte. Die Veränderung seiner Rolle im Kloster durch die
Ernennung zum Tulku im Jahre 2003 wäre ein möglicher Fokus gewesen.
Die ursprüngliche Erwartung, dass eine Feldforschung im Kloster Amarbayasgalant den
idyllischen Bedingungen eines gläsernen Dorfes entspräche, in dem der Ethnologe das
3
Das Konzept der Grounded Theory wurde in den 1960er Jahren von Strauss und Corbin entwickelt und
entsteht in Anlehnung an den Amerikanischen Pragmatismus von J. Dewey und G.H. Mead einerseits und an
die qualitative Forschung der Chicago School andererseits (Strauss 1998:30).
14
Geschehen uneingeschränkt beobachten kann, wie es Malinowski aus der Gründerzeit der
teilnehmenden Beobachtung berichtet (Malinowski 1986: 28-29), wurde durch die
vorgefundene Wirklichkeit schnell desillusioniert. Das Leben und Wirken der
englischsprechenden Mönche, die in der Schweiz studiert hatten und somit als Informanten
prädestiniert wären, war nicht so zentralisiert an einem Ort vorfindbar, wie angenommen
worden war. Alles war dort viel mehr in Bewegung, das Handeln der Akteure fand an
mehreren Orten statt. Dies erforderte eine multilokale Forschung, ein Prozess, den Spittler
in einem feurigen Plädoyer für teilnehmende Beobachtung als eine Entwicklung in der
Ethnologie
beschreibt.
Ebenso
spielen
nach
seiner
Auffassung
oft
einzelne
Hauptinformanten in der Forschung eine zentrale Rolle. Diese zu einem Dialogpartner zu
machen sei dann „nur konsequent" (Spittler 2001: 4).
Als der Verfasser nach wenigen Tagen in der Mongolei von Zava Rinpotsche eingeladen
wurde, die gesamte Zeit mit ihm zu verbringen und zwischen den Orten zu pendeln, wurde
diese Möglichkeit dankbar angenommen. Kloster als Lebenswelt im Sinne von Malinowski
war damit passé, aber neue Möglichkeiten taten sich auf, die Feldforschungen zusammen
mit dem Hauptinformanten zu gestalten. Spittler plädiert für eine teilnehmende
Beobachtung als eine Dichte Teilnahme. Diese erfordere:
nicht nur die interpretative im Gegensatz zur rein physischen Teilnahme, sondern auch die soziale Nähe.[... ].
Zu diesem Erleben gehören alle Sinne, nicht nur das Sehen und Hören, sondern auch das körperliche und
seelische Fühlen (2001: 19).
Eine gesonderte Betrachtung der Feldforschungsbeziehung erfolgt im Kapitel 5.1. Der
Begriff Dichte Teilnahme basiert auf Clifford Geertz' „Dichte Beschreibung“ (1987),
worin dieser den vielzitierten „semiotischen“ Kulturbegriff der "selbstgesponnene[n]
Bedeutungsgewebe" aufstellt (Geertz 1987: 9). In diesem Geflecht sieht er die Kultur, die
es mittels Interpretationsprozessen zu durchleuchten gelte, um ein Verständnis zu erlangen.
Auch Susanne Spülbeck greift den hier zugrunde liegenden Kulturbegriff auf, wenn sie die
Anwendung der biographischen Methode als gängige Praxis in der ethnologischen
Forschung beschreibt:
Individuum und Kultur lassen sich dann nicht mehr trennen, sondern es geht viel mehr darum, die individuellen
Deutungsmuster und Interaktionsstrategien zu ihrer Produktion, wie etwa den Rückgriff auf traditionelle
Bedeutungszuweisungen, zu verstehen. Biographie-Forschung beleuchtet genau diesen Aspekt, nämlich die
individuelle Interpretation, die lebenslange Auseinandersetzung mit Bedeutungen in allen Bereichen, die für
den Einzelnen in seiner Lebensgeschichte wichtig waren oder sind (Spülbeck 1997: 128-129).
15
Durch seine Schlüsselposition beim Wiederaufbau des Buddhismus in der Mongolei ist
Zava Rinpotsche zu einer Schaltstelle avanciert, bei der viele solcher Verflechtungen
zusammenlaufen. Für die hier intendierte ethnologische Betrachtungsweise bietet der
biographische Ansatz neben dem traditionellen Zugang zur „emischen Sichtweise“ auch
die Möglichkeit, seine Handlungsspielräume aufzuzeigen, die sich im Spannungsfeld der
lokalen Entwicklungen und globalen Verflechtungen auftun. Die Betrachtung von Zava
Rinpotsches lokalen Handlungsspielräumen bietet einen Zugang zu den aktuellen
Entwicklungen in der Mongolei. Durch moderne Kommunikationsmedien ist Zava
Rinpotsche in ein transnationales Geflecht seiner Glaubensgemeinde eingebunden. Auch
hier offeriert der lebensgeschichtliche Ansatz aufschlussreiche Einblicke in die
Beschaffenheit der Verflechtungen, die bei der Revitalisierung wirksam werden. Globale
Verflechtungen
durch
Massenmedien
haben
nach
Appadurais
Verständnis
der
Globalisierung zur Folge, dass Menschen zunehmend „mehr Variationen ‚möglicher’
Leben in Betracht“ (1998: 21) ziehen. Seiner Auffassung nach bekommen dadurch
Selektion und Imagination in der Erzählung von Lebensgeschichten eine besondere Rolle
für die ethnologische Forschung (1998: 37). Daraus ergibt sich die Möglichkeit zur
Analyse des Gesagten und eine Verpflichtung zur Kontextualisierung der biographischen
Erzählung durch den Forschungsprozess.
Diesem Sachverhalt wurde bei der Bearbeitung der „Daten“ Rechnung getragen. Auf
dieser Grundlage wurden die biographischen Interviews geführt. Diese entstanden während
der Forschung in vier Sitzungen und wurden auf Minidisk aufgezeichnet. Das erste und
vierte Interview wurde in der Wohnung in Ulaan Baatar geführt, die beiden mittleren in
einer Jurte in der Gobi. Die Interviews waren zwar biographisch ausgerichtet, könnten aber
ebenso gut als episodische Interviews bezeichnet werden, da in ihnen vor allem der Verlauf
der religiösen Karriere erzählt wurde (vgl. Schlehe 2003: S. 80). Nicht weniger von
Bedeutung ist die teilnehmende Beobachtung im Leben des Informanten. Es ergab sich ein
Zugang zu vielen weiteren Informanten, die ebenfalls eine wichtige Rolle spielten.
Besonders hervor heben sich hier jene Interviews, die der Verfasser mit Zasep Tulku
ziemlich zu Beginn der Forschung in der explorativen Phase geführt hat, als er gemeinsam
mit Zazep Tulku drei Tage bei dem Tempel in der Gobi verbrachte. Seine Kenntnisse der
englischen Sprache sowie sein Wissen über den Buddhismus und über dessen Situation in
der Mongolei waren hilfreich bei der Eingrenzung des Themas. Ein abschließendes
Interview mit ihm wurde in Ulaan Baatar auf Minidisk aufgezeichnet. Ebenso wurden
mehrere Interviews mit Mönchen aufgezeichnet, die in Anlehnung an das Interview mit
16
Zasep Tulku eine Serie halbstrukturierter Interviews bilden, d.h. es wurde eine
Themenfolge erstellt, wobei die einzelnen Themen je nach Situation eine unterschiedliche
Gewichtung erfuhren. Diese ergab sich aus der Position des Interviewten und aus dem
Gesprächsverlauf, dessen Eigendynamik jeweils eher unterstützt als unterbunden wurde.
Nach der Auswertung der Forschung erfolgten noch zwei weitere Experteninterviews.
Eines davon mit Gonsar Rinpotsche in Österreich und ein weiteres mit Gesche Thubten in
der Schweiz. In ihnen wurde noch einmal der Aspekt der transnationalen Verflechtungen
aufgegriffen. Durch die Forschung in der Mongolei ließen sich zentrale Aspekte der
Verbindungen analysieren, die teilweise bestätigt, teils auch konterkariert wurden,
wodurch sich neue Aspekte hervortaten. Das Interview mit Gonsar Rinpotsche konnte auf
Deutsch geführt werden, jenes mit Gesche Thubten erfolgte mittels Übersetzer auf Deutsch
und Tibetisch. Durch die Übersetzung ergab sich eine andere Gesprächssituation, es
entwickelte sich nicht eine solche Eigendynamik, wie es bei den Interviews ohne
Übersetzer durch das direkte Gespräch der Fall war (vgl. Senft 2003). Dennoch konnten
die relevanten Fragen beantwortet werden.
2.3 Chancen und Schwierigkeiten
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit ethischen Fragestellungen in der Forschung.
Grundsatzdebatten über ethische Implikationen ethnologischer Forschung wurden an
anderer Stelle geführt (vgl. hierzu Amborn 1993, Fluehr-Lobran 1998, auch Illius 2003
und Beer 2003, sowie Stagl 2002), worauf hier nicht weiter eingegangen wird. Der
Verfasser
versucht
hierbei
dem
Anspruch
Genüge
zu
leisten,
die
eigene
Informationsbeschaffung und mit ihr auch einige innere Konflikte, die sich aus der
Feldforschungssituation ergeben, transparent zu machen. Die folgenden Überlegungen
kreisen um den Zugang zum Feld und um die Vertraulichkeit von Informationen. Da es
ausschließlich um Beispiele aus den Feldforschungen des Verfassers geht, die, um mit
Clifford Geertz’ Worten zu sprechen, „bei allen sonstigen Schwächen den Vorzug haben,
aus eigener Anschauung zu stammen“ (Geertz 1987: 293), so scheint es angemessen, in
diesem Kapitel in der ersten Person zu schreiben.
Die Bereitschaft zur Kooperation bei einer Feldforschung hängt immer zu einem
bedeutenden Teil von dem Vertrauen ab, das einem als Forschendem entgegengebracht
wird, und dieses nimmt (wenn alles gut läuft) mit der Zeit und der Vertrautheit zu. Mehrere
17
Faktoren spielten in dieser Hinsicht für meine Forschungen eine Rolle. Erstens macht es
einen Unterschied, ob man jemanden zum ersten Mal oder zum zweiten Mal trifft. Beim
zweiten Mal trifft man sich wieder.4 Dieser Umstand war durch meine Reise im Vorjahr
gegeben, einige Mönche kannte ich zusätzlich, zumindest vom Sehen, von Besuchen der
Zentren in Österreich und der Schweiz, als diese dort lebten, wodurch ich ein bekannter
Fremder war. Viel wichtiger war jedoch der Umstand, dass mein Aufenthalt in der
Mongolei von Gonsar Rinpotsche nach unseren Vorgesprächen angekündigt worden war.
Ich wurde somit fast wie sein Abgesandter behandelt, was ein fundamentaler Vorteil war,
da er dort als bedeutender Meister verehrt wird. Dementsprechend hoch war die
Gastfreundschaft, welche in der Mongolei ohnehin ausgeprägt ist. Der dritte Umstand war
das (wenn auch nur sehr geringe) Kontextwissen, welches sich durch die Beschäftigung
mit dem Buddhismus ergeben hatte und ohne welches sich die betrachteten Prozesse nicht
verstehen ließen (vgl. nächstes Kapitel). Diese drei Faktoren zusammen bildeten die
Grundlage für eine Vertrautheit mit den Informanten, wie sie sich im Laufe der Forschung
entwickelte. Ein zweiwöchiger Aufenthalt in Amarbayasgalant, bei dem mein Versuch, mit
den jugendlichen Mönchen nach der sommerlichen Meditationsklausur sportliche Übungen
durchzuführen, für Erheiterung sorgte, lockerte ebenso unser Verhältnis zueinander, was
sich sehr positiv auf die Forschungssituation auswirkte (vgl. Illius 2003: 79-81). Die
Beziehung zu meinem Hauptinformanten wird im Kapitel 5.1. gesondert betrachtet. In
Ulaan Baatar und in Amarbayasgalant erfolgten viele Gespräche mit einigen
aufgezeichneten Interviews mit Mönchen. Durch die beschriebene Nähe, die durch die
erwähnten Umstände entstand, ergaben sich sehr günstige Interviewsituationen. Allen
Interviewten ist gemeinsam, dass sie mir einige Dinge mit der Bitte anvertrauten, diese
nicht zu veröffentlichen; sie sollten lediglich zu meinem besseren Verständnis der
Situation dienen. Diese Informationen betrafen Entwicklungen ihrer Gemeinschaft auf
unterschiedlichen Ebenen. Verglichen mit dem großen Spektrum ethischer Konflikte, die
sich bei Feldforschungen ergeben können (Illius 2003: 91), mögen diese gering erscheinen,
doch auch diese galt es zu lösen. Niedergeschlagen hat sich dies auf die Themenwahl.
Durch die biographische Ausrichtung konnte ich einige Problemzonen "umsegeln". Ebenso
verhalfen die Wahl der Randthemen und die Entscheidungen, welche davon mehr ins
Zentrum rücken und welche unerwähnt bleiben sollten, zu einer Lösung. Doch hier beginnt
dann schon ein Grundkonflikt:. Möchte ich das Ideal „gleichberechtigter, dialogischer
4
Dieser Effekt spielt beim ethnographischen Filmschaffen eine sehr wichtige Rolle und wird in der summer
school des Instituts für den Wissenschaftlichen Film unterrichtet. Bestehen gegenüber dem Filmen
Vorbehalte, so ist diese Vertrautheit des Wiedersehens u.U. notwendig, um überhaupt erst die Chance zu
bekommen, das Filmprojekt vorstellen zu können. (Teilnahme d. Verf. im Jahre 2002)
18
Klärung“ (Schlehe 2003: 90) eines Themas durch Interviews auch nur erwähnen, so
versteht es sich von selbst, dass ich meine Informanten nicht damit schockiere, anvertraute
internste Geheimnisse hinterher auszuplaudern, um diese dann einer qualitativen Analyse
zu unterziehen. Lasse ich Themen weg, so bewege ich mich in dem Dilemma zwischen den
multiple layers of responsibility: These might include ethical responsibility to the people studied in their
complex relations with one another and to their state and other communities and institutions that impact their
lives; responsibility to those into whose confidence you were taken; responsibility to the truth, to science, and
to one´s discipline (Fluehr-Lobban 1998: 190).
Einen ersten Schritt zur Lösung dieses Konflikts sehe ich darin, dass ich von
anonymisierten „Mönchen“ spreche. Bei einer spezifischeren Zuordnung wäre eine
Anonymisierung nicht möglich, die namentlich erwähnten „Experten“ sind ohnehin nicht
anonym. Zweitens haben persönliche Konflikte innerhalb der Gemeinschaft keine
Beachtung in der Arbeit gefunden. Mir schien trotzdem eine schlüssige Beschreibung der
Verhältnisse gegeben, die einer "konventionellen Wahrheit" Genüge leistet in Bezug auf
die beschriebenen Entwicklungen. Und drittens werden manche Tatsachen und Konflikte
in einer Kürze beschrieben, die Wert auf Diplomatie legt und sich darauf beschränkt, die
nötigen Rahmenbedingungen für die beobachteten Entwicklungen zu beschreiben.
19
Abb.1 Amarbayasgalant: Junge Mönche bei sportlichen Übungen nach einer mehrwöchigen
Meditationsklausur.
Abb.2 Arbeitsplatz: Arbeitsplatz des Verfassers beim Kloster Amarbayasgalant.
20
3. Aspekte des Buddhismus
Dieses Kapitel soll einen kleinen Einblick in das weite Feld des Buddhismus geben. Eine
umfassende Beschreibung des Buddhismus kann weder in Bezug auf die unterschiedlichen
Verbreitungsformen der Lehre noch hinsichtlich der philosophischen Grundlagen erfolgen,
da ein solches Vorhaben nicht der Ausbildung des Verfassers entspräche. Es werden
lediglich einige grundlegende Punkte genannt mit dem Ziel, die nötigen Informationen für
ein Verständnis der Zusammenhänge, die in der Mongolei als relevant für den
Wiederaufbau des Buddhismus vorgefunden wurden, zu liefern.
Die aufgetretenen Probleme bei der Durchsicht der Literatur zu diesem Thema haben zu
einer kurzen Betrachtung der Darstellungsweise des Buddhismus auf einer übergeordneten
Ebene angeregt, weshalb im Abschnitt 3.1 den Ausführungen über Buddha Schakyamuni
einige Grundlagen des Buddhismus und über seine tibetische Ausprägung vorangestellt
sind.
3.1 Die Darstellung des Buddhismus als Problem westlicher Rezeption
In den letzten zwanzig Jahren erschien in den westlichen Ländern sehr viel Literatur über
den Buddhismus und besonders über dessen tibetische Ausprägung. Jedoch, und das wird
in der beforschten Glaubensgemeinde beklagt, findet sich unter der Literatur auch solche,
die eine verfälschende Sicht auf den Buddhismus beinhaltet. Zu vieles wird aus einer
westlichen Perspektive dargestellt, die von Schwärmerei und Sehnsucht geprägt ist. Die
gelegentliche Darstellung von vereinigten weiblichen und männlichen Gottheiten im
tibetischen Pantheon übt eine Faszination auf viele Autorinnen und Autoren aus, die dann
die eigentlichen Grundlagen aus der buddhistischen Lehre vernachlässigen. Der Tibetologe
Loden Sherab Dagyab, selbst ein tibetischer Tulku, der im Exil in Deutschland ein
weltliches Leben mit einer wissenschaftlichen Karriere führt, beklagt, dass „trotz
Tourismus und vielfältiger Informationsvermittlung“ noch immer ein Bild von Tibet als
geheimnisvollem Schneeland voller Magie und Mystik“ zu existieren scheint (Dagyab
1995: 7). Eine Ausstellung im Züricher Museum für Völkerkunde „Traumwelt Tibet –
Westliche Trugbilder“ widmete sich im Jahre 2001 genau dieser Thematik. Ausgestellt
21
wurde dabei nichts aus der tibetischen Kultur selbst, sondern die westlichen Illusionen aus
Werbung, Literatur, Filmen und Kommerz etc., die im Westen eine lange Tradition haben
(Brauen 2000). Mit einer ähnlichen Vorgehensweise löste Edward Said 1978 durch sein
Werk „Orientalism“, in dem er ‚den Orient’ als eine Konstruktion des Westens analysiert,
die sog. Orientalismus-Debatte aus (Said 1981). Seither sind durch die Postcolonial
Studies5 essentialisierende Diskurse über den Orient, neuerdings auch jene über den
Okzident, und die Überwindung solcher Binaritäten Gegenstand unterschiedlicher
wissenschaftlicher Disziplinen, darunter der Ethnologie, der Soziologie, der Psychologie
und vor allem der Literaturwissenschaft geworden.6 Hier kreierte Mythen, die, weil sie nur
in Abgrenzung zu einer eigenen Kultur entstehen können, auch othering genannt werden,
haben zwar ihren Ursprung in historischen Romanen und Reiseberichten, reichen aber bis
in die moderne Wissenschaft hinein. Eine vergleichende Betrachtung der Quellen über den
Buddhismus unter diesen Gesichtspunkten kann im Rahmen dieser Arbeit nicht erfolgen,
dies wäre sicherlich ein spannendes Thema für eine separate Abhandlung. Eine
analysierende Betrachtung der Diskurse über den Buddhismus könnte sich auch mit der
vom Dalai Lama beklagten Praxis beschäftigen, dass der Buddhismus zwischen Religion
und Philosophie hin und her geschoben wird7 (vgl. Conze 1995: 9-15).
An dieser Stelle sei exemplarisch ein Beispiel aus einem wissenschaftlich verfassten
Nachschlagewerk (‚Knaurs Großer Religionsführer’) angeführt. Dort findet sich in dem
Aufsatz über Buddhismus unter dem Begriff „Meditation“ das Mantra „om mani padme
hum“, zuerst wörtlich übersetzt mit: „om Juwel Lotus hum“. Nach einer Interpretation
(Juwel sei der Penis und Lotus die Vulva) kommen die Autoren mit einem Verweis auf den
Tantrismus zu dem Schluss: „Diese Formel besagt also ‚Penis in der Vulva’“ (Bellinger
1986: 89). Dieser logische Kurzschluss ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die
tibetische Symbolik sehr vielschichtig ist (vgl. Dagyab 1995) und somit Raum für
derartige, die tibetische Kultur diffamierende Fehlinterpretationen bietet. Aus der Sicht von
Tibetern ist dieses Mantra, manchmal als das meistgesprochene Gebet der Welt bezeichnet,
weil es in Tibet so viel rezitiert wird (Notz 2004: 346), eine Anrufung des Avalokiteshvara,
5
Viele postkoloniale Sammelbände beziehen sich auf Said. So auch der 2004 erschienene Reader „The
Cambridge Companion to Postcolonial Literary Studies” (Lazarus 2004), der die Widmung trägt “For
Edward Said (1935-2003), who taught all of us”.
6
Brauen konzentriert sich in seinem Werk auf die fiktionalen Darstellungen, wissenschaftliche Abhandlungen
wurden nur teilweise zu Rate gezogen. Er verweist in der Einleitung auf eine Untersuchung der
wissenschaftlichen Rezeption Tibets von Lopez (1998). Interessant ist auch der Verweis, dass die westlichen
Diskurse über Tibet nicht in Saids Theorie zu passen scheinten (Brauen 2000: 263).
7
„Aus dem Verbund der Religionen wird der Buddhismus hinausgeworfen mit der Behauptung, er sei eine
Philosophie; aus dem Verbund der Philosophien wird er hinausgeworfen mit der Behauptung, er sei Religion.
Von beiden Seiten hinausgeworfen, wird der Buddhismus zu einer Brücke zwischen Religion und
Philosophie“ (Dalai Lama, zitiert nach Gonsar Rinpotsche o.J.).
22
des Buddhas des Mitgefühls. Juwel und Lotus haben dabei viele Bedeutungen, die in dieser
Arbeit weder vollständig erwähnt noch erklärt werden können. Bezogen auf das Mantra
des Buddhas des Mitgefühls erläutert Gonsar Rinpotsche die Bedeutung folgendermaßen:
Das Juwel symbolisiert die Methode, d.h. vor allem das große Erbarmen sowie alle anderen Aspekte des
Weges und des Zieles wie liebende Güte, Bodhidschitta, Entsagung, die Paramitas. Alle diese vorzüglichen
Eigenschaften sind in der Methode, in diesem Juwel, im Mani, eingeschlossen, bis zum Zustand des Höchsten
Glücks im Anuttara Tantra. Padma, die Lotusblume, symbolisiert die Weisheit (Gonsar Rinpotsche 1996: 58).
Das Mantra soll den Wunsch ausdrücken, den vereinten Weg von Methode und Weisheit
im eigenen Geist entstehen zu lassen. So ist der Aspekt der Vereinigung zum einen
gegeben, zum anderen sind Methode und Weisheit u.a. auch Symbole für männlich und
weiblich. Dies auf die Formel „Penis in der Vulva“ zu bringen, ohne dass dabei die
Aspekte Methode und Weisheit überhaupt erwähnt werden, entspricht solchen etischen
Konstruktionen fernab der emischen Bedeutung, denen sich die zuvor erwähnte
Ausstellung widmete. Brauen sieht das Motiv des „erotisch-lasziven Tibets“ auch in
„Fachbüchern“ über Tibet und kritisiert dabei, dass „nicht zwischen buddhistischem und
hinduistischem Tantrismus unterschieden wird“ und dass auch die tibetischen tantrischen
Schriften nicht als bekannt vorausgesetzt werden können (Brauen 2000: 231). Diametral
entgegengesetzt zu einer sexualisierenden Interpretation als Phallus beschreibt der
Tibetologe Dagyab die Symbolik des Lotus folgendermaßen: „ Der Lotos ist einer der
bekanntesten Symbole überhaupt. Er gilt als Sinnbild der Reinheit [...], besonders der
Reinheit des Geistes“ (Dagyab: 1995: 39). In der Hand des Avalokitesvhara symbolisiert er
Entsagung (Gonsar Rinpotsche 1996a: 21).
Angesichts der beschriebenen Quellenlage zum Buddhismus wurden, wenn möglich,
zeitgenössische Abhandlungen von exiltibetischen buddhistischen Lehrern herangezogen.
Diese werden nach Vorwissen und Beobachtungen des Verfassers dem Anspruch eines
authentisch gelebten Buddhismus gerecht und entstammen dem erforschten Netzwerk. In
Fragen zu Geschichte und Verbreitung des Buddhismus wurde auf „klassische“
religionswissenschaftliche Literatur zurückgegriffen.
Bei der in inhaltlichen Fragen verwendeten Literatur handelt es sich zwar um
Abhandlungen von Tibetern, jedoch ist diese ausnahmslos durch die Exilsituation
entstanden und in diesem Sinne postkolonial. Das Anliegen der Autoren ist es darin, ihre
‚traditionelle’ Religion einem ‚westlichen’ Publikum verständlich zu machen. Die Autoren
wenden selbst die Lehre an, was als wichtiger Bestandteil des Buddhismus und als
unabdingbare Voraussetzung für jegliche buddhistische Lehre und Unterweisung gilt.
23
Durch eine solche Auswahl der Literatur soll sich die kurze Abhandlung über einige
Aspekte des Buddhismus der emischen Sichtweise der erforschten Glaubensgemeinde
annähern. Um diese zu verdeutlichen wird in dem Abschnitt über das Tulku-System auf
empirisches Material aus den Feldforschungen in dieser Gruppe zurückgegriffen.
3.2 Lehren des Buddha
Jemand hat gefragt: ‚Was ist das Dharma, das Du eigentlich erklärst oder wie
praktiziert man Dein Dharma?’
Buddha hat geantwortet: ‚Tue nichts Unheilsames, wende das Heilsame in der besten
Art und Weise an, und zähme deinen Geist. Das ist meine Lehre (Gonsar Rinpotsche
1999b: 51).
3.2.1 Buddha Schakyamuni
Eine der existentiellen Fragen, die der Buddhismus nicht beantwortet, ist jene nach dem
Anfang der Existenz. Ein System mit einem Anfang brächte mehr logische Widersprüche
als ein System ohne Anfang, daher ist in dem buddhistischen Weltbild von der
„anfangslosen“ Zeit die Rede.
Für die westliche Wissenschaft nimmt der Buddhismus seinen Anfang mit Buddha
Schakyamuni. Jedoch wird die Frage nach den Lebensdaten der historischen Person des
Buddha Schakyamuni bisher nicht eindeutig beantwortet.8 Den Tod des Buddha (bzw.
seinen Eintritt ins Nirvana) versucht man im Bezug zu anderen historischen Ereignissen zu
errechnen, da in der indischen Geschichtsschreibung nicht zwischen heiliger und profaner
Zeit unterschieden wurde. Dementsprechend lässt sich nur schwer zwischen Faktizität und
Legende unterscheiden, wenn man die Quellen zu Buddhas Leben untersucht (Scherer
2001: 20).
Einig sind sich die Autoren jedoch darin, dass Buddha als Sohn des Königs Schudhodhana
und der Prinzessin Maya in der Nähe von Kapilavatsu im heutigen Nepal geboren wurde.
8
Unter den teilweise stark abweichenden Datierungsversuchen aus unterschiedlichen Quellen (Bechert 1992)
scheint innerhalb der Indologie eine Kontroverse zwischen einer längeren und einer kurzen Chronologie
nicht gelöst zu sein, die das Sterbejahr des Buddha in Bezug zu der Salbung des Königs Asoka berechnen
(Bechert 1986; Lamotte 2000: 33). Der Freiburger Indologe Prof. Dr. von Hinüber teilte dem Verfasser in
einem E-mail-Kontakt mit, dass die aktuelle westliche Forschung zu einer Datierung um 380 v.Chr. hin
tendiere. In Handbüchern fände sich oft noch eine Datierung um 480 v. Chr. – genauere Angaben wie 483 v.
Chr. gaukelten eine nicht vorhandene Sicherheit vor.
24
Er gehörte dem Geschlecht der Schakyas an, wovon sich die Bezeichnung Schakyamuni
„der Weise aus dem Geschlecht der Schakyas“ ableitet (Lamotte 2000: 33), und trug den
Vornamen Siddharta. Seine Jugend verbrachte er wohlbehütet in dem Adelshaus, wurde
gemäß der Tradition im Alter von 16 Jahren mit Yasodhara verheiratet, welche den Sohn
Rahula gebar. Der Legende nach unternimmt Siddharta vier Ausflüge aus dem königlichen
Hof, auf denen er einem Alten, einem Kranken, einem Toten und einem Mönch begegnet,
was ihm zu verstehen gab, dass das Leid des Alterns, der Krankheit und des Todes
unausweichlich sind. Dies habe ihn dazu bewegt, den Palast heimlich zu verlassen um ein
Leben als Asket und Wandermönch zu führen und dabei nach Mitteln zu suchen, um das
Leiden der Wesen zu überwinden. Nach sechs Jahren der Askese und Meditation erreicht
er im Alter von 35 Jahren die Erleuchtung durch eine Meditation, indem er einen Weg frei
von Extremen verfolgt. Dies ereignete sich unter einem Baum, der fortan als Bodhi-Baum
bekannt wurde. Er erkennt die vier Edlen Wahrheiten, die er in ersten Unterweisungen in
Benares9 erklärt. Es folgt ein Leben des Lehrens und Unterweisens; im Alter von 81 Jahren
„stirbt“ der Buddha (Klimkeit 1990: 91).
3.2.2 Die Vier Edlen Wahrheiten
Die ersten Unterweisungen, die Buddha Schakyamuni in Benares fünf Schülern gab,
handelten von den sog. vier Edlen Wahrheiten. Die vier Edlen Wahrheiten, die Wahrheit
des Leides, des Ursprungs des Leides, der Beseitigung des Leides und die Wahrheit des
Weges, sind Grundlage und Ausgangspunkt aller buddhistischer Unterweisungen. Denn
der Kernpunkt des Buddhismus, so erläutert Gonsar Rinpotsche (1999a), sind die
Lebewesen und nicht der Buddha selbst, nicht irgendwelche Götter und auch nicht das
Erlangen übernatürlicher Kräfte, sondern die „Wesen mit Bewusstsein“ (1999a: 17). Deren
Situation sei davon geprägt, Glück erfahren und Leid vermeiden zu wollen. Deshalb haben
alle weiteren Unterweisungen und Anwendungen des Buddhismus ihren Ursprung in den
vier edlen Wahrheiten, die im folgenden kurz dargestellt werden.
Die erste der vier ist die edle Wahrheit des Leides. Leid wird dabei in drei Arten eingeteilt:
Das Leid der Schmerzen, das Leid der Veränderung und das allumfassende Leid. Das Leid
der Schmerzen deckt sich mit der konventionellen Bedeutung des Wortes Leid,
9
Die Bezeichnung „Predigt von Benares“ ist in westlicher Literatur geläufig. (z.B. bei Klimkeit 1990: 91), in
der tibetisch-buddhistischen Glaubensgemeinde wird der Ausdruck „Unterweisungen“ verwendet oder die
Umschreibung ‚Drehen des Rades des Dharma’.
25
wohingegen das Leid der Veränderung das umschreibt, was im Allgemeinen als Glück
betrachtet wird. Doch wird dieses Glück als oberflächlich und nicht beständig erachtet. Es
entsteht nur in der Veränderung eines leidvollen Zustandes, bzw. durch das Wegnehmen
eines vorangegangenen Leides. Als simples Beispiel nennt Gesche Rabten (1997) den
Wunsch, an einem heißen Sommertag in einen kalten See zu springen. Befinde man sich
dann endlich in dem ersehnten kalten Wasser, so sei diese Erfahrung für kurze Zeit eine
glückliche. Müsste man jedoch ein, zwei Stunden dort verharren, so würde das kalte
Wasser „zur Quelle wirklichen Leids“ werden.
Dieses gleiche Prinzip gilt für Besitz, Reichtum, gesellschaftliche Stellung und so weiter. Wenn wir diese
Dinge nicht haben, sehnen wir uns sehr danach und sind überzeugt, dass sie die wirkliche Ursache wahren
Glücks sind. Aber auch wenn wir tatsächlich erlangen, was wir wünschen, und eine kurze Zeit der
Befriedigung erleben, scheint oft etwas schiefzugehen, und bald beginnen wir, uns zu ärgern und mit unserem
Glück unzufrieden zu sein. Früher oder später wird es zur Quelle von Leid“ (Gesche Rabten 1997: 27).
Das allumfassende Leid bedeutet, dass man keine Kontrolle über seine Erfahrungen und
sein Schicksal (Geburt, Altern, Tod) hat. Es beschreibt eine Existenz ohne Freiheit und
bildet den Ausgangspunkt für die ersten beiden Arten von Leid. In einer Analogie wird das
allumfassende Leid mit einer Wunde verglichen, auf die man Salz streuen kann, was dem
Leid der Schmerzen entspräche, oder eine lindernde Salbe auftragen kann, was dann
Ähnlichkeit mit dem Leid der Veränderung habe. Grundlage ist jedoch die Art des
Bestehens ohne Freiheit über das eigene Schicksal, die sowohl angenehme als auch
unangenehme Erfahrungen ermöglicht. Diese Bestehensweise wird bedingtes Dasein
(Samsara) genannt und in der zweiten edlen Wahrheit beschrieben (Gesche Rabten 1997:
28-29).
Der Begriff Leid hat also verschiedene Bedeutungen im Buddhismus, und ohne
Erklärungen kann die Aussage, dass alles bedingte Dasein Leid sei, zu Missverständnissen
führen.
Die zweite edle Wahrheit ist die des Ursprungs des Leidens und besagt, dass sich dieser im
eigenen Geist befindet: Karma und Klescha, was mit Handlungen und Verblendungen
übersetzt werden kann. Äußere Umstände werden nur als Faktoren für Wohlergehen oder
Unbehagen gesehen, nicht als deren Ursachen. Solche Faktoren sind individuell und
kollektiv sehr verschieden, wie es das von Gonsar Rinpotsche angeführte Beispiel des
scharfen Essens verdeutlichen soll: “Für viele Leute aus dem Osten ist das Essen von Chili
26
ein Faktor für unbeschreibliches Glück; für viele Leute hier im Westen ist es ein Faktor für
unbeschreibliches Leid“ (1999a: 27).
Ob jemand nun Glück oder Leid erfährt, hängt ausschließlich von den früheren
Handlungen dieser Person ab, weil nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung
Handlungen einen Eindruck im Geist einer Person hinterlassen. Ob diese Eindrücke positiv
oder negativ sind, hängt zum einen von der Motivation ab, mit der die Handlung
durchgeführt wurde, und zum anderen von dem Effekt, den sie auf Lebewesen hat. Was
den Lebewesen nützt, ist positiv und wird als heilsam bezeichnet, was ihnen schadet, ist
negativ oder unheilsam. Ein anderes Kriterium der Bewertung von Handlungen als ihren
Effekt auf die Lebewesen gibt es im Buddhismus nicht. Die Summe dieser Eindrücke
formt dann die erfahrene Realität und die Neigungen des Geistes. Positive Eindrücke
bringen positive Resultate und negative Eindrücke negative. Das Konzept des Karma wird
sehr differenziert beschrieben, gilt aber als nicht einfach zu verstehen. Nach buddhistischer
Auffassung erzeugt das Karma die Gegebenheiten der (Wieder-) Geburt eines
Bewusstseinskontinuums. Der Schlüssel dazu ist ein Verständnis der Vergänglichkeit einer
Person, von der man gewöhnlich nur die gröbste Ausprägung erkennen kann: Altern und
Tod. Auf eine subtilere Art äußert sich dies in der Unbeständigkeit, die besagt, dass sie in
jedem Augenblick10 entsteht und wieder vergeht, also unbeständig ist. Ein jeder
Augenblick bedingt den nächsten. Dies gilt nicht nur für die gesamte Person, sondern auch
für deren Geist, weswegen von dem Geisteskontinuum einer Person die Rede ist, welches
mit dem Tod nicht endet. Der Vorgang des Todes wird in buddhistischen Schriften
detailliert beschrieben. Der Tod, so viel sei an dieser Stelle gesagt, ist lediglich der
subtilste aller Geisteszustände, wohingegen Schlaf-, Traum- und Wachbewusstsein gröbere
Geisteszustände darstellen. Dieses Geisteskontinuum wird durch das Karma getrieben,
erneut Geburt anzunehmen11 (Gonsar Rinpotsche 1999b: 46-67).
Die Vorstellung, dass es sich dabei um ein „Ich“ handelt, gilt als ein falsches Konzept von
der eigenen Person und fällt in den Bereich der Verblendungen:
Wir denken, daß dieses Ich, diese Person, dieser Geist bis zum nächsten Leben geht. Das ist falsch. Was bleibt
ist eine ähnliche Kontinuität, aber nicht dieselbe Person (Gonsar Rinpotsche 1999b: 56; Hervorh. im Orig.).
10
Der Augenblick wird in den buddhistischen Schriften folgend benannt: Wenn eine gesunde Person mit den
Fingern schnalzt, so ist ein Augenblick der 64te Teil der Zeit (Gonsar Rinpotsche 1999a: S.47).
11
Die menschliche Existenz ist nur eine von insgesamt sechs Daseinsbereichen, die der Buddhismus kennt.
Geburt kann also, je nach dem, wie gut oder schlecht diese Eindrücke sind, auch als Tier oder in Bereichen
der Hölle oder in denen der weltlichen Götter stattfinden (Rabten 1997).
27
Da sich die Prozesse der Geburt, des Alterns, welches direkt nach der Geburt beginnt, und
des Todes durch die Kraft des Karma ständig wiederholen, ist das Verständnis des
bedingten Daseins ein zyklisches: Samsara wird auch als Daseinskreislauf beschrieben.
Die Unwissenheit über die Art des Bestehens der eigenen Person, wie auch der Phänomene
überhaupt, gilt als die Hauptursache für den Kreislauf des Daseins. Diese Unwissenheit
projiziert ein Selbst in einer Weise, in der es nicht existiert, das ist der grundlegende Punkt.
In einem zweiten Schritt wird dieses Selbst dann überbewertet. Aus der Anhaftung an das
Ego wächst der Egoismus. Aus der so entstandenen Eigenliebe entstehen dann alle
weiteren Verblendungen des Geistes wie Begierde, Hass, Eifersucht und so weiter, die zu
unreinen Handlungen veranlassen, welche die Ursache für weitere Existenzen bilden usw..
Unwissenheit, Anhaftung und Hass werden als die drei Geistesgifte bezeichnet und werden
in Darstellungen wie dem Lebensrad (siehe Abb. 3) in der Mitte als Schwein, Hahn und
Schlange symbolisiert. Aus der Schnauze des Schweins der Unwissenheit heraus wachsen
der Hahn der Anhaftung und die Schlange des Hasses (Rabten 1997: 117).
Die dritte edle Wahrheit ist die der Beseitigung des Leides. Sie besagt, dass es möglich ist,
von dem bedingten Dasein Freiheit zu erlangen, da die Verblendungen nicht in der Natur
des Geistes liegen, weshalb dieser von ihnen befreit werden kann. Die Natur des Geistes ist
in buddhistischer Auffassung Klarheit und Erkennen. Als Analogie führt Gonsar
Rinpotsche (1999b) einen Kristall an, der von vielen Schichten aus Farbe und Schmutz
umgeben ist. Da diese nicht in der Natur des Kristalls sind, ist es möglich, diesen davon
rein zu waschen (1999b: 72-73).
Grundlage aller Verblendungen ist die Unwissenheit bezüglich der Bestehensweise der
eigenen Person. Diese wird fälschlicherweise als beständig und „inhärent existent“
betrachtet. Sie besteht nach der buddhistischen Auffassung nicht aus sich selbst heraus,
sondern nur in einer abhängigen Art und Weise, ist beispielsweise abhängig von ihren
Bestandteilen. Das Fehlen einer inhärenten Existenz wird als Leerheit bezeichnet und ist
das zentrale Thema buddhistischer Philosophie. So bestehen die Dinge zwar in einer
konventionellen Weise, letztendlich sind sie aber frei von einer innewohnenden Existenz,
was als letztliche Wirklichkeit der Phänomene bezeichnet wird 12(Rabten 1997: 162).
12
Dieser sehr komplexe Sachverhalt kann im Rahmen dieser Arbeit nur kurz und oberflächlich benannt
werden. Eine eingehende Erklärung würde ein Verständnis des Verfassers voraussetzen, das so nicht gegeben
ist. „Wir können Leerheit nicht durch bloßes Lesen eines Buches erkennen“ (Gesche Rabten 1997: 274).
28
Abb.3 Das Lebensrad:
Es symbolisiert die Lebewesen im Daseinskreislauf. In der Mitte sind die drei Geistesgifte Unwissenheit,
Anhaftung und Hass als Schwein, Hahn und Schlange symbolisiert, wobei aus der Unwissenheit die beiden
anderen Verblendungen hervorgehen. Im angrenzenden Kreis sind Menschen abgebildet, die auf der einen
Seite durch negatives Karma in niedere Daseinsbereiche fallen und auf der linken Seite durch positives
Karma in höhere Daseinsbereiche aufsteigen. In dem nächsten Kreis sind die sechs Daseinsbereiche des
Samsara und in dem äußeren die sog. zwölf Glieder des abhängigen Entstehens dargestellt. Gehalten wird das
Lebensrad von einem Monster, das an Tod und Vergänglichkeit erinnern soll. Der Mond oben links soll
aufzeigen, dass es einen Zustand des Friedens jenseits des Leidens gibt; der Buddha oben rechts zeigt darauf
und symbolisiert somit das Aufzeigen eines Auswegs aus dem bedingten Dasein durch das Dharma, was
unter Befreiung oder Nirvana verstanden wird (Rabten 1997:119).
29
Unbeständig bedeutet, dass alle Phänomene, auch das Bewusstsein, in jedem Augenblick
entstehen und wieder vergehen, also in keiner beständigen Weise existieren (Rabten 1997:
275). Somit ist es durch das richtige Erkennen der Bestehensweise der eigenen Person
möglich, alle Fehler aus dem Geist zu beseitigen und Befreiung zu erfahren (Gonsar
Rinpotsche 1999a: 31).
Der Zustand der Befreiung wird als “Nirvana” bezeichnet. Dieser ist nicht als ein
räumlicher Ort zu verstehen, sondern es handelt sich dabei um einen Geisteszustand. In
ihm sind alle Leiden beseitigt und alle positiven Eigenschaften wie Weisheit und Liebe
usw. voll verwirklicht. Der Weg dahin gilt als ein langer, harter und wird in der vierten
edlen Wahrheit beschrieben (Gonsar Rinpoche 199b: 90-91).
Nirvana bedeutet nicht das völlige Auslöschen einer Existenz, wie es manchmal
fälschlicherweise angenommen wird. Gonsar Rinpoche (1999b) beschreibt dies aus
buddhistischer Sicht als weder möglich noch erstrebenswert: „Alles zu machen, um nichts
zu werden, ist kein richtiges, nützliches Ziel“ (1999b: 80). Wenn es manchmal als Ende
der Existenz bezeichnet wird, so bezieht es sich auf das Ende des bedingten Daseins, auf
den leidvollen Daseinskreislauf.
Die vierte edle Wahrheit ist die des Weges, durch den es möglich ist, den Zustand der
Befreiung zu erreichen. Ethik, Weisheit und Konzentration sind die zentralen Aspekte
buddhistischer Praxis.
Grundprinzip der Ethik ist die Schadlosigkeit (ahimsa) gegenüber den Lebewesen. Durch
die Ethik sollen negative Handlungen verhindert werden und durch das Ausführen
positiver Handlungen Verdienste angesammelt werden. Werden durch die Ethik die
Handlungen des Körpers, der Rede und des Geistes gezähmt, so begünstigt dies das
Entwickeln von Konzentration. Durch das Entwickeln von Konzentration kann der Geist
zunehmend mittels Meditation geschult werden. Im Westen kursieren auch sehr viele
verschiedene Ansichten darüber, was buddhistische Meditation sei. Gonsar Rinpotsche
(1999a) meint dazu:
Viele verstehen unter Meditation ein Entspannen des Geistes, aber das ist in keiner Weise die wirkliche
Bedeutung von Meditation. Vielmehr ist Meditation ein gezieltes Trainieren und Schulen des Geistes, etwas
Aktives, das eher einem Krieg im eigenen Geist gleicht (1999a: 23).
Ziel ist es, die letztliche Weisheit zu erlangen, indem der durch Konzentration geschulte
Geist mittels analytischer Meditation die zuvor erlernten Sachverhalte überprüft und
30
verinnerlicht. Dadurch kann ein direktes Verständnis der Leerheit erreicht werden.
Weisheit entsteht durch Hören, Nachdenken und Meditation. So kann Egoismus
überwunden und ein Wertschätzen der anderen erreicht werden. Letztliches Ziel ist es, die
„Buddhaschaft“ zu erlangen und alle Lebewesen in einen Zustand des Glücks, der frei von
Leid ist, zu führen (Rabten 1999:5).
3.2.3 Aspekte der Verbreitung
Nach dem Ende von Buddhas Leben wurden seine Lehren in drei Versammlungen
zusammengetragen und niedergeschrieben. Die Gesamtheit der Schriften bildet das
Tripitaka, welches in drei Sammlungen unterschieden wird: das Vinaya Pitaka mit Ethik
als zentralem Thema, das Sutra Pitaka mit Konzentration als zentralem Thema und das
Abidharma Pitaka mit der Weisheit als zentralem Thema.
Der Buddhismus hat sich in vielen Regionen Asiens ausgebreitet und dabei differente
Ausprägungen entwickelt. Die verschiedenen Überlieferungen setzen unterschiedliche
Schwerpunkte in der Philosophie und den Anwendungen. Die Unterschiedlichkeit der
verschiedenen Ausprägungen innerhalb des Buddhismus wird emisch mit der
Notwendigkeit begründet, auf die individuellen Bedürfnisse der unterschiedlichen Wesen
einzugehen. Aus diesem Grund habe Buddha so viele verschiedene Unterweisungen
gegeben. In dieser Weise werden nicht nur die vielfältigen Ausprägungen des Buddhismus
erklärt, sondern auch die Existenz unterschiedlicher Religionen. Diese werden zur
Veranschaulichung mit Medizinsystemen verglichen: Die chinesische, indische, tibetische
und westliche Medizinlehre sind voneinander sehr verschieden, sie haben aber alle das
Ziel, Menschen zu heilen (Gonsar Rinpotsche 1999b: 8-10).
Eine Unterscheidung ist die zwischen Hinayana und Mahayana, was mit kleinem und
großem Fahrzeug übersetzt wird, wobei die Anhänger des Hinayana die Bezeichnung
„Theravada“, „der Weg der Alten“, bevorzugen. In westlichen Abhandlungen findet sich
auch die Bezeichnung nördlicher und südlicher Buddhismus, entsprechend der
geographischen Verbreitung. Der tibetisch-mongolische Buddhismus wird dem Mahayana
zugeordnet und als eine Weiterentwicklung dessen als Tantrayana bezeichnet. Die
Unterschiede dieser Systeme sind nicht Thema dieser Arbeit und werden daher nicht
vertieft13. Für die Betrachtung der untersuchten Entwicklungen in der Mongolei sind einige
13
Siehe dazu Katz 1982; Tauscher 1998.
31
Grundlagen des tibetischen Buddhismus von Bedeutung, die das Selbstverständnis der
erforschten Gruppe bedingen. Diese werden im Kapitel 3.3 dargestellt. An dieser Stelle sei
in einer notwendigerweise verkürzten Darstellung das Konzept des Mahayana als eine
Weiterentwicklung des Hinayana betrachtet.
Im Hinayana gilt als Idealbild der Arhat. Es handelt sich dabei um eine Person, die durch
das Anwenden der Lehren Buddhas vollständige Befreiung von bedingtem Dasein erreicht.
Seine Lehren hatte Buddha Schakyamuni mit einem Floß verglichen, durch das man zum
anderen Ufer des Flusses übersetzen kann (Notz 2001: 53). Aus der Sicht des Mahayana
wird ein solcher Arhat als unermesslich hilfreich für alle Lebewesen angesehen, doch führt
das eigentliche Ziel noch einen Schritt weiter. Nicht nur man selbst solle das bedingte
Dasein verlassen, so wie man mit dem Floß einen Fluss überquert, sondern das Ziel wird
auf die Erlösung aller Lebewesen ausgedehnt (Rabten 1997: 166-8).
Im Mahayana ist deswegen das Idealbild der Bodhisattva. Dieser strebt folglich nicht die
individuelle Befreiung an, sondern ist bemüht, alle Lebewesen von ihren Leiden zu
befreien. Allein zu diesem Zweck wird die Buddhaschaft angestrebt.14 Dieses Streben nach
dem höchsten Ziel wird Bodhidschitta – Erleuchtungsgeist - genannt. Getrieben von
diesem universalen Erbarmen gegenüber allen Lebewesen sucht der Bodhisattva Mittel und
Wege, möglichst schnell alle Fehler aus dem Geist zu beseitigen und die positiven
Eigenschaften voll zu verwirklichen:
Die notwendige Kraft, um alle Wesen zu einer Freiheit von Leid zu führen, wird erst beim Erreichen der
Buddhaschaft gewonnen. Buddha heißt auf tibetisch Sanggye. Sang bedeutet erwacht und Gye bedeutet
vervollkommnet. Wovon erwacht? Erwacht von allen Hindernissen. Worin vervollkommnet? Vollkommen in
Weisheit, Erbarmen und Kraft (Rabten 1997: 226).
Ein Bodhisattva hat also den Erleuchtungsgeist, das Bestreben, alle Lebewesen von ihren
Leiden zu befreien, voll entwickelt. Dieses Bodhidschitta bildet dann die Grundlage aller
weiteren Anwendungen, die auf dem Weg des Bodhisattva geübt werden. Der MahayanaWeg,
der
auch
großes
Fahrzeug
genannt
wird,
untergliedert
sich
in
das
Vollendungsfahrzeug und das Fahrzeug des Geheimen Mantras, welches auch
Diamantfahrzeug genannt wird und sich auf die Tantras bezieht. Das Vollendungsfahrzeug
verfügt über Methoden, die das altruistische Streben nach Erleuchtung erzeugen sollen,
wie beispielsweise das Entwickeln der sechs Vollkommenheiten (Geben, Ethik, Geduld,
Enthusiasmus, Konzentration, Weisheit). Das Diamantfahrzeug hingegen beinhaltet
14
Die volle Buddhaschaft geht noch einen Schritt weiter als der Zustand des Nirvana. Die Unterschiede zu
erörtern würde hier jedoch zu weit führen (siehe dazu Gesche Rabten 1997 und Tauscher 1998).
32
tantrische Anwendungen des Buddhismus, die es dem geeigneten Anwender ermöglichen,
den Zustand der Erleuchtung innerhalb eines Lebens zu erreichen. Diese wurden von
indischen Meistern gelehrt und durch den tibetischen Buddhismus erhalten (Dalai Lama
2000: 105-113).
3.3 Der Buddhismus in Tibet
3.3.1 Diamantfahrzeug
Es
gibt
hier
viele
Begriffe,
die
alle
dasselbe
meinen:
Diamantfahrzeug,
Vollendungsfahrzeug, Fahrzeug des Geheimen Mantra, Vadschrayana und Tantrayana oder
auch nur Tantra, Weg des Tantra, resultierendes Fahrzeug, Vadschra-Fahrzeug etc.. Zu
befürchten bleibt, dass diese Aufzählung nicht vollständig ist. Sie meinen entweder den
Buddhismus tibetischer Prägung, der in der Religionswissenschaft Lamaismus genannt
wird oder speziell eine Methode darin, nämlich die der Tantras (Notz 2004: 450).
Tantra gilt als eine sehr fortgeschrittene und wirkungsvolle Methode in Verbindung mit
Meditationsgottheiten, die nur für Anwender geeignet ist, welche die dafür erforderlichen
Voraussetzungen erfüllen. Eine unabdingbare Voraussetzung für das Anwenden solcher
Meditationen ist das zuvor beschriebene Bodhidschitta. Tantra, auch als Geheimes Mantra
bezeichnet, sei jedoch „in keiner Weise etwas Geheimnisvolles“, wie Gonsar Rinpoche
(2004) darlegt:
Tantra wird als Geheimes Tantra oder Guhaya-Tantra bezeichnet, weil die Erklärungen, die es enthält, für eine
Person, die einen entsprechenden Zustand des Geistes noch nicht erreicht hat, von keinem Wert sind. Für eine
Person dagegen, die einen entsprechenden Zustand des Geistes erreicht hat, die dafür geeignet ist, sind diese
Erklärungen von außerordentlich großem Wert. Deshalb heißt es, daß sie vor Personen, die nicht geeignet sind,
geheimgehalten werden müssen. Das ist der einzige Grund, weshalb Tantra als geheimes Tantra bezeichnet
wird (2004: 9).
An dieser Stelle sollen daher auch weniger die Anwendungen betrachtet werden, sondern
lediglich einige Grundzüge, wie sie von tibetischen Gelehrten dargestellt werden, um
falschen Vorstellungen entgegenzuwirken, die sich um die Lehren des Tantra besonders
33
gerne zu bilden scheinen15. Von Interesse für die Betrachtung der Revitalisierung des
Buddhismus in der Mongolei ist ein Verständnis der Meditationsgottheiten, wie sie im
mongolisch-tibetischen Buddhismus verwendet werden.
Tantra ist eine Richtung des Buddhismus, die immer eine Anwendung mit einer
Meditationsgottheit bedeutet, die immer eine Erscheinung des Buddha ist. Im tibetischen
Buddhismus gibt es eine große Anzahl verschiedener Meditationsgottheiten. Sie alle
verkörpern Eigenschaften bzw. Qualitäten des erleuchteten Geistes wie Weisheit,
Erbarmen, Kraft usw., indem sie eine Gestalt annehmen und einen Namen haben. Diese
können dann um Segen gebeten und mit einem Mantra angerufen werden. Das Tantra soll
es weiterhin dem Anwender ermöglichen, eine Verbindung zu den inneren Eigenschaften
des Buddha herzustellen:
wie zu einem anderen Menschen. Es sind die ganz besonderen Methoden der Tantras, die aufzeigen, wie man
zu den inneren Eigenschaften des Buddha eine Verbindung herstellen kann. Beim Erlangen der vollen
Erleuchtung werden Körper und Geist von einer Natur, sind nicht mehr voneinander getrennt. Da dies ein
Merkmal des Zustands der vollen Erleuchtung ist, ist es auch richtig und möglich, daß geistige Eigenschaften
eines erleuchteten Wesens verschiedene körperliche Erscheinungen zeigen (Gonsar Rinpotsche 1996b: 6).
So ist Avalokiteshvara eine Verkörperung des Erbarmens der Buddhas, Manjuschri der
Weisheit und Vadschrapani der Kraft. Tara ist eine weibliche Erscheinung der reinen
Energie und der Aktivitäten der Buddhas (Gonsar Rinpotsche 1996b: 6).
Es gibt vier Klassen der Tantras, die verschiedene Übungen entsprechend den Fähigkeiten
des Schülers lehren, die sich in Anwendungen und Geschwindigkeit des Fortschritts
unterscheiden.16 In den höchsten Anwendungen wird mit dem Geist auf subtilsten Ebenen
gearbeitet, die sonst nur im Zustand des Todes „erlebt“ werden, um möglichst schnell den
Zustand der Erleuchtung zu erreichen. Diese wirkungsvollen Methoden des Tantra dürfen
15
Der Dalai Lama (2000) schreibt 1963, vier Jahre nach seiner Flucht aus Tibet nach Indien, in einem
kompakten Buch über den tibetischen Buddhismus, welches hier zitiert wurde, noch, dass die Lehren des
Tantra sich „nicht für eine Darstellung in der Öffentlichkeit“ eigenen“ (S.112). 1977 bereits wird ein
umfassendes Werk über Tantra in Tibet mit einer Einführung von ihm veröffentlicht, um den falschen
Vorstellungen, die sich im Westen gebildet haben, entgegenzuwirken (Hopkins 1994). Aus einem Zitat des
Dalai Lama auf dem Einband des Buches: „..obwohl Geheimes Mantra im Verborgenen erreicht werden
muß, sind viele Bücher erschienen, die eine Mischung aus Wahrheit und Unwahrheit darstellen. Deshalb
glaube ich, daß das Übersetzen und Verbreiten eines sachkundigen Werkes helfen könnte, diese falschen
Überlegungen zu beseitigen. Aus diesem Grunde gebe ich eine Erklärung zu Tson.ka.pas Großem Geheimen
Mantra.“
16
Lediglich in der höchsten Klasse der Tantras gibt es Darstellungen von weiblichen und männlichen
Gottheiten, die in sexueller Vereinigung dargestellt werden. Diese sei allerdings ausschließlich symbolisch
zu verstehen in dem Sinne, dass Methode und Weisheit als vereint im eigenen Geist erreicht werden müssen.
Zu gewöhnlichen sexuellen Vereinigungen habe das keinen Bezug, erklärt Gonsar Rinpotsche (2004: 26)
ausdrücklich, um noch einmal auf die zu Beginn des Kapitels angesprochene Problematik der westlichen
Projektionen zurückzukommen.
34
nur aus altruistischer Motivation zum Wohle aller Lebewesen eingesetzt werden (Dalai
Lama 2000: 110-113).
Eine Unterscheidung der Körper des Buddha bzw. der Buddhas ist die in Wahrheits- und
Formkörper: Der Wahrheitskörper (Dharmakaya) ist der Geist und die Weisheit der
Buddhas. In ihm verschmelzen alle erleuchteten Wesen, da sie von der gleichen Natur sind.
Doch weil dieser für nicht erleuchtete Wesen nicht wahrnehmbar ist, manifestieren sich die
erleuchteten Wesen in unterschiedlichen Formkörpern (Rupakaya). Die Formkörper
werden in einem weiteren Schritt in Sambhogakaya und Nirmanakaya unterteilt. Den
Sambhogakhaya (‚Genusskörper’, ‚Wohlstandskörper’ oder ‚Verweilkörper’) können
wiederum nur sehr wenige Wesen mit erhöhter Wahrnehmungsfähigkeit erkennen,
weswegen sich Buddhas im Nirmanakaya, in den Erscheinungskörpern, auch für
gewöhnliche Wesen sichtbar manifestieren. Diese können alle möglichen Formen
annehmen und sind nicht unbedingt als solche erkennbar. Als höchster Nirmanakaya
unseres Zeitalters gilt Buddha Schakyamuni, der sich als solcher zu erkennen gab17(Gonsar
Rinpoche 1998: 48-56).
Meditationsgottheiten, Schutzgottheiten und Orakel18 werden als Emanationen der
Buddhas gesehen. Durch die Lehre der unterschiedlichen Manifestationen der Buddhas
konnte der Buddhismus in Tibet und in der Mongolei flexibel auf die vorbuddhistischen
indigenen Glaubensvorstellungen reagieren, indem er sich Elemente daraus einverleibte
(Dagyab 2003: 61-72).
Für die Anwendungen des Tantra gilt es als unerlässlich, sich einem qualifizierten
geistigen Lehrer anzuvertrauen, da es ohne Anleitung eines solchen nicht möglich sei, eine
adäquate Meditationsgottheit zu finden. Für die Anwendungen ist ferner eine Einweihung
und eine Kraftübertragung für die jeweilige Gottheit notwendig. Falsche Anwendungen in
diesem Bereich können aufgrund der Macht der Methode großen Schaden anrichten
(Gonsar Rinpotsche 2004:132; Dalai Lama 2000: 112).
17
Aus dieser Sicht ist der Buddha Schakyamuni lediglich eine Emanation des Dharmakaya, Tauscher (1998)
nennt dies eine „magische Erscheinung“, die den Lebewesen aus „didaktischen Gründen“ vorgeführt wird
(S.101).
18
Siehe dazu Schüttler (1971).
35
3.3.2 Meister
Die religionstypologische Bezeichnung Lamaismus für den Buddhismus tibetischer
Ausprägung wird von tibetischer Seite entschieden als irreführend abgelehnt. Der Begriff
lehnt sich an das tibetische Wort für den geistigen Meister „Lama“ an, der in diesem
System des Buddhismus einen besonderen Stellenwert einnimmt.
Die Bezeichnung Lamaismus wird jedoch von tibetischer Seite vehement zurückgewiesen.
Loden Sherab Dagyab (1995) beklagt, dass die „eigenartige Wortschöpfung Lamaismus“
immer noch anzutreffen sei. Mit den Lamas würde dem Mythos Tibet ein weiterer Faktor
für Projektionen geliefert (1995: 8). Der Dalai Lama (2000) bemängelt, dass durch den
Begriff der Eindruck erweckt werde, es handle sich um etwas vom Buddhismus
Verschiedenes (Dalai Lama 2000: 134). Die Bezeichnung Buddhismus ist selbst bereits
ursprünglich eine (westliche) Fremdbezeichnung, die jedoch weitgehend übernommen
wurde; die Eigenbezeichnung ist Dharma (Notz 2004: 263).
Aus der Sichtweise des tibetischen Buddhismus kann dieses Dharma nur durch einen
qualifizierten Meister auf den Schüler übertragen werden. Weil die direkte Übermittlung
der Lehre in dem tibetischen Buddhismus solch einen besonderen Stellenwert hat, werden
in manchen Gebeten alle wichtigen Meister der daraus sich ergebenden Übertragungslinie,
angefangen von Buddha Schakyamuni bis zu den zeitgenössischen Meistern, genannt: In
den Klöstern finden sich immer Darstellungen des sog. Verdienstfeldes, in denen die
Meister der Übertragungslinie dargestellt werden (s. Abb. 4).
Eine entsprechende Bedeutung für den einzelnen Anwender genießt der Meister besonders
in den tantrischen Unterweisungen. Anwendungen des Tantra dürfen aus buddhistischer
Sicht nicht ohne einen qualifizierten Lehrer vorgenommen werden. Deswegen wird betont,
dass die Auswahl des Meisters sehr sorgfältig erfolgen solle. Es werden viele Kriterien
genannt, die eine Person aufweisen muss, um als geistiger Meister in Frage zu kommen.
Auch der Meister selbst sollte den Schüler sorgfältig daraufhin überprüfen, ob er für eine
Meister-Schüler-Beziehung
geeignet
ist
und
welche
Übungen
mit
welcher
Meditationsgottheit angemessen sind. Als ein Beispiel, das Buddha selbst in Bezug auf das
Überprüfen seiner Lehren nannte, wird oft das Bild eines Händlers angeführt, der Gold
kaufen möchte und dieses vorher kritisch überprüft: „So wie Gold durch Brennen,
Schneiden und Reiben geprüft wird, so prüft meine Worte. Und akzeptiert sie dann, aber
nicht aus Respekt für mich“ (Gonsar Rinpoche 2005).
36
Abb.4 Das Verdienstfeld:
Im Zentrum befindet sich der persönliche Meister in Form des Gründers der Gelug-Tradition Tsongkhapa,
oberhalb der zentralen Figur befinden sich die Meister der Übertragungslinie in drei Gruppierungen: links
solche, deren Werke ihren Schwerpunkt auf dem Aspekt der Weisheit haben, in der Mitte die Meister der direkten Übertragungslinie und rechts solche, deren Werke den Schwerpunkt auf dem Aspekt der Methode haben. Unterhalb der zentralen Figur befinden sich tantrische Meditationsgottheiten und verschiedene Erscheinungen von Buddhas und Bodhisattvas sowie Schutzgottheiten (Bild: Karte aus Rabten Choeling).
37
In diesem Sinne sollte die Person eines potentiellen Meisters und deren Lehren kritisch
überprüft werden und es dürfe keine Beziehung aus blindem Glauben geschlossen werden.
Wird diese Beziehung einmal geschlossen, dann ergeben sich daraus bestimmte
Verpflichtungen und Verhaltensregeln für beide Seiten. Der geistige Meister wird dann als
eine Verkörperung der Meditationsgottheiten angesehen, die den Schüler aus dem
bedingten Dasein führt (vgl. Asvagosa 1985). Im tibetischen Buddhismus wird betont, dass
der Meister nur eine Verkörperung der drei Juwelen ist, zu denen ein Buddhist Zuflucht
nimmt, und nichts davon Verschiedenes oder Zusätzliches. Gesche Rabten (2000)
veranschaulicht in seiner Biographie seine innere Beziehung zu seinem Meister durch
einen langen Brief an diesen, der mit den Worten beginnt:
O Herr aller Buddha-Familien und Beschützer der Lebewesen, obwohl Deine Erscheinungen grenzenlos sind,
bete ich zu Dir von einer Natur, segne mich, damit mein ganzes Sein mit Dharma verbunden sei (2000: 54-55).
Der Brief erstreckt sich dann über vier Seiten und in ihm sind alle Aspekte der
Meisterverehrung aufgezählt. Er veranschaulicht zudem noch eine Tradition, die es in
Tibet gab: der Verehrung des geistigen Meisters in literarischen Briefen Ausdruck zu
verleihen.
3.3.3 Tulku-System
Das Tulku-System findet in der Literatur bislang wenig Beachtung. In Werken über den
Tibetischen Buddhismus findet sich meist nur ein kurzes Unterkapitel. Dem Autor ist nur
eine Abhandlung bekannt, die sich explizit mit dem Thema beschäftigt und dabei über die
Beschreibung einer Biographie hinausgeht (Bärlocher 1982). In tibetischen Texten finden
sich jedoch, wie die Informanten des Verfassers berichten, detaillierte Abhandlungen über
das System.
Nach einer kurzen Einführung wird das System daher durch selbsterhobenes, empirisches
Material beleuchtet, da drei der Interviewpartner selbst Tulkus sind, die erzählten, wie sie
diese Institution einschätzen. Für die folgenden Ausführungen über die Mongolei ist von
Interesse, wie mit dem System aus Sicht der Akteure umgegangen wird. Dessen genaue
Funktionsweise und unterschiedliche Ausprägung kann im Rahmen dieser Arbeit nicht
gebührend betrachtet werden. Eine kurze und daher zwangsläufig vereinfachende
Erklärung sei der Verständlichkeit halber vorangestellt. Ausführliche Erklärungen unter
38
historischer Sichtweise finden sich bei Schulemann (1976: 179-223). Bärlocher (1982)
sammelte und analysierte zahlreiche Befragungen von tibetischen Tulkus im Exil.
Tulku ist das tibetische Wort für Nirmanakaya (vgl. 3.3.1) auf Sanskrit und wird mit
Erscheinungskörper
übersetzt.
Im
Allgemeinen
werden
mit
Tulkus
jene
‚Wiederverkörperungen’ religiöser Lehrer gemeint (tib.: Yangsi), deren Betrachtung für
die weitere Arbeit von Belang ist.19 ‚Wiederverkörperungen’ bezieht sich auf die
‚Nachfolger’ von Mönchen, die durch ihr Studium und ihre Meditationen solch hohe
Erkenntnisse und Verwirklichungen erreicht haben, dass sie Kontrolle über die Prozesse
ihres Todes und ihrer Wiedergeburt erreicht haben. Die Prozesse des Todes, des sog.
Zwischenzustandes und der Geburtnahme werden in tibetischen Schriften detailliert
beschrieben (vgl. Rabten 2000), und fortgeschrittene tantrische Meditationen machen sich
solche ,subtilen’ Geisteszustände zu Nutze. Der durch diese Übungen geschulte ‚Tulku’
kann dann auf seine Wiedergeburt Einfluss nehmen20. Auf dieser Ebene der Erkenntnis
wäre es bereits möglich, so die buddhistische Auffassung, den Kreislauf des bedingten
Daseins zu verlassen, doch aufgrund seines Mitgefühls und der Bitten seiner Schüler kann
er eine erneute Existenz als Dharma-Lehrer ansteuern, wenn alle entsprechenden
Umstände dafür gegeben sind. Die Schüler, oft ganze Klöster, beten für die erneute
Geburtnahme, und eng vertraute Personen suchen später die Wiedergeburt dieses Tulkus.
Es werden dafür verschiedene Mittel und Methoden angewandt. Meist gibt der Tulku vor
seinem Tod erste Prophezeiungen bezüglich seiner Wiedergeburt, weiter spielen Träume
und Weissagungen eine Rolle, in Trance geratene Orakelpriester etc.. Die Zeit bis zu einer
neuen Geburtnahme kann bei verwirklichten Tulkus zu den für ‚Normalsterbliche’
angegebenen 49 Tagen des Zwischenzustandes stark variieren, so dass diese entweder
sofort oder erst Jahre später Geburt nehmen. Das wiedergeborene Kind wird dann bereits
in jungem Alter gesucht und durch verschiedene Tests authentifiziert. Manchmal wird
schrittweise aus sehr vielen Kandidaten der passende ausgewählt. Eine Verifikation der
ausgewählten Person als die wahrhaftige Wiedergeburt des verstorbenen Meisters kann auf
unterschiedliche Weise erfolgen, sehr begehrt war immer eine Bestätigung des Dalai Lama
(Bärlocher 1982: 70-83).
19
Tulkus im Sinne von wiedergeborenen großen Meistern werden oftmals ebenso mit einer jeweils
bestimmten Meditationsgottheit in Verbindung gebracht, wodurch sich weitere Klassifikationen ergeben.
(Siehe dazu Bärlocher 1982: 35-43).
20
Der Geist kann verschieden subtile Zustände annehmen: Das Wachbewusstein gilt als das gröbste, Traum
und Schlaf sind jeweils etwas subtiler. Der subtilste Zustand ist der des klaren Lichts während des Todes.
Durch die (lange geübten) tantrischen Meditationen kann dieser Zustand genutzt werden und der Sterbende
für längere Zeit (bis zu drei Wochen) darin verweilen, ohne dass der Körper umfällt oder verwest (Bärlocher
1982: 70-73).
39
Diese Tulku-Praxis ist im tibetischen Buddhismus im 13. Jh. entstanden im
Zusammenhang mit der Identifizierung der Inkarnationslinie der sog. Karmapas. Durch
den dritten Dalai Lama wurde sie zu einem System erhoben (Schulemann 1958: 203).
Nach buddhistischer Auffassung sind ja ohnehin alle Menschen Wiedergeburten von
Lebewesen, und Bodhisattvas ‚nehmen’ aus Mitgefühl bewusst ‚Geburt’ als Menschen
‚an’, obwohl sie das nach buddhistischer Sicht teilweise nicht mehr müssten. Das genuin
tibetische, was sich mit dem Tulku-System gebildet hat, ist, dass jeweils die ganz
spezifischen Wiedergeburten eines gestorbenen Meisters gesucht und gefunden werden.
Diese sind dann dazu verpflichtet, das Lebenswerk ihres ‚Vorgängers’ fortzuführen,
wodurch sich lange Reinkarnationslinien ergeben. Am Anfang einer solchen Linie steht
meist ein gelehrter Gesche, der einen Namen erhält, den dann alle weiteren Tulkus dieser
Linie erhalten. So erhielt auch Lobsang Dargayaa den Namen Zava Rinpotsche, nachdem
er als Wiedergeburt seines Vorgängers Zava Damdin bestimmt wurde (vgl. 5.3). Die Frage
nach der Identität und dem Selbstverständnis eines Tulkus gestaltet sich insofern als
schwierig, als die Befragten nach buddhistischer Auffassung zu einem Understatement
bezüglich der eigenen Fähigkeiten gebunden sind (Schulemann 1958: 96-99).
Bei den Interviews innerhalb der Feldforschungen des Verfassers war das Tulku-System
stets ein wichtiger Aspekt. Im Folgenden werden einige, nach Ansicht des Verfassers
zentrale, Einschätzungen der Informanten bezüglich des Tulku-Systems wiedergegeben.
Auf die Frage hin, ob er dem Tulku-System eine Zukunft beimesse, schaute ein Mönch den
Verfasser - sichtlich verwundert über die Frage - nahezu vorwurfsvoll an. Seine Antwort
war, dass das System selbstverständlich Fortbestand haben müsse, denn wenn
beispielsweise sein Lehrer Gonsar Rinpotsche sterbe, müsse er ja schließlich wissen, wo
sein Meister hingegangen sei. Man könne ihn ja nicht so einfach gehen lassen. Dieser
wiederum bemängelte, als er einige Wochen später in Österreich zu dem Thema interviewt
wurde, dass das Tulku-System eine gewisse Inflation erfahre. „Manchmal denke ich, dass
eines Tages jeder Schüler seinen Meister wiederfinden werde“ (GR: 12). Zasep Rinpotsche
befand in dieser Frage ähnlich:
I’m concerned myself because these days there are so many people saying I’m Tulku of this and I’m Tulku of
that and even in the West there are some in America‚ I’m Tulku of this and I’m Tulku of that’ and people make
jokes and laugh. But there are also many genuine Tulkus, good Tulkus (ZTR : 9).
Den richtigen Tulku wiederzufinden sei allerdings sehr schwierig, erklärte Gonsar
Rinpotsche. Mehrere Faktoren müssten zusammenkommen, damit eine Tulku-Bestimmung
40
erfolgreich stattfinden kann. Von den betenden und suchenden Schülern einmal abgesehen,
müssen auch von der Seite des Meisters her einige Bedingungen erfüllt sein. Dieser müsse
zunächst überhaupt erst die Fähigkeit besitzen, Kontrolle über den eigenen Tod und die
Wiedergeburt zu erlangen, und diese Macht zu erreichen sei alles andere als einfach. Dann
brauche er zusätzlich noch eine heilsame Motivation, fügte Gonsar Rinpotsche in
Anspielung auf das oben genannte universale Mitgefühl Bodhidschitta hinzu. Es könne
durchaus sein, dass ein Meister zwar den Wunsch hege, erneut im Kreise seiner Schüler
wiedergeboren zu werden, und dieser Meister könne auch sehr gelehrt sein, aber trotzdem
die Fähigkeit dazu noch nicht besitzen.
Treffen Fähigkeit und Motivation zusammen, dann muss dieser Meister erst davon
überzeugt sein, dass eine Wiedergeburt auch zum Wohle aller Lebewesen sei und einen
Nutzen brächte:
Ein großer Meister, der diese Wahl hat, wird das nur benutzen, wenn es wirklich einen großen Nutzen für die
Wesen und für das Dharma hat. Sie sind nicht verpflichtet wegen einer Tradition oder einem System oder so, das
spielt keine Rolle. Wenn also ein Meister wirklich diese Macht oder diese Kontrolle hat, dann wird er schauen, ob
die Studenten gute Studenten sind oder nicht und ob seine Wiederkehr in diese Umgebung wirklich etwas für die
Lebewesen bringt oder nicht. Dann erst werden sie wiederkommen, sonst nicht (GR: 12-13).
Wenn dies der Fall ist, so sei dies ein sehr glücklicher Umstand, der einen großen Nutzen
brächte. Er zweifle nicht daran, dass es das gibt und gegeben habe, stellte Gonsar
Rinpotsche klar, und aus solchen Ereignissen heraus habe sich das System entwickelt.
Allerdings berge das System als Institution die Gefahr, dass auch einmal jemand gefunden
werde, der nicht der Nachfolger des gesuchten Meisters ist.
Das Positive an dem System sei jedoch, dass dadurch eine Kontinuität gewährleistet werde.
Und diese Einschätzung teilten alle Interviewten.
The Tulku tradition is an important one, because when somebody is recognized as a Tulku then this little boy
gets special training, teachings and initiations and so forth, train when they are young, train when they are very
little, so that’s a very important time for the little kid; to pass on everything from the lineage, so it’s really
important, that role is very important and I think this tradition will go on, will continue (ZTR: 8).
Wenn ein Tulku unter besonderen Umständen aufwachse, habe er die Verpflichtung, am
Lebenswerk des Vorgängers anzuknüpfen und diese Tradition fortzusetzen. Auf die Frage
nach Kriterien für die Authentizität eines Tulkus antwortete Zasep Rinpotsche:
But one thing what we say in Tibet, let's say you recognize one Tulku […] if he is dedicated his entire life for
the Buddha, Dharma and Sangha, and the lineage then he served the purpose, whether it is the same mind-
41
consciousness or not if he is doing the job whatever has to be done, exactly what the previous incarnations
more or less done, if he is very devoted, then that is the main, the whole purpose. So he served the purpose.
That is the most important for people, for the world, for the society, for Buddha, Dharma. If he doesn’t do
anything to help preserving the teaching, the lineage, even if he is the real Tulku it doesn’t make much
difference. It doesn’t serve the purpose. So we don’t know exactly, but the main thing is that he is doing his
job, so that’s fine, just leave it like that, that is what has happened most of the times in the past, because we
don’t really know, you have to be clairvoyant [to see if it is the true Tulku or not, B.S.] (ZTR: 11-12).
Bärlocher (1982) stellt in seiner Untersuchung fest, dass ein einmal als solcher bestimmter
Tulku keine Möglichkeit besäße diesen Titel wieder loszuwerden, egal was er mache. Aber
um wieder ein angesehener Meister zu werden, auch diese Meinung teilten alle
Informanten des Verfassers, müsse sich der Tulku erst wieder in diesem Leben behaupten.
3.3.4 Geschichtliche Entwicklung
Die Lehren des Buddha kamen in zwei Wellen nach Tibet, die als die frühe und die späte
Bekehrung bezeichnet werden. Die erste Phase begann im 7. Jahrhundert unter dem 32.
tibetischen König Songtsen Gampo, der erste Tempel errichten und eine eigene
Schriftsprache und Grammatik entwickeln ließ. Es wurden in der Folgezeit indische
Meister eingeladen, welche die Lehrreden des Buddha übersetzten und unterrichteten. Als
bekanntester unter ihnen gilt der tantrische Meister Padmasambhava (siehe Tsogyal 1996),
der sich gegen die Widerstände der heimischen Bön- Religion durchsetzte und Teile davon
in die Lehre integrierte (Dalai Lama 2000: 127-129).
Nach einer Phase der Unterdrückung des Buddhismus durch nicht- buddhistische Adelige
wurde im zehnten Jahrhundert unter großen Mühen und Anstrengungen ein zweiter Anlauf
vorgenommen. Erneut wurden indische Meister eingeladen, wie beispielsweise Atischa,
und Tibeter reisten nach Indien um den Buddhismus zu erlernen und in ihrem Lande zu
etablieren. Es wurden mehrere Schulen gegründet, aus denen heraus sich im Laufe der Zeit
die vier tibetischen Orden entwickelten: Nyingma, Kagyü, Sakya und Gelug.
Im zwölften Jahrhundert erlangte der Sakya-Orden politische Macht im Zusammenspiel
mit der mongolischen Herrschaft, auch die Vormachtstellung des Dalai Lama und des
Gelug ist zu einem Teil mit den Mongolen verknüpft. Der Begründer des Gelug- Ordens ist
Je Tsonkhapa (1357-1419), der eine neue tantrische Schule unter besonderer
Berücksichtigung der klösterlichen Vinaya- Regeln gründete, weswegen der Gelug-Orden
als „die Tugendschule“ bezeichnet wird. Andere Bezeichnungen sind ‚die Tugendhaften’,
42
‚Gelbmützen’ oder der veraltete Begriff ,die gelbe Kirche’ (Notz 2004: 178). Seine Werke,
die sich an den Darlegungen Atischas orientieren, haben heute eine fundamentale
Bedeutung innerhalb des Ordens, wie beispielsweise sein Lam Rim Chenmo, die
‚Darlegungen auf dem Stufenweg der Erleuchtung’ (Tsong-kha-pa 2000). Dabei handelt es
sich um eine Art Leitfaden durch die gesamten Lehren.
Tsongkhapa wird in der Literatur als Reformator bezeichnet, weil er die klösterliche
Disziplin, die auf den Vinaya-Texten basiert, wieder einführte. In Folge dessen wurden in
Tibet sehr großen Klöster gebaut wie Gandan, Drepung und Sera. Die klösterliche
Ausbildung rückte dadurch in den Vordergrund, die unter anderem Wert legt auf das
Auswendiglernen relevanter Texte und philosophische Debatten und Meditationsklausuren
beinhaltet. Nach ca. 20 Jahren Studium kann durch verschiedene Prüfungen und
Disputationen ein sog. Gesche-Titel erworben werden. Der weltweit bekannteste Vertreter
dieses Ordens heutzutage ist der vierzehnte Dalai Lama. Der Titel Dalai stammt aus dem
Mongolischen, wird mit ‚Ozean der Weisheit’ o.ä. übersetzt und wurde von Althan Khan
1578 an den Mönch Sönam Gyatso verliehen. Dieser war bereits der dritte seiner
Inkarnationslinie. Ab dem fünften Dalai Lama ist dieser das religiöse und weltliche
Oberhaupt der Tibeter (Schulemann 1958: 63-117, 224-267).
Gemeinsam beruhen alle vier tibetischen Orden auf der philosophischen Schule der
Madhjamika, der Schule des mittleren Weges. Die Unterschiedlichkeit der vier tibetischen
Schulen vergleicht der Dalai Lama (2000) mit der Verschiedenheit von Flugzeugmodellen,
die schlussendlich alle in Abhängigkeit von Motorleistung und Luftwiderstand am Himmel
fliegen (2000: 133-134). Die vorbuddhistische Bön-Religion scheint sich im Laufe der Zeit
dem Buddhismus, der seinerseits von ihr beeinflusst wurde, so weit angeglichen zu haben,
dass Terminologisches und die Richtung, in der heilige Stätten umrundet werden, die
größten Unterschiede zu sein scheinen (Powers 1998: 344).
Weil die chinesische Befreiungsarmee 1949 in Tibet einmarschierte, existiert dieses heute
nur noch als autonome Provinz Chinas. Aufgrund der massiven Unterdrückung der
Religionsausübung flohen 1959 viele Tibeter, darunter alle hier zitierten tibetischen
Autoren, ins indische Exil (Barrnaux 1995: 288-306).
43
4. Geschichte des Buddhismus in der Mongolei bis zum
Zusammenbruch des sozialistischen Systems
Da die Untersuchungen für die vorliegende Arbeit in dem Gebiet der heutigen
Mongolischen Volksrepublik stattfanden, beziehen sich die folgenden Ausführungen
hauptsächlich auf dieses Gebiet. In älterer Literatur findet sich die Bezeichnung Äußere
Mongolei, die sich in Bezugnahme auf China von der Inneren Mongolei, einer autonomen
Region der chinesischen Volksrepublik, unterscheidet.
Die Mongolei ist extrem dünn besiedelt und hat bei einer Fläche von 1.564.000 km² nur
2.421.000 Einwohner, wobei allein 760.000 Menschen in der Hauptstadt Ulaan Baatar
leben (Barrata 2003: 589).
4.1
Stationen der Ausbreitung des tibetischen Buddhismus in der
Mongolei
Ähnlich wie beim Beispiel Tibet spricht man auch bei der Mongolei von zwei Phasen der
Bekehrung zum Buddhismus bzw. von zwei Perioden der Verbreitung der Lehre, die sich
allerdings in der Mongolei geschichtlich etwas später ereigneten und von Tibet aus
stattfanden. So wird der mongolische Buddhismus im Großen und Ganzen mit dem
tibetischen gleichgesetzt (Heissig 1970: 297).21 Insbesondere gilt dies für das zugrunde
liegende geistige Konzept und die klösterliche Ausbildung. So wie der Buddhismus in
Tibet flexibel auf die örtlichen Gegebenheiten reagierte, indem er sich gewisse
Lokalgottheiten einverleibte, können auch für die Mongolei lokalspezifische Elemente
beobachtet werden.22 In Bezug auf die lebenspraktische Ausgestaltung ist daher von einem
Synkretismus die Rede (Heissig 1970: 346). Ein heute sehr prägnanter Unterschied zu
Tibet ist jedoch, dass in der Mongolei alle Mönche als „Lama“ bezeichnet werden und sich
dieser Name nicht auf das Konzept des geistigen Meisters bezieht, wie bereits in Kap. 3.3.2
beschrieben wurde.
Unter Ögedei Khan (1228-41), dem Sohn und Amtsnachfolger Dschinghis Khans, fand an
dessen Hof ein Disput unterschiedlicher Religionen statt, den der aus Tibet dazu
21
W.A. Unkrig kommt bereits 1927, als der Buddhismus in der Mongolei noch weitgehend intakt war, in
seiner Einleitung zu einem sowjetischen Werk über den mongolischen Buddhismus zu diesem Schluss (S.6).
22
Beispielsweise werden in der Mongolei gewisse Verhaltensregeln hinsichtlich des Herdfeuers eingehalten,
die ihren Ursprung in dessen vorbuddhistischer Verehrung haben (Dumas 1987).
44
eingeladene Sakya Pandita gewinnen konnte. Dadurch etablierte sich der tibetische
Buddhismus in der sog. ‚ersten Verbreitung der Lehre’ in der Mongolei unter Khubilai
Khan (1215-1294)23, dem späteren Kaiser von China und Begründer der Yuan-Dynastie.
Khubilai Khan ließ in der Mongolei und auch in Peking Klöster bauen (Sagaster 1989:
234-237). Er soll zusammen mit Phagpa Lama sogar einen Plan für einen mongolischtibetischen, buddhistischen Universalstaat erarbeitet haben, dem ein mongolischer
Großkhan als weltlicher Herrscher und ein tibetischer (Sakya-) Lama als geistliches
Oberhaupt vorstehen sollten (Sagaster 1976: 3).
Mit dem Niedergang der Yuan- Dynastie in China 1368 zerfiel das mongolische Großreich
in kleinere Regionalbezirke, sog. Khanate. Die aufstrebenden Mandschus machten sich in
der Folgezeit den Buddhismus als integratives Element ihrer sich ausdehnenden Herrschaft
zu Nutze (Barkmann 1999: 21).
Einen erneuten Aufschwung erlebte der Buddhismus dann im 16. Jahrhundert unter Althan
Khan (1507-82), der bestrebt war, wieder ein mongolisches Großreich zu errichten. In
Anlehnung an die Idee des Universalstaates, dem in wechselseitiger Abhängigkeit ein
mongolischer Großkahn und ein tibetischer Lama vorstanden, wandte sich Althan Khan
wieder an die Tibeter. Er lud den dritten Dalai Lama24 in die Mongolei ein. Der
mongolische Geschichtsschreiber Secen (zit. nach Sagaster 1976)25 berichtet über die
Zusammenkunft:
Am heutigen Tage sind Sigemüni (Sakyamuni), und der heilige Lama der Zeit des Kampfes, und Qormusta
(d.h. Althan Khan), der großmächtige König dieser Länder, zusammengetroffen. Wenn sie von diesem
glückbringenden, günstigen Tage an den von den Blutwellen bewegten großen Strom in ein von aufquellender
Milch durchsetztes klares Meer verwandeln und den von den Vorfahren eröffneten weißen Weg diese
(heilbringende) Norm (aufs neue) eröffnen, so ist dies die Frucht unseres Vertrauens auf König und Lama.
(1976: 42-43).26
Dadurch konnte sich die Tradition des tibetischen Gelugpa-Ordens, dem die Dalai Lamas
angehören, in der Mongolei etablieren. Der Buddhismus breitete sich somit von ‚Oben’
nach ‚Unten’ aus, teilweise wurden per Erlass der Fürsten gewisse Gottheiten und
23
Frühe Kontakte zum Buddhismus soll es schon durch die Uiguren vereinzelt gegeben haben, erste
buddhistische Texte wurden übersetzt (Sagaster 1989: 235). Unter Dschinghis Khan gab es bereits
vereinzelte buddhistische Klöster (Atwood 2004: 48).
24
Der bei diesem Anlass von Althan Khan den Titel Dalai Lama erst verliehen bekam (wie bereits in 3.3.4
beschrieben wurde).
25
Bei dem hier zitierten „Secen qung tayiji“ handelt es sich um den Großvater des Sagan Secen (geb. 1604),
dessen ‚Geschichte der Mongolen und ihres Fürstenhauses’ (1985 [1829]) das erste Werk mongolischer
Geschichtsschreibung war, welches einer westlichen Leserschaft zur Verfügung stand. Das Werk gilt heute
noch als Klassiker.
26
Klammersetzungen auch im Original.
45
Handlungen, wie beispielsweise das Schlachten aus rituellem Anlass, verboten (Grünwedel
1970:82). Die Lamas übernahmen schrittweise die gesellschaftlichen Funktionen der
Schamanen (Heissig 1970: 341). Als sichtbarer Ausdruck der Zusammenarbeit des
tibetischen Gelug-Ordens mit der Mongolei wurde der vierte Dalai Lama dort als ein Enkel
des Althan Khan geboren. In der Folgezeit gewannen die Lamas zunehmend an Bedeutung
an den Höfen der mongolischen Fürsten als Berater und Gelehrte; des Weiteren wurden sie
auch wegen ihrer medizinischen Fähigkeiten geschätzt. Auch die Klöster vermehrten sich
in Bezug auf Anzahl und auf Besitz. Um die Klosteranlagen bildeten sich oft kleine
Siedlungen mit dienstleistenden Familien. Manche Klöster wurden im Laufe der Zeit sehr
wohlhabend, sie besaßen sowohl Land als auch Viehherden. Die Klöster bedeuteten einen
weithin manifesten Einschnitt in das Wirtschaftswesen des Landes und stellten teilweise
eine Konkurrenz für den Adel dar (Barkmann 1999: 30-34).
Die Klöster nahmen darüber hinaus auch einen Bildungsauftrag gegenüber der
Bevölkerung wahr. Durch die Errichtung von Klosterschulen trugen sie nicht nur zur
Bildung des Adels bei, sondern kümmerten sich auch um die Alphabetisierung der
einfachen Bevölkerung. Welchen Stellenwert die Klöster in jener Zeit hatten, wird an dem
Faktum deutlich, dass bis zu 45 % der männlichen Bevölkerung in Klöstern lebte (Heissig
1970: 333-336; Notz 2004: 313).
Mit dem Einzug des tibetischen Buddhismus der Gelugpa-Schule kam auch das TulkuSystem in die Mongolei. Tulku heißt auf Mongolisch Khubilgan, wobei die Khubilgane der
Mongolei den Tulkus in Tibet entsprechen. Wenn ein Khubilgan starb, suchten hier,
ebenso wie in Tibet, seine Schüler dessen Nachfolger, und wichtige Positionen wurden von
Khubilganen besetzt. Am bekanntesten und wichtigsten in der ‚äußeren’ Mongolei war die
Linie der Jetsündampa Khudukhtus (Hyer 1983: 13-15).
Der Begründer dieser Inkarnationslinie und somit erster Jetsündampa Khudukthu war
Öndör Gegen (1635-1723), ein Nachfahre des Altan Khan. Als Sohn eines Fürsten
geboren, nahm er in jungen Jahren die ersten buddhistischen Gelübde. Nach einer
Ausbildung in Tibet wurde er als Vertreter der höchsten Inkarnationslinie zum religiösen
Oberhaupt der Mongolei gekürt und erhielt den Ehrennamen Zanabazar. Der dritte
Jetsündampa Khudukhtu wurde bereits in Tibet geboren. Der achte Jetsündampa
Khudukhtu, 1870 in Lhasa (Tibet) geboren, wurde 1911, als die Mongolei von der
chinesischen Qing-Dynastie unabhängig wurde, als weltliches Oberhaupt einer
konstitutionellen Monarchie eingesetzt (Sagaster 1989: 234).
46
4.2 Umwälzungen im 20. Jahrhundert
Zu Beginn des letzten Jahrhunderts stand die Mongolei zwischen den beiden Großmächten
China und Russland. Als sich Jetsündampa Khudukthu um die Jahrhundertwende an
Russland wandte, hegte er die Hoffnung, einen Beschützer für die mongolische Religion
und Gesellschaftsstruktur zu erhalten. Die instabile politische Situation im Peking von
1911 nutzte er, um die Mongolei als von China unabhängig zu deklarieren und sich als
Oberhaupt der konstitutionellen Monarchie einsetzen zu lassen, wodurch er den Namen
Bogda Khan (,heiliger Herrscher’) erhielt. In der Folgezeit der wechselnden politischen
Konstellationen der Mongolei wurde er zu einer bedeutenden Figur, die sich sowohl
chinesische als auch russische Eroberer zu Nutze machten, indem diese ihn als eine
legitimierende Repräsentationsfigur formell zum Staatsoberhaupt ernannten.27 Der
Einmarsch der Roten Armee in die Mongolei im Jahre 1921 bereitete den Machtwechseln
ein Ende und etablierte schrittweise eine kommunistische Regierung in der Mongolischen
Volksrepublik. Als Satellitenstaat stand sie in der Folgezeit unter dem starkem Einfluss der
Sowjetunion. Es bildete sich eine Mongolische Volkspartei aus drei verschiedenen
Fraktionen, zu einer von ihnen gehörte der Bogda Khan, der von 1921 bis zu seinem Tode
1924 das Oberhaupt der konstitutionellen Monarchie blieb. Jedoch wurde seine Befugnis
auf rein religiöse Angelegenheiten limitiert und schrittweise in finanzieller und juridischer
Hinsicht eingeschränkt. Seine vertrauten Geistlichen und sein persönlicher Arzt wurden
verhaftet und nach einem Prozess hingerichtet. Im Jahre 1924 erkrankte der Bogda Khan,
wurde von einem sowjetischen Arzt behandelt und verstarb noch im selben Jahr. Eine
Nachfolge des Bogda Khan wurde konstitutionell verboten (Atwood 2004: 270-271).
Durch den schleichenden Prozess der zunehmenden Repression und das Fehlen des
religiösen Oberhauptes nach 1924 war es wohl für die religiöse Bevölkerung naheliegend
gewesen, in die „innere Emigration“ zu gehen, sich also zurückzuziehen und die
Religionsausübung im Verborgenen weiter zu betreiben. Hier könnte sich eine Erklärung
dafür finden, dass es keine ausgeprägte mongolisch-buddhistische Exilgemeinde gibt, wie
sie im Falle des tibetischen Buddhismus existiert.28
Die hier dargestellten Prozesse waren Teil einer Periode der frühen Konflikte zwischen
Kommunismus und Buddhismus in der Mongolei, in der sich die ländliche Bevölkerung in
27
Auf die geschichtlichen Details, wie bspw. die 18-monatige Besatzung durch den (weiß-) russischen Baron
von Ungern-Sternberg, kann in der Arbeit nicht eingegangen werden. (Siehe dazu Bawden (1968 und 1997);
Ewing (1980)).
28
In Tibet fanden die „Säuberungsaktionen“ während eines kleinen Zeitfensters statt, was die
Glaubensgemeinde dazu bewegte, den Dalai Lama in Sicherheit zu bringen und mit ihm ins Exil zu ziehen.
47
religiöse und antiklerikale Lager polarisierte. Die kommunistische Partei errichtete
beispielsweise neue Schulen29, Kooperativen und Parteizentren, um Einfluss auf die
Bevölkerung ausüben zu können. In der von 1929-1932 währenden sogenannten „Leftist
Period“ begannen die Konflikte zunehmend zu eskalieren. Von staatlicher Seite wurde
angefangen, Besitztümer der Lamas und Viehherden der Klöster zu konfiszieren. Des
weiteren wurden erhebliche Steuern auf Mönche in militärtauglichem Alter erhoben, es
folgten Schauprozesse und Hinrichtungen von hohen Lamas unter dem Vorwand, sie seien
Konterrevolutionäre. Im Jahre 1930 kam es sogar zu einem bewaffneten Aufstand eines
Klosters. Die folgende Periode, die „Legal Campaign“, reagierte auf diesen Aufstand mit
einer breit angelegten gesetzlichen und steuerlichen Offensive gegen die Klöster, um diese
zu schwächen. 1934 wurden entsprechend dem sowjetischen Gesellschaftsmodell in jedes
Kloster Kontrolleure geschickt, die der Partei und den Sicherheitsbehörden Bericht
erstatteten. Die Mönche konnten nur noch durch unermüdliche Spenden der Bevölkerung
überleben. Von 1934 an begann die sog. „Final Campaign“, eine systematische
Vernichtung der Klöster und Mönche in der Mongolei. Weil die Klöster nicht alleine durch
Besteuerung zu dezimieren waren (nach 1932 wuchs die Anzahl der Mönche wieder auf
75.000 an), beinhaltete der neue Plan militärische Aktionen und Massenexekutionen. Der
amtierende Premierminister Gendün, der sich in Opposition zu Stalin weigerte, solche
Aktionen durchzuführen, wurde von der Sowjetunion durch den „mongolischen Stalin“
Choibalsang ersetzt, welcher dann die militärische Vernichtung der Klöster anordnete
(Atwood 2004: 47). Gendün, der zwölf Jahre lang in der Mongolei regiert hatte und erster
Premierminister gewesen war, wurde verhaftet, nach Moskau gebracht und dort 1937
erschossen30. Der neue Regent Choibalsang bilanzierte 1939, dass er bislang 17.353
Mönche verhaften und 20.356 exekutieren ließ. Des Weiteren waren 50.000 Mönche dazu
gebracht worden, ein weltliches Leben zu führen, wobei dieser Schritt teilweise nach einer
Internierung in sowjetischen Gulag-Lagern erfolgte (Atwood 2004: 48).
Beispielhaft für diese Prozesse ist die folgende Geschichte, die ein Mönch über das Leben
seines Großvaters erzählte. Jener war Mönch im Kloster Amarbayasgalant gewesen, wurde
als solcher verhaftet und in ein Internierungslager gebracht. Mehrmals sei ihm die
Möglichkeit geboten worden, dem Buddhismus abzuschwören und freigelassen zu werden,
was er ablehnte. Nach zehn Jahren sei er unter Androhung seiner Exekution gezwungen
worden zu heiraten, woraufhin er ein weltliches Leben in der Nähe seines ehemaligen
29
Im Jahre 1929 besuchten 5.773 Kinder öffentliche Schulen und 18.995 Kinder gingen in Klosterschulen
(Atkinson 2004: 47).
30
Bei einem Treffen mit Stalin 1935 soll er das Vorgehen der Sowjetunion in der Mongolei als Roten
Imperialismus bezeichnet und eine eigene Vorgehensweise der Mongolei gefordert haben (Mongolia Today
2005a).
48
Klosters führte und in einer Fabrik arbeitete. Das Kloster sei völlig verlassen gewesen und
Tiere hätten darin gehaust, berichtete der Mönch dem Verfasser.31 Das Kloster war
demzufolge eines der wenigen, die nicht vollständig zerstört wurden. Einem Bericht des
Departements für Religiöse Angelegenheiten aus dem Jahre 1939 zu Folge waren zu
diesem Zeitpunkt bereits 724 der insgesamt 767 registrierten Klöster zerstört worden. Die
Aktionen seien jahrelang geplant und durch Kartographien und Luftaufnahmen der Roten
Armee vorbereitet worden, berichten mongolische Journalisten (Mongolia Today 2005b).
Insgesamt wurden knapp 5.500 Gebäude zerstört, 5.916 Kilogramm Silber aus religiösen
Gegenständen
und
336.734
Stück
Vieh
beschlagnahmt.
Ein
Mitarbeiter
des
Innenministeriums berichtete über die sowjetische Einflussnahme:
Russian advisors were assigned to each department, controlling everything. They prepared lists of those to be
arrested, participated in interrogations and confiscations. Mostly Buryats, Kalmycks and Tuvinians, they all
had Mongolian names and spoke fluent Mongolian. Perhaps, they were trained in advance. But Russians were
in command of all (Myatav, zit in: Mongolia Today 2005b).
Um 1900 soll es in der äußeren Mongolei über 700 Klöster gegeben haben (Heissig 1970:
299; Moses 1977: 125), die ab 1937 alle geschlossen waren. Im Jahre 1944 ordnete Stalin
auf internationalen Druck anlässlich des Besuches einer Delegation von Roosevelt in
Moskau an, in Ulaan Baatar unter strenger Kontrolle ein Kloster wieder zu eröffnen.
Gandan Gentechling war somit das einzig „intakte“ Kloster bis 1990, das aufgrund der
strengen staatlichen Kontrolle als Alibi-Kloster bezeichnet wurde. Religiöse Treffen und
Zusammenkünfte fanden im Geheimen statt, viele Privatpersonen hatten Schriften und
Statuen während der gesamten Zeit des Kommunismus versteckt gehalten (KollmarPaulenz 2003: 18-21).
Bedingt durch die Perestroika in der Sowjetunion fand auch in der Mongolei im Jahre 1990
eine friedliche demokratische Revolution statt, in der es dem langjährigen Vasallenstaat
gelang, sich aus dem starken politischen und ideologischen Einfluss des „großen Bruders"
zu lösen. Die Mongolei war zu diesem Zeitpunkt von einer ökonomischen Krise
gezeichnet, deren Auswirkungen eine Verarmung großer Teile der Bevölkerung nach sich
zog, die auch noch heute manifest ist (vgl. Bruun et al. 2000). 1992 erhielt die Mongolei
eine eigene Verfassung und es fanden zum ersten Mal demokratische Wahlen im Land
statt, welche die frühere kommunistische MPRP (Mongolian People’s Revolutionary
Party) gewann. Verfassungsrechtlich wurde Religionsfreiheit gewährt, unter Wahrung
31
In einem persönlichen Gespräch mit dem Verfasser am 25.09.04.
49
einer laizistisch fundierten strikten Trennung von Staat und Religion, die sich allerdings
gegenseitig zu respektieren haben (Barkmann 1997: 72).
Mit der Legalisierung der Religion erfolgte ein von vielfältigen Aktivitäten begleiteter
Prozess
des
Wiederaufbaus,
der
bis
Betrachtungsgegenstand dieser Arbeit ist.
50
heute
anhält
und
bekanntermaßen
5. Ein Mönch in der Mongolei
Dieses Kapitel gibt den Kern der empirisch gewonnenen Erkenntnisse über die Mongolei
am Beispiel der Lebensgeschichte Zava Rinpotsches wieder. Dazu wird zuerst dem
Anspruch nach Transparenz der Forschungsverhältnisse Genüge geleistet, werden
Stationen der Lebensgeschichte erzählt und anschließend die für die Revitalisierung
relevanten Prozesse einer eingehenderen Betrachtung unterzogen.
5.1 ...und ein Ethnologe - Reflexion einer Feldforschungsbeziehung
Im Zuge der sog. „writing-culture“-Debatte (Clifford and Marcus 1986) wurden
ethnographische Repräsentationsformen grundsätzlich in Frage gestellt. Erkenntnisse und
Aussagen wurden darin im Zuge der Postmoderne als Ergebnis vielschichtiger
Wechselbeziehungen enttarnt, wobei Erkenntnisinteresse, methodische Vorgehensweise
und imaginierte Leserschaft genauso Faktoren darstellen, welche die „Ergebnisse“
beeinflussen, wie die Interpretationsleistung der Autoren. Eine der Forderungen, die
konkret aus dieser Debatte an die Ethnologie gewachsen sind, ist, eine bestmögliche
Transparenz der Datengewinnung herzustellen. Für biographische Ansätze ist es in diesem
Sinne zu einer Notwendigkeit geworden, den Entstehungskontext der „Datengewinnung“
zu thematisieren. Dazu gehört neben dem Darlegen der Forschungsmethoden und –schritte
auch eine Reflexion des Aufeinandertreffens von „Erkenntnisinteresse“ und „Objekt“. In
diesem Sinne reflektiert dieser Abschnitt die Forschungsbeziehung zu Zava Rinpotsche auf
persönlicher Ebene und ist deswegen in der ersten Person verfasst.
An dieser Stelle möchte ich noch darauf verweisen, dass die Verwendung des Begriffs
„Ethnologe“ in der Unterüberschrift nicht Ausdruck einer Anmaßung (eines Studenten, der
ich zum Zeitpunkt des Forschens und Schreibens war) ist, sondern vor dem Hintergrund
erfolgte, dass die Forschungsbeziehung aufgrund einer „ethnologischen Zusammenkunft“
entstanden ist und somit die folgenden Ausführungen Beziehungsaspekte widerspiegeln,
wie sie sich beim Arbeiten mit einem Hauptinformanten generell ergeben können. An
dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Forschungsaufenthalt im Rahmen
dieser Arbeit mit zwei Monaten für die wissenschaftliche Disziplin vergleichsweise kurz
war und sich einige Schwierigkeiten durch mangelnde Erfahrung ergaben.
Brigitta Hauser-Schäublin charakterisiert teilnehmende Beobachtung folgendermaßen:
„Teilnahme bedeutet Nähe, Beobachten, Distanz: Teilnehmende Beobachtung setzt sich
51
deshalb aus widersprüchlichem Verhalten zusammen [...]. Nicht immer ist es einfach, diese
gegensätzlichen Ansprüche unter einen Hut zu bringen“ (Hauser-Schäublin 2003: 38). In
diesem „Spagat zwischen Nähe und Distanz“ (ebd.: 37) erlebte ich mich während des
Aufenthalts in der Mongolei häufig.
Zava Rinpotsche hatte ich im Jahre 2003 in Ulaan Baatar persönlich kennen gelernt.
Gesehen hatten wir uns jedoch davor schon im Schweizer Kloster Rabten Choeling, als er
dort studierte und ich ein Wochenendseminar besuchte. Die persönliche Nähe während
meines Forschungsaufenthaltes im Jahre 2004 zeichnete sich bereits bei der Begrüßung ab,
die, obwohl sie inmitten einer hektischen Situation in Guru Deva Rinpotsches Tempel
stattfand, sehr herzlich war. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich Reliquien des Buddha mit
einer großen Delegation von Leuten in Guru Deva Rinpotsches Haus. Diese Reliquien
mussten zum Ende einer knapp zweiwöchigen Tournee durch die Mongolei zum Flughafen
gebracht werden. Das bedeutete Termindruck, Organisation, Pannen und erforderte
Improvisationstalent - eine durchaus charakteristische Situation für das Leben von Zava
Rinpotsche. Er ist einer von denen, deren Rat und Tat gefragt ist, wenn etwas schief läuft.
Trotzdem war es ein freudiges Wiedersehen. Zava Rinpotsche erwähnte, dass er von
Gonsar Rinpotsche über mein Kommen informiert worden sei und bot mir seine
Unterstützung bei meinem Vorhaben an, welches ich ihm bei Gelegenheit genauer erklären
solle. Die Einladung, in seiner Wohnung unterzukommen, nahm ich fürs erste dankend an.
Mein Vorschlag, dass ich in den Zeiten, in denen wir in Ulaan Baatar sein würden, auch in
einem Hotel wohnen könnte, um ihm und seiner Familie nicht permanent zur Last zu
fallen, wurde zwar in einer scherzhaften Weise abgelehnt. Es war dabei aber deutlich zu
spüren, dass es beleidigend gewesen wäre, ins Hotel zu gehen, da ich durch Gonsar
Rinpotsches Vorankündigung meines Besuches quasi zu einem Teil der Familie geworden
war. Mein Vorhaben, über den Wiederaufbau des Buddhismus in der Mongolei zu
schreiben, stieß auf Zustimmung und Unterstützung, doch erschien meine Antwort auf die
Frage, wozu diese Forschung denn diene, wenig einleuchtend. Zu einem späteren
Zeitpunkt gab Zava Rinpotsche einmal als Grund für meinen Aufenthalt einfach an, dass
ich ein Buch über die Mongolei schreiben würde. Die Vagheit der Verwendung meiner
erhobenen Forschungsdaten außerhalb meines Prüfungsunterfangens, ebenfalls ein
ethisches Problem ethnologischer Forschung (vgl. Hauser-Schäublin 2003: 52-53),
schmälerte nicht die Herzlichkeit, mit der ich in die Familie integriert wurde. In der
Wohnung in Ulaan Baatar war ständig jemand zu Besuch, darunter auch viele Leute, die
Englisch sprachen oder sogar Deutsch, wie eine Schwester und eine Cousine von Zava
52
Rinpotsche, was informelle Befragungen ermöglichte. Im familiären Umfeld von Zava
Rinpotsche verband mich eine besondere Freundschaft mit seiner Mutter und seinem
Bruder, der ebenfalls Mönch ist, obwohl wir keine gemeinsame Sprache sprachen. Manche
Situationen, wie beispielsweise jene, als mir die Mutter zeigte, dass man den Kaffee mit
dem Löffel nur im Uhrzeigersinn umzurühren habe, erinnerten mich daran, dass man in der
Ethnologie von einer zweiten Sozialisation spricht, durch die der Ethnologe wie ein Kind
in kulturelle Normen hineinwachse (vgl. Fischer 2002: 12).
Durch
das
gemeinsame
Erleben
des
Alltages
verstärkten
sich
Nähe
und
Gemeinschaftsgefühl. Die Tage in Ulaan Baatar endeten beispielsweise immer damit, dass
Zava Rinpotsche seine Gebete rezitierte. Fast immer saßen dabei mehrere Leute mit im
Zimmer, die Zeremonie dauerte in der Regel knapp eine Stunde. Auch ich war meistens
mit im Zimmer. So hatte ich die Möglichkeit, vieles über sein soziales Umfeld zu erfahren,
was mich andererseits temporär zu einem festen Bestandteil dieses Umfeldes werden ließ.
Im Verlauf des Aufenthaltes verbrachte ich eine Woche mit Zava Rinpotsche und seinem
Bruder in der Wüste Gobi, wir teilten dort die Jurte mit einem weiteren Mönch. Wir halfen
bei den Bauarbeiten an dem Tempel, aßen gemeinsam, erlebten einen plötzlich
aufkommenden Kältesturz in der noch sommerlich aufgebauten Jurte, sorgten uns um den
Hundewelpen Zava Rinpotsches, es entwickelten sich situationsspezifische „running-gags“
durch das gemeinschaftliche Miteinander. Dies alles waren Faktoren, die ein Vertrauen
entstehen ließen, welches die Erörterung meines Themas in den Interviews begünstigte.
Eine wesentliche Voraussetzung dafür war sicherlich die Entscheidung Zava Rinpotsches,
diese Nähe und Begegnung zuzulassen. Besonders intensiv empfand ich diese Begegnung
an dem Abend des 12. Oktober 2004, als wir ein ausführliches episodisches Interview
führten über seine Rolle seit der Wiederkehr aus seinem Studienaufenthalt in der Schweiz.
Geführt wurde das Interview in der oben genannten Jurte in der Gobi, nachts bei
Kerzenschein, als die anderen schon schliefen. Nach dem Ende der Aufzeichnung ergab
sich an jenem Abend noch ein längeres Gespräch, das zu einer erneuten Aufzeichnung
führte. Mein Anliegen war es, eine biographische Erzählung anzuregen, um am Beispiel
seiner Person etwas über den Wiederaufbau des Buddhismus in der Mongolei zu erfahren.
Judith Schlehe sieht die „Stärke ethnologischer Forschung darin [...], dass sie das
Augenmerk auf kulturelle Dynamiken richtet“ und danach fragt, „wie das Individuum
seine Welt erlebt“ (Schlehe 2003: 91). Gerade die Gespräche über seine Rolle bei dem
Wiederaufbau des Buddhismus in der Mongolei betrafen neben den Aspekten des
Gestaltens dieser Rolle auch das Erleben und Empfinden seiner Rolle als Bedeutungs- und
Hoffnungsträger. Dadurch, dass die durch das Interview herbeigeführte Situation bei Zava
53
Rinpotsche auch zu einer Selbstreflexion führte, hatte ich den Eindruck, dass so etwas wie
ein Dialog zwischen uns auf sehr persönlicher Ebene stattgefunden hat. Was ich davon
berichten und einer Analyse unterziehe würde um „relevante Prozesse“ zu schildern und
was ich als vertraulich erachten würde, hat Zava Rinpotsche mir überlassen. Dadurch war
ich mit einer ethischen Entscheidung konfrontiert, die qualitativ Forschende immer wieder
zu treffen haben (vgl. 2.3).
Die Rolle des Forschers erfordert Distanz, um beobachten zu können. Ein wichtiges
Instrument, um Distanz zu schaffen, ist das Schreiben eines Tagebuchs. In Ulaan Baatar
ging ich dazu öfters allein in ein (europäisches) Café, um gegenüber all dem
vereinnahmenden Alltag auch räumlich eine Außenperspektive einzunehmen. Es finden
sich in meinem Tagebuch Einträge, die sich dem Sachverhalt widmen, dass - um mit den
Worten der Grounded Theory zu sprechen „Forschung als Arbeit zu verstehen ist“ (Strauss
1998: 34).
Eine kleine Beschwerde vorweg: mir geht hier die Forscherei mächtig auf den Senkel. Hab jetzt definitiv keine
Lust mehr, ständig zu überlegen, wann ich welches Interview führen kann, hab keine Lust mehr, bei jedem
Gespräch überlegen zu müssen, wie das jetzt in meine Arbeit passt, was ich nachfragen sollte und was ich
lieber im Interview fragen soll, damit ich nicht doppelte Antwort bekomme, hab keine Lust bei jedem
Gespräch im Hinterkopf zu haben, dass ich das nachher aufschreiben muss (Tagebucheintrag B.S.17.10.04).
Der Nutzen solcher kurzer „Ausflüge“ wird in Aufsätzen über Feldforschung öfters
erwähnt (Hauser-Schäublin 2003: 38; Illius 2003: 83-84; Flick 2000: 77; Fischer 2002:
11). Das Spezifische an meiner Situation war, dass ich zwar ständig beobachten konnte
und mitten im Geschehen war, jedoch die Sprache nicht verstand. Nachfragen konnte ich
bei Zava Rinpotsche, wollte jedoch nicht durch ständige Fragen seine Nerven in einem
ohnehin sehr ausgelasteten Alltag zusätzlich belasten. So kam zu dem Wechselspiel von
Nähe und Distanz zusätzlich ein inneres Spannungsverhältnis von Forschungsinteresse und
Höflichkeit. Ich hatte bewusst meinen Standpunkt mit zunehmender Forschungsdauer
immer stärker zum Pol „Höflichkeit“ hin verlagert. Zava Rinpotsche hat durch seine
Stellung als Tulku in der Mongolei eine Ehrenposition. Die Nähe, die ich zu ihm hatte, war
nicht gewöhnlich, und ich wollte die Situation und seine Höflichkeit nicht ausnutzen. Im
Umgang mit dieser „Respektsperson" war also Feingefühl gefragt. Im Gesamten betrachtet
lassen sich mehrere Ebenen der Begegnung beschreiben: Die eines Informanten und eines
Forschers, die eines Meisters und eines Gastes und die zweier junger Männer, die
allmählich Freundschaft miteinander schlossen.
54
Etwa nach Ablauf der Hälfte der Zeit meines Aufenthaltes fiel die Entscheidung, die Arbeit
biographisch auszurichten. Gerade zu diesem Zeitpunkt war es jedoch keineswegs leicht,
die zugesicherten Interviews zu führen. Zava Rinpotsches voller Terminkalender war
ebenso ein Grund wie auch seine Scheu, über sich selbst zu sprechen. Zugesichert wurden
mir die Interviews zwar jedes Mal, aber sie fanden dann meist doch nicht statt. Auf
Anraten eines guten Freundes von Zava Rinpotsche pochte ich schlussendlich darauf, feste
Termine auszumachen, was meinem Empfinden zunächst zuwider lief, sich im Nachhinein
aber als richtige Vorgehensweise erwies. Beim letzten Interview am vorletzten Tag, bei
dem es um die Vernetzungen der Glaubensgemeinschaften gehen sollte, kamen wir
gemeinsam zur Erkenntnis, dass wir über das meiste schon geredet hatten („but this you
already know“).32
5.2 ...und seine Lebensgeschichte – Stationen einer religiösen Laufbahn
Die lebensgeschichtlichen Interviews wurden schwerpunktmäßig auf die religiöse
Laufbahn Zava Rinpotsches hin geführt und sollen im Folgenden auch diesbezüglich
dargestellt werden. Die zitierten Interviewpassagen wurden sprachlich am Redefluss
orientiert wiedergegeben. Um eine bessere Leserlichkeit zu gewährleisten wurden kleinere
Fehler behoben und in diesen Fällen von der Wiedergabe des exakten Wortlauts Abstand
genommen.
Schon in der frühen Kindheit - Zava Rinpotsche gibt an, dass seine Erinnerung bis in sein
drittes Lebensjahr zurück reiche - ist sein Leben mit dem Buddhismus verknüpft. Geboren
wurde er am 5. September 1976 in dem zu jener Zeit kommunistischen Ulaan Baatar.33
Seine ersten Begegnungen mit dem Buddhismus machte Zava Rinpotsche im Rahmen von
jährlichen Zusammenkünften ehemaliger Mönche, die sein Großvater organisierte. Dieser
lud dazu andere Ehemalige seines Kollegiums ein, um mit ihnen buddhistische Zeremonien
abzuhalten, philosophische Debatten zu führen, Texte zu studieren usw.. Diese
Zusammenkünfte mussten aufgrund der Verfolgung von Buddhisten heimlich abgehalten
werden und waren als Feste „getarnt“, bzw. in ein Fest eingebettet, für welche die Familien
32
Meine betreuende Professorin hatte mich in unserem für mich sehr hilfreichen E-mail-Kontakt vor der
Gefahr gewarnt, zu sehr auf Interviews als Informationsquelle fixiert zu sein und darüber die Informationen,
die sich aus Beobachtung und Alltagsgesprächen ergeben, zu vernachlässigen.
33
Ulaan Baatar heißt übersetzt Rote Helden.
55
Speisen und Stutenmilch zubereiteten. Die religiösen Teile wurden dann streng geheim
vom „harten Kern“ der Gläubigen durchgeführt34. Damit während der Zeremonien keine
unbekannten Personen in die Jurte kamen, standen Zava Rinpotsche und seine Geschwister
abwechselnd davor Wache. Im Rahmen dieser Zusammenkünfte erklärten die alten Leute
auch dem kleinen Jungen Grundlegendes über den Buddhismus. Seine Beziehung zu der
Gruppe beschreibt er folgendermaßen:
Then after the other people have gone they started to do the Pujas and everything, they also read different texts
and talked about historical things. For me, you know, these activities are in a very close Karma with these
people because I loved these people, you know, these old people so much from my early childhood on, after
three or four years I remind everything 35 (ZR1: 2-3).
Gerade diese ersten Belehrungen über Elementares aus dem Buddhismus nehmen einen
wichtigen Stellenwert in seinen Erzählungen ein, da sie für ihn den Beginn seiner
Ausbildung bedeuten. Seine Familie habe ihn dann „scherzeshalber“ manchmal auf ein
Bett gesetzt, so als ob dies ein Thron sei, und ihn einen „Lama“ genannt, woraufhin er
erste „Unterweisungen“ über einfache Verhaltensmaßregeln, wie das Vermeiden von
Trinken usw. gab. Solche nicht unüblichen Spielereien mit einem Kind bekommen in der
autobiographischen Retrospektive großes Gewicht zugeschrieben.
Der Vater von Zava Rinpotsche war ein weiterer wichtiger Impulsgeber für seine religiöse
Laufbahn. Nachdem der Großvater 1984 verstorben war, führten seine Eltern die geheimen
Treffen weiter, so dass daraus eine Tradition entstanden ist, die heute von ihm fortgeführt
wird, obwohl der Vater mittlerweile verstorben ist. In der frühen Jugend, erzählt Zava
Rinpotsche, habe er oft Spaziergänge mit seinem Vater gemacht, der ihm dabei viel über
den Buddhismus erzählte, so beispielsweise über die religiösen Lebensgeschichten seiner
Onkel.
Der Vater hatte viele Onkel, vier davon waren Mönche, von denen zwei getötet und zwei
für zehn Jahre inhaftiert wurden. Alte Meister hatten dem Vater Visionen geschildert,
denen zufolge der Kommunismus ein Ende finden und der Buddhismus sich
wiederaufbauen sollte. Diese Prophezeiungen nahmen die beiden zum Anlass, gemeinsam
Pläne über seinen Eintritt in ein Kloster zu schmieden.
34
Die Aussage, dass der Buddhismus im Geheimen während der sozialistischen Zeit Fortbestand hatte,
bestätigt Karénina Kollmar-Paulenz (2003) in einem Aufsatz über den Buddhismus in der Mongolei nach
1990. Selbst hohe Parteifunktionäre gaben nach Darstellung von Kollmar-Paulenz später zu, buddhistische
Rituale durchgeführt zu haben (S. 20).
35
In dem sehr vertraulich geführten Interview über seine Entdeckung als Tulku behauptet er sogar, dass er
vereinzelte Erinnerungen an diese Personen von einem Treffen habe, das einen Monat nach seiner Geburt
stattfand.
56
Gehorsam gegenüber den Eltern und den geistigen Meistern bezeichnete Zava Rinpotsche
bei mehreren Gelegenheiten immer als eine unabdingbare Verhaltensregel.36 Er selbst habe
diese Gebote immer befolgt:
I never broke my father’s speech, nor my grandfather’s. And I didn’t receive any punishment from father or
grandfather. Then after 1990, when I became a monk, I followed the Gurus’ speech” (ZR 2: 7).
Ins Kloster Amarbayasgalant gingen der Vater, Zava Rinpoche und sein Bruder Bilguun
gemeinsam im Mai 1990, als, wie er berichtet, die Klöster wieder besiedelt wurden und
Mönche wieder ihre Roben tragen durften. Die Reise dorthin dauerte mehrere Tage und
erfolgte zu Fuß, per Anhalter und mit dem Bus - beide haben die Anreise als beschwerlich
in Erinnerung. Die Abgelegenheit des Klosters wird jedoch als günstiger Umstand für das
Mönchsleben gewertet, da die Studien nicht so leicht durch Ablenkungen unterbrochen
werden.37 Den ersten Monat verbrachten die beiden Jungen und ihr Vater damit, bei den
Renovierungsarbeiten zu helfen. Das Kloster musste erst einmal gereinigt, die Statuen
wieder aufgestellt werden etc.. Nach drei Wochen legten die beiden Jungen erste Gelübde
ab, trugen von da an Mönchsroben und nahmen an den täglichen Zeremonien teil. Nach
kurzer Zeit, so erzählt Zava Rinpotsche, hätten sie ihren Vater aufgefordert, wieder zurück
nach Ulaan Baatar zu gehen, da sie nun als Mönche nicht mehr in der Obhut der Familie
leben wollten, sondern den Vorbildern der alten Mönche folgen. Unter jenen befanden sich
auch Gelehrte aus dem Gandan Kloster in Ulaan Baatar, das während der sozialistischen
Zeit nicht geschlossen worden war. Unter ihnen befanden sich seine ersten Lehrer, welche
ihn in den Wintermonaten unterrichteten, in denen Zeit für Studien blieb, weil das raue
Klima keine Renovierungsarbeiten gestattete. Im Jahr 1994 fand eine große
Eröffnungsfeier statt, zu der viele Vertreter der Gelug-Tradition aus dem Ausland
eingeladen wurden, wodurch sich u.a. die Verknüpfung zu dem tibetischen Exilkloster in
der Schweiz festigte. Zava Rinpotsche, der zu dieser Zeit noch Lobsang Dargayaa hieß,
war einer der ersten beiden Mönche, die 1996 in die Schweiz zur Ausbildung eingeladen
wurden. Die Zeit dort empfand er als besonders angenehm:
In Switzerland generally it was a great time, great! Because in Switzerland Rabten Choeling is such a nice
center and the Gurus are amazing. There is no word for the Gurus – Geschela [Gesche Thubten], they are all
36
In einem ersten langen Gespräch während einer Jeepreise erklärte er mir ausführlich das Beispiel einer
seiner Schwestern, die nicht den Ratschlägen ihres Vaters folgte („to break father’s speech“) und dadurch
mehrere Jahre in eine schwierige Lebenssituation geraten sollte, in der sie immer wieder auf die Hilfe ihrer
Brüder angewiesen war.
37
Weil Amarbayasgalant ein historisches Kloster ist – der erste Jetsündampa Khudugtu liegt darin bestattet –
fanden sich 1990 dort viele alte Mönche ein, um es schnellstmöglich wieder instand zu setzen.
57
Guru. And the life condition is on a very high level: food, accommodation, everything is so comfortable (ZR2:
17).
Aufgrund des hohen Lebensstandards dort konnte er sich voll und ganz seinen Studien
widmen. Als einen weiteren entscheidenden Vorteil gegenüber seinem Heimatkloster gab
er an, dass sie in der Schweiz nur selten Arbeiten wie Putzen, Kochen usw. für das Kloster
verrichten mussten, was ebenfalls mehr Zeit für das Studieren übrig gelassen habe. Es
bestehe allerdings die Gefahr, von all dem Luxus wie Fernsehen, Kino, Fußball etc
abgelenkt zu werden. Könne man sich jedoch konzentrieren, dann sei Rabten Choeling
„the best place to study“ (ZR2: 17).38 Er gab an, in den insgesamt viereinhalb Jahren, die er
in Europa verbrachte, nur zweimal im Kino gewesen zu sein 39. Während dieser Zeit legt er
auch die vollen Mönchsgelübde in dem Kloster Tashi Rabten in Österreich ab. Seine
beiden Hauptlehrer dort, Gonsar Rinpotsche und Gesche Thubten, erinnern sich an ihn als
einen sehr entschlossenen, eifrigen Studenten. Da er wusste, dass ihm nur wenige Jahre für
das Studium in der Schweiz zur Verfügung stehen würden, nahm er zusätzlich zu dem
normalen Unterricht noch Privatunterricht bei Gesche Thubten, welcher die Position des
„teaching-master“ inne hat.
Als er dann im Jahre 2001 in die Mongolei zurückkehrte, wurde er selbst
„Lehrbeauftragter“
(teaching
master)
für
Amarbayasgalant40.
Er
gründete
das
Unterstützungsbüro „Amar Mur“ in Ulaan Baatar und nahm weitere Aktivitäten auf, die im
Kapitel 5.4 genauer beschrieben werden. Eine einschneidende Veränderung seiner Rolle
sollte sich ereignen, als er 2003 zum Tulku bestimmt wurde.
5.3 ...und sein Vorgänger - Entdeckung als Tulku
In Tibet und in der Mongolei wurden die Wiedergeburten großer Meister wenige Jahre
nach ihrer Geburt von einer Delegation aus Vertrauten des Vorgängers gesucht. Mit dem
Tode des achten Jetsündampa Khudukhtu endete diese Tradition im Jahre 1924 in der
38
Diese Meinung teilten alle von mir befragten mongolischen Mönche, die in der Schweiz studierten.
Einmal habe er sich einen Zeichentrickfilm und einmal einen James-Bond-Film angeschaut, beide Male sei
dies im Zusammenhang von einem Ausflug, der zusammen mit den Lehrern stattfand, erfolgt.
40
Im Kloster herrschten jedoch Rivalitäten und Uneinigkeiten, so dass die Stellung Zava Rinpotsches nicht
unangefochten war. Ich wurde allerdings gebeten, keine konkreteren Details öffentlich zu machen. Eine
umfassende Analyse des Konflikts war mir auf Grund der mangelnden Sprachkenntnisse nicht möglich. Ein
konkurrierender (englischsprechender) Mönch verstrickte sich allerdings in erhebliche Widersprüche, als er
Zava Rinpotsches Position strittig machte. Persönliche Rivalitäten und (nach Einschätzung dritter
Informanten) Eifersüchteleien sind für den Werdegang der Lebensgeschichte auch nicht weiter von Belang.
39
58
Mongolei. Im Jahre 2003 wurde erneut ein Tulku bestimmt: Lobsang Dargayaa wurde zur
Wiedergeburt des Zava Damdin ernannt. Im Folgenden werden zunächst einmal die
Geschehnisse dieser Ernennung wiedergegeben, wie sie sich dem Verfasser nach
Gesprächen mit Zava Rinpotsche und weiteren Personen darstellten. Mit Zava Rinpotsche
ist immer der Mönch und Hauptinformant dieser Arbeit gemeint. Zava Damdin hingegen
ist die Bezeichnung für seinen Vorgänger – ein gelehrter Gesche, der um die
Jahrhundertwende ins Zwanzigste Jahrhundert in der Mongolei lebte.41
5.3.1 Eigen- und Fremddarstellung des Rollenwechsels anlässlich der
Ernennung zum Tulku
Als Lobsang Dargayaa zusammen mit anderen Mönchen im Jahre 2003 ein anderes Kloster
besuchte um eine bestimmte religiöse Zeremonie durchzuführen, ahnte er nicht, in welche
Ereigniskette der Verzehr eines „Momos“ – eine Art tibetischer Maultasche – verstrickt
sein sollte. Im Laufe der dort abgehaltenen Zeremonie aß Lobsang Dargayaa ein solches
Momo und in Folge dieses Verzehrs erkrankte er an einer Lebensmittelvergiftung, von der
er sich zehn Tage lang nicht richtig erholen konnte. Er zog sich zur Genesung in die
Wohnung seiner Mutter zurück, um keine weiteren Personen durch seine Krankheit zu
beunruhigen. Währenddessen ereignete sich jedoch etwas Außergewöhnliches in Indiana,
USA. Dort erschien eine Gottheit spontan und außerhalb von Zeremonien in dem Körper
eines Mönches und sprach über Ereignisse in der Mongolei. Die Gottheit war Zetapa, eine
tibetisch-mongolische Schutzgottheit, die als Dharma-Beschützer bezeichnet wird. Der
Mönch war das übliche Orakel42von Zetapa, der in einer bestimmten Verbindung mit der
Gottheit steht, welche in dafür bestimmten Ritualen in seinen Körper eingeladen wird um
auf diese Art Weissagungen machen zu können und Ratschläge zu geben.
41
Literatur über Zava Damdin in einer westlichen Sprache ist dem Verfasser nicht bekannt, tibetische und
mongolische Schriften von und über ihn seien innerhalb der Gelug-Tradition sehr bekannt, wie die
Informanten berichten. Als eine Quelle über den Autor der „weissen Geschichte“ taucht Zava Damdin in
Sagaster (1976) auf (S.53).
42
In der emischen Sichtweise werden solche Besessenheitsrituale, in denen eine Gottheit in den Körper eines
Mönches eingeladen wird, als Orakel bzw. engl. „envocation of the oracle“ bezeichnet (siehe dazu Schüttler
1971: 68-81).
59
Abb.5 Schutzgottheit Zetapa: dessen Orakel hat Zava Rinpotsche als Tulku bestimmt.
60
Nachdem der Mönch in Trance gefallen war, teilte die Schutzgottheit mit, dass Lobsang
Dargayaa, den er namentlich erwähnte, die Wiedergeburt von Zava Damdin sei, in der
Mongolei lebe und zu dieser Zeit schwer erkrankt sei. Für seine Gesundheit sei es dienlich,
ihn so schnell wie möglich zum Tulku zu ernennen und die dementsprechenden
Zeremonien durchzuführen. Der Kontakt in die Mongolei solle über einen bestimmten
Gesche, der in Indien lebte, zustande kommen, teilte die Schutzgottheit Zetapa durch ihr
Orakel weiterhin mit. Dem Gesche in Indien wurden dann alle relevanten Informationen
mitgeteilt, woraufhin dieser bereits wenige Tage später mit einem offiziell versiegelten
Brief seiner Gesellschaft, der Dorje Shugden Society, in die Mongolei reiste. Diesen Brief
übergab er an Guru Deva Rinpotsche, den prominentesten Vertreter des Buddhismus in der
Mongolei. Guru Deva Rinpotsche, der schon immer den Verdacht hegte, dass Lobsang
Dargayaa nicht nur ein gewöhnlicher Mönch, sondern die Wiedergeburt irgend eines
großen Meisters sei, veranlasste dann die notwendigen Zeremonien für die Ernennung zum
Tulku. Diese beinhalteten unter anderem eine zeremonielle Reinigung durch das Offerieren
eines Bades, die Darbringung von Mandalas sowie die Übergabe bestimmter Kleidung und
Reliquien des Vorgängers. Eine weitere Bestätigung Lobsang Dargayaas als Wiedergeburt
von Zava Damdin erfolgte durch zwei Orakel von Dorje Shugden, einer anderen tibetischmongolisch buddhistischen Schutzgottheit. Zava Damdin, der Vorgänger, stand in enger
Verbindung mit diesen beiden Gottheiten, woraus sich diese Geschehnisse ableiten lassen.
Zetapa war die persönliche Schutzgottheit von Zava Damdin und auch der Beschützer, wie
solche Schutzgottheiten genannt werden, von dessen Kloster in der Mittelgobi, wie Gonsar
Rinpotsche in einem Interview berichtete.
Im tibetischen Buddhismus spielt die Befragung solcher Orakel eine besondere Rolle – vor
wichtigen Entscheidungen werden oft die Orakel der Schutzgottheiten befragt, so wurde
beispielsweise vor der Flucht des Dalai Lama aus Tibet ein Orakel befragt. 43 Auch im Exil
ist die Befragung von Orakeln zu wichtigen Anlässen nach wie vor eine gängige Praxis
geblieben.44 Notwendig dafür sind speziell ausgebildete Mönche, die mit der jeweiligen
Schutzgottheit in einer besonderen Verbindung stehen.45Der besagte Mönch, der zur Zeit
der Weissagung über Zava Damdins Wiedergeburt in einem Zentrum in Indiana lebte,
wurde erst im Exil zum Orakel ausgebildet und die Tatsache, dass die Schutzgottheit für
43
Im Zuge einer seit den 1990er Jahren verstärkt auftretenden Streitigkeit um die Schutzgottheit Dorje
Shugden wurde diese Orakelbefragung innerhalb der tibetischen Exilgemeinde kontrovers diskutiert.
Streitpunkt ist im Nachhinein u.a., welche Gottheit es gewesen sein soll. (Siehe dazu Gassner 1999).
44
Dies berichteten die Informanten für diese Arbeit und auch der Verfasser selbst konnte mehrmals solche
Befragungen beobachten.
45
Das Fortbestehen der Tradition der Orakel-Befragungen widerspricht der Annahme Schüttlers (1971), der
anlässlich einer Untersuchung solcher Mönche ein baldiges Ende dieser Praxis im Exil prophezeite (S.1).
61
diese Weissagung ohne die entsprechende Zeremonie ‚erschien’, wertet durch die
Besonderheit des Ereignisses dieses auf.
Seitdem Lobsang Dargayaa den Namen Zava Rinpotsche erhielt, hat sich seine Rolle
deutlich verändert. Vorher war er ein Mönch in einer gehobenen Position, der
verantwortlich für die Ausbildung in dem Kloster Amarbayasgalant war und sich um die
jungen Mönche kümmerte. Nach der beschriebenen Ernennung zur Wiedergeburt eines
bedeutenden Gesches der Mongolei kamen ihm völlig neue Aufgabenbereiche zu. Er
wurde zu großen Feierlichkeiten ihm zu Ehren in die Region in der Mittelgobi eingeladen,
aus der sein Vorgänger stammte und in der er ein Kloster leitete. Als er in der
Menschenmenge dort die alten Leute sah, die Schüler seines Vorgängers waren,
reflektierte Zava Rinpotsche einmal in einem Gespräch, sei ihm erst so richtig klar
geworden, dass er nicht nur einen Namen übernehme, sondern auch die Verpflichtung, an
dem Lebenswerk seines Vorgängers anzuknüpfen. Aus dieser Verpflichtung heraus begann
er, an der Stelle der Ruinen einen neuen Tempel zu errichten. Doch bleibt die Bedeutung
seines neuen Namens nicht nur auf diese Region beschränkt. Sein Vorgänger war in der
ganzen Mongolei bekannt gewesen, er studierte in der Hauptstadt, unterrichtete an
mehreren Orten. Darüber hinaus verfasste er Schriften, die in der Mongolei und in Tibet
hohe Berühmtheit erfahren haben. Zava Rinpotsche wurde mittlerweile schon in mehrere
Regionen eingeladen, vor allem zu der Ost- und Südgobi bestehen starke Verbindungen
durch seinen Vorgänger.
Auch in Ulaan Baatar fallen ihm neue Aufgaben zu. Insgesamt gibt es nur drei Tulkus in
der Mongolei, von denen einer er selbst und einer sein Lehrer Guru Deva Rinpotsche ist,
weswegen ihm zunehmend repräsentative Aufgaben zu kommen. Beispielsweise als im
Jahre 2003 ein prominenter Vertreter der tibetischen Exilgemeinde die Mongolei besuchte,
begleitete er diesen während der gesamten Zeit seines Aufenthaltes und übersetzte die
Unterweisungen und Einweihungen, die dieser in der Öffentlichkeit gab, vom Tibetischen
ins Mongolische. Darunter war auch eine Großveranstaltung in Ulaan Baatar in einer Art
Stadthalle (UB-Palace) und Pressekonferenzen mit Fernsehen etc.. Innerhalb dieser
Glaubensgemeinde kommt ihm als „Rinpotsche“ eine Schlüsselfunktion zu. Aber auch in
Ulaan Baatar wenden sich nun viele Personen an ihn als einen buddhistischen Meister.
Traditioneller Weise sind dies auch „Laien“, die ein ganz normales weltliches Leben
führen und in schwierigen Lebenssituationen um Rat fragen.
62
Abb.6 Pressekonferenz: Zava Rinpotsche übersetzt für Trijang Choktrul Rinpoche bei dessen Besuch 2003.
Abb.7 Orakelbefragung: Zava Rinpotsche übersetzt die Reden des in Trance gefallenen Orakel-Mönches.
63
So sieht er sich mit der Aufgabe konfrontiert, auf Anfragen solcher ‚Schüler’ oder
‚Anhänger’ hin Weissagungen zu machen, die sich mitunter auf folgenschwere
Entscheidungen in Medizin, Politik und Wirtschaft beziehen. Viele Personen bitten auch
um Gebete und Zeremonien, um für alltägliche Probleme und Sorgen günstige Umstände
zu erwirken. Fragen im Bezug auf Lehre und Anwendung des Buddhismus, sofern sie
auftauchen, beantwortet Zava Rinpotsche gerne in seiner neuen Rolle als Lehrer.
Aufgrund der vielfältigen Verpflichtungen sei es, dass er so viel reisen müsse, seit er zum
Tulku ernannt wurde. Vorher verbrachte er die meiste Zeit im Kloster Amarbayasgalant.
Auch die Geburtstage feierten sie erst, seit er Tulku sei, sagte Zava Rinpotsche nahezu
entschuldigend bei einer kleinen Geburtstagsfeier im Hause seiner Mutter. Innerhalb der
Familie wird Zava Rinpotsche wie ein Juwel gehegt und gepflegt. Stolz berichtete die
Mutter, wie andere Leute in Peking und China sie als „Mutter eines Buddha“ bezeichneten.
Seine Schwester meinte, durch die Ernennung zum Tulku habe er sich kaum geändert,
seine Aktivitäten hätten schon vorher bestanden, es seien lediglich neue Aufgaben
dazugekommen. Seit seine Mutter aufgrund der hohen Kinderzahl von zehn
frühpensioniert wurde, widme diese sich voll und ganz der Unterstützung des Klosters und
des Anliegens ihres Sohnes. Und sein Bruder verdeutlichte, dass er stolz darauf sei, der
Bruder eines Tulku zu sein. Zava Rinpotsche sei zwar manchmal etwas streng, aber er
bewundere seine Entschlossenheit und achte seine Hingabe an das Dharma. Zum Vergleich
nennt er einen jungen Tulku der tibetischen Exilgemeinde, der seine Mönchsgelübde
zurückgegeben habe und ein weltliches Leben führe, was er als skandalös erachte. Die
beiden Brüder machen fast alles gemeinsam, Bilguun ist auch Zava Rinpotsches Fahrer
und somit immer bei allen Anlässen dabei. In der Familie ist Zava Rinpotsche das
Oberhaupt geworden, alle machen, was er sagt, und für wichtige Entscheidungen wird er
gefragt. In Gesprächen über ihn nennt seine Familie ihn lediglich „Rinpotsche“, seinen
Ehrentitel ohne weitere namentliche Zusätze. In der Wohnung in Ulaan Baatar haben sie
ihm eine Klingel eingerichtet. Läutet er diese, eilt jemand zu ihm und fragt, wie man ihm
helfen könne. Das Annehmen einer solchen Position, die ihm seine Familie angeboten
hatte, bestätigt auch das Annehmen einer dominanten Rolle. Diese wird, wie so vieles,
damit begründet, so besser den Lebewesen dienen zu können, bestätigt aber durchaus eine
alltägliche Annahme der gehobenen Position, die den an anderer Stelle geäußerten
reflektorischen (Selbst-) Zweifeln zuwider läuft.
Auch innerhalb des beforschten Verbundes der exiltibetischen Glaubensgemeinschaft
genießt Zava Rinpotsche durchaus ein Ansehen. In Gesprächen mit seinen Lehrern
sprechen diese sehr respektvoll von dem zum Zeitpunkt der Gespräche noch relativ frisch
64
ernannten Tulku. In den Vorgesprächen zu der Feldforschung betonte Gonsar Rinpotsche,
dass Zava Rinpotsche sich zu einem guten „Rinpotsche“ (tib. für kostbares Juwel)
entwickelt habe und er ihn als kompetent erachte. Er hat ihn als einen sehr entschlossenen,
eifrigen Studenten in Erinnerung:
Als er hier war, war er noch nicht als Tulku anerkannt, aber er war ein sehr intelligenter Student, sehr ernsthaft
und hatte ein gutes Verhalten. In der kurzen Zeit hat er durch seine starken Bemühungen sehr viel gelernt und
auch viele positive Eigenschaften entwickelt. Als er dann als ein Tulku entdeckt wurde, habe ich das als sehr
passend empfunden (GR:14).
Auch der in Kanada lebende Exiltibeter Zasep Rinpotsche ist von der Authentizität Zava
Rinpotsches als Tulku überzeugt.
I do trust Dorje Shugden and Zetapa. Also, when I am spending time with Zava Rinpotsche I can feel his
devotion and I don’t have any doubt that he is a genuine Tulku (ZTR: 10).
Er hob besonders dessen soziale Kompetenz hervor und betonte seine Entschlossenheit und
seine Sprachkenntnisse. Dass Zava Rinpotsche literarische Gedichte auf Tibetisch an seine
Meister schreibt, wertete er ebenfalls als Indiz dafür, dass er die Wiedergeburt eines
Meisters ist, da diese Gedichte eine besondere Qualität hätten. Beide wie auch der in der
Schweiz lebende Gesche Thubten sehen ein großes Potential darin, dass Zava Rinpotsche
eine solche Rolle übernommen habe. Dies ermögliche eine vielversprechende
Revitalisierung des Buddhismus in der Mongolei, jedoch, und darin sind sich alle einig,
müsste sich Zava Rinpotsche in dieser Aufgabe erst behaupten. Als Tulku habe er
besondere Rechte und Möglichkeiten in der Glaubensgemeinde, doch dass er die
Aktivitäten seines Vorgängers auch fortführen kann, muss er allein in diesem Leben unter
Beweis stellen. In Anbetracht des Lobes, den alle interviewten Lehrer ihrem Schüler
entgegenbrachten, erwarten sie mit Zuversicht dessen Taten.
5.3.2 Detailbetrachtungen der Selbstwahrnehmung
In dem Interview über seine Entdeckung als Tulku verglich Zava Rinpotsche sich mit
seinem Vorgänger:
65
Generally Zava Damdin is a Living Buddha, he is a great scholar of Mongolia and even his scriptures are very
famous for all of the Gelug-Tradition. That is why, if you compare Zava Damden and me, then this is like day
and night. Then I feel like this: I’m like the night but Zava Damdin is like day (ZR2:10).
Diese Aussage spiegelt mehrere typische Problematiken wider, die sich in Gesprächen mit
Tulkus ergeben. Bärlocher (1982) fand in seiner ausgiebigen Untersuchung unter Tulkus
heraus, dass diese in Selbstbeschreibungen dazu neigen, „die eigene Person und ihre
Bedeutung so weit herunterzuspielen wie nur möglich“ (1982: 96). Eine solche Tendenz ist
generell innerhalb der buddhistischen Glaubensgemeinde zu finden. Dieses „obligatorische
Understatement“ gestaltet sich jedoch in einer biographischen Erzählung, wie sie durch die
Interviewsituation im Rahmen einer Feldforschung herbeigeführt wird, zu einem Dilemma,
da ja auf der anderen Seite das Interesse besteht, alles Mögliche zu tun, um die Lehre zu
erhalten und zu verbreiten und ein konsequentes Herunterspielen der eigenen Person kein
zufriedenstellendes Bild für den Wiederaufbau des Buddhismus in der Mongolei abgäbe.
Um dennoch etwas Positives über die eigene Person berichten zu können benutzte Zava
Rinpoche in seiner Erzählung einen rhetorischen Umweg, indem er berichtete, was andere
Leute über ihn erzählten, bzw. wie andere Leute auf ihn reagierten. Davon nannte er
mehrere Beispiele bei unterschiedlichen Gelegenheiten. Besonders geehrt fühlte er sich
durch den Respekt, den ihm seine Lehrer entgegenbrachten. Schon früh, so erzählte er,
habe sein erster Lehrer aus dem Kloster Gandan in Ulaan Baatar ihn zu sich auf den Thron
genommen, wenn er mehreren jungen Mönchen die tibetische Schrift unterrichtete, auch
als er für seinen Studienaufenthalt in die Schweiz flog, wurde er bereits am Flughafen
ehrenhaft von einem Gesche empfangen und nicht, wie er erwartet hätte, von einem
einfachen Mönch abgeholt. Ein weiteres Beispiel, das Zava Rinpotsche bei einem anderen
Anlass nannte, sind die tibetischen Gedichte, die er an seinen Meister schreibt. Diese
knüpfen an eine tibetische Tradition an und sind in Versen in einer besonderen
Ausdrucksweise geschrieben. Ein Mönch aus dem Kloster Gandan in Ulaan Baatar bestritt,
dass Zava Rinpotsche die Fähigkeit habe, solche Texte in der traditionellen tibetischen
Sprache zu verfassen und bezichtigte ihn deshalb, diese in Tibet von einem Ghostwriter
schreiben zu lassen um sie dann als die eigenen zu präsentieren. Den Vorwurf wertete er
als Kompliment für seine Gedichte.
Trotz der „Fremdkomplimente“, die er in den Erzählungen einbaut, zieht sich das
Geringschätzen der eigenen Person wie ein roter Faden durch das Interview, wodurch sich
eine Ambivalenz auftut:
For me it’s a very heavy thing, because all my Gurus always had respect for me. Somehow I feel that but I
always take down myself of course. I’m like nobody, somehow, but my teachers loved me so much (ZR2: 13).
66
Bei diesem Understatement handelt es sich jedoch nicht nur um ein rhetorisches Mittel,
sondern es ist Ausdruck einer buddhistischen Geistesschulung. In tantrischen
Anwendungen gilt das Geheimhalten der persönlichen Fortschritte und Erkenntnisse als
eine Vorraussetzung dafür, weitere Erkenntnisse zu erzielen (Gonsar Rinpotsche 2004: 93).
Das Überwinden von Egoismus und das Wertschätzen aller Lebewesen sind zentrale
Bestandteile buddhistischer Übungen (siehe Dalai Lama 1993: 206; Rabten 1997: 189),
weswegen solche Äußerungen Ausdruck einer grundsätzlichen Einstellung der
Wertschätzung anderer sein können und nicht als ein „fishing for compliments“
missverstanden werden dürfen.
Es war im Gesprächsverlauf eine Ambivalenz im Selbsterleben der Rolle erkennbar,
welche sich immer deutlicher herauskristallisiert hatte. Mit dem lang andauernden
Interview, das nachts in einer Jurte in der Gobi geführt wurde, entstand eine vertraute
Atmosphäre, die eine derartige Selbstreflexion begünstigte. Erst im Verlauf des
Gespräches zeichneten sich nach und nach zweifelnde Blickwinkel auf die eigene Aufgabe
ab. Zava Rinpotsche beteuerte, dass er selbst nie von sich behaupten würde, er sei ein
Tulku, doch weil er von den Schutzgottheiten und seinen Lehrern dazu ernannt wurde,
fühlt er sich dazu verpflichtet, sein Schicksal anzunehmen:
„Then if the Gurus and our protectors determined that I am Zava Damdin’ Tulku, then I have to accept it and I
have to follow the Gurus’ speech and I also have to continue Zava Damdin’ activities. [...] This is a very big
responsibility and it is not easy, it’s hard to accept it. Once I told to one of my Gurus that it’s impossible to
accept, but this Guru said ‘you have to accept it’ “ (ZR2: 10-11).
Als er sein Schicksal einmal angenommen hatte, ergäbe in der Retrospektive wieder
einiges Sinn, wie beispielsweise die Treffen mit den alten Mönchen und der Umstand, dass
er ein braves Kind war, in der Schule sehr zurückgezogen, und dass er sich stets auf das
Dharma konzentrieren wollte. Durch die Ernennung zum Tulku und durch den Segen, den
er dadurch erhalten habe, fühle er sich stark und habe keine Angst vor Hindernissen.
Sein größtes Leiden bestehe darin, dass er zu wenig Ausbildung erhalten habe: „At the
moment my biggest suffering is because of education, because I have no education“ (ZR2:
19). Das beschriebene Leiden spiegelt die generelle Situation des heutigen Buddhismus in
der Mongolei wider, und es hängt auch damit zusammen, dass er erst so spät zum Tulku
ernannt wurde. Ginge es nach ihm, so versicherte er in anderen Gesprächen, studierte er
am liebsten in Rabten Choeling in der Schweiz, wo so viele gelehrte Meister leben. Aus
Respekt vor seinen Meistern und um den Bitten der Menschen, die seinen Vorgänger
67
kannten, Genüge zu leisten, nehme er seine Aufgabe wahr. Der Respekt vor seinen
Meistern und der Respekt, den er seinem Vorgänger gegenüberbringt, werten seine
Situation in seinen Darstellungen wieder auf. In Zeiten, in denen die tantrischen
Anwendungen
überhand
genommen
hatten
und
die
Philosophischen
Schulen
vernachlässigt wurden, habe sein Vorgänger dafür gesorgt, dass bei der Ausbildung in dem
Kloster wieder gemäß der Überlieferung zuerst die Philosophischen Schulen unterrichtet
werden. An diese Tradition wolle er anknüpfen und in dieser Weise das Kloster in der
Mittelgobi aufbauen. Man könnte an dieser Stelle eine Parallele zu dem berühmten
Reformator und Begründer der Gelug-Tradition Je Tsonkhapa in Tibet sehen, der ebenfalls
in Zeiten der Degeneration wieder ein tantrisches System errichtete, das großen Wert auf
klösterliche Disziplin und philosophische Studien legt (Schulemann 1958: 114). Ein solch
implizierter Vergleich wertet die Tätigkeiten des Vorgängers Zava Damdin ungemein auf.
Das Vertrauen auf die Meister und das Anwenden der Übungen, die sie ihn lehrten, bieten
einen Ausweg aus dem Dilemma der mangelnden Ausbildung. Deutlich wird dies an dem
Beispiel der Weissagungen, um die er oftmals gebeten wird. Diese mache er nicht selbst,
sondern durch eine spirituelle Verbindung, die durch Einweihungen und vorbereitende
Übungen erzeugt wurde, helfen der Meister und die Meditationsgottheiten, die
Weissagungen zu machen. Die einzelnen Vorgänge eines solchen „Mo“, wie diese
Weissagungen genannt werden, zu beschreiben, würde an dieser Stelle zu weit von dem
Thema abführen. Jedoch sei ein Punkt verdeutlicht, der das Selbstverständnis
widerspiegelt. Um diese Übungen durchführen zu können, nehme Zava Rinpotsche zuerst
Zuflucht zu den drei Juwelen und führe bestimmte Meditationen mit einer Gottheit durch.
Die Meister, die Buddhas, Bodhisattvas und die Meditationsgottheiten lade er in der
Meditation ein:
All these come together and come to me. Then they give their blessing and the Guru is in my heart. Then my
Guru is doing this [Mo], not me. I just pray and concentrate like this (ZR2: 24).
Denn die Weissagungen, die er macht, sind unter Umständen sehr folgenschwer („very
dangerous“), da die Mongolen sehr gläubig seien. Was er sage, würden sie tun. Gefragt
werde er oft zu persönlichen, familiären Angelegenheiten, aber auch beispielsweise, ob es
ratsam sei, eine schwierige Operation durchführen zu lassen, einen bestimmten Job
anzunehmen oder eine Firma aufzukaufen. Diese Verantwortung könne er persönlich nicht
übernehmen, doch zwängen ihn solche Fragen auf der anderen Seite zu Antworten, da er
die Leute nicht „im Stich lassen“ könne.
68
But I am not skilled for that. But it’s very difficult. If someone asked, then if I say I don’t know, then I just
break their wish, because everyone wished: ‘Oh, visit Zava Damdin Rinpotsche and ask something (ZR2: 22).
Dieser Verantwortung könne er sich nicht entziehen, wenn er den Buddhismus wieder in
die Gesellschaft integrieren wolle.
Mit dem Vertrauen auf seine Meister sei es dann wichtig, Initiative zu ergreifen:
When we make something, then we recognize what is wrong, what is right, which is good, which is bad, which
is fool, which is skill, we just recognize. If we don’t do any experience, if we don’t do any practice, then we
don’t know, which is good, which is bad, which is right, which is wrong. It is the point, I think (ZR2: 27).
Es war seine Entschlossenheit und seine Hingabe an das Dharma, was seine Lehrer an
Zava Rinpotsche lobend hervorgehoben hatten. Die Ansicht, dass er sich in seiner Rolle
behaupten muss, teilt er mit seinen Lehrern. Und trotz aller Zweifel und Skepsis gab Zava
Rinpotsche das Bild eines jungen Mannes ab, der sehr wohl gewillt ist, solch schwierige
Aufgaben anzugehen. Dementsprechend erzählte Zava Rinpotsche seine Lebensgeschichte
so, dass sie voller Elemente ist, die retrospektiv seine Ernennung zum Tulku schlüssig
machen. Die beschriebenen Selbstzweifel wurden in ihrer komplexen Konstellation
erörtert. Sie treten besonders deutlich im Bezug auf die eigene Ausbildung hervor. Dieser
Umstand spiegelt einen Aspekt der aktuellen Situation des Buddhismus in der Mongolei
wider.
5.4 ... und seine Arbeit – Revitalisierung des Buddhismus aus der
Handlungsperspektive
Im Folgenden werden drei Betrachtungspunkte der Revitalisierung in konkreter
Handlungsperspektive des Protagonisten dargestellt. Nachdem Zava Rinpotsche im Jahre
2000 aus der Schweiz zurückkehrte, begann er damit, neue Projekte zu starten um den
Buddhismus in der Mongolei zu reinstallieren. Schon bevor er als Tulku entdeckt wurde,
hatte er eine gewisse Verpflichtung zum Handeln durch die Ausbildung, die in ihn
„investiert“ wurde. Er gründete Amar Mur, ein Büro in Ulaan Baatar, das konkrete
Unterstützungsarbeiten koordinierte. Durch die Verpflichtung als Tulku begann er mit dem
Wiederaufbau eines Klosters in der Mittelgobi, und auch in Ulaan Baatar fielen ihm neue
Aufgaben und Verpflichtungen durch und für seine Schüler zu.
69
5.4.1 Erster Versuch der Etablierung einer Struktur: die NGO Amar Mur
Am 25. Mai 2002 eröffnete Zava Rinpotsche im Zentrum von Ulaan Baatar offiziell das
Büro seiner neu gegründeten Nichtregierungsorganisation Amar Mur : Amar Mur Centre
for training and external relations of Amarbayasgalant Monastery, wie es die
Internetpräsenz betitelt (Amarbayasgalant 2005a). Das Zentrum besteht aus einem
Büroraum und einem Seminarraum und ist mit einer Voll- und einer Teilzeitstelle besetzt.
Zu den Aufgabenfeldern, die er mit dem Büro abdecken möchte, gehören karitative,
repräsentative und koordinative Funktionen im Zusammenhang mit dem Kloster
Amarbayasgalant.
In
der
Selbstdarstellung
im
Internet
werden
die
Aufgaben
folgendermaßen beschrieben:
to provide information on Buddhist teachings for the public, to expand the external relationship of
Amarbayasgalant monastery, to improve the educational level of monks of Amarbayasgalant monastery, to
broaden research work on Buddhism and to support the development of society and individuals by regularly
organizing charity works for vulnerable people (Amarbayasgalant 2005a).
Einen Großteil der alltäglichen Aktivitäten seiner Mitarbeiter beanspruchen die karitativen
Aufgaben. Amar Mur sponsort und betreut die Ausbildung von ca. 10 Jungen und 10
Mädchen, die entweder Waisen sind oder deren Familien ihnen keine Schulbildung
ermöglichen können. In Amarbayasgalant leben ca. 16 Waisen, die auf diese Weise von
Amar Mur betreut werden, 8 gab es schon vor der Gründung von Amar Mur und 10
weiteren wurde ein Leben im Kloster angeboten. Zwei von ihnen entschieden sich jedoch,
wieder in das Waisenhaus zurückzukehren. Zava Rinpotsche ließ einen pensionierten
Lehrer finden, der für die elementare Schulbildung der jungen Mönche sorgt. Finanzielle
Unterstützung erhält das Projekt aus Österreich. Es werden nicht nur die Jungen in den
Klöstern unterstützt, sondern auch Kinder, hauptsächlich Mädchen,46 in Ulaan Baatar. Dort
kümmern sich seine Mitarbeiterinnen, eine davon war selbst einmal Lehrerin, um die
Schulbildung. Es handelt sich dabei um Mädchen, die aus Familien stammen, in denen sie
keine
Möglichkeit
hätten,
die
Schule
zu
besuchen,
weil
sie
sich
keine
Unterrichtsmaterialien und auch keine adäquate Kleidung leisten könnten. Mit der NGO
versucht Zava Rinpotsche, für die betreuten Personen eine Chancengleichheit herzustellen,
46
Nachdem zwei Mönche aus Amarbayasgalant wieder in das Waisenheim zurückkehren wollten, hatte
Amar Mur zwei Jungen in Ulaan Baatar in das Schulförderungsprogramm mitaufgenommen.
70
indem sie alles Notwendige für den Schulbesuch organisiert bekommen. Ein solcher
Aspekt der praktischen Hilfeleistung wird von Kritikern des Buddhismus von diesem
öfters gefordert. Die Arbeit, so berichtet die Mitarbeiterin Gerlee, beschränke sich nicht
nur auf die Kinder, sondern schließe die jeweiligen Familien mit ein, die durch
Alkoholismus und Verwahrlosung gekennzeichnet seien. Die Kinder würden dann zu
Hoffnungsträgern für die ganze Familie, sofern sie nach der Schule eine Arbeit finden. Zu
Beginn hatte das Projekt zehn Jungen und zehn Mädchen, schrittweise wurde versucht,
neue Sponsoren für begabte Kinder zu finden und das Projekt auszuweiten. In dem
Seminarraum von Amar Mur findet regelmäßig freiwilliger zusätzlicher Unterricht statt,
der von ehrenamtlichen Lehrern angeboten wird.
Ein weiteres Anliegen von Amar Mur, welchem Zava Rinpotsche als dessen Gründer
vorsteht, ist es, die Hilfe aus dem Ausland zu koordinieren. Zasep Rinpotsche sponsorte
mit Hilfe seiner Schüler beispielsweise die Grabung eines Brunnens in Amarbayasgalant,
da kein fließendes Wasser in dem Kloster vorhanden war. Solche und ähnliche Projekte
werden durch das Büro organisiert, koordiniert und kontrolliert. Nachdem ein Projekt
erfolgreich war, wird den Sponsoren ein Feedback gegeben, Bilder versandt etc..
Obwohl es eine Organisation des Klosters Amarbayasgalant ist, bleibt das Wirken nicht
auf den religiösen Bereich beschränkt. Ein medizinisches Hilfsprojekt aus Österreich
unterstützte Zava Rinpotsche mit Hilfe von Amar Mur. Die jungen Ärzte und Pfleger
arbeiteten ein halbes Jahr in der Mongolei, statteten Intensivstationen aus, lernten Personal
auf die medizinischen Geräte ein, brachten sogar einen ganzen Rettungswagen nach Ulaan
Baatar. Amar Mur half bei der Organisation im Vorfeld, knüpfte Kontakte, organisierte
Übersetzer und betreute die Österreicher während der ganzen Zeit ihres Aufenthaltes.
Amar Mur versucht also, ein internationaler Ansprechpartner zu sein.
Des weiteren werden von Zeit zu Zeit öffentliche Unterweisungen über Buddhismus
organisiert und abgehalten. Der Seminarraum steht jederzeit als Meditationsraum zur
Verfügung. Mönche und Nonnen, die in Ulaan Baatar zu Besuch sind, können dort
übernachten. Eine kleine Bücherei dort beinhaltet buddhistische Literatur in verschiedenen
Sprachen und ist ebenfalls öffentlich zugänglich.
71
Abb.8 Amar Mur: Eine Mitarbeiterin im Büro.
Abb.9 Meditationsraum: Meditationsraum von Amar Mur.
72
Der Schwerpunkt im Bezug auf die buddhistische Lehre liegt jedoch auf der Koordination
von Unterweisungen und dem Einladen buddhistischer Lehrer aus dem Ausland. Im
Rahmen einer pragmatischen Vielseitigkeit hat Amar Mur buddhistische Kinderbücher
veröffentlicht, eine Tätigkeit, auf welche die interviewte Mitarbeiterin besonders stolz war.
Mit der Gründung dieser NGO zeichnete sich bereits eine Modifizierung des Buddhismus
in der Mongolei ab, die über den Wiederaufbau des Buddhismus hinausgeht. Einerseits
bildete sich dadurch eine transnationale Struktur und andererseits geht der Buddhismus
einer sozialen Verantwortung nach.
5.4.2 Anknüpfen am Lebenswerk seines Vorgängers: der Wiederaufbau
des Klosters Delgeruun Choira
Wie im vorangegangenen Kapitel beschrieben wurde, übernahm Zava Rinpotsche mit
seinem neuen Namen als Tulku auch die Verpflichtung an das Lebenswerk seines
Vorgängers anzuknüpfen. Auf Bitten der Bevölkerung widmete er sich als erstes dem
Wiederaufbau des Klosters seines Vorgängers, welches in der Mittelgobi gelegen ist. An
dieser Stelle baute er bereits einen ersten kleinen Tempel im gleichen mandschurischen
Architekturstil wie Amarbayasgalant. Das Kloster seines Vorgängers war so angeordnet,
dass bei einem Rundgang die einzelnen Tempel den Stufen des Weges zur Erleuchtung,
wie sie in den Lam-Rim-Texten der Gelug-Tradition beschrieben sind, entsprechen.
Letztendlich ist es sein langfristiges Ziel, nach und nach wieder eine solche Anordnung
aufzubauen. Das erste Bauwerk ist charakteristischerweise ein Tempel des Mandschuschri,
des Buddhas der Weisheit, da es Zava Rinpotsches höchstes Anliegen ist, die
Unterweisungen des Buddha in der Mongolei wieder zum Erblühen zu bringen, wie er
versicherte. Charakteristisch für den mandschurischen Baustil sind die dekorativen
Dachziegel, welche für den Tempel eigens aus China importiert wurden. Der 29- jährige
Mönch musste die Ziegel selber in China bestellen, den Transport von Peking nach Ulaan
Baatar organisieren, die Zollabfertigung abwickeln, was in der Mongolei ohne
Beziehungen kaum zu bewerkstelligen ist, Lastwagen mieten, die die Fracht von der
mongolischen Hauptstadt in einer Tagesreise über unbefestigte Straßen zu dem Tempel
fahren. Schließlich musste er Arbeiter anheuern, welche einen Tag lang damit beschäftigt
waren, den Inhalt des Containers auf die Lastwagen zu verladen etc..
73
Abb.10 Bau des Tempels: Delgeruun Choira.
Abb.11 Mandschurische Dachziegel: für den Tempel.
74
Abb.12 Historische Kulturgüter: Alte Mongolin überreicht Zava Rinpotsche Schriften seines
Vorgängers.
Abb.13 Wertvolle alte Schriften: in Gold verfasst und von der Bevölkerung im Geheimen erhalten.
75
Bei der Abwicklung des Transports traten unerwartete Probleme auf, denn ein Großteil der
Ziegel war nicht angemessen bepackt worden und kam deshalb in Ulaan Baatar bereits
beschädigt an. Also musste Zava Rinpotsche eine Reklamation veranlassen, neue Ziegel
bestellen usw. Auch das Anbringen der Ziegel war mit Komplikationen verbunden: Zwei
Tage lang suchte Zava Rinpoche zusammen mit einer Mitarbeiterin speziell ausgebildete
chinesische Handwerker. Als ein Team gefunden war, wurde ein Vertrag ausgehandelt,
jedoch erschienen diese nicht zu der Arbeit, woraufhin schlussendlich lokale mongolische
Arbeiter die Ziegel auf das Dach montierten. Was hier am Beispiel der Dachbedeckung
beschrieben wurde, zeichnete sich auch bei allen anderen Arbeiten ab: Der junge Mönch
war als Unternehmer tätig und musste sich dafür eigens eine Struktur aufbauen. Er stellte
sich Arbeiterteams für die unterschiedlichen Arbeiten wie Mauern, Schreinern,
Kunstmalerei zusammen, und war für deren Unterkunft, Verpflegung und Bezahlung
verantwortlich. Alles Arbeiten, die nicht zum alltäglichen Klosterleben gehören, aber getan
werden müssen. Dann tauchten ständig Probleme und unvorhergesehene Situationen auf.
Nicht immer kamen alle in Ulaan Baatar abgeschickten Materialien am Tempel an, und die
Arbeiten schritten deutlich langsamer voran, wenn Zava Rinpotsche nicht vor Ort war. All
dies erfordere ein strenges Auftreten, sagte dieser, als er sorgfältig Inventur machte. Mit
seiner Leitungsfunktion sind aber auch Problemlösungen gefragt, die deutlich schwieriger
sind, denn wie verhält sich beispielsweise ein buddhistischer Mönch, der sich nicht
aufregen soll und dessen Handeln von Erbarmen und Mitgefühl geprägt sein soll, wenn
eine vertrauter Mitarbeiter, der selbst einmal Mönch war, in China eintausend Dollar - für
die Mongolei eine durchaus beträchtliche Summe an Geld - nicht wie vorgesehen in
Materialien und deren Transport investiert, sondern im Nachtleben veruntreut? Diese Frage
diskutierte er beispielsweise mit einem befreundeten Geschäftsmann, der selbst mehrere
Firmen leitet, ausführlich bei einem Abendessen. Die rein geschäftlichen Ratschläge
schienen Zava Rinpotsche jedoch nicht so richtig zufrieden zu stellen, auch wenn er seiner
Rolle als Unternehmer gerecht werden muss.
Die Bevölkerung in der Provinz seines Klosters machte ihm hingegen eine Revitalisierung
des Buddhismus einfach. Deutlich zu spüren war eine gläubige Hingabe bei den Familien,
welche die Bauarbeiten unterstützen. Sie selbst schränkten sich in ihrem Lebensstandard
ein, um Jurten für die Klosteranlage zur Verfügung zu stellen und leisteten Unterstützung,
so gut es geht. Eine alte Frau, die den Vorgänger Zava Damdin noch als kleines Mädchen
kennen gelernt hatte, versteckte Schriften und Statuen während der gesamten
sozialistischen Zeit in einer Höhle. Sie erlebte, wie die Mönche verhaftet und exekutiert
wurden und wie das Kloster zerstört wurde. Respektvoll besucht sie ihn heute nahezu
76
täglich, wenn er vor Ort ist und bringt immer wieder noch eine neue kleine Statue o.ä.
vorbei, obwohl die meisten Sachen bereits an Zava Rinpotsche übergeben wurden.
Zu einem Teil finanzierte er den ersten Tempel durch den Verkauf von Juwelen und
Reliquien aus seinem persönlichen Besitz. Ein anderer Teil der ca. 100.000 Dollar, die der
Tempelbau bis zum Zeitpunkt meiner Feldforschung gekostet hatte, stammte von
befreundeten Sponsoren aus der Mongolei und aus Europa. Nach Geldgebern suchen wolle
er erst, wenn schon ein Tempel stünde und das Kloster bereits in Betrieb sei. Vorher
jemanden nach Spenden zu fragen, ohne konkret aufzeigen zu können, wofür, fände er
unpassend, erklärte Zava Rinpotsche bei einer Besichtigung der ersten Arbeiten an den
Dachziegeln. Für ein Kloster, das schon in Betrieb ist, sei es viel leichter, Sponsoren zu
finden.
Für die Zukunft hegte Zava Rinpotsche die Hoffnung, dass die Leute aus seinem Team, die
nun Erfahrungen im Bau eines Tempels gesammelt hatten, routinierter an zukünftige
Tempelbauprojekte herangehen könnten. Ganz in der Nähe gibt es einen Ort, an dem ein
kleiner Tempel für Meditationsklausuren stand. Dieser liegt, durch eine Quelle wie eine
Oase begrünt, in einer felsigen Landschaft so eingeschlossen, dass er von außen nicht zu
erkennen ist. Es war ein Platz, der mit einer Schutzgottheit verbunden war. Die
Kommunisten hätten den Tempel in der verborgenen Oase nicht zerstört, sondern ihn für
Partys genutzt, was die Schutzgottheit nicht erfreut habe. Vor diesem Hintergrund zeichnet
die Schutzgottheit nach Auffassung der Gläubigen auch verantwortlich für die Blitze, die
den Tempel zerstört haben. Auf der Ruine möchte Zava Rinpotsche als nächstes ein
Klausurzentrum bauen. Dies würde sich hervorragend eignen, um exiltibetische Lehrer und
deren Schüler einzuladen.
5.4.3 Umsetzungsprozess
der
Reimplantierung
des
Buddhismus:
Aufgaben, Ziele und Strategien
Für seine Vorhaben ist Zava Rinpotsche auf ein ganzes Team an Mitarbeitern angewiesen.
Diese auszuwählen ist eine schwierige Aufgabe, der sich Zava Rinpotsche stellen muss. In
der heutigen Mongolei, die ohnehin durch eine hohe Arbeitslosenquote gekennzeichnet ist,
bedeutet es viel, für einen solch wichtigen Lama zu arbeiten. Neben einer angemessenen
Bezahlung genießen seine Mitarbeiter demnach auch ein hohes Prestige, wenn ein solcher
Mitarbeiter zu bestimmten Leuten an einen Ort reist, wird er dort als Abgesandter Zava
77
Rinpotsches entsprechend gebührend empfangen. Leute zu finden, denen er richtig
vertrauen kann und denen er Verantwortung und Handlungskompetenz übertragen kann, ist
dann nicht einfach, wenn diese Stellen ohnehin schon begehrt sind. Auch hier versucht
Zava Rinpotsche, Personen aus seinem nahen familiären und klösterlichen Umfeld zu
rekrutieren. Dass eine enge Verbindung zu den Mitarbeitern besteht, scheint ein wichtiges
Merkmal zu sein. So kümmerte er sich um ehemalige Mönche, die in schwierige
Lebenssituationen geraten waren und besorgte ihnen anschließend Arbeit, wenn sich die
Gelegenheit dazu bot. Er sprach über seine Mitarbeiter stets von „one of our persons“,
wenn er eine Person meinte, die für ihn arbeitet. Das Rekrutieren vertrauenswürdiger
Personen ist, so hatte der Verfasser den Eindruck, eine wichtige Aufgabe bei der
praktischen Umsetzung der Revitalisierung des Buddhismus.
Wie im vorangegangenen Kapitel beschrieben wurde, war es in der ländlichen Provinz der
Mittelgobi einfach, den Buddhismus bei der Bevölkerung zu integrieren, da diese an den
Traditionen anknüpfen möchte. Wenn sich die Gelegenheit dazu bot, zeigte der junge
Meister den Schülern in der ländlichen Provinz grundlegende Meditationsübungen und
Geistesschulungen für sie als persönliche Anwendungen. In Ulaan Baatar gestaltet sich die
Situation hingegen ein bisschen anders. Zava Rinpotsche habe dort ca. einhundert
Laienschüler, wie er im Herbst 2004 angab, die er alle individuell unterrichte. Wenn er in
Ulaan Baatar ist, vergeht praktisch kein Tag, an dem keine Schüler bei ihm vorbeikommen
und über etwas sprechen möchten, jedoch seien diese Anliegen meist weltlicher Natur, da
die momentane Lebenssituation der urbanen Bevölkerung in der jungen Marktwirtschaft
kaum Spielraum für buddhistische Studien lasse:
at the moment, the Mongolian people, because of our economy, because of our political situation, because of
many things, run after their money for surviving, to make a living. Of course they need to do so. Because of
that, many people cannot do a serious practice, nor a serious studying for Buddhism. But they still have got the
respect and faith, still they believe so much. But they like this kind of things very much, you know, they only
ask for Pujas [Zeremonien, B.S.], they only ask for Mo [Weissagung, B.S.] for their goodness. Because they
don’t have, you know, any good studyings (ZR2: 23-24).
In zehn bis fünfzehn Jahren sei in der Mongolei die Zeit „reif“ für ernsthafte
Laienanwender, spekulierte Zava Rinpotsche bei einem Gespräch über seine Schüler in
Ulaan Baatar. Seine Lehrer rieten ihm zwar, alsbald ein Zentrum in Ulaan Baatar zu
errichten, das sich hauptsächlich Laienschülern widmet. Doch konzentriere er sich nach
Rücksprache mit ihnen zunächst auf den Bau des Tempels in der Mittelgobi. Dass ihm das
Mönchstum besonders am Herzen liegt, erkennt man daran, dass er kaum eine Möglichkeit
78
auslässt, dies zu betonen. Zuerst wolle er eine monastische Gemeinschaft als Basis haben,
dann widme er sich verstärkt den Laienanwendern.47
Zava Rinpotsche versucht weiterhin, auch hin und wieder eine gewisse Öffentlichkeit zu
erreichen und zu informieren. Ein Fernsehsender, der ihn interviewte, brachte als Folge
mehrere Sendungen über seine Aktivitäten. Ging es zuerst um den klösterlichen Alltag in
Amarbayasgalant, so nutzte er die Gelegenheit, einen Bericht über das medizinische
Hilfsprojekt drehen zu lassen, wozu er mit einem Fernsehteam die verschiedenen
Krankenhäuser besuchte. Ein anderes Beispiel war eine Feierlichkeit für einen seiner
Lehrer in Ulaan Baatar. Dieser lebte die ganze sozialistische Zeit über in dem Kloster
Gandan und erlangte unter Buddhisten eine Bekanntheit durch das Anfertigen von Statuen
und das Unterrichten von rituellen Tsam-Tänzen. Anlässlich der Feier, die im Kloster
Gandan abgehalten wurde und in der dem alten Mönch eine Auszeichnung verliehen
wurde, schrieb Zava Rinpotsche ein Langlebensgebet für diesen Meister in tibetischer
Schrift. Im Vorfeld half er bei der Organisation der Feier und ließ autogrammkartenähnliche Bilder von dem alten Mönch anfertigen. Durch das Anknüpfen an die Tradition,
nach der für buddhistische Meister Langlebensgebete von anderen Meistern verfasst
werden, drückte Zava Rinpotsche seinen Respekt dem Meister gegenüber aus. Zusätzlich
dazu erreichte er ein öffentliches Auftreten, indem er neben seinem Lehrer saß und jedem
Teilnehmer der Zeremonie ein solches Bild überreichte. Den Mönchen teilte er die
Langlebensgebete aus, wodurch er seinen Status in der religiösen Hierarchie zu
untermauern schien.
Seine Hauptaufgabe sieht Zava Rinpotsche darin, dass er die Unterweisungen wieder in
einer gelebten Tradition in der Mongolei installieren möchte. Dazu ist es ihm ein Anliegen,
immer wieder tibetische Meister in die Mongolei einzuladen. Gesche Thubten, einer seiner
Lehrer aus der Studienzeit in der Schweiz, besuchte beispielsweise seit mehreren Jahren
die Mongolei, um die Sommerklausuren zu leiten und Unterricht zu geben. Im Jahre 2004
war er allerdings aus gesundheitlichen Gründen verhindert, 2005 besuchte er erstmals den
frisch gebauten Tempel in der Mittelgobi. Für die Zukunft wünscht sich Zava Rinpotsche,
dass er Strukturen liefern kann, die es ermöglichen, tibetische Meister und auch deren
Schüler aus dem Ausland einzuladen. Für diese böte sich eine Möglichkeit, in abgelegenen
Tempeln in einer malerischen Landschaft Meditationsklausuren abzuhalten oder
Unterweisungen zu erhalten. Durch die Kontakte könnten sich so auch Sponsoren aus dem
Westen finden, die den Erhalt der mongolischen Klöster unterstützen könnten.
47
Während des Erstellens dieser Arbeit teilte Zava Rinpotsche dem Verfasser per E-mail mit, dass er
mittlerweile ein neues Zentrum in Ulaan Baatar gründe: Zava Damdin Sutra and Scripture Institute.
79
Zusätzlich zu dem Wiederaufbau der Klöster in einer traditionellen Struktur sieht sich Zava
Rinpotsche mit der Aufgabe konfrontiert, den Buddhismus unter der Zivilbevölkerung zu
etablieren. Dies erfordert Geschick im Umgang mit seinen Laienschülern und den Aufbau
einer neuen Struktur, die sich von der traditionellen Gesellschaftsordnung, in welche der
Buddhismus eingebettet war, erheblich unterscheiden.
80
Abb.14 Kalligraphie: Zava Rinpotsche verfasst ein Langlebensgebet für einen seiner Lehrer.
81
Abb.15 Repräsentationsaufgaben: Zava Rinpotsche bedankt sich offiziell bei einer
österreichischen Ärztin des Hilfsprojekts.
Abb.16 Fernsehdokumentation: Eine Sendereihe dokumentiert Zava Rinpotsches Aktivitäten.
82
6. Internationale Verflechtungen der Glaubensgemeinde am
Beispiel der Ausbildung Zava Rinpotsches
Die Lebensgeschichte Zava Rinpotsches lässt erahnen, dass die Reimplantierung des
Buddhismus in der Mongolei ohne Hilfe aus dem Ausland kaum denkbar war und ist. Zu
lange war die Glaubensausübung unterdrückt, als dass sich die Lehre in einer lebendigen
Weise hätte erhalten können. Aus diesem Grunde wird die Ausbildung junger Mönche
durch die Glaubensgemeinschaft des tibetischen Buddhismus im Exil unterstützt. Zava
Rinpotsche erhielt einen Teil seiner Ausbildung in der Schweiz in einem Exilkloster. Am
hier vorliegenden Fall sollen im Folgenden die Verflechtungen betrachtet werden, die zu
diesem Umstand geführt haben. Dabei liegt der Fokus auf der Ausbildung Zava
Rinpotsches und somit auf den Verbindungen, die seine Lehrer miteinander haben. In
diesem Kapitel wird das Netzwerk vom Ausgangspunkt einer Person her beschrieben,
wobei auch die Werdegänge der Personen, die für die Kontakte ins Ausland gesorgt haben
und deren Verbindungen zueinander von Bedeutung sind, in den Fokus gerückt werden.
Die Beschreibung der Verflechtungen Zava Rinpotsches in seiner jetzigen Tätigkeit bildet
den Abschluss der Einzelfallbetrachtung; dieses Gefüge wird dann in einem globaleren
Kontext analysiert.
6.1 Die Anfänge in der Mongolei: Verbindungen durch Guru Deva
Rinpotsche
In seiner Jugend hatte Zava Rinpotsche schon Kontakte zu ehemaligen Mönchen und - was
er damals noch nicht wusste - Schülern seines Vorgängers. In seiner Zeit als junger Mönch
unterrichteten ihn mehrere solche alten Mongolen als Lehrer, die hier im einzelnen nicht
aufgezählt werden. Besondere Bedeutung hatte der Lama Guru Deva Rinpotsche, da dieser
seinen Aufenthalt in der Schweiz vermittelte. Guru Deva Rinpotsche wurde in der
innermongolischen Ordos-Hochebene geboren, früh als Tulku entdeckt und lebte bis zu
seinem zwanzigsten Lebensjahr in der Mongolei. Anschließend ging er nach Tibet, um dort
im Kloster Drepung zu studieren. Wie die Informanten berichteten, war der Austausch
zwischen Tibet und der Mongolei zu jener Zeit recht üblich gewesen.48 Kurz bevor viele
48
Auch in der Autobiographie eines tibetischen Mönches finden sich zahlreiche Hinweise darauf: Gesche
Rabten beschreibt, dass einer seiner Lehrer ein Mongole war, der in Tibet unterrichtete (Rabten 2000:142).
83
Tibeter im Jahre 1959 wegen der chinesischen Besatzung über den Himalaya nach Indien
flohen, zog Guru Deva Rinpotsche nach Nepal, um dort zu unterrichten. Später lebte er in
Indien und half maßgeblich beim Aufbau der tibetischen Klöster im indischen Exil.
Dadurch bestanden seinerseits viele Kontakte innerhalb der tibetischen Exilgemeinde und
sowohl das Leben im Exil als auch der Bau von Klöstern gehörten zum Erfahrungsschatz
dieses buddhistischen Gelehrten. Unter seinen Lehrern befand sich neben anderen
prominenten Meistern wie Kyabgye Pabonkha Rinpotsche, Kyabgye Tridschang Dorje
Chang und Kyabgye Ling Rinpotsche auch Kyabgye Gonsar Rinpotsche, der Vorgänger
des bereits erwähnten Abtes des Klosters Rabten Choeling in der Schweiz. Nach der
demokratischen Wende in der Mongolei 1990 widmete er sich besonders dem
Wiederaufbau des Buddhismus dort. Er begann schwerpunktmäßig den Wiederaufbau des
Klosters Amarbayasgalant zu unterstützen und lebt seither selbst in Ulaan Baatar
(Amarbayasgalant 2005b). In seiner Verantwortung für das Kloster Amarbayasgalant und
durch sein Bemühen, die buddhistische Lehre wieder aufleben zu lassen, arrangierte er die
Kontakte in die Schweiz und einigte sich mit Gonsar Rinpotsche darauf, dass immer zwei
Mönche in Rabten Choeling studieren können. Der erste junge Mönch, den er auswählte,
war Zava Rinpotsche alias Lobsang Dargayaa, der ihm schon im Kindesalter als etwas
Besonderes aufgefallen war, wie Zasep Tulku berichtete.
Zava Rinpotsche selbst erlebt das Netzwerk passiv, nicht so sehr er, sondern sein Vater und
seine Lehrer bestimmen ganz maßgeblich seinen Werdegang als Mönch. Im Rückblick auf
die Jugendzeit hatte er auf der persönlichen Handlungsebene von klein an aktiv am
Wiederaufbau des Buddhismus mitgearbeitet. Im Interview formulierte er dies
folgendermaßen: „from my childhood I got my future goal, the ultimate goal, I have to be a
fully ordinated monk and I have to take care of the monastery“ (ZR2: 7). Betrachtet man
hingegen die Struktur bzw. das Netzwerk aus der Außenperspektive, so war er darin kaum
mehr als ein Spielball, die Arrangements wurden für ihn gemacht. Sein Handeln hatte darin
bestanden, das zu machen, was seine - sich zugegebenermaßen gut ergänzenden Autoritätspersonen ihm auftrugen:
even in my childhood I never broke my father’s speech, nor my grandfather’s. I haven’t received any
punishment from my father or grandfather or from others. Since 1990 and after I became a monk, then also I
followed gurus’ speech, doing the study and the work all the time (ZR2: 7).
84
6.2 Transformation in der Schweiz: Studien bei Gonsar Rinpotsche
Bei der Eröffnungsfeier des Klosters Amarbayasgalant 1995 wurde bei der Begegnung von
Guru Deva Rinpotsche und Gonsar Rinpotsche abgesprochen, dass in der Schweiz eine
Ausbildung mongolischer Mönche erfolgen kann.
Auf die Frage, was seine Verbindung zu der Mongolei sei, antwortete Gonsar Rinpotsche,
dass die Verbindung durch seinen Namen bestünde. Der letzte Gonsar Rinpotsche, sein
Vorgänger und vierter Gonsar innerhalb der Tulku-Linie, habe lange Zeit in der Mongolei
gelebt. Dieser war Tibeter, ging in jungen Jahren nach seiner Ausbildung im tibetischen
Kloster Sera in die Mongolei und wurde dort Abt einer Abteilung des großen Gandan
Klosters in der heutigen Stadt Ulaan Baatar. Dort lebte er insgesamt ca. 30 Jahre lang und
unternahm mehrere Reisen in benachbarte Regionen wie die Innere Mongolei und
Burjatien, in denen er unterrichtete. Auf diese Weise schloss er viele Kontakte zu den
mongolischen Volksgruppen. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts war er - noch vor dem
Aufkommen des Sozialismus in der Mongolei - zusammen mit vielen seiner mongolischen
Schüler, darunter auch Guru Deva Rinpotsche, nach Tibet zurückgekehrt. In Tibet
unterrichtete er aufgrund der umfassenden Sprachkenntnisse und der bestehenden
Verbindungen zu ihnen weiterhin mongolische Mönche. Die Klosteruniversitäten in Tibet
und der Mongolei waren nach derselben Struktur aufgebaut und hatten teilweise dieselben
Texte als Standardwerke für die Ausbildung, was den beschriebenen Austausch
begünstigte. Der jetzige Gonsar Rinpotsche berichtete:
Als er [sein Vorgänger, B.S.] zurück nach Tibet gekommen war, haben ihn alle diese mongolischen Mönche
um Unterweisungen gebeten, weil er direkt auf Mongolisch mit ihnen sprechen konnte. Das ist der Kontakt.
Und später dann, als er gestorben ist und ich gekommen bin, hatte ich immer noch diese enge Beziehung zu
den mongolischen Mönchen, darunter Guru Deva Rinpotsche (GR: 3).
Der junge jetzige Gonsar Rinpotsche wird Herzensschüler von Gesche Rabten, einem
besonders herausragenden Gelehrten Tibets. Zusammen fliehen die beiden im Jahre 1959
nach Indien ins Exil. Gonsar Rinpotsche war zu diesem Zeitpunkt 10-jährig. Von dort aus
wurde Gesche Rabten vom Dalai Lama gebeten, die Schüler aus dem Westen zu
unterrichten. Als Folge davon reiste er 1974 erstmals in die Schweiz, wobei Gonsar
Rinpotsche als sein Übersetzer fungierte. Obwohl Gesche Rabten Abt des Exilklosters bei
Rikon war, gründete er 1978 das Zentrum Tharpa Choeling am Mont Pèlerin, um ein
85
zusätzliches Studienzentrum zu schaffen49. Nach seinem Tode 1986 wurde es in Rabten
Choeling umbenannt und die Leitung fiel in die Hände von Gonsar Rinpotsche als seinem
Herzensschüler.
Im indischen Exil habe der Kontakt zwischen Guru Deva Rinpotsche und Gonsar
Rinpotsche
weiterhin
bestanden.
Zu
einem
Wiedersehen
sei
es
bei
der
Einweihungszeremonie in Amarbayasgalant gekommen. Als Basis, auf der dieser Kontakt
zustande gekommen war, diente die Meister-Schüler-Beziehung zwischen Guru Deva
Rinpotsche und dem Vorgänger des Gonsar Rinpotsche.50 Die Intensität dieser Verbindung
und das langandauernde Verhältnis der beiden zueinander, welches über die Tulku-Linien
über „Generationen“ vererbt wird, bildet eine zentrale Kraft im Netzwerk der „GelugpaLineage“, wie die Glaubensgemeinde sich selbst auf Englisch manchmal bezeichnet (ZTR:
6).
In der Schweiz durchlief Zava Rinpotsche dann ein Kernstück seiner Ausbildung. In der
vorlesungsfreien Zeit erhielt er zusammen mit einem anderen mongolischen Mönch
gesonderten Unterricht von Gesche Thubten Trinley, dem „teaching master“ von Rabten
Choeling. Zu diesem unterhielt Zava Rinpotsche ebenfalls eine Meister-SchülerBeziehung, die den Grundstein dafür gelegt hatte, dass Gesche Thubten in den Folgejahren
die Mongolei besuchte, um dort Zeremonien zu leiten und Unterricht zu geben.
Des weiteren erlebte Zava Rinpotsche in der Schweiz aus eigener Anschauung, wie ein
Kloster im Exil aufgebaut wurde und wie es unter veränderten Bedingungen Fuß fassen
konnte. Rabten Choeling wurde in den 70er Jahren von Gesche Rabten in dem Bestreben
gegründet, die tibetisch-buddhistischen Lehren zu erhalten und für westliche Menschen
zugänglich zu machen. Unter den veränderten Bedingungen in Europa versuchte Gesche
Rabten, den tibetischen Buddhismus in einer authentischen Form zu unterrichten und zu
erhalten. Dieses Bestreben führt seit seinem Tod Gonsar Rinpotsche weiter. Durch die
spezifische Situation in Europa ergaben sich dafür neue Rahmenbedingungen, auf welche
sie flexibel reagierten. Erfahrungen im Exil hatten Gesche Rabten und Gonsar Rinpotsche
bereits in Indien gemacht, in Europa entwickelten sie selbst neue Strukturen, um Zentren
organisieren und unterhalten zu können. Dies alles lernt Zava Rinpotsche während seines
Studienaufenthaltes nahezu en passant kennen. Es prägt ihn ebenso wie der rege Austausch
innerhalb der Exilgemeinde in Europa.
Auf die Frage, wie die Zusammenarbeit der Exil-Tibeter funktioniere, antwortete Gonsar
Rinpotsche, dass es keine Zusammenarbeit in diesem Sinne gäbe. Im Gegensatz zum
49
Des weiteren gründete Gesche Rabten noch das Zentrum Tashi Rabten auf dem Letzehof in Feldkirch,
Österreich, und ebenso weitere buddhistische Zentren in Hamburg, München und Mailand.
50
Eine kurze Beschreibung der Beziehung zwischen Meister und Schüler findet sich im Abschnitt 3.3.2.
86
Katholizismus, der durch sein missionarisches Streben weltweit sehr gut organisiert sei,
gäbe es innerhalb der buddhistischen Glaubensgemeinde keine solche zentrale
Organisation, weil dort ein Missionsanspruch fehle. Jede Tradition sei für sich organisiert
und auch innerhalb der Gelug-Tradition gäbe es weniger Zusammenarbeit als dies früher
der Fall war. Die Gemeinschaft werde durch die Tatsache zusammengehalten, dass sie alle
Schüler von wenigen herausragenden Meistern seien. Dabei handle es sich bspw. um
Kyabgye Tridschang Dorje Tschang, einen mittlerweile verstorbenen Lehrer des Dalai
Lama. Kennzeichnend für das Lernen sei gewesen, das sie eine persönliche Beziehung zu
diesen hatten:
wir sind alle wie Schüler von demselben Meister, haben eine große Harmonie untereinander und sind vereinigt.
Deswegen hat alles eine lange Zeit sehr gut funktioniert, egal wo wir waren, ob in Indien oder im Ausland
(GR: 16).
Allerdings seien viele dieser großen Meister gestorben, worunter die Qualität der
Ausbildung zu leiden drohe, fügte Gonsar Rinpotsche hinzu. Doch auf der materiellen
Ebene gäbe es weniger Probleme:
als wir ins Exil gekommen sind, war es zuerst sehr schwierig, aber jetzt haben alle ihren Platz gefunden, jeder
hat sein eigenes Kloster, sogar schöne Tempel, immer größere Tempel werden gebaut und überall gibt es
Telefon usw., das wäre früher in Tibet unvorstellbar gewesen (GR:: 17).
Die Klage über den Verfall der Lehre kann hier auf mehrere Arten gelesen werden. Nach
buddhistischer Kosmologie befinden wir uns in einem „Zeitalter des Niedergangs“, da den
Lehren des Buddha Schakyamuni für das gegenwärtige Zeitalter eine Verweildauer von ca.
fünftausend Jahren prognostiziert wurde, von denen ca. die Hälfte vergangen ist. Des
weiteren muss eine solche Aussage insofern relativiert werden, als Gonsar Rinpotsche
selbst zu einem wichtigen Träger der buddhistischen Lehre im Westen geworden ist und
somit das obligatorische Understatement (vgl. Kap. 3.3.3.) auf seine Person anwendet.
Ferner kann es als eine Motivation betrachtet werden, die Lehren zu erhalten, um einem
solchen Verfall vorzubeugen: Gonsar Rinpotsche gibt seit dem Jahr 2001 jeweils einen
Monat im Jahr Unterweisungen zu Tsongkhapas Lam Rim Chen Mo, einem Basistext des
tibetischen Buddhismus. Eine direkte mündliche Übertragung von einem qualifizierten
Meister gilt als Bedingung für ein adäquates Verständnis und dient als Ermächtigung zu
einem späteren Unterrichten und steht damit im direkten Zusammenhang mit dem Erhalt
der Übertragungslinie. In seiner Zuhörerschaft finden sich neben exiltibetischen Mönchen
und Nonnen aus Tibet und Nepal auch europäische Ordinierte und Laien. Die Mischung
87
der Zuhörerschaft ist charakteristisch für das Zentrum Rabten Choeling. Eine Transmission
tibetischer Lehren in diesem Umfang ist in Europa bzw. der „westlichen Welt“ Neuland,
gehört jedoch zu den weniger populären Angelegenheiten. Einweihungen in tantrische
Praktiken, wie beispielsweise in das Kalachakra, erfreuen sich bei einem weitaus größeren
Publikum einer besonderen Beliebtheit; in besonderem Maße gilt dies für die esoterischen
New-Age-Kreise. Die eher aufwendigen und lang andauernden Unterweisungen
inhaltlicher Natur ziehen nicht ein so großes Publikum an, gelten aber als ein
unabdingbarer
Bestandteil
der
tibetisch-buddhistischen
Ausbildung.
Diese
Entschlossenheit, unter Mühen und gegen Widerstände trotzdem Mittel und Wege zu
finden, der traditionellen Lehre in einem veränderten Umfeld einen Nährboden zu liefern,
prägte das Umfeld, in dem Zava Rinpotsche seine Ausbildung erhielt und war somit ein
Nebenprodukt seiner Ausbildung.51
Ferner wurden in Rabten Choeling und auch in Tashi Rabten ständig neue Bauprojekte
fertiggestellt oder neue gestartet, weitere Zentren wurden gegründet und zu Feierlichkeiten,
an denen ein Tulku der oben genannten Lehrer anwesend war, kamen andere exiltibetische
Meister aus ganz Europa und teilweise aus Amerika angereist. Doch auch eine starke
Spaltung der Gelug-Tradition prägt das Umfeld des lernenden jungen Tulkus. Ende der
1990er Jahre spitzte sich ein Konflikt um die Schutzgottheit Dorje Shugden zu, anlässlich
des Verbotes, das der Dalai Lama bezüglich der Anwendungen mit dieser Gottheit
aussprach. Von der hier erforschten Glaubensgemeinde wurde das Verbot jedoch nicht
akzeptiert und als politisches Manöver der tibetischen Exilregierung verstanden, welches
nicht im Einklang mit den Traditionen der Meister ihrer Übertragungslinie steht. Eine
gewisse Standhaftigkeit im Befolgen der Traditionen, auch gegen Widerstände - ein
Abschwören der Gottheit brächte eine größere Öffentlichkeit mit sich – war auch eine der
Eigenschaften, die Zava Rinpotsche bezüglich der praktischen Umsetzung des Buddhismus
in der Schweiz beobachtet hatte und die dadurch Teil seiner Persönlichkeit wurde.
51
Man kann hier vom Phänomen der sogenannten "hidden curricula" sprechen, einem
Ausbildungsbestandteil, der nicht direkt intendiert war, jedoch hinsichtlich der späteren Tätigkeit von Zava
Rinpotsche in der Mongolei essenziell bedeutsam ist.
88
6.3 Rückkehr in die Mongolei: ein Akteur auf transnationaler Ebene
Nachdem Zava Rinpotsche zurückgehrt war, begann für ihn ein neuer Lebensabschnitt. Er
war nicht mehr (nur) Schüler, sondern mittlerweile selbst zum Lehrer geworden, was sich
in seiner Ernennung zum „teaching master“ von Amarbayasgalant manifestierte. Er
gründete das Unterstützungsbüro Amar Mur, mit dem internationale Hilfeleistungen
koordiniert wurden und das als Anlaufstelle diente. Damit reagierte Zava Rinpotsche
bereits auf die vorgefundenen Umstände in der Mongolei in einer flexiblen Weise, wie er
sie bei den Exilanten beobachten und adaptieren konnte. Dadurch, dass sein Büro eine
Anlaufstelle bietet, wurde er selbst zum Knotenpunkt in einem Netzwerk. Durch die
Ernennung zum Tulku kamen ihm dann die vielseitigen Verpflichtungen durch seinen
Vorgänger zu. In der Rolle als Unternehmer, wie sie im vorangegangenen Kapitel
beschrieben wurde, kann er auf das Wissen zurückgreifen, das er beiläufig durch
Beobachtung der Verhältnisse in der Schweiz gelernt hatte. Die Situation in der jungen
mongolischen Marktwirtschaft unterscheidet sich deutlich von der traditionellen
mongolischen
Gesellschaftsordnung,
innerhalb
derer
der
Buddhismus
die
vorangegangenen Jahrhunderte existierte und seine Struktur traditionell so ausprägte, wie
er sie in alten Schriften beschrieben fand. Die (post-)modernen Anforderungen an einen
Akteur, der unter Zuhilfenahme vielfältiger Vernetzungen den Buddhismus wieder
aufbauen möchte, sind jedoch anders gelagert und weit komplexer. Es erscheint nicht
verwegen, zu behaupten, dass sich die Situation unwesentlich von den Strukturen, die er in
der Schweiz aus eigener Anschauung kennen gelernt hatte, unterscheidet. Die Flexibilität
im Umgang mit „weltlichen“ Personen, die er durch das Zusammenleben von Mönchen,
Nonnen und Laien beobachten konnte, der Umgang mit Sponsoren, die Sorgen und Nöte
von Laienanwendern im Berufsleben, all dies sind Herausforderungen, denen sich Zava
Rinpotsche in seiner neuen Rolle als Tulku stellen muss. Wie er seine Probleme im
Umgang mit „Angestellten“ bei einem Abendessen mit einem erfolgreichen Unternehmer
bespricht, zeigt auf, dass er durch seinen Aufenthalt in der Schweiz nicht nur buddhistische
Philosophie studiert hatte, sondern auch praktische Menschenkenntnis erhalten hat, die er
höchstwahrscheinlich durch eine Ausbildung in einem abgelegenen Kloster in der
mongolischen Steppe nicht in dem Umfang hätte erwerben können. Ein Zentrum, in dem
sich beispielsweise ein alter tibetischer Gesche und die Tochter eines gläubigen
Sponsoren-Ehepaares die Türklinke in die Hand geben, bietet dagegen eine gute
Vorraussetzung, neue Wege für eine alte Lehre zu finden.
89
Über seine Kontakte zu weltlichen Personen sagte Zava Rinpotsche:
I am even connected with many politicians, also with many businessmen nowadays, but I always talk about our
history, our culture and our religion. I do not talk with them about politics or business. […]I think; they like to
listen to this conversation. That’s why they visit us very often (ZR4: 16).
Den entschlossenen Blick auf die traditionellen Lehren hat Zava Rinpotsche jedoch ebenso
übernommen. Verheiratete Mönche, wie sie in der Mongolei, besonders in Ulaan Baatar,
manchmal anzutreffen sind, lehnt er strikt ab. Aus diesem Grunde konzentrierte er sich
zunächst auf den Wiederaufbau des Tempels in der ländlichen Region, bevor er ein neues
Zentrum in Ulaan Baatar zu gründen beabsichtigt. Er möchte erst ein relativ stabiles,
funktionierendes Zentrum haben, an dem die Lehre wieder praktiziert werden kann. Dann,
in einem zweiten Schritt, möchte er sich in den „Großstadtdschungel“ der sich stark
verändernden Hauptstadt wagen, nicht umgekehrt. Seine Lehrer rieten ihm dazu, so bald
als möglich Unterweisungen in Ulaan Baatar zu geben, doch er entschied sich dazu, erst
den Bau des Tempels abzuwickeln. Gesche Thubten lud er dann im Folgejahr bereits in
den neuen Tempel in die Gobi ein, um dort die Sommerklausur zu leiten, wie er es die
vorangegangenen Jahre in Amarbayasgalant getan hatte. Gesche Thubten gibt in einem
Interview an, dass seine Verbindung in die Mongolei ausschließlich religiöser Natur sei
und auf einer Meister-Schüler-Beziehung zu Zava Rinpotsche beruhe. Er unterrichte in der
Mongolei, um dessen Ausbildung zu unterstützen, damit dieser dort dann selbst als ein
Multiplikator der buddhistischen Lehre fungieren könne. In Amarbayasgalant kümmern
sich inzwischen andere Mönche um die Ausbildung, Zava Rinpotsche konzentriert sich
nun auf die Gobi. Zur Zeit des Verfassens der Arbeit war er im Begriff, ein neues Institut
in Ulaan Baatar: Zava Damdin Sutra and Scritpure Institute zu gründen.
Er wird dabei von Guru Deva Rinpotsche unterstützt, der trotz seines fortgeschrittenen
Alters von 97 Jahren weiterhin die Aktivitäten des Wiederaufbaus des Buddhismus in der
Mongolei mitträgt. Er ist heutzutage einer der Hauptlehrer von Zava Rinpotsche; wichtige
Schritte, die der junge Verantwortliche unternimmt, bespricht er vorher und nachher mit
Guru Deva Rinpotsche; viele Kontakte in das Ausland laufen über ihn als prominenten
Ansprechpartner, die er dann an den jungen Tulku weitervermittelt.
90
Abb.17 Kooperation 1: Zava Rinpotsche erklärt Zasep Rinpotsche die Bauweise seines neuen
Tempels.
Abb.18 Kooperation 2: Die beiden Rinoptsches beim Fotoshooting in Ulaan Baatar.
91
Abb.19 Retreat-Oase: Nächste Lokalität, die als Klausurzentrum wiederaufgebaut werden soll.
Abb.20 Besuch aus dem Ausland: Zasep Rinpotsche und drei seiner westlichen Schüler nach der
Begutachtung des Ortes beim Picknick mit Zava Rinpotsche.
92
Der in Kanada lebende Exiltibeter Zasep Tulku Rinpotsche, der, wie bereits erwähnt, den
Aufbau des Buddhismus in der Mongolei unterstützt, kennt Guru Deva Rinpotsche als
einen einflussreichen Lehrer seit seinem 14. Lebensjahr. Dieser, so berichtete Zasep Tulku
von einem Gespräch mit Guru Deva Rinpotsche, trug ihm auf:
‘you’, he said, referring to me ‘you young Tulkus work together, help each other to preserve the lineage and
teaching in Mongolia’. And he said ‘I might be gone tomorrow, maybe next month, who knows’. […] I think I
like to work together with Zava Rinpotsche in the future (ZTR: 8).
Die Kommunikation mit seinen Meistern erfolgt meist per Telefon. In persönlichen
Gesprächen bespricht Zava Rinpotsche beispielsweise auch vieles mit seinem Lehrer
Gonsar Rinpotsche in der Schweiz. Das Telefon ist infolgedessen aus dem Leben Zava
Rinpotsches nur schwer wegzudenken. Selbst aus der Gobi heraus telefoniert er per
Satellitentelefon mit Ulaan Baatar, um das Nötigste zu koordinieren. Dabei erfreute er sich
in jüngerer Zeit des besseren Empfangs eines neuen Telefons, das ihm befreundete
Geschäftsleute aus Taiwan überließen. Auch eine postmoderne Spielart der HandyNutzung konnte ich während meinen Feldforschungen in Ulaan Baatar beobachten: Als
eines Abends während der täglichen, ca. einstündigen Gebete, die laut rezitiert werden, das
Handy klingelte, nahm er den Anruf an, rezitierte allerdings für einige Sekunden weiterhin
seine Gebete, um zu signalisieren, dass er im Moment nicht sprechen könne, bevor er
wieder auflegte. In dringenden Fällen klingelte das Telefon erneut, woraufhin er die
Gebete dann unterbrach, um den scheinbar wichtigen Anruf entgegenzunehmen.
Entferntere Kontakte laufen auch über E-mail, diese werden jedoch mehr von
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Büros bearbeitet, als von den Mönchen selbst.
Die E-mail-Kommunikation sei sehr praktisch, kommentierte Zava Rinpotsche, jedoch
flache die Kommunikation dadurch ab. Aus diesem Grunde schreibe er von Zeit zu Zeit
noch, zwischen all dem Trubel, traditionelle, kalligraphisch verfasste Briefe in
Gedichtform an seine Meister, um seine Verehrung auszudrücken.
6.4 Resümee zur transnationalen Problematik
Ein Mönch beschrieb die Revitalisierung des Buddhismus in der Mongolei als eine
Angelegenheit von Großvater und Enkel. Anhand der Ausbildung Zava Rinpotsches wurde
aufgezeigt, wie die internationalen Verflechtungen geholfen haben, diese Kluft in der
93
Tradierung der Lehre, die sich durch die fehlende Generation in der Übertragungslinie
auftat, zu überbrücken. In gleichem Maße bedeutsam ist aber auch die Nutzung der
modernen Formen von Kommunikation zwecks Koordination mit Personen, die über den
gesamten Erdball verstreut sind.
Die sehr persönlichen Meister-Schüler-Beziehungen (vgl. Kap. 3.3.2.) können als die
wesentlichen Kräfte betrachtet werden, die diese über den Globus verstreut lebenden
Buddhisten miteinander verbinden. Durch das Tulku-System werden diese Verbindungen
über die Inkarnationslinien an den jeweiligen Nachfolger weitergegeben, wodurch sich das
buddhistische
Vermächtnis
über
mehrere
Generationen
weg
vernetzt.
Das
Zusammenwirken dieser beiden Faktoren ermöglicht auch eine effektive transnationale
Zusammenarbeit beim Wiederaufbau des Buddhismus, die ohne das Fundament der
Vernetzung kaum denkbar wäre. Die hier wirksam werdenden Strukturen helfen
buddhistischen Führungspersonen wie Zava Rinpotsche sowohl bei der Ausbildung zur
und Einübung in die "zeitgemäße" buddhistische Glaubensausübung wie auch in der
Anwendung
seines
lebenspraktischen
politischen
Geschicks
als
Oberhaupt der
Glaubensgemeinden.
In der Ethnologie werden solche Verflechtungen im Allgemeinen unter dem Begriff
Diaspora diskutiert. Durch diesen Begriff werden „Bezüge zu einer ganzen Reihe von
Phänomenen hergestellt, die auf sehr allgemeiner Ebene mit der Auflösung lokaler
Grenzen und der Konstruktion transnationaler Identitäten in Beziehung stehen“ (Kokott
2002: 96). Wie diese aussehen, variiert meist mit den unterschiedlichen Gruppen, für die
der Begriff angewandt wird. Eine einheitliche Verwendung zeichnet sich bislang in der
wissenschaftlichen Diskussion (noch) nicht ab. James Clifford spricht beispielsweise von
„diaspora consciousness“ (1994: 311) – ein Konzept, dem eine auf gemeinsamen
Erfahrungen basierende kollektive Identität zugrunde liegt. Solche Ansätze, wie sie auch
Cohen (1997) und Safran (1991) vertreten, implizieren allerdings eine Homogenität
bezüglich der sozialen Beziehungen und des Gemeinschaftsbewusstseins, die in dem Falle
der hier untersuchten Glaubensgemeinde in der heutigen Ausprägung nicht gegeben ist.
Ein Ansatz, wie Brah ihn vertritt, nach dem in jeder Konstruktion einer kollektiven
Identität verbindliche Gemeinsamkeiten hervorgehoben und bestärkt werden (1996: 124),
scheint in diesem Falle etwas griffiger. Wie in diesem Kapitel gezeigt wurde, sehen die
Protagonisten ihre Glaubensgemeinschaft nicht als homogene Gruppe – dies wird
höchstens für die Vergangenheit postuliert, wie in den oben zitierten Interviewpassagen
deutlich wurde. Dennoch erfolgt eine Koordination, die nicht als offiziell im Sinne von
institutionalisiert gesehen wird. Was die Exiltibeter zusammenarbeiten lässt, ist die
94
Tatsache, dass sie Schüler derselben Lehrer sind und somit derselben Übertragungslinie
angehören. Die Zusammenarbeit, die sich durch die dadurch entstandenen persönlichen
Verpflichtungen ergibt, bezeichnete Zasep Rinpotsche als „organically network“, welches
sich auf die Gelug-Tradition stützt. In diesem Sinne korreliert das aufgezeigte Phänomen
mit der Herkunft des Wortes Diaspora, wie es Tölölyan (1996) in einer gleichnamigen
Zeitschrift beschreibt. Er sieht die Genese des Wortes eng mit einer Glaubensgemeinde
verknüpft, der jüdischen im babylonischen Exil (1996: 11). Doch scheinen die DiasporaKonzepte nur bedingt auf die Glaubensgemeinde zuzutreffen, da es nicht nur um die
Vernetzung dieser untereinander geht, sondern das Exil eine neue Situation hervorgerufen
hat. Es sind nicht Gläubige, die sich zwecks Glaubensausübung miteinander vernetzen und
ansonsten ein „normales“ Leben führen in den jeweiligen Ländern, sondern der
Sachverhalt ist ein bisschen anders. Gonsar Rinpotsche erwähnte in der oben zitierten
Interviewpassage, dass mittlerweile jeder sein eigenes Kloster im Exil habe und schöne
Tempel gebaut würden. Mit jeder bezieht er sich auf Meister und Tulkus, die im Exil
erneut als Multiplikatoren der Lehre dienen, indem sie in dem jeweiligen Land, in dem sie
– meist auf Bitten ihrer Schüler hin – wohnen, die Lehre in den jeweiligen Umständen zu
etablieren versuchen. Die Diskussionen um diasporatische Identitäten und damit
verbundene Transnationalismen werden im Zusammenhang der postkolonialen Debatten
geführt, in denen Dichotomien wie Ost und West überwunden werden sollen. Inspiriert
werden die Diskurse zu einem beträchtlichen Teil von Intellektuellen, die selbst vor einem
Hintergrund der Migration schreiben. Intellektuelle aus „dem Osten“ schreiben „im
Westen“ Abhandlungen über diese Dichotomien (Appadurai 2003: 28). Eine ähnliche
Struktur ist auch in der beforschten Glaubensgemeinde zu beobachten, allerdings nicht im
wissenschaftlichen, sondern im religiösen Spektrum. Wenn Exiltibeter in „westlichen“
Ländern ihre Zentren errichten, bildet sich damit jeweils eine landesspezifische
Ausprägung. Von den Unterschieden der Schüler aus einem Schweizer Zentrum zu denen
aus einem Zentrum in Italien wusste Zava Rinpotsche ausführlich zu berichten. In diesem
Sinne greift der Ansatz der Diaspora zu kurz, da die Exiltibeter sich nicht nur aus einem
Selbstzweck heraus vernetzen.
Die Untersuchungen über den Wiederaufbau des Buddhismus in der Mongolei wurden im
Sinne der Grounded Theory nicht thesenüberprüfend, sondern theoriegenerierend geführt.
Es wurde aufgezeigt, wie durch die Lebensgeschichte Zava Rinpotsches über seine
Ausbildung diese transnationalen Verflechtungen ins Interesse rücken mussten. Die
Ermittlung der zugrunde liegenden Struktur legen solche Rückschlüsse nahe. Für eine
eingehendere Betrachtung der transnationalen Verflechtungen im oben genannten Sinne
95
wäre eine breiter angelegte Forschung notwendig. Diese wäre stärker noch an mehreren
Orten
durchzuführen,
um
die
lokalspezifischen
Ausprägungen
Exilklöster und deren Interaktionen miteinander zu untersuchen.
96
unterschiedlicher
7. Wiederaufbau des Buddhismus in der Mongolei
Die bisherigen Ausführungen beschreiben exemplarisch den Wiederaufbau des
Buddhismus in der Mongolei am konkreten Beispiel Zava Rinpotsches. Im Folgenden
sollen die Entwicklungen nach der demokratischen Wende von 1990 in der Mongolei einer
detaillierteren Betrachtung unterzogen werden.
7.1
Ausgangslage und Entwicklungen der Reimplantierung des
Buddhismus in der Mongolei seit der Aufhebung des
Religionsverbotes 1990
Seit 1990 ist die Religionsausübung in der Mongolei wieder erlaubt, im Jahre 1992 wurde
sie verfassungsrechtlich garantiert. Jedoch war durch die antiklerikale Kampagne unter
sowjetischem Einfluss die gesamte Struktur des Buddhismus zerstört. Von den einst 700
Klöstern, die es in der äußeren Mongolei gegeben haben soll (Heissig 1970: 299), war nur
noch eines unter strenger Kontrolle der kommunistischen Partei ‚intakt’. Rein äußerlich
war diese Ausgangslage mit einem Nullpunkt gleichzusetzen. Dennoch schienen die
Mönche schnell wieder Einzug in das Alltagsbild der Mongolei gehalten zu haben. Dies
trifft insbesondere für die ländlichen Regionen, aber in geringerem Ausmaß auch für die
Hauptstadt Ulaan Baatar zu. Eine Statistik nennt für das Jahr 1994 bereits 2000 Mönche
und zehn registrierte Klöster (Barkmann 1997: 70), im Jahre 2003 waren bereits 200
Klöster und 3000 Mönche registriert (Kollmar-Paulenz 2003: 19).
Dieser rasche Wiederaufbau der Klöster ist damit zu erklären, dass der Buddhismus auch
in den Repressionszeiten im Verborgenen weiterhin Bestand gehabt hatte. Für Zava
Rinpotsche war dies durch die heimlichen Treffen, denen er als kleines Kind beiwohnte,
deutlich geworden. Vor diesem Hintergrund waren Teilgruppen der Bevölkerung durch ihr
vorausgegangenes persönliches Wirken im Untergrund stark motiviert gewesen, den
Buddhismus in der Mongolei wieder zu etablieren. Große Teile der Schriften, Statuen und
Utensilien wurden während der gesamten kommunistischen Zeit von der Bevölkerung
versteckt gehalten, so dass nach 1990 vieles plötzlich wieder auftauchte (Vgl. KollmarPaulenz 2003: 20). Der Buddhismus hielt Einzug in das öffentliche Leben und auch in
Institutionen. Religionsunterricht wird an den Schulen zwar nach wie vor nicht erteilt,
97
jedoch haben sich eine staatliche und eine private Hochschule für den Buddhismus
gebildet. Neben den Klöstern, in denen Mönche leben, haben sich in Ulaan Baatar auch
Zentren für Frauen gebildet, in denen teilweise Nonnen, aber auch viele Frauen leben,
welche die Laiengelübde abgelegt haben und somit eine ernsthafte Ausübung der Religion
betreiben, ohne sich als Nonne ordinieren zu lassen (Kollmar Paulenz 2003: 23).
Wenige alte Gelehrte, die einen besonderen Bezug zur Mongolei haben, widmen sich voll
und ganz dem Wiederaufbau des Buddhismus dort. Besonders hervorgetan haben sich
beispielsweise Bakula Rinpotsche, der allerdings letztes Jahr verstarb, und Guru Deva.
Beide sind hochangesehene Tulkus und waren maßgeblich an der Organisation des
Aufbaus der Klöster und der Lehre beteiligt. An Zava Rinpotsches Beispiel wurde deutlich,
welche federführende Rolle Guru Deva Rinpotsche am Wiederaufbau des Klosters
Amarbayasgalant hatte. Bakula Rinpotsche engagierte sich in besonderem Maße bei der
Ausbildung mongolischer Mönche, was eines der Kernprobleme der Reimplantierung des
Buddhismus darzustellen scheint (Barkmann 1997: 75).
7.2 Rahmenbedingungen und Verlauf der Revitalisierung
Die buddhistischen Revitalisierungsbemühungen in der Mongolei knüpfen an jene Formen
der Glaubensausübung an, wie sie in nicht-repressiven Ländern weiterhin Bestand hatten.
Kennzeichnend für die Revitalisierung in der Mongolei ist, dass sich der wiederauflebende
Buddhismus aus zwei Quellen "speist". Hierzu zählt zum einen der "Restbestand" des
buddhistischen Vermächtnisses, also jene Kulturgüter und jene Personen, die im
Verborgenen innerhalb der Mongolei erhalten werden konnten bzw. weitergewirkt haben.
Zum anderen fußt die Arbeit bei der Reimplantierung auf den Aktivitäten jener, die im Exil
als Buddhisten wirkten und die nun auch aus dem Ausland unterstützt wurden und werden.
Dementsprechend galt und gilt es nun, die Bestrebungen aus der Bevölkerung und die
Unterstützung aus dem Ausland zusammen zu führen.
Kernstücke für eine erfolgreiche und schnelle Reimplantierung sind eine gute finanzielle
Grundlage, rechtliche Sicherheit, sowie eine gute Organisation der Klöster und der
Ausbildung. Auf diesen Ebenen waren und sind im Prozess der Revitalisierung zahlreiche
Herausforderungen zu meistern.
Ein Teil der finanziellen Unterstützung für den Wiederaufbau der Klöster stammt von
Sponsoren aus dem Ausland. Guru Deva Rinpotsche, der während der sozialistischen
98
Herrschaft in der Mongolei im Ausland weilte, lebt seit der Demokratisierung wieder in
der Mongolei – der Präsident Orchibat offerierte ihm 1994 die mongolische
Staatsbürgerschaft. Er gilt als einer der zentralen Hoffnungsträger für die Reorganisation
des Klosterwesens. Zu seinen wichtigsten Aufgaben nach der Rückkehr zählte - wie Zava
Rinpotsches Beispiel aufzeigt - der Wiederaufbau des Klosters Amarbayasgalant. Hierfür
hatte er aufgrund seiner zahlreichen Kontakte auch finanzielle Mittel aus dem Ausland
einwerben können.
Ein rechtliche Angelegenheit, die in diesem Zusammenhang der Klärung bedurfte, war die
Frage nach den Eigentumsverhältnissen an Klöstern, Schriften und heiligen Gegenständen
wie Statuen etc.. Vor dem Hintergrund der Expropriation der Klöster in den 30er Jahren
leistete die Regierung zwar teilweise Unterstützung beim Wiederaufbau einiger
Kunstwerke, doch scheint die Frage nach „Schadensersatzansprüchen“ bis heute genauso
wenig geklärt zu sein wie jene nach den Besitzverhältnissen. Die spezifischen historischen
Voraussetzungen und der Weiterbestand vieler Gesetze aus der sozialistischen
Vergangenheit erschweren eine juristische Klärung des Problems. Hinzu kommt, dass der
Buddhismus auch in der vorsozialistischen Zeit nie einen juristischen Körper, wie es
beispielsweise die christlichen Kirchen in Deutschland darstellen, bildete. Die Klöster –
und somit auch deren Besitztümer – waren meist an Reinkarnationslinien bestimmter
Lamas gekoppelt. Beispiele dafür, zu welchen Komplikationen dies führen kann, wusste
auch Zava Rinpotsche zu berichten: So wurden einige Utensilien seines Vorgängers, die
Zava Rinpotsche von der Bevölkerung erhalten hat, von der Bezirksverwaltung
eingefordert, um diese in einem Museum auszustellen. Bereitwillig hatte er die Sachen
abgegeben, da seines Erachtens eine solche Ausstellung zugleich eine gute
Öffentlichkeitsarbeit für die Geschichte des Buddhismus und für seinen Namen darstelle.
Da aber in weiten Teilen des Landes weder Klöster noch Tulkus vorhanden sind, gibt es
oftmals auch keine „Trägerschaften“ für die Besitzverhältnisse mehr. Wie sehr sich die
heutigen Bedingungen von den traditionellen Voraussetzungen unterscheiden, wird
deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass es um 1900 in den von Mongolen
bewohnten Gebieten (einschließlich der Inneren Mongolei, aus der Guru Deva stammt)
noch 243 inkarnierte Lamas gab, während es heute in der äußeren Mongolei insgesamt nur
drei solche leitenden Würdenträger gibt. Die Folge ist der Abbruch der Inkarnationslinien.
Dies
wiederum
führt
zu
einem
zentralen
Problem
der
buddhistischen
Revitalisierungsbestrebungen.
Mit dem Fehlen der Lamas kann die buddhistische Bewegung auch nicht auf die
erforderliche Ausbilder-Generation zurückgreifen. Welche gravierenden Folgen sich aus
99
dem Fehlen der Meister ergeben, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass - wie
in Kap. 3 kurz dargelegt - die direkte Übertragung der buddhistischen Lehre vom Meister
auf den Schüler ein Hauptmerkmal der tibetischen Tradition der Gelugpas ist und diese in
identischer Form in der vorsozialistischen Mongolei vorzufinden war.
Verbunden mit dem jahrzehntelangen Verbot der Ausübung der Religion in der Mongolei
wuchs
eine
Generation
ohne
offizielle
religiöse
Ausbildung
auf,
was
einen
Generationensprung in der Übertragung verursacht: Die jungen Mönche, welche heute
wieder in den Klöstern vorzufinden sind, entstammen der Enkelgeneration der letzten
‚Mönche’, die vor der kommunistischen Zeit ordiniert wurden. Die im Land verbliebenen
Buddhisten der alten Generation waren, wie in Kap. 4.2 dargelegt, durch die politischen
Verhältnisse gezwungen worden, ein weltliches Dasein zu führen, zu arbeiten, eine Familie
zu haben etc. und hatten daher keine gebührende religiöse Ausbildung erfahren und sind
deshalb auch außerstande, selbst adäquat auszubilden.
Dementsprechend ist man bei der Ausbildung der jungen Mönche auf die Unterstützung
der im Exil lebenden Glaubensgemeinschaft angewiesen. Auch hierfür bietet Zava
Rinpotsche ein Beispiel, der ja bekanntermaßen einen Großteil seiner Ausbildung in der
Schweiz erhielt. Generell gibt es seit der Demokratisierung in der Mongolei die Tendenz,
dass eine beträchtliche Anzahl von Mönchen aus der Mongolei zu den tibetischen
Exilklöstern in Indien reist, um dort eine religiöse Ausbildung zu erhalten. Parallel dazu
werden Lehrer aus dem Ausland in die Mongolei eingeladen, wie beispielsweise Bakula
Rinpotsche in Ulaan Baatar und Gesche Thubten als ein Lehrer Zava Rinpotsches. Ziel sei
es, so erklärte Gesche Thubten in einem Interview, mongolische Mönche wie Zava
Rinptosche auszubilden, die dann dort wieder als Multiplikatoren dienen könnten. Durch
diese beiden Komponenten, also die Ausbildung von Mongolen im Ausland und das
gleichzeitige Unterrichten ausländischer Lehrer in der Mongolei, wird von der
Glaubensgemeinde versucht, die Lehre in der Mongolei wieder aufzubauen. Dabei stellen
die Meister-Schüler-Beziehungen jene Säulen dar, die das Netzwerk zusammenhalten.
Durch den Rückbezug auf die Tulku-Tradition kann der Generationensprung zumindest
partiell ‚gekittet’ werden. Hiervon war auch schon in Kap. 5.3, 5.4.2 u. 6 die Rede.
Inwieweit dies in erforderlichem Maße gelingt, soll in der nun folgenden Diskussion der
mit der Revitalisierung verbundenen Probleme und Lösungsversuche aufgezeigt werden.
100
7.3 Probleme und Lösungsversuche: Analyse und Diskussion
Die hier zu diskutierenden Probleme sind einerseits in der klösterlichen Ausbildung und
andererseits in der gesellschaftlichen Umsetzung des Buddhismus verortet. In Bezug auf
die klösterliche Ausbildung birgt der oben erwähnte Generationensprung ein
vielgestaltiges Wechselspiel von Problemen, Lösungsversuchen und Konflikten. Ein
anderer Aspekt, der in diesem Kapitel diskutiert wird, ist, dass der Buddhismus neue
Formen der Ausgestaltung und Außendarstellung benötigt, um sich unter den veränderten
gesellschaftlichen Bedingungen verankern zu können.
Die Konflikte, die sich in den neu errichteten Klöstern ergeben, resultieren zu einem
großen Teil aus unterschiedlichen Einstellungen zu der klösterlichen Disziplin, die in der
Tradition des Gelug-Ordens (gemäß der Bedeutung ihres Namens ‚die Tugendhaften’) dem
Mönchstum ein Zölibat verordnet. In der jetzigen Situation klafft eine kaum zu
überbrückende Differenz zwischen der Großvatergeneration, die im Lauf der Geschichte
zu einem weltlichen Leben mit Familie konvertierte und daher asketische Regeln ablehnt,
und der Enkelgeneration, die sich größtenteils nach den klösterlichen Traditionen richtet.
Man könnte dies als einen untypischen Generationenkonflikt zwischen den ‚alten
Pragmatikern’ und den ‚jungen Puristen’ bezeichnen.
Der Terminus ‚Alte Pragmatiker’ bezeichnet hier diejenigen Männer, die vor der
kommunistischen Zeit als Mönche gelebt hatten und nach 1990 wieder ihre Roben
angezogen und den Neuaufbau der Klöster in Angriff genommen haben. Viele von ihnen
verbringen nun ihren Lebensabend zusammen mit ihren Familien in den Klöstern. Dass
diese mittlerweile ca. 80/90 Jahre alten Personen als Mönche mit Familien in den Klöstern
leben, wird von den Meistern im Exil als historisch bedingte Ausnahme meist wohlwollend
hingenommen, da diese zwangsweise verweltlicht worden waren und dennoch viel für den
Erhalt des Buddhismus im Verborgenen und für dessen Wiederaufbau getan haben. Was
jedoch als weit kritischer angesehen wird, ist die Tatsache, dass diese stark verweltlichten
„Mönche“ für weite Teile der jungen Generation als Vorbilder fungieren. Viele Kinder
wurden seit der Wende gemäß der alten Tradition als Novizen in die Klöster geschickt,
was sie nicht hinderte, dann als junge Erwachsene ebenso Familien zu haben und trotzdem
als Mönch im Kloster leben zu wollen. Eine solche „Doppelrolle“ ist in der Mongolei
öfters zu beobachten, wird allerdings von den Meistern im Exil durchweg kritisiert, wie
101
alle interviewten buddhistischen Meister in Bezug auf ihre Tradition beteuerten. Gonsar
Rinpotsche formuliert diese Position in buddhistischer Manier sehr diplomatisch:
Wenn jemand als Mönch gekleidet teilweise zu Hause mit Frau und Kindern lebt und teilweise im Kloster
Gebete und Rituale durchführt, dann ist das natürlich besser als nichts; aber wenn es die Möglichkeit gibt, als
ein richtiger Mönch mit den vollen Gelübden zu leben, dann ist das viel besser als so eine Art von
Scheinmönch zu sein (GR: 8).
Ähnlich sah es Zasep Rinpotsche, der in einem Gespräch auf die Analogie zu der Situation
in Burjatien verwies: auch dort gäbe es „verheiratete Mönche“, allerdings würde die
Tradition sich durch diejenigen Mönche, die in Indien studierten und als „richtige
Mönche“ zurückkehrten, langsam wieder erholen. Diese ‚jungen Puristen’ waren die
Hoffnungsträger aller Interviewten, verknüpft mit der Hoffnung, dass in der Mongolei
langsam durch die Reimplantierung der reinen Lehre, wie sie im Exil erhalten wurde,
wieder intakte Klöster entstünden. Solche verheirateten Mönche seien nämlich keine
„mongolische Spielart“, wie es manchmal bezeichnet werde, sondern lediglich
Überbleibsel aus der sozialistischen Zeit.
Im Aufeinandertreffen von engagierten Mönchen wie Zava Rinpotsche, die den alten
Lehren, die sie aus dem Studium im Ausland kennen, folgen wollen, und denjenigen, die
solche Hybridbildungen von Mönchstum und weltlichem Dasein, wie sie die
Großvätergeneration vorlebt, befürworten, liegt ein Zündstoff für Konflikte um die
Vorherrschaft in den Klöstern. Dies resultiert zum Teil aus der Situation, dass sich die
buddhistische Überlieferung der Gelug-Tradition zu großen Teilen ‚enträumlicht’ hat, um
mit den Worten Arjun Appadurais (1998: 13) zu sprechen. Dieser entwickelte innerhalb
der Diskussion um die kulturelle Globalisierung ein hilfreiches Begriffsinstrumentarium.
Entgegen der Annahme einer Vereinheitlichung oder „MacDonaldisierung“ (Ritzer 1993)
der Gesellschaft wird aus kulturwissenschaftlicher Perspektive im Zuge der Globalisierung
eine Aufwertung des Lokalen diagnostiziert, was sich in Wortschöpfungen wie
„Glokalisierung“ (Robertson 1998) niederschlägt. Appadurai betont ebenso eine
Örtlichkeit (‚locality’), die sich jedoch durch globale kulturelle Strömungen enträumlicht
hat. Diese kulturellen Strömungen setzen sich aus komplexen, einander überschneidenden
und gleichzeitig ‚disjunktiven’ Ordnungen zusammen, die keine vereinheitlichende
Perspektive zulassen. Die kulturellen Ströme nennt er:
ethnoscapes, [..] technoscapes, [..] financescapes and [..] ideoscapes. The suffix scape allows us to point
to the fluid, irregular shapes of these landscapes, shapes that characterize international capital as deeply
as they do international clothing styles (Appadurai 1996: 33).
102
Daraus ergeben sich landscapes, die aus unterschiedlichen Winkeln betrachtet
verschiedene Bilder hervorrufen. Das Modell, welches Appadurai durch die Beschäftigung
mit Massenmigration entwickelte, orientiert sich zwar mehr an den sozialen, politischen
und wirtschaftlichen Verhältnissen, hat aber den Anspruch, auch für kleinere Einheiten bis
hin zum handelnden Individuum als Erklärungsmodell zu dienen. In diesem Sinne ließe es
sich gut auf die Strömungen des tibetischen Buddhismus anwenden. Dieser hat sich, wie an
Zava Rinpotsches Ausbildung deutlich wurde, enträumlicht und im Exil in neuen
Ausprägungen erhalten. Durch die Zugehörigkeit zu einer transnationalen Gemeinschaft
erfolgte dann in einem zweiten Schritt ein Rückfluss in die Mongolei. Transnational war
der tibetische Buddhismus, wie in Kap. 3.3.4 und 4 dargelegt wurde, schon seit seiner
Entstehung gewesen. Die unterschiedlichen lokalspezifischen Ausprägungen des
Buddhismus bilden somit eine solche disjunktive Ordnung, die durch den „Rückfluss“ des
traditionellen buddhistischen Diskurses der Gelug-Tradition in der Mongolei zu den
beschriebenen Spannungen führt. Appadurai postuliert weiterhin, dass die Phantasie als
„Gegengift gegen die Begrenztheit sozialer Erfahrungen“ zu einer „sozialen Praxis“
geworden ist und eine entscheidende Rolle bei der Entscheidung des Individuums zu einer
Zugehörigkeit zu einer diasporischen Öffentlichkeit spielt: „Die Biographien gewöhnlicher
Menschen werden auf diese Weise zu Konstruktionen, bei denen die Imagination eine
bedeutsame Rolle spielt“ (Appadurai 1998: 22). Karénina Kollmar-Paulenz (2003)
berichtet, dass in der Mongolei das Mönchstum von jungen Leuten nicht nur aus religiösen
Gründen angestrebt wird, sondern auch als ein „job“ aufgefasst werde – in Anbetracht der
hohen Arbeitslosigkeit könnte dies einen der entscheidenden Beweggründe darstellen. So
käme es dazu, dass manche Mönche nur tagsüber im Kloster ihre Pflichten erfüllten,
abends nach Hause gingen und nicht einmal wüssten, welchem Orden sie angehörten
(2003: 10-11). Zava Rinpotsche, der im Einklang mit seinen Lehrern aus dem Exil eine
streng puristische Haltung einnimmt, berichtete, dass er öfter von seinen Schülern zu
kulturellen Veranstaltungen wie Theater o.ä. eingeladen werde. Bei einer dieser
Veranstaltungen, einer Art „poetry jam“, habe er einmal mit ansehen müssen, wie ein
„Mönch“, der dieselben Robe trug wie er, romantische Liebesgedichte vortrug. Er habe
diese Situation damals als so beschämend empfunden, dass er beschloss, fortan auf
derartige Ausflüge zu verzichten. Appadurai (1996) beschreibt Spannungen und
Differenzen, die sich aus globalen Strömen von Kultur ergeben, folgendermaßen:
The critical point is that both sides of the coin of global cultural process today are products of the infinitely
varied mutual contest of sameness and difference on a stage characterized by radical disjunctures between
103
different sorts of global flows and the uncertain landscapes created in and through these disjunctures (1996:
43).
Obwohl Appadurais Theorie nicht direkt auf religiöse Gemeinschaften in diesem Sinne
ausgelegt zu sein scheint – Religion ist in seinen fünf –scapes nicht explizit erwähnt –
macht sein Modell der enträumlichten kulturellen Ströme die beobachteten Phänomene
greifbar. Die Überschneidungen der verschiedenen Teilbereiche lassen darüber hinaus auch
einige Beobachtungen aus Kapitel 6 plausibel erscheinen. Darin wurde die These
aufgestellt, dass Zava Rinpotsche durch das Kennenlernen der Situation der Exilklöster in
der Schweiz und Österreich neben seiner religiösen Ausbildung sich auch weitere
Fähigkeiten aneignen konnte, die für seine Revitalisationsbemühungen in der Mongolei
hilfreich sind. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Zentren sich in Europa
bereits auf die „westlichen“ Verhältnisse eingestellt haben und Zava Rinpotsche neben der
Organisation des Wiederaufbaus der Klöster auch neue Strukturen der gesellschaftlichen
Etablierung des Buddhismus in der postsozialistischen Mongolei entwickeln muss. Eine
erfolgreiche Reimplantierung ist nur möglich, wenn die vielfältigen Ansprüche an den
Buddhismus seitens der mongolischen Bevölkerung gebührend berücksichtigt werden.
Zum einen wäre hier das Sprachproblem zu nennen. Barkmann (1997) stellt die
Behauptung auf, dass der Buddhismus seine Schriften ins Mongolische übersetzen müsse,
wenn er erneut Fuß fassen wolle. Schon Stalin habe die Frage gestellt, warum die Sprache
der Religion Tibetisch sei, wenn die Mongolei doch auf ihrer Unabhängigkeit bestünde.
Kritische Stimmen aus der Bevölkerung werden laut, die beklagen, dass ja nichts von den
Gebeten und der Liturgie zu verstehen sei (Barkmann 1997: 74). Zava Rinpotsche begann
deswegen beispielsweise mit der Übersetzung der Werke seines Vorgängers. Allerdings
muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass ein fundamentaler Bestandteil der klösterlichen
Ausbildung philosophische Debatten sind, die an eine eigens dafür ausgeprägte Form der
tibetischen Sprache gekoppelt sind und nicht ohne weiteres übersetzt werden können. Dies
kollidiert mit der bereits in Kap.5.4.3 herausgestellten Notwendigkeit, die Lehren auch für
die Laienbevölkerung zugänglich zu machen, sofern das Ziel ernst genommen wird, den
Buddhismus in der veränderten gesellschaftlichen Situation zu verankern.
Ein weiterer Punkt der Etablierung des Buddhismus in der jungen Marktwirtschaft ist die
Fähigkeit einer flexiblen Adaption an die gesellschaftlichen Verhältnisse. Vor der
kommunistischen Zeit war der Buddhismus mit der mongolischen Gesellschaftsstruktur
verschmolzen, war Teil einer jahrhundertelangen Tradition. Auf welche Art und Weise
sich der religiöse Bereich unter den veränderten Voraussetzungen mit den sozialen,
104
politischen und ökonomischen Verhältnissen verbinden kann, wird sich erst im Laufe der
Zeit zeigen. Eine Forderung, die immer wieder an den Buddhismus gestellt wird, ist, dass
er seine Lehren auch durch konkretes soziales Engagement umsetzt (vgl. Barkmann 1997:
74). Die beschriebenen karitativen Funktionen der NGO Amar Mur stellen erste Schritte
dar, die Zava Rinpotsche in diese Richtung unternommen hatte. Dabei bediente er sich
ebenso transnationaler „flows“, d.h. der Geldflüsse von Sponsoren aus dem Ausland, die
durch Verbindungen zu den buddhistischen Meistern im Exil zustande kommen. Im
Gegenzug erfolgt eine Aufwertung des Lokalen durch die alten Statuen und Schriften,
sowie die Reinstallierung von Klöstern und Tempeln in den entlegenen Gebieten der
mongolischen Steppe, die ihrerseits eine Faszination auf westliche Sponsoren ausüben.
Solche Wechselwirkungen scheinen für die Mongolei charakteristisch zu sein, hat diese
doch in den im Westen verbreiteten Reportagen meist noch das Image der unberührten
Natur und des geheimnisvoll Mysteriösen. Eine Einbindung in internationale Strukturen
hat ihrerseits den nicht zu unterschätzenden Effekt der Aufwertung des Buddhismus
innerhalb der Bevölkerung, die sich scheinbar nicht frei gemacht hat von den
verherrlichenden Projektionen des Westens, wie die vielfältigen Trends in den Medien, der
Marketingstruktur und der Mode zeigen. Dabei ist es interessant zu beobachten, welche
Rolle der Buddhismus, der mit der Tradition verbunden ist, einnehmen wird. Christopher
Kaplonski (2004) untersucht in seinem Werk „Truth, history and politics in Mongolia. The
memory of heroes.“ den Rückgriff auf die eigene Geschichte als identitätsstiftenden
Diskurs in der Mongolei.52 Gerade nach der Umwälzung von 1990 sei die Konzeption einer
mongolischen Identität in Abgrenzung zur chinesischen und russischen zu einer bislang
nicht da gewesenen Bedeutung gelangt. Die Figur Chinghis Khans nimmt daher auch in
der mongolischen Öffentlichkeit einen breiten Raum ein und unterstreicht so einen oft
anzutreffenden mongolischen Nationalstolz.53 Inwieweit der Buddhismus eine Rolle im
Nationalbewusstsein spielen wird, hängt maßgeblich davon ab, wie er sich an die
gesellschaftlichen Verhältnisse anpassen kann. In Kapitel 5.4.3 wurde am Beispiel von
Zava Rinpotsches Laienschülern aufgezeigt, dass sich durchaus auch namhafte Vertreter
aus Wirtschaft und Politik Rat bei buddhistischen Mönchen holen – Kollmar-Paulenz
beschrieb dieses Vorgehen sogar für kommunistische Parteifunktionäre (2003: 20). In
Ulaan Baatar lassen sich in vielen Autos, gerade auch in denjenigen noblerer Bauweise,
52
Unter den drei untersuchten Figuren, Chinghis Khan, Zanabazar und Süchbataar, nimmt jedoch das
religiöse Oberhaupt Zanabazar nicht die von ihm erwartete Bedeutung ein (Kaplonski 2003: 23).
53
Auch Zava Rinpotsche war der Überzeugung, dass Chinghis Khan nicht schlecht gewesen sein könne, da
schließlich in seinem Gefolge der Buddhismus Einzug in die Mongolei hielt. Ferner war er der Auffassung,
dass die Mandschus ebenfalls Mongolen seien, weswegen die Mongolei nie ihre Souveränität verloren habe.
Beides sind Beispiele für einen Rückgriff auf Geschichte als eine positive Identitätsstiftung.
105
beispielsweise buddhistische Schutzamulette an den Rückspiegeln beobachten, was die
These einer Adaption des Buddhismus bei jenem Teil der Bevölkerung, der maßgeblich an
der wirtschaftlichen Entwicklung beteiligt ist, schließen lässt. Dass sich andererseits auch
Zava Rinpotsche durch den Umgang mit erfolgreichen Unternehmern Ratschläge für seine
Aktivitäten holt, wurde bekanntermaßen in 5.4.3 beschrieben. Wie eng die Verflechtungen
zwischen den verantwortlichen Religionsführern und der ökonomischen Elite sind, belegt
das von mir beobachtete Beispiel, bei dem Zava Rinpotsche inmitten einer anderen
Beschäftigung eine seiner I-Ging ähnlichen Mo-Befragungen durchführte, und unmittelbar
danach einen Unternehmer anrief und ihm dringend dazu riet ein bestimmtes Geschäft just
zu diesem Zeitpunkt abzuschließen. Inwieweit eine solche Symbiose Früchte tragen wird
und eine breitenwirksame Etablierung des Buddhismus herbei geführt werden kann, bleibt
abzuwarten und hängt vom Erfolg solcher Unternehmungen ab. Die daraus entstehenden
Praktiken erinnern stark an das Modell der Hybridbildungen, wie es im Zuge
postkolonialer Debatten diskutiert wurde. Hauptvertreter dieses Diskussionsansatzes ist
Homi Bhaba (1985), der Kultur in einem dritten Raum oder Interstitium verortet. Der dritte
Raum entsteht, vereinfachend gesagt, zwischen bzw. neben den Binaritäten wie Ost und
West, die Edward Said (1981) als Konstruktionen entlarvte. Solche Konstrukte seien zu
starr, so Homi Bhaba und würden die westliche Hegemonie überbewerten. Auch Bhaba
konzentriert sich stärker auf gesellschaftliche, kulturelle und politische Strömungen. In
unserem von Migration und ethnischer Hybridität54 gekennzeichnetem Zeitalter geht es
seines Erachtens darum, die Zwischenräume, Spaltungen und Unterschiede aufzuzeigen
und kulturelle Differenzen als ,produktive Desorientierungen’ zu deuten. Die Subjekte
sollen nicht nach einer ethnischen Festlegung definiert werden, sondern gerade die
Verknotung
von
Teilaspekten
der
unterschiedlichen
ethnischen,
klassen-
und
geschlechtsspezifischen Zugehörigkeiten sollten die kulturelle Identität bestimmen. Unser
Dasein sei von einem Gefühl des Überlebens geprägt, es befinde sich an den „Grenzen der
‚Gegenwart’“, was sich nur durch Begriffe mit der Vorsilbe ‚Post’ ausdrücken ließe:
Postmoderne, Postkolonialismus, Postfeminismus.[...]. Dieses ‚Darüber-Hinaus’ ist weder ein neuer Horizont
noch ein Zurücklassen der Vergangenheit.[...]. Anfänge und Enden sind wohl die tragenden Mythen der
mittleren Jahre. (Bhabha 2000:1)
54
Hybridität beschreibt Bhaba folgendermaßen: “Hybridity is the sign of the productivity of colonial power,
its shifting forces and fixities; it is the name for the stratetic reversal of the process of domination through
disavowal (that is, the production of discriminatory identities that secure the ‘pure’ and original identity of
authority). Hybridity is the revaluation of assumption of colonial identity through the repetition of
discriminatory identity effects” (Bhabha 1985: 34).
106
Bhabas Konzept orientierte sich an einer postkolonialen Ausgangslage. In wie weit dies für
die postsozialistische Mongolei zutrifft, wäre noch zu überprüfen. Hybridbildungen in der
Ausgestaltung des Buddhismus wurden aufgezeigt und zeichnen sich auch für die Zukunft
ab. Jedoch ist das Phänomen noch zu jung, um es abschließend beurteilen zu können. Zava
Rinpotsche war der Auffassung, dass die Zeit für Laienanwender des Buddhismus in der
Hauptstadt Ulaan Baatar erst im Laufe der nächsten Jahren kommen werde. Wie sich der
Buddhismus durch die persönlichen Verflechtungen mit der aufsteigenden Wirtschaft
verbindet und welche Formen dadurch entstehen, wäre ein interessantes Thema für
zukünftige Untersuchungen, in denen dann ein Vergleich mit den postkolonialen Theorien
erfolgen könnte. Während hier Prognosen schwierig sind, kann als gesichert gelten, dass
die Entwicklungen des Buddhismus maßgeblich von der Weiterentwicklung von Personen
wie Zava Rinpotsche abhängen, die als Multiplikatoren der Lehre die Hoffnungsträger der
Glaubensgemeinde darstellen.
107
8. Schlussbetrachtung und Ausblick
Vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Prozess der Revitalisierung des Buddhismus in
der Mongolei. Aufgrund der dürftigen Literaturlage wurde der Entschluss gefasst, eine
Erhebung vor Ort durchzuführen. Begünstigend wirkte sich aus, dass bereits Kontakte zu
buddhistischen Führungspersönlichkeiten bestanden. Dadurch war es möglich, den aktuell
stattfindenden Prozess authentisch zu dokumentieren. Neben teilnehmender Beobachtung
rekurriert die Studie auf dem methodischen Zugang der Biographieforschung. Mit diesem
Ansatz war es möglich, die vielschichtigen Ausdrucksformen, Spannungsfelder und
Verflechtungen der Revitalisierung in Form einer Innensicht zu eruieren. Als
Schlüsselinformant
diente
Zava
Rinpotsche,
ein
Hauptakteur
im
Prozess
der
Revitalisierung, in dessen Biographie sich alle wesentlichen Stationen und Verflechtungen
widerspiegeln.
Zava Rinpotsche wird in seiner Kindheit Zeuge der sozialistischen Repression gegenüber
dem Buddhismus und des illegalen Fortbestehens religiöser Praktiken im Verborgenen. In
seiner Adoleszenz erlebt er den demokratischen Umschwung der Mongolei, verbunden mit
der Legalisierung der Religion und den ersten Versuchen des Wiederaufbaus zerstörter
Klöster. Nach dem Vorbild seines Großvaters wird er selbst ein Mönch und damit zum
Akteur der buddhistischen Revitalisierung. Bedingt durch sein ausgeprägtes Engagement
wird er zur Ausbildung in ein tibetisches Exilkloster in der Schweiz gesandt, wodurch er
Teil eines transnationalen Netzwerkes wird, das sich maßgeblich am Wiederaufbau des
Buddhismus in der Mongolei beteiligt. Nach seiner Rückkehr wird ihm die
Ausbildungsleitung seines Klosters übertragen und er übernimmt repräsentative Aufgaben.
Einen Einschnitt bezüglich seiner Rolle stellt die offizielle Bestimmung als ‚Tulku’, die
gefundene Wiedergeburt eines großen Meisters, dar. Als ‚Living Buddha’ ist er
verpflichtet am Lebenswerk seines Vorgängers anzuknüpfen. Eine Hauptaufgabe sieht er
darin, den Aufbau des zerstörten Klosters seines Vorgängers in Angriff zu nehmen, wobei
er auf Ressourcen des internationalen Netzwerks der Glaubensgemeinde zurückgreifen
kann, in welcher er fortan eine Schlüsselposition einnimmt.
Wie bereits angedeutet, bilden sich in der Vita Zava Rinpotsches alle wesentlichen
Spannungsfelder ab, die im Kontext der Revitalisierung des Buddhismus in der Mongolei
von Relevanz sind. Im Wesentlichen handelt es sich dabei sowohl um Konfliktfelder
innerhalb der Glaubengemeinschaft wie auch um externe Probleme, die aus der
Auseinandersetzung mit der mongolischen Gesellschaft resultieren.
108
Ein essentielles Problem in der Organisation der Glaubensgemeinschaft ist die
Unterbrechung der Übertragungslinie, die sich durch die lange Zeit des Glaubensverbotes
ergeben hat. Man spricht hier von einem Generationensprung in der klösterlichen
Tradierung vom Großvater zum Enkel. Dieser Generationensprung führt zu zwei
Konfliktfeldern, zum einen im Bereich der Ausbildung und zum anderen im Bereich der
klösterlichen Disziplin.
Von existentiell bedrohlicher Natur ist die Situation in der Ausbildung in den Klöstern.
Aufgrund der jahrzehntelang währenden politischen Repression sind nahezu keine
mongolischen Meister vorhanden, wodurch die traditionelle Übertragung vom Meister auf
den Schüler unterbrochen wurde, die für den Fortbestand der buddhistischen Lehre in ihrer
mongolisch-tibetischen
Glaubensgemeinde
Ausprägung
bedient
sich
zwingend
zur
erforderlich
Überbrückung
des
ist.
Die
mongolische
‚generation-gaps’
der
transnationalen Verflechtungen mit dem tibetischen Buddhismus. Dabei findet eine
Reaktivierung der seit Jahrhunderten bestehenden Verflechtungen mit der tibetischen
Glaubensgemeinde statt. In der hier vorliegenden Untersuchung konnte gezeigt werden,
dass diese Verflechtungen auf die Meister-Schüler-Beziehungen und auf das Tulku-System
zurückzuführen sind. Die Meister-Schüler-Beziehungen haben eine außerordentliche
Bindungskraft und führen zu vielen gegenseitigen Verpflichtungen. Im Tulku-System, bei
dem der Glaube an die Wiedergeburten bedeutender Meister im Vordergrund steht, findet
durch die Übertragung der Verpflichtungen und Beziehungen des Vorgängers an die
gefundene Wiedergeburt traditionsgemäß eine Vernetzung statt. Auf der Basis dieser
beiden Beziehungsgeflechte war es möglich, dass in der Mongolei trotz des generationgaps noch Verflechtungen zu der tibetischen Glaubensgemeinde bestanden. Dadurch, dass
die tibetischen Buddhisten aufgrund der Repressalien in Tibet mittlerweile selbst im Exil
lebten, verstärkte sich der transnationale Charakter dieser Beziehungen. Die auf diese
Weise verflochtene Glaubensgemeinde versucht nun das Ausbildungsproblem auf zwei
Wegen anzugehen. Zum einen reisen tibetische Meister in die Mongolei, um dort zu
unterrichten und zum anderen werden mongolische Mönche in Exilklöstern ausgebildet,
um als Multiplikatoren zu dienen. Zava Rinpotsches Ausbildung im Schweizer Rabten
Choeling ist hierfür charakteristisch.
Insbesondere jene Mönche, die in ausländischen Exilklöstern mit der „reinen Lehre“ in
Kontakt gekommen sind, versuchen wieder eine traditionelle Ausprägung des Buddhismus
zu reimplantieren, die mit ihrer Betonung des zölibatären Mönchstums im Widerspruch zu
Teilen der Großvatergeneration stehen. Durch die Zwangsverweltlichung gibt es in der
Mongolei viele ehemalige Mönche, die nach dem Verbot des Buddhismus eine Familie
109
gründeten und 1990 als verheiratete Mönche mit dem Wiederaufbau der Klöster begannen.
Diese Generation wird von der Exilgemeinde und den dort ausgebildeten jungen Puristen
als Ausnahmefall toleriert. Ein Konfliktpotenzial bildet die Vorbildfunktion, die diese
Lebensweise evoziert: Junge Mönche, die auf traditionelle Weise in jungen Jahren ins
Kloster kamen, sehen für sich in der Doppelrolle von Mönch und Familienvater eine
durchaus akzeptable Lebensweise. Nach der tibetischen Überlieferungslinie ist eine
Abkehr vom Zölibat für Mönche allerdings nicht diskutabel. Dieser Umstand birgt ein
Konfliktpotenzial, das eine Spaltung der buddhistischen Glaubensgemeinde nicht
ausschließen lässt und zu einer ernsthaften Gefährdung des Revitalisierungsprozesses
werden könnte.
An diesem Beispiel manifestiert sich eine Widersprüchlichkeit in der mongolischen
Gesellschaft. Offenbar existiert auch weiterhin ein Bedürfnis an der Tradition
anzuknüpfen, aber die Bedingungen für die Revitalisierung sind nicht mit jenen
vergleichbar, wie sie vor dem Verbot vorzufinden waren. Während in der
vorsozialistischen Zeit die traditionellen Strukturen generell mehr junge Menschen ins
Kloster führten und diese dann auch bereit waren, sich dem zölibatären Lebensstil
anzupassen, werden diese Regeln heute grundsätzlich in Frage gestellt. Das Festhalten an
einer Doppelrolle lässt sich mit dem Bedürfnis erklären, sich mit der Robe wieder ein
Stück mongolische Identität anzueignen.
Auf diese veränderten gesellschaftlichen Bedingungen, so hat die Untersuchung zeigen
können, muss der Buddhismus auch in anderen Bereichen reagieren. Federführende
Vertreter der Revitalisation stehen daher auch vor neuen Aufgaben, um den Buddhismus
entsprechend der veränderten Bedarfslage zu modifizieren. In der jungen Marktwirtschaft
scheint dabei ein adäquater Umgang mit Laienanwendern gefragt zu sein, ebenso die
Fähigkeit, als Unternehmer zu wirken und angemessene Repräsentationsformen zu finden.
Die Revitalisierung des Buddhismus kann nur funktionieren, wenn deren Vertreter hierzu
tragfähige Strukturen schaffen. Hierfür bedarf es zum einen unternehmerischer
Fähigkeiten, um den Wiederaufbau der Klöster zu organisieren, die Gründung von
öffentlichkeitswirksamen Zentren, wie z.B. Anlaufstellen für die Bevölkerung in Ulaan
Baatar, voranzutreiben, sowie die zu diesem Zweck erforderlichen finanziellen Mittel
aufzutreiben. Dabei sind auch Fähigkeiten und Verbindungen notwendig, die sich durch
die Kontakte mit der Exilgemeinschaft ausbilden. Der Umgang mit den Gläubigen
erfordert von den Vertretern des Buddhismus ein empathisches Geschick bei
Laienanwendern und den Transfer der Lehre auf eine allgemein verständliche Ebene.
Hierunter fällt auch das Übersetzen der (tibetischen) Schriften in die mongolische Sprache.
110
Der bei dieser Untersuchung verfolgte Ansatz, Revitalisierung unter dem Aspekt der
Ressourcen zu betrachten, die den Akteuren zur Verfügung stehen, hat sich als fruchtbar
erwiesen. Neben dem Aufzeigen der relevanten Prozesse in der Mongolei rückten damit
auch die internationalen Verflechtungen unter einem leicht abweichenden Blickwinkel in
den
Fokus
und
unterscheiden
sich
dadurch
vom
Ansatzpunkt
gängiger
Globalisierungsdebatten. Durch die emische Betrachtungsweise konnten religiöse
Implikationen der transnationalen Verflechtung besonders konturiert herausgearbeitet
werden. Es wurde dabei deutlich, dass sich durch die Exilsituation zeitgemäße Adaptionen
an die jeweiligen Gesellschaften herausbilden, die untereinander einen flexiblen Austausch
ermöglichen. Appadurais Modell der „cultural flows“ kam diesem Ansatz zwar nahe, doch
fehlt ihm die spezifisch religiöse Komponente, wie sie für die hier beschriebenen
Phänomene konstitutitv waren. Bei den hier in Rede stehenden Vernetzungen konnte
exemplarisch aufgezeigt werden, wie der Buddhismus eine dynamische Beziehung zu
seiner jeweiligen Umwelt aufbauen konnte, wobei durchaus von einer wechselseitigen
Beeinflussung der Akteure gesprochen werden kann. Als Beispiel hierfür steht die
Beobachtung des Zusammentreffens von Business mit modernster Technologie und dafür
angewandter traditioneller Orakelbefragungen.
In dieser Arbeit wurde an solchen Beispielen auf der Ebene einzelner Akteure aufgezeigt,
dass der Buddhismus einen starken Einfluss auf das Leben von Entscheidungsträgern
nimmt. In diesem Sinne ist davon auszugehen, dass er somit „im Stillen“ die
Gesellschaften beeinflusst, in denen er Fuß fasst.
In Globalisierungsdebatten, die von Theorien geprägt sind, welche einen Kampf der
Kulturen prognostizieren (Huntington 1996; Bolz 2002), finden solche friedlichen
Infiltrationen von Gesellschaften, wie sie der Buddhismus weltweit praktiziert, wenig
Beachtung. So verwundert es auch nicht, dass in den Sozialwissenschaften die stille
Einflussnahme des Buddhismus trotz der Popularität des Dalai Lama kaum
wahrgenommen
wird,
während
Parolen
der
islamischen
Fundamentalisten
als
Bedrohungsszenario überall diskutiert werden55 und dadurch das Bild von einer insgesamt
bedrohlichen „Dritten Welt“ zementiert wird.
Zweifelsohne konnten durch die Studie wichtige Tendenzen aufgezeigt werden. Allerdings
müsste, um die beschriebenen Erkenntnisse in einen größeren theoretischen Rahmen
einflechten zu können, noch weitere Grundlagenforschung betrieben werden, die
55
Selbst Manuel Castells (2002), der sich in seiner Trilogie über das Informationszeitalter dezidiert mit der
„Netzwerkgesellschaft“ beschäftigt, übergeht den Buddhismus, wenn er sich bei seiner Betrachtung der
Religionen auf Christentum und Islam beschränkt (2002b).
111
Vergleiche mit Entwicklungen an anderen Stellen miteinbeziehen sollte. Hinsichtlich der
Revitalisierung des Buddhismus in der Mongolei ließen sich interessante, vielschichtige
Entwicklungsstränge beobachten, die in ihrem weiteren Verlauf verfolgt werden müssten.
Es zeichneten sich Spannungsfelder ab, in denen divergente Entwicklungen denkbar sind.
Von der Art, wie die Konfliktlösungsversuche verlaufen und sich die Hybridbildungen
gestalten, wird entscheidend abhängen, welche der möglichen Richtungen die Adaption
des Buddhismus in der Mongolei einschlägt. Vor diesem Hintergrund erscheint es
indiziert, die gesellschaftlichen Entwicklungen mit einer Langzeitforschung zu begleiten.
Um die aufgezeigte Komplexität der ablaufenden Prozesse in ihrer Tiefenstruktur
untersuchen zu können, wäre eine breiter angelegte Vorgehensweise indiziert.
Insbesondere gilt dies für die transnationalen Verflechtungen und die komplexen
Wechselbeziehungen sowie Hybridbildungen zwischen den buddhistischen Exilgemeinden
und ihrer jeweiligen Umwelt in der Gastkultur. Zur Erforschung dieses Phänomens bietet
sich ein interdisziplinärer Ansatz, wie er im Zusammenhang mit der „multi-sited
ethnography“ (Marcus 1995) diskutiert wird, an. Dadurch ließen sich die komplexen
gesellschaftlichen Auswirkungen noch facettenreicher durchleuchten, und es könnte auch
der Notwendigkeit einer Reflexivität des Forschungsprozesses stärker entsprochen werden.
112
9. Glossar
9.1 Personen
Althan Khan
(1507-82), Initiator der zweiten Phase der Verbreitung des Buddhismus in der Mongolei.
Atischa
(982-1054), bengalischer Meister, Schüler des indonesischen Meisters Suvarnadvipa,
dessen Unterweisungen er nach Indien und nach Tibet brachte. Begründer der KadamTradition, die von Meister Dsche Tsongkhapa als Gelug-Tradition weitergeführt wurde.
Bilguun
Bruder von Zava Rinpotsche.
Bogda Khan
(1870-1924), Heiliger Herrscher, Beiname des achten →Jetsündampa Khudukhtu.
Buddha Schakyamuni
Bekannt als Begründer des Buddhismus.
Choibalsang
(1895-1952), von Stalin zur Zeit der „Final Campaign“ 1936 als Diktator der Mongolei
eingesetzt („mongolischer Stalin“).
Dschinghis Khan
(1162?-1227), eigentlicher Name Temüjin. 1206 zum Dschinghis Khan ernannt. Begründer
des mongolischen Großreiches, mongolischer Nationalheld bis heute.
Gendün,
(1895-1937), Premierminister der Mongolei zu Beginn der „Final Campaign“, 1936 seines
Amtes enthoben, 1937 im Zuge von Stalins ‚großer Säuberung’ erschossen.
113
Gesche Thubten Trinley
Exiltibetischer buddhistischer Meister der Gelug-Tradition, lebt und lehrt in Rabten
Choeling als teaching-master, besucht regelmäßig die Mongolei, um in Klöstern zu
unterrichten und die Zeremonien der Sommerklausur zu leiten. Lehrer von Zava
Rinpotsche.
Gonsar Rinpotsche
Abt von Rabten Choeling und Tashi Rabten. Buddhistischer Meister, Schüler von Gesche
Rabten, Lehrer von Zava Rinpotsche. Fünfter seiner Reinkarnationslinie, sein Vorgänger,
der vierte Gonsar, lebte lange Zeit in der Mongolei als berühmter Gelehrter.
Guru Deva Rinpotsche
Mongolischer Meister, zentrale Persönlichkeit bei der Revitalisierung des Buddhismus in
der Mongolei seit 1991.
Jetsündampa Khudukhtu
Reinkarnationslinie des geistigen, zeitweise auch weltlichen Oberhauptes der Mongolei.
Nach seiner religiösen Ausbildung in Tibet wurde Öndör Gegen (1635-1723) der erste
J.K., nach dem achten J.K. starb 1924 die Linie offiziell aus, da die kommunistische Partei
die erneute Suche einer Wiedergeburt verhinderte. Ein neuer J.K. wurde von der
tibetischen Exilregierung in Indien bestimmt, bleibt jedoch umstritten.
Kubilai Khan
(1215-1294), Enkel von Dschinghis Khan, mongolischer Khan und späterer Kaiser von
China, Begründer der Yuan- Dynastie.
Lobsang Dargayaa
Mönch in der Mongolei, Hauptinformant für die Arbeit. Geb. 1976, wurde 2003 als
Wiedergeburt von Zava Damdin bestimmt. Siehe Zava Rinpotsche.
Ögedei Khan
(1186-1241), Sohn und Amtsnachfolger Dschinghis Khans.
114
Öndör Gegen
(1635-1723), religiöses Oberhaupt der Mongolei, Begründer der Inkarnationslinie der
Jetsündampa Khudukhtus.
Phagpa Lama
(1235-1280), tibetischer Lama, entwickelte eine neue Schrift für das Mongolische.
Sakya Pandita
(1182-1251), tibetischer Lama.
Tsongkhapa
(1357-1419), tibetischer Meister, Begründer der Neuen Kadampa-Tradition, auch als
Gelug-Tradition bekannt.
Zanabazar
siehe Jetsündampa Khudukhtu.
Zasep Tulku Rinpotsche
In Kanada lebender exiltibetischer buddhistischer Meister der Gelug-Tradition. Unterstützt
den Buddhismus in der Mongolei.
Zava Damdin
Gelehrter buddhistischer Meister der Mongolei um 1900. Verfasser innerhalb der GelugTradition bekannter buddhistischer Abhandlungen sowie von Werken über die
mongolische Geschichte. Vorgänger des Zava Rinpotsche.
Zava Rinpotsche
Junger Tulku aus der Mongolei, Hauptinformant bei den Feldforschungen zu der
vorliegenden Arbeit. Hoffnungsträger für die Revitalisierung des Buddhismus in der
Mongolei. Baut das Kloster Delgeruun Choira seines Vorgängers Zava Damdin in der
Mittelgobi wieder auf.
115
9.2 Orte
Amarbayasgalant
Historisches Kloster in der Mongolei, ca. 350 km nordöstlich der Hauptstadt Ulaan Baatar,
in der Nähe von Darchan gelegen. Eines der ersten ländlichen Klöster, die wiederaufgebaut
wurden, da es nicht vollständig zerstört wurde. Erstes Kloster, in dem Zava Rinpotsche
lebte. Im Internet unter www.amarbayasgalant.org vertreten.
Delgeruun Choira
Kloster in der Mittelgobi, ca. 250 km südlich von Ulaan Baatar gelegen. An der Stelle der
vollständig zerstörten Ruinen begann Zava Rinpotsche mit dem Wiederaufbau des Klosters
seines Vorgängers.
Rabten Choeling
Buddhistisches Klosterinstitut in der Schweiz. 1978 von dem exiltibetischen Meister
Gesche Rabten gegründet, seit dessen Tod ist Gonsar Rinpotsche der Abt, seit 1996
studieren dort Mönche aus Amarbayasgalant.
Tashi Rabten
Buddhistisches Klosterinstitut in Österreich. Wurde ebenso von Gesche Rabten gegründet
und steht in engem Kontakt mit Rabten Choeling.
Ulaan Baatar
Hauptstadt der Mongolei. Wörtlich übersetzt heißt es Rote Helden.
116
9.3 Begriffe56
Abkürzungen bedeuten: skt – sanskrit und tib - tibetisch.
Übersetzungen sind kursiv .
Abidharma Pitaka (skt)
Phänomenologie;
eine
der
drei
Schriftensammlungen,
die
im
→Tripitaka
zusammengefasst sind. A.P. behandelt das Thema Weisheit (Pitaka bedeutet Korb).
Ahimsa (skt)
Schadlosigkeit; Grundprinzip buddhistischer Ethik.
Arhat (skt)
Feindzerstörer; Eine Person, die ihren Geist von Leid und den Ursachen des Leides befreit
hat, also die Hindernisse des →Karma und der →Klescha beseitigt hat.
Avalokiteshvara (skt)
Erscheinung des Mitgefühls aller →Buddhas.
Anuttara Tantra (skt)
Höchste Form der Anwendungen des →Tantra.
Bodhisattva (skt)
Eine Person, deren Charakter vom Erleuchtungsgeist vollständig geprägt ist.
Bodhidschitta (skt)
Geist der Erleuchtung; Erleuchtungsgeist. Eine geistige Einstellung, die auf das Wohl der
anderen ausgerichtet ist, von dem Wunsch, die volle Erleuchtung zu erlangen geprägt ist.
Diese Auffassung bildet den Kern des Großen Fahrzeugs und tritt immerwährend und
‚spontan’ auf, wenn sie durch Geistesschulung einmal verwirklicht wurde.
56
Die einzelnen Begriffe wurden sprachlich zugeordnet. Dafür wurden die Abkürzungen „skt“ für sanskrit
und „tib“ für tibetisch verwendet. Übersetzungen wurden durch Kursivsetzungen gekennzeichnet.
117
Buddha (skt)
Erwachter; ein Wesen, das seinen Geist von den zwei Hindernissen, den Verblendungen
und deren subtilen Eindrücken im Geist befreit hat und alle positiven Eigenschaften wie
Weisheit, Erbarmen und alle Fähigkeiten zur Vervollkommnung gebracht hat.
Dharma (skt)
Halten, Tragen; es gibt viele Bedeutungen dieses Ausdrucks; im Allgemeinen werden
damit die Unterweisungen des Buddha und ihre Verwirklichungen auf dem Weg zur
Erleuchtung bezeichnet. Emische Bezeichnung für Buddhismus/Religion.
Dharmakaya (skt)
Wahrheitskörper eines Buddha, sein voll erleuchteter Geist. Im D. verschmelzen alle
erleuchteten Wesen.
Gelug (tib)
Einer der vier Traditionen innerhalb des tibetischen Buddhismus, von Meister →Je
Tsongkhapa gegründet.
Gesche (tib)
Heilsamer Freund; ein geistiger Meister, in der →Gelug-Tradition ein Titel, den ein
Mönch erreicht, der die fünf großen Abhandlungen gemeistert hat: Logik (Pramana) ,
Anwendungen der Vollkommenheiten (→Paramita), Sicht des Mittleren Weges (→
Madhyamika), klösterliche Disziplin (→Vinaya) und Phänomenologie (→Abhidharma).
Hinayana (skt)
Kleines Fahrzeug; Weg und Anwendungen des →Dharma, die in erster Linie das
Erreichen der individuellen Befreiung aus dem bedingten Dasein zum Ziel haben, indem
der Kreislauf von →Karma und →Kleschas durchtrennt wird.
Kagyü (tib.)
Eine der vier Traditionen innerhalb des tibetischen Buddhismus.
Karma (skt)
Handlung; reine Handlungen (eines Erleuchteten Wesens) und unreine Handlungen. Die
unreinen Handlungen werden in heilsame, unheilsame und neutrale Handlungen des
118
Körpers, der Rede und des Geistes eingeteilt. Im Buddhismus gelten Handlungen, die
einem selbst und anderen Leid und Schaden zufügen, als unheilsam, Handlungen, die
einem selbst und den anderen Glück und Frieden bringen, als heilsam. Heilsame und
unheilsame Handlungen bilden dann die Ursachen für die Erfahrungen von Glück und Leid
innerhalb des bedingten Daseins.
Klescha (skt)
Verblendung; Es gibt viele Arten von Verblendungen im Buddhismus, die drei
Hauptverblendungen sind Begierde, Hass und Unwissenheit (Rabten 1997: 53).
Mahayana (skt)
Großes Fahrzeug; Weg und Anwendungen des Dharma, die zum Ziel haben, den Zustand
der vollen Erleuchtung zum Wohl aller Lebewesen zu erfüllen. Siehe auch →Bodhidschitta
und →Bodhisattva.
Madhyamika (skt)
Schule des Mittleren Weges. Philosophische Richtung des Mahayana, der höchsten der
vier philosophischen Schulen im tibetischen Buddhismus.
Mantra (skt)
Geistbeschützer; Worte oder Silben zum Schutz des Geistes; Namenssilben der Buddhas,
werden im Rahmen von tantrischen Meditationen mit Gottheiten viele tausend Male
rezitiert.
Nirmanakaya (skt)
Emanationskörper der Buddhas. Einer der beiden Unterteilungen des →Rupakaya. Als
Höchster N. dieses Zeitalters gilt Buddha Shakyamuni, auch hoch verwirklichte Meister
werden im tib. Buddhismus als Nirmanakaya betrachtet.
Nirvana (skt)
Jenseits von Leid oder Befreiung; Zustand des Geistes, in dem alle Verblendungen und
Leiden beendet sind; vollständige Befreiung aus dem bedingen Dasein (→Samsara) und
seinen Ursachen.
119
Nyingma (tib)
Die älteste der vier Traditionen innerhalb des tibetischen Buddhismus.
Om Mani Padme Hum (skt)
Namenssilbe (→Mantra) des →Avalokiteschvara.
Paramitas (skt)
Vollkommenheit; Anwendungen des Mahayana, welche die Lebensweise des Bodhisattva
bestimmen: Geben, Ethik, Geduld, Enthusiasmus, Konzentration und Weisheit.
Rupakaya (skt)
Formkörper, Erscheinungsform der erleuchteten Wesen, wird in →Sambhogakaya und →
Nirmanakaya unterteilt.
Sambhogakaya (skt.)
Genusskörper, Wohlstandskörper oder Verweilkörper. Erscheinungsform der Buddhas, die
nur weit verwirklichte Lebewesen wahrnehmen können.
Samsara (skt)
Daseinskreislauf; die Erfahrungen von Geburt und Tod bedingt durch Handlungen
(→Karma) und Verblendungen (→Klescha).
Sangha (skt)
Höchste Gemeinschaft; bezeichnet konventionell die klösterliche Gemeinschaft, im
eigentlichen Sinne sind alle erhöhten Wesen darunter zu verstehen.
Sakya (tib)
Eine der vier Traditionen innerhalb des tibetischen Buddhismus.
Sutra (skt)
Allgemeine Unterweisungen des →Dharma, die →Buddha Schakyamuni für alle
Anwender gegeben hat.
120
Sutra Pitaka (skt)
Lehrrede,
Leitfaden;
eine
der
drei
Schriftensammlungen,
die
im
→Tripitaka
zusammengefasst sind. S.P. behandelt das Thema Konzentration. (Pitaka bedeutet Korb).
Tantra (skt)
Kontinuum; komplexe Anwendungen innerhalb des Mahayana für fortgeschrittene
Anwender in Verbindung mit einer Meditationsgottheit, mit der das subtile Kontinuum
eines Wesens in die drei Körper des Buddha, →Dharmakaya, →Sambhogakaya und →
Nirmanakaya, umgewandelt werden.
Theravada (skt)
Weg der Alten; ‚kleines Fahrzeug’. Form desBuddhismus, in der die persönliche Befreiung
aus dem →Samsara angestrebt wird.
Tripitaka (skt)
Die Gesamtheit der Unterweisungen des Buddha Schakyamunii. Das Tripitaka wird in drei
Sammlungen unterschieden: das Vinaya Pitaka mit Ethik als zentralem Thema, das Sutra
Pitaka mit Konzentration als zentralem Thema und das Abidharma Pitaka mit Weisheit als
zentralem Thema (Pitaka bedeutet Korb).
Tulku (tib)
Skt: →Nirmanakaya; Im Allgemeinen auch eine (Namens-) Bezeichnung für reinkarnierte
buddhistische Meister. Bsp: Zasep Tulku Rinpoche.
Vinaya Pitaka (skt)
Ethik; eine der drei Schriftensammlungen, die im →Tripitaka zusammengefasst sind. V.P.
behandelt das Thema Ethik. (Pitaka bedeutet Korb).
121
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in der Gobi im September 2004.
ZR 4
Zava Rinpoche. Privates Interview mit dem Verfasser in Ulaan Baatar im
September 2004.
ZTR
Zasep Tulku Rinpoche. Privates Interview mit dem Verfasser in Ulaan Baatar im
August 2004.
132
11. Abbildungsverzeichnis
Abb.1:
Amarbayasgalant
S.20
Abb.2:
Arbeitsplatz
S.20
Abb.3
Das Lebensrad
S.29
Abb.4
Das Verdienstfeld
S.37
Abb.5
Schutzgottheit Zetapa
S.60
Abb.6
Pressekonferenz
S.63
Abb.7
Orakelbefragung
S.63
Abb.8
Amar Mur
S.72
Abb.9
Meditationsraum
S.72
Abb.10
Bau des Tempels
S.74
Abb.11
Mandschurische Dachziegel
S.74
Abb,12
Historische Kulturgüter
S.75
Abb.13
Wertvolle alte Schriften
S.75
Abb.14
Kalligraphie
S.81
Abb.15
Repräsentationsaufgaben
S.82
Abb.16
Fernsehdokumentation
S.82
Abb.17
Kooperation 1
S.91
Abb.18
Kooperation 2
S.91
Abb.19
Retreat-Oase
S.92
Abb.20
Besuch aus dem Ausland
S.92
133
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