Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg DETLEF LIEBS Bellum iustum in Theorie und Praxis Originalbeitrag erschienen in: Martin Avenarius (Hrsg.): Ars iuris : Festschrift für Okko Behrends zum 70. Geburtstag. Göttingen: Wallstein, 2009, S. 305 - 318 Detlef Liebs Bellum iustum in Theorie und Praxis* Äußerungen römischer Juristen und darauf aubauenden Handlungen der Politiker bis zu ihren philosophischen Grundlagen nachzugehen, wie es der hier zu ehrende Freund und Jubilar unvergleichlich fruchtbar versteht, ist nicht allen gegeben. Aber vielleicht vermögen auch Niederungen der römischen Politik zu interessieren, wenn sie sich zu ihrer Rechtfertigung juristischer Argumente bediente. Ob sie damit auch die griechischen Zeitgenossen beeindruckte, ist eine andere Frage. I. Die rechtliche Regelung In der hellenistischen Welt legten die kriegführenden Mächte wie fast alle Völkerrechtssubjekte, auch heute, großen Wert auf die Feststellung, dass sie nur gerechte Kriege führten, weil sie sich – oder auch Dritte – gegen ungerechte Angriffe und sonstiges von der anderen Seite ausgehendes Unrecht zur Wehr setzten, juristisch gesprochen: aus Notwehr oder Nothilfe. Anders war es etwa bei den alten Germanen, wo der Krieg als solcher verherrlicht wurde, oder im alten Israel, das sich auf nicht weiter zu ergründende Befehle seines Gottes, die Eroberungskriege einschlossen, berief.1 Die Römer hatten auch in diesem Punkt früh ein besonders ausgeprägtes Rechtsbewusstsein entwickelt und schalteten dementsprechend den eigentlichen Kriegshandlungen, wenn nicht gerade unmittelbare Gefahr drohte, ein von der Priesterschaft der Fetialen ausgeklügeltes Verfahren vor. Von außen, insbesondere aus hellenistischer Sicht mochte all das freilich besonders selbstgerecht erscheinen. Aber jedenfalls lässt sich bei keinem anderen Volk eine so ausgefeilte Kriegstheorie wie bei den Römern ausmachen.2 * Erschienen in: Ars iuris – Festschrift für Okko Behrends zum 70. Geburtstag, Göttingen: Wallstein 2009, S. 305-318. 1 Siehe etwa Numeri 13 f.; 21-25; 31-34; u. Josua 1-12. 2 So S. Albert, Bellum iustum. Die Theorie des gerechten Krieges und ihre praktische Bedeutung für die auswärtigen Auseinandersetzungen Roms in republikanischer Zeit, Kallmünz 1980, S. 17 Fn. 38. – Bürgerkriege konnten auch nach römischer Rechtsauffassung keine bella iusta sein, s. etwa Cicero, De officiis 2, 27. Staatsverfassungen regeln ja gerade, dass innere Auseinandersetzungen gewaltlos auszutragen sind, und zeichnen gewaltlose Wege vor, zumindest ritualisierte oder doch klar begrenzte Gewalt wie das mittelalterliche Fehderecht. Freilich ist zu beobachten, dass Sieger eines Bürgerkriegs ihre Maßnahmen im Nachhinein gern bestätigen lassen und ihnen dadurch ein Mäntelchen des Rechts umzulegen verstehen. Beispielhaft für den Eindruck, den sie bei anderen hinterließen, sind Äußerungen einer rhodischen Gesandtschaft im Schicksalsjahr von Rhodos 167 v. Chr. und Worte des Polybius aus der zweiten Hälfte des 2. Jhs. v. Chr.: [S. 306] Livius, Ab urbe condita 45, 22, 5 (Rede der Rhodier im Senat) Certe iidem vos estis Romani, qui ideo felicia bella vestra esse, quia iusta sint, prae vobis fertis nec tam exitu eorum, quid vincatis, quam principiis, quod numquam sine causa suscipiatis, gloriamini. Polybius, Historiae 13, 3, 7 προλέγουσι τοὺς πολέµους καὶ ταῖς ἐνέδραις σπανίως χρῶνται καὶ τήν µάχην ἐκ χειρὸς ποιοῦνται καὶ συστάδην. (sie [die Römer] erklären einen Krieg, benutzen sehr selten einen Hinterhalt und kämpfen Mann gegen Mann.) Ebenda 36, 2 (1b), 1 f. Πάλαι δ ὲ τούτου κεκυρωµένου βεβαίως ἐν ταῖς ἑκάστων γνώµαις καιρὸν ἐζήτουν ἐπιτήδειον καὶ πρόφασιν εὐσχήµονα πρὸς τοὺς ἐκτός. Πολὺ γὰρ δὴ τούτου τοῦ µέρους ἐφρόντιζον ῾Ρωµαῖοι, καλῶς φρονοῦντες· (Obwohl jeder Einzelne längst fest dazu [zum dritten punischen Krieg] entschlossen war, suchten sie [die Römer] doch nach einer passenden Gelegenheit und nach einem vorzeigbaren Kriegsgrund. Denn darauf waren die Römer seit je sehr bedacht, und das war ein schöner Zug von ihnen.) Ebenda 36, 9, 9 Ἕτεροι δ ὲ καθόλου µὲν πολιτικὸν ε ἶναι τ ὸ ῾Ρωµαϊκὸν ἔθνος ἔφασιν καὶ τοῦτ’ ἴδιον εἶναι καὶ ἐπὶ τούτῳ σεµνύνεσθαι τοὺς ῾Ρωµαίους, ἐπὶ τῷ καὶ τοὺς πολέµους ἁπλῶς καὶ γενναίως πολεµεῖν, µὴ νυκτεριναῖς ἐπιθέσεσι χρωνένους µηδ’ ἐνέδραις, πᾶν δὲ τὸ δι’ ἀπάτης καὶ δόλου γινόµενον ἀποδοκιµάζοντας, µόνους δ ὲ τοὺς ἐκ προδήλου καὶ κατὰ πρόσωπον κινδύνους ὑπολαµβάνοντας αὑτοῖς καθήκειν. (Andere nun sagten, dass das römische Volk überhaupt ein zivilisiertes Volk und es ihre Eigenheit sei, worauf die Römer selbst stolz waren, dass sie die Kriege schlicht und ehrenhaft führten, indem sie sich weder auf nächtliche Angriffe noch auf Hinterhalte einließen, jede Art von Täuschung und Betrug missbilligten und nur direkte und offene Angriffe für rechtmäßig erachteten.) Die Rhodier versuchten, mit ihrem Urteil den Römern entgegenzukommen. Und Polybius versuchte, Verständnis für die römische Sache bei den Griechen zu wecken. Er konnte sich also etwas freier äußern; und das musste er wohl tun, wenn er Gehör finden wollte. Der Ton ist trotzdem nicht ohne Wohlwollen. Der etwas ältere Karneades hatte weniger Rücksicht genommen und nur gelten lassen, dass die Römer beim Zusammenbringen ihres Reiches klug vorgegangen sind; gerecht seien sie dabei gerade nicht gewesen: 2 Cicero, De re publica 3, 21 (überliefert von Laktanz, Institutiones divinae 5, 16, 4; es spricht L. Furius Philo, Konsul 136 v. Chr. , welcher die Position des Karneades vertritt) [307] Et inferebat (Carneades) haec argumenta: Omnibus populis, qui florerent imperio, et Romanis quoque ipsis, qui totius orbis potirentur, si iusti velint esse, hoc est si aliena restituant, ad casas esse redeundum et in egestate ac miseriis iacendum. Ebenda 24 (gleichfalls Philo) Noster hic populus, quem Africanus hesterno sermone (s. Buch 2) a stirpe repetivit, cuius imperio iam orbis terrae tenetur, iustitia an sapientia est e minimo omnium maximus factus?3 Noch härter urteilte Laktanz, der bei den Römern nichts als Nützlichkeitsdenken konstatierte, das er durch innerrömische Gesetze lediglich verbrämt sah, weil sie Rom einseitig begünstigten beziehungsweise ihre Räubereien legitimierten: Laktanz, Institutiones divinae 6, 9, 4 f. Quantum autem a iustitia recedat utilitas, populus ipse Romanus docet, qui per feciales bella indicendo et legitime iniurias faciendo semperque aliena cupiendo atque rapiendo possessionem sibi totius orbis comparavit. Verum hi se iustos putant, si contra leges suas nihil faciant. Die Römer selber dachten über ihr Völkerrecht anders. Mochten sie den Ritus der Fetialen als ihnen beziehungsweise den Latinern eigenes Recht betrachten, so hielten sie doch die substanziellen Kriegsgründe für gemeinsame Rechtsüberzeugung der Kulturvölker, ius gentium im älteren Sinn von ‚Völkerrecht’, wenn der Terminus auch seit der späteren Republik häufiger in einem allgemeineren Sinn von ‚allen Kulturvölkern gemeinsames Recht’ gebraucht wurde.4 Auch beim ius gentium aber waren es allemal die Römer, die seinen Inhalt näher bestimmten; in der Frage, ob bestimmte Ereignisse einen Kriegsgrund darstellen oder nicht, wahrten sie die Definitionshoheit. Wann und wie ein Krieg rechtens begonnen wird – Kriegführung und Friedensschluss sollen hier außer Betracht bleiben –, haben die Römer schon früh genauer als andere Völker im Einzelnen geregelt. Jedenfalls seit dem Ende der Republik führten sie diese Verrechtlichung auf einen frühen König zurück: Numa (Dionys von Halikarnass und Plutarch),5 Tullus Hostilius (Cicero)6 und Ancus Marcius (Livius, Aurelius Victor und Servius).7 Dabei spielten 3 Dazu D. Nörr, Rechtskritik in der römischen Antike, München 1974, S. 59 f. Dazu ausführlich M. Kaser, Ius gentium, Köln 1993; und kurz K.-H. Ziegler, Völkerrechtsgeschichte, 2. Aufl. München 2007, S. 48 f. = § 10 III 2 u. 3. 5 Dionys von Halikarnass, Romanorum archaeologia 2, 72, 1; u. Plutarch, Numa 12, 3. 6 Cicero, De re publica 2, 31. 4 3 Förmlichkeiten eine große Rolle, wie das bei archaischen Rechtseinrichtungen nicht nur der Römer öfter der Fall zu sein pflegt. Römisch oder doch latinisch war jedoch, dass es dafür eine eigene Priesterschaft gab, welche die notwendigen Riten entwickelt [308] hatte und jahrhundertelang das Monopol darauf behauptete. Während man inhaltlich an ältere, wohl nicht nur latinische Sitten anknüpfen konnte,8 wurde das Kollegium der Fetialen der Überlieferung nach aus einer anderen latinischen Gemeinde übernommen, bestand allerdings fast nur in Rom fort. Hier zählte es nicht weniger als 20 lebenslänglich amtierende, bis 300 v. Chr. durchweg patrizische Mitglieder, die sich durch Kooptation ergänzten. Zuständig war es für alle völkerrechtlichen Belange, insbesondere auch für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge. Nachdem der König bzw. der zuständige Magistrat einen Fetialen, den verbenarius (weil er mit geheiligten Pflanzen zu tun hatte), feierlich beauftragt hatte, rupfte dieser auf der Burg Kräuter mit Erde aus dem Boden und bestimmte durch Berührung damit aus der Mitte der Kollegen den Wortführer (pater patratus) für den anstehenden völkerrechtlichen Auftrag: Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages, Auslieferung eines Mitbürgers oder Kriegserklärung. Dabei wurde er von einer Deputation dreier weiterer Mitglieder begleitet.9 Ging es um den Beginn einer kriegerischen Auseinandersetzung, so entsandte der Senat die Deputation an die Grenze der feindlichen Gemeinde, wo der pater patratus unter Anrufung Juppiters und der anderen Götter mit bestimmten Worten Wiedergutmachung eines konkreten, den Römern zugefügten schweren Unrechts und Auslieferung der Schuldigen forderte. Entsprechendes rief er in wenig veränderten Worten nach Überschreitung der Grenze, wenn er das erste Mitglied der feindlichen Gemeinde traf; sodann vor deren Stadttor; und schließlich auf deren Marktplatz. Geschah ihm Genüge, das heißt: einigte man sich auf eine Wiedergutmachung oder klärte sich der Streit sonstwie, so entfernte sich die Delegation mitsamt etwa ausgelieferten Schuldigen freundschaftlich. Verlangten die anderen Zeit zur Beratung, so gewährte der pater patratus ihnen eine Frist von 30 Tagen; nach je 10 Tagen wiederholte er seine Forderung. Lief die Frist fruchtlos ab, dann rief er nach drei weiteren Tagen die Götter wieder mit einer festen Formel zu Zeugen des begangenen Unrechts auf und kündigte an, dass die Ältesten seiner Gemeinde, also Roms, über geeignete Maßnahmen zur Durchsetzung ihres Rechts beraten würden, drohte also mit Krieg. Nach Rom zurückgekehrt, berichtete er dem Senat, woraufhin dieser beriet; auch diese Verhandlung wurde mit einer festen Formel eingeleitet. Schließlich traf der Senat eine Entscheidung. Hatte man sich für Krieg entschieden, 7 Livius 1, 32, 5; Aurelius Victor, De viris illustribus 5, 4; u. Servius, In Vergilii Aeneidos libros 10, 14. Siehe Livius 1, 22, 3-7, angeblich 672 v. Chr. oder kurz danach. 9 Also insgesamt vier: Varro, De vita populi Romani II nach Nonius Marcellus, De compendiosa doctrina 12, S. 850 Lindsay = 529 Z. 24/25 Müller. Nur insgesamt zwei nach Livius 9, 5, 4. Siehe dazu K. Latte, Römische Religionsgeschichte, München 1960, S. 121 Fn. 1. 8 4 dann bestätigte das ein Volksgesetz de bello indicendo, zumindest indirekt durch Festlegung der Befugnisse des Feldherrn, begab sich der pater patratus noch einmal an die Grenze des feindlichen Gebiets, sprach er die Kriegserklärung aus, begründete sie und warf eine eiserne oder in Blut getränkte Lanze hinüber.10 [309] Nicht nur bot das Formular also hinreichend Spielraum, um den Kriegsgrund anzugeben, sondern dieser musste auch triftig sein,11 eine iusta causa, wie man es später begrifflich fasste. Den Römern musste von der anderen Seite schweres Unrecht zugefügt worden sein. In ältester Zeit waren das hauptsächlich Raubzüge, wobei es vor allem um Vieh und anderes wertvolles Gut ging, das jetzt zurückgefordert wurde.12 Waren dabei römische Bürger verletzt oder gar getötet worden, dann forderte man obendrein Auslieferung der Täter. Im Laufe der Zeit kristallisierten sich folgende Gründe heraus, die einen Krieg rechtfertigen konnten: 1. Feindlicher Einfall in römisches Gebiet. 2. Angriff auf Verbündete, die zu verteidigen waren. 3. Vertragsbruch. Davon getrrennt wurde: 4. Abfall von einem Bündnis. 5. Unterstützung eines mit Rom im Kampf befindlichen Feindes. 6. Angriff auf Gesandte, die als unverletzlich galten. 7. Nichtauslieferung der Schuldigen an den oben genannten Vorfällen.13 10 Livius, Ab urbe condita 1, 32, 5-14; und ausführlicher Dionys von Halikarnass 2, 72. Latte, a.a.O. 122, lässt nur eine Kornelkirschenlanze gelten. Die Einzelheiten übersichtlich bei E. Samter, Art. Fetiales, RE VI 2, 1909, Sp. 2259-65; kurz W. Dahlheim, Struktur und Entwicklung des römischen Völkerrechts im dritten und zweiten Jahrhundert v. Chr., München 1968, S. 171 f.; K.-H. Ziegler, Das Völkerrecht in der römischen Republik, ANRW I 2, 1972, S. 68-114, hier 101-03; u. K. Girardet, Gerechter Krieg. Von Ciceros Konzept des bellum iustum bis zur UNO-Charta, Gymnasium 114, 2007, S. 1-35, hier 7 f. Ausführlicher Ch. Saulnier, Le rôle des prêtres fétiaux et l’application du ius fetiale à Rome, RH 58, 1980, S. 171-230; V. Ilari, L’interpretazione storica del diritto di guerra romano fra tradizione romanistica e giusnaturalismo, Mailand 1981; J. Rüpke, Domi militiae. Die religiöse Konstruktion des Krieges in Rom, Stuttgart 1990, S. 97-117; A. Watson, International Law in Archaic Rome: War and Religion, Baltimore u. London 1993, S. 1-9 u. passim; A. Zack, Studien zum Römischen Völkerrecht, Göttingen 2001, S. 18-51 u. 69-73; u. F. Sini, Ut iustum conciperetur bellum: guerra giusta e sistema giuridico religioso romano, in: A. Calore (Hg.), Guerra giusta? Le metamorfosi di un concetto antico, Mailand 2003, S. 31-76, hier 64-70. 11 Cicero, De re publica 3, 35 (nach Isidor, Etymologiae 18, 1, 2 f.; und Nonius, De compendiosa doctrina 9, S. 800 Lindsay = 498 Z. 19 f. Müller; ulcisci bedeutet hier nicht ‚rächen’, sondern so viel wie ‚ahnden’); De officiis 1, 35 f. (aequitas ist hier im engeren Sinn von ‚Rechtmäßigkeit’ gebraucht); Varro, De vita populi Romani 2 (nach Nonius 12, S. 848 f. Lindsay = 529 Z. 22-25 Müller); u. Servius auctus, Ad Aeneidem Vergilii 9, 52. Dazu Girardet (soeben Fn. 10), S. 12-15; s. a. 15-22. 12 Vgl. Latte (o. Fn. 9), S. 121. 13 Albert (o. Fn. 2), S. 17 f. 5 Dieses nicht nur formale, sondern inhaltliche Element ist zwar öfter und zumal jüngst bestritten worden. Der Fetiale habe nur behaupten müssen, es sei wertvolles Gut gestohlen worden, und es zurückfordern; und wenn er alles formgerecht vorgetragen, alle Formeln gesprochen und die richtigen Riten vollzogen habe, sei der daraufhin begonnene Krieg ein bellum iustum gewesen, gleichgültig, ob die [310] Vorwürfe berechtigt waren oder offenkundige Heuchelei.14 Luigi Loreto, der das vertritt, beruft sich dafür auf Carl Schmitt, huldigt dessen FreundFeind-Theorie und interpretiert Cicero als geistigen Vorläufer Schmitts. Erst christliche Denker, insbesondere Augustin, hätten einen wirklichen Kriegsgrund gefordert. Wie einseitig Loreto dabei mit den dazu herangezogenen Quellen umgegangen ist, hat Klaus Girardet ausführlich dargelegt.15 Gewiss verharren die Quellen mitunter bei der komplizierten formellen Seite der Kriegserklärung und tun sie den sachlichen Grund dann kurz und formelhaft ab.16 Aber nirgends ist zu lesen, dass es auf einen wirklichen Kriegsgrund nicht angekommen sei. Er brauchte in vielen der von Loreto zitierten Texte nicht weiter erläutert zu werden, weil hier kurze Andeutungen genügten, um verständlich zu sein; bei anderen Texten bricht Loreto vorzeitig ab. Augustin berichtet in diesem Zusammenhang lediglich längst Bestehendes.17 Schon 1987 hatte Rolf Hochhuth Cicero neben Carl Schmitt gestellt und beide zu klassischen Mitläufern gestempelt,18 ohne dass Loreto sich darauf beruft. Beiden geht es weniger um Erkenntnis als um Aufmerksamkeit um ihrer selbst willen, und sei es schlicht durch Provokation. Der alte Ritus der Kriegserklärung konnte nur so lange eingehalten werden, wie Rom seine Kriege in der näheren Nachbarschaft führte. Als dieser enge Wirkungskreis überschritten wurde, also in historischer Zeit, betraute der Senat mit der Sühneverhandlung vor der Kriegserklärung eigene Gesandte aus seiner Mitte.19 Und für die endgültige Kriegserklärung musste 14 L. Loreto, Il bellum iustum e i suoi equivoci. Cicerone ed una componente della rappresentazione romana del Völkerrecht antico, Neapel 2001. 15 Gnomon 77, 2005, S. 427-34; s. a. die Besprechungen von K.-H. Ziegler, SZ 120, 2003, S. 228-33; u. N. Rampazzo, Index 33, 2005, S. 235-61. 16 Z. B. Cicero, De officiis 1, 36, zumal wenn man aut ... aut schlicht disjunktiv versteht wie z. B. William V. Harris, War and imperialism in republican Rome, Oxford 1979, S. 165 u. Fn. 2. Hier ist es wohl richtiger mit ‚beziehungsweise’ wiederzugeben, s. schon § 38: Cum vero de imperio decertatur belloque quaeritur gloria, causas omnino subesse tamen oportet easdem, quas dixi paulo ante iustas causas esse bellorum. 17 Augustin, Quaestiones in Heptateuchum 6, 10: Iusta autem bella ea definiri solent (sic), quae ulciscuntur iniurias, si qua gens vel civitas, quae bello petenda est, vel vindicare neglexerit, quod a suis improbe factum est, vel reddere, quod per iniurias ablatum est. Dazu Girardet (o. Fn. 15), S. 432; u. ders. (o. Fn. 10), S. 22-28, bes. 26. Auch hier hat ulcisci nicht die Bedeutung von ‚rächen’, sondern von ‚ahnden’. 18 Rolf Hochhuth, Täter und Denker, Stuttgart 1987, S. 41-43. 19 Th. Mommsen, Römisches Staatsrecht II, 3. Aufl. Leipzig 1887, S. 688 f.; Dahlheim (o. Fn. 10), S. 17180; u. Ziegler (o. Fn. 10), S.103 f. Nach verbreiteter Meinung sollen die Fetialen schon seit dem 3. Jh. v. Chr. nicht mehr aktiv gewesen und erst von Augustus künstlich wiederbelebt worden sein: Latte (o. Fn. 9), S. 122 f.; Dahlheim, a.a.O. S. 174-78; Harris, a.a.O. S. 167; u. Girardet (o. Fn. 10), S. 8-12. 6 seit dem Tarentinerkrieg um 275 v. Chr. niemand mehr eine weite Reise machen, weil man damals einen gefangenen fremden Soldaten zwang, ein Stück Land beim Circus Flaminius zu kaufen, das ein für allemal als Feindesland betrachtet wurde. Von da an warf der pater patratus die Lanze in dieses Stück Land, und zwar von einer hier, genauer: [311] beim Tempel der Bellona, wo die Lanze verwahrt wurde, errichteten Grenzsäule aus, der columna bellica.20 So erklärte noch Augustus, Fetiale wie alle Kaiser nach ihm, 32 v. Chr. Kleopatra den Krieg nach altem Ritus, aber eben in Rom; ebenso Mark Aurel jedenfalls den zweiten Markomannenkrieg 178 n. Chr.21 Der Ritus scheint die Christianisierung des Reichs nicht überdauert zu haben. Zwar hören wir von ihm noch einmal bei Ammian zum Jahr 359 n. Chr. im Perserkrieg unter Konstantius II. Hier vollzogen aber nicht mehr die Römer den Ritus, sondern die Feinde: das Völkchen der Chioniten, und auch sie nur einen ähnlichen Ritus. Sie vollzogen ihn zu Beginn der Belagerung von Amida. Ammian sagt ritu patrio nostrique more ... fetialis. Aber kein pater patratus, sondern der barbarische König selbst, dessen Sohn gefallen war, warf die blutige Lanze.22 Ammian bezeichnet den Ritus sowohl als vorväterlich (patrius) chionitisch als auch als römische Fetialensitte; patrius hat hier aber zugleich die Bedeutung ‚heidnisch’. Inhaltlich hat das christianisierte römische Reich den Anspruch, nur gerechte Kriege zu führen, allerdings stets aufrechterhalten.23 II. Einzelne Fälle a) Schon im Altertum wurde der dritte punische Krieg kritisch beurteilt.24 In der Tat gibt es zwei wunde Punkte, die Roms Verhalten problematisch erscheinen lassen. Gewiss hatte Karthago mit Numidien unter Massinissa Krieg geführt, ohne vorher Roms Einwilligung eingeholt zu haben, wozu es sich im Friedensvertrag von 201 v. Chr. verpflichtet hatte. Aber Rom hatte auch seinerseits nichts Nachhaltiges unternommen, um den mit ihm verbündeten Massinissa, der aufgrund einer ungenauen Klausel im Friedensvertrag von 201 sein Reich auf Kosten Karthagos ständig weiter ausdehnte, um also das eigenmächtige Vorgehen seines Bundes20 Latte, a.a.O. S. 122 u. Fn. 3, hält die Entstehungsgeschichte für eine spätere Erfindung, allerdings mit Argumenten, die für eine offene Fiktion allzu spitz erscheinen. 21 Cassius Dio, Historia Romana 50, 4, 5 bzw. Dio-Xiphilin 71 (72), 33, 3. S. a. Sueton, Claudius 25, 5. 22 Ammian 19, 2, 6. Zu diesem Volk W. Tomaschek, Art. Chionitae, RE III 2, 1899, Sp. 2286. 23 M. Mantovani, Bellum iustum. Die Idee des gerechten Krieges in der römischen Kaiserzeit, Frankfurt am Main 1990, S. 126-28 u. 130-32, mit zahlreichen Belegen, freilich nicht alle gleich schlüssig. 24 Siehe Polybius 36, 9 (37, 1), 3-15 u. dazu S. Clavadetscher-Thürlemann, Polemos dikaios und bellum iustum. Versuch einer Ideengeschichte, Zürich 1985, S. 79 f. u. 122; ferner Appian, Historia romana 8: Libyca 76 Anfang; u. Orosius, Historiae adversus paganos 4, 23, 8. 7 genossen in Grenzen zu halten. Auch dieser hatte letztlich gegen seinen Vertrag mit Rom verstoßen, als er Gebiete des wehrlosen Karthago eigenmächtig in Besitz nahm, obwohl diese Stadt 201 v. Chr. ebenso Bundesgenossin Roms geworden war, wenn auch in untergeordneter Stellung. [312] Der andere kritische Punkt war Roms Forderung an die Karthager, ihre Stadt zu verlassen, damit die Römer sie vernichten konnten, und im Landesinnern zu siedeln. Manch ein Karthager scheint dieser Forderung privat nachgekommen zu sein und fortan im Binnenland gelebt zu haben.25 Die karthagische Regierung aber weigerte sich, dem nachzukommen. Zuvor hatte sich die Stadt in einem letzten Kompromiss Rom ergeben, eine deditio vollzogen. Aber dafür hatte Rom den Karthagern nicht nur ihre Freiheit und ihre eigenen Gesetze, sondern auch ihr privates und öffentliches Eigentum zugesichert – unter der Bedingung, dass die Karthager alle weiteren Forderungen der Konsuln erfüllten.26 Eine Umsiedlung hätte ihnen ihr Eigentum, öffentlich oder privat, nicht geradezu weggenommen, nichts auf andere übertragen, vieles jedoch entwertet. Rechtlich war das nach dem damaligen pedantischen Rechtsverständnis der Römer nicht zu beanstanden,27 moralisch aber um so mehr. Es war nicht nur unverhältnismäßig, sondern obendrein brutal und sogar hinterhältig, mit einem geläuterten, auf bona fides abstellenden Rechtsempfinden unvereinbar. Aber diese Kategorie beherrschte damals noch nicht einmal das römische Zivilrecht in dem Maße, wie es zwei Generationen später Q. Mucius Scaevola durchsetzen sollte,28 nur erst einzelne Bereiche des Zivilrechts. Die Hinterhältigkeit der Römer ist vielmehr mit einer tief sitzenden Furcht Roms vor Karthago zu erklären.29 Diese abzubauen wird auch dadurch erschwert gewesen sein, dass wenige Jahre vorher eine römische Gesandtschaft in Karthago festgestellt hatte, dass die besiegte Konkurrentin nach 50 Jahren Frieden wirtschaftlich wieder wesentlich besser dastand als die Siegerin Rom, ähnlich wie um 1980 ein britischer Minister auf einer internationalen Konferenz über Wirtschaft bitter bemerkte, dass die Besiegten des Zweiten Weltkriegs: Deutschland, Japan und auch Italien, mittlerweile zu den Reicheren gehörten, wirtschaftlich wesentlich stärker waren als die Siegermächte Großbritannien und Frankreich damals. 25 Die von Diodorus Siculus, Bibliotheca historica 32, 6, 4; Appian, Libyca 90 Ende; u. auch Zonaras, Epitome historiarum 9, 26 Mitte, Genannten werden nicht die einzigen gewesen sein. Allerdings sind Flüchtlinge aus Karthago in Maktar (rund 150 km südwestlich) entgegen mitunter geäußerten Vermutungen nicht nachweisbar, G. Charles-Picard, Civitas Mactaritana = Karthago 8, 1957, Tunis u. Paris 1958, S. 67. 26 Die Einzelheiten übersichtlich bei Albert, a.a.O. S. 50-55; zusammenfassend W. Huß, Geschichte der Karthager, München 1985, S. 440-42. 27 Vgl. Dahlheim (o. Fn. 19), S. 36. 28 Dazu O. Behrends, Die wissenschaftslehre im Zivilrecht des Q. Mucius Scaevola pontifex, in: Nachrichten der Akademie der wissenschaften in Göttingen, philologisch-historische Klasse 1976 Nr. 7, bes. S. 293-304. 29 Huß, a.a.O. S. 436-38. 8 b) Der Fall Numantias im diesseitigen Spanien löste unter den römischen Juristen eine Kontroverse aus, wenn auch nicht unmittelbar zur Frage, ob der letzte Krieg gegen die keltiberische Stadt, der zu ihrer Vernichtung 133 v. Chr. führte, berech[313]tigt war.30 Die Römer hatten ihn 153 v. Chr. begonnen, weil die Stadt den von Rom bekriegten und vor den Römern geflüchteten Segedanern Zuflucht gewährt hatte. Der Africaner Florus fühlte im 2. Jh. n. Chr. mit den Numantinern und nannte diesen Kriegsgrund den Gipfel eines ungerechten Grundes: Non temere ... ullius causa belli iniustior.31 Doch verschwieg er, dass die beherbergten Segedaner weiterhin bewaffnet waren, dass Numantias Vermittlungsversuch scheiterte und dass die Stadt sich nach Abbruch der Verhandlungen sogar mit den Segedanern gegen Rom verbündete.32 Dieser Kriegsabschnitt wurde im Frühjahr 151 freilich durch einen Friedensvertrag beendet, den auch der Senat billigte.33 Doch fielen die Arevaker, deren Vorort Numantia war, 143 v. Chr. auf Veranlassung des lusitanischen Heerführers Viriathus zusammen mit den Titthern und den Bellern, zwei Stämmen südöstlich des Gebiets der Arevaker, von den Römern wieder ab, nachdem römische Feldherren seit 151 v. Chr. aus persönlicher Geltungssucht und Habgier den im gleichen Jahr geschlossenen Frieden immer wieder unter fadenscheinigen Vorwänden missachtet und obendrein selbst getroffene Vereinbarungen in skandalöser Weise gebrochen hatten. Auch dieser Kriegsabschnitt wurde freilich durch einen Friedensvertrag mit dem römischen Feldherrn beendet. Diesen Vertrag jedoch hat der Senat verworfen, obwohl die Numantiner schon erhebliche Vorleistungen erbracht hatten, die sie nie wiedersehen sollten. Nicht einmal wurden die Personen, welche auf römischer Seite den Vertrag geschlossen und beschworen hatten, also zumindest der Feldherr selbst, dem abgewiesenen Volk ausgeliefert. Das verhinderte dieser Feldherr, indem er das römische Volk gegen die an sich fällige und vom Senat beschlossene Auslieferung anrief; und das Volk lehnte sie ab.34 Der Senat fühlte sich trotzdem an den seinerzeitigen Vertrag nicht gebunden. Gegenstand der Diskussion unter den Juristen war eine Konsequenz aus der Fortsetzung des Krieges durch die Römer: das Bürgerrecht von C. Hostilius Mancinus, Konsul 137 v. Chr. mit dem Auftrag, im diesseitigen Spanien den Krieg gegen Numantia zu einem siegreichen Ende zu bringen. Er übernahm ein demoralisiertes Heer von etwa 30 000 Mann vor Numantia und geriet nach einem ungeschickten Manöver in eine so ausweglose Lage, dass er die Kapitulation dem Kampf vorzog. Sein Quästor Tiberius Gracchus genoss als einziger Römer bei 30 Albert (o. Fn. 2) spart diesen Fall aus. Ausführlich zu seinem Verlauf Helmut Simon, Roms Kriege in Spanien 154-133 v. Chr., Frankfurt am Main 1962, S. 15-20, 25-46, 101-16, 139-59 u. 171-91. 31 Florus, Epitoma de Tito Livio 2, 18 (1, 34), 3. 32 Simon, a.a.O. S. 19 f. 33 Simon, a.a.O. S. 44 f. 34 Dazu M. Elster, Die Gesetze der mittleren römischen Republik, Darmstadt 2003, S. 438-40 (Nr. 211). 9 den Numantinern Vertrauen, weil sich sein Vater vor mehr als 30 Jahren in Spanien fair verhalten hatte. Er handelte einen Vertrag aus, den Mancinus, Gracchus selbst und die Militärtribunen des Heeres feierlich beschworen und welcher freien [314] Abzug ohne Waffen einschloss. Als der Senat das erfuhr, beorderte er den Oberbefehlshaber und seinen Stab nach Rom zurück. Nach langen Verhandlungen, an denen sich auch eine numantinische Gesandtschaft beteiligte, lehnten Senat und nach Eutrop auch das Volk es 137 v. Chr. ab, den Vertrag zu ratifizieren.35 Auf den Rechtsrat der Fetialen hin versuchten die Römer vielmehr, sich von ihm zu lösen, indem sie Mancinus, allerdings nicht auch den Quästor und die Militärtribunen und schon gar nicht das ganze gerettete Heer, den Numantinern ausliefern würden; das Volk billigte 136 v. Chr. nur die Auslieferung des Mancinus, nicht die der anderen.36 Einer der neuen Konsuln reiste nun mit Mancinus, der alles auf sich nahm, und mit dem pater patratus nach Spanien, wo er das von einem Interimsbefehlshaber übernommene und wiederaufgerüstete Heer übernahm. In Numantia stellten die Römer Mancinus nackt und gefesselt vor das Stadttor. Die Numantiner wollten jedoch nicht hinnehmen, dass sich die Römer so leicht von einem Vertrag lösten, den sie ihrerseits zu seinem wesentlichen Teil schon irreversibel erfüllt hatten, indem sie rund 20 000 Römer und 10 000 Bundesgenossen hatten laufen lassen. Sie nahmen Mancinus nicht an, wie es schon ihre Gesandtschaft in Rom angekündigt hatte. Bei Anbruch der Nacht führten die Römer nach Einholung der Auspizien Mancinus in das Lager zurück und er kehrte nach Rom zurück. Als er dort seinen gewohnten Platz im Senat einnehmen wollte, erhob ein Volkstribun Einspruch, weil sein Bürgerrecht durch die Auslieferung erloschen und auch nicht nach römischem Heimkehrrecht (ius postliminii) wieder aufgelebt sei; die Art der Heimkehr konnte nicht als ehrenvoll angesehen werden. Am Ende wurde ihm das Bürgerrecht durch Gesetz wiedergegeben,37 während er seinen Senatssitz erst einmal verlor, den er später jedoch durch neuerliche Wahl zum Prätor wiedergewann. Der Jurist M. Iunius Brutus, Prätor 142 v. Chr. und in seinem Fach hochangesehen – noch im 2. Jh. n. Chr. zählte er zu den drei fundatores iuris civilis –, Brutus also38 vertrat eine andere Ansicht. Mancinus habe sein Bürgerrecht nicht wirklich verloren, weil die Auslieferung nicht angenommen wurde. Damit eine deditio zustande kommt, sei wie bei einer Schenkung 35 Eutrop, Breviarium ab urbe condita 4, 17, 1. Elster, a.a.O. S. 445-7 (Nr. 215), bezweifelt mit Recht, dass das Volk gefragt worden war. 36 Dazu Elster, a.a.O. S. 447-9 (Nr. 216). 37 Cicero, De oratore 1, 181 u. 2, 137. 38 Zu ihm D. Liebs, in: W. Suerbaum (Hg.), Handbuch der lateinischen Literatur der Antike I, München 2002, S. 565 f. = § 194.6; u. ders., Die Juristensippe der Marci Junii Bruti, in: Festschrift für P. Schlechtriem zum 70. Geburtstag, Tübingen 2003, S. 107-117, bes. 112 ff. 10 eine Annahme (acceptio) erforderlich, woran es hier fehlte.39 Cicero schloss sich später dieser Meinung [315] an.40 Folgerichtig müsste man annehmen, dass, wenn die deditio des Mancinus nicht vollendet worden und damit misslungen war, auch die Lossagung vom Vertrag mit den Numantinern nicht wirksam geworden sei; Tiberius Gracchus scheint vor dem Senat in diesem Sinn argumentiert zu haben.41 Wenn allerdings schon der von Mancinus geschlossene Friedensvertrag nach überwiegender Meinung der Fachleute unwirksam war, dann dauerte der 143 wieder ausgebrochene Krieg mit Numantia noch an und kam es wieder auf den seinerzeitigen Kriegsgrund an. Geflohenen bewaffneten Feinden Unterschlupf zu gewähren und sich später mit ihnen sogar zu verbünden, war fraglos ein stichhaltiger Kriegsgrund, der fünfte der oben genannten: Unterstützung eines Feindes. Akzeptiert man das, dann handelte Scipio zwar wieder äußerst brutal, aber rechtmäßig, als er die Stadt mit nunmehr 60 000 Mann gegen 4 000 Verteidiger belagerte, etwa neun Monate lang, endlich Erfolg hatte und sie dann gänzlich auslöschte, nachdem sich die letzten Überlebenden ergeben hatten, um für den Triumfzug mitgenommen oder sofort als Sklaven verkauft zu werden. Der Satz, dass sogar beeidete Verträge der Feldherrn, selbst wenn diese zugleich Konsuln waren, vom Senat ratifiziert werden müssten, um gültig zu werden, und obendrein dem Volk vorgelegt werden könnten,42 bedeutete für Roms Vertragspartner eine strukturelle Benachteiligung. Die Numantiner, welche ihre Erfahrungen mit der Verlässlichkeit beeideter Verträge römischer Feldherren gemacht hatten, begingen, juristisch gesehen, den Fehler, bei ihrem neuerlichen Vertragsschluß mit Gracchus und Mancinus ganz auf das Wort eines vertrauenswürdigen Römers zu bauen, statt sich einzugestehen, dass jeder völkerrechtliche Vertrag mit einem Repräsentanten Roms ungeachtet aller Eide vorerst in der Schwebe und Vorleistungen deshalb nicht angezeigt waren. Gewiss konnten sie keine 30 000 Mann als Geiseln behalten, 39 Mod. 3 reg. D. 49, 15, 4; u. Pomp. 37 Muc. D. 50, 7, 18, berichten von der Streitfrage, aber beide nur bruchstückhaft, woraus sich aber jedenfalls ergibt, dass P. Mucius Scaevola, einer der anderen fundatores iuris civilis, pontifex maximus und weithin anerkannt, die Rechtsansicht des Brutus ablehnte und die des Volkstribunen teilte. Die Begründung des Brutus ist Cicero, Topica 37 und De oratore 1, 238, zu entnehmen. Dazu F. Wieacker, Die römischen Juristen in der politischen Gesellschaft des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts, in: Sein und Werden im Recht. Festgabe für U. v. Lübtow zum 70. Geburtstag, Berlin 1970, S. 183-214, hier 204-08; O. Behrends, Tiberius Gracchus und die Juristen seiner Zeit, in: K. Luig u. D. Liebs (Hgg.), Das Profil des Juristen in der europäischen Tradition. Symposion aus Anlaß des 70. Geburtstages von F. Wieacker, Ebelsbach 1980, S. 25-121, hier 68; ders., Staatsrecht und Philosophie, SZ 100, 1983, S. 458-84, hier 483; u. Wieacker, Römische Rechtsgeschichte I, München 1988, S. 585. 40 Cicero, Pro Caecina 98. 41 Simon, a.a.O. S. 154. 42 Zu den Kompetenzen der Volksversammlung beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge s. Zack (o. Fn. 10), S. 193-201; in der Sache kritisch gegenüber dieser stark einschränkenden Position etwa Elster (o. Fn. 34), S. 278-81 (Nr. 132), 318 f. (Nr. 151); 368-71 (Nr. 179); 389-92 (Nr. 187); u. dazu K.-J. Hölkeskamp, SZ 122, 2005, S. 264. 11 aber sie hätten die Vornehmsten aus den einflussreichsten Familien einbehalten können, wie es die Samniten 321 v. Chr. nach dem caudinischen Joch, entgegen der römischen Beschönigung später, offenbar mit Erfolg getan hatten.43 Juristische Laien vertrauen auch heute ganz dem mündlichen Wort und können es nicht fassen, dass die Gerichte sich lieber ans oft ab[316]weichende Schriftliche halten, das geschickte oder auch nur umsichtige Vertragsgegner gleichzeitig sich zu verschaffen verstehen; uneingeschränkt galt das Schriftliche bei uns nie; und seit 1976, als die ersten Gesetze zum Schutz der Verbraucher ergingen, gilt es nur noch in deutlicheren Grenzen. c) In der Kaiserzeit konnten Fragen, die das Gemeinwesen gegenwärtig bewegten, nicht mehr offen diskutiert werden, sondern beherrschte der Kaiser auch die öffentliche Meinung. Aber zumindest die ersten Kaiser legten Wert darauf, dass ihre Kriege in der Öffentlichkeit gerecht erschienen; besonders tat das Augustus,44 wenn ihm Cassius Dio 200 Jahre später darin auch nicht mehr für jeden Krieg folgen sollte.45 Sehen wir von seinem Krieg gegen Kleopatra ab, der eigentlich dem Rivalen Mark Anton galt, und ebenso von den übrigen Bürgerkriegen, so bleiben immer noch zahlreiche Kriege, die Augustus gegen unruhige Völkerschaften an den Grenzen des Reichs und im Innern führte.46 Ob all diese Kriege oder wenigstens einzelne auch formell als gerechte Kriege eingeleitet wurden, ist sehr zweifelhaft. Man scheint das umständliche und sich womöglich lang hinziehende Verfahren, das dem Gegner auch wertvolle Zeit einräumen konnte, nicht mehr für unabdingbar gehalten zu haben, wenn es galt, einem offensichtlichen Feind entgegenzutreten. Vielleicht war es auch nur gegenüber Staaten erforderlich, die mit Rom vertraglich verbunden waren.47 Jedenfalls bei den reinen Eroberungskriegen zur Mehrung des Reiches unter Caligula 39/40 n. Chr., als er auf Germanien und Britannien abzielte; Claudius 43 n. Chr., als er Britannien eroberte, welche Eroberung später mehrmals erweitert wurde; Domitian 83/84, der die Chatten bezwang;48 Trajan 101 bis 107, der Dakien hinzuerwarb; und Caracalla 216, der als neuer Alexander das Partherreich dem römischen einverleiben wollte:49 sie alle achteten nicht einmal mehr darauf, dass ein triftiger Kriegsgrund wenigstens dem Anschein nach präsentiert werden konnte. 43 Simon, a.a.O. S. 152 f. Siehe etwa Monumentum Ancyranum 26, 5, 14; Sueton, Augustus 21, 2; u. Epitome de Caesaribus 1, 10. 45 Dio 49, 36, 1 zum Pannonienfeldzug 35 v. Chr. 46 Kurzer Überblick bei Sueton, Augustus 21, 1. Ausführlicher Florus, Epitoma 2, 22-33. 47 So Zack (o. Fn. 10), S. 68. 48 Frontin, Strategemata 1, 1, 8 inopinato bello, und auch Sueton, Domitian 6, 1 sponte, ergeben doch wohl, dass die Chatten keinen als triftig zu bezeichnenden Kriegsgrund geliefert hatten, s. R. Weynand, Art. Flavius 77, RE VI 2, 1909, Sp. 2555 f. 49 Dio-Xiphilin 78 (79), 1. Herodian, Historia 4, 10 f., ist erdichtet. 44 12 d) Im Falle Dakiens hatte König Decebalus im Grenzgebiet nördlich der unteren Donau vor 20 Jahren alle anderen Völkerschaften unterworfen und war vor 16 Jahren auch in römisches Gebiet eingefallen. Weil Kaiser Domitian durch einen anderswo ausgebrochenen Grenzkrieg abgerufen wurde, schloss er mit Decebalus Frieden. Der Vertrag sah ein Klientelverhältnis vor, in welchem Zusammenhang die Römer dem König eine Jahresrente aussetzten. Trajan misstraute – vielleicht zu Recht – dem Klientelkönig, dessen Macht ständig wuchs; dem Sog der Macht folgend rüstete er – vielleicht vertragwidrig – und baute vor allem Grenzbefestigungen. Zumal die jährlichen Zahlungen hatten den Kaiser [317] geärgert.50 Die Römer näherten sich mit einer gewaltigen Streitmacht; offenbar hat Trajan eine iusta causa belli nicht abwarten wollen, sondern einen Präventivkrieg vorgezogen. Ob er die Zeremonie der Fetialen wenigstens mit Angabe eines empfundenen Kriegsgrundes vollziehen ließ, steht dahin. Diplomatischen Verkehr gab es bis unmittelbar vor Ausbruch der Feindseligkeiten, jedoch ist er nur mit dem Kaiser in der Nähe des Kriegsschauplatzes bezeugt;51 der Senat kann nicht mehr eingeschaltet worden sein. Dass dieser Krieg „wohl in aller Form von dem Röm. Senat“ erklärt worden wäre, wie behauptet worden ist,52 ist Wunschdenken; es ist weder bezeugt noch liegt es auch nur nahe. e) Mark Aurel hat wie gesagt jedenfalls den zweiten Markomannenkrieg in aller Form als gerechten Krieg begonnen,53 der er auch in der Sache war. Nachdem der erste, der von 168 bis 172 gedauert hatte, mit einem Friedensvertrag beendet worden war,54 scheint der neuerliche Einfall nicht nur, aber offenbar auch von Markomannen seit 177 oder 178 n. Chr. den Kaiser zu dem Plan bewogen zu haben, hier ein für allemal Abhilfe zu schaffen, was am Ende zu zwei neuen Provinzen führen sollte; wohl nur sein unzeitiger Tod hat die Verwirklichung des Plans vereitelt.55 Wegen der besonderen Reichweite dieses Plans könnte er diesen Krieg besonders sorgfältig begonnen und dazu auch auf den Fetialenritus zurückzugreifen veranlasst worden sein. Ob das damals schon eine seltene Ausnahme war, ist aber schwer zu sagen; Cassius Dio ist zur Regierungszeit von Mark Aurel nur lückenhaft überliefert. 50 Dio-Xiphilin 68, 6, 1. Dio-Xiphilin 68, 8, 1 u. 68, 9, 1-3. 52 R. Hanslik, Art. Ulpius 1a, RE Suppl. 10, 1965, Sp. 1062 Z. 39 f. Er stützt diese Aussage allein auf die Akten der Arvalbrüder, CIL 6, Nr. 2074 = ILS Nr. 5035, Z. 23-70, wo die Götter aber nur für das Heil des Kaisers, Sieg und glückliche Rückkehr angerufen werden; auf Sp. 1059 Z. 24 sagt Hanslik selbst: „Tr. wurde zum Praeventivkrieg gezwungen“, wobei jedoch allenfalls von psychischem Zwang gesprochen werden kann, der rechtlich kaum ins Gewicht fiel. 53 Dio-Xiphilin 71 (72), 33, 3 u. dazu Anthony Birley, Mark Aurel. Kaiser und Philosoph, 2. Aufl. München 1977, S. 373. 54 Birley, a.a.O. S. 312 mit Nachweisen Fn. 26. 55 Birley, a.a.O. S. 375-78, 427 u. 431 f. mit den Stimmen, welche einen Plan, neue Provinzen einzurichten, bestreiten. 51 13 * * * Es gibt unübersehbar viele Gründe, aus denen Kriege begonnen werden, doch kann man sie grob in drei Gruppen einteilen: –Kriege aus Lust am Krieg: am Messen der Kräfte, zur Befriedigung persönlichen Ehrgeizes, zur Erweiterung der eigenen Macht bzw. der Macht der Gruppe und zur Vermehrung des Vermögens; –Kriege gegen einen Feind, der dem Angreifer, einem Verbündeten oder einem Schützling erhebliches Unrecht zugefügt hat oder im Begriff ist, das zu tun – das sind im Allgemeinen die gerechten Kriege; und –Kriege in Spannungszeiten wegen eines verhältnismäßig geringen oder nur vermeintlichen Unrechts oder einer vermeintlichen Bedrohung. [318] Wilde Völker wie die Germanen schätzten den erstgenannten Kriegsgrund, weil das damit verbundene spielerische Element bei ihnen als besonders ehrenhaft galt. Unehrenhaft war es freilich im Allgemeinen auch, ein Unrecht hinzunehmen, d. h. auch beim Krieg aus Notwehr oder Nothilfe spielt der Ehrenstandpunkt eine Rolle. Einen Krieg wie beim Duell schlicht aus verletztem Ehrgefühl zu beginnen wie Cäsar 49 v. Chr., der zudem einen rechtlich ohnehin unhaltbarer Bürgerkrieg begann,56 oder Napoleon III. 1870 n. Chr., würde allerdings nicht zur zweiten Kategorie gehören. In einer größeren Gemeinschaft von Zivilisierten werden auf Dauer wohl nur gerechte Kriege akzeptiert, und es kommt dann darauf an, diese Kategorie nicht ausufern zu lassen. Den Römern ist eine Abgrenzung der gerechten Kriege wohl einigermaßen gelungen, doch muss man sagen, dass sie sich daran nicht mehr gehalten haben, als sie die unangefochtene Vormacht errungen hatten und die Völkerrechtsgemeinschaft nicht mehr zu fürchten brauchten. Das war seit Pydna 167 v. Chr. der Fall, mögen sie sich zwischendurch auch immer wieder einmal ans Recht gehalten haben. Zunächst verdeckten sie ihre Rechtsbrüche noch durch allerlei Zauber; und selbst in der Kaiserzeit gab es gewissenhafte Herrscher, die sich tunlichst ans Recht hielten wie Mark Aurel. Aber immer häufiger begannen sie damals Kriege aus schierer Eroberungslust, d. h. aus dem Bedürfnis heraus, sich für die Nachwelt in Szene zu setzen. Caligula und Claudius hielten immerhin vorgeschobene rechtliche Gründe für erfor- 56 Dazu etwa K. Girardet, Caesars Konsulatsplan für das Jahr 49: Gründe und Scheitern, Chiron 30, 2000, S. 679-710, bes. 709 f. 14 derlich, Trajan sah eine Bedrohung und Caracalla erklärte seine Ehre für verletzt, weil der Partherkönig seine Brautwerbung – in der Sache sehr zu Recht – abgewiesen hatte. Wenn diese Kaiser es für angebracht hielten, Gründe vorzuschieben, so zeigt das doch wohl, dass auch damals im Bewusstsein der Bevölkerung und der Soldaten der Rechtsstandpunkt die Kräfte am nachhaltigsten für einen Krieg zu mobilisieren vermochte. 15