Anleitung Teil 3 - Justus-Liebig

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1
Justus-Liebig-Universität Gießen
II. Physikalisches Institut
Physikalisches Grundpraktikum
für Diplom, Bachelor und Lehramt (L3)
Physik und Materialwissenschaften
Versuchsanleitungen
Dr. Jens Sören Lange, Akad. Rat
basierend auf den Anleitungen von Herrn Prof. W. Seibt
Vers. 3.09, 01.02.2012
WS 2008/09
Teil 3:
Atomphysik, Kernphysik und Halbleiter
2
Die Regeln des Physikalischen Grund-Praktikums
• Die Dauer eines Kolloquiums beträgt 45 Minuten.
• Für die Kolloquien werden Noten vergeben wie folgt:
Note 1.0
Note 2.0
Note 3.0
Note 4.0
Note 5.0
Sehr Gut
Gut
Befriedigend
Ausreichend
Mangelhaft
Diese Noten gehen nicht direkt in die Endnote ein, sondern nur in Form
von Bonuspunkten. Für die Note Sehr gut werden 2 Bonuspunkte vergeben,
für die Note Gut 1 Bonuspunkt. Die Bonuspunkte werden auf die Klausur
angerechnet. Sollte ein Kolloquium mit mangelhaft benotet werden, kann
das Kolloquium einmal nach Absprache wiederholt werden. Im Falle von
zweimaligen Nichtbestehen dieses Kolloquiums gilt das gesamte Praktikum
in diesem Semester als nicht bestanden.
• In der Klausur gibt es maximal 60 Punkte zu erreichen. Für das Bestehen
sind 30 oder mehr Punkte notwendig. Bei Nichtbestehen kann an der Nachschreibklausur teilgenommen werden. Die Teilnahme an der Nachschreibklausur ist nur für Teilnehmer zugelassen, die (a) an der ersten Klausur
teilgenommen und (b) diese nicht bestanden haben.
• Protokolle werden mit Punkten benotet. Die Bewertung ist wie folgt:
5.0 Punkte
4.0 Punkte
3.0 Punkte
2.0 Punkte
1.0 Punkte
0.0 Punkte
Sehr Gut
Gut
Befriedigend
Ausreichend
Mangelhaft, aber bestanden
Ungenügend, d.h. nicht bestanden
Halbe Punktzahlen sind in der Benotung möglich (z.B. 5.0, 4.5, 4.0, 3.5,
etc.). Sollte ein Protokoll mit 0 Punkten benotet werden, gilt das gesamte
Praktikum in diesem Semester als nicht bestanden.
Abgabefrist für Protokolle: maximal 1 Woche.
Evtl. Verlängerung der Abgabefrist kann vom Betreuer gewährt werden
(maximal 1 Woche).
3
• Praktikumszeiten sind
8:15-12:30 und 13:30-17:45 Uhr .
Evtl. Verlängerungen nach 12:30 Uhr und nach 17:45 Uhr werden vom Betreuer entschieden.
• Pünktliches Erscheinen (08:15 und 13:30) ist Pflicht. Verspätung wird negativ auf die Bewertung des Protokolls angerechnet.
• Einweisungszeiten sind 09:00-09:20 und 14:15-14:35. Da ein Betreuer 2-3
Versuche betreut, sind in dieser Zeit kurze Wartezeiten möglich. Während
dieser Zeit ist es zu unterlassen, unbekannte Apparaturen einzuschalten und
somit ggfs. Praktikumseinrichtungen zu beschädigen!
• Während der Praktikumszeiten ist Anwesenheit bei den Versuchen Pflicht.
Die Praktikumsräume dürfen nur mit Erlaubnis des Betreuers verlassen
werden.
• Jeder Teilnehmer muß an dem Versuch (d.h. an allen Messungen) aktiv teilnehmen.
Passives Verhalten (Desinteresse) wird negativ auf die Bewertung des Protokolls angerechnet.
• Keine Bleistifte benutzen! (Ausnahme: Graphische Auswertungen, s.u.).
Alle Meßwerte und Versuchsauswertungen müssen mit Kugelschreiber,
Füller, Filzschreiber o.ä. geschrieben werden. Bei Fehlern kein Tipex und
keinen Tintenkiller benutzen, sondern Fehler einfach durchstreichen. (Anmerkung: Grund ist Dokumentenechtheit, d.h. diese Regel verhindert, daß
Meßwerte nachträglich verändert werden).
• Graphische Auswertungen auf Millimeter-Papier, DinA4 Format !
(d.h. kein kleineres Format!)
• Nach Abschluß der zum Versuch gehörenden Messung sind die Meßwerte
mit einem Vortestat vom Betreuer zu kennzeichnen.
• Jede Versuchsauswertung muß eine Fehlerbetrachtung enthalten, auch wenn
dies nicht explizit in der Versuchsanleitung gefordert wird. Fehler und Meßwert müssen dabei dieselbe Anzahl signifikanter (Nachkomma-)Stellen aufweisen.
• Jede Nicht-Beachtung der o.g. Regeln wird vom Betreuer negativ auf die
Bewertung des Protokolls angerechnet (d.h. möglicher Punktabzug).
4
• NEU! Für Materialwissenschaftler: im Gegensatz zu den vorherigen Jahren
geht die Benotung der Protokolle nun in die Endnote ein!
• Sollte das Praktikum aus einem der o.g. Gründen leider mit nicht bestanden
benotet werden müssen, besteht in jedem Fall die Möglichkeit einer Modulergänzungsprüfung.
5
Auflagen-Hinweise zu den Literaturangaben:
Tipler, Mosca
Physik für Wissenschaftler und Ingenieure
2. deutsche Aufl., 2007
Gerthsen
Physik
23. Aufl., 2006
ist als EBook verfügbar
http://www.springerlink.com/content/wn8495/
6
Inhaltsverzeichnis
0 VORBEMERKUNGEN
11
0.1 P HYSIKALISCHE G RÖSSEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
0.2 G RUNDLAGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
0.2.1
V ERTEILUNGEN
F EHLERRECHNUNG . . . . . . .
17
0.2.2
VORBEMERKUNG ZU DEN AUSWERTUNGEN : G RAPHI SCHE DARSTELLUNGEN . . . . . . . . . . . . . . . .
28
UND
1 P ROJEKT 1
33
1.1 V ERSUCH 1A A : B EUGUNG
RÖNTGENSTRAHLEN . . . . .
33
1.1.1
AUFGABENSTELLUNG . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
1.1.2
G RUNDLAGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
1.1.3
V ERSUCHSAUFBAU . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
1.1.4
V ERSUCHSDURCHFÜHRUNG . . . . . . . . . . . . . .
36
1.1.5
L ITERATUR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
1.2 V ERSUCH 1A B : B EUGUNG
VON
E LEKTRONEN . . . . . . . .
39
1.2.1
AUFGABENSTELLUNG . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
1.2.2
G RUNDLAGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
1.2.3
V ERSUCHSAUFBAU . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
1.2.4
V ERSUCHSDURCHFÜHRUNG . . . . . . . . . . . . . .
43
1.2.5
L ITERATUR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
1.3 V ERSUCH 1B: P HOTOEFFEKT . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
1.3.1
VON
AUFGABENSTELLUNG . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
45
8
1.3.2
G RUNDLAGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
1.3.3
V ERSUCHSAUFBAU . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
1.3.4
V ERSUCHSDURCHFÜHRUNG . . . . . . . . . . . . . .
48
1.3.5
L ITERATUR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
2 P ROJEKT 2
53
2.1 V ERSUCH 2A: S TREUUNG
A LPHATEILCHEN . . . . . . .
53
2.1.1
AUFGABENSTELLUNG . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
2.1.2
G RUNDLAGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
2.1.3
V ERSUCHSAUFBAU . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
2.1.4
V ERSUCHSDURCHFÜHRUNG . . . . . . . . . . . . . .
59
2.1.5
AUSWERTUNG
F EHLERRECHNUNG . . . . . . . .
59
2.1.6
L ITERATUR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
2.2 V ERSUCH 2B: E LEMENTARLADUNG
(M ILLIKAN -V ERSUCH ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
VON
UND
2.2.1
AUFGABENSTELLUNG . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
2.2.2
G RUNDLAGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
2.2.3
V ERSUCHSAUFBAU . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
2.2.4
V ERSUCHSDURCHFÜHRUNG . . . . . . . . . . . . . .
65
2.2.5
AUSWERTUNG
F EHLERRECHNUNG . . . . . . . .
66
2.2.6
L ITERATUR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
UND
3 P ROJEKT 3
69
3.1 V ERSUCH 2B: A BSORPTION
G AMMASTRAHLUNG . . . .
69
3.1.1
AUFGABENSTELLUNG . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
3.1.2
V ERSUCHSAUFBAU . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
3.1.3
V ERSUCHSDURCHFÜHRUNG . . . . . . . . . . . . . .
70
3.1.4
L ITERATUR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
3.2 V ERSUCH 3B: N EUTRONENAKTIVIERUNG . . . . . . . . . . .
74
3.2.1
VON
AUFGABENSTELLUNG . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
VORBEMERKUNGEN : P HYSIKALISCHE G RÖSSEN
9
3.2.2
G RUNDLAGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
3.2.3
V ERSUCHSAUFBAU . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
3.2.4
V ERSUCHSDURCHFÜHRUNG . . . . . . . . . . . . . .
77
3.2.5
V ERSUCHSAUSWERTUNG
. . . . . . . . . . . . . . .
78
3.2.6
L ITERATUR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
4 P ROJEKT 4
81
4.1 V ERSUCH 4A: ATOMSPEKTREN . . . . . . . . . . . . . . . .
81
4.1.1
AUFGABENSTELLUNG . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
4.1.2
G RUNDLAGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
4.1.3
V ERSUCHSAUFBAU . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86
4.1.4
V ERSUCHSDURCHFÜHRUNG . . . . . . . . . . . . . .
87
4.1.5
L ITERATUR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
4.2 V ERSUCH 4B: S TOSSANREGUNG VON ATOMEN
(F RANCK -H ERTZ -V ERSUCH ) . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
4.2.1
AUFGABENSTELLUNG . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
4.2.2
V ERSUCHSAUFBAU . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
4.2.3
V ERSUCHSDURCHFÜHRUNG . . . . . . . . . . . . . .
89
4.2.4
L ITERATUR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
5 P ROJEKT 5
93
5.1 V ERSUCH 5A: D IODE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
5.1.1
AUFGABENSTELLUNG . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
5.1.2
G RUNDLAGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
5.1.3
V ERSUCHSAUFBAU . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
5.1.4
V ERSUCHSDURCHFÜHRUNG
AUSWERTUNG . . .
96
5.2 V ERSUCH 5B: T RANSISTOR . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
UND
5.2.1
AUFGABENSTELLUNG . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
5.2.2
G RUNDLAGEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
5.2.3
V ERSUCHSDURCHFÜHRUNG
AUSWERTUNG . . .
98
5.2.4
L ITERATUR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
UND
10
VORBEMERKUNGEN : P HYSIKALISCHE G RÖSSEN
Vorbemerkungen
0.1 Physikalische Größen
Diese dienen zur Beschreibung von Zuständen und Zustandsänderungen und werden durch einzelne Buchstaben (Symbole) dargestellt.
Länge (l), Masse (m), Zeit (t), Kraft (F ), Ladung (Q),
Temperatur (T ) usw.
Aufgrund von Definitionen können alle physikalischen Größen untereinander verknüpft und so auf eine kleine Zahl von Basisgrößen zurückgeführt werden. Beispiele für solche abgeleitete Größen sind
Fläche = Länge · Länge
Volumen = (Länge)3
Dichte = Masse/Volumen = Masse · (Länge)−3
Kraft
= Masse · Beschl. = Masse · Länge · (Zeit)−2
usw.
Hierbei wurden die Größen Länge, Masse und Zeit als Basisgrößen gewählt.
Alle in der Physik auftretenden Zusammenhänge zwischen physikalischen Größen (Formeln) nennt man Größengleichungen. Sie gelten immer, unabhängig vom
Einheitensystem, welches für die quantitative Auswertung verwendet wird. So etwa die folgenden Beziehungen:
Kinetische Energie
Linsengleichung
Absorptionsgesetz
usw.
Ekin = 21 mv 2
1
+ 1b = f1
a
I = I0 e−ax
11
12
VORBEMERKUNGEN : P HYSIKALISCHE G RÖSSEN
Einheiten
Zur quantitativen Beschreibung einer physikalischen Größe G (z.B. bei ihrer Messung im Praktikum) ist die Wahl einer Einheit erforderlich. Der Wert für die Größe
G wird dann in Form eines Produktes aus Maßzahl und Einheit geschrieben
symbolisch
Phys. Größe = Maßzahl x Einheit
G
= {G} x [G]
Dabei sind abhängig von der Wahl der Einheit verschiedene unter sich jedoch
gleichwertige Schreibweisen möglich. Beispiel:
l = 0,023 m = 2,3 cm = 23 mm
Es ist ratsam, die Einheit stets so zu wählen, daß die Maßzahl etwa zwischen 0,1
und 10 liegt. Dazu können Vorsätze zur Grundeinheit benützt werden, die einen
dezimalen Teil oder ein dezimales Vielfaches bezeichnen. Auch die Schreibweise
mit Potenzen von 10 in Verbindung mit der Grundeinheit ist möglich und für
die Auswertung von Größengleichungen sogar zu empfehlen. Legt man sich von
vornherein auf die Verwendung bestimmter Einheiten fest (Einheitensystem), dann
erübrigt sich das Mitführen der Einheiten bei der Durchrechnung. Bei der Angabe
des Ergebnisses ist die Einheit jedoch unbedingt erforderlich.
Beispiel:
Mit m = 1, 2 · 103 kg und v = 108 km/h = 30 m/s ergibt sich
Ekin = (1, 2 · 103 )302 /2 =5, 4 · 105 kgm2 /s2 = 0,54·106 J = 0,54 MJ.
In der folgenden Tabelle sind diese Abkürzungen zusammengestellt:
Vorsatz
Kilo
Mega
Giga
Tera
Symbol
k
M
G
T
Faktor
103
106
109
1012
Vorsatz
Deci
Zenti
Milli
Mikro
Nano
Piko
Symbol
d
c
m
µ
n
p
Faktor
10−1
10−2
10−3
10−6
10−9
10−12
Man muß beachten, daß diese Vorsätze bei der Bildung von Potenzen immer zur
Einheit gehören.
1µm2 = 1(µm)2 = 1 · (10−6 m)2 = 1 · 10−12 m2 .
VORBEMERKUNGEN : P HYSIKALISCHE G RÖSSEN
13
Einheitensysteme
Die Wahl der Basisgrößen und deren Einheiten ist willkürlich. Sie wird einzig
von der Zweckmäßigkeit bestimmt. Heute wird in der Physik in zunehmenden
Maße das ”Internationale Einheitensystem” verwendet. Es baut sich auf folgenden
Basisgrößen auf:
Basisgröße
Länge
Masse
Zeit
Elektr. Stromstärke
Temperatur
Lichtstärke
Basiseinheit
Meter
Kilogramm
Sekunde
Ampere
Kelvin
Candela
(Symbol)
(m)
(kg)
(s)
(A)
(K)
(cd)
Die genauen Werte dieser Basiseinheiten sind durch Definition festgelegt und
finden sich in allen einschlägigen Büchern. Die SI–Einheiten (SI = Système International) für alle abgeleiteten Größen können entsprechend ihrer Definition aus
diesen Basiseinheiten hergeleitet werden. Einige von ihnen haben Eigennamen.
Phys. Größe
Definition
SI–Einheit
Geschwindigkeit v = ∆l/∆t
Kraft
F = m · ∆l/(∆t)2 Newton
Druck
p = F/A
Pascal
Arbeit, Energie W = F · l
Joule
El. Ladung
Q=I ·t
Coulomb
El. Spannung
U = W/Q
Volt
usw.
1 m/s
1 N = 1m· kg/s2
1 Pa = 1 N/m2
1 J = 1 N· m
1 C = 1 A· s
1 V = 1 J/A· s
Neben den SI–Einheiten werden im Praktikum an verschiedenen Stellen zur
Übung noch andere systemfremde Einheiten verwendet, da sie in der Fachliteratur
noch häufig anzutreffen sind.
Es sind dies z.B.
cgs–Einheiten wie dyn und erg;
Kalorie (cal); Kilopond (kp); Torr; Oersted (Oe); usw.
Die Umrechnungsfaktoren der wichtigsten systemfremden Einheiten in SI–
Einheiten sind hier zusammengestellt:
14
VORBEMERKUNGEN : P HYSIKALISCHE G RÖSSEN
Einheiten für
Kraft:
Energie:
Druck:
Magn.Feldstärke:
1 dyn
1 kp
1 erg
1 m· kp
1 cal
1 eV
1 bar
1 Torr
1 phys. Atm.
=760 Torr
1 techn. Atm.
= 1kp/cm2
1 Oersted
1 Gauss
= 10−5 N
= 9,807 N
= 10−7 J
= 9,807 J
= 4,187 J
= 1,602· 10−19 J
= 105 Pa
= 1,333·102 Pa
= 1,013· 105 Pa
= 0,9807· 105 Pa
= (1/4π) · 103 A/m
= 10−4 Vs/m2
= 10−4 T (Tesla)
Besonders in der Atomphysik sind noch drei weitere Einheiten sehr nützlich und
daher in ständigem Gebrauch.
Das Mol
Das Mol ist ein Maß für die Stoffmenge (Symbol ν) und basiert auf der atomaren
Struktur der Materie. Die Einheit 1 Mol ist definiert als die Menge eines Stoffes,
die aus ebenso vielen Teilchen (Atomen, Molekülen, Ionen usw) besteht, wie Atome in 12 g des reinen Kohlenstoffisotops 12 C enthalten sind. Das heißt
1 mol 12 C = 12,0000 g 12 C
Auf die Stoffmenge bezogene Größen bezeichnet man als molare Größen. Die molare Teilchenzahl (Teilchenzahl pro Mol) nennt man Avogadrosche (Loschmidtsche) Konstante. Sie beträgt
NA = 6,0225 · 1023 mol−1.
Die molare Masse (Molmasse) ist demnach die Masse von NA Molekülen bzw.
Atomen, von denen ein jedes die Masse m besitzt.
M = NA · m
mit der Einheit [g· mol−1].
Bei Elektrolyten wird außerdem für die Stoffmenge die Einheit 1 Äquivalent (1
VORBEMERKUNGEN : P HYSIKALISCHE G RÖSSEN
15
val) verwendet. Man versteht darunter die Stoffmenge, die 1 Mol Elementarladungen transportiert. Bei W–wertigen Ionen eines Stoffes ergibt sich also
Stoffmenge
= Stoffmenge
x Wertigkeit
(gemessen in val) (gemessen in mol)
Z.B. sind 1 mol Cu++ – Ionen gleich 2 val (1 x 2) Cu++ – Ionen.
Für die Äquivalentmasse erhält man
Masse
Molmasse
Masse
=
=
M =
Ä (Stoffmenge)in val
(Stoffmenge)in mol · Wertigkeit
Wertigkeit
mit der Einheit [g·val−1].
Molmasse und Äquivalentmasse werden (besonders in der Chemie) häufig als
Masseneinheit verwendet und ebenfalls mit 1 mol (bzw. 1 val) bezeichnet.
Korrekterweise spricht man in diesem Fall besser von 1 Gramm–Mol und 1
Gramm-Äquivalent.
1 Gramm–Mol entspricht daher M [g]
1 Gramm–Äquivalent entspricht M/W [g].
Das Elektronenvolt (eV)
In der Atom– und Kernphysik wird als Energieeinheit oft das Elektronenvolt
verwendet. Man versteht darunter die Energie, die ein einfach geladenes Teilchen
(d.h. mit einer Elementarladung e = 1,602· 1019 C, z.B. ein Elektron) besitzt,
nachdem es eine Potentialdifferenz von 1 Volt durchlaufen hat. Diese Energie
berechnet sich zu
E = e · U = (1, 602 · 10−19 C)·(1V)
Es gilt daher die folgende Umrechnungsbeziehung:
1 eV = 1,602·10−19J.
Atomare Masseneinheit und relative Molekülmasse
Die atomare Masseneinheit u ist definiert als der zwölfte Teil der Masse eines
C – Atoms. Da nach der Moldefinition 12 g 12 C NA Teilchen enthalten,
12
u=
1
12(g·mol−1)
−24
·
g.
−1 = 1, 660 · 10
23
12 6, 02 · 10 (mol )
16
VORBEMERKUNGEN : P HYSIKALISCHE G RÖSSEN
Auf diese Konstante bezieht man alle übrigen Atom– bzw. Molekülmassen. Wenn
m die Masse eines Moleküls (Atoms) ist, dann wird die relative Molekülmasse
(rel.Atommasse) definiert als
Masse eines Teilchens
m
=
.
u
atomare Masseneinheit
Diese Größe wurde bislang als Molekulargewicht bezeichnet. Nach internationalen Empfehlungen soll diese Bezeichnung ersetzt werden durch relative
Molekülmasse, da es sich bei ihr nicht um ein Gewicht sondern um eine reine
Verhältniszahl handelt.
Mr =
Physikalische Konstanten
Vakuumlichtgeschwindigkeit
Elektronenmasse
Protonenmasse
Boltzmann Konstante
Loschmidt Zahl
Gaskonstante
Elementarladung
Plancksches Wirkungsquantum
Gravitationskonstante
Faradaykonstante
Induktionskonstante
c
me
mp
k
N
R
e
h
G
F
µ0
Influenzkonstante
0
= 2, 9979 · 108 m/s
= 9, 10956 · 10−31 kg
= 1, 6727 · 10−27 kg
= 1, 380 · 10−23 J/K
= 6, 02217 · 1023 mol−1
= 8, 3143 J/mol·K
= 1, 602 · 10−19 C
= 6, 625 · 10−34 Js
= 6, 664 · 10−11 m3 /kg s2
= 9, 649 · 104 C/val
= 4π · 10−7 Vs/Am
= 1, 2566 · 10−6 Vs/Am
= 1/µ0 c2
= 8, 854 · 10−12 As/Vm
VORBEMERKUNGEN : S TATISTIK
UND
F EHLERRECHNUNG
17
0.2 Grundlagen
0.2.1 Verteilungen und Fehlerrechnung
Alle gemessenen Größen sind mit Fehlern behaftet. Die Ermittlung des möglichen Fehlers bildet daher einen wesentlichen Bestandteil der Versuchsauswertung. Sie setzt uns erst in die Lage, etwas über die Güte des unter den gegebenen
Umständen gewonnenen Versuchsergebnissen auszusagen. Die Fehlerrechnung ist
daher in jedem Fall geeignet, den Experimentator vor einer Über– oder Unterschätzung seiner Leistung zu bewahren und ihn zur Kritik anzuhalten.
Die folgenden Ausführungen genügen für die Anforderungen des Anfängerpraktikums. Die genaueren Einzelheiten sowie die Begründung der angegebenen Formeln sind den einschlägigen Fachbüchern zu entnehmen. Den exakten Fehler kennen wir nicht, sonst könnten wir das Ergebnis korrigieren. Daher darf der Fehler
nur auf höchstens 2 signifikante Stellen angegeben werden. Eine exakte Fehlerangabe unsinnig und damit falsch. Gemäß ihres Ursprungs unterscheidet man
prinzipiell zwei Arten von Fehlern, den systematischen und den statistischen Fehler.
Systematische Fehler können z.B. auftreten bei der Benutzung falsch geeichter
Meßgeräte, durch die Verwendung unreiner Substanzen, bei mangelnder Wärmeisolation, aber auch durch die Anwendung von Näherungsformeln außerhalb
ihres Gültigkeitsbereiches. Sie verfälschen das Meßergebnis bei gleicher experimenteller Anordnung stets in der gleichen Richtung und sind prinzipiell
vermeidbar. Dies erfordert jedoch oft großen Aufwand und ist daher unter Praktikumsbedingungen kaum möglich. Sie werden bei der Fehlerrechnung und bei der
zahlenmäßigen Fehlerangabe im Ergebnis nicht berücksichtigt. Das schließt jedoch eine Diskussion von Fehlermöglichkeiten systematischer Herkunft nicht aus.
Demgegenüber kann der statistische Fehler das Resultat in beiden Richtungen
verändern. Er hat seine Ursache im Beobachter selbst (Einstell- und Ablesefehler) oder in veränderlichen äußeren Einflüssen (Temperatur– und Netzspannungsschwankungen, usw.). Er ist daher prinzipiell unvermeidbar, kann jedoch durch
wiederholte Messungen und geeignete Auswertungsmethoden verringert werden.
0.2.1.1 Wahrscheinlichkeit
Die mehrfache Wiederholung eines Versuches unter gleichbleibenden Bedingungen kann unterschiedliche Ergebnisse zur Folge haben. Als Versuch definiert man
in der Wahrscheinlichkeitstheorie allgemein die Realisierung exakt festgelegter
18
VORBEMERKUNGEN : S TATISTIK
UND
F EHLERRECHNUNG
Vorschriften und Bedingungen zur Durchführung eines Experimentes, die beliebig
oft reproduzierbar sind. Das Ergebnis eines Versuches wird als Ereignis bezeichnet. Die Gesamtheit aller möglichen Ereignisse nennt man die Ereignismenge.
Tritt bei Wiederholung eines bestimmtenVersuches das Ereignis r in Hr von insgesamt N Versuchen ein, dann ist
hr =
Hr
N
die relative Häufigkeit des Ereignisses r in dieser Versuchsreihe. Im allgemeinen
schwankt hr für verschiedene Versuchsreihen. Für N → ∞ strebt der Ausdruck
gegen einen Grenzwert. Dieser wird als die Wahrscheinlichkeit Pr des Ereignisses
r bezeichnet.
Pr = lim
N →∞
Hr
N
(1)
0.2.1.2 Wahrscheinlichkeitsrechnung
Die Wahrscheinlichkeitsrechnung beruht auf einigen elementaren Rechenregeln
für die Wahrscheinlichkeiten und sie gestattet es, aus den bekannten Wahrscheinlichkeiten für einfache Systeme (z.B. 1 Würfel) die Wahrscheinlichkeiten für kompliziertere Systeme (z.B. mehrere Würfel) herzuleiten.
1. Normierung:
n
X
Pr = 1
r=1
(Ein Ereignis muß eintreten.)
2. P für sich ausschließende Ereignisse:
P (r oder s) = Pr + Ps
3. P für das gleichzeitige Eintreten unabhängiger Ereignisse:
P (r und s) = Pr · Ps
0.2.1.3 Der Erwartungswert
Bei Zufallsexperimenten interessiert weniger das Einzelergebnis als vielmehr die
Frage, was ”im Durchschnitt” (oder im Mittel) herauskommt.
VORBEMERKUNGEN : S TATISTIK
UND
F EHLERRECHNUNG
19
Wir betrachten den Fall, daß eine Größe xr (Zufallsvariable) bei der Durchführung
des Versuches n verschiedene Werte annehmen kann (r = 1, 2, · · · , n). Tritt bei
einer Meßreihe (insgesamt N Versuche) jedes Ereignis xr mit der Häufigkeit Hr
ein, so erhält man den arithmetischen Mittelwert für die Größe x aus
x=
n
n
X
1 X
hr xr
Hr xr =
N r=1
r=1
(2)
Ist N eine kleine Zahl, dann erhält man unterschiedliche x–Werte, wenn die Meßreihe wiederholt wird. Lassen wir jedoch N gegen unendlich gehen, dann treten
an die Stelle der relativen Häufigkeiten hr die Wahrscheinlichkeiten Pr und wir
erhalten eine wohldefinierte Größe:
< x >= lim x =
N →∞
n
X
Pr xr
(3)
r=1
Wir bezeichnen < x > als den Erwartungswert. Er ist identisch mit dem Mittelwert einer unendlich langen Meßreihe.
0.2.1.4 Varianz und Standardabweichung
Neben dem Erwartungswert sind zur Beschreibung einer statistischen Größe noch
die Begriffe Varianz und Standardabweichung nützlich. Die Varianz ist ein Maß
für die Streuung der Einzelwerte um den Erwartungswert ∆xr = xr − < x >.
Ihre Definition lautet:
V (x) =< (∆x)2 >=
n
X
r=1
Pr (xr − < x >)2
(4)
Die Wurzel aus der Varianz bezeichnet man als die Standardabweichung.
σ(x) =
q
V (x)
(5)
Die Standardabweichung hat die gleiche Dimension wie die Zufallsvariable x
selbst und eignet sich daher gut dazu, eine Angabe über die Streuung der einzelnen Meßwerte zu machen.
0.2.1.5 Der statistische Meßfehler
Bei der Wiederholung der gleichen physikalischen Messung werden die Ergebnisse im allgemeinen in bestimmten Grenzen schwanken, da verschiedene störende Einflüsse mit statistischem Charakter (d.h. ohne erkennbare Gesetzmäßigkeit)
20
VORBEMERKUNGEN : S TATISTIK
UND
F EHLERRECHNUNG
auch zu statistisch sich ändernden Meßfehlern führen werden.
Das Problem lautet nun:
Kann aus diesen Meßwerten auf den ”wahren Wert” der Meßgröße geschlossen
werden, d.h. auf den Wert, der sich unter idealen Bedingungen bei Abwesenheit
aller Fehlerquellen ergeben würde?
Als ”wahren Wert” betrachten wir den Erwartungswert, der sich als Mittelwert
einer unendlich langen Meßreihe ergeben würde. Kann die Statistik eine Aussage
machen darüber, wie gut der aus einer endlichen Meßreihe (nur solche können
in der Praxis durchgeführt werden!) gewonnene Mittelwert als Näherung für den
Erwartungswert ist?
0.2.1.6 Mittelwerte
Die N–malige Durchführung eines Versuches nennen wir eine Stichprobe vom
Umfang N. Der Mittelwert dieser N Meßwerte (x1 , x2 , · · · , xN ) ist definiert als
x=
N
1 X
xi
N i=1
(6)
Wiederholen wir diese Meßreihe mehrere Male, dann erhalten wir im allgemeinen
verschiedene Werte für x.
Man kann daher den Mittelwert selbst als Zufallsvariable betrachten, die jedoch
den gleichen Erwartungswert besitzt wie die Einzelmeßwerte x.
< x >=< x >
Da die Mittelwerte identischer Meßreihen (wie wir zunächst nur aus der Erfahrung wissen) weniger schwanken als die Einzelmeßwerte, verwenden wir den
arithmetischen Mittelwert einer Meßreihe als Näherungswert für den gesuchten
Erwartungswert.
N
1 X
< x >≈ x =
xi
(7)
N i=1
0.2.1.7 Varianz und Standardabweichung
Es ist naheliegend, für die Varianz einen analogen Weg einzuschlagen. Dazu betrachten wir die sog. mittlere quadratische Abweichung einer Stichprobe:
s2 =
N
1 X
(xi − x)2
N i=1
(8)
VORBEMERKUNGEN : S TATISTIK
UND
F EHLERRECHNUNG
21
Die quantitative Herleitung zeigt, daß zwischen dem Erwartungswert
für s2 (< s2 >) und V (x) der folgende Zusammenhang besteht:
< s2 > =
N −1
V (x)
N
(9)
Die mittlere quadratische Abweichung ist im Mittel etwas kleiner als die Varianz.
Das ist auch einzusehen, da die Abweichungen der Einzelwerte einer Stichprobe
vom Mittelwert, der ja aus diesen Werten errechnet wurde, stets kleiner sind als
die Abweichungen vom Erwartungswert.
Wir können aber wiederum näherungsweise die Varianz der Zufallsvariablen aus
der Stichprobe errechnen. Dazu lösen wir die Gl.(9) nach V (x) auf und ersetzen
den Erwartungswert von s2 durch den sich aus der Meßreihe konkret ergebenden
Wert der mittleren quadratischen Abweichung s2 (Gl.8).
V (x) = σ 2 (x) ≈
N
1 X
(xi − x)2
N − 1 i=1
Damit ergibt sich für die Standardabweichung der Einzelmessung
σ(x) ≈
v
u
u
t
N
1 X
(xi − x)2
N − 1 i=1
(10)
0.2.1.8 Die Standardabweichung des Mittelwerts
Da es sich aber um einen Näherungswert handelt, ist die Frage interessant, wie
zuverlässig der gefundene Mittelwert ist. Mit anderen Worten, wie groß sind die
zu erwartenden Schwankungen für den Mittelwert, wenn ich die Meßreihe unter
gleichen Bedingungen wiederhole.
Die genaue Rechnung ergibt den folgenden Zusammenhang zwischen der Varianz
der Einzelmessung und der Varianz des Mittelwerts:
V (x) =
1
V (x)
N
(11)
Unter Verwendung von Gl.(10) erhält man damit auch einen Näherungswert für
die Standardabweichung des Mittelwerts
1
σ(x) = √ σ(x) ≈
N
v
u
u
t
N
X
1
(xi − x)2
N(N − 1) i=1
(12)
Man erkennt, daß die √
Standardabweichung (d.h. der mittlere statistische Fehler)
einer Meßreihe mit 1/ N abnimmt, da σ(x) nicht von der Anzahl der Messungen
22
VORBEMERKUNGEN : S TATISTIK
UND
F EHLERRECHNUNG
sondern nur von der Genauigkeit der Meßapparatur abhängt.
Zusammenfassung
Damit haben wir Formeln gefunden, die uns folgende Größen liefern, wenn
wir zur Messung einer Größe eine Meßreihe durchgeführt haben:
Den Mittelwert x als Bestwert für das Ergebnis.
Die Standardabweichung für die Einzelmessung σ(x). Sie ist ein Maß dafür,
wie groß die Streuung der Einzelwerte ist.
Die Standardabweichung für den Mittelwert σ(x). Sie ist ein Maß für die
Streuung der Mittelwerte, wenn identische Meßreihen mit gleichem Umfang
N wiederholt werden.
0.2.1.9 Verteilungen
Unter statistischer Physik versteht man die Beschäftigung mit Systemen, die aus
sehr vielen gleichen Teilchen bestehen. Um aus dem Verhalten eines Teilchens auf
die Eigenschaften des Systems schließen zu können, muß das folgende Problem
gelöst werden:
Die Wahrscheinlichkeit, daß bei einem Objekt ein bestimmtes Ereignis eintritt, sei
p. Wie erhält man daraus die Wahrscheinlichkeit P dafür, daß bei einem System
aus n identischen Teilchen, mit denen der gleiche Versuch ausgeführt wird, bei
genau x Teilchen dieses Ereignis eintritt?
0.2.1.10 Die Binomialverteilung
Wir betrachten ein System aus n Teilchen (Würfeln). Die Wahrscheinlichkeit dafür, daß bei einem einzelnen von diesen n Objekten ein bestimmtes Ereignis eintritt, sei p (z.B. 1/6 für eine bestimmte Zahl beim Würfel). q = 1 − p (= 5/6 beim
Würfel) ist die Wahrscheinlichkeit für das Nichteintreten dieses Ereignisses.
Der Fall, daß bei x von den n Teilchen ein positiver Ausgang eintritt, ist (da es
sich um voneinander unabhängige Ereignisse handelt)
p · p · ... · p· q · q · ... · q
|
{z
x Faktoren
}
|
{z
}
= px q n−x
(n − x) Faktoren
Durch einen Wichtungsfaktor muß nun noch die Tatsache berücksichtigt werden,
daß es verschiedene Möglichkeiten gibt, x Teilchen aus der Gesamtzahl n auszuwählen. Denn für die physikalischen Konsequenzen ist es unwichtig, bei welchen
VORBEMERKUNGEN : S TATISTIK
UND
F EHLERRECHNUNG
23
der Teilchen das gewünschte Ereignis eintritt. Wichtig ist lediglich, bei wievielen
es eintritt.
Die gesuchten Faktoren ergeben sich aus der Anzahl der Möglichkeiten, x Teilchen aus n auszuwählen. Die Gesetze der Kombinatorik liefern uns dafür die sogenannten Binomialkoeffizienten:
!
n
x
=
n!
x!(n − x)!
Damit haben wir die gesuchte Wahrscheinlichkeit gefunden:
Pn,p (x) =
n!
px q (n−x)
x!(n − x)!
(13)
Beispiel:
Mit welcher Wahrscheinlichkeit fällt beim Werfen von drei Würfeln 2–mal die 6?
Gegeben: n = 3; p = 1/6; q = 5/6; x = 2.
Die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten einer solchen Kombination (6; 6; nicht
6) ist
5
ppq = (1/6)2 (5/6) =
216
Der Wichtungsfaktor (n über x) ist 3, d.h. es gibt genau 3 Möglichkeiten, diesen
Fall zu realisieren. Entweder Würfel 1 oder Würfel 2 oder Würfel 3 zeigt keine 6.
Das Ergebnis lautet daher:
P3;1/6 (2) =
3
2
!
1 5
5
( )2 =
= 0, 07
6 6
72
0.2.1.11 Erwartungswert und Standardabweichung
Mit den bekannten Wahrscheinlichkeiten P können auch Erwartungswert und
Standardabweichung für die Binomialverteilung errechnet werden. Der etwas
langwierige aber elementare Rechengang liefert das folgende Ergebnis:
< x >=
n
X
P (x)x = np
x=0
σ(x) =
q
V (x) =
√
npq
(14)
(15)
Betrachtet man die Binomialverteilung P (x) als Ganzes, dann besitzt sie eine typische Glockenform. Für p = q = 0, 5 liegt das Maximum genau bei
x = np = n/2. Die Kurve ist symmetrisch und fällt zu beiden Seiten hin ab.
Für p < (>) 0,5 rückt das Maximum zu kleineren (größeren) Werten und die
Verteilung wird unsymmetrisch.
24
VORBEMERKUNGEN : S TATISTIK
UND
F EHLERRECHNUNG
0.2.1.12 Näherungsformeln für die Binomialverteilung
Für die Anwendung in der Praxis ist die Binomialverteilung in den meisten Fällen ungeeignet, da die Berechnung der Fakultäten schon für relativ kleine Zahlen
Schwierigkeiten bereitet. Zwei Näherungsformeln sind daher von großem Nutzen.
1. Die Poissonverteilung Ist n groß, np jedoch klein (Größenordnung 1), dann
gilt in guter Näherung die folgende Verteilungsformel (Poissonverteilung):
P (x) =
ax −a
e
x!
mit a = np
(16)
Da für diesen Fall q = 1 − p ≈ 1, erhält man für Erwartungswert und Standardabweichung
< x >= V (x) = σ 2 (x) = np
(17)
2. Die Normal–(Gauss–)Verteilung Sind sowohl n als auch np groß (d.h. p ≈
0, 5), dann kann die sog. Normalverteilung angewendet werden:
P (x) = √
(x−<x>)2
1
−
e 2σ2 (x)
2πσ(x)
(18)
Dabei errechnen sich < x > und σ(x) wie bei der Binomialverteilung:
< x >= np
und
V (x) = σ 2 (x) = npq
(19)
Die Kurve ist symmetrisch zu < x >, dem Erwartungswert (siehe Abb. 1.1). σ
charakterisiert die Breite der Verteilung. Bei x =< x > ±σ (den Wendepunkten)
ist P (x) auf den (e−1/2 )-ten Teil des Maximalwertes abgefallen. Die Fläche unter
der Kurve zwischen +σ und −σ bezogen auf die Gesamtfläche gibt die relative
Wahrscheinlichkeit dafür an, daß ein x-Wert in diesem Bereich liegt. Sie beträgt
0,683 (oder 68,3%).
0.2.1.13 Statistischer Fehler bei Meßreihen
Wir sind nun auch in der Lage, den in Gl.(12) definierten mittleren Fehler (Standardabweichung) einer Meßreihe σ(x) quantitativ zu interpretieren.
Von statistischen Meßfehlern (zum Unterschied zwischen statistischen und systematischen Meßfehlern siehe die Einleitung zum Praktikum) wird angenommen,
VORBEMERKUNGEN : S TATISTIK
UND
F EHLERRECHNUNG
25
Abbildung 1: Gaussverteilung
daß sie voneinander unabhängig sind und in ihrer Gesamtheit gesehen Abweichungen vom ”wahren Wert” bewirken, die durch eine Normalverteilung wiedergegeben werden.
Die Angabe eines Meßergebnisses in der Form
Gemessene Größe x = x ± σ(x)
(20)
bedeutet, daß der Mittelwert x einer erneut unter gleichen experimentellen Bedingungen aufgenommenen Meßreihe vom gleichen Umfang mit einer Wahrscheinlichkeit von 68,3% innerhalb der angegebenen Schranken liegt.
0.2.1.14 Fehlerfortpflanzung
In der Regel ist die im Experiment zu bestimmende Größe f eine Funktion
einer oder mehrerer unmittelbar gemessener Größen x, y, z, usw., die alle mit
einem Fehler behaftet sind (∆x, ∆y, ∆z, usw.):
f = f (x, y, z, ...)
(21)
Es stellt sich dann die Frage, wie die Fehler der unmittelbar gemessenen Größen x, y, z, ... den Fehler der Größe f beeinflussen. Liegen die Fehler als Standardabweichungen der Mittelwerte vor, so gilt das Fehlerfortpflanzungsgesetz:
σ(f ) = ∆f =
s
(
∂f
∂f
∆x)2 + ( ∆y)2 + .....
∂x
∂y
(22)
∂f /∂x usw. sind die partiellen Ableitungen (Ableitungen unter Konstanthaltung der übrigen Variablen).
26
VORBEMERKUNGEN : S TATISTIK
UND
F EHLERRECHNUNG
0.2.1.15 Größtfehler (Maximalfehler)
Wird eine Größe nur einmal gemessen, dann kann man auf Grund statistischer
Überlegungen keine Aussage über die Größe des Fehlers machen. In diesem Falle
ist man auf die Angabe eines geschätzten Größtfehlers angewiesen, der sich aus
der Ablesegenauigkeit auf der benutzten Skala und aus anderen Erwägungen ergibt.
Die Aufstellung einer Meßreihe und die Berechnung des mittleren Fehlers erfordern jedoch einen erheblichen Zeitaufwand und werden deshalb im Rahmen des
Praktikums nicht durchgeführt werden können, wenn zur Ermittlung des Endergebnisses mehr als eine Größe gemessen werden muß. Andererseits bringt die
Schätzung eines Größtfehlers nach einer einmaligen Messung oft große Unsicherheiten, da hierbei nur der reine Ablesefehler berücksichtigt wird. Deshalb wird in
den Fällen, in denen andere Einflüsse zu erwarten sind, der folgende Kompromiß empfohlen:
- Aufnahme einer Meßreihe (3 – 5 Messungen),
- Ermittlung des Bestwertes (Mittelwert),
- Fehlerangabe aus der größten absoluten Abweichung eines Einzelwertes vom
Mittelwert.
Außer dem absoluten Fehler ∆x verwendet man oft den relativen Fehler ∆x/x,
der üblicherweise in % (∆x/x · 100) angegeben wird. Unter der Voraussetzung
∆x x, ∆y y, usw. kann man auf Grund des Taylorschen Satzes den Gesamtfehler wie folgt berechnen:
∆f = |
∂f
∂f
|∆x + | |∆y + · · ·
∂x
∂y
(23)
Die |∂f /∂x| usw. sind die Beträge der partiellen Ableitungen von f nach den
gemessenen Größen x, y, z, . . ..
Beweis für den Fall einer einzigen Meßgröße:
f = f (x)
f (x + ∆x) = f (x) +
1 ∂ 2 f (x)
1 ∂f (x)
· ∆x +
· (∆x2 ) + ...
1! ∂x
2! ∂x2
(24)
welches für geng̈end kleine Fehler ∆x (d.h. Abbruch der Taylor-Reihe nach dem
ersten Term) führt zu
VORBEMERKUNGEN : S TATISTIK
UND
F EHLERRECHNUNG
f (x + ∆x) − f (x) = ∆f =
∂f
· ∆x
∂x
27
(25)
Die Betragsstriche bewirken, daß alle Summanden positiv werden, wodurch eine mögliche gegenseitige Kompensation1 von Einzelfehlern vermieden wird. So
erhält man stets den größtmöglichen Fehler der Größe f . Für ein Potenzprodukt
f = A · xa · y b · z c . . .
(26)
erhält man daraus für den Größtfehler den einfachen Zusammenhang:
∆f
∆x
∆y
∆z
= |a|
+ |b|
+ |c|
+···
f
x
y
z
(27)
Ist eine der mit x, y, z, . . . bezeichneten Größen selbst schon ein zusammengesetztes Ergebnis, dann muß der relative Fehler einer solchen Größe gesondert berechnet werden. Stehen in der Funktion f (x, y, z, ...) Winkelfunktionen, e–Funktionen
usw. dann muß bezüglich der im Argument auftretenden Größen die partielle Differentiation tatsächlich ausgeführt werden.
0.2.1.16 Hinweise zur Fehlerangabe
Bitte beachten! Die folgenden Anmerkungen gelten für das gesamte Praktikum, d.h. alle Versuche in Teil 1, 2 und 3.
Da der wie oben numerisch ermittelte Fehler nicht als exaktes Ergebnis zu werten
ist (weil z.B. für den Größtfehler durch die Taylor-Reihe eine Näherung darstellt),
hat eine zu genaue Fehlerangabe keinen Sinn. Fehler werden daher immer in runden Zahlen (auf- oder abrunden!) und mit höchstens zwei zählenden Stellen
angegeben. Dies gilt sowohl für den absoluten als auch für den relativen Fehler.
Ebenso muß die Stellenzahl im Ergebnis auf den Fehler abgestimmt werden. Es
hat keinen Sinn, Stellen anzugeben, die bereits völlig unsicher sind. Es ist üblich, außer den auf Grund der Fehlerrechnung als zuverlässig erkannten Stellen
noch die erste unsichere Stelle anzugeben. Da die Auswertung heute fast stets
mit elektronischen Taschenrechnern geschieht, ist dieser Hinweis besonders zu
beachten.
Im übrigen beachte man bezüglich der Fehlerrechnung die speziellen Hinweise in
den Versuchsanleitungen. Es empfiehlt sich jedoch, diese Angaben nicht kritiklos
1
Durch die Anwendung der Taylor-Reihe werden alle Fehler nun nur noch linear addiert, und
nicht mehr quadratisch wie im Fall der Gaußschen Fehlerfortpflanzung. Deswegen können die
Ableitungen positiv oder negativ sein, und sich im letzteren Fall gegenseitig kompensieren.
28
VORBEMERKUNGEN : S TATISTIK
UND
F EHLERRECHNUNG
zu verwenden, sondern sich stets eigene Gedanken bezüglich der Fehlerformeln
und des entstandenen Meßfehlers zu machen.
Merke: die korrekte und vernünftige Angabe eines Fehlers ist ebenso wichtig wie
die korrekte und vernünftige Angabe eines Ergebnisses!
0.2.2 Vorbemerkung zu den Auswertungen: Graphische Darstellungen
0.2.2.1 Das Zeichnen der Darstellung
Die graphische Darstellung dient zur Veranschaulichung des funktionellen Zusammenhangs zweier Größen und zur quantitativen Auswertung einer Meßreihe.
Beim Zeichnen einer graphischen Darstellung beachte man die folgenden Punkte:
• Verwendung von Millimeterpapier und gespitztem, nicht zu hartem Bleistift
• Wahl der Koordinatenmaßstäbe und –nullpunkte nach Möglichkeit so,
daß der ganze auf dem Blatt zur Verfügung stehende Achsenbereich ausgenützt wird und ein bequemer Umrechnungsfaktor verwendet werden kann
• Korrekte Beschriftung der Achsen (Abb.1a).
• Sorgfältiges Eintragen der Meßpunkte (kleine Kreuze) und Zeichnen einer
Kurve unter Berücksichtigung eventuell zu erwartender funktioneller Zusammenhänge (Gerade, Parabel, usw.)
• Die Darstellung muß mindestens das Format DIN A5 haben
0.2.2.2 Die Auswertung einer Geraden
Bei der Auswertung (Bestimmung von Steigung und Achsenabschnitten) einer
Geraden wird folgendermaßen vorgegangen (Abb.1b):
Die Geradengleichung hat die allgemeine Form
y =A+S·x
(28)
A = Achsenabschnitt; S = Steigung
Man wähle auf der gezeichneten Geraden etwa in Höhe des ersten und letzten
Meßpunktes zwei Punkte P1 (x1 , y1) und P2 (x2 , y2). Man verwende auf keinen
VORBEMERKUNGEN : S TATISTIK
UND
F EHLERRECHNUNG
29
Abbildung 2: Beschriftung der Achsen (a); Zeichnen der Geraden (b)
Fall Meßpunkte, die "zufällig" auf der Geraden liegen.
Dann ergibt sich die Steigung zu
S=
y2 − y1
.
x2 − x1
(29)
Die Achsenabschnitte Ax und Ay erhält man (falls benötigt) aus
Ax = x −
y
und Ay = y − S · x
S
(30)
(x, y) ist ein beliebiges Wertepaar auf der Geraden (z.B. P1 oder P2 ).
0.2.2.3 Logarithmische Darstellungen
Die Auswertung hinsichtlich S erfolgt hier folgendermaßen:
Exponentialgesetze liegen meist in der Form
y = y0 · e−ax
(31)
vor, wobei y0 = y(x = 0).
Gemessen wird y als Funktion von x, gesucht wird die Größe a. Um einen linearen
Zusammenhang zu erhalten, wird umgeformt und logarithmiert:
log10 (
y
) = −ax · log(e),
y0
a>0.
(32)
30
VORBEMERKUNGEN : S TATISTIK
UND
F EHLERRECHNUNG
Man muß hier stets mit dem dekadischen Logarithmus rechnen, da die verfügbaren Papiere dementsprechend unterteilt sind. Ansonsten wäre der natürliche Logarithmus vorzuziehen, da dann der Faktor log e wegfallen würde.
Wenn nun log10 (y/y0) gegen x aufgetragen wird, dann erhält man eine Gerade
mit der Steigung
S=
∆log10 ( yy0 )
∆x
= −a · loge,
(33)
woraus a leicht zu berechnen ist.
Bei der Verwendung eines Taschenrechners ist es möglich, die log(y/y0) für die
Meßpunkte zu berechnen und direkt in normales Millimeterpapier einzutragen.
Die Auswertung erfolgt dann wie oben beschrieben.
Bei Verwendung von halblogarithmischem Millimeterpapier werden die
(y/y0 ) – Werte direkt auf der logarithmischen Achse gegen die entsprechenden x–Werte aufgetragen und die beste Gerade eingezeichnet.
Um die Steigung ermitteln zu können, braucht man ∆log(y/y0 ). Dazu mißt
man diese Strecke zwischen den beiden Punkten, die für die Auswertung auf
der Geraden eingezeichnet wurden (Abb.2), mit dem Lineal (=
b b [mm]) und
setzt sie ins Verhältnis zur "Einheit" (∆log10 (y/y0 ) = 1=
b E [mm]).
Diese entspricht einer Dekade.
∆log10 (
b mm
y
)=− [
]
y0
E mm
(34)
Für die Steigung ergibt sich damit:
S=
∆log10 ( yy0 )
∆x
=−
b
1
1
·
[ ].
E ∆x A
(35)
[A] ist die Einheit von x.
Die Einheit E ist auf jedem Bogen Logarithmenpapier angegeben oder sie
kann ebenfalls gemessen werden.
0.2.2.4 Fehlerrechnung bei graphischen Darstellungen
Für die Bestimmung des Fehlers von S, Ax und Ay benötigt man zunächst die
absoluten Fehler der Einzelmessungen ∆x und ∆y. Man verwendet dazu zweckmäßigerweise die größte Abweichung eines Meßpunktes von der gezeichneten
Geraden (Abb.1a).
Beachte:
Diese dürfen nicht verwechselt werden mit der Abszissendifferenz ∆x = x2 − x1
VORBEMERKUNGEN : S TATISTIK
UND
F EHLERRECHNUNG
31
bzw. der Ordinatendifferenz ∆y = y2 − y1 bei der Bestimmung von S, die oft
genau so bezeichnet werden!
Wenn man annimmt, daß jeder Punkt der Geraden mit der gleichen Unsicherheit
behaftet ist (also auch P1 und P2 ), dann ergibt sich für die Änderung von S, die
innerhalb dieser Grenzen möglich ist
2∆x
∆S
2∆y
∆S
=
bzw.
=
.
S
x2 − x1
S
y2 − y1
(36)
Die Werte im Zähler (d.h. die Größen mit einem ∆) sind dabei von dem Datenpunkt mit der größten Abweichung, und die Differenzen im Nenner aus dem
Steigungsdreieck. Diese Fehler sind annähernd gleich. Man wähle den, der sich
leichter berechnen läßt. Bei logarithmischen Darstellungen etwa den ersteren. Die
Unsicherheit ∆S der Steigung bewirkt auch einen Fehler bei den Achsenabschnitten. Diese sind
∆Ax = (
y1 + y2 ∆S
x1 + x2
) 2 und ∆Ay = (
)∆S
2
S
2
(37)
32
VORBEMERKUNGEN : S TATISTIK
UND
F EHLERRECHNUNG
Projekt 1
1.1 Versuch 1Aa: Beugung von Röntgenstrahlen
Dieser Versuch besteht aus zwei kürzeren Einzelversuchen zur Beugung, nämlich
Beugung von Röntgenstrahlen und Beugung von Elektronen.
1.1.1 Aufgabenstellung
1. Bestimmung der Wellenlängen der Kα - und der Kβ -Linie. Aus λα ist die
Ordnungszahl des Anodenmaterials zu bestimmen.
2. Bestimmung der Planckschen Konstanten h aus der Grenzwellenlänge des
Röntgenbremsspektrums für verschiedene Beschleunigungsspannungen.
1.1.2 Grundlagen
1.1.2.1 Röntgenstrahlen
Röntgenstrahlen sind kurzwellige elektromagnetische Strahlen, deren Wellenlängen mit atomaren Dimensionen vergleichbar sind. Nach den Vorstellungen der
modernen Physik kann man den Röntgenstrahlen einen Strom von Röntgenquanten zuordnen, deren Energie der Frequenz der Strahlung proportional ist.
E = hν =
hc
λ
(1.1)
h = Plancksches Wirkungsquantum = 6,62·10−34 Js
c = Vakuumlichtgeschwindigkeit = 2,998·108 m/s
Von Röntgenstrahlen spricht man ab einer Energie von ca. 10 keV. Dem entspricht
33
34
V ERSUCH 1A A : B EUGUNG VON RÖNTGENSTRAHLEN UND E LEKTRONEN
Abbildung 1.1: Das Röntgenspektrum (schematische Darstellung für Molybdän
als Anodenmaterial bei einer primären Spannung von U=30 kV).
V ERSUCH 1A A : B EUGUNG
VON
RÖNTGENSTRAHLEN
35
eine Wellenlänge von ca. 0,1 nm.
Röntgenstrahlen entstehen beim Auftreffen von energiereichen geladenen Teilchen (Elektronen, Protonen usw.) auf Materie mit hoher Ordnungszahl. Je nach
der Art des Elementarprozesses, der abläuft, unterscheidet man zwei verschiedene Erzeugungsmechanismen, Bremsstrahlung und charakteristische Strahlung.
Man erkennt das auch am Strahlungsspektrum (Intensität der Strahlung in Abhängigkeit von der Wellenlänge): Einem kontinuierlichen Anteil mit kurzwelliger
Grenze sind scharfe, charakteristische Linien überlagert.
1.1.2.2 Bremsstrahlung
Nach den Gesetzen der Elektrodynamik strahlen beschleunigte (oder verzögerte) elektrische Ladungen elektromagnetische Strahlung ab. (Man denke
z.B. an die im Takt einer Wechselspannung schwingenden Elektronen in einer
Sendeantenne.) Treffen Elektronen auf Materie, dann gelangen sie in die sehr
starken elektrischen Felder der Atomkerne. Je nach dem Grad der Annäherung
zwischen Elektron und Kern wird dieses mehr oder weniger stark abgelenkt d.h.
beschleunigt. (Da die Geschwindigkeit ein Vektor ist, bedeutet eine Ablenkung
eine Geschwindigkeitsänderung d.h. eine Beschleunigung.) Das Elektron verliert
dabei einen Teil seiner Energie in Form eines Röntgenquants. Dieser Anteil kann
beliebig sein, was zu einem kontinuierlichem Spektrum mit einer kurzwelligen
Grenze λmin führt (Abb. 1.1).
Diese kleinste Wellenlänge (d.h. größte Photonenenergie) entspricht dem Fall, daß
das Elektron seine gesamte Energie in einem Prozeß abgibt. Werden die Elektronen mit der Spannung U beschleunigt, so ist ihre Energie gleich eU. Für λmin
ergibt sich somit nach Gl.1 die Beziehung
eU =
hc
λmin
bzw.
λmin =
hc
eU
(1.2)
Werden die Konstanten mit ihren Zahlenwerten eingesetzt, so erhält man
λmin =
1, 234
nm,
U
wenn U in kV eingesetzt wird.
Die kurzwellige Grenze des Bremsspektrums ist also nur von der Beschleunigungsspannung U der Elektronen und nicht vom Anodenmaterial abhängig.
36
V ERSUCH 1A A : B EUGUNG VON RÖNTGENSTRAHLEN UND E LEKTRONEN
1.1.2.3 Das charakteristische Spektrum
Die charakteristische Röntgenstrahlung entsteht, wenn durch ein auftreffendes
schnelles Elektron aus einer der innersten Schalen (K- oder L-Schale) des Anodenmaterials (z.B. Kupfer oder Wolfram), das die Ordnungszahl Z haben soll,
ein Elektron herausgeschlagen wird (Abb.2). Die entstandene Lücke wird sofort
durch Elektronen äußerer Schalen aufgefüllt. Die dabei freiwerdende Energie wird
in Form eines Röntgenquants hν ausgestrahlt.
1.1.2.4 Das Moseleysche Gesetz
Die Wellenlänge der Kα -Linie läßt sich auf der Grundlage einer einfachen Betrachtung angenähert berechnen. Wendet man die Bohrsche Theorie auf wasserstoffähnliche Atome an (Kernladung Z, ein Außenelektron), dann erhält man für
die Wellenlänge des Photons beim Übergang des Atoms aus dem Zustand n2 nach
n1
1
1
1
= RZ 2 ( 2 − 2 ).
λ
n1 n2
Ist ein Elektron aus der K-Schale (n1 = 1) abgetrennt, so ”sieht” ein Elektron
der L-Schale (n2 ) die elektrische Kernladung Ze durch die Ladung −e des anderen K-Elektrons abgeschirmt. Ein Elektron der L-Schale wird daher recht gut
durch das einzige Elektron eines wasserstoffähnlichen Atoms angenähert, das sich
im Feld der effektiven Kernladung (Z − 1) bewegt. Es ergibt sich also folgender
Zusammenhang:
1
3R
=
(Z − 1)2
(1.3)
λ(Kα )
4
R = Rydberg-Konstante = (me4 /820 ch3 ) = 1, 097 · 107 m−1
1.1.3 Versuchsaufbau
1.1.3.1 Die Röntgenröhre
In einem evakuierten Glaskolben (Abb. 1.2) werden mit Hilfe einer Glühkathode
freie Elektronen erzeugt, die durch die zwischen Anode und Kathode angelegte Hochspannung zur Anode hin beschleunigt werden. Beim Auftreffen entstehen
Röntgenstrahlen, die unter flachem Winkel zur Anodenoberfläche abgestrahlt werden.
Nur etwa 1% der von den Elektronen an die Anode abgegebene Energie wird in
Röntgenstrahlen umgewandelt. Der Rest wird in Wärme umgesetzt.
V ERSUCH 1A A : B EUGUNG
VON
RÖNTGENSTRAHLEN
37
Abbildung 1.2: Die Röntgenröhre
1.1.3.2 Der Röntgenspektrograph
Man läßt ein dünnes Bündel der zu untersuchenden Röntgenstrahlung unter einem
Winkel α auf einen Kristall fallen und mißt die unter dem Winkel 2α gegen den
Strahl reflektierte Intensität (Abb. 1.3). Es wird dazu ein Zählrohr mit angeschlossenen Zähler verwendet. Die Zählrohrspannung beträgt 450 V (Abb.4).
1.1.4 Versuchsdurchführung
Während des ganzen Versuchs wird der Emissionsstrom auf dem konstanten Wert
von 1 mA gehalten. Im übrigen ist die am Arbeitsplatz liegende Anleitung beim
Einschalten der Apparatur zu beachten.
Zu 1) Bestimmung der Ordnungszahl des Anodenmaterials
Bei einer Primärspannung von 220 Volt nehme man das gesamte Spektrum
zwischen etwa α = 30 und 120 auf, indem man stets um 0, 50 variiert. Meßzeit
für jeden Punkt ist 10 s. Im Bereich der beiden Maxima ist besonders sorgfältig
zu verfahren, um die genauen Winkel1 zu ermitteln. Zeichnen Sie die Zählrate als
Funktion der Wellenlänge λ (entsprechend Abb. 1.1).
1
Die genauen Winkel werden im Rahmen der Auswertung aus der Zeichnung ermittelt, nicht
durch Intervallschachtelung während der Messung.
38
V ERSUCH 1A A : B EUGUNG VON RÖNTGENSTRAHLEN UND E LEKTRONEN
Aus der Wellenlänge der Kα -Linie kann dann die Ordnungszahl des Anodenmaterials ermittelt werden. Die Anodenspitzenspannung UASS erhält man aus der
Primärspannung:
√
(1.4)
UASS = 133 Uprim 2
Der Netzebenenabstand für die verwendeten Kristalle beträgt
d = 2, 01 · 10−10 m
LiF,
d = 2, 82 · 10−10 m
NaCl,
Man beachte den Hinweis an der Apparatur, welcher Kristall verwendet wird.
Zu 2) Bestimmung von h aus der Grenzwellenlänge des Röntgenbremsspektrums
Für drei zusätzliche Primärspannungen (175, 190, 205 Volt, entsprechend Stufen
5, 6, 7) wird jeweils der kurzwellige Abfall des Bremsspektrums neben der Kβ Linie aufgenommen. Durch Extrapolation können daraus die Grenzwellenlängen
bestimmt werden.
Es ist dabei zu beachten, daß das Spektrum nicht auf null absinkt, da für α = 00
der direkte Strahl in das Zählrohr fällt und zu einem starken Anstieg der Zählrate
führt. Es empfiehlt sich, bei konstantem Winkel jeweils die Spannung zu ändern.
Man messe im Winkelbereich zwischen 30 und 60 in Schritten von 0.50 .
Zeichnen Sie die Gerade
eUASS = f (νmax )
(1.5)
und bestimmen2 Sie die Konstante h aus der Steigung.
Für beide Aufgaben ist eine Fehlerbetrachtung anzustellen. Beachten Sie, daß h
aufgrund der Braggschen Bedingung (siehe auch Debye-Scherrer-Verfahren im
Versuch zur Beugung von Elektronen) von Winkel ϑ abhängt. Für den Fehler benutzen Sie Fehlerfortpflanzung (obwohl 3 Messungen für Gauß-Ansatz normalerweise nicht ausreichend sind).
∆h =
s
h
h
( ∆U)2 + ( ∆ϑ)2
U
ϑ
(1.6)
Der Netzebenenabstand d sei als fehlerlos angenommen.
2
In einem alternativen, nicht-graphischen Verfahren - welches hier aber nicht angewandt werden soll - könnte h auch für alle drei Spannungen aus Gl. 1.2 bestimmt und anschließend gemittelt
werden.
V ERSUCH 1A A : B EUGUNG
VON
RÖNTGENSTRAHLEN
39
Abbildung 1.3: Die Meßapparatur
1.1.5 Literatur
1.1.5.1 Grundlagen
• Gerthsen, Kap. 16.3
1.1.5.2 Themen für das Vorbereitungskolloquium
• Röntgenstrahlung, Erzeugung, Bremsstrahlung, Charakteristische Strahlung, Energieskala, Diskussion eines Röntgenspektrums, Grenzwellenlänge, Moseleysches Gesetz, wasserstoffähnliche Atome, Kα -Linie
• Kristalle: Aufbau, Netzebenen
• Beugung am Kristall, Braggsche Bedingung
1.1.5.3 Fragen, mit denen Sie rechnen müssen
1. Wovon hängen Brems- und charakteristisches Spektrum ab?
2. Weshalb funktioniert eine Röntgenröhre auch beim Anlegen einer Wechselspannung?
40
V ERSUCH 1A A : B EUGUNG VON RÖNTGENSTRAHLEN UND E LEKTRONEN
1.2 Versuch 1Ab: Beugung von Elektronen
1.2.1 Aufgabenstellung
Mit Hilfe der Elektronenstrahlbeugung sollen zwei Gitterkonstanten des Graphitgitters ermittelt werden.
1.2.2 Grundlagen
1.2.2.1 Die de Broglie-Beziehung
Um die Bewegung materieller Teilchen (Ruhmasse 6= 0) korrekt zu beschreiben,
müssen ihnen Welleneigenschaften zugeschrieben werden. De Broglie machte
1924 den Vorschlag, von den folgenden Zusammenhängen zwischen Impuls und
Energie der Teilchen einerseits und Wellenlänge und Frequenz der dazu gehörenden Welle andererseits auszugehen:
λ=
h
p
und
ν=
E
h
(1.7)
E und p bedeuten dabei die relativistischen Ausdrücke für Energie und Impuls:
m0 c2
E=q
1 − v 2 /c2
bzw.
m0 v
p= q
1 − v 2 /c2
m0 und v bedeuten Ruhmasse und Geschwindigkeit des Teilchens. Bereits 1927
konnten Davisson und Germer Interferenz- und Beugungseffekte mit Elektronen
nachweisen. Sie verwendeten kristalline Festkörper, d.h. regelmäßige Anordnungen von Atomen. Wenn eine Welle auf diese Anordnung trifft, dann ist jedes Atom
die Quelle einer neuen Elementarwelle. Diese überlagern sich und ergeben charakteristische Interferenzmuster.
1.2.2.2 Materiewellen
Ein Elektron, das sich mit dem konstanten Impuls p in positiver z-Richtung bewegt, kann daher durch die folgende ”Wellenfunktion” beschrieben werden:
ψ(z, t) = ψ0 sin(kz − ωt)
Welche Bedeutung hat die Größe ψ, die in dieser Formel auftaucht?
ψ 2 (z, t) ist ein Maß für die Wahrscheinlichkeit dafür, am Ort z zur Zeit t ein
V ERSUCH 1A A : B EUGUNG
VON
RÖNTGENSTRAHLEN
41
Elektron anzutreffen. ψ(z, t) selbst wird daher auch oft als ”Wahrscheinlichkeitsamplitude” bezeichnet.
Erinnern wir uns daran, daß z.B. für elektromagnetische Wellen die Intensität der
Welle proportional zu E 2 ist und daß ein Beugungsbild die an einer bestimmten Stelle ankommende Intensität wiederspiegelt, dann können wir auch ein Beugungsbild für Elektronen interpretieren.
Wenn ein Strahl von monoenergetischen Elektronen auf einen engen Spalt fällt,
dann erhalten wir die bekannte Beugungsfigur, nur sind die Intensitätsmaxima so
zu verstehen, daß dort die meisten Elektronen auftreffen.
Lassen wir Elektronen auf Kristalle fallen, dann wirken diese wie dreidimensionale Gitter, und aus den beobachteten Interferenzmustern kann auf die Struktur
des Kristalls geschlossen werden.
1.2.3 Versuchsaufbau
1.2.3.1 Debye-Scherrer-Verfahren
Auch für Elektronenstrahlen gilt die Braggsche Bedingung (siehe Versuch Röntgenstrahlen):
2d sin ϑ = nλ
(1.8)
Fallen Elektronen z.B. auf eine Graphitfolie, so werden infolge der willkürlichen
Orientierung der Mikrokristalle stets solche zu finden sein, für die der Winkel
gegenüber der einfallenden Strahlung so ist, daß er der Braggschen Bedingung
genügt.
Alle von solchen Kristalliten ausgehenden Reflexe liegen auf Kegelmänteln mit
einer gemeinsamen Achse. Betrachtet man die Beugungsfigur auf einem senkrecht zum einfallenden Strahl aufgestellten Leuchtschirm, dann erscheinen konzentrische Kreise um den ungebeugten Elektronenstrahl.
1.2.3.2 Die Versuchsanordnung
Glühkathode (als Elektronenquelle), Anode (zur Beschleunigung der Elektronen)
und Graphitfolie (als Beugungsgitter) befinden sich in einer evakuierten Glasröhre. Die Elektroden A1 , K2 und A2 wirken als elektrostatische Linse, um einen
gut fokussierten schmalen Elektronenstrahl zu erzeugen. Nach dem Durchsetzen
der Graphitfolie fallen die Elektronen auf eine auf die innere Röhrenwand aufgebrachte fluoreszierende Schicht und bewirken dort grüne Leuchterscheinungen.
Die Energie der Elektronen ergibt sich aus der Beschleunigungsspannung U zu
E = eU =
p2
2m
(1.9)
42
V ERSUCH 1A A : B EUGUNG VON RÖNTGENSTRAHLEN UND E LEKTRONEN
Abbildung 1.4: Versuchsaufbau
Die Abb. 1.4 zeigt die Röhre und die aufzubauende Schaltung.
Technische Daten: Heizspannung
(Maximalwerte) Heizstrom
Anodenspannung
Anodenstrom
Uh = 6 V
Ih = 0,3 A
Ua = 6 kV
Ia = 0,2 mA
Beobachtet man auf dem Leuchtschirm Beugungsringe mit dem Radius R, dann
kann daraus der Reflexionswinkel ϑ ermittelt werden (Abb. 1.5).
sin 2ϑ =
R
L
(1.10)
(L = Abstand Folie - Schirm = 13,5 cm).
Aus den Gleichungen kann die gesuchte Größe d, der Netzebenenabstand, ermittelt werden:
nλ
(1.11)
d=
1
2 sin( 2 arcsin R
)
L
1.2.3.3 Das Graphitgitter
Graphit kristallisiert in einem hexagonalen Gitter. In der Zeichnung (Abb. 1.6)
sind die beiden Netzebenen eingezeichnet, die zu den beobachteten Reflexen führen.
V ERSUCH 1A A : B EUGUNG
VON
RÖNTGENSTRAHLEN
43
Abbildung 1.5: Zur Geometrie des Leuchtschirms. Bitte vernachlässigen Sie bei
der Fehlerbetrachtung, daß im Versuchsaufbau das Streuzentrum nicht in der Mitte
der Glaskugel positioniert ist.
Abbildung 1.6: Die Graphitstruktur
44
V ERSUCH 1A A : B EUGUNG VON RÖNTGENSTRAHLEN UND E LEKTRONEN
1.2.4 Versuchsdurchführung
Zunächst wird die Schaltung aufgebaut und die Heizspannung eingeschaltet. Dann
wird die Anodenspannung langsam unter Beobachtung der Beugungsfigur auf den
gewünschten Wert gebracht. Bei unbefriedigenden Beugungsringen kann durch
die Bewegung des Justiermagneten (von außen auf die Röhre geklemmt) der Elektronenstrahl auf eine andere Stelle der Folie gelenkt werden, wodurch sich unter
Umständen eine Verbesserung der Beugungsfigur ergibt.
Für einige Energien der Elektronen zwischen 3000 und 5000 Volt werden die
Radien der beiden sichtbaren Beugungsringe mit der Schieblehre gemessen. Mit
diesen Werten errechne man jeweils die beiden Netzebenenabstände3 . Der Mittelwert liefert das Ergebnis, die größte Abweichung eines Einzelwertes vom Mittelwert den größten Fehler.
1.2.5 Literatur
1.2.5.1 Grundlagen
• Gerthsen, Kap. 13.2, 17
• Tipler, Kap. 38.1
• Kittel, Einführung in die Festkörperphysik, Kap. 1 und 2
1.2.5.2 Themen für das Vorbereitungskolloquium
• Materiewellen, DeBroglie-Wellenlänge
• Beugung, Bragg-Bedingung
• Gitteraufbau, Netzebenen, Reziprokes Gitter, Millersche Indices
• Elektronenstrahlröhre
1.2.5.3 Fragen, mit denen Sie rechnen müssen
1. Wie groß ist der Fehler für die Wellenlänge, wenn in unserem Fall nichtrelativistisch gerechnet wird?
3
Anmerkung: Für die Auswertung ist es ausreichend, einen der beiden Netzebenenabstände zu
bestimmen.
V ERSUCH 1B: P HOTOEFFEKT
45
2. Welche anderen Gittermodifikationen des Kohlenstoffs gibt es neben der
Graphitstruktur?
3. Finden Sie noch andere mögliche Netzebenen im Graphitgitter?
4. Wo wären die höheren Ordnungen der beiden Reflexe zu erwarten (n = 2)?
1.3 Versuch 1B: Photoeffekt
1.3.1 Aufgabenstellung
Das Plancksche Wirkungsquantum mit Hilfe des Photoeffekts zu bestimmen.
1.3.2 Grundlagen
1.3.2.1 Das Elektronengas
Nach dem Modell der freien Elektronen stellt man sich einen Metallkristall aus
zwei Bestandteilen zusammengesetzt vor: Die Atomkerne mit ihren stark gebundenen Elektronen (d.h. positive Ionen) als Gitterbausteine und die Valenzelektronen, die als ”freie” Elektronen dem ganzen Kristall zugeordnet werden können
und nicht einem einzelnen Atom. Frei heißt, daß sie im Inneren des Kristalls keine
resultierenden Kräfte erfahren und daß sie sich alle in einem Gebiet mit einer konstanten elektrostatischen potentiellen Energie −Ep bewegen. Erst an den Grenzen
des Kristalls steigt das Potential auf den Wert null an. Die Elektronen bewegen
sich also in einem Potentialtopf.
Gebundene Elektronen können nach den Gesetzen der Quantenmechanik nur diskrete Energieniveaus in diesem Topf besetzen. Da es sich bei ihnen um Fermiteilchen handelt, kann jedes Niveau nur ein Teilchen aufnehmen, so daß beim
absoluten Nullpunkt der Temperatur dieser Topf bis zu einer bestimmten Energie
F , dem Ferminiveau, gefüllt sein wird. Alle höheren Niveaus werden unbesetzt
sein. Die Bindungsenergie des am schwächsten gebundenen Metallelektrons (das
genau die Fermienergie besitzt), nennt man die Austrittsarbeit Φ dieses Metalls.
Sie muß mindestens zugeführt werden, um ein Elektron aus dem Metall abzulösen.
Übersteigt die zugeführte Energie diesen Wert, dann wird das Elektron die Differenz als kinetische Energie mitnehmen.
Ekin = Ezugeführt − Φ
46
V ERSUCH 1B: P HOTOEFFEKT
1.3.2.2 Der Photoeffekt
Beim Photoeffekt liefert elektromagnetische Strahlung die Energie, um Elektronen aus eine Metalloberfläche abzulösen. Monochromatisches Licht (Intensität I,
Frequenz ν) fällt auf eine Metalloberfläche (Austrittsarbeit Φ). Die ausgelösten
Photoelektronen bewegen sich in der evakuierten Röhre auf die Kathode zu und
können als Photostrom i mit einem Galvanometer gemessen werden.
Um die kinetische Energie zu bestimmen, mit der die Elektronen das Metall verlassen, wird eine Gegenspannung U angelegt, gegen die die Elektronen anlaufen
müssen, um registriert zu werden. Ist die kinetische Energie gleich der Arbeit, die
sie verrichten müssen, um das Gegenfeld zu überwinden, dann gilt:
1
eU = mv 2
2
(1.12)
Regelt man U so hoch, daß kein Photostrom mehr beobachtet wird (U0 ), dann
werden gerade die schnellsten (vmax ) und damit alle Photoelektronen vor Erreichen der Kathode gestoppt.
Es sollen nun zunächst die Versuchsbeobachtungen kurz dargestellt werden, und
es soll versucht werden, diese mit den Gesetzen der klassischen Elektrodynamik
zu erklären. Wir werden erkennen, daß sich Widersprüche ergeben. Diese führen schließlich zum Quanten-(Photonen-)Modell des Lichts, das eine zwanglose
Erklärung der beobachteten Phänomene erlaubt.
1.3.2.3 Empirische Beobachtungen in Versuchen zum Photoeffekt
1. Die Emission des Photostroms setzt praktisch unmittelbar nach Bestrahlung
ein (zeitliche Verzögerung kleiner als 10−9 s).
2. Bei fester Frequenz und fester Gegenspannung ist der Photostrom i direkt
proportional zur Lichtintensität I.
3. Bei konstanter Frequenz ν und konstanter Lichtintensität I nimmt der Photostrom i mit zunehmender Gegenspannung U ab und verschwindet schließlich bei U = U0 .
4. Für eine bestimmte Oberfläche hängt die Höhe der maximalen Gegenspannung U0 von der Lichtfrequenz ab, ist aber unabhängig von der Lichtintensität I.
V ERSUCH 1B: P HOTOEFFEKT
47
1.3.2.4 Klassischer Erklärungsversuch des Photoeffekts
Nach der klassischen Auffassung ist Licht eine sich kontinuierlich im Raum ausbreitende, Energie transportierende Wellenstrahlung. Welche Ergebnisse würde
man erwarten?
1. Die von der photoelektrischen Oberflläche absorbierte Energie ist proportional zur Lichtintensität I und proportional zur Bestrahlungszeit. Die Zeit
bis zur Emission des ersten Photoelektrons müßte also von der Intensität
abhängen: Je geringer die Intensität, um so länger die Zeit, bis der zur Ablösung benötigte Energiebetrag angesammelt ist. Widerspruch!
2. Bei Erhöhung der Lichtintensität ist auch eine Erhöhung der Anzahl der
ausgesandten Photoelektronen zu erwarten. Kein Widerspruch!
3. U0 hängt nicht von I ab. Die Maximalenergie der freigesetzten Elektronen
hängt also überhaupt nicht vom gesamten Energiebetrag ab, der die Oberfläche in der Zeiteinheit erreicht. Widerspruch!
4. Die Existenz einer Grenzfrequenz bei gegebenem Metall — bei kleineren
Frequenzen erfolgt keine Photoemission wie groß auch immer die Lichtintensität ist — ist vollkommen unerklärlich. Aus klassischer Sicht entscheidet die Intensität und nicht die Frequenz, ob Emission auftritt oder nicht.
Auch die konstante Steigung der Geraden ist ein Rätsel. Widerspruch!
1.3.2.5 Quantentheoretische Erklärung des Photoeffekts
Nach der Quantenthoeorie sind die scheinbar stetigen elektromagnetischen Wellen gequantelt und bestehen aus einem Strom diskreter Energiequanten, die auch
als Photonen bezeichnet werden. Die Energie eines Photons hängt nur von der
Frequenz der Strahlung ab.
hc
E = hν =
λ
h heißt Plancksche Konstante und hat den Wert h = 6, 626 · 10−34 Js.
Wenn Licht mit atomaren Teilchen (z.B. Elektronen) in Wechselwirkung tritt,
dann verhält es sich wie ein Strom teilchenartiger Photonen. An der Oberfläche einer Photokathode kann nur jeweils ein Photon mit einem einzelnen Elektron wechselwirken. Übertrifft die Photonenenergie die Ablösearbeit, dann tritt
der Energieüberschuß als Bewegungsenergie des Photoelektrons auf.
1. Selbst bei geringsten Intensitäten treffen Photonen auf (wenn auch sehr wenige) und lösen ohne Verzögerung Photoelektronen aus.
48
V ERSUCH 1B: P HOTOEFFEKT
2. Je höher die Intensität, um so mehr Photonen treffen die Oberfäche, um so
größer ist aber auch die Anzahl der Photoelektronen und damit auch der
Photostrom.
3. Da die Frequenz die Photonenenergie bestimmt, gibt es — unabhängig von
der Intensität — für eine bestimmte Frequenz genau eine definierte maximale Bewegungsenergie der Photoelektronen.
4. Wendet man den Energieerhaltungssatz auf einen Emissionsprozeß an, dann
lautet dieser
Photonenenergie = Ablösearbeit + Bewegungsenergie
1 2
hν = Φ + mvmax
2
(1.13)
Das Auftreten langsamer Photoelektronen mit v < vmax erklärt sich durch Stöße,
die das Elektron vor dem Verlassen des Metalls mit anderen Elektronen und dem
Gitter erleidet.
1.3.3 Versuchsaufbau
Der Versuchsaufbau besteht aus den folgenden Teilen:
Der Brenner der Hg-Hochdrucklampe wird mit einer Linse a auf einen Spalt b
abgebildet (Abb. 1.7).
Von dort läuft es durch eine weitere Sammellinse c (diese bildet den Spalt am
Ort der Photozelle g ab), ein Geradsichtprisma (dieses zerlegt das Licht in die
einzelnen Spektrallinien) und einen Umlenkspiegel e und fällt schließlich auf die
Kathode der Photozelle. Mit Hilfe der Sammellinse f wird das Bild so weit verkleinert, daß nicht auch die ringförmige Anode von Licht getroffen wird. Das Bild
selbst sollte unscharf sein, damit ein größerer Teil der Kathode bestrahlt wird. Am
Ort der Linse f befindet sich ein Spalt, der jeweils nur eine Linie auf die Photozelle fallen läßt.
Die Schraube h dient dazu, den schwenkbaren Arm (mit f und g) über das gesamte Spektrum zu bewegen. Durch Abnehmen des Deckels der Kompaktanordnung
kann man sich über den Aufbau und die Lage der Spektrallinien informieren.
Während der Messung kann auch nach Entfernen des Schiebers j (er dient zur
Streulichtabschirmung) die jeweilige Spektraleinstellung überprüft werden. Ein
Schaltbild (Abb. 1.8) zeigt die Meßanordnung zur Erzeugung der Gegenspannung
und zur Messung des Photostroms.
V ERSUCH 1B: P HOTOEFFEKT
Abbildung 1.7: Versuchsaufbau zum Photoeffekt.
49
50
V ERSUCH 1B: P HOTOEFFEKT
_
+
− +
Verstärker
3x10
Voltmeter
(Gegenspannung)
14
Amperemeter
(Photostrom)
Abbildung 1.8: Schaltbild zum Photoeffekt. Bei der Verbindung von Verstärker
an Amperemeter (für Photostrom) wird − an mA und + an COM angeschlossen. Bei dem Voltmeter (für Gegenspannung) wird − an COM angeschlossen.
Die Erdung der Verstärker wird an + des Voltmeters (für Gegenspannung) angeschlossen. Beachten Sie, daß die Gegenspannung max. 2 V betragen soll (bei
Positionierung des Schiebers des Widerstandes ganz links).
1.3.4 Versuchsdurchführung
Zunächst baue man die Schaltung auf und schalte die Hg-Lampe ein (sie darf erst
nach Beendigung der Messungen wieder ausgeschaltet werden). Bei geschlossenen Schiebern k und j und Gegenspannung null wird der Nullpunkt der Meßanordnung eingestellt. Nach Öffnung des Schiebers k kann danach die Messung bei
der gelben Linie beginnen.
Bei jeder Linie wird in einer Meßreihe die Abhängigkeit des Photostromes von der
Gegenspannung registriert und in ein Diagramm eingetragen (I in willkürlichen
Einheiten).
Im allgemeinen kann an 4 (von 6) Linien gemessen werden:
rot
gelb
grün
blau
violett ultraviolett
632 nm 578 nm 546 nm 436 nm 405 nm 365 nm
Aus dem Diagramm ist jeweils die Gegenspannung U0 zu entnehmen, bei der der
Photostrom null wird. Die Plancksche Konstante h kann dann aus einer grafischen
Darstellung bestimmt werden, bei der U0 gegen die Frequenz ν aufgetragen wird.
eU0 = hν − Φ
(1.14)
V ERSUCH 1B: P HOTOEFFEKT
51
1.3.5 Literatur
1.3.5.1 Grundlagen
• Gerthsen, Kap. 8.1
• Tipler, Kap. 34.2
1.3.5.2 Themen für das Vorbereitungskolloquium
• Photoeffekt, Austrittsarbeit, Photonen, Elektronengas, Fermi-DiracVerteilung, Potentialtopfmodell der Metalle
1.3.5.3 Fragen, mit denen Sie rechnen müssen
1. Welchen Einfluß hat Streulicht, das spektral unzerlegt aus der Hg-Lampe
auf die Photozelle fällt?
2. Steigert man die Gegenspannung über den Wert hinaus, bei dem der Photostrom null wird, dann registriert man einen Strom in der entgegengesetzten
Richtung. Welche Ursache könnte dieser haben?
3. Warum steigt der Strom nicht sofort auf seinen Sättigungswert an, wenn die
Anode bezüglich der Kathode positiv ist?
52
V ERSUCH 1B: P HOTOEFFEKT
Projekt 2
2.1 Versuch 2A: Streuung von Alphateilchen
2.1.1 Aufgabenstellung
Man bestimme den differentiellen Querschnitt für die Streuung von AlphaTeilchen an Gold und Silber und bestätige die Rutherfordsche Streuformel.
2.1.2 Grundlagen
Streuexperimente sind ein wichtiges Hilfsmittel der Atom– und Kernphysik. Mit
ihrer Hilfe können Informationen über atomare und subatomare Systeme gewonnen werden. Ein klassisches Beispiel ist der Rutherfordsche Streuversuch, der entscheidend zur Aufklärung des Atomaufbaus beigetragen hat.
Rutherford ließ dazu einen dünnen Strahl von Alpha-Teilchen auf eine Streufolie
fallen und untersuchte die Winkelverteilung der gestreuten Alpha-Teilchen. Die
beobachteten Resultate konnten nur verstanden werden und theoretisch gedeutet
werden, wenn angenommen wurde, daß die Ablenkung der Alpha-Teilchen durch
ein punktförmiges Streuzentrum erfolgt, welches praktische die gesamte Masse
des Atoms besitzt und positiv geladen ist. Dies war ein eindeutiger Hinweis auf
die Existenz eines ”Atomkerns”.
2.1.2.1 Coulombstreuung
Wird ein positives Teilchen (z.B. ein Alpha-Teilchen) gegen ein positives Streuzentrum (z.B. Atomkern) geschossen, dann erfährt es eine Ablenkung um den
Winkel Θ. Dieser hängt in eindeutiger Weise mit dem sog. Stoßparameter zusammen. Darunter versteht man den Abstand b, in dem das Teilchen am Zentrum vorbeifliegen würde, wenn es keine Ablenkung erfahren würde. Wir wollen diesen
53
54
V ERSUCH 2A: S TREUUNG
VON
A LPHATEILCHEN
Zusammenhang finden, in den außerdem noch die Energie des Alpha-Teilchens
und die Ladung des streuenden Kerns eingehen .
Das Alpha-Teilchen (Ladung q1 , Masse m) habe vor dem Stoß , d.h. im Unendlichen, wo die Wechselwirkung mit dem Kern noch null ist, die Geschwindigkeit
v0 . Da es sich um ein abgeschlossenes System handelt, müssen Gesamtenergie
und Drehimpuls während des Stoßes erhalten bleiben.
E = 12 mv02 = konstant
L = mv0 b = konstant
Aus der Auftragung der Impulse vor und nach dem Stoß kann man ersehen, daß
im Verlauf der Streuung von elektrischen Kräften ein Impuls in x-Richtung übertragen worden sein muß. Es gilt
∆Px = 2mv0 sin(Θ/2) =
Z
+∞
Kx dt,
−∞
wobei nur die x-Komponente der Coulombkraft beiträgt (Abb.1).
Abbildung 2.1: caption.
C
q1 q2
cos
Φ
,
mit
C
=
r2
4π0
Einen Zusammenhang zwischen dt und dΦ gewinnt man aus der Drehimpulserhaltung:
r2
2 dΦ
= mv0 b oder dt =
dΦ
L = mr
dt
v0 b
Wir können daher weiterschreiben:
Z
C Z Φ2
C
K cos Φdt =
(sin Φ2 − sin Φ1 )
cos ΦdΦ =
v0 b Φ1
v0 b
Φ1 und Φ2 sind die Polarwinkel vor und nach dem Stoß. Aus der Abbildung kann
abgelesen werden:
π−Θ
π−Θ
) und Φ2 = +(
)
Φ1 = −(
2
2
Mit sin[(π − Θ)/2] = cos(Θ/2) erhält man
2C
cos(Θ/2) = 2mv0 sin(Θ/2)
v0 b
Damit haben wir die Ablenkfunktion für die Coulombstreuung zweier positiv geladener Teilchen gefunden.
q1 q2
(2.1)
tan(Θ/2) =
4π0 mv02 b
Kx = K cos Φ =
V ERSUCH 2A: S TREUUNG
VON
A LPHATEILCHEN
55
Abbildung 2.2: Impulsänderung beim Stoß
2.1.2.2 Der differentielle Wirkungsquerschnitt
Nun soll überlegt werden, wie die Intensität der gestreuten Teilchen vom Ablenkwinkel abhängt.
Wenn die Ablenkfunktion Θ(b) für ein bestimmtes Streupotential bekannt ist (z.B.
Gl.(1) für ein Coulombpotential), dann weiß man auch, wie sich für kleine Änderungen des Stoßparameters db der Ablenkwinkel Θ ändert (Abb.2).
dΘ
)db
(2.2)
db
Wenn ein Alpha-Teilchen in einen Winkelbereich zwischen Θ und Θ+dΘ gestreut
wird, dann muß seine Bahn vor dem Stoß durch die Fläche dF eines Kreisringes
mit den Radien b und b + db zielen, wobei
dΘ = (
dF = 2πb db
ist.
Mit welcher Wahrscheinlichkeit tritt dieser Fall ein?
Die Schicht, die mit Teilchen beschossen wird, habe die Fläche F , die Dicke ∆x
und die Teilchendichte in ihr betrage n. In dieser Schicht sind dann nF ∆x Streuzentren enthalten. Die Wahrscheinlichkeit dW , daß ein Teilchen in den Winkelbereich dΘ gestreut wird, ist dann gleich dem Quotienten aus der Teilchenzahl
dN, die durch einen solchen Kreisring zielen zur Gesamtzahl der auftreffenden
Teilchen N und dieser Quotient ist gleich dem Verhältnis aus der Summe aller
56
V ERSUCH 2A: S TREUUNG
VON
A LPHATEILCHEN
Abbildung 2.3: Zur Herleitung des differentiellen Wirkungsquerschnitts
Kreisringflächen zur Gesamtfläche.
dW (Θ) =
dN(Θ)
nF ∆x(2πb db)
=
N
F
Dividiert man außerdem noch durch n∆x (Flächendichte der streuenden Teilchen)
und durch den Raumwinkel dΩ, der von den gestreuten Teilchen erfüllt wird (dies
ist ein Doppelkegel zwischen Θ und Θ + dΘ
dΩ = 2π sin Θ dΘ,
so ergibt sich:
b db
dσ
dN(Θ)
=
=( )
(2.3)
Nn∆xdΩ
sin Θ dΘ
dΩ
Die Größe (dσ/dΩ) nennt man den differentiellen Wirkungsquerschnitt. Er hat
die Dimension (m2 /sterad) und kann interpretiert werden als die Fläche, in die die
Anfangsbahn eines Teilchens treffen muß, damit es um den Winkel Θ abgelenkt
wird. Je größer diese Fläche, um so wahrscheinlicher ist ein solcher Prozeß.
2.1.2.3 Die Rutherfordsche Streuformel
Den differentiellen Streuquerschnitt für die Streuung an einem reinen Coulombpotential erhalten wir aus Gl. 2.3, wenn wir einsetzen b aus Gl. 2.1 und db aus
V ERSUCH 2A: S TREUUNG
VON
A LPHATEILCHEN
57
Abbildung 2.4: Die Rutherfordsche Streukammer
Gl. 2.2. Das Ergebnis lautet:
dN
Ze2
1
dσ
=
=(
)2 4
2
dΩ
Nn∆xdΩ
4π0 mv0 sin (Θ/2)
(2.4)
Dabei wurde gesetzt: q1 = Ladung des Alpha-Teilchens = 2e
q2 = Ladung des Kerns
= Ze
2.1.3 Versuchsaufbau
Die Abb. 2.4 zeigt den Aufbau der Streukammer. Alpha-Strahler, Streufolie und
Halbleiterdetektor befinden sich auf der Mittelachse einer zylinderförmigen Vakuumkammer. Die Kammer hat einen Anschluß an eine Vorvakuumpumpe mit
Belüftungsventil und Vakuummeßgerät. Die Pumpe kann die Kammer auf etwa
10−2 mbar auspumpen.
2.1.3.1 Der Alpha-Strahler
Als radioaktive Strahlungsquelle wird ein Am-241 Präparat mit einer Aktivität
von 0,5 mCi benutzt. Die Anzahl der Alpha-Teilchen, die pro Sekunde auf die
Folie fallen, wurde experimentell bestimmt zu
N = 2, 23 · 105 Teilchen/Sekunde
(2.5)
58
V ERSUCH 2A: S TREUUNG
VON
A LPHATEILCHEN
Die Alpha-Teilchen, die beim Zerfall frei werden, besitzen eine Energie von 5,48
MeV. Aus Strahlenschutzgründen ist das Präparat mit einer 3 µm dicken Goldschicht abgedeckt. Da die Teilchen in dieser Schicht im Mittel 1,65 MeV Energie
verlieren, werden sie nur mit einer mittleren Energie von
E = 3, 8 MeV
(2.6)
auf die Streufolie auftreffen. Die Halbwertszeit dieses Nuklids beträgt 1500 Jahre.
2.1.3.2 Die Streufolie
Als Streufolien werden Gold- und Silberfolien verwendet. Von ihnen müssen die
Teilchendichte und die Dicke bekannt sein, da diese in die Streuformel eingehen.
Die Teilchendichten n können aus der Dichte ρ und der relativen Atommasse A
der jeweiligen Substanz errechnet werden:
Silber: ρ = 10,5 g/cm3 ; Z = 47; A = 108; ∆x = 1, 7 · 10−6 m
Gold: ρ = 19,3 g/cm3 ; Z = 79; A = 197; ∆x = 0, 5 · 10−6 m
2.1.3.3 Der Halbleiterdetektor
Wir benutzen hier einen Silizium–Oberflächensperrschichtdetektor. Dies ist im
Grunde eine Siliziumdiode, bei der die Sperrschicht, die arm an beweglichen Ladungsträgern ist, sehr nahe an der Oberfläche liegt. Sie ist mit einer dünnen Goldfolie abgedeckt.
Treten nun ionisierende Teilchen in die Sperrschicht ein, dann werden Ladungsträger erzeugt, die zu einem Ladungsimpuls führen. Dieser wird verstärkt und
gezählt.
Der kreisförmige Detektor hat eine Fläche von
dF = 12 mm2
2.1.3.4 Der Gesamtaufbau der Streukammer
Der kreisförmige Detektor ist an einem Ende des Gefäßes fest montiert. Der ringförmige Streufolienhalter und das kreisförmige Präparat sind an einer in horizontaler Richtung verschiebbaren Vorrichtung, dem Streukäfig, befestigt. Der Abstand Präparat — Folie ist fest. Der direkte Strahl Präparat — Detektor wird durch
eine Mittelblende ausgeblendet.
Der mittlere Streuwinkel ist definiert als der Winkel zwischen dem Strahl aus der
V ERSUCH 2A: S TREUUNG
VON
A LPHATEILCHEN
59
Mitte des Präparates durch die Mitte der Streufolie und dem Strahl aus der Mitte
der Streufolie auf die Mitte des Detektors. Für Θ ergibt sich aus der Zeichnung:
Θ = arctan(
26
26
) + arctan( )
75
y
(2.7)
y = Abstand Folie — Detektor in mm.
Θ ändert sich mit y, d.h. durch Verschieben des gesamten Streukäfigs in horizontaler Richtung. y kann man dabei an der äußeren Skala (von y=30 mm bis
y=227 mm) mit Hilfe der Umrechnungsformel ablesen:
y = 227 mm − x
(2.8)
x = äußere Skala in mm (am Versuchsaufbau ablesen).
Auf dem ringförmigen Streufolienhalter sind zwei halbringförmige Streufolien
aus Gold bzw. Silber angebracht. Durch Drehen des Streukäfigs um 1800 kann
man sie abwechselnd in den Strahlengang bringen. Die andere wird durch eine
Blende, die durch ihr Gewicht immer nach unten hängt, ausgeblendet.
Der Raumwinkel, der vom Detektor erfaßt wird, kann errechnet werden aus:
dΩ =
dF y
·
R2 R
(2.9)
2.1.4 Versuchsdurchführung
1. Zunächst werden das Belüftungsventil geschlossen sowie Pumpe und Vakuummeßgerät eingeschaltet.
2. Bei einem Druck von ca. 5 · 10−2 mbar schaltet man das Betriebsgerät für
den Detektor und den Zähler ein.
3. Für jede Folie wird nun bei drei verschiedenen Winkeln Θ (zwischen 250
und 500 ) die Anzahl der gestreuten Alpha-Teilchen gemessen. Die Zählzeit
beträgt 1000 s.
Der Nulleffekt der Zählapparatur beträgt 0,035 Impulse/s. Er muß bei den
Messungen berücksichtigt werden.
2.1.5 Auswertung und Fehlerrechnung
Die gemessenen Werte für den differentiellen Wirkungsquerschnitt
dσ
dN
=
dΩ
Nn∆xdΩ
60
N
n
∆x
dΩ
V ERSUCH 2A: S TREUUNG
VON
A LPHATEILCHEN
= Anzahl der auf die Streufolie auftreffenden Teilchen (2.5)
= Teilchendichte der Streumaterie
= Dicke der Folie
= Raumwinkel, der vom Detektor erfaßt wird (2.9)
werden verglichen mit den sich aus der Streuformel ergebenden Werten:
Ze2
1
dσ
=(
)2 4
2
dΩ
4π0 mv0 sin (Θ/2)
Z
= Kernladung der Streumaterie
2
mv0 /2= Energie der Alpha-Teilchen (2.6)
Θ
= Streuwinkel (2.7)
Aus der Zählrate ist auch der statistische Fehler zu ermitteln!
dσ
∆ dΩ
exp
dσ
dΩ exp
=
∆ dN
N
dN
N
√
∆(dN)
dN
=
=
dN
dN
(2.10)
2.1.6 Literatur
2.1.6.1 Grundlagen
• Povh, Rith, Scholz, Zetsche, Teilchen und Kerne, Kap. 5.2
• Mayer-Kuckuk, Physik der Atomkerne, Kap. 1
• Gerthsen, Kap. 13.5.2
2.1.6.2 Themen für das Vorbereitungskolloquium
• Starke Wechselwirkung
• Aufbau eines Atoms
• Coulombstreuung, Differentieller Wirkungsquerschnitt, Rutherfordsche
Streuformel
• Aufbau eines Kerns, Kern-Zerfälle (insbesondere Alphazerfall), Stabilität,
Tunneleffekt
• Was ist ein Halbleiterzähler ?
V ERSUCH 2A: S TREUUNG
VON
A LPHATEILCHEN
61
2.1.6.3 Fragen, mit denen Sie rechnen müssen
1. Die Reichweite der Alpha-Teilchen bei Normaldruck beträgt etwa 5 cm.
Wie groß ist sie bei 10−2 mbar?
2. Wie würde es sich auf die Streuversuche auswirken, wenn neben dem Coulombpotential bei großer Annäherung des Alpha-Teilchens an den Kern
auch das Kernpotential wirksam würde?
62
V ERSUCH 2B: E LEMENTARLADUNG (M ILLIKAN -V ERSUCH )
2.2 Versuch 2B: Elementarladung
(Millikan-Versuch)
Vers. 3.1, 31.01.2008, (Lange)
2.2.1 Aufgabenstellung
Es soll die Elementarladung e mit Öltröpfchen in einem elektrischen Feld bestimmt werden.
2.2.2 Grundlagen
2.2.2.1 Das Gesetz von Stokes
Eine Kugel des Radius R, die entweder mit der Geschwindigkeit v0 durch eine
Flüssigkeit gezogen wird, oder die ruhend von einer Flüssigkeit der Geschwindigkeit v umströmt wird, erfährt eine Kraft, weil unmittelbar der Kugel benachbarte
Flüssigkeitsschichten an der Kugel haften. Die empirische Beobachtung zeigt, daß
die Strömungsgeschwindigkeit linear vom Abstand des Kugelmittelpunktes r abhängt:
v(r) = v0
r
R
,
(2.11)
d.h. das Geschwindigkeitsgefälle ∂v/∂r ist nahezu konstant v0 /R.
Mit einer Oberfläche 4πR2 erfährt die Kugel eine bremsende Kraft:
F ' −η
∂v
4πR2 = −4πηvR
∂r
(2.12)
mit der Viskosität η. Die genauere Herleitung, die Teil der Vorlesung ist und auf
die hier verzichtet werden soll, liefert das Gesetz von Stokes:
F = −6πηvR
(2.13)
V ERSUCH 2B: E LEMENTARLADUNG (M ILLIKAN -V ERSUCH )
63
2.2.2.2 Öltröpfchen im elektrischen Feld
Ein Öltröpfchen des Radius R, der Masse m und der Ladung Q schwebe in einem
elektrischen Feld E (Plattenkondensator). Die folgenden Größen sind relevant:
Fallgeschwindigkeit im elektrischen Feld
Steiggeschwindigkeit im elektrischen Feld
Kondensatorspannung
Ladung des Öltröpfchens
Radius des Öltröpfchens
Abstand der Elektroden des Kondensators
Dichte von Öl
Dichte von Luft
Viskosität von Luft
Erdbeschleunigung
v1
v2
U
Q=n·e, n ganzzahlig
R
d=(2,50±0,01) mm
ρ1 =1,03·103 kg m3
ρ2 =1,293 kg m3
η=1,82·10−5 kg (m·s)−1
g=9,81 m s−2
Für die beiden Fälle, daß das elektrische Feld in Richtung der Schwerkraft oder
entgenden der Richtung der Schwerkraft gepolt ist, ergeben sich die Kräftegleichgewichte:
Q · E + mg = 6πRηv1
Q · E − mg = 6πRηv2
(2.14)
(2.15)
Die Masse m eines Öltröpfchens mit Volumen V und Dichte ρ1 erhält man aus
der Gewichtskraft
F1 = m · g = ρ1 V g
(2.16)
und der Auftriebskraft
F2 = ρ2 V g
.
(2.17)
Mit der Annahme, daß das Öltröpfchen kugelförmig ist
4
m = πr 3 ρ1
3
ergeben sich für die Steig- und Sinkgeschwindigkeit
(2.18)
64
V ERSUCH 2B: E LEMENTARLADUNG (M ILLIKAN -V ERSUCH )
1
4
(Q · E + πr 3 g(ρ1 − ρ2 )) ,
6πrη
3
4
1
(Q · E − πr 3 g(ρ1 − ρ2 )) .
v2 =
6πrη
3
v1 =
(2.19)
(2.20)
Durch Addition und Subtraktion der letzteren beiden Gleichungen für v1 und v2
und Einsetzen von E=U/d ergeben sich die Ladung und der Radius des Öltröpfchens als Funktion von v1 und v2 :
Q = C1
v1 + v2 √
v1 − v2
U
(2.21)
mit der Konstante
v
u
η3
9 u
= 2, 73 · 10−11 kg · m(m · s)−1/2
C1 = πdt
2
g(ρ1 − ρ2 )
(2.22)
und
√
R = C2 v1 − v2
(2.23)
mit der Konstante
3
C2 =
2
s
η
= 6, 37 · 10−5 (m · s)−1/2
g(ρ1 − ρ2 )
(2.24)
Die Geschwindigkeiten können aus den gemessenen Zeiten berechnet werden,
wenn man die Umrechnung von 30 Skalenteilen (Strecke von ganz oben nach
ganz unten) als 0.89 mm ansetzt.
2.2.3 Versuchsaufbau
Der Versuchsaufbau ist gezeigt in Abb. 2.5. Der Plattenkondensator (Abstand der
Kondesatorplatten d=2,50±0,01 mm) befindet sich integriert in ein optisches Mikroskop.
V ERSUCH 2B: E LEMENTARLADUNG (M ILLIKAN -V ERSUCH )
65
Abbildung 2.5: Versuchsaufbau zum Millikan-Versuch (Firma PHYWE).
2.2.4 Versuchsdurchführung
Reinigen Sie zuerst die Kapillarverbindung vom Ölreservoir zum Kondensator,
jedoch nur in Gegenwart des Betreuers!
Dazu die Spannungsversorgung ausschalten!!!
Zu diesem Zweck müssen zwei Schrauben an der Oberseite des Mikroskops gelöst
und die Kapillarverbindung durchgepustet werden.
Für die Messung empfiehlt sich, vier Wegstrecken (siehe Abb. 2.6 links, zweimal Tröpfchenbewegung nach oben, zweimal Tröpfchenbewegung nach unten)
zu messen.
An jedem Umkehrpunkt muß ein Versuchsteilnehmer die Polarität des Feldes umkehren, und der andere Versuchsteilnehmer gleichzeitig beide Stoppuhren starten/stoppen. Bei Umkehrpunkt 1 wird Uhr A gestartet, und Uhr B nicht geschaltet.
Bei Umkehrpunkt 2 wird Uhr A gestoppt und Uhr B gestartet (um die Auf- und
Abbewegung getrennt mit jeweils Uhr A oder Uhr B zu messen). Am Umkehrpunkt 3 wird Uhr A wieder gestartet und Uhr B gestoppt etc. etc. Es handelt sich
also um drei Umkehrpunkte (3 „Klicks”), bei denen Uhr A und Uhr B gleichzeitig betätigt werden müssen, wḧrend der andere Versuchsteilnehmer synchronisiert
das Feld umpolt. Dies erfordert etwas Übung. Die folgenden Messungen werden
durchgeführt.
66
V ERSUCH 2B: E LEMENTARLADUNG (M ILLIKAN -V ERSUCH )
START
1
2
3
STOP
5
4
Abbildung 2.6: Versuchsdurchführung (links) und Versuchsauswertung (Q=f (R))
für den Millikan-Versuch.
U=600 V
U=525 V
U=450 V
5 Tropfen
5 Tropfen
5 Tropfen
Die Messung mit U=600 V ist die schnellste (Dauer etwa 10 min). Die Messungen werden mit abnehmender Spannung schwieriger, da nur noch höher geladene
Trp̈fchen (d.h. n=3,4,5,...) dann im Feld beeinflußt werden.
2.2.5 Auswertung und Fehlerrechnung
Tragen Sie für alle 15 Tropfen in einem Diagramm Q (in As) gegen r (in m) auf.
Ein Beispiel ist in Abb. 2.6 (rechts) dargestellt. Versuchen Sie, horizontale Linien
zu finden, die Vielfachen n der Elementarladung entsprechen. Aus dem Abstand
zweier Linien kann e bestimmt werden. Schätzen Sie den Fehler ∆e über den
maximalen Abstand von Meßwerten zu den horizontalen Linien ab.
2.2.6 Literatur
2.2.6.1 Grundlagen
• Gerthsen, Kneser, Vogel: Kap. 3.3.3, 6.1.5
V ERSUCH 2B: E LEMENTARLADUNG (M ILLIKAN -V ERSUCH )
67
2.2.6.2 Themen für das Vorbereitungskolloquium
• Reibung, Viskosität, Gesetz von Stokes (Herleitung!)
• Plattenkondensator, Kapazität, Dielektrizitätskonstante
• Feld- und Potentialverteilung für eine Punktladung
• Feld- und Potentialverteilung für eine gleichmäßig von Ladung erfüllte Kugel
2.2.6.3 Fragen, mit denen Sie rechnen müssen
1. Was ist (statische) Ladung? Wie kann man einen Gegenstand aufladen?
Welche Materialien lassen sich aufladen? Wie wird Ladung in einem Dynamo am Fahrrad erzeugt? Was ist ein Faraday’scher Käfig?
2. Gibt es in der Natur Teilchen, die nicht ganzzahlige Ladung tragen?
68
V ERSUCH 2B: E LEMENTARLADUNG (M ILLIKAN -V ERSUCH )
Projekt 3
3.1 Versuch 2B: Absorption von Gammastrahlung
3.1.1 Aufgabenstellung
1. Aufnahme der Zählrohrkennlinie eines Geiger-Müller-Zählers und Bestimmung der Plateausteigung
2. Messung des Absorptionskoeffizienten von Blei und Aluminium für Gammastrahlung und Ermittlung der Gammaenergie
3.1.2 Versuchsaufbau
3.1.2.1 Das Geiger-Müller-Zählrohr
Beim Geiger-Müller-Zählrohr wird die ionisierende Wirkung radioaktiver Strahlung für deren Nachweis benutzt. Die Strahlungsteilchen erzeugen beim Durchgang durch Materie eine gewisse Anzahl von positiven Ionen und Elektronen, die
nach Verstärkung nachgewiesen werden.
Das Zählrohr besteht aus einem gasgefüllten leitenden Zylinder (100 Torr Argon
mit einem Zusatz von Alkohol), in dessen Achse als Anode ein dünner Metalldraht
gespannt ist. Die Kathode wird durch den Zylindermantel gebildet (Abb.3.1).
Die bei der Ionisation durch ein Teilchen freiwerdenden Elektronen werden zur
Anode hin beschleunigt und können dabei soviel Energie gewinnen, um zusätzliche Ionisation zu bewirken. Dieser Prozeß kann sich auf dem Weg zur Anode
mehrmals wiederholen, wodurch im Endeffekt eine sehr hohe Verstärkung der
primär erzeugten Ladungsträger (105 bis 107 ) erzielt wird. Es kann gesagt werden, daß das primär ionisierende Teilchen eine Gasentladung in dem Rohr zündet.
Die schweren positiven Ionen bewegen sich viel langsamer als die Elektronen und
69
70
V ERSUCH 3A: A BSORPTION
VON
G AMMASTRAHLUNG
Abbildung 3.1: Zählrohranordnung (a) und Zählrohrplateau (b)
reduzieren die Feldstärke rund um die Anode, so daß die Entladung von selbst
löschen würde, wenn nicht Photonen, die von dem angeregten Gas um die Anode
herum emittiert werden, aus der Kathode wiederum neue Elektronen herausschlagen und so die Entladung aufrechterhalten würden. Zählrohre enthalten deshalb
Zusätze, die die Photonen absorbieren, ohne neue Ionen zu bilden (selbstlöschende Zählrohre).
Jedes ankommende ionisierende Teilchen erzeugt eine kurzzeitige Entladung, die
als Spannungsstoß in einem Zähler registriert werden kann.
Die Zählrate hängt bei konstanter eingestrahlter Intensität von der Betriebsspannung des Zählrohres ab. Unterhalb der Einsatzspannung findet keine Zählung
statt. Mit steigender Spannung nimmt die Zählrate zu, bis der Plateaubereich erreicht ist, in dem die Zählrate relativ unempfindlich gegen Spannungsänderungen
ist und nur um 3% bis 5% anwächst, wenn die Spannung um 100 V steigt. Bei
weiterer Steigerung der Spannung über diesen Bereich hinaus kann eine Dauerentladung einsetzen, die zur Zerstörung des Gerätes führt.
Als Maß für die Plateausteigung definiert man die folgende Größe:
S=
Z2 − Z1 100
100 (in % pro 100 V)
Zm U2 − U1
(3.1)
Dabei ist Zm = (Z2 + Z1 )/2.
3.1.3 Versuchsdurchführung
Zu 1) Kennlinie eines Geiger-Müller-Zählrohrs
Zunächst wird das Präparat in die Halterung gebracht und die Spannung solange
erhöht (ab 550 V), bis die ersten Impulse registriert werden. Die Spannung wird
nun in Stufen von 50 V gesteigert und die jeweilige Impulsrate festgestellt (Meßzeit 2 min). Die Messung ist sofort zu beenden, wenn ein deutlicher Anstieg der
Impulsraten zu beobachten ist.
V ERSUCH 2B: A BSORPTION
VON
G AMMASTRAHLUNG
71
Bei Zählrohrspannung über 700 V Vorsicht! (Auf Überschläge achten!)
Auf keinen Fall Zählrohrspannung über 900 V!!
Die Meßwerte werden in ein Diagramm eingezeichnet und im Plateaubereich die
Steigung ermittelt.
Zu 2) Absorptionskoeffizient und Gamma-Energie
Als Arbeitsspannung für das Zählrohr ist ein Wert in der Mitte des Plateaus zu
wählen. Zuerst muß der Nulleffekt gemessen werden (Meßzeit 5 min). Das ist
die Anzahl von Impulsen, die vom Zählrohr bei angelegter Hochspannung in
Abwesenheit einer Strahlungsquelle gezählt wird. Dieser Betrag ist bei allen
weiteren Messungen abzuziehen.
Da die verwendete Strahlungsquelle ist Ra 226, ein Zerfallsprodukt von
natürlichem Uran 238, welches bei einer Halbwertszeit von 1602 Jahren Gammastrahlung mit einer Energie von Egamma =186 keV emittiert. Anm.: Beim Ablesen
der Aktivität der Strahlungsquelle müssen Sie Einheiten umrechnen (1 Curie =
37 GBq). Da Ra 226 auch Alpha- und Betastrahlen emittiert, die die Ergebnisse
verfälschen würden, müssen diese zur Bestimmung der Bezugsintensität I0 für
Gammastrahlung durch eine 1 mm dicke Bleiplatte ausgefiltert werden.
Bei unverändertem Abstand Zählrohr – Quelle werden immer mehr Bleiplatten (1
mm, 2 mm, ... bis 10 mm) zusätzlich zur Filterplatte in den Strahlengang gebracht
und die durch gegangene Strahlung I gemessen.
Der Nulleffekt wird ohne Probe mit einer Messung von 5 min Dauer bestimmt.
Trägt man nun nach Abzug des Nulleffektes ln(I/I0 ) gegen die Absorberdicke
auf, so muß sich eine lineare Abhängigkeit ergeben. Daraus kann der Absorptionskoeffizient µ ermittelt werden.
Anschließend wird das gleiche Experiment mit Aluminiumplatten wiederholt, jedoch mit anderen Dicken (5 mm, 10 mm, 15 mm, 20 mm). Bitte messen Sie die
genaue Dicke der Aluminium-Platten (da es Differenzen in den Dicken gibt). Bitte beachten Sie, daß auch im Falle von Aluminium eine 1 mm dicke Bleiplatte zur
Abschirmung der α und β-Strahlung aus der 226 Ra Quelle benutzt werden muß!
Für beide Materialien wird jetzt noch der Massenschwächungskoeffizient errechnet (Dichte (Pb) = 11,34 g/cm3 ; Dichte (Al) = 2,70 g/cm3 ).
Abschließend lese man aus dem Diagramm, das die Abhängigkeit des Absorptionskoeffizienten von der Energie wiedergibt, die Energie der verwendeten Gammastrahlen ab. Fig. 3.3 zeigt den Absorptionskoeffizienten als Funktion von Eγ für
Blei, Fig. 3.2 zeigt den Absorptionskoeffizienten als Funktion von Eγ -Strahlung
für Aluminium.
Für die Absorptionskoeffizienten ist graphisch der Fehler zu bestimmen.
72
V ERSUCH 3A: A BSORPTION
VON
G AMMASTRAHLUNG
Abbildung 3.2: Absorptionskoeffizient als Funktion der Energie der γ-Strahlung
für Aluminium.
V ERSUCH 2B: A BSORPTION
VON
G AMMASTRAHLUNG
73
Abbildung 3.3: Absorptionskoeffizient als Funktion der Energie der γ-Strahlung
für Blei.
74
V ERSUCH 3B: N EUTRONENAKTIVIERUNG
3.1.4 Literatur
3.1.4.1 Grundlagen
• Marmier: Kernphysik I, Kap. 3
• Gerthsen, Kap. 13.1, 18.3.1
3.1.4.2 Themen für das Vorbereitungskolloquium
• Gammastrahlung: welcher Prozeß führt zur Emission, welche Energie hat
die Strahlung
• Funktionsweise eines Geiger-Müller-Zählrohres, Löschzusatz
• Wechselwirkung von Strahlen mit Materie, Absorptionsgesetz, Massenschwächungskoeffizient
3.1.4.3 Fragen, mit denen Sie rechnen müssen
1. Was versteht man unter der Totzeit eines Zählrohres?
2. Woran kann es liegen, daß Zählrohre mit Halogenzusätzen unbegrenzt haltbar sind, solche mit Alkohol als Löschzusatz jedoch nach der Zählung einer
bestimmten Anzahl von Impulsen (108 bis 109 ) unbrauchbar werden?
3. Warum hängt die Einsatzspannung eines Zählrohres vom Durchmesser des
Anodendrahtes ab?
4. Aus welchen Komponenten setzt sich der Totale-Absorptionsquerschnitt
beim Durchgang von Gamma-Strahlung in Materie zusammen?
3.2 Versuch 3B: Neutronenaktivierung
3.2.1 Aufgabenstellung
Durch Aktivierung mit thermischen Neutronen sollen radioaktive Silberisotope
erzeugt und deren Halbwertszeit bestimmt werden.
V ERSUCH 3B: N EUTRONENAKTIVIERUNG
75
3.2.2 Grundlagen
3.2.2.1 Die Aktivierung von Atomkernen durch Neutronen
Bringt man eine Probe, die n Kerne des zu aktivierenden Elementes enthält, an
einen Ort, wo ein Teilchenfluß Φ (Anzahl der Neutronen, die pro Sekunde eine
Einheitsfläche senkrecht durchqueren; die Einheit für diese Größe lautet: 1/sm2 )
herrscht, dann gilt für die Produktionsrate radioaktiver Kerne
dN
= nσΦ
dt
(3.2)
σ ist hier der Einfangquerschnitt der bestrahlten Kerne für thermische Neutronen.
Die gebildeten Kerne zerfallen jedoch nach einer mittleren Lebensdauer τ wieder.
Die Abnahme wird beschrieben durch das radioaktive Zerfallsgesetz:
dN
N
= − = −λN
dt
τ
(3.3)
Nach Integration erhält es die Form:
N(t) = N0 e−t/τ
(3.4)
λ nennt man die Zerfallskonstante dieses Nuklids.
Da die beiden Prozesse gleichzeitig stattfinden, müssen wird die Gln. 3.2 und 3.3
addieren.
N
dN
= nσΦ −
(3.5)
dt
τ
Die Lösung für diese Differentialgleichung unter der Anfangsbedingung (N = 0
für t = 0) lautet:
N = nσΦτ (1 − e−t/τ )
(3.6)
Die Bildung von Kernen strebt also einem Sättigungswert nσΦτ zu.
Wie groß ist nun die Aktivität (−dN/dt) einer Probe, nachdem wir sie T Sekunden bestrahlt haben und dann aus der Neutronenquelle entfernen?
Nach dieser Zeit haben sich (Gl.3.6)
N0 = nσΦτ (1 − e−T /τ )
(3.7)
radioaktive Kerne gebildet, die nun nach dem Zerfallsgesetz (Gl.3.4) abnehmen,
da keine neuen Kerne mehr hinzukommen. Die Aktivität A ist also
A=−
dN
N0 −t/τ
=
e
= nσΦ(1 − e−T /τ )e−t/τ
dt
τ
(3.8)
76
V ERSUCH 3B: N EUTRONENAKTIVIERUNG
Die Anfangsaktivität ist also unabhängig von der mittleren Lebensdauer τ , solange T viel größer ist als τ .
Werden unabhängig voneinander zwei verschiedene Sorten radioaktiver Kerne gebildet, dann addieren sich die entsprechenden Aktivitäten.
A = A1 + A2 = n1 σ1 Φ(1 − e−T /τ1 )e−t/τ1 + n2 σ2 Φ(1 − e−T /τ2 )e−t/τ2
(3.9)
3.2.3 Versuchsaufbau
3.2.3.1 Die Neutronenquelle
Eine gebräuchliche, einfach zu handhabende Neutronenquelle besteht aus einem
Gemisch von Radium 226 mit feinem Berylliumpulver. Das Radium emittiert
spontan Alpha-Teilchen. Diese können von den Beryllium 9-Kernen absorbiert
werden, wobei ein angeregter C13 -Kern entsteht. Letzterer geht unter Aussendung
eines Neutrons in den stabilen C12 -Kern über. In Formeln kann dieser Vorgang so
beschrieben werden:
4
222
226
He
Rn +
Ra −→
2
86
88
13
4
9
C*
He −→
Be +
6
2
4
1
12
13
n
C +
C* −→
0
6
6
Die Radium-Beryllium-Quelle ist zunächst von einer Blei-Abschirmung umgeben, die die Alpha-Teilchen sowie die stets mit entstehenden Gamma-Teilchen
zurückhält.
Die Neutronen können jedoch diesen Bleimantel durchdringen und gelangen in
das die Bleiabschirmung umgebende Paraffin. Dieses hat den Zweck, die Neutronen durch elastische Stöße mit den Protonen des darin enthaltenen Wasserstoffs
auf thermische Energien abzubremsen, da der Einfangquerschnitt aller Kerne stark
von der Neutronenenergie abhängt und für langsame (”thermische”) Neutronen
am größten ist. Diese Energie beträgt etwa 0,025 eV, dies entspricht einer Geschwindigkeit von etwa 2200 m/s. Für diese Moderation genügt eine Paraffinschicht von etwa 4 cm.
In diesem Paraffinblock befinden sich Kanäle zur Aufnahme des zu aktivierenden
Materials. Je geringer ihr Abstand zur Quelle, um so größer ist der dort herrschende Neutronenfluß. Für die Kanäle 1 — 4 beträgt er ca. 50 000 Neutronen/cm2s.
V ERSUCH 3B: N EUTRONENAKTIVIERUNG
77
Abbildung 3.4: Aufbau der Neutronenquelle
3.2.3.2 Die Aktivierung von Silber
Natürlich vorkommendes Silber besteht aus den Isotopen 107 und 109 mit den
relativen Häufigkeiten 51,8% und 48,2%. Beide können durch Einfang eines Neutrons in die nächst schwereren Isotope übergehen. Die Einfangquerschnitte betragen dafür 40 b bzw. 82 b. Ein Barn (b) ist 10−24 cm2 .
Die so entstehenden Kerne zerfallen wie folgt:
107
1
108
108
0
Ag +
n −→
Ag −→
Cd +
β
47
0
47
48
−1
0
110
110
1
109
β
Cd +
Ag −→
n −→
Ag +
−1
48
47
0
47
3.2.4 Versuchsdurchführung
• Zunächst wird der Nulleffekt des Zählrohres über 1000 s gemessen. Dieser
muß von allen folgenden Meßraten abgezogen werden.
• Wir bringen das Silberblech in die Neutronenquelle. Dabei benutzen wir
einen der Bestrahlungskanäle 1 — 4, da hier der größte Neutronenfluß
herrscht und daher auch die größte Aktivität erreicht wird.
78
V ERSUCH 3B: N EUTRONENAKTIVIERUNG
• Nach etwa 10 Minuten entnehmen wir das aktivierte Blech, schieben es über
das Zählrohr und starten gleichzeitig Stoppuhr und Zähler.
• Während der nächsten drei Minuten lesen wir alle 20 Sekunden, die folgenden 5 Minuten alle 60 Sekunden bei weiterlaufendem Zähler den jeweils
erreichten Zählerstand ab.
• Das ganze Verfahren wird dreimal1 durchgeführt.
• Beachten Sie, daß der Nulleffekt abgezogen werden muß.
3.2.5 Versuchsauswertung
Zunächst errechnen wir die Zählraten, indem wir jeweils die Differenz aus zwei
aufeinander folgenden Zählerständen bilden und diese durch die dazugehörende
Zeitspanne dividieren. Diese Zählrate ordnen wir einem Zeitpunkt in der Mitte des
betrachteten Zeitintervalls zu. Wir beziehen alle Zählraten Ni auf die erste (N1 )
und tragen ln(Ni /N1 ) gegen die Zeit in ein Diagramm ein.
Zu unserer Zerfallskurve tragen zwei verschiedene Prozesse mit unterschiedlichen Halbwertszeiten (ca. 25 s bzw. 150 s) bei. Wenn wir davon ausgehen, daß
die kurzlebige Komponente nach 3 Minuten im wesentlichen zerfallen ist, dann
können wir durch die Punkte zwischen 3 und 8 Minuten eine Gerade legen und
aus dieser die Zerfallskonstante und die Halbwertszeit für die langlebige Komponente ermitteln.
Wir extrapolieren diese Kurve zu kleineren Zeiten (< 3 min) und ziehen diese
Werte von der Gesamtrate ab. Aus den so korrigierten Werten läßt sich durch das
Legen einer weiteren Geraden im Bereich 0 bis 3 Minuten auch die Halbwertszeit
für das kurzlebige Nuklid errechnen.
Es gilt jeweils:
∆ ln(N/N1 )
Steigung = −λ =
∆t
λ = Zerfallskonstante.
3.2.6 Literatur
3.2.6.1 Grundlagen
• Tipler, Kap. 40.2
1
Bitte nicht die Zählraten der drei Messungen mitteln, sondern die erst die Halbwertszeit für
jede Messung einzeln bestimmen (siehe Versuchsauswertung) und dann erst die Halbwertszeiten
mitteln.
V ERSUCH 3B: N EUTRONENAKTIVIERUNG
79
• Gerthsen, Kap. 18.2
3.2.6.2 Themen für das Vorbereitungskolloquium
• Atomkerne: Aufbau, Zerfälle, Radioaktivität (α, β, γ), Aktivierung
• Zerfallsgesetz,
• Wirkungsquerschnitt, insbesondere Einfangquerschnitt
• Neutronen, thermische Neutronen, Moderation
• Wechselwirkung von Neutronen mit Materie
3.2.6.3 Fragen, mit denen Sie rechnen müssen
1. Aus dem Verhältnis der Anfangsaktivitäten (t = 0) nach sehr langer Aktivierungszeit (T sehr groß gegen die mittleren Lebensdauern) kann nach
Gl.7 das Verhältnis der Einfangquerschnitte σ1 /σ2 bestimmt werden. Zeigen sie dies!
2. Warum ist Paraffin ein guter Moderator für schnelle Neutronen?
3. Wie sieht qualitativ ein Diagramm aus, in das die Anzahl der radioaktiven
Silberisotope gegen die Zeit eingetragen wird vom Beginn der Aktivierung
bis zum Ende des Versuches?
80
V ERSUCH 3B: N EUTRONENAKTIVIERUNG
Projekt 4
4.1 Versuch 4A: Atomspektren
4.1.1 Aufgabenstellung
1. Aufnahme der Eichkurve mit Hilfe des Heliumspektrums.
2. Aus den Wellenlängen der Balmerlinien des Wasserstoffspektrums ist die
Rydberg-Konstante zu bestimmen.
3. Man bestimme die Wellenlänge der von einem He-Ne-Laser emittierten
Strahlung und ermittle aus dem Termschema des Neons die beiden Zustände, zwischen denen dieser Übergang erfolgt.
4.1.2 Grundlagen
4.1.2.1 Das Bohrsche Atommodell
Nach den klassischen Vorstellungen besteht das Atom aus einem Kern, in dem
praktisch die gesamte Masse vereinigt ist (Durchmesser ca. 10−15 m) und einer
Elektronenhülle (Durchmesser ca. 10−10 m), in der negative Elektronen in Kreisbahnen den positiven Kern umkreisen, wobei Gleichgewicht bestehen muß zwischen der elektrischen Anziehung und der Zentrifugalkraft. Es wurde jedoch bald
erkannt, daß dieses Atommodell in zwei Punkten der experimentellen Erfahrung
widerspricht:
1) Für solche Kreisbahnen müssen alle Radien möglich sein, d.h. das Atom kann
beliebige Energiezustände einnehmen. Aus den Atomspektren wußte man jedoch,
daß nur ganz bestimmte, für das jeweilige Element charakteristische Energien
(Spektrallinien) auftreten können.
81
82
V ERSUCH 4A: ATOMSPEKTREN
2) Sich auf Kreisbahnen bewegende Elektronen führen eine beschleunigte Bewegung aus. Nach den Gesetzen der klassischen Elektrodynamik emittieren beschleunigte Ladungen elektromagnetische Wellen, d.h. sie verlieren Energie. Atome sind aber außerordentlich stabile Gebilde, die nur unter bestimmten Bedingungen Strahlung emittieren oder absorbieren.
Durch zwei ad-hoc-Annahmen (Annahmen, die sich zu diesem Zeitpunkt nicht
begründen ließen) beseitigte Bohr 1913 diese Schwierigkeiten:
1. Nur diejenigen Kreisbahnen sind für Elektronen zugelassen, auf denen der
Drehimpuls ein Vielfaches von (h/2π) ist.
L = mvr = n(h/2π)
(4.1)
h = Plancksches Wirkungsquantum = 6,67·10−34Js.
Auf diesen Bahnen laufen die Elektronen strahlungsfrei um.
2. In jedem dieser erlaubten Zustände besitzt das Atom einen bestimmten
Energiewert. Bei Übergängen zwischen zwei verschiedenen erlaubten Zuständen E1 und E2 muß der Energiebetrag
E2 − E1 = hν
(4.2)
in Form eines Lichtquants (Photons) der Frequenz ν emittiert oder absorbiert werden.
4.1.2.2 Die Energiezustände des Wasserstoffatoms
Ausgehend von dieser Quantisierungsregel (n wird Quantenzahl genannt und
kann die Werte 1, 2, 3, usw. annehmen) gelang es Bohr, die für das Elektron erlaubten Bahnen beim Wasserstoff zu berechnen und die genauen Werte für die
zugehörigen Energien anzugeben.
Die Gleichsetzung von elektrostatischer Anziehung und Zentrifugalkraft ergibt
mv 2
1 e2
=
.
4π0 r 2
r
Daraus berechnen wir den Radius r der Bahn, indem wir gleichzeitig den Drehimpuls L einführen.
4π0 2
r=
L
me2
An dieser Stelle machen wir Gebrauch von der Bohrschen Quantisierung für den
Drehimpuls und erhalten damit diejenigen Bahnradien, auf denen sich ein Elektron um ein Proton bewegen kann:
rn =
0 h2 2
n
πme2
(mit n = 1, 2, . . . usw.)
(4.3)
V ERSUCH 4A: ATOMSPEKTREN
83
Um die Gesamtenergie zu berechnen, die ein Elektron auf einer bestimmten Bahn
n besitzt, müssen wir seine kinetische und seine potentielle Energie addieren:
1 e2
1 e2
1 e2
mv 2
−
=−
+U =
2
4π0 2rn 4π0 rn
4π0 2rn
Der Nullpunkt für die Energie liegt dabei bei rn gleich unendlich.
Mie dem oben gewonnenen Wert für rn (Gl.3) ergeben sich die folgenden Energiezustände für das Wasserstoffatom:
En =
En = −
me4 1
820 h2 n2
(4.4)
Durch die Wahl des Energienullpunktes (er entspricht dem völlig losgelösten
Elektron) ist die Gesamtenergie negativ. Dies bedeutet mit anderen Worten, daß
wir dem Wasserstoffatom den Energiebetrag En zuführen müssen, um das Elektron aus dem Zustand n vom Kern abzutrennen, d.h. das Atom zu ionisieren.
4.1.2.3 Termschema und Spektrum des Wasserstoffs
Die Energiezustände von atomaren Systemen werden in einem sogenannten Termschema dargestellt. Es enthält die möglichen Energien des Systems als horizontale
Striche auf einer vertikalen Energieskala. Erfolgt ein Übergang zwischen zwei Zuständen, dann wird die Differenzenergie emittiert oder absorbiert. Dafür zeichnet
man einen Pfeil zwischen den entsprechenden Niveaus.
Das Bohrsche Atommodell gestattet es, die für das Wasserstoffatom zu erwartenden Frequenzen zu berechnen. Erfolgt etwa ein Übergang zwischen den Niveaus
mit den Quantenzahlen n1 und n2 (n2 > n1 ), dann hat das emittierte Photon die
Energie
E = hν = E2 − E1 =
1
1
1
me4 1
( 2 − 2 ) = K( 2 − 2 )
2 2
80 h n1 n2
n1 n2
(4.5)
Alle Übergänge, die das gleiche Endniveau besitzen, faßt man zu einer Serie zusammen. Für die im sichtbaren Spektralbereich liegenden Linien des Wasserstoffs
hatte Johann Balmer bereits im Jahre 1885 eine rein empirische Formel angegeben, die es erlaubte, mit verblüffender Genauigkeit die Frequenzen der beobachteten Linien zu berechnen (Balmer-Formel):
1
1
1
= R( 2 − 2 ) mit n = 3, 4, . . .
(4.6)
λ
2
n
R bezeichnet man als Rydberg-Konstante.
Wir erkennen durch Vergleich der Gln.6 und 5, daß die Bohrsche Theorie eine
quantitative Erklärung für diese Zusammenhänge und für die Größe R gibt. Man
erhält die Balmer-Serie aus Gl.5 mit n1 = 2 und n2 = 3, 4,. . ..
84
V ERSUCH 4A: ATOMSPEKTREN
4.1.2.4 Isotopieeffekt
In der bisherigen Betrachtung haben wir angenommen, daß sich das Elektron um
einen unendlich schweren und daher ruhenden Kern bewegt. Berücksichtigt man
die endliche Masse des Kerns, dann muß eine Korrektur vorgenommen werden.
Sie besteht darin, daß die Elektronenmasse m durch die reduzierte Masse µ des
gesamten Systems (Kern + Elektron) ersetzt wird. Sie ist definiert durch
1
1
1
+
=
µ
me mK
(4.7)
Diese Änderung bewirkt für den Wasserstoff eine Verringerung aller Energiewerte
um etwa 0,05%.
Untersucht man ein Isotopengemisch aus leichtem Wasserstoff und Deuterium,
dann erkennt man bei genügend hoher Auflösung des Spektralapparates eine Aufspaltung der Linien.
4.1.2.5 Wasserstoffähnliche Atome
Darunter versteht man Atome, die sämtliche Elektronen bis auf ein einziges verloren haben. Die Anwendung der Bohrschen Theorie liefert für die Energiewerte
eine Formel, die sich von Gl.4 nur durch den Faktor Z 2 unterscheidet. Z ist die
Ordnungszahl des betreffenden Kerns.
En (Z) = Z 2 En (H)
(4.8)
4.1.2.6 Die Termschemata von Helium und Neon
Bei Atomen mit mehr als einem Elektron versagt die Bohrsche Theorie. Hier muß
die moderne Quantenmechanik zu Hilfe genommen werden, um die überaus komplizierten Spektren und Termschemata zu erklären. Als Beispiel zeigt die Abb.2
die Darstellungen für Helium und Neon (von diesem nur einen Ausschnitt).
Man erkennt qualitativ, daß es z.B. beim Helium nicht möglich ist, die Energieterme durch nur eine Quantenzahl zu charakterisieren. Die Werte aller Quantenzahlen stecken in den in der Zeichnung angegebenen Bezeichnungen für die Niveaus.
Das Neon zeigt besonders einen Übergang, der für die technische Verwendung
des Neons als Lasersubstanz von großer Wichtigkeit ist. In dieser Abbildung ist
der Nullpunkt der Energieskala (wie meist üblich) der Grundzustand.
V ERSUCH 4A: ATOMSPEKTREN
Abbildung 4.2: Termschemata von He und Ne
85
86
V ERSUCH 4A: ATOMSPEKTREN
Abbildung 4.3: Schema des Spektralapparates
4.1.3 Versuchsaufbau
Die prinzipielle Arbeitsweise eines Prismenspektralapparates wurde bereits in
Versuch 2.2 (Dispersion) beschrieben und kann dort wiederholt werden.
4.1.3.1 Die Eichung eines Spektralapparates
Um Wellenlängenmessungen durchzuführen, muß ein solcher Apparat geeicht
werden. Zu diesem Zweck wird durch das Skalenrohr eine Millimeterskala über
eine Prismenfläche so eingespiegelt, daß sie durch das Objektiv des Fernrohres
ebenfalls in dessen Bildebene abgebildet wird und damit zusammen mit dem
Spektrum gleichzeitig scharf beobachtet werden kann (Abb. 4.3). Ob diese Einstellung erreicht ist, erkennt man gut, wenn man das Auge vor dem Okular hin
und her bewegt und nachsieht, ob sich die Linien gegen die Skala nicht mehr verschieben.
Sollen nun absolute Wellenlängenmessungen gemacht werden, dann muß zuvor
mit Hilfe eines bekanntes Spektrums (z.B. Helium) eine Eichkurve erstellt werden. Dazu trägt man die Wellenlängen der Linien des Eichspektrums als Abszisse
und ihre Lage auf der Skala als Ordinate grafisch auf. Anhand dieser Eichkurve
können dann die Wellenlängen unbekannter Linien bestimmt werden.
V ERSUCH 4A: ATOMSPEKTREN
87
Abbildung 4.4: Wellenlängen des Heliumspektrums in nm
4.1.4 Versuchsdurchführung
Zu 1) Eichkurve
In der Abbildung (Abb. 4.4) sind die für die Eichung benötigten Wellenlängen des
Heliumspektrums angegeben.
Zu 2) Bestimmung der Rydberg-Konstanten R
Nun wird die Heliumlampe gegen die Wasserstofflampe ausgewechselt und die
Wellenlängen der ersten drei Balmerlinien gemessen. Da bei älter werdenden
Röhren der Untergrund zunehmend stärker wird und die gesuchten Linien (besonders die kurzwellige) nicht mehr eindeutig zu identifizieren sind, ist hier noch
ihre ungefähre Lage angegeben:
650 nm, 490 nm, 430 nm
Von mindestens zwei Linien ist die Wellenlänge zu messen und jeweils die
Rydberg-Konstante zu berechnen. Der Mittelwert ist als Resultat anzugeben.
Man führe auch eine Betrachtung zum möglichen Fehler durch ( Zeichengenauigkeit bei der Eichkurve, Ablesegenauigkeit auf Skala und Kurve, usw.)
Zu 3) Termschema des Neons
Auf gleiche Weise bestimme man die Wellenlänge des He-Ne-Lasers und identifiziere diesen Übergang im Ne-Spektrum. Gelingt es Ihnen, aus dem gesamten
Neonspektrum die Laserlinie herauszufinden?
(Dazu strahle man gleichzeitig das Licht des Lasers und dasjenige einer Neonentladungsröhre in den Spektralapparat ein.)
4.1.5 Literatur
4.1.5.1 Grundlagen
• Gerthsen, Kap. 13.3
88
V ERSUCH 4B: S TOSSANREGUNG VON ATOMEN (F RANCK -H ERTZ -V ERSUCH )
• Tipler, Kap. 37.3
4.1.5.2 Themen für das Vorbereitungskolloquium
• Bohrsches Atommodell, Quantenmechanisches Atommodell, Quantenzahlen, Termschemata von H, D, He, He+ , Isotopieaufspaltung
4.1.5.3 Fragen, mit denen Sie rechnen müssen
1. Warum ist der Untergrund der Wasserstoffröhre so stark gegenüber der
Helium- und Neonröhre?
2. Wovon hängt das Auflösungsvermögen eines Prismenapparates ab?
3. Wie groß ist die zu erwartende Isotopieaufspaltung der Hα -Linie? Könnte
die Auflösung des vorhandenen Spektralapparates ausreichen?
4. Was versteht man unter Auswahlregeln? Welche Auswahlregeln kann man
aus den gezeigten He- und Ne-Termschema entnehmen?
4.2 Versuch 4B: Stoßanregung von Atomen
(Franck-Hertz-Versuch)
4.2.1 Aufgabenstellung
1. Aufnahme der Franck-Hertz-Kurve für Quecksilber
2. Bestimmung des Anregungspotentials von Quecksilberatomen
4.2.2 Versuchsaufbau
In einer mit Quecksilberdampf gefüllten Röhre (Franck-Hertz-Rohr) werden thermisch emittierte Elektronen beschleunigt. Mißt man den Anodenstrom Ia der Röhre als Funktion der Beschleunigungsspannung U, so erhält man die in Abbildung
4.5 schematisch dargestellte Kurve. Diese wird auch als Franck-Hertz-Kurve bezeichnet.
V ERSUCH 4B: S TOSSANREGUNG VON ATOMEN (F RANCK -H ERTZ -V ERSUCH )
Abbildung 4.5: Die Franck-Hertz-Kurve
4.2.2.1 Das Franck-Hertz-Rohr
Die im Experiment zu verwendende Meßröhre ist eine Vierpolröhre, die etwas
Quecksilber enthält. Der Röhrenquerschnitt und die Sockelschaltung sind in Abbildung 4.6 zu sehen. Die aus dem Sockel kommenden Kabel sind mit den entsprechenden Buchstaben versehen. Einen detaillierten Schaltplan zur Beschaltung
der Meßröhre finden Sie am Arbeitsplatz.
Um den erforderlichen Quecksilberdampfdruck in der Meßröhre zu erhalten, muß
diese in einem Ofen während der Messung auf 150 – 200 0 C aufgeheizt werden.
Die Ofentemperatur kann über die angelegte Wechselspannung variiert werden.
Um das Rohr nicht zu beschädigen, ist die Temperatur von 200 0 C nicht wesentlich zu überschreiten.
4.2.3 Versuchsdurchführung
• Zunächst heizt man den Ofen mit einer Spannung von 220 V und beobachtet
laufend die Temperatur, die mit einem digitalen Thermometer gemessen
wird. Der Fühler wird dazu zwischen Rohr und Kupferzylinder geklemmt.
• Wenn die Temperatur ca. 175 0 C erreicht hat, wird die Heizung auf ca. 100
V zurückgenommen. Die Arbeitstemperatur liegt bei ca. 200 0 C . Ein maximal Wert von 210 0 C sollten nicht überschritten werden. Die Heizspannung
muß nach Bedarf erhöht oder erniedrigt werden.
89
90
V ERSUCH 4B: S TOSSANREGUNG VON ATOMEN (F RANCK -H ERTZ -V ERSUCH )
1,5V
0−20V
0−300V
+
−
6,3V
Amperemeter
100k
0−2,5V 0−30V
f
fk
g1
g2
A
S
Heizspannumg
100k
Abbildung 4.6: Das Franck-Hertz-Rohr (Aufbau und Beschaltung).
V ERSUCH 4B: S TOSSANREGUNG VON ATOMEN (F RANCK -H ERTZ -V ERSUCH )
• Die Schaltung wird während dieser Zeit aufgebaut.
• Nach Erreichen der Arbeitstemperatur die Kathodenheizung einschalten.
Nach einminütiger Heizung werden die Spannungen angelegt:
Ug1 = 1 bis 1, 5 V; Zusatzspannung = 1,5 V.
Nun wird Ug2 über das 100 kOhm-Potentiometer hochgeregelt und der
Stromverlauf beobachtet, ob er bereits den typischen Franck-Hertz-Verlauf
zeigt. Bei sprungartigem Stromanstieg (Gasentladung wegen zu kleinem
Hg-Druck, d.h. wegen zu kaltem Rohr) Ug2 sofort auf null stellen und die
Rohrtemperatur etwas erhöhen.
Es sollten 3 – 4 Maxima zu sehen sein.
• Die Stromwerte werden in ein Diagramm gegen die Beschleunigungsspannung (0 - 30V in Schritten von 0,5 V) eingetragen. Aus dem mittleren Abstand der gemessenen Maxima erhält man die gesuchte Anregungsenergie.
Die Messung wird nur einmal durchgeführt.
4.2.3.1 Bitte beachten:
• Spannungen nicht an die kalte Röhre anlegen!!
• Bei Gasentladung Spannung sofort auf null!!
• Die heißen Geräte nicht mit der Hand anfassen!!
4.2.4 Literatur
4.2.4.1 Grundlagen
• Gerthsen, Kap. 13.4
4.2.4.2 Themen für das Vorbereitungskolloquium
• Elastische und unelastische Stöße
• Mittlere freie Weglänge
• Bohrsches Atommodell
• Vierpolröhre
• Glühelektronenemission
91
92
V ERSUCH 4B: S TOSSANREGUNG VON ATOMEN (F RANCK -H ERTZ -V ERSUCH )
Projekt 5
5.1 Versuch 5A: Diode
5.1.1 Aufgabenstellung
1. Aufnahme der Diodenkennlinie in Sperr- und Durchlaßrichtung
2. Bestimmung der Energielücke ∆E aus der Temperaturabhängigkeit des
Sperrstromes
5.1.2 Grundlagen
5.1.2.1 Das Bändermodell
Nach ihren elektrischen Eigenschaften lassen sich die Festkörper in drei Klassen
einteilen: Leiter, Halbleiter und Isolatoren. Zum Verständnis dieses unterschiedlichen Verhaltens dient das sogenannte Bändermodell. Bekanntlich sind Festkörper
in Form regelmäßiger Kristallgitter aufgebaut mit den Atomen an den einzelnen
Gitterplätzen. Ausgehend von dem für freie Atome gültigen Modell (Bohrsches
Atommodell) wollen wir versuchen, herauszufinden, wie sich der Übergang vom
ungestörten (freien) Atom zu dem (durch den Einbau in einen Kristall) stark gestörten Atom (d.h. es spürt die Anwesenheit seiner Nachbarn in Form elektrischer
Felder) auf sein Energietermschema aufwirkt.
Durch die Wechselwirkung mit den restlichen Atomen des Kristalls spaltet jedes Energieniveau des Einzelatoms in viele dicht benachbarte Niveaus auf, die
dann als Bänder erscheinen. Es ist anschaulich klar, daß diese Aufspaltung für die
äußeren Niveaus größer ist als für die tiefer (näher beim Kern) liegenden, da für
diese der Einbau in das Gitter ohne Einfluß ist (daher scharfe Röntgenlinien!). Die
93
94
V ERSUCH 5A: D IODE
unteren Energiebänder sind nur bis zum Valenzband VB mit Elektronen besetzt.
Darüber befindet sich das unbesetzte Leitungsband LB.
Entscheidend für das elektrische Verhalten eines bestimmten Festkörpers ist, ob
das oberste Band voll besetzt ist oder nicht, sowie die relative Lage von LB und
VB und die Breite der dazwischen liegenden Zone, in der keine Energiezustände
für die Elektronen liegen. Damit ein Elektron zur Leitfähigkeit beitragen kann,
muß es in der Lage sein, aus dem elektrischen Feld, das angelegt wird, Energie
aufzunehmen. Dazu muß jedoch unmittelbar über dem besetzten Nivau ein unbesetztes zur Verfügung stehen, in das es angehoben werden kann.
5.1.2.2 Leiter und Isolatoren
Beim Leiter kann entweder das Valenzband nur zur Hälfte mit Elektronen aufgefüllt sind (z.B. Na, Cu, Ag, usw.) oder das Valenzband ist voll gefüllt, überlappt
jedoch mit dem Leitungsband, so daß diese Stoffe bereits bei tiefen Temperaturen über bewegliche Ladungsträger verfügen (z.B. Ca). Bei anderen Stoffen ist
die verbotene Zone so breit, daß durch thermische Anregung keine Elektronen in
das LB angehoben werden können. Ist zudem das Valenzband gefüllt, stehen keine freien Ladungsträger zur Verfügung. Dies ist der Fall bei den Isolatoren, z.B.
beim Diamant mit ∆E = 7 eV.
5.1.2.3 Eigenhalbleiter
Ein Sonderfall liegt vor, wenn sich VB und LB nicht überlappen, aber nur durch
eine schmale Lücke getrennt sind (z.B. Germanium mit ∆E = 0, 7 eV). Dann
können schon bei Zimmertemperatur vereinzelte Elektronen die Energie aufbringen, um in das LB zu gelangen. Da die Zahl dieser Elektronen mit der Temperatur stark zunimmt und daher immer mehr Ladungsträger erzeugt werden können
(Elektronen im LB), zeigen diese Stoffe eine mit der Temperatur zunehmende
Leitfähigkeit, während sie am absoluten Nullpunkt isolieren. Man nennt sie Eigenhalbleiter.
5.1.2.4 Störstellenhalbleiter
Werden im vierwertigen Germanium- (oder Silizium-)Kristall einige Atome mit
fünf Valenzelektronen (z.B. Arsen) hinzugefügt, so sind vier Elektronen an kovalenten Bindungen beteiligt, aber das fünfte ist nur mehr lose an das As-Atom
gebunden (Bindungsenergie ca. 0,01 eV) und kann sich sogar bei relativ tiefen
Temperaturen frei durch das Gitter bewegen. Eine derartige Verunreinigung wird
V ERSUCH 5A: D IODE
95
als Donator bezeichnet, da Elektronen als Ladungsträger abgegeben werden. Die
Leitfähigkeit dieses sog. n-Halbleiters (n bedeutet negative Ladungsträger) bei gewöhnlichen Temperaturen ist hauptsächlich auf diese Elektronen zurückzuführen.
Ganz entsprechend kann eine Verunreinigung mit nur drei Valenzelektronen (z.B.
Gallium) beim Einbau in ein Germaniumgitter einem benachbarten Germaniumatom ein Elektron entnehmen, um die vier Bindungen mit seinen Nachbarn zu
vervollständigen. Dadurch entsteht ein Elektronenloch, das wie ein positiver Ladungsträger durch den Kristall wandern kann und zur Leitfähigkeit beiträgt. Eine
derartige Verunreinigung nennt man Akzeptor, das entstehende Material wird als
p-Halbleiter bezeichnet. Zusammenfassend kann man sagen: Beim n-Halbleiter
leiten nur die im LB befindlichen, aus den Donatortermen stammenden Elektronen, während die zugehörigen positive Ionen als ortsfeste Ladungen im Kristall
zurückbleiben. Bei den p-Halbleitern beruht die Leitfähigkeit auf der Beweglichkeit der positiven Löcher im Valenzband, während die zugehörenden Elektronen
als negative Ladungen an die ortsfesten Akzeptoratome gebunden sind.
5.1.2.5 Die Halbleiterdiode
Eine Diode besteht aus einer Kombination eines p- mit einem n-Halbleiter in engem Kontakt. In einem bestimmten Bereich an der Kontaktstelle haben die beweglichen Ladungsträger (+e im p-Bereich und -e im n-Bereich) die Möglichkeit
zu rekombinieren. Es entsteht eine geladene Doppelschicht aus zurückbleibenden
positiven Ionen im n-Bereich und negativen Ionen im p-Bereich. Das von dieser
elektrischen Ladung herrührende elektrische Feld E bringt diese Diffusion von
Ladungsträgern zum Stillstand.
Wird an den Übergang ein elektrisches Feld E0 angelegt, das von der p- zur nRegion weist, dann wird das Feld E geschwächt und es können sich weitere
Ladungsträger in beiden Richtungen über die Kontaktstelle hinwegbewegen. Es
fließt ein Strom. Hat aber das E0 -Feld die entgegengesetzte Richtung, so werden
sowohl die Elektronen als auch die Löcher von der Übergangsstelle weggedrängt.
Es kann kein Strom fließen, die Diode ist in Sperrichtung gepolt. Dennoch kann
durch eine in Sperrichtung gepolte Diode ein sehr kleiner, stark temperaturabhängiger ”Sperrstrom” fließen. Die Erklärung ist die folgende:
Da aus der p-n Übergangsschicht alle durch die Dotierung erzeugten Elektronen
und Löcher abgewandert sind, können diese nicht zur Stromleitung beitragen.
Vielmehr werden thermisch Elektron-Loch-Paare in der Grundsubstanz der Diode
(z.B. Germanium) erzeugt, die den Ladungstransport übernehmen. Die Eigenleitung tritt also an die Stelle der Störstellenleitung.
96
V ERSUCH 5A: D IODE
5.1.2.6 Der Boltzmannfaktor
Der Boltzmannfaktor ist ein Maß für die Wahrscheinlichkeit, daß sich ein Elektron
bei der Temperatur T in einem Energiezustand mit der Energie E befindet.
E
P (E) = Ce− kT
Betrachten wir nun einen Eigenhalbleiter, dann wäre zu erwarten, daß die Anzahl
der Elektronen, die sich bei der Temperatur T im LB befinden, d.h. die auf Grund
ihrer thermischen Energie die Energielücke ∆E überwinden können, proportional
zu P (E) ist. Diese Abhängigkeit wird dann auch der Sperrstrom zeigen.
∆E
Is (T ) = C 0 e− kT
(5.1)
5.1.2.7 Die Diodenkennlinie
Darunter versteht man die Strom-Spannungsbeziehung einer Diode. Man kann
auch hier einen analytischen Ausdruck herleiten, der auf der Boltzmannverteilung
beruht.
Dazu benutzt man die Tatsache, daß eine gegebene Spannung am Kontakt einer
bestimmten Elektronenenergie eU entspricht und die Anzahl der Elektronen mit
dieser Energie durch die Boltzmannverteilung bestimmt ist. Es überrascht daher
nicht, daß der Ausdruck den Faktor e(eU/kT ) enthält. Das komplette Ergebnis der
Herleitung lautet:
eU
I(U) = I0 (e kT − 1)
(5.2)
I0 ist dabei der maximale Sperrstrom (U gegen minus unendlich). Die Kennlinien
sind stark temperaturabhängig.
5.1.3 Versuchsaufbau
Die Halbleiterdiode ist mit gutem Wärmekontakt auf ein Blech montiert, das in
ein Wasserbad eintaucht. Das Wasserbad kann geheizt werden. Die Temperaturmessung T erfolgt mit einem Quecksilberthermometer. Um zu starke Erwärmung
der Diode zu vermeiden, wird der Stromkreis nur zum Ablesen der Meßergebnisse
geschlossen. Die Abbildung 5.2 zeigt die einfache Schaltung.
5.1.4 Versuchsdurchführung und Auswertung
Zu 1) Zur Aufnahme der Diodenkennlinie wird die Diode zunächst in Durchlaßrichtung gepolt. Dann wird, beginnend bei 0 Volt, die Spannung stufenweise
V ERSUCH 5A: D IODE
97
6
Durchlaßstrom i [mA]
20
10
Sperrspannung Us [V]
Durchlaßspannung U [V]
-
20
10
1
2
10
20
?
Sperrstrom is [µA]
Abbildung 5.1: Kennliniendiagramm.
um 0,5 V erhöht (bis 2 V). Der Durchlaßstrom von 30 mA darf nicht überschritten
werden. Zur Aufnahme der Sperrkennlinie wird zunächst die Spannung am Versorgungsgerät wieder auf 0 V gestellt und dann die Diode umgepolt. Die Sperrspannung wird nun in Schritten von 0,2 V bis 0,6 V und in 0,5 V Schritten bis 2
V und weiter in 2 V-Schritten bis 20 V gesteigert. Die Sperrspannung darf 25 V
nicht überschreiten. Die Meßwerte sind anschließend in ein Kennliniendiagramm
einzutragen. Ein Muster zeigt die Abbildung 5.1. Man achte darauf, daß keine
Strommessgeräte benutzt werden können, sondern dazu der Spannungsabfall eines in Reihe geschalteten Widerstandes aufgenommen wird. Die richtige Dimensionierung des Widerstandes überlege man sich selbst.
Zu 2) Zur Bestimmung der Temperaturabhängigkeit von Is beginne man bei der
Temperatur des Leitungswassers und führe die erste Messung durch. Die Sperrspannung Us beträgt während der ganzen Meßreihe 1 V. Dann wird die Heizung
intervallweise ein und wieder aufgeschaltet, so daß sich Temperaturerhöhungen
von etwa 10 0 C ergeben. In den Zeiten, in denen die Heizung abgeschaltet ist,
wird unter Rühren das Temperaturgleichgewicht abgewartet. Ist dieses erreicht,
wird die Strommessung vorgenommen. Die maximale Wassertemperatur darf 60
98
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0
C nicht überschreiten. Für die Auswertung trage man ln(Is /Is1 ) gegen die reziproke Temperatur 1/T in ein Diagramm ein. Is1 ist dabei der erste Wert der Meß
reihe.
1
ln(Is /Is1 ) = ln C − (∆E/k)
T
Aus der Steigung (∆E/k) kann ∆E berechnet werden.
Attention: Überschreiten der angegebenen Grenzwerte führt zur Zerstörung der
Diode:
Maximale Sperrspannung:
Maximaler Durchlaßstrom:
Maximale Temperatur:
25 V
30 mA
60 0 C
5.2 Versuch 5B: Transistor
5.2.1 Aufgabenstellung
Bestimmung des Stromverstärkungsfaktors β eines Transistors
5.2.2 Grundlagen
Ein Transistor besteht aus einer 3-fach Kombination von Halbleitern in engem
Kontakt. Beide Reihenfolgen der Anordnung, pnp oder npn, sind möglich.
5.2.3 Versuchsdurchführung und Auswertung
Die Schaltung wird nach Bild 5.3 aufgebaut. Die Versorgungsspannung des Labornetzgerätes wird auf ca. 5 V geregelt. Um Beschädigungen der Transistoren zu
verhindern, muß darauf geachtet werden, daß die Maximalstrombegrenzung auf
ca. 100 mA eingestellt wird. Für die Widerstände sind folgende Werte zu wählen:
R1 = 47 kΩ, R2 = 100 Ω Die Meßreihe umfaßt 8 verschiedene Spannungsabfälle
an den Widerständen R1 und R2 , beginnend mit 0 V an R1 . Die Spannungsabfälle
werden in Ströme umgerechnet und in ein Diagramm (IB gegen IC ) eingezeichnet. Mit der Steigung der Gerade erhält man den Verstärkungsfaktor β.
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99
5.2.4 Literatur
5.2.4.1 Bücher
• Gerthsen, Kap. 17.4
• Tipler, Kap. 38.5-38.7
• Tietze, Schenk, Halbleiterschaltungstechnik, 10. Auflage,
Kapitel 3 (Dioden) u. 4 (Bipolartransistoren), Seite 23-33
5.2.4.2 Themen für das Vorbereitungskolloquium
• Bändermodell, Valenzband, Leitungsband
• Leiter, Isolatoren, Metalle, Halbleiter
• Eigenhalbleiter, Störstellenhalbleiter, Dotierung, 5-wertig, 3-wertig
• Boltzmannfaktor
• Diode, Halbleiterdiode, Vakuumdiode, Kennlinien, Raumladung, Durchbruch
• Transistor, pnp und npn - Unterschied, bipolar, FET
5.2.4.3 Fragen, mit denen Sie rechnen müssen
1. Wie sieht die Diodenkennlinie bei verschiedenen Temperaturen aus?
2. Wie groß ist ein Band? Wie groß ist eine Bandlücke?
3. Warum gibt es eine Obergrenze für die Sperrspannung, die man an einen
pn-Übergang anlegen darf? Was geschieht, wenn diese Grenze überschritten
wird?
4. Wie sieht die Kennlinie für eine Vakuumdiode aus? Wo sind die Unterschiede zur Halbleiterdiode?
5. Weshalb ist das Valenzband beim Na nur halb, beim Ca jedoch ganz gefüllt?
100
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Für Umpolung +
umstecken! _
V
V
R
Abbildung 5.2: Schaltungsaufbau für die Messung der Diodenkennlinie.
+
Potentiometer
R2
V
V
npn
R1
_
Abbildung 5.3: Schaltungsaufbau für die Bestimmung der Transistorstromverstärkung. Bitte beachten Sie, daß an der Spannungsversorgung am Versuchsplatz der
Anschluß mit dem Symbol der Erdung nur ein Schutzleiter ist, d.h. bitte nicht für
den Anschluß mit dem negativen Potential nutzen.
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101
Wir möchten insbesondere Stephanie Bonnet, Jonas Hellhund, Daniel Hilk, und
Johannes Roskoss für Korrekturen an diesem Skript herzlich danken.
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