GU 100plus – Die Goethe - Fachbereich Gesellschaftswissenschaften

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Gila Baumöhl, Studierende im Master Internationale Studien / Friedens-­‐ und Konfliktforschung am FB 03 Lina Render, Studierende im Master Soziologie am FB 03 Hendrik Rölver, Studierender im Master Politikwissenschaft am FB 03 Phil C. Langer, Juniorprofessor für Sozialpsychologie am FB 03 GU 100plus – Die Goethe-­‐Universität als Bürger-­‐ und Arbeiterkind-­‐
Universität Ein Projekt zur Förderung von Studierenden nicht-­‐akademischer Herkunft Antrag an den Förderfonds Lehre I.
Ausgangslage: Gemäß Studierendenbefragung „GU 2012“ gehören etwa 37 Prozent der befragten Studierenden an der Goethe-­‐Universität (GU) zur Gruppe der so genannten „Bildungsaufsteiger“, d.h. ihre Eltern haben nicht studiert. Damit ist die GU unterdurchschnittlich: Laut 20. Sozialerhebung sind im Bundesschnitt 46 Pro-­‐
zent der Studierenden an Universitäten nicht-­‐akademischer Herkunft, an der Universität Duisburg-­‐Essen sind es sogar mehr als die Hälfte. Der unterschiedliche Anteil der Bildungsaufsteiger in Prozent in den verschiedenen Fachbereichen an der GU und hinsichtlich der Lehramtsstudiengänge ist frappierend: GU 37 01 38 02 33 03 39 04 50 05 38 06 51 07 55 Fachbereiche 08 09 10 43 45 41 11 43 12 39 13 37 14 39 15 41 16 27 L1 45 Lehramt L2 L3 57 40 L5 41 Knapp zwei Drittel der Studierenden nicht-­‐akademischer Herkunft an der GU sind weiblich, etwa 21 Pro-­‐
zent haben einen Migrationshintergrund. Sie wohnen seltener im Studierendenwohnheim als Studieren-­‐
de akademischer Herkunft, dafür deutlich häufiger bei Eltern oder Verwandten. Zugleich wohnen sie tendenziell weiter von der Universität weg als ihre Mitstudierenden: Während etwa 48 Prozent der Stu-­‐
dierenden akademischer Herkunft in 30 Minuten und weniger zur GU kommt, benötigen 61 Prozent der Bildungsaufsteiger 30 Minuten und länger für ihren Weg. Als Finanzierungsquellen geben 40 Prozent der Studierenden akademischer Herkunft an, dass sie einen Job außerhalb der Universität haben, von den Bildungsaufsteigern sind es 62 Prozent. 13 Prozent mehr Bildungsaufsteiger als Studierende aus akademischem Hintergrund geben als Grund für die Erwerbstätig-­‐
keit die Finanzierung des Studiums an. Während 79 Prozent der Kinder aus akademischen Elternhäusern hauptsächlich oder teilweise von den Eltern oder Großeltern finanziert werden, betrifft das nur 63 Pro-­‐
zent der Bildungsaufsteiger. Mehr als ein Viertel der Bildungsaufsteiger finanziert sich durch BAföG, dem gegenüber stehen 12 Prozent der Studierenden akademischer Herkunft. Durch die Anforderungen des Studiums sind alle Studierenden gleichermaßen belastet. Die Ressourcen, diesen Anforderungen gerecht zu werden, sind indes sehr ungleich verteilt. Dabei erschwert der Gruppe der Studierenden nicht-­‐akademischer Herkunft nicht nur weniger ökonomisches Kapital einen erfolgrei-­‐
chen Bildungsaufstieg; ihr stehen auch ein vergleichsweise geringes soziales und kulturelles Kapital zur Verfügung. Gerade die soziale Herkunft wird in ihrem Einfluss auf die Entscheidung, ein Studium aufzu-­‐
nehmen, und den Studienerfolg oft unterschätzt. Besonders sensibel ist der Übergang zwischen Schule und Universität: Die 20. Sozialerhebung zeigt, dass rund 88 Prozent aller Kinder akademischer Herkunft, die eine gymnasiale Oberstufe erfolgreich abgeschlossen haben, später studieren, während nur 53 Pro-­‐
zent aller Kinder nicht-­‐akademischer Herkunft nach dem Abitur eine Hochschule besuchen. Aus der Gruppe der Bildungsaufsteiger planen etwa 7 Prozent weniger als Studierende akademischer Herkunft eine Weiterqualifizierung nach ihrem Abschluss. Dieses Phänomen bildet sich entsprechend auch bei der Promotion und den späteren wissenschaftlichen Karrierephasen bis hin zur Professur ab. So ist trotz um-­‐
fangreicher bildungspolitischer Bemühungen der letzten Jahrzehnte das deutsche Bildungssystem wei-­‐
terhin maßgeblich an der Reproduktion sozialer Ungleichheit beteiligt. Gila Baumöhl, Lina Render & Phil C. Langer: GU 100plus – Antrag an den Förderfond Lehre II.
2 Zielsetzung des Projekts / Angestrebte Verbesserungen Mit dem beantragten Projekt sollen Studierende nicht-­‐akademischer Herkunft an der GU gezielt und systematisch unterstützt werden, damit sie in der besonders wichtigen Studieneingangsphase die Grund-­‐
lage für ein erfolgreiches Studium legen können. Empirische Forschungen, die an den französischen Soziologen Pierre Bourdieu anknüpfen, machen deut-­‐
lich, dass es über den aufgezeigten finanziellen Aspekt hinaus vor allem Fragen des sozialen und insbe-­‐
sondere kulturellen Kapitals sind, die Studierende nicht-­‐akademischer Herkunft als (mitunter fortdau-­‐
ernde) Herausforderung erleben. Das spezielle Feld des Studiums ist nach bestimmten – vorwiegend bildungsbürgerlichen – Mustern gestrickt, die Lehr-­‐ und Lernformen daran ausgerichtet. Dies trägt zu einem Gefühl der „Fremdheit“ an der Universität bei, das habituell verkörpert wird, zumal es keine Bil-­‐
dungsvorbilder in der Familie gibt und wenig Ansprechpartner*innen im sozialen Nahfeld, die über die institutionellen Besonderheiten der Universität aufklären und Studierende gerade in der konstitutiven Phase der Orientierungslosigkeit/Neuorientierung in den ersten Wochen und Monaten des Studiums unterstützen könnten. Damit einhergehen vielfach eine geringere Selbstwirksamkeitserwartung (die zu nicht-­‐linearen Bildungsbiographien mit einer Ausbildung und/oder einem Fachhochschulstudium vor dem Universitätsstudium) und Unsicherheiten in der (nicht nur) in Seminardiskussionen wichtigen Selbstpräsentation und der selbstbewussten Vertretung der eigenen Position. Soziale Herkunft und Ungleichheit werden im Studium sowohl von Lehrenden als auch Kommiliton*innen oft als solche gar nicht wahrgenommen oder wohlmeinend ignoriert, um nicht zu stigmatisieren oder defizitorientiert zu agieren. Auch den Studierenden nicht-­‐akademischer Herkunft selbst ist der starke Einfluss ihres familiären Bildungshintergrundes auf ihr Rollenverständnis und ihr studienbezogenes Han-­‐
deln vielfach nicht bewusst, sondern nur als diffuses, aber wirkmächtiges Gefühl des Unbehagens zu-­‐
gänglich. Dabei zeigt sich umgekehrt, dass ein Auseinandersetzen mit der eigenen Herkunft und mit den Konstellationen der Umgebung überhaupt erst eine Ressourcen-­‐ und Subjektorientierung möglich macht. An dieser Stelle setzt das Projekt an. Es richtet sich an Studierende nicht-­‐akademischer Herkunft in der unmittelbaren Studieneingangsphase, also den ersten beiden Semestern an der GU. Es stellt ein fachbe-­‐
reichsübergreifendes Angebot dar, das sich explizit auch an Lehramtsstudierende wendet. Ziel des Pro-­‐
jektes ist es, durch miteinander verschränkte Maßnahmen diese Studierenden im Hinblick auf die nach-­‐
holende Akkumulation kulturellen und sozialen Kapitals zu fördern. Sie sollen beim Aufbau der für ein erfolgreiches Studium wesentlichen Kompetenzen unterstützt werden, die aufgrund des bildungsbürger-­‐
lichen Bias der Universität vorausgesetzt werden und im Rahmen des normalen Studiums nicht (oder kaum) vermittelt werden und damit zur Herstellung von Chancengleichheit für alle Studierenden an der GU beitragen. 100 Jahre nach der programmatischen Gründung der GU als Bürgeruniversität sehen wir das Projekt als eine konsequente Perspektive, um den damit verbundenen Ansprüchen auf Partizipation und gesellschaftliche Offenheit unter veränderten sozialen Bedingungen gerecht zu werden, und die GU auch als Bildungsort für Arbeiterkinder zu stärken. Im Einzelnen beruht das Projekt auf drei Säulen: •
Eine individuelle Beratung, die für alle Studierenden offen ist, aber spezifisch die Bedarfe von Studierenden nicht-­‐akademischer Herkunft abdecken soll, bietet Orientierung in der Studienein-­‐
gangsphase, Unterstützung für eine selbstbewusste Studienverlaufsplanung und informiert über Beratungsangebote und Fördermöglichkeiten, auch mit Blick auf die Studienfinanzierung. Hierzu wird die derzeit an der Juniorprofessur wöchentlich angebotene „Arbeiterkind“-­‐Sprechstunde über den Fachbereich 03 hinweg geöffnet und ausgebaut und soll durch eine studentische Peer-­‐
Beratung ergänzt werden. •
Im Rahmen eines modularen Kompetenztrainings werden über zwei Semester hinweg studien-­‐
bezogene Schlüsselqualifikationen vermittelt, die in selbstreflexiver und theoretisch begründeter Weise und über die praktische Umsetzung anwendungsorientiert vertieft einen selbstbewussten und selbstsicheren Umgang mit den (oft impliziten) Studienanforderungen ermöglichen soll. •
Durch das Projekt soll darüber hinaus die Selbstorganisation der Studierenden nicht-­‐
akademischer Herkunft im Sinne eines Aufbaus sozialen Kapitals und einer nachhaltigen gegen-­‐
Gila Baumöhl, Lina Render & Phil C. Langer: GU 100plus – Antrag an den Förderfond Lehre 3 seitigen Unterstützung gefördert werden und sie für ein Mentoring von Studierenden nicht-­‐
akademischer Herkunft der nächsten Kohorte gewonnen werden. Das Projekt soll eingebunden sein durch eine vielfältige Vernetzung und Kooperation mit bestehenden Angeboten an der GU, z.B. mit den im Rahmen des Programms „Starker Start“ verbundenen Zentren und Beratungsangeboten (z.B. „Schreibwerkstatt“), der Projektleitung des Deutschland-­‐Stipendiums (zur Erhöhung der Stipendienquote von Studierenden nicht-­‐akademischer Herkunft), der Diversity-­‐
Beauftragten der GU, den diversen Angeboten der Fachbereiche, des SSC, des Studentenwerks, des CGC sowie der räumlich an der GU angesiedelten Regionalkoordinatorin von arbeiterkind.de Hessen. Die Prozess-­‐ und Ergebnisevaluation des beantragten Projektes soll partizipativ mit den am Kompetenz-­‐
training teilnehmenden Studierenden entwickelt und durchgeführt werden. Im Falle einer positiven Eva-­‐
luation ist eine Antragstellung zur Fortführung des (ggf. zu modifizierenden) Projektes bei der Stiftung Polytechnische Gesellschaft geplant. III.
Beantragte Maßnahmen Das Projekt ist auf zwei Jahre angelegt, um über zwei Durchläufe des modularen Kompetenztrainings die Effekte der Maßnahmen evaluieren zu können. Nach der Evaluation des ersten Durchlaufes können ein-­‐
zelne Modulbestandteil ggf. modifiziert werden. Das Projekt ist an der Juniorprofessur für Soziologie mit dem Schwerpunkt soziologische Sozialpsychologie im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften angesie-­‐
delt. Über die Ansiedlung werden die für die Umsetzung des Projektes notwendigen Ressourcen (Raum, Sekretariat, Telefon-­‐ und Portokosten u.a.) bereitgestellt. Für die Unterstützung der Umsetzung der ersten Säule (Beratung und Vernetzung), die Organisation der in der zweiten Säule (modulares Kompetenztraining) vorgesehenen Workshops und die Bereitstellung der Infrastruktur (Website, Raumbuchungen u.a.) für die dritte Säule (Selbstorganisation) soll ein*e stu-­‐
dentische*r Mitarbeiter*in (mit BA-­‐Abschluss) eingestellt werden. Diese*r fungiert in der Beratung als Peer-­‐Ansprechpartner*in, gibt etwa Hilfestellung für die beratungssuchenden Studierenden und hilft bei der Vermittlung an Fachberatungsstellen. Der Fokus des Projektes liegt auf der zweiten Säule. Das Kompetenztraining besteht aus vier Modulen, die über zwei Semester durchgeführt werden: Modul 1: Reflexion der eigenen Bildungsbiografie zur systematischen und prozessualen Reflexion der an der Universität gemachten Erfahrungen und der Entwicklung von Strategien des Umfangs mit wahrge-­‐
nommenen Benachteiligungen, Selbstzweifeln und Versagensängsten. Dies soll durch eine*n professio-­‐
nelle*n Coach*in mit Erfahrung Universitätsbereich (z.B. Frau Fuchs-­‐Brünighoff) im Rahmen von 4 Work-­‐
shops à 120 Minuten erfolgen. Modul 2: Aneignung theoretischer Ansätze zum Verständnis der Bildungserfahrungen zur Auseinander-­‐
setzung mit einschlägigen soziologischen Konzept u.a. der Sozialstruktur, der Rolle und des Habitus und deren Bedeutung für den gesellschaftlichen und beruflichen Erfolg sowie mit relevanten psychologischen Konzepten, z.B. der Selbstwirksamkeitserwartung. Dies soll („ehrenamtlich“) durch Dozierende der FB 03, 04 und 05 im Rahmen von drei Workshops à 90 Minuten erfolgen. Modul 3: Ausbildung studienrelevanter Soft Skills zur Identifikation und systematischen Stärkung eige-­‐
ner Kompetenzen im Hinblick auf ein selbstsicheres und selbstbewusstes Auftreten und Kommunizieren sowie effektives Präsentieren und gelingendes Zeitmanagement. Bedarfsorientiert können zudem Tech-­‐
niken wissenschaftlichen Arbeitens, Bewerbungstraining o.ä. in dieses Modul einbezogen werden. Die Umsetzung des Moduls soll in Kooperation mit studium digitale, dem Methodenzentrum Geisteswissen-­‐
schaften u.a. und mit externen lokalen Trainer*innen im Rahmen von drei jeweils vierstündigen Work-­‐
shops erfolgen. Modul 4: Entwicklung und Durchführung von drei Gruppenprojekten, durch die Studierenden zur prak-­‐
tischen Umsetzung des Gelernten. Für den ersten Durchgang sind als Gruppenprojekte vorgesehen: 1. Evaluation der Maßnahme; 2. Entwicklung eines Konzeptes zur Sensibilisierung von Dozierenden an der GU für die Belange und Bedarfe von Studierenden nicht-­‐akademischer Herkunft; 3. Erstellung einer Bro-­‐
schüre zur Vermittlung der gemachten Erfahrungen und Lernprozesse an andere Studierende nicht-­‐
Gila Baumöhl, Lina Render & Phil C. Langer: GU 100plus – Antrag an den Förderfond Lehre 4 akademischer Herkunft. Für den zweiten Durchgang sind als Gruppenprojekte vorgesehen: 1. Evaluation der Maßnahme; 2. Umsetzung des entwickelten Sensibilisierungskonzeptes; 3. Fortführung der Broschü-­‐
re als Website. Die Betreuung der Projekte erfolgt über die Antragstellenden. Die Veranstaltungen stehen prinzipiell allen Studierenden nicht-­‐akademischer Herkunft in der Studien-­‐
eingangsphase offen. Eine kontinuierliche Teilnahme am gesamten modularen Kompetenztraining wird durch Vergabe eines CV-­‐relevanten Zertifikats angeregt. 
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