wurde musiziert, als gälte es das Leben

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SAMSTAG/SONNTAG, 20./21. FEBRUAR 2016
D6 Kultur
VORARLBERGER
NACHRICHTEN
Fragen über die Liebe
und die Vergänglichkeit
Das erste KosmodromWeekend in diesem
Jahr startete mit einem
Stück von Max Lang.
ein „er“ zu sprechen, wie ursprünglich im Text beabsichtigt.
So erscheint im Laufe des
Stücks eine zweite, unsichtbare Figur auf der Bühne: die
des Großvaters, der, wie Ingrid Bertel bemerkte, an Körperlichkeit gewinnt, der von
seinem Enkel liebevoll, aber
nicht unkritisch beschrieben
wird, wie er aus dem Fenster
schaute, wie er anrief, wie er
betrunken gegen einen Heizkörper fiel...
MAYA RINDERER
E-Mail: redaktion
@vorarlbergernachrichten.at
Telefon: 05572/501-225
BREGENZ. Ein junger Mann,
gespielt von Anwar Kashlan,
der derzeit in drei verschiedenen Stücken am Theater
Kosmos zu sehen ist, reist aus
Wien an, um der Beerdigung
seines Großvaters beizuwohnen. Er hält einen Monolog
kniend in einer Kiste, gefüllt
mit Erde, dem Bühnenbild
von Caro Stark, das den Text
nicht nur unterstreicht, sondern ihm wortwörtlich einen
Rahmen gibt: den eines Grabes, was an Thomas Ostermeiers Hamlet-Inszenierung
mit der Bühne voller Erde
von Jan Pappelbaum erinnert, sowie den einer Sandkiste, in der ein Kind spielt,
denn die Assoziation der Verwandtschaft mit der Kindheit
ist unausweichlich. Die Figur
meint sich davon befreit zu
haben, indem sie sich geografisch entfernt hat, ein Motiv,
das sich im Laufe des Monologs wiederholt: „Ich muss
hier weg, weg, übers Meer,
am besten weit weg.“
Die Furcht des Ichs
Nach der Uraufführung, im
Werkstattgespräch mit Autor
Wolfgang Mörth und Kulturjournalistin Ingrid Bertel, stellten sich Fragen an
Regisseur Stephan Kasimir,
Bühnenbildnerin Caro Stark,
Schauspieler Anwar Kashlan
und Autor Max Lang zur Form
des Monologs, zum Titel des
Stücks und zur Entfernung
junger Vorarlberger Menschen von ihren Verwandten,
wenn sie das Bundesland in
Richtung Großstadt verlassen. Max Lang hat den Text
als inneren Monolog angelegt
Schauspieler Anwar Kashlan brilliert im Einpersonenstück „Der entfernte
Verwandte“.
FOTO: KOSMODROM
und arbeitet assoziativ, verbindet den Frust des Ichs, die
Wut auf seine Familie, der er
vorwirft, ihn ausgeschlossen
zu haben, mit seinen Erinnerungen an Wien, seinem
Café dort und einer Bekanntschaft mit einer PhilosophieStudentin, die ihn jedoch
nicht glücklich gemacht hat.
Schauspieler Anwar Kashlan
hat sich entschieden, den Monolog an den Verstorbenen,
den Großvater der Hauptfigur
zu richten, denn im Theater,
so Kashlan, müsse man einen
Monolog immer an jemanden
richten, sonst verliere sich
der Text. Hier bot es sich für
Kashlan an, sich an den Verstorbenen in der zweiten Person zu richten, anstatt über
Emotionaler Spannungsbogen
Anwar Kashlan hat sich während der Proben gefragt, wer
nun der „entfernte Verwandte“ im Titel sei – der Enkel,
der sich von der Verwandtschaft entfernt hat, oder der
verstorbene Großvater, der
„unter die Bänke gekehrt“
wird.
Ein emotionaler Spannungsbogen führt den jungen
Mann über Fragen zu Liebe
und Vergänglichkeit zum Finale: Erstmals im Stück erhebt er sich aus der mit Erde
gefüllten Kiste, in der er sich
gewälzt hat, in der er getanzt
hat und einen Körper aus
Erde geformt hat, zu dem
er sich legt, den er umarmt.
Sein Traueranzug ist mit dieser Erde beschmutzt und er
beschließt, eine Rede auf den
Verstorbenen zu halten: keine mit dem „immergleiche(n)
Text, derselbe Sermon mit
austauschbaren
Inhalten“,
sondern eine ehrliche.
Und schließlich möchte er
sich doch zu den Verwandten
gesellen, die sich in der Wohnung des Verstorbenen aufhalten, denn vielleicht wird
er im Gespräch etwas Neues
über den Menschen erfahren
können, der ihm nahe gewesen sein muss, alles andere
als entfernt.
Letzte Vorstellung von „Der
entfernte Verwandte“: heute,
Samstag, um 20 Uhr im Theater
Kosmos. www.theaterkosmos.at
Kommentar
Walter Fink
Er hat nichts
verstanden
Vor einigen Jahren war ich mit guten Freunden zwei Mal
auf dem Franziskusweg unterwegs. Wir waren keine
klassischen Pilger, die von Florenz nach Assisi oder von
dort noch weiter nach Rom gingen. Wir nahmen Quartier
in Assisi, besichtigten vor allem diesen wunderbaren Ort,
die auf das 13. Jahrhundert zurückgehende unglaubliche
Kirche San Francesco, die erhöht wird durch die Fresken
des Giotto und des Cimabue. Ein
Erdbeben im Jahre 1997 hatte
wesentliche Teile der Kirche
zerstört, vor allem die Malereien
des Cimabue waren betroffen, die
Fresken von Giotto und Cavallini
sind wieder zu bewundern. In der
Unterkirche dann das Grab des hl.
Franziskus, das Ziel vieler Pilger
auf dem Franziskusweg. Nicht
weit entfernt, im Tal, die kleine
Kapelle Porziuncola aus dem 11.
Jahrhundert, die Sterbekapelle
von Franziskus, die innerhalb
der großen Kirche von Santa Maria degli Angeli steht – ein
kleines Wunder.
Solche „Wunder“ haben wir viele erlebt auf unseren
Wanderungen auf dem Franziskusweg durch die wunderschöne Landschaft Umbriens, durch Dörfer wie Gubbio,
Spello, Trevi oder Spoletto – jedes einzelne durch die Lage
in der Landschaft, meist auf einem Hügel, durch die größeren Kirchen und kleineren Kapellen von außergewöhnlicher Schönheit.
So war es nicht verwunderlich, dass vor einigen Tagen
eine Zeitungsnotiz unser Interesse weckte: „Zu Fuß nach
Rom – Auf dem Franziskusweg“. Martin Engelmann,
Fotograf und Autor mehrerer Bücher, lud dazu ein, „Kunst
und Kultur hautnah zu erleben“. Wir freuten uns, machten
uns auf nach Feldkirch – und wurden bitter enttäuscht. Der
Vortrag glich mehr einer jener berüchtigten Werbefahrten
(in der Pause des 2-Stunden-Vortrags wurden Bücher und
DVD angeboten), denn der Schilderung einer Pilger- oder
Kulturreise. Wir nutzten die Pause zum Abschied. Denn
fast nichts war bis dahin zu hören über das spannende
Leben des Franz von Assisi, fast nichts über die kunsthistorische Bedeutung besonderer Bauten am Weg, gar
nichts über das, was Pilgern im Gegensatz zum Wandern
ausmacht – nur die Leiden des Wanderers erfuhren wir
im Detail. Engelmann hat nichts von diesem Weg verstanden. Das ist vor allem deshalb schade, weil es so viel zu
erzählen gäbe. Und damit tingelt Engelmann derzeit durch
die Lande, vor allem auch in Vorarlberg. Einzig positiv:
Das Buch „Zu Fuß nach Rom“ (Tyrolia Verlag) ist deutlich
besser als der Vortrag, die DVD aber leider die gleiche
Enttäuschung.
Solche ,,Wunder“ haben wir
viele erlebt auf
unseren Wanderungen auf dem
Franziskusweg.
[email protected]
Walter Fink ist pensionierter Kulturchef des ORF Vorarlberg.
Hier wurde musiziert, als gälte es das Leben
Pianist Aaron Pilsan
glänzte beim Festival
„Next Generation“ in
Bad Ragaz.
FRITZ JURMANN
Ruzowitzky erhielt 2008 den Oscar
für „Die Fälscherin“.
FOTO:APA
Ruzowitzky mit
neuem Film
Der oscarprämierte Regisseur Stefan Ruzowitzky
(54) wird die Geschichte der
deutschstämmigen GuerillaKämpferin Monika Ertl verfilmen, wie der „Kurier“ online
berichtet. Der Film „Imilla
– The Girl Who Avenged Che
Guevara“ (Das Mädchen, das
Che Guevara rächte) werde
sich um die Ermordung des
bolivianischen Konsuls Roberto Quintanilla Pereira drehen. Für die Film-Adaption
werde Linda Ferri verantwortlich sein, heißt es. Sie
steuerte unter anderem das
Drehbuch zu Nanni Morettis
2001 mit der Goldenen Palme
für den besten Film in Cannes
ausgezeichneten Film „Das
Zimmer meines Sohnes“ bei.
WIEN.
E-Mail: redaktion
@vorarlbergernachrichten.at
Telefon: 05572/501-225
BAD RAGAZ. Sie besitzen die Vitalität, das Draufgängertum
der Jugend und sind dennoch
bereits in der Abgebrühtheit
des reifen Musikers geerdet,
diese jungen Leute um die 20,
die auch die sechste Ausgabe
des Klassikfestivals „Next
Generation“ im Nobelkurort
zum Ausnahmeformat machten. Die Bezeichnung Talent
greift hier zu kurz, weil ihr
Höchstniveau dort ansetzt,
wo man nicht mehr über so
banale Dinge wie Technik
und Intonation zu diskutieren braucht. Wesentlichen
Anteil am Erfolg hatte auch
der junge Dornbirner Pianist
Aaron Pilsan, der sich als „Artist in Residence“ mehrfach
glänzend präsentierte.
Neben solch künstlerischen
Höhenflügen stimmte auch
die Kasse, wie der „Erfinder“
und rastlose Organisator des
Festivals, Drazen Domjanic,
beim letzten Konzert am
Donnerstag im VN-Interview
freudestrahlend
mitteilte.
Anstelle der erwarteten 1600
sind diesmal 2000 Besucher
angereist, um in den 14 Konzerten 47 junge Musiker aus
21 Ländern zu feiern, und
haben dabei das nicht eben
wohlfeile, prunkvolle „Grand
Resort“ gestürmt. Auch die
internationale Fachpresse hat
mittlerweile dieses DebütFestival entdeckt, ebenso wie
Konzertagenturen, die sich
die künftige Mitwirkung dieser Stars von morgen sichern,
von denen es viele heute
schon sind.
Unfassbarer Geniestreich
Im feudalen, etwas in die
Jahre gekommenen Kursaal
des Ortes hat man mit Stofffahnen auf der Hinterbühne
die Akustik entscheidend
verbessert, ohne das denkmalgeschützte Interieur zu
beschädigen. Der Saal atmet
den Duft schweren Parfüms,
dicke Teppiche schlucken jedes unliebsame Geräusch, alles geschieht gemächlich und
in vornehmer Diskretion. In
diese Atmosphäre der Betu-
lichkeit eines meist älteren
Publikums fahren diese ungestümen Youngster nun hinein wie der Blitz im Ungewitter, erobern sich zu sechst im
Handstreich die Bühne und
stellen jene Jugendlichkeit in
den Mittelpunkt ihrer Darbietung, die den 15-jährigen Felix Mendelssohn-Bartholdy
zu seinem unfassbaren Geniestreich im Klaviersextett
D-Dur beflügelt haben mag.
Es ist ein wunderbar samtiger
Klang in den tiefer angelegten Streichern, der das ausgewogene Fundament bildet
für die brillanten Kaskaden,
die Aaron Pilsan fast wie bei
einem Klavierkonzert untadelig in den Raum zaubert.
Mit einem Lächeln hält er
Kontakt zu seinem Ensemble,
so, als gehe es für ihn dabei
um nicht mehr als eine bloße
Fingerübung.
Traditionelle Ausrichtung
„Sextette zum Sechsten“ hat
man dieses Konzert übertitelt, und das zweite Werk
besitzt noch weit mehr musikalisches Gewicht. Es ist das
Streichsextett Nr. 2 G-Dur von
Johannes Brahms, dicht geflochten in der traditionellen
Ausrichtung von je zwei Violinen, Bratschen und Celli. Da
findet man nun im Ensemble
auch Domjanics hochbegabte
Tochter Sara, eine 19-jährige
Geigerin, die sich erst tags
Wesentlichen Anteil am Erfolg des Festivals hatte der Dornbirner Pianist
Aaron Pilsan.
FOTO: NEXT GENERATION/CHRISTINE KOCHER
zuvor unter 240 Bewerbern
einen Studienplatz bei Antje
Weithaas in Berlin eroberte. Oder den zweiten „Artist
in Residence“, den rumänischen Cellisten Andrei Ionita, Gewinner des vorjährigen
Tschaikowsky-Wettbewerbes. Gemeinsam mit ihren
Kollegen aus Frankreich,
England, Taiwan und Österreich (die Wiener Cellistin
Marie Spaermann) machen
sie von Anfang an ihr enges
künstlerisches und menschliches Miteinander deutlich, in
dem in über 30 Minuten niemals Platz ist für Beliebigkeit,
in dem keinen Moment lang
die Spannung abfällt und das
delikate Scherzo zur liebenswert zelebrierten Preziose
wird. Hier wird musiziert, als
gälte es das Leben.
Auch wenn zum FestivalFinale neben den Interpreten
auch der unermüdliche Impresario Domjanic vom Publikum gefeiert wird, hat man
den Eindruck, dass manchen
Zuhörern nicht ganz klar ist,
welch
außergewöhnlichen
Schatz man sich mit diesem
Festival an Land gezogen hat.
Die Planungen für 2017 sind
so gut wie abgeschlossen.
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