klinik forum - Universitätsklinikum Tübingen

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Onkologie_Sonder umbruch
17.07.2003
12:19 Uhr
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S O N D E R A U S G A B E 2002
Patientenzeitung
Krebs
Onkologie am Tübinger Universitätsklinikum
➔ Heute, zu Beginn des dritten Jahrtausends, ist
Krebs immer noch eine schlimme, immer noch oft
tödlich verlaufende Erkrankung. Der in den letzten
Jahrzehnten des zurückliegenden Jahrhunderts oft so
nahe gewähnte Durchbruch im Kampf gegen diese
„Geißel der Menschheit“ ist bis jetzt nicht erfolgt.
Vielleicht wird er ja nie gelingen, denn heute weiß
man, dass bösartige Tumoren selbst innerhalb der
gleichen Krebsform sehr unterschiedliche Zellhaufen
sein können, Patienten auf eine bestimmte Therapie
nicht in gleicher Weise reagieren müssen, weil jeder
anders gestrickt ist, und dass in der Regel mehrere
und unterschiedliche Ursachen für die Entwicklung
einer Krebsgeschwulst zugrunde liegen. „Die“ Therapie gegen Krebs wird es deshalb wohl nie geben. Und
auch nicht „das“ Medikament oder „die“ Impfung.
Hoffnung, Heilung, Lebensqualität sind im Zusammenhang mit Krebs dennoch keine Fremdworte
mehr. Unzählige hochmotivierte Wissenschaftler haben in den zurückliegenden Jahren enorme, für die
Betroffenen spürbare und erlebbare Fortschritte in
Diagnose und Behandlung erreicht. Es wurden (und
werden weiter) neue Diagnoseverfahren, Operationstechniken, Therapiekonzepte und Medikamente entwickelt (einer der Schwerpunkte in Tübingen). Der
Hodenkrebs ist ein Paradebeispiel für wissenschaftlichen und medizinischen Erfolg: Er ist heute zu über
90 Prozent heilbar (Seite 6), das Bauchspeicheldrüsen-Karzinom eines für Stagnation: Die Fünf-JahresÜberlebensrate liegt bei drei Prozent (Frauen) und
sechs Prozent (Männer).
Die Wissenschaft forscht, prüft, verbessert von
unterschiedlichsten Ansätzen her: Krebs ist zu einer
fächerübergreifenden (interdisziplinären) Angelegenheit geworden, in der Forschung ebenso wie in
Diagnose und Therapie. Inzwischen sitzen längst auch
die Biotechnologie und die Molekularforschung mit
im Boot. In der Krebsforschung und -behandlung gilt
das Sprichwort von den vielen Köchen, die den Brei
verderben, nicht. Es hat sich gezeigt, dass die besten
Chancen für Krebskranke unabhängig vom Krankheits-Stadium in onkologischen Zentren bestehen.
Der explosionsartige Wissenszuwachs in der Onkologie und vor allem seine Umsetzung in die Praxis
macht ein Zusammenführen dieses Wissens notwendig. In den onkologischen Zentren wie dem
Tübinger stehen heute die aktuellsten medizinischen
Erkenntnisse und technischen Möglichkeiten in
Diagnostik und Therapie zur Verfügung. Dort
kümmern sich Ärzte verschiedener Fächer um den
Patienten, die infolge hoher Behandlungszahlen die
notwendige Erfahrung in der Interpretation der
diagnostischen Ergebnisse und für die Behandlungswahl der zum Teil recht komplexen Krankheitsfälle haben. Mit der Gründung von onkologischen
Kompetenzzentren hat das Interdisziplinäre Tumorzentrum am Tübinger Klinikum den entscheidenden
Schritt in der modernen Tumorbehandlung getan.
Am Tübinger Universitätsklinikum laufen eine
ganze Menge klinischer Studien zur Beurteilung neuer
Diagnoseverfahren und multimodaler Therapiekonzepte, Studien auch zu unterstützenden und lindernden Behandlungsstrategien. Außerdem gehen
viele bundes- und europaweite Studien vom Schnarrenberg aus oder kommen dort zusammen. Ein Teil
der (vorher gefragten) Patienten wird auch innerhalb
solcher klinischer Studien behandelt – was nichts mit
„Versuchskaninchen“ zu tun hat, sondern eher mit
einer Chance: Keinem anderen Patienten wird mehr
ärztliche Aufmerksamkeit und bessere Überwachung
zuteil.
Noch vor drei Jahrzehnten überlebte gerade ein
Drittel der Krebskranken die Fünfjahresfrist, heute ist
es die Hälfte. Es könnten erheblich mehr sein. Jeder
dritte Krebstod könnte der Deutschen Krebsgesellschaft zufolge vermieden werden durch Vorbeugung,
Früherkennung und die Schaffung verbindlicher
Standards. Doch bei Nummer eins und zwei hapert es
gewaltig, obwohl doch jeder diesbezüglich seines
eigenen (Un-)Glückes Schmied ist. Vor allem das
Rauchen als häufigste Krebsursache konterkariert die
medizinischen Fortschritte.
Obwohl dieses KLINIK FORUM keinen Anspruch
auf Vollständigkeit in der Auflistung von Erkrankun-
gen und Problemen erheben kann, reicht der Inhalt
vermutlich aus, um zu zeigen, dass Rauchen seine
üblen Spuren nicht nur in der Lunge hinterlässt.
Alkohol, Fehlernährung, Bewegungsmangel tun ein
übriges. Jedes Jahr erkranken in Deutschland rund
340.000 Menschen an Krebs.
Auch die Früherkennung scheint sich noch immer
nicht so richtig durchzusetzen, obwohl doch schon
vor 107 Jahren im Brockhaus Konversationslexikon
von 1895 auf die Notwendigkeit frühzeitiger Behandlung hingewiesen wurde. Und im Kleinen Brockhaus
von 1905 wird noch explizierter formuliert: „Heilung
nur durch sehr frühzeitige Operation möglich.“ Daran
hat sich in den letzten hundert Jahren bei den
bösartigen Tumoren nichts geändert. Noch immer
sterben jedes Jahr deutschlandweit 190.000 Menschen an Krebs – laut Deutscher Krebsgesellschaft
gehen davon 10.000 Todesfälle auf das Konto
fehlender Früherkennung.
Onkologie ➔ Bereich der Medizin, in dem sich
Wissenschaftler und Kliniker fächerübergreifend
vom Internisten über den Radiologen, Pathologen
und Chirurgen bis zum Radioonkologen (Strahlentherapeuten) und Nuklearmediziner mit Entstehung, Diagnose und Behandlung von Tumoren
und Tumorerkrankungen beschäftigen.
HILFE UND UNTERSTÜTZUNG FÜR PATIENTEN
TUMORZENTRUM
➔ Eine optimale Versorgung von Tumorpatienten
entsprechend dem aktuellen Kenntnisstand ist nur
möglich, wenn alle an einer Behandlung beteiligten
Disziplinen koordiniert zusammenarbeiten. Diese
Kooperation in allen onkologischen Bereichen sowohl in der Krankenversorgung als auch in der klinischen und experimentellen Forschung zu fördern
und zu intensivieren, hat sich das 1981 am Universitätsklinikum gegründete „Interdisziplinäre Tumorzentrum Tübingen“ (ITZ) zur Aufgabe gemacht.
Denn, so § 2 seiner Satzung, „Die wichtigste Aufgabe
des Tumorzentrums ist die stetige Verbesserung der
Diagnose, Therapie und Nachsorge bei Patienten mit
Tumorerkrankungen.“
Diesem Ziel dient vor allem auch die Bildung von
onkologischen Zentren, von denen es bereits zwei
gibt – das Zentrum für Gastrointestinale Onkologie
(Seite 4) und das Zentrum für Weichteilsarkome
(Seite 15). Weitere stecken noch in der Anerkennungs- beziehungsweise Planungsphase. Zu den Arbeitsschwerpunkten zählen unter anderen auch:
– Informationstage für Tumorpatienten und ihre Angehörigen,
– ein telefonischer onkologischer Beratungsdienst für
Haus- und Krankenhausärzte der Region bei allen
onkologischen Fragen,
– Psychosoziale und psychologische Begleitung und
Betreuung von Tumorpatienten und ihren Angehörigen,
– Brückenpflege.
Wer Fragen im Zusammenhang mit Krebs hat,
kann sich an das ITZ wenden,
telefonisch unter 0 70 71/29-8 52 36,
per E-Mail: [email protected]
oder im Internet: www.itz-tuebingen.de/
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KLINIK FORUM Sonderausgabe O N K O L O G I E
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PATHOLOGIE
STRAHLENTHERAPIE
WEICHENSTELLER HINTER DEN KULISSEN
ZIELGENAU UND SCHONEND
➔ „Ist ein Tumor gutartig, wurde die Diagnose vom
➔ Hauptschwerpunkt der onkologischen klinischen
behandelnden Arzt gestellt. Ist er bösartig, ist der
Pathologe dafür verantwortlich!“
Prof. Burkhard Bültmann, der dieses geflügelte
Pathologen-Wort zitiert, ist Direktor des Pathologischen Instituts der Universität Tübingen. Es ist das
älteste und gleichzeitig modernste pathologische
Universitäts-Institut in Deutschland. Und es ist das
einzige Uni-Institut in Deutschland, Österreich und
der Schweiz mit einer eigenen Abteilung für molekulare Pathologie, ein Gebiet, von dem sich Pathologen und Onkologen entscheidende Verbesserungen
in Diagnose und Therapie versprechen.
Als Patient bekommt man den Pathologen oder
die Pathologin nie zu Gesicht, und doch besetzt er
oder sie, sozusagen hinter den Kulissen, die entscheidende Position innerhalb der Onkologie. Sobald nämlich der Verdacht auf einen bösartigen Tumor auftaucht, muss er eingeschaltet werden. Sein Job ist es,
dem behandelnden Arzt eine zuverlässige Diagnose
über Gutartigkeit oder Bösartigkeit des verdächtigten
Gewebes zu liefern. Ein Schnitzer hätte fatale Folgen –
man denke nur an den Essener Brustkrebs-Skandal,
der 300 Frauen gesunde Brüste kostete.
Die behandelnden Ärzte erwarten von den Pathologen all die Informationen, die sie für eine maßgeschneiderte Therapie benötigen: Antworten auf Fragen nach der Größe, Bösartigkeit und Wachstumsgeschwindigkeit des Tumors, danach, ob er auf Hormone, eventuell auf eine Immuntherapie anspricht.
Handelt es sich um einen lokalen Tumor, eine Systemerkrankung, einen Primärtumor oder eine Metastase?
Oft wird zuerst eine Metastase entdeckt – doch von
welchem (Primär-)Tumor und wo steckt der?
Diese Frage nach dem Primärtumor bei Metastasen ist zu Lebzeiten der Patienten laut Bültmann nur
in etwa 60 Prozent der Fälle zu klären. Die Tübinger
Pathologen sind allerdings bei der Suche durch den
Einsatz
moderner
immunhistologischer
und
molekularpathologischer Diagnostik inzwischen zu 80
Prozent fündig. Nur ein Beispiel: Ein PlattenepithelKarzinom im Hals stellte sich als Metastase heraus. Es
gab aber nirgendwo einen Absender. Dank der
modernen Analyseverfahren konnte ein bereits zwei
Jahre zuvor entferntes Muttermund-Karzinom als
Primärtumor identifiziert werden.
Laut Bültmann werden im Jahr am Tübinger
Pathologischen Institut 40 000 Patienten-Biopsien
(einschließlich der von außerhalb des Klinikums aus
Krankenhäusern oder Praxen geschickten) untersucht. Bei 50 bis 60 Prozent besteht der Verdacht auf
einen bösartigen Tumor, „bei 6000 bis 8000 bestätigt
er sich“.
Die bereits angesprochene Detail-Diagnose erlaubt oft erst ein „interoperativer Schnellschnitt“:
Unter der Operation wird Tumorgewebe entnommenen und untersucht. Die Operation ist derweilen
unterbrochen. Auf der Basis der Schnellschnittdiagnose legt der Operateur dann sein weiteres Vor-
gehen fest – zum Beispiel organ- oder nicht organerhaltendes Operieren.
Diese interoperativen Schnellschnitt – Untersuchungen – 4500 jährlich im Tübinger Klinikum –
erfordern, so Bültmann, „einen möglichst hautnahen
Kontakt zu den Kliniken“. Schon seit geraumer Zeit
sind deshalb die Pathologen mit mehreren Teams und
der notwendigen technischen Einrichtung vor Ort in
einem Labor im OP oder direkt davor präsent: in der
Frauenklinik und in den Kliniken Berg.
Diese Vorort-Teams nutzen die Möglichkeiten der
Telemedizin: Wenn bei einer Schnellschnitt-Untersuchung Zweifel oder ein Funken Unsicherheit auftritt,
wird ein Gewebeschnitt per Computer ins Pathologische Institut auf den Bildschirm eines Fachkollegen geschickt, der ihn dort mit begutachtet und überprüft (US-Standard).
Dazu ein Beispiel: Als der Bauch eines Patienten
für die Operation eines Bauchspeicheldrüsen-Tumors
geöffnet wurde, entdeckten die Operateure im Bauchfell „Suspektes“ – Metastasen, stellte der Pathologe
fest, Metastasen auch in den Lymphknoten. Da vom
Ergebnis seiner Untersuchung das weitere ärztliche
Vorgehen entscheidend abhing, holte der Pathologe
im OP bei den Kollegen im Institut eine Zweit- und
Drittbefundung ein. Seine Diagnose wurde bestätigt
und dem Patienten auf Grund des bereits fortgeschrittenen Tumorleidens eine nicht mehr sinnvolle
und belastende Operation erspart. Bültmann: „Hier
müssen dann andere Maßnahmen eingesetzt werden,
zum Beispiel Chemo- und/oder Strahlentherapie.
Tumor ➔ eine Schwellung, Geschwulst oder
Gewebe-Neubildung – der Begriff sagt nichts
über Gut- oder Bösartigkeit aus.
Karzinom ➔ ein bösartiger Tumor, eine maligne
Geschwulst.
Sarkom ➔ ein vom Binde- oder Stützgewebe
ausgehender bösartiger Tumor.
Lymphom ➔ ein bösartiger Lymphknotentumor, zählt
zu den Systemerkrankungen.
Leukämie ➔ Sammelbegriff für bösartige
Erkrankungen des blutbildenden Systems.
IMPRESSUM „KLINIK FORUM“
Patientenzeitung des Universitätsklinikums Tübingen
Herausgeber: Universitätsklinikum Tübingen
Redaktion: Dr. Ellen Katz (verantw.), Text: Rosemarie Greiner
Redaktionsanschrift: Universitätsklinikum Tübingen,
Geissweg 3, 72076 Tübingen
Anzeigen: Günther J. Straub, Tel. (0 71 52) 4 89 30,
Fax (0 71 52) 4 17 48
Layout und Satz: Heller – Grafik & Illustration.
Druck: Deile Druck GmbH
Nächste Ausgabe: Februar 2003
Forschung ist die Entwicklung neuer Behandlungskonzepte von der Strahlentherapie über die medikamentöse Behandlung und chirurgischen Möglichkeiten bis zu Immuntherapien. In klinischen
Studien werden sie verglichen mit den derzeitigen
Standard-Therapien: Sind die neuen effektiver, schonender? Vermindern sie die Nebenwirkungen? Erhöhen sie die Lebensqualität mit ihrem Ergebnis?
Können sie heilen, wo bislang keine Heilung denkbar
ist?
Einen wichtigen Part dabei hat, nicht nur beim
Kampf gegen die heimtückischen Hirntumoren (siehe
„Hirntumoren“, Seite 14) die Radioonkologie, in der
Regel im Verbund vor allem mit der Chemotherapie.
Mit einer Kombinationsbehandlung aus Chemotherapie und spezieller Strahlentherapie lassen sich
heute, so der Strahlentherapeut und Ärztliche Direktor der Radioonkologischen Klinik Prof. Michael
Bamberg, auch in vordem aussichtslosen Fällen Erfolge erreichen, lebensverlängernd, Lebensqualität
verbessernd und durchaus, wie vor allem die kindliche Hirntumortherapie und die Behandlung der
Hodentumoren (siehe Seite 6) zeigen, auch heilend.
Mit der neuen „intensitätsmodullierten Radiotherapie“ (IMRT), die bislang erst in Heidelberg,
Berlin und eben in Tübingen angewendet wird, kann
die Bestrahlung nun definitiv maßgeschneidert erfolgen: Man hat nicht wie herkömmlich ein fest abgestecktes Bestrahlungsfeld, das mit bestimmter
Intensität bestrahlt wird, sondern eines, das sich an
der Form des Tumors orientiert. Diese wird zuvor per
Computer analysiert und der Tumor dann – das ist der
Trick dabei – in viele kleine Teilbereiche zerlegt. Diese
kleinen Teilbereiche können jetzt zielgenau mit der
jeweils nötigen Dosis bestrahlt werden, bekommen
sozusagen eine individuelle Behandlung verpasst.
Computergesteuerte Strahlenblenden kontrollieren
die Dosierungen. Über diese Blenden können die
Einzeldosen auch unter der Bestrahlung verstärkt
oder abgemildert werden.
Eingesetzt wird die IMRT vor allem, wenn ein
Tumor in kritischer Umgebung liegt, der Chirurg also
nicht radikal und schon gar nicht mit einem
„Sicherheitsabstand“ zum gesunden Gewebe operieren kann, wie das vor allem im Gehirn, an der
Schädelbasis, Gefäßen oder am Sehnerv der Fall ist.
Immer mehr an Bedeutung in der Radioonkologie
gewinnen die Brachytherapie, bei der die Strahlenquelle unmittelbar am zu bestrahlenden Feld appliziert wird (siehe „Getrübter Adlerblick“, Seite 14),
desgleichen auch die in Deutschland bisher erst an
fünf Kliniken praktizierte Kathetertechnik, die angewendet wird, wenn es auf punktgenaue Bestrahlung
ankommt (siehe „Wo Alleingang schädlich sein kann“,
Seite 15) und die Hyperthermie (Überwärmung) in
Verbindung mit Chemotherapie, die unter anderem
bei Rezidiven etwa an der Brustwand oder bei
inoperablen Dickdarmtumoren genutzt wird.
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RADIOLOGIE – OMBUDSMANN DES PATIENTEN
➔ Der Hausarzt sagt: „Da stimmt was nicht in Ihrem
BRÜCKENPFLEGE
Das Tübinger Projekt
kümmert sich um pflegebedürftige
Krebspatienten zuhause. Seine beiden
Einsatzschwerpunkte sind die Brückenpflege
und der Spezialpflegedienst für Schwerkranke
und Sterbende.
Die Brückenpflege
– Vorbereitung der Entlassung aus der Klinik
nach Hause und deren Organisation,
– psychosoziale Beratung und Begleitung,
– Überwachung von Schmerztherapie und
Symptomkontrolle,
– Rufbereitschaft rund um die Uhr für die von
ihr betreuten Patienten.
Spezialpflegedienst für Schwerkranke
und Sterbende (zeitintensive Pflege)
– Intravenöse Ernährung,
– Einsatz nach aktuellem Bedarf,
– Nachtwachen,
– Sterbebegleitung.
Einsatzbereich der Mitarbeiter/innen des
Tübinger Projekts sind der gesamte Landkreis
Tübingen und die Gemeinden Walddorfhäslach
und Pliezhausen.
Kontaktaufnahme über
Telefon 07072/206111 oder
E-Mail: [email protected]
Bauch, da muss nachgesehen werden...“ Und schickt
den Patienten zum Radiologen. Der soll sich mal den
Unterleib mit dem Computertomografen angucken.
Er stellt einen Tumor ziemlich weit hinten im
Dickdarm fest, schon nicht mehr ganz klein...
In der Onkologie spielt die radiologische Diagnostik eine entscheidende Rolle. Sie ist so etwas wie
der „Ombudsmann des Patienten“, sagt Prof. Claus
Claussen, Geschäftsführender Direktor der Radiologischen Klinik und Ärztlicher Direktor der Abteilung
Radiologische Diagnostik. Ihre Aufgabe unter anderen ist die Primärdiagnostik, also nach vermuteten
Tumoren oder Metastasen zu suchen, sie genau zu
orten, festzustellen, in welchem (Entwicklungs-) Stadium sie sich befinden und später den Therapieverlauf zu kontrollieren – reagiert der Tumor auf das
gewählte Behandlungskonzept, stagniert sein Wachstum, ist er gar geschrumpft oder hat er sich im Gegenteil weiter ausgedehnt? Mit Hilfe der bildgebenden
Verfahren kann der Radiologe selbst kleine Veränderungen ausmachen, charakterisieren und differenzieren.
Dazu stehen ihm heute immer genauere, schnellere und sicherere Geräte und Techniken zur Verfügung, mit denen werdende Tumoren bereits im
Vorstadium ausgemacht und, wenn es ihre Lage erlaubt, minimal invasiv abgetragen werden können:
Computertomografen (CT), die dreidimensionale
Bilder liefern zum Beispiel oder Multischicht-CT, die
16 Schnitte auf einmal aufnehmen. Mit dem Kernspintomografen und der Positronen-Emissions-Tomografie wiederum lassen sich sowohl morphologische Veränderungen des Gewebes als auch Veränderungen in
der Stoffwechselaktivität (z.B. Durchblutung, Zuckerstoffwechsel) feststellen. „Man kommt“, so Claussen,
„immer mehr von der alleinigen bildgebenden Darstellung weg zur funktionellen Bildgebung.“
An der Spitze dieser Entwicklung steht das sogenannte Falken-Auge (Hawk Eye). Seit knapp zwei
Jahren verfügt die Tübinger Nuklearmedizin als eine
der ersten Abteilungen weltweit über dieses HighTech-Gerät. Es ist die Kombination zweier bildgeben-
Campus
der Verfahren in einer Apparatur: der Szintigrafie (die
die Stoffwechselaktivitäten zeigt) und der Transmissions-Tomografie (die über Röntgenaufnahmen den
Tumor, sei er auch noch so klein, sichtbar macht).
Prof. Roland Bares, Ärztlicher Direktor der Abteilung
Nuklearmedizin der Radiologischen Klinik, zur Funktionsweise des Geräts: „Es überlagert die radiologischen mit den nuklearmedizinischen Messungen zu
einem Gesamtbefund.“
Mit dem Falken-Auge kann der Tumor schon in
einem Frühstadium lokalisiert werden, in dem er
noch zu keiner Größen- oder Formveränderung des
betroffenen Organs geführt hat und in dem die
erhöhte Stoffwechselaktivität seine Existenz bereits
verrät, erklärt Dr. Christiane Pfannenberg, Oberärztin
an der Radiologischen Klinik und Mitglied im Team
„Bildfusion“. Hier arbeiten Radiologische Diagnostik,
Nuklearmedizin und Radioonkologie zusammen.
Eingesetzt wird dieses neue nuklearmedizinische
Verfahren – im Moment noch im Rahmen von Studien
– zur Tumoren- und Metastasen-Diagnostik an Knochen und Skelett, zur Diagnostik neuro-endokriner
(Hormone produzierender) Tumoren im Bauchraum,
zur Entzündungsdiagnostik, Optimierung der Herzszintigrafie und Therapie-Kontrollen bei Schilddrüsenkarzinomen. Inzwischen sind mehrere hundert
Patienten mit dem Falken-Auge diagnostiziert worden. „Wir haben gezeigt“, sagt Bares, „dass sich Zusatzuntersuchungen vermeiden lassen – in zwei Drittel
der früher unklaren Fälle war eine zuverlässige Aussage möglich.“ Und: „Bei jedem vierten Patienten ergaben sich Zusatzinformationen, die zur Änderung
der bisherigen Behandlung geführt haben.“
Doch auch wenn die Radiologische Diagnostik in
erster Linie ein diagnostisches Fach ist, hat sie, so
Claussen, auf Grund der immer genaueren Lokalisationsmöglichkeit und Technikentwicklung auch zur
lokalen Tumor-Therapie einiges beizutragen: zum
Beispiel Stillung von Blutungen im Darmbereich und
in der Leber (Embolisations-Therapie) oder die Radiofrequenzablation-Therapie bei Lebertumoren und
-metastasen (siehe „Krebs im Verdauungstrakt – eine
Gemeinschaftsaufgabe“).
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KREBS IM VERDAUUNGSTRAKT – EINE GEMEINSCHAFTSAUFGABE
➔ Krebserkrankungen im Verdauungstrakt – Speiseröhre, Magen, Leber, Dick- und Enddarm, Gallenwege
und Bauchspeicheldrüse – machen fast ein Drittel
aller bösartigen Neuerkrankungen bundesweit aus.
Am Tübinger Universitätsklinikum sind es rund 2000
im Jahr. Wenn heute Peter X. mit dem Verdacht auf
einen solchen Krebs im Verdauungstrakt (die Mediziner sprechen vom Gastrointestinal-Trakt) in die Medizinische Klinik geschickt wird, kann er sicher sein,
dass ihm dort zu seiner bestmöglichen Versorgung
alles zur Verfügung steht, was es an moderner
Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten gibt. Was
ihm vorgeschlagen wird, hängt dabei nicht von der
Entscheidung eines einzelnen Arztes ab. „Die Behandlung dieser größten Gruppe solider Tumoren wird
heute als interdisziplinäre Angelegenheit betrachtet“,
erklärt Chirurgie-Chef Prof. Horst Dieter Becker.
Einheitliches Behandlungskonzept
Vor zwei Jahren haben Direktoren und Mitarbeiter der
Chirurgischen Klinik, der Medizinischen Klinik, Abt. I
und II, der Klinik für Radiologie, Abt. Radiologische
Diagnostik und des Instituts für Pathologie das mit
dem Interdisziplinären Tumorzentrum (ITZ) verbundene Zentrum für Gastrointestinale Onkologie (ZGO)
gegründet. Dieses Zentrum stimmt unter Federführung der Oberärzte der beteiligten Bereiche die
Aktivitäten aller Kliniken, die Patienten mit bösartigen
Tumoren des Verdauungstrakts behandeln, ab. Die
Patienten werden daher, so der koordinierende Arzt
Dr. Christoph Burkart, „egal in welcher Klinik sie
aufgenommen werden, von Anfang an von der Diagnostik über die Therapie bis zur Nachsorge und
psychosozial einheitlich fächerübergreifend abgestimmt nach modernsten Konzepten untersucht und
behandelt“. Die Chirurgie ist laut Becker im Bereich
des Verdauungstrakts „viel radikaler“ geworden. Man
entfernt im Zweifelsfall nicht nur das befallene Organ,
sondern auch ein angrenzendes und ersetzt per
Transplantation das ganze Ensemble. Andererseits
operiert man bei begrenztem Tumor in der Regel nur
lokal. Dank spezieller Ultraschallverfahren und
spezieller Computer- und Kernspintomografie, „können wir heute sehr genau sagen, wie weit ein Tumor
fortgeschritten ist“, so der Chirurg. Außerdem können die Pathologen an Hand der Gewebebiopsie bei
immer mehr Tumoren mit Hilfe molekularbiologischer Analysen Aussagen machen über ihr Verhalten
(langsames oder schnelles Wachstum etwa), über ihre
Ansprechbarkeit durch eine bestimmte Behandlung
und zur individuellen Prognose.
Zurück zu unserem Beispiel Peter X. Der Verdacht
auf einen bösartigen Enddarm-Tumor hat sich bestätigt. Jetzt wird interdisziplinär beraten, wie behandelt werden soll: Ist es sinnvoll, den Tumor vor der
Operation durch Radiotherapie (Bestrahlung) zu
schrumpfen, nach der Operation eventuell noch eine
zusätzliche Chemotherapie zu geben? Soll man erst
operieren und dann bestrahlen und /oder eine
Chemotherapie durchführen? Oder nur operieren,
sofern noch keine Lymphknoten befallen sind?
Minimal invasiv bei noch nicht zu weit fortgeschrittenem Stadium? Becker: „Das sind Wege, die wir
gemeinsam klären müssen.“ Als erfolgreich erweist
sich dabei vor allem auch die Kombination verschiedener Verfahren. Das gilt gleichermaßen für die
meisten anderen Tumoren. Burkart: „Es werden
immer mehr multimodale Therapiekonzepte angewendet – sowohl bei Tumoren, die bisher schlecht auf
die Behandlung angesprochen haben wie Speiseröhre, Magen und Bauchspeicheldrüse, als auch für
Tumoren, die bereits mit gutem Erfolg behandelt
wurden und durch solche kombinierten Behandlungskonzepte noch bessere Heilungs-Chancen
haben wie Dickdarm- und Enddarmtumoren.“
Darmkrebs vermeidbar – aber...
Mit bundesweit rund 57.000 Neuerkrankungen
(Frauen 30.000, Männer 37.000) pro Jahr mit steigender Tendenz (1995: 51.000) besetzt der Darmkrebs nach wie vor den Spitzenplatz der Krebsstatistik. Knapp 30.000 sind 1999 (letzte offizielle
Statistik) daran gestorben. Dies, obwohl gerade
Darmkrebs leicht zu vermeiden wäre. Mit regelmäßiger Früherkennung bräuchten, so die Erfahrung
DARMKREBS – SIGNALE
– Veränderte Stuhlgewohnheiten:
plötzlicher Durchfall oder plötzlich auftretende
Verstopfung oder Wechsel von beidem.
– Krampfhafte Bauchschmerzen,
– wiederholt Stuhldrang (oft ohne Erleichterung),
– Blut im Stuhl,
– unklarer Gewichtsverlust.
der Onkologen, neun von zehn der 30.000 nicht zu
sterben.
Denn beim Darmkrebs gibt es immerhin Warnsignale.
Und es gibt Früherkennungsmöglichkeiten:
– den jährlichen Test auf unsichtbares (okkultes) Blut
im Stuhl – in den USA, wo die Leute zu dieser
Untersuchung gezwungen werden, ist die Krebsrate bei Dickdarm innerhalb von fünf bis acht
Jahren um 50 Prozent gesunken,
– die Darmspiegelung als effektivstes Früherkennungsinstrument. Sie wird jetzt endlich von den
gesetzlichen Krankenkassen vom 56. Lebensjahr an
pro Versichertem zweimal bezahlt.
Doch eigentlich sollte man, so Becker zum KLINIK
FORUM, die letzten 40 Zentimeter alle drei Jahre
spiegeln lassen – „75 bis 80 Prozent aller Dickdarmtumoren sind hier lokalisiert!“. (Siehe dazu auch
„Risikofaktoren“).
Auch die Tumoren der Speiseröhre (knapp 4.000
bundesweit pro Jahr), und der Bauchspeicheldrüse
(10.530) nehmen zu. Bei der Speiseröhre sind es vor
allem Tumoren am Übergang zum Magen. Burkart:
„Sie entstehen auf dem Boden einer durch chronischen Magensäurereflux (Sodbrennen) bedingten
Schleimhautentzündung und -schädigung.“
Durch regelmäßige Magenspiegelung und neuerdings auch molekularbiologische Untersuchungen
(Forschungslabor von Prof. Michael Gregor und Bodo
Klump, Medizinische Klinik, Abt. I) können die Tu-
D A R M K R E B S : R I S I K O FA K T O R E N
Außer den allgemeingültigen Risikofaktoren
– Rauchen
– Alkohol
– fettreiche, ballaststoff- und vitaminarme
Ernährung
– mangelnde Bewegung
gibt es noch Faktoren, die in bestimmten
Konstellationen die Krebsentstehung fördern
können:
– Chronische Entzündungen der Dickdarmschleimhaut wie Colitis ulcerosa oder Barrett
Ösophagus können bösartig werden.
Regelmäßige Kontrolle ist deshalb anzuraten.
– Polypen – die meisten Dickdarmtumoren (etwa
90 Prozent) haben als Vorstufe einen Polypen.
Sie entwickeln sich über zwei bis drei Jahre.
Von einem bestimmten Zeitpunkt an entarten
sie. Deshalb sind Vorsorgeuntersuchungen
besonders wichtig, wenn man selbst oder ein
direkter Familienangehöriger unter Dickdarmpolypen leidet.
– Erbliche Belastung spielt bei fünf bis zehn
Prozent der Dickdarmkarzinome eine Rolle.
Heute ist es durch molekularbiologische
Untersuchungen möglich festzustellen, ob
jemand die Veranlagung geerbt hat oder nicht
(was nicht heißt, dass er deshalb auch einen
Krebs entwickelt). Es wird in jedem Fall
empfohlen, bei familiärem Dickdarmkrebs
(ebenso wie beispielsweise bei familiärem
Brustkrebs) die Vorsorgeuntersuchungen
engmaschig wahrzunehmen.
Denn 70 bis 80 Prozent der erblich vorbelasteten bekommen den Krebs auch.
Rechtzeitig entdeckt, ist er gut heilbar.
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BLASENKREBS
DURCH RAUCHEN
morerkrankungen meist frühzeitig erkannt und erfolgreich behandelt werden.
Leberkrebs – neue Ansätze bei nicht
operablen Tumoren
Die Zahl der bösartigen Lebertumoren (4.470) hat
ebenfalls zugenommen, wobei hier neben den
Hauptrisikofaktoren Alkohol und Rauchen auch die
Spätfolgen von Hepatitis B- und C-Infektionen eine
Rolle spielen. Den größten Anteil an dieser steigenden Zahl haben freilich Metastasen von Primärtumoren an und in anderen Organen: Darm, Brust,
Lunge...
In den zurückliegenden zehn Jahren hat es große
Fortschritte in der Leberkrebs-Therapie gegeben. Die
Leber selbst zeigt sich in punkto Operation recht
gutwillig – immerhin kann der Chirurg bis zu zwei
Drittel des Organs wegnehmen und es regeneriert
sich innerhalb weniger Monate. Doch trotz aller Fortschritte können noch immer nur etwa 25 Prozent der
Patienten mit Lebertumoren oder -metastasen operativ behandelt werden. Den nicht zu operierenden
Tumoren kommen radiologische Therapieverfahren
zu gute, ein Bereich der Radiologie, der sich, so der
Geschäftsführende Direktor der Radiologischen Klinik, Prof. Claus Claussen, in den letzten Jahren dank
neuer Lokalisierungsmöglichkeiten durch bildgebende Verfahren rasch entwickelt hat. Ganz vorne
H E I L U N G S R AT E N (Tübinger Werte )
Dickdarm
Magen
Leber
Speiseröhre
Bauchspeicheldrüse
60 bis 65 Prozent
20 bis 22 Prozent
15 Prozent
10 Prozent
5 bis 8 Prozent
unter diesen nichtoperativen Behandlungsansätzen
im Bauchraum und Magen-Darm-Trakt steht die in der
Tübinger Klinik entwickelte minimal invasive
Tumorzerstörung durch Radiofrequenzablation, also
Wärme, unter computer- oder kernspintomografischer Sichtkontrolle. „Es gibt kaum ein TherapieVerfahren, das sich derart schnell entwickelt hat“,
meint Privatdozent Dr. Philippe Pereira, Oberarzt an
der Abteilung Radiologische Diagnostik. Für Patienten, denen mit einer Operation nicht geholfen werden kann, bedeutet dieses Verfahren eine Chance, die
es vor fünf Jahren noch nicht gab.
Unter Sichtkontrolle wird nach örtlicher Betäubung eine nadelförmige Sonde durch die Haut geführt und direkt im Tumor platziert, wo die Wärme
das Tumorgewebe in zehn bis zwanzig Minuten
abtötet. Das Verfahren hat gewisse Grenzen: Es
sollten nicht mehr als fünf Einzeltumoren sein und die
nicht größer als fünf Zentimeter. Diese Therapie wird
seit drei Jahren in Tübingen, das als Zentrum für
dieses Verfahren ausgewiesen ist, unter Studienbedingungen angeboten. Es gibt inzwischen eine Arbeitsgruppe, zu der neben Tübingen München,
Heidelberg und Aachen gehören, die die bisherigen
Studien mit einer größeren Patientenzahl untermauern will. Doch die bisherigen Erfahrungen zeigen
schon, so Pereira, „dass es eine gute palliative
Methode bei Leberkrebs und -metastasen ist“. Und
vielleicht auch bei ausgewählten Fällen eine heilende?
Drei Viertel der so behandelten Patienten hat lokal,
also in der Leber, bisher keine Metastasen mehr
bekommen. Auch dieser Frage wird in gezielten
Untersuchungen nachgegangen. Seit kurzem wird das
Verfahren deshalb, in Zusammenarbeit mit der
Urologischen Klinik, auch bei inoperablen Nierentumoren angewendet.
Magenkrebs – eher zufällig entdeckt
Die Häufigkeit des Magenkrebs ist zwar rückläufig,
aber trotzdem noch der vierthäufigste Tumor. Er
gehört zu den hinterhältigsten Krebsen: „Es gibt keine
Frühsymptome, er wird häufig bei einer Magenspiegelung zufällig entdeckt oder macht sich im
Spätstadium durch Bauchschmerzen und Gewichtsabnahme bemerkbar“, erklärt Burkart. Bezogen auf
die Fünfjahresüberlebensrate liegt die Prognose bei
den am häufigsten diagnostizierten Stadien zwischen
30 und fünf Prozent. In einer von der Tübinger
Medizinischen Klinik und der Radioonkologischen
Klinik durchgeführten Studie (Prof. Carsten Bokemeyer, Prof. Wilfried Budach) wird derzeit untersucht,
ob die Überlebenschancen von Patienten nach Operation eines Magenkarzinoms durch kombinierte
Chemo- und Strahlentherapie verbessert werden
können.
Verantwortlich gemacht für die Entstehung von
Magenkarzinomen werden, so Burkart, „neben Ernährungsgewohnheiten wie Verzehr stark gesalzener oder
geräucherter Speisen bestimmte Arten chronischer
Magenschleimhautentzündung.
Wenn also eine medikamentöse Behandlung bei
Oberbauchschmerzen nichts bringt, sollte man sich
bald einer Magenspiegelung unterziehen, rät Burkart.
Die Diskussion über einen direkten Zusammenhang zwischen Helicobacter pylori, dem Erreger
chronischer Magenschleimhautentzündung, und Magenkrebs ist noch nicht abgeschlossen – der Keim ist
weder entlastet noch dingfest gemacht. Immerhin hat
man festgestellt: Kein Erreger, selten Krebs. Wenn
Krebs, dann oft in Gesellschaft des Erregers.
➔ Blasenkrebs ist bei Männern mit fast 11.000
Neuerkrankungen in Deutschland pro Jahr doppelt so
häufig wie bei Frauen (rund 5.000 Neuerkrankungen).
Das Durchschnittsalter bei der Diagnose liegt
zwischen 69 Jahren (Männer) und 73 Jahren (Frauen).
Drei Viertel der bösartigen Tumoren sind oberflächlich. Sie kann man, erklärt der Ärztliche Direktor
der Urologischen Klinik, Prof. Arnulf Stenzl, organerhaltend durch die Harnröhre wegoperieren.
Erreicht wird diese Erhaltung der Blase und damit
auch von Lebensqualität in einem hohen Prozentsatz
durch moderne Behandlungsmethoden wie Fluoreszenzendoskopie und Laserbehandlung. Auch Immuntherapie spielt hier eine Rolle. Wenn keine der genannten Möglichkeiten wirkt, wird Chemotherapie
eingesetzt, Heilungs-Chance 15 bis 20 Prozent.
BLASENKREBS...
... ist nach Lungenkrebs der zweithäufigste durch
Rauchen verursachte Krebs. Die Teerstoffe
gelangen über das Blut in die Niere und von dort
in die Harnblase, wo sie in Harn gelöst in der
Regel mehrere Stunden lagern – Zeit genug zum
Unheil stiften. Weitere Risiken: Industriegifte, wie
sie etwa in der Farben-, Lack-, Haarspray- oder
Motorölherstellung entstehen können.
Nur chirurgisch behandelt liegt die Fünf-Jahres-Überlebenszeit bei 80 Prozent. Voraussetzung dafür ist,
man behandelt rechtzeitig. Abwarten, sagt Stenzl,
geht da nicht, „dann hat der Tumor den Käfig verlassen“ und ist sonst wohin weitergewandert.
Das restliche Viertel der bösartigen Blasentumoren ist so aggressiv, dass es in die Blasenwand
ANZEICHEN
für ein mögliches (!) Blasenkarzinom:
– Blut im Urin,
– Schwierigkeiten beim Harnlassen,
– häufige Harnwegsinfektionen,
– Schmerz im Unterbauch.
eindringt – „dann muss die ganze Blase herausgenommen werden“. Doch auch hier haben die letzten
Jahre enorme Fortschritte gebracht: „Wir bauen heute
eine neue Blase aus einem Stück Dünndarm auf und
schließen sie an die Harnröhre an.“ Die Patienten
können wie vorher „Pipi machen“, bei Frauen bleibt
die Scheide erhalten, gegebenenfalls wird sie wieder
rekonstruiert. Die Männer erleiden keinen Potenzverlust.
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17.07.2003
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MÄNNERSPEZIFISCHE KREBSERKRANKUNGEN
WORÜBER MÄNNER LIEBER SCHWEIGEN
➔ Zu den ausschließlich Männern vorbehaltenen
Krebserkrankungen gehören Hodenkrebs und Prostatakrebs.
Beide Tumorleiden sind heute bei frühzeitigem
Erkennen heilbar. Mann spricht aber nicht gerne darüber.
Prostatakrebs – Angst vor Impotenz
Prostatakrebs ist der häufigste urologische und neben
dem Lungenkrebs auch der zweithäufigste Krebs
überhaupt. Bestimmte Blutwerte und Krebsmarker
geben verlässliche Auskunft über Vorhandensein oder
Nichtvorhandensein eines Prostatakarzinoms. Der
neue Chef der Urologischen Klinik Prof. Arnulf Stenzl
hält die Diskussion über Sinn oder Unsinn von guten
Vorsorgeuntersuchungen deshalb für wenig sinnvoll.
Er ist sicher: „Wir haben mit dem PSA-Bluttest, der
Untersuchung auf prostata-spezifische Antigene, das
beste, was die Tumorvorsorge und das Monitoring
angeht.“
In der Tübinger Klinik wird der Test inzwischen
routinemäßig angewendet. Je nach Ergebnis, das sich
(ähnlich wie beim Cholesterin) aus zwei Werten
zusammensetzt, wird dann eine Gewebeprobe zur
weiteren Untersuchung entnommen oder nicht.
Stenzl hat jahrelange Erfahrung mit diesem VorsorgeTest: In Innsbruck, wo er bisher tätig war, wurden seit
1993 rund 60.000 Männer mit dem PSA-Test gescreent.
Der Bluttest zeigt zudem auch bei bereits behandelten, sprich operierten Patienten eine „äußerst
sensible Reaktion“. Wenn die Werte normal sind,
„sollte man nichts mehr machen“. Weitere Nach- oder
Verlaufskontroll-Untersuchungen, mit bildgebenden
Verfahren etwa, seien dann überflüssig – „man erspart
dem Mann lästige Untersuchungen und Unsicherheit
und dem Gesundheitswesen Geld“.
Die Frage, wann und bis zu welchem Alter man
bei erkanntem Protatakarzinom behandelnd eingreifen soll, gehört ebenfalls zu den immer noch kontrovers diskutierten Fragen unter Medizinern. Viele hören
heute bei Männern ab 75 auf, überhaupt noch nach
einem Tumor zu gucken, bei einem Durchschnittsalter von 80 scheint der sowieso unwichtig.
Stenzl kann dem nicht folgen: Wenn ein Mann
einen bösartigen Tumor hat und auf Grund seiner
physischen und psychischen Konstitution durchaus
noch eine Lebenserwartung von zehn Jahren haben
kann, „kann man nicht einfach zusehen – das ist nicht
fair, da sollte man behandeln!“
Prostatakrebs in jungen Jahren ist äußerst aggressiv, aber glücklicherweise auch selten. Der neue Urologie-Chef ist entschieden dafür, mit 45 Jahren mit
den Vorsorge-PSA-Tests zu beginnen, bei familiärer
Krebsvorbelastung bereits mit 40. Wenn keine
Symptome festgestellt werden, reicht Vorsorge im
Zweijahres-Abstand. Die gesetzlichen Krankenkassen
in Deutschland freilich zahlen den PSA-Test nicht, im
Gegensatz zu Österreich, wo nicht zuletzt die Innsbrucker Untersuchung überzeugt hat.
Bei der Therapie eines Prostatakarzinoms stehen
Stenzl zufolge Operation und Bestrahlung gleichwertig nebeneinander. „Auf jeden Fall besteht bei
Prostatakrebs Behandlungsbedarf.“ Die Angst der
Männer vor anschließender Impotenz ist, sagt Stenzl,
unbegründet: „Wir können heute zum Beispiel so
operieren, dass nicht nur der Schließmuskel erhalten
bleibt, sondern auch die Potenznerven verschont
werden, wenn das vom Tumor her möglich ist.“
Wenn die Potenznerven aber entfernt werden
müssen, „können wir – gleich im Rahmen der Tumoroperation – aus dem Unterschenkel sensitive Nerven
nehmen und die entfernten Potenznerven damit
mikrochirurgisch rekonstruieren“. 80 bis 90 Prozent
der Patienten mit einem Prostatakarzinom in günstigen Stadien können laut Stenzl mit Heilung rechnen.
„Sie haben dann die gleiche Lebenserwartung wie
jeder andere, der nie einen solchen Tumor hatte.“
Minimal invasive Chirurgie ist bei der Prostata möglich, aber es besteht da noch ein Problem bei der
Potenzerhaltung. Diesbezüglich hat die sogenannte
Brachytherapie Vorteile. Dieses Verfahren, bei dem
radioaktive Strahlenquellen in der Vorsteherdrüse
flächendeckend deponiert werden, wird angewendet
vor allem bei nicht operablen Tumoren oder Patienten, die nicht operiert werden wollen.
Metastasen – vorwiegend in den Lymphknoten
oder als äußerst schmerzhafte Knochenmetastasen in
der Wirbelsäule – sind der Schrecken auch der behandelnden Mediziner. Für den Urologie-Chef wohl der
Hauptgrund seines Plädoyers dafür, „lieber früher“
therapierend tätig zu werden. Stenzl: „Das ist der
Vorteil eines großen Klinikums. Wir können Protokolle anbieten, beispielsweise Strahlenbehandlung
gegen Schmerzen.“ Unter Umständen können dann
auch neue Präparate für eine Chemotherapie eingesetzt werden. Bei der Immuntherapie wird noch
geforscht.
Im Fall von Metastasen ist derzeit die Hormontherapie erste Wahl. Früher wurden die Männer
kastriert, heute blockt man die Hormonzufuhr medikamentös ab durch Depotspritzen alle ein bis drei
Monate und/oder Tabletten. Damit, sagt Stenzl,
„können wir den Tumor und die Metastasen für ein
paar Jahre ruhig halten.“ Der Preis für den Gewinn an
Leben: Neben Impotenz all die Unannehmlichkeiten
eines Klimakteriums. Und wenn nun die Hormontherapie nicht oder nicht mehr wirkt? „Chemotherapie nach Protokoll, in Zukunft vielleicht Immuntherapie.“
Hodenkrebs – zu 99 Prozent heilbar
Hodenkrebs ist bei Männern zwischen 20 und 40 die
häufigste Tumorerkrankung. Prof. Carsten Bokemeyer, Medizinische Klinik, Innere Medizin II (Häma-
tologie, Onkologie, Immunologie, Rheumatologie,
Ärztlicher Direktor Prof. Lothar Kanz): Mit neun Neuerkrankungen pro Jahr und 100.000 Männer „kommt
er genau so oft vor wie alle akuten Leukämien – und
die Häufigkeit nimmt in den Industrienationen noch
zu.“
Hodenkrebs gilt in der internistischen Onkologie
als Musterbeispiel für heilbaren Krebs. „Er kann heute
in den allermeisten Fällen geheilt werden“, sagt
Bokemeyer. Selbst bei Patienten mit metastasierter
Erkrankung (Lungen- oder Lebermetastasen) liegt die
Heilungschance durch eine Kombinations-Chemotherapie mit Cisplatin bei 70 bis 80 Prozent.
Noch immer sterben aber jedes Jahr etwa 200
Patienten in Deutschland an bösartigen Keimzelltumoren des Hodens, was angesichts der heutigen
diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten
und Studienergebnisse nicht der Fall sein müsste.
Eine Vergrößerung des Hodens sollte für jeden Mann
Alarmsignal und Anlass sein, einen Urologen aufzusuchen. Primärtumoren müssen umgehend von
einem darauf spezialisierten Urologen operiert werden. Bei dieser Operation wird aber nur der betroffene Hoden entfernt, der gesunde bleibt erhalten.
Hodentumoren sind, wie Bokemeyer sagt, „ein
gutes Beispiel dafür, wie durch klinische Studien die
Behandlungskonzepte ständig verbessert wurden“. In
solchen klinischen Studien wurden vor allem auch in
Tübingen neue Verfahren entwickelt: beispielsweise
die Nutzung der Positronen-Emissions-Tomografie
(PET) in der Diagnose (Abteilung Nuklearmedizin,
Prof. Roland Bares), oder auch der Einsatz intensivierter Therapie mit Stammzellen für Patienten mit
vielen Metastasen oder bei einem Rückfall nach
Behandlung (Rezidiv) und Kranken, bei denen die
übliche Behandlung nicht wirkt.
Die entscheidende Frage für Patienten mit Hodentumor ist die nach Verlust oder Erhalt ihrer
Fruchtbarkeit. Dies um so mehr, als die meisten Erkrankungen ja in jungen Jahren auftreten. Zu Bokemeyers Forschungsschwerpunkten gehört eben die
Überprüfung möglicher Spätfolgen von Therapien
und der Versuch, sie zu vermeiden. Eine der wichtigen Erkenntnisse: „Zwischen 50 und 70 Prozent der
Patienten werden trotz Chemotherapie wieder fruchtbar und können Kinder zeugen.“ Und: „Bisher gibt es
keine Hinweise, dass diese Kinder Missbildungen
oder Schädigungen haben.“
Immer wieder hört man, dass geheilter Hodenkrebs mit Leukämie bezahlt werden müsse. Auch hier
ein wichtiges Ergebnis klinischer Forschung und
Studien: „Wir wissen jetzt, dass die Gefahr, später eine
Leukämie oder einen andren Krebs zu entwickeln,
sehr begrenzt ist“. Sie betrifft laut Bokemeyer „maximal ein bis zwei Prozent der Intensiv-Behandelten,
und das Jahre danach“.
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FRAUENSPEZIFISCHE KREBSERKRANKUNGEN
KREBS UND SPORT
BAUSTEIN-THERAPIE FÜR BESSERE CHANCEN
➔ Diagnose und Behandlung frauenspezifischer
Krebserkrankungen – Brustkrebs, Gebärmutterhalsund Gebärmutterkörper-Karzinome, Eierstocktumoren und bösartige Veränderungen an den Geschlechtsorganen – spielen eine entscheidende Rolle
im Aufgabenbereich der Tübinger Frauenklinik. Sie ist
das größte Brustzentrum Baden-Württembergs (516
Tumordiagnosen im Jahr 2000) und assoziiertes
Beratungszentrum für familiären Brust- und Eierstockkrebs der Krebshilfe.
In Deutschland erkranken mittlerweile pro Jahr
rund 48 000 Frauen an Brustkrebs. In Baden-Württemberg sterben jedes Jahr laut Statistischem Landesamt
in Stuttgart mehr als 2000 Frauen daran (1952: knapp
800, 1961: 1110, 1987: 2007, 2000: 2242).
Das mag zum Teil an nicht wahrgenommener Vorsorge, zum Teil aber auch an mangelhafter Vorsorge
liegen, denn heute, so der Ärztliche Direktor der
Tübinger Universitäts-Frauenklinik Prof. Diethelm
Wallwiener, liegt die Heilungs-Chance bei Tumoren
unter einem Zentimeter bei bis zu 90 Prozent. „ Je
kleiner der Tumor, desto größer die Chance einer
Dauerheilung!“
Deshalb hält er auch das nach wie vor kontrovers
diskutierte Brustscreening mit Tastuntersuchung für
sinnvoll. „Bei jungen Frauen bringt der Ultraschall viel,
doch bei Frauen ab 40 ist die Mammographie nötig“,
sagt er. Mit ihr lassen sich schon die kleinsten
Tumoren und vor allem auch die winzigen Partikel der
Mikrokalke aufspüren, die die ersten Hinweise auf
eine Krebsvorstufe sein können.
Frauen, die in der Frauenklinik Hilfe suchen,
profitieren von einem Charakteristikum der Tübinger
gynäkologischen Onkologie: der engen fächerübergreifenden Zusammenarbeit mit den Radiologen,
Strahlentherapeuten und Pathologen. Der Einsatz
modernster Mammographie-, Ultraschall- und Biopsie-Techniken, die körperlich und psychisch deutlich
weniger belastende minimal invasive Chirurgie, die
heute bei Tumoren im Bauchraum, zur Gebärmutterentfernung und bei Brusttumoren wo möglich angewendet wird, haben zusammen mit der rasanten Entwicklung der Molekularbiologie und der Nutzung
erster Medikamente aus der Genomforschung (Antikörper) zu neuen Konzepten in Diagnostik und
Therapie geführt.
So erfolgen heute laut Wallwiener mehr als zwei
Drittel der radikalen Tumorentfernungen brusterhaltend durch Wiederaufbau mit körpereigenem Gewebe. In diesen Fällen ist eine Nachbehandlung mit
Bestrahlung zwingend.
Die Operation ist heute generell nicht mehr nur
Operation, sondern Teil eines Gesamttherapiekonzepts, zu dem Strahlen- und medikamentöse Therapie
als unterstützende (adjuvante) Behandlung gleichermaßen gehören – in der Fachsprache nennt sich das
multimodale (Baustein-Komponenten-) Therapie.
Diese Baustein-Therapie baut vor und nach dem
Eingriff adjuvante Sicherheits-Therapien in die Behandlung ein: Wallwiener: „Fast jede Patientin wird
inzwischen nach der Operation einer Chemotherapie
oder endokrinen Therapie unterzogen.“
Doch nicht nur nach der OP – auch vorher wird
inzwischen in vielen Fällen vorbereitend behandelt:
„Heute sollte man keinen bösartigen Brusttumor, der
größer als zwei Zentimeter ist, operieren ohne vorher
zu therapieren.“ Mit Chemotherapie bei Frauen vor
den Wechseljahren und bei Frauen danach mit
Antiöstrogentabletten, wenn die Untersuchungen der
Stanzbiopsie nachgewiesen haben, dass die Tumorzellen Hormonrezeptoren, also die nötigen Antennen
für die Aufnahme haben (wenn nicht: auch hier
Chemotherapie).
Ziel der präoperativen Therapie ist eine
Schrumpfung des Tumors. Je kleiner die Geschwulst,
desto sicherer lässt sich auch die letzte Tumorzelle
entfernen. Die Frauen, sagt der Klinikchef, können
selber tasten, wie ihr Tumor in diesen drei bis vier
Vorbehandlungsmonaten kleiner wird. Dank dieser
„Schrumpf-Therapie“ erweisen sich brusterhaltende
Operationen in den meisten Fällen heute als genau so
sicher wie die radikale Brustamputation.
Brustkrebsoperation bedeutet für viele Frauen
immer noch die Angst vor angeschwollenen Armen.
In Tübingen werden, um die Lymphbahnen maximal
zu schonen, die sogenannten Wächterlymphknoten
getestet – „man kann den oder die wichtigsten finden
und muss nicht unnötig viele entfernen, um zu sehen,
ob die Achselhöhle befallen ist“. Noch gefürchteter als
der Brustkrebs ist, obwohl sehr viel seltener, der
Eierstockkrebs. Hier lief die Entwicklung in die Gegenrichtung: Organerhalt ist meist unmöglich. Wenn
der Arzt eine Veränderung ertastet, ist sie schon
fortgeschritten, hat meist schon die Organgrenze
überschritten.
Dem späten Erkennen könnte man nur gegensteuern durch häufigeres Bemühen der transvaginalen Ultraschallsonde, mit der man in den Eierstock hineinsehen und damit gegebenenfalls einen
Tumor viel früher feststellen kann – aber das wird von
den gesetzlichen Krankenkassen als Screening nicht
bezahlt. So bleibt hier grundsätzlich nur die große
radikale Operation in Kombination mit Chemotherapie.
Frauen, die die „Pille“ genommen haben, haben
damit in gewisser Weise ihre Eierstöcke ruhig gestellt.
Eierstockkrebs tritt unter ihnen seltener auf als bei
Frauen, die sie nicht genommen haben und vor allem
als bei Frauen ohne Kinder. Außerdem gibt es einen
Zusammenhang mit Brustkrebs, Wallwiener: „Eierstockkrebs tritt fünf- bis fünfzehnmal häufiger auf bei
Frauen, die Brustkrebs hatten oder haben.“
➔ Der positive Einfluss des Sports auf das HerzKreislaufsystem ist bekannt. Jetzt ist auch nachgewiesen, dass regelmäßige körperliche Betätigung
das Risiko einer Reihe von Krebserkrankungen vermindern kann.
Während allerdings gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen bereits mäßige körperliche Aktivität vorbeugend wirkt (jeden Tag beispielsweise eine halbe
Stunde joggen oder eine Stunde Rad fahren oder
gehen), bedarf es zur Senkung des Krebsrisikos laut
Dr. Hans-Christian Heitkamp (Medizinische Klinik)
einer nach Umfang und Intensität deutlich höheren
körperlichen Anstrengung.
Heitkamp und seine Arbeitsgruppe haben unter
anderem 39 Studien der zurückliegenden 15 Jahre
zum Zusammenhang zwischen Häufigkeit von Dickund Enddarmkrebs und körperlicher Aktivität analysiert. Das Ergebnis: Männer und Frauen zeigten bei
hoher Gesamtaktivität – also in Beruf und Freizeit –
ein um bis zu 40 Prozent niedrigeres Dickdarmkarzinom- (nicht aber Rektum-) Risiko.
SPORT NACH KREBS
Körperliche Aktivitäten sind der Gesundheit auch
nach Krebs förderlich! Informationen über
Möglichkeiten sich diesbezüglich zu betätigen
in Tübingen: „Sport nach Krebs“,
Ansprechpartnerin Elke Göhner,
Telefon 0 70 71 / 61 457.
Über Angebote in anderen Städten und Regionen
informiert der Württembergische Landessportbund
Goethestraße 11, 70174 Stuttgart,
Telefon 0711/22 90 542.
Eine erkennbare Verringerung des Krebsrisikos
durch ausgedehnte körperliche Aktivität ist, so der
Tübinger Sportmediziner, auch für Brust- (30 Prozent), Prostatakrebs (10 bis 70 Prozent) und wahrscheinlich auch für Bronchialtumoren nachgewiesen.
Gründe für den ausgemachten Zusammenhang
zwischen viel Bewegung und Krebs werden unter
anderem in einer durch die körperliche Betätigung
verkürzten Transitzeit im Darm und damit einer
geschrumpften Kontaktzeit möglicher krebserzeugender Stoffe mit der Darmschleimhaut gesehen. Vor
allem aber, sagt Heitkamp, „scheint der Verbesserung
des immunologischen Zustands und damit der
gesteigerten Abwehr von entarteten Zellen durch
leichte bis mittlere körperliche Aktivität ein hoher
Stellenwert zuzukommen.“
Informationen zum Thema Krebs und
Sport bekommen Interessierte von
Dr. Hans-Christian Heitkamp,
Telefon 0 70 71 / 29-8 64 93.
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LUNGENKREBS
HOHER VERLUST AN LEBENSJAHREN
➔ Lungenkrebs – ein Wort, bei dem sich Raucher
achselzuckend abwenden. Gibt’s nicht genug heftige
Raucher, die uralt geworden sind? Stimmt. Aber es
stimmt auch – weltweite Untersuchungen haben das
eindeutig bewiesen –, dass für rund 90 Prozent der
Bronchialkarzinome der Zigarettenkonsum verantwortlich ist. „Lungenkrebs“, sagt Prof. Carsten Bokemeyer (Medizinische Klinik Abteilung II), „ist fast
immer mit Rauchen assoziiert“.
Das erklärt auch, weshalb Frauen sich mit der
Erkrankungshäufigkeit immer mehr den Männern
nähern: Während die Zahl rauchender Männer kleiner
wird, greifen immer mehr Frauen zur Zigarette. Bei
den Männern ist der Lungenkrebs in Deutschland mit
heute rund 27.900 Neuerkrankungen im Jahr vom
Spitzenplatz 1 (bis 1997) auf Platz 2 zurückgefallen
hinter den Prostatakrebs mit aktuell rund 31.500
Neuerkrankungen pro Jahr. Bei den Frauen ist
Lungenkrebs inzwischen mit etwa 8.900 Neuerkrankungen unter die sechs häufigsten Krebse aufgerückt.
Es gibt zwei Arten von Lungenkrebs: das kleinzellige und das nicht-kleinzellige Karzinom. Das kleinzellige Lungenkarzinom ist das aggressivere und es
wächst vor allem sehr schnell. Eine Operation kommt,
so Bokemeyer, „nur selten in Frage, da der Tumor
ausgesprochen schnell Metastasen bildet“. Die Behandlung besteht aus Chemotherapie und, in
einzelnen Fällen, zusätzlicher Bestrahlung. Die
Überlebensrate liegt nach zwei Jahren bei etwa 20
Prozent. Ohne Behandlung führt dieses Karzinom
schon nach wenigen Wochen zum Tod.
Das nicht-kleinzellige Karzinom wächst langsamer
– die Chance, es in einem frühen Stadium zu entdecken, ist deshalb größer. Bokemeyer: „Wenn es
lokal noch nicht fortgeschritten und noch ohne
Metastasen ist, ist die Operation die Therapie der
Wahl“. Falls der Tumor noch lokalisiert, aber bereits
fortgeschritten ist, „wird zunächst versucht, ihn durch
eine mit Bestrahlung kombinierte Chemotherapie zu
verkleinern, um ihn dann operieren zu können“. Dies
geschieht im Verbund mit der Abteilung Radioonkologie (Prof. Michael Bamberg), der Thorax-, Herz- und
Gefäßchirurgie (Prof. Gerhard Ziemer) und der Gerlinger Lungenfachklinik Schillerhöhe – Universitätsklinikum und Lungenfachklinik arbeiten auf der Basis
eines Kooperationsvertrags zusammen.
Im metastasierten Stadium hat man früher oft gar
keine tumorspezifische Behandlung gemacht. Heute,
1/2 Seite
Brillinger usw.
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HAUTKREBS
DER GEFRÄSSIGSTE VON ALLEN
sagt Bokemeyer, „haben wir eine Reihe gut verträglicher, stabilisierend und oft auch rückbildend
wirkender Zytostatika zur Verfügung, die eine deutlich verbesserte Prognose bedeuten“. Mit einer „milALARMSIGNALE
Zum Arzt sollte man unbedingt gehen bei
– Bronchitis, Erkältung, die selbst unter
Antibiotika-Einnahme nicht besser wird,
– ständigem Husten,
– Bluthusten,
– Atemnot,
– Schmerzen im Brustkorb,
– Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust,
– Lähmungen.
den“ Chemotherapie gelingt es, die Lebensqualität
dieser Patienten wesentlich zu verbessern und meist
auch eine Lebensverlängerung zu erreichen. Derzeit
werden, unter anderem auch in Tübingen, neue
biologische Therapeutika überprüft, „mit ersten vielversprechenden Ergebnissen“. Es sieht so aus, als
könnten sie, zusätzlich zur Chemotherapie, die Prognose noch verbessern.
Weil die Chancen gegen den Lungenkrebs bei
frühzeitiger Entdeckung am besten sind, wird jetzt
wieder über eine regelmäßige Reihenuntersuchung
(Tumorscreening) der Lunge mit einem sogenannten
Spiral-Computertomografen diskutiert – „die Technologie kann das leisten“. 28.214 Männer und 9.434
Frauen sind 1999 (letzte Statistik) in Deutschland an
Lungenkrebs gestorben.
PATIENTENTAGE
Der nächste „Patiententag“ des Interdisziplinären Tumorzentrums Tübingen
für Tumorpatienten und ihre Angehörige
findet am Samstag, 5. April 2003, in den
Kliniken Berg, CRONA-Gebäude, auf dem
Tübinger Schnarrenberg statt (Anmeldung
ist erforderlich).
Der seit 1997 jährlich mit wachsendem
Zuspruch stattfindende Patiententag
informiert mit Vorträgen und Besichtigungsangeboten über das ganze Spektrum der am
Tübinger Klinikum möglichen medizinischen
und begleitenden Hilfe bei Krebs.
➔ Das Melanom, der „schwarze Krebs“, ist der
gefährlichste unter den Hautkrebsen und der gefräßigste: In den zurückliegenden 20 Jahren hat sich
die Häufigkeit seines Auftretens verdreifacht – „es gibt
keinen anderen Krebs, der derart zunimmt“, sagt der
Leiter der Sektion für Dermatologische Onkologie an
der Tübinger Hautklinik Prof. Claus Garbe.
Begonnen hat dieses immer häufiger werdende
Auftreten in den 60er Jahren und sich seit den 70er
Jahren beschleunigt, was übrigens für alle Hautkrebsformen gilt, also auch für die Basalzell- und die Plattenepithelkarzinome. Damals begann man in Gebieten mit viel und starker Sonne zu urlauben. „20 Jahre
später beginnt der gravierende Anstieg!“
Schon Anfang der 90er Jahre haben Untersuchungen gezeigt, dass die Zahl der Leberflecken mit dem
Risiko, ein Melanom zu entwickeln, korreliert. Als wichtigsten auslösenden Faktor nennt Garbe Freizeitaktivitäten im Freien, in der Sommersonne, egal, ob zuhause oder im Urlaub. Garbe: „Es muss kein Sonnenbrand sein, es reicht schon Sonne bis unterhalb der
Schwelle des Sonnenbrands!“ Die Summe des Sonnentankens ist entscheidend, Hautkrebs ist in aller Regel
das Ergebnis kumulativer UV-Dosis. Woraus unter
anderem folgt: Kinder müssen besonders geschützt
werden, „das Melanom-Risiko wird in den ersten 20
Lebensjahren durch UV-Strahlen gesetzt“.
In Diagnose und Behandlung von Hautkrebsen
hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Frühzeitig
erkannt, liegt die Heilungs-Chance bei etwa 95 Prozent. Computerunterstützte Diagnose und digitale
Bildanalyse mit außerordentlicher Sensivität und Spezifität erlauben bei regelmäßiger Überwachung (Risiko-Patienten einmal im Jahr) Hautkrebs nicht nur
frühzeitig zu identifizieren, sondern auch Aussagen
über Prognose und sinnvolle Behandlung zu machen.
„Der wichtigste Faktor ist die Tumordicke zum
Zeitpunkt der Erstdiagnose“, sagt Garbe. „Mit zunehmender Dicke nimmt das Risiko für die Melanomentwicklung fast linear zu.“ Wenn aber erst einmal
Fernmetastasen da sind, „können wir zwar durch
therapeutische Maßnahmen eine Lebensverlängerung
erreichen, aber keine Heilung!“
Eine zytostatische Therapie hat beim Melanom, so
Garbe, keine große Wirkung. Immuntherapie scheint
den dermatologischen Onkologen eine bessere Möglichkeit. So setzt man, erklärt Garbe, neue Interferone
mit längerer Halbwertzeit unterstützend zur Vorbeugung einer Metastasierung ein. An der Tübinger Hautklinik hat dazu gerade eine große internationale
multizentrische Studie begonnen. Garbe erhofft sich
davon den Beweis dafür, dass mit der Immuntherapie
auch bei Patienten mit erhöhtem Metastasenrisiko
diese Gefahr vermindert werden kann.
Eine andere Strategie ist die Impfung gegen
Hautkrebs. „Auch hier sind wir in große Studien
eingebunden.“ Die Impfung soll verhindern, dass sich
nach dem operativen Entfernen des bösartigen
Melanoms der Krebs über Metastasen weiter aus-
breitet. Sie ist schonender als die Chemotherapie und
hat praktisch keine Nebenwirkungen.
Das Serum wird für den Patienten individuell
hergestellt: Dendritische Zellen aus seinem Blut, die
die Immunabwehr stimulieren, werden mit Peptiden
(Tumor-Antigenen) beladen. An diesen Tumor-Antigenen kann jetzt das Immunsystem MelanomMetastasen erkennen.
Es ist, sagt Garbe, eine experimentelle Therapie,
„noch nicht entwickelt für die breite Anwendung“. Ein
Problem dabei sind die Transplantationsantigene –
man muss die Peptide nach dem HLA-Typ aussuchen,
damit sie auch tatsächlich „selbst“ und „fremd“ erkennen können. Die Impfung ist arbeitsaufwendig
und teuer, „pro Impfung ist eine MTA eine Woche lang
beschäftigt“. An der Hautklinik wurden bisher zwölf
Patienten damit behandelt.
Der Weg über die dendritischen Zellen ist laut
Garbe der einzige Ansatz, der den Tumor wirklich
anspricht. Trotzdem ist er überzeugt, dass die Impfung „sich als Behandlung metastasierter Hautkrebse
nicht durchsetzen wird“. Sie kann aber, meint er, in
einigen Jahren eine Routinebehandlung im sekundären prophylaktischen Bereich werden: „um nach
der operativen Melanom-Entfernung Metastasen zu
verhindern.“ Es gibt bereits (in Studien behandelte)
Melanom-Patienten, die schon seit zwei oder drei
Jahren nach Operation und anschließender Impfung
frei von Krebszellen sind.
NOCH KEIN ENDE IN SICHT
Noch Anfang der 70er Jahre war Hautkrebs laut
Prof. Claus Garbe „kein Thema, auch nicht in der
Dermatologie – früher hat die Syphilis die Krankenhäuser gefüllt, heute ist es der Hautkrebs“.
Inzwischen erkranken in Deutschland jährlich
100.000 Menschen an Hauttumoren, „und das
ist noch nicht das Ende“. Basalzell- und Plattenepithelkarzinome haben mit rund 16 Prozent aller
bösartigen Neubildungen Platz zwei auf der Liste
der häufigsten Krebsarten erklommen – bei den
Männern nach Lungen- und Prostatakrebs, bei
den Frauen nach Brustkrebs.
Die Tübinger Hautklinik versorgt pro Jahr laut
Prof. Claus Garbe rund 400 neuerkrankte Melanom-Patienten. In Deutschland wurden 10.000
Neuerkrankungen im Jahr 2000 in Deutschland
registriert – 1997 waren es noch knapp 7.000
(„Arbeitsgemeinschaft Bevölkerungsbezogener
Krebsregister in Deutschland“). 2.500 sterben
jedes Jahr bundesweit daran.
Was nur die wenigsten wissen: Melanome sind
nicht nur eine Oberhauterkrankungen. Sie
kommen auch an Schleimhäuten beispielsweise
des Darms oder vor allem auch der Netzhaut im
Auge vor (siehe dazu „Getrübter Adlerblick“).
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STAMMZELLEN – IN DER ONKOLOGIE SCHON EIN URALT-„WERKZEUG“
ZUM BEISPIEL LEUKÄMIE
➔ Die Leukämie-Therapie sowohl bei Erwachsenen
als auch im Kindesalter gehört zu den international
renommierten Schwerpunkten der Onkologie am
Tübinger Universitätsklinikum. Das liegt nicht zuletzt
an der engen Zusammenarbeit, die die Abteilung II,
Hämatologie, Onkologie, Immunologie und Rheumatologie der Medizinischen Klinik, Ärztlicher Direktor
Prof. Lothar Kanz und die Kinderklinik, Abteilung I,
Ärztlicher Direktor Prof. Dietrich Niethammer, verbindet. So betreiben beide gemeinsam zum Beispiel
ein hochmodernes Labor für Zelltherapie und die
Entwicklung neuer Diagnose- und Behandlungsstrategien wie aktuell etwa in der Eltern-Spende, Rezidivoder Immuntherapie.
Krebsimpfung – noch keine Regelversorgung
Blutstammzellen – zunächst aus dem Knochenmark,
dann auch aus dem peripheren Blut – wurden am
Tübinger Klinikum in der Krebstherapie schon genutzt lange bevor die breite Öffentlichkeit durch die
heißen Diskussionen und Auseinandersetzungen
über Forschung mit embryonalen Stammzellen auf sie
aufmerksam wurde. Die Stammzelltransplantation ist
ein wichtiger Schwerpunkt der von Prof. Lothar Kanz
geleiteten Abteilung II. Alle bösartigen und gutartigen
hämatologischen Neubildungen, die mit einer allogenen (Fremdspender-) oder autologen (Spender und
Empfänger identisch) Stammzelltransplantation behandelt werden können, gehören zu ihrem Aufgabenbereich.
Auch wird hier die ganze Bandbreite solider
Tumoren versorgt, in Spezialambulanzen (wie etwa
der hämatologisch/onkologischen Ambulanz, der immunologischen Ambulanz oder in der Transplanta-
Takap
tionssprechstunde) ebenso wie teilstationär in der
hämatologisch-onkologischen Tagesklinik und stationär. Die Abteilung Kanz deckt vor allem die systemische Therapie in großer Breite ab, also die Behandlung des Gesamtorganismus beziehungsweise
eines Organsystems, sofern die Krebserkrankung –
vom Brustkrebs bis zur Leukämie – ihn/es einbezogen
hat. Dabei erfolgt die Versorgung der Patienten auch
hier in fächerübergreifender Zusammenarbeit vor
allem mit der Strahlentherapie, Radiologie, Chirurgie,
medizinischen Mikrobiologie und Virologie, die
Transfusionsmedizin nicht zu vergessen.
In klinischen Studien – das heißt (noch) nicht in
der Regelversorgung – werden unter anderem Rezidivtherapien (siehe „Es geht auch ohne Fremdspende“) und neue immuntherapeutische Verfahren verfolgt wie insbesondere Impfungen, die das Immunsystem so aktivieren sollen, dass es selbst den Krebs
zerstört.
Dabei arbeitet die Abteilung vor allem mit dendritischen Zellen, die im Labor aus Patientenblutzellen
gezüchtet und mit für den Tumor spezifischen Eiweißbruchstücken beladen werden. Prof. Lothar
Kanz: „Eine äußerst interessante und vielversprechende Entwicklung in der Krebstherapie.“ Bösartige
Tumoren, bei denen die Patienten auf eine derartige
Impfung angesprochen haben, sind vor allem das
maligne Melanom und das Nierenkarzinom.
Um diese Immuntherapie allgemein anzuwenden,
ist es freilich laut Kanz zu früh: „Noch ist offen, ob
bislang beobachtete Erfolge einzelner Patienten statistisch gesehen über das hinausgehen, was wir mit
anderen Therapieverfahren erreichen können.“ Niemand versäume also etwas, wenn er jetzt keine Immunisierungstherapie in Form einer Impfung erhalte.
Es geht auch ohne Fremdspende
Jedes Jahr erkranken in Deutschland rund 1.800
Kinder unter 15 Jahren an Krebs. Dass ihr Anteil an
allen Krebskranken unter einem Prozent liegt, ist
dabei kein Trost – Krebs ist bei Kindern die zweithäufigste Todesursache. Die durchschnittliche Überlebensrate liegt drei Jahre nach Feststellung der
Erkrankung bei 78 Prozent, fünf Jahre danach bei
74 Prozent.
Zu den Risikofaktoren werden genetische Belastungen gezählt, auch infolge der Wirkung schädlicher
Stoffe, denen Eltern ausgesetzt sind. Diskutiert wird,
ob Infektionen und fehlende Schutzimpfungen das
Erkrankungsrisiko erhöhen und ob Viren eine Rolle
spielen. Dass niederfrequente elektromagnetische
Felder Leukämien verursachen, wie vielfach angenommen wird, konnte nicht bestätigt werden.
Die häufigsten bösartigen Neubildungen bei Kindern sind die Leukämien (33,8 Prozent), und unter
ihnen wiederum die akute lymphatische Leukämie
(27,9 Prozent), die gehäuft bei den ein- bis vierjährigen vorkommt und heute eine Zehn-JahresÜberlebensrate von 76 Prozent hat. Bei der akuten
nicht-lymphatischen Leukämie (etwa fünf Prozent
aller bösartigen Neubildungen bei Kindern) ist die
Überlebenschance sehr viel schlechter.
Tübingen ist das älteste und mit 50 Transplantationen pro Jahr größte Knochenmark-Transplantationszentrum für Kinder in Deutschland und eines
der größten in Europa.
Die Leukämietherapie, so der Ärztliche Direktor
der Kinderklinik Prof. Dietrich Niethammer im
Gespräch mit dem KLINIK FORUM, ist der Bereich, in
dem schon sehr früh mit Protokollen, Studien und
Therapiestrategien gearbeitet wurde. Heute, sagt er,
„werden über 90 Prozent der Kinder am Tübinger
Universitätsklinikum innerhalb von Therapiestudien
behandelt“.
Die Tübinger Kinderonkologen gehören nach wie
vor in Europa zu den Gruppen, die die Strategien für
die Transplantation im Kindesalter bestimmen.
Das Grundproblem bei der Knochenmarktransplantation: Die beiden Immunsysteme – das eigene
und das fremde – stoßen sich, wenn sie sich genetisch
unterscheiden, ab. Tatsächlich finden sich manchmal
unter drei Millionen Menschen keine identischen
Immunsysteme.
Es sei denn unter Geschwistern bei einer Chance
von eins zu vier. „Damit haben wir angefangen“. Die
internationale Suche nach Fremdspendern (seit 1980)
„funktioniert, ist aber sehr aufwändig“, vor allem sehr
zeitaufwändig, ein tödliches Handicap, wenn die Zeit
drängt. Vor sechs Jahren brachen die Tübinger
deshalb mit dem Dogma, dass Eltern nicht Spender
sein sollen. Niethammer: „An Hand von Tierexperimenten in Israel und den Erfahrungen italienischer
Kollegen bei Erwachsenen wiesen wir endgültig nach,
dass es geht: mit sehr hoher Stammzellenzahl und der
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KEHLKOPF- UND RACHENKREBS
BEI ALLER DRAMATIK EINE ERFOLGSSTORY
Entfernung aller Lymphozyten und T-Zellen aus dem
Transplantat.“
Das von den Tübinger Kinderonkologen entwickelte Verfahren ist inzwischen bei etwa 70 Kindern
angewendet worden. „Die Ergebnisse sind mindestens so gut wie mit Fremdspenden“, sagt Niethammer.
Keines dieser Kinder hätte ohne dieses neue Verfahren eine Chance gehabt, denn sie haben keine
Geschwister und fanden keinen Fremdspender. Oder
es musste so schnell gehen, dass die Zeit für die Suche
nicht reichte. Wie bei dem Säugling, der wegen eines
Immundefekts auf der Intensivstation lag und beatmet werden musste. „Wir holten sofort den Vater
und am nächsten Tag wurde transplantiert.“
Ein Rückfall (Rezidiv) bedeutet nach wie vor ein
Problem. Die Immuntherapie, so Niethammer, macht
bei akuter Leukämie nur Sinn, wenn es um wenige
Leukämiezellen geht. In gemeinsamer Forschung
haben die Tübinger Hämatologen um Niethammer
eine Methode gefunden, mit der man im Knochenmark bereits Leukämiezellen aufspüren kann, solange
man sie mit üblichen Untersuchungsverfahren noch
gar nicht erkennen kann – auch ein Tumor hat zur
eigenen Regeneration sowie Bildung der Krebszellen
Stammzellen, Zellen, die in unreifem Stadium aus
dem Ruder gelaufen sind. Diese Selbsterneuerung
des Tumors durch seine Stammzellen, „weist möglicherweise in eine Richtung, in der man weiterkommt“ (Kanz). Bisher versucht man die Tumorzellen
zu zerstören. „Aber wir müssen nicht den Tumor
treffen, sondern wir müssen bereits die Tumorstammzelle an der Nachschub-Beschaffung hindern“,
sagt Kanz.
Mit dem neuen Verfahren kann man laut
Niethammer etwa die Hälfte dieser Kinder vor einem
Rückfall schützen. In einer bundesweit laufenden
Studie wird jetzt untersucht, „wie wir das auch bei der
anderen Hälfte schaffen können.“
Den vierten Platz unter den bösartigen Neubildungen bei Kindern nimmt das Neuroblastom, ein
höchst aggressiver Nervenkrebs, mit 150 Neuerkrankungen jedes Jahr in Deutschland ein. Es gibt
keine Früherkennung – 50 Prozent der Kinder haben
bereits Metastasen, wenn der Krebs entdeckt wird.
Andererseits hat er bis zum ersten Lebensjahr die
Tendenz, sich spontan zurückzubilden. Die Hoffnung,
ein einfacher Urin-Test als Neuroblastom-Screening
könnte zu rechtzeitiger Entdeckung und Rettung
vieler Kleinkinder führen, hat sich in einer der
größten Studien bundesweit nicht erfüllt (siehe auch
„Hirntumoren – noch schwer zu packen“).
➔ Kehlkopfkrebs und Rachenkrebs nehmen seit Jahren kontinuierlich zu. Bei Männern hat sich Kehlkopfkrebs seit dem zweiten Weltkrieg versechsfacht
und bei Frauen waren Kehlkopf-, Mund- und
Rachenkrebs bis vor zehn Jahren fast unbekannt. In
der Tübinger HNO-Klinik wurden bis vor einem
Jahrzehnt im Jahr je eine bis zwei Frauen behandelt,
heute sind es Prof. Hans-Peter Zenner zufolge jährlich
bis zu 50 und mehr Patientinnen.
Als Hauptursache gelten Zigarettenrauchen (Kehlkopfkrebs) Zigarren- und Pfeifenrauchen (Mundkrebs), Alkohol (Rachenkrebs), und vor allem die
Kombination von Rauchen und Alkohol. Zenner:
„Nichtraucher bekommen selten Kehlkopfkrebs.“ Ein
Raucher, hat der Leiter der HNO-Klinik am Tübinger
Klinikum ausgerechnet, „investiert etwa 50.000 Euro,
um einen Krebs zu kriegen“.
Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Der medizinische Fortschritt in den zurückliegenden zehn
Jahren war „enorm“. Zenner: „Bis dahin musste der
Kehlkopf vollständig entfernt werden, um das Leben
der Patienten zu retten, das waren im Jahr 110 bis 120
FRÜHSYMPTOM
Wenn früh genug behandelt wird, ist Kehlkopfkrebs heilbar. Doch die Patienten kommen häufig
erst, wenn sie Knoten am Hals (Metastasen)
bemerken. Prof. Zenner: „Das belastet die
Möglichkeit, sie zu heilen.“ Dabei gibt es ein
Frühsymptom: Heiserkeit! Generell gilt:
Jeder, der länger als drei Wochen heiser ist – ab
zum HNO-Arzt, der kann die Diagnose stellen.
Zenner: „Diesem Patienten können wir
versprechen, dass wir ihn heilen können.“
Betroffene. Heute können wir bei 90 Prozent der
Patienten den Kehlkopf retten.“ Mit Hilfe moderner
Lasertechnik wird der Tumor in mehreren kleinen
Laser-Eingriffen herausgeschält, „ohne den Kehlkopf
entfernen zu müssen.“ Heilungschance in diesen
Fällen laut Zenner: über 90 Prozent.
Im Einzelnen ist die Behandlung abhängig von
der Ausdehnung des Tumors: Stahl (Operation) und
Strahl (Bestrahlung) oder auch nur eins von beidem.
Kleine Tumoren wird man, sagt Zenner dem KLINIK
FORUM, bei Erhalt der Kehlkopffunktionen (Atemund Schluckfunktion, vor allem auch die Stimme!)
entweder in einer relativ kleinen Operation durch den
Mund mit Laserhilfe herausnehmen, oder vier bis
sechs Wochen lang in der Klinik für Radioonkologie
(Prof. Michael Bamberg) bestrahlen – „die beiden
Behandlungsformen sind gleichwertig“.
Wenn das Kehlkopfkarzinom schon ausgedehnt
ist, hat es in der Regel auch schon gestreut. In der
Radiologischen Diagnostik (Prof. Claus Claussen) lässt
sich das mit Farbdopplersonografie und Kernspintomografie erkennen. Dann, so Zenner „wird nicht
nur der Kehlkopf, sondern auch die Halsregion
operiert, zusätzlich zur Operation am Kehlkopf
müssen auch die Lymphknoten ausgeräumt werden.“
Und fast immer wird möglicher versprengter Krebszellen wegen nachbestrahlt.
Bei sehr großen Kehlkopftumoren bleibt nur die
Totalentfernung (Laryngektomie). Damit ist aber auch
der Verkehrspolizist entfernt, der Nahrung und Atemluft auf ihren richtigen Weg in Speise- beziehungsweise Luftröhre einweist. Um zu verhindern, dass
nach der Totaloperation beim Schlucken Nahrung in
den Luftweg gelangt, wird am unteren Hals ein neuer
Atem-Zugang in die Luftröhre (Tracheostoma) gelegt.
Der kehlkopflose Patient atmet fortan nicht mehr
durch Nase oder Mund sondern ausschließlich durch
diese Öffnung.
Wenn bei solch einem sehr großen Tumor eine OP
nicht (mehr) möglich ist oder vom Patienten nicht
gewollt wird, versucht man, die Geschwulst mit einer
Kombination aus Bestrahlung und Radiochemotherapie anzugehen.
Bösartige Tumoren im Rachenraum sind etwas
seltener. „Kleine wie große werden in der Regel
heraus operiert und nachbestrahlt. Außerdem werden, da bei Rachenkrebs das Metastasen-Risiko größer
als beim Kehlkopfkrebs ist, die Lymphknoten des
Halses fast immer ausgeräumt. Nicht selten wird auch
der Rachen vollständig entfernt.
Das bedeutet, „dass wir häufig plastisch rekonstruieren müssen“. Man nimmt dazu Brustmuskel mit
Haut und Arterie und schiebt ihn nach oben – man
nennt das Insellappen. Oder man verwendet Haut
vom Unterarm mit allen Gefäßen und verbindet sie
mit denen im Rekonstruktionsgebiet. Solche Operationen im Rachenraum samt Wiederaufbau der
Strukturen dauern je nach Ausmaß sechs bis zwölf
Stunden.
Wenn, was manchmal der Fall ist, die Speiseröhre
tangiert ist, muss sie wiederhergestellt werden.
Betrifft es den oberen Teil, wird auch hier wie in der
Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie ein Bauchchirurg zur Hilfe geholt, der ein Stück Dünndarm mit
Blutgefäßen entnimmt, das vom HNO-Chirurgen
oben an die Halsgefäße angeschlossen wird. Wenn der
Defekt weiter unten in der Speiseröhre sitzt, muss die
gesamte Speiseröhre entfernt werden. Der Chirurg
zieht dann ein Stück Magen hoch, das als Speiseröhrenersatz von den HNO-Ärzten angeschlossen
wird. Das sind Extrem-Fälle und Marathon-Operationen von bis zu zwölf Stunden.
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KREBS IM GESICHTSBEREICH
➔ Die „blöde Scheuerstelle“ der Teil-Zahnprothese
hatte ihn schon länger geärgert. Als sie monatelang
nicht heilen wollte, sich stattdessen ausdehnte und
sogar zu bluten begann, begab er sich in die Mund-,
Kiefer- und Gesichtschirurgie des Tübinger Universitätsklinikums. Dort dann der totale Schock – fortgeschrittener bösartiger Mundhöhlen-Tumor! Die
Diagnose hatte die Welt plötzlich verändert. Würde er
mit einem entstellten Gesicht leben müssen? Wer
würde noch mit ihm zu tun haben wollen?
Rund 10.000 Menschen erkranken jährlich in
Deutschland an Krebs im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich, Tendenz steigend, vor allem bei den jüngeren
Jahrgängen und bei den Frauen, sagt Prof. Siegmar
Reinert, Ärztlicher Direktor der Klinik für Mund-,
Kiefer- und Gesichtschirurgie am Universitätsklinikum. Lange Zeit waren unter den Neuerkrankten drei
Mal so viele Männer wie Frauen.
Viele Patienten kommen erst in einem weit fortgeschrittenen Stadium eines bösartigen Gesichts-,
Mundhöhlen- oder Rachen-Tumors zum Arzt. Und
das, sagt Reinert, „obwohl man die Karzinome frühzeitig selbst erkennen kann, wenn man seinen Körper
beobachtet“.
Unter den Behandlungsverfahren spielt die Operation neben der Bestrahlung (Radiotherapie) und
Chemotherapie die wichtigste Rolle. Durch die Bestrahlung sollen bei der Operation nicht erwischte
Krebszellen zerstört werden. Chemotherapie wird
meist in Kombination mit der Bestrahlung vor oder
nach der Operation eingesetzt. Man nutzt sie auch
dazu, bei großen Tumoren, die nicht operierbar sind,
das Wachstum des Krebses zu verlangsamen.
Ein wichtiger Bestandteil aller Bemühungen ist
die Erhaltung beziehungsweise Wiederherstellung
von Aussehen und Funktionen der betroffenen Partien. Solange die bösartigen Veränderungen in der
Mundhöhle und im oberen Rachen noch klein sind,
wirken sich die Entfernung der bösartigen Gewebeveränderung und die Abdeckung der OP-Wunde mit
Umgebungsgewebe weder funktionell noch kosmetisch negativ aus. Selbst wenn bei einem Oberkiefertumor eine Defektprothese nötig wird, „bleibt die
Sprache unauffällig, kann der Patient problemlos
essen, und von außen sieht man nichts“.
R I S I K O FA K T O R E N
– Rauchen ist der Risikofaktor Nummer 1,
– Alkohol, vor allem scharfe Sachen über
Jahre hin,
– die Kombination von beidem,
– schlechte Mundhygiene,
– mechanische Reize (abgebrochene Zähne,
scharfe Zahnkanten, scheuernde Klammern
oder Prothesen),
– UV-Strahlung bei Hauttumoren.
Anders, wenn Mundboden, Zunge oder Unterkiefer in Mitleidenschaft gezogen sind, Strukturen
also, die sich bewegen. Oder bei Gesichtstumoren,
etwa von innen herauswachsenden PlattenepithelKarzinomen, bei deren Operation man „oft ganze
Areale des Gesichts wegnehmen muss und fast immer
auch die Hals-Lymphknoten. Bösartige Tumoren im
Gesichts- und Rachenbereich streuen vorwiegend in
die Halslymphknoten, ganz selten in andere Körperregionen oder Organe.
Doch auch in diesen schwierigen Fällen, so
Reinert, bleibt oberstes Therapieziel die möglichst
naturgetreue Rekonstruktion von Aussehen und
Wiederherstellung der Funktionen, also von Mimik,
Sprache, Schlucken, Kauen.
Je nach Stadium des bösartigen Tumors wird dabei mit
dem gesamten Spektrum mikrochirurgischer Transplantate gearbeitet. Reinert: „Im Allgemeinen wird
versucht, gleich bei der Operation möglichst gewebeadäquat mit Gewebe des eigenen Körpers zu rekonstruieren.“ Das geschieht mit Haut-Fett-MuskelLappen samt den sie ernährenden Blutgefäßen (ohne
sie würden die Transplantate absterben) und wo nötig
auch Nerven aus dem Unter- oder Oberarm oder dem
Bereich der Brust oder dem Rückenmuskel, oder
sogar mit einem Stück Dünndarm („dabei helfen uns
die Bauch-Chirurgen“). Bei defektem Knochen wird
auch dieser gleich ersetzt durch ein Stück aus dem
Schulterblatt, Beckenkamm oder dem seitlichen
Unterschenkel.
Oft aber haben es die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen mit großen, die Strukturen flächenhaft beeinträchtigenden Defekten zu tun, beispielsweise, wenn Augenhöhlenweichteile betroffen sind,
das Karzinom in einer Kieferhöhle sitzt oder sich über
ganze Gesichtshälften ausgedehnt hat. Dann muss
meist die ganze Augenhöhle ausgeräumt, die Nase
oder das Ohr mit Umgebung herausgeschnitten werden und dann geht es nicht ohne eine kombinierte
Versorgung: „Da arbeiten wir zunächst mit körpereigenen Transplantaten, an denen dann implantatgehaltene Gesichtsprothesen, sogenannte Epithesen,
fixiert werden.“ Man muss einem so behandelten
Menschen schon sehr genau ins Gesicht sehen, um
ohne Kenntnis seiner Situation die Augen- (Nasen-,
Wangen- oder Ohr-) Epithese aus Kunststoff zu erkennen.
ERSTE ANZEICHEN
– geschwürige oder erhabene Veränderungen an
Haut oder Schleimhaut, die nicht abheilen,
– blutende Haut- oder Schleimhautveränderungen.
SPÄTERE ANZEICHEN
HohenEntringen
(bei Mundhöhlen- und Rachenkrebs):
– Sprechbehinderung,
– Schluckbeschwerden,
– Schwellungen mit Atembeschwerden,
– Kloßgefühl im Bereich des Mundbodens
oder der Zunge,
– anhaltender Mundgeruch.
Es sind bis zu zwölf und mehr Stunden dauernde Eingriffe, „doch das sind für den Patienten sehr wertvolle
Stunden“ – auch wenn diese enormen Anstrengungen
die Überlebens-Prognose nach neuesten Erkenntnissen offenbar nicht entscheidend verlängern, „aber
die Patienten haben deutlich an Lebensqualität gewonnen“.
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Emanuel usw
Bad Rippoldsau
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KREBSERKRANKUNGEN AM AUGE
HIRNTUMOREN
GETRÜBTER ADLERBLICK
NOCH IMMER SCHWER ZU PACKEN
➔ Krebs im Auge? „Gibt’s nicht!“ Gibt es doch.
0,5 Prozent aller bösartigen Tumoren beim Menschen
entwickeln sich laut Prof. Karl Ulrich Bartz-Schmidt,
Leiter der Abteilung Augenheilkunde I (vorderer und
hinterer Augenabschnitt) der Tübinger UniversitätsAugenklinik, am und im Auge. Mit 0,5 bis einem Fall je
100.000 Einwohner und Jahr ist das Aderhaut-Melanom der häufigste bösartige primäre Tumor im
Auge. In der Tübinger Augenklinik wird er pro Woche
ein- bis zweimal diagnostiziert.
Dieses mit unspezifischen Symptomen – Sehbeschwerden, erhöhtem Augendruck, Gesichtsfeldeinschränkung – beginnende maligne Aderhaut-Melanom bedingt Prof. Martin Rohrbach zufolge die
meisten Todesfälle im Bereich der Augenheilkunde.
Zehn bis 40 Prozent der Patienten schaffen die
statistisch günstige Überlebenszeit von fünf Jahren
nicht. Außerdem sind die bösartigen Zellen wanderfreudig: Das Aderhaut-Melanom metastasiert in alle
Organe, vorwiegend aber in die Leber. Sind die
Metastasen erst einmal erkennbar (manifest), „ist die
Lebenserwartung ausgesprochen schlecht“.
Entscheidend ist deshalb die möglichst frühe
Erkennung dieser bösartigen Veränderung, die meist
zwischen dem 55. und 63. Lebensjahr auftritt und bei
drei bis 20 Prozent der Betroffenen mit einem Sekundärglaukom einhergeht. Regelmäßige Kontrolle beim
Augenarzt macht sie möglich.
Die Behandlung ist zunehmend differenzierter
geworden und hat sich deshalb in jüngster Zeit weitgehend auf wenige spezialisierte Zentren verlagert,
deren eines die Tübinger Augenklinik ist. Die Möglichkeiten, erklären die beiden Experten, reichen
heute vom abwartenden Beobachten über den Augapfel erhaltende Methoden bis, im äußersten Notfall,
zur Entfernung des Augapfels.
Bei den Augapfel erhaltenden Verfahren hat die
Strahlentherapie eine führende Stellung inne. Sie
wird angewendet, wenn eine Infrarot-Laserbehandlung nicht mehr in Frage kommt (Tumoren mit mehr
als drei Millimeter Dicke). Wegen des hier nur kurzen
Wegs von der Strahlenquelle zum Tumor wählt man,
so Rohrbach, überwiegend die gewebeschonende
Form der Brachytherapie: „Am Ort des Tumors wird
Lorch
anpassen
ein Strahlenträger aufgenäht, der dort einige Tage
verbleibt, bis die vorher errechnete Strahlendosis
appliziert ist.“ Die Rückbildung des Melanoms dauert
einige Monate.
Bei einem Tumor, der für eine erfolgversprechende Strahlentherapie schon zu groß ist aber noch eine
Chance lässt zur Erhaltung des Augapfels versucht
man es mit lokalem Herausschneiden des bösartigen
Gewebes und zusätzlichem Nachbestrahlen. Wenn die
Geschwulst allerdings bereits mehr als zwölf Millimeter Dicke erreicht hat, ist in der Regel nur noch die
Entfernung des Auges möglich.
Im Auge können sich außerdem Metastasen von
Tumoren in anderen Teilen des Körpers entwickeln.
An erster Stelle sind das Brustkrebs-Metastasen. Auch
hier wird laut Bartz-Schmidt mit Bestrahlung behandelt, auf die die Metastasen „sehr gut ansprechen“.
Weniger „dramatisch aber häufiger“ als maligne
Tumoren im Auge sind bösartige Gewebeveränderungen am Auge: Lid-Basaliome, PlattenepithelKarzinome, Talgdrüsenkarzinome (die Meibom-Drüsen der Lidplatte sind die größten Talgdrüsen des
Menschen) seien hier als die wichtigsten genannt.
Doch an Tumoren des äußeren Auges, konstatiert
Rohrbach, „stirbt man heute eigentlich nur noch
äußerst selten“. Ausnahme auch hier: „Melanome der
Haut und Bindehaut“.
Auch Kinder bleiben nicht verschont. Der
häufigste bösartige Tumor im Auge ist bei ihnen das
Retinoblastom, ein neuronaler Tumor, der sich von
Netzhautzellen ableitet und unbehandelt oder zu spät
erkannt zur Erblindung führt. Bartz-Schmidt: 90 bis 95
Prozent der Kinder sind, wenn der Tumor festgestellt
wird, jünger als fünf Jahre. In der Tübinger Augenklinik wird die Behandlung der ganzen Bandbreite
kindlicher Augenerkrankungen abgedeckt. Doch angesichts der geringen Zahl kleiner Tumorpatienten
einerseits und des sich bei Kindern im Vergleich zu
Erwachsenen quantitativ und qualitativ „vollkommen
anders“ (Rohrbach) darstellenden Tumorspektrums
werden die in der Tübinger Augenklinik diagnostizierten Retinoblastom-Fälle in das auf die Therapie
von kindlichen Augentumoren spezialisierte Retinoblastom-Zentrum Essen überwiesen.
➔ Hirntumoren rangieren zahlenmäßig eher am
unteren Ende der Statistik. Doch in ihrer zerstörerischen Potenz nehmen sie es mit den bösartigsten unter den „großen“ Tumoren wie beispielsweise Darm-, Brust- oder Prostatakrebs auf, und sie
sind in der Regel äußerst schwer zu packen.
Ihre Behandlung ist ein überregional anerkannter
Schwerpunkt am Tübinger Klinikum, sowohl in der
Krankenversorgung als auch in der Forschung. Radiologen, Neurologen, Neurochirurgen, Radioonkologen
(Strahlentherapeuten), Pathologen, Pädiater und Internisten arbeiten dabei Hand in Hand.
Kinder: 70 Prozent Heilungs-Chance
Innerhalb dieses Schwerpunkts spielen die kindlichen
Hirntumore eine wichtige Rolle. Nach der Leukämie
sind Hirntumoren mit 20 Prozent aller bösartigen
Erkrankungen im Kindesalter die zweithäufigste
Krebserkrankung bei Kindern, und sie ließen bis vor
wenigen Jahren nur wenig Hoffnung.
Das hat sich geändert. Dank verbesserter Behandlungskonzepte und ganz neuer Therapieansätze überleben heute, so der Ärztliche Direktor der Klinik für
Radioonkologie Prof. Michael Bamberg, die meisten
Kinder mit einem Hirntumor.
Kinder mit reinen Germinomen beispielsweise –
im Schädel auftretende sehr strahlenempfindliche
Keimzelltumoren, die manchmal in den Wirbelsäulenkanal streuen – leben zu fast hundert Prozent heute
noch nach fünf Jahren ohne Rückfall. Erreicht wird
das, erläutert der Strahlentherapeut, durch eine nicht
nur den Tumor, sondern auch das ganze Rückenmark
einbeziehende großräumige Strahlenbehandlung mit
anschließender Chemotherapie.
Auch der häufigste Hirntumor bei Kindern, das
früher kaum Chancen lassende Medulloblastom, hat
einiges von seinem Schrecken verloren. Der Tumor
entsteht in der Regel in der hinteren Schädelgrube
und tendiert dazu, über den Liquor in Gehirn und
Rückenmark zu metastasieren, was ihn besonders
gefährlich macht.
Um mit ihm fertig zu werden und einen Rückfall
auszuschließen, wird, erklärt Bamberg, nach dem
operativen Eingriff das gesamte Liquorsystem in einzelne Bestrahlungsfelder zergliedert, die dann zielgenau jeweils bestrahlt werden können. Der Ausgangstumor bekommt noch eine zusätzliche Dosis
verpasst. Anschließend wird eine unterstützende
Chemotherapie gegeben. Bamberg: „Die kombinierte
Behandlung führt dazu, dass jetzt über 70 Prozent der
Kinder noch nach fünf Jahren leben.“
Gliome nach wie vor unheilbar
Die bösartigste Form unter den Hirntumoren, die in
jedem Lebensalter auftreten kann, vorwiegend aber
ab dem 50. Lebensjahr, ist das maligne, im Gehirn
selbst entstehende Glioblastom. Jedes Jahr erkranken
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WO ALLEINGANG SCHÄDLICH SEIN KANN
WEICHTEILSARKOME ERFORDERN FÄCHERÜBERGREIFENDE ZUSAMMENARBEIT
daran etwa 3.000 Menschen in Deutschland. Es gehört
wie das Oligodendrogliom zu den Gliomen, die
zusammen mit den von der Hirnhaut ausgehenden
Meningiomen (zu je 25 Prozent) die Hälfte aller primären Hirntumoren ausmachen.
Glioblastome gelten trotz aller Fortschritte nach
wie vor als unheilbar. „Sie haben eine äußerst
schlechte Prognose“, sagt Prof. Michael Weller, Oberarzt an der Neurologischen Klinik. Früherkennung ist
hier nicht möglich – „selbst wenn man jeden regelmäßig im Kernspintomografen untersuchen würde,
gäbe das keine Sicherheit – Glioblastome können sich
in Wochen oder Monaten entwickeln“.
Man kann allerdings auch nicht vorbeugen. Abgesehen von einer genetischen Veranlagung, die laut
Weller selten ist, gibt es, sagt er, nichts, was man als
Risikofaktor für einen Hirntumor ausmachen könnte.
Kopfschmerzen als Alarmsignal sind eher untypisch, aber es gibt Warnzeichen: „Wenn ein Erwachsener plötzlich Krampfanfälle, epileptische Anfälle
bekommt, kann dies ein Vorbote eines Tumors sein
und sollte dringend untersucht werden.“ Halbseitenlähmung, Sprach- und Sehstörungen, oder auffälliges
verändertes Verhalten können ebenfalls Hinweise sein
(freilich auch auf einen Schlaganfall).
Mit Kernspin- oder Computertomografie lässt sich
der Verdacht ausräumen oder erhärten. Bestätigt sich
der Verdacht durch die anschließende Gewebeentnahme (Biopsie), ist der Neurochirurg an der Reihe.
Er entfernt den Tumor so weit, wie es dessen Lage im
Gehirn zulässt. Bruchteile von Millimetern mehr oder
weniger könnten, beispielsweise, das Sprachzentrum
beschädigen. Dies und der den Glioblastomzellen
eigene Wandertrieb in das umliegende Hirngewebe
machen eine Folgebehandlung unumgänglich: „Standard ist eine Strahlentherapie, mit der heute die
Hälfte der Patienten länger als ein Jahr weiterlebt“.
Eine zusätzliche Chemotherapie, die oft im
Rahmen einer Studie eingesetzt wird, hat sich bei
einem Teil der Gliome laut Weller bewährt. „Weit mehr
als die Hälfte der Oligodendrogliome spricht auf diese
Chemotherapie gut an, mehr als die Hälfte der
Tumoren sind sogar ganz verschwunden.“ Für wie
lange, lässt sich zur Zeit noch nicht sagen.
SELBSTHILFEGRUPPEN
Selbsthilfegruppen für Krebspatienten in
der Region Tübingen: Frauenselbsthilfe
nach Krebs, Deutsche ILCO (für Menschen
mit künstlichem Ausgang von Darm und
Harnblase), Sport nach Krebs, Deutsche
Leukämie- und Lymphomhilfe, TULPE
(Betreuung und Hilfe für Gesichtsverletzte),
Verband der Kehlkopflosen, Förderverein
für krebskranke Kinder. Die jeweiligen
Telefonnummern erfahren Sie unter
Tel. 0 70 71/29-8 52 -8 35/-8 36/-8 37.
➔ Nicht jeder kann mit dem Begriff „Weichteilsarkom“ etwas anfangen. Im Vergleich zu manchen
anderen Krebsarten ist es mit jährlich etwa 2000
Neuerkrankungen bundesweit eher selten. Es ist ein
bösartiger und ziemlich aggressiver Tumor des Bindeoder Stützgewebes, der überall im Körper vorkommen und vom Kleinkind bis zum alten Menschen
jeden heimsuchen kann.
Hinzu kommt, dass das Weichteilsarkom in etwa
150 verschiedenen histologischen Subtypen auftreten
kann. Die Diagnose ist deshalb komplex und sehr
schwierig. Die Behandlung fordert nicht nur spezielle
Fachkenntnis: Fächerübergreifende Zusammenarbeit
ist unabdingbar.
Am Tübinger Klinikum sind sowohl die Disziplinen als auch das Fachwissen versammelt. Nach
dem Zentrum für Gastrointestinale Onkologie wurde
deshalb im Frühjahr 2001 am Interdisziplinären
Tumorzentrum des Universitätsklinikums als zweites
Disease Specific Center das „Zentrum für Weichteilsarkome“ (ZWS) gegründet. Chirurgen, Onkologen,
Orthopäden, Radiologen, Radioonkologen, Nuklearmediziner und Pathologen kümmern sich in diesem
einzigen ZWS in Baden-Württemberg gemeinsam um
die Patienten. In der interdisziplinären Sarkom-Tumorkonferenz aller beteiligten Fachrichtungen wird
die Behandlung jedes einzelnen Patienten diskutiert
und festgelegt.
Wichtigstes Ziel ist, so der Radioonkologe Prof.
Wilfried Budach, einer der drei Sprecher des ZWS, zu
erreichen, dass Patienten mit dem Verdacht eines
Weichteilsarkoms gleich nach Tübingen kommen.
50 Prozent der Patienten sind, wenn sie ans ZWS
kommen, bereits voroperiert, sagt Budach. Viele Ärzte
operieren und denken gar nicht daran, dass es sich
um eine sehr bösartige Geschichte handeln könnte.
So war einem jungen Mann eine Geschwulst am
Unterschenkel als harmlose Fettgeschwulst (Lipom)
wegoperiert worden. Sie war aber, wie man später in
der Orthopädischen Klinik feststellte, ein Sarkom des
Fettgewebes gewesen. Budach: „Viele Tumoren werden so eingeschätzt und rausgeschnitten.“ Doch bei
Patienten, die schon in nicht spezialisierten Zentren
vordiagnostiziert und vorbehandelt worden sind, ist
die Wahrscheinlichkeit, eine Extremität zu verlieren
oder zu sterben, sehr viel größer. „Schon ein falscher
Biopsiezugangsweg kann die Chance einer funktionserhaltenden Therapie zerstören – für den Patienten
bedeutet das Amputation.“
Bis vor 25 Jahren waren Amputationen fast die
Regel (50 bis 80 Prozent). Dank der modernen interdisziplinären Zusammenarbeit ist dieser Anteil heute
beim Knochensarkom auf zehn bis 20 Prozent, beim
Weichteilsarkom auf unter zehn Prozent geschrumpft.
Erreicht wurde das, so der Radioonkologe, unter
anderem mit modernen Biopsie- und Entnahmetechniken und -untersuchungen, Budach: „Der beste
Chirurg ist verlassen, wenn er einen schlechten Pathologen hat!“
Darüber hinaus wurde die Prognose „maximal“
verbessert durch die Kombination verschiedener
Diagnose- und Therapieverfahren vor allem auch mit
den Möglichkeiten der diagnostischen Radiologie und
der Nuklearmedizin, Radioonkologie, Orthopädie,
Chirurgie und der internistischen Onkologie.
Die Strahlentherapie wird in 70 bis 80 Prozent der
Fälle unterstützend eingesetzt, um möglicherweise im
Operationsbereich noch verbliebene mikroskopisch
kleine Tumorzellen abzutöten.
In kritischen Regionen wird dazu seit drei bis vier
Jahren in Tübingen und weiteren fünf Kliniken
deutschlandweit die Kathetertechnik genutzt. Dies
geschieht vor allem dort, wo das Risiko von Restzellen
besonders hoch ist: zum einen, weil nur wenig
Sicherheitsabstand vom gesunden Gewebe möglich
war oder der Tumor nicht ganz entfernt werden
konnte, zum anderen, weil sonst andere Strukturen,
etwa Nerven oder Sehnen, geschädigt worden wären
und es deshalb auf eine punktgenaue Bestrahlung
ankommt. Nach der Entfernung des Sarkoms werden
kleine Kunststoffkatheter eingelegt, über die (stationär) zehn Tage lang jeden Tag zweimal fünf Minuten
mit einer radioaktiven Strahlenquelle eine vorher
exakt berechnete Strahlendosis verabreicht wird. Der
Vorteil: „Wir können noch gezielter und deshalb lokal
auch mit einer höheren Strahlendosis als bei
Bestrahlung von außen arbeiten.“
Bei den Weichteilsarkomen im Kindesalter und
den Knochensarkomen des Erwachsenen spielt die
Chemotherapie die entscheidende Rolle, so Privatdozent Dr. Jörg Hartmann, Koordinator des ZWS aus
der Medizinischen Klinik. Hartmann: „Die Entwicklungen in der Chemotherapie sind nach langer Zeit
fehlender Fortschritte aber auch bei den übrigen
Typen von Erwachsenen-Sarkomen durch Erfolge in
der Molekularbiologie sprunghaft beschleunigt worden – in der Zukunft sind Verbesserungen der Prognosen besonders in diesem Therapiebereich zu
erwarten.“
Als Beispiel nennt Hartmann den erfolgreichen
Einsatz der Substanz ST1 571 bei gastrointestinalen
Stromatumoren, die sich zuvor gegen jede Behandlung resistent verhalten hatten. Er berichtet von zwei
internationalen Studien mit je rund 900 Patienten,
von denen nach 18 Monaten 80 Prozent der Patienten
weiterhin unter Therapie stehen. „Früher lag die
Lebenserwartung in diesem Stadium bei etwa neun
Monaten.“ Die Forschung in diesem Bereich verläuft
laut Hartmann sehr intensiv – „inzwischen wurden
weitere Sarkomtypen identifiziert, die auf Glivec (ST1
571) ansprechen.“
Onkologie_Sonder umbruch
17.07.2003
12:20 Uhr
Seite 16
KLINIK FORUM Sonderausgabe O N K O L O G I E
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MEDIKAMENTE
FÜR JEDEN MASSGESCHNEIDERT
➔ Die Universitäts-Aphotheke liegt im Talbereich des
Klinikums. Ihren Chef Dr. Hans-Peter Lipp und seine
Mitarbeiter trifft man trotzdem immer wieder oben auf
dem Schnarrenberg – nicht, weil ihm dort die Luft
besser bekommt, sondern weil ihr Fach- und Sachverstand auch am Krankenbett gefragt ist. Vor allem
zwischen Uni-Apotheke und onkologisch tätigen
Klinikärzten existiert eine vielfältige fächerübergreifende innovative Zusammenarbeit. „Einen Durchbruch mittels neuer Medikamente mehr Heilung zu
erreichen, ist noch sehr schwer“, sagt der Leiter der
Uni-Apotheke. „Aber wir können die Rückfallraten verringern und bei manchen Krebserkrankungen auch
die Durchschnitts-Überlebenszeit verlängern.“ Erste
Medikamente aus der Genomforschung, spezifisch
wirkende Antikörper wie Herceptin oder Mabthera,
die bei Brust- oder Lymphdrüsenkrebs eingesetzt werden, zeichnen sich laut Lipp durch hohe Tumorwirksamkeit und gute Verträglichkeit aus. Auf dem Gebiet
der Molekularbiologie, im Bereich der aktiven Immunisierung und beim Einsatz von Radionukliden, den Lipp
für „sehr zukunftsträchtig“ hält, tut sich einiges.
Für viele Tumoren gibt es heute standardisierte
Therapieregimes, festgelegt in ihrer Dosierung. Allerdings müssen sie immer wieder dem Stand der
Wissenschaft und vor allem an die Voraussetzungen
des einzelnen Patienten angepasst werden“, erklärt
Lipp. „In diesem Zusammenhang gilt es, die Plausibilität der Verschreibung zu kontrollieren, da viele Arzneimittel in der Tumortherapie nur einen engen Spielraum zwischen Wirksamkeit und Nebenwirkungsspektrum aufweisen.“ Es gibt immer wieder Patienten, die
nicht verstehen, weshalb sie nicht das selbe Mittel wie
der Bettnachbar bekommen, der doch den gleichen
Krebs hat und gut mit dem Medikament fährt.
Doch der Darmkrebs (als Beispiel) des einen ist
nicht gleich dem Darmkrebs des anderen. Es kommt
entscheidend auf die individuelle (Krankheits-) Situation an: vor allem auf das Stadium der Erkrankung und
die Patientencharakteristika wie Größe, Gewicht,
Körperoberfläche. „ Jeder Patient bekommt deshalb
seine individuelle, für ihn maßgeschneiderte Dosis“,
sagt Lipp. Die Tübinger Uni-Apotheke liefert im Jahr
28000 Einzelzubereitungen ins Klinikum – „ein ziemlicher Stress“, sinniert Lipp, „durch die Ausweitung der
Tageskliniken müssen wir da viel auf Abruf arbeiten!“
Neben diesen klassischen pharmazeutischen Serviceleistungen der Universitäts-Pharmazeuten wie der
Herstellung von Medikamenten spielt die Beratung
der Mediziner und des Pflegepersonals vor Ort, etwa
bei komplizierten Therapieentscheidungen eine
wichtige Rolle. Bei allen Fragen und Problemstellungen, die eine Analyse der Wirkung von Arzneimitteln
im Organismus (Pharmakodynamik) nötig machen
oder, andersherum, den Einfluss des Organismus auf
ein Medikament (Pharmakokinetik) betreffen, schätzen die Kliniker die Diskussion mit dem Apotheker,
seine Beratung und fachliche Hilfestellung vor Ort am
Krankenbett. Welche Dosis kann man einen bestimmten Patienten geben bei dem mehrere Organe nur
eingeschränkt funktionieren? Eine Substanz beispielsweise, die über die Leber ausgeschieden wird, kann
bei einem Patienten mit kranker Leber nicht in der
selben Dosis wie bei einem mit gesundem Organ
eingesetzt werden. Und wie sieht es mit der Dosierung
aus, wenn der Patient sein Medikament nicht mehr
schlucken kann, sondern nur noch eine Spritzen- oder
Infusionsbehandlung in Frage kommt?
Sehr seltene Nebenwirkungen werden darüber
hinaus im fächerübergreifenden Team besprochen.
„Die behandelnden Ärzte müssen wissen, wieso es bei
diesem Kranken zu diesen Nebenwirkungen kam und
welche aktuellen Möglichkeiten des Eingreifens, Gegensteuerns es geben könnte“. Dies gilt vor allem auch
bei besonderen Fragestellungen therapieinduzierter
Toxizitäten, das heißt, wenn eine Therapie ausgeprägte unerwünschte Begleiterscheinungen zeigt.
Lipp nennt als Beispiel einen Patienten, bei dem
schließlich eine Milchzucker-Unverträglichkeit als Auslöser der Nebenwirkungen herauskam. „Man wechselte auf eine laktosefreie Verabreichungsform des
Medikaments und die Nebenwirkungen waren weg.“
Gemeinsam gehen Ärzte und Apotheker auch der
Frage nach, inwieweit Arzneimittel auch in bisher nicht
zugelassenen Bereichen einsetzbar sind. „Gibt es“,
nennt Lipp ein Beispiel, „bereits ausreichend klinische
Erfahrungsberichte, die einen entsprechenden Arzneimitteleinsatz erlauben, um beispielsweise die Nebenwirkung eines Krebsmittels deutlich zu vermindern
oder noch einen deutlichen Therapieerfolg versprechen?“
Fragen dazu beantwortet Dr. Hans-Peter Lipp,
Tel. 0 70 71/29-8 22 78, Fax 29 50 50,
E-Mail: [email protected]
Nusser & Schaal
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