Interview mit Robert Kreis vom 27.08.2005 zu seiner Sendereihe „Im Kreislauf der Zeit“ – Schellackraritäten der 20er und 30er Jahre“. Sendung ab 27. März 2006 in SWR2 Musik Spezial: Passagen Nichts war so modern wie die 20er Jahre Robert Kreis geht mit seinen Schellack-Raritäten auf Zeitreise Georg Brandl: Herr Kreis, die aktuelle Sendereihe in SWR2 vor Mitternacht heißt „Im Kreislauf der Zeit“. Ein schönes Wortspiel mit Ihrem Namen und auch ein Paradox, denn eigentlich gehen wir in unserem Kulturkreis ja eher davon aus, dass die Zeit linear verläuft. Was steckt hinter dem Titel? Robert Kreis: Ja, „Im Kreislauf der Zeit“ hat natürlich auch mit mir zu tun, dass ich immer einen Rückblick in der Zeit genommen habe, als Markenzeichen auch in meinen Programmen. Also die 20er und 30er Jahre der Weimarer Republik waren eigentlich große Geschichte. Als ich vor 25 Jahren als Holländer nach Deutschland gekommen bin, war ich eigentlich der Pionier auf den Theaterbühnen, mit Programmen, die speziell dieser Epoche gewidmet waren. Mittlerweile habe ich viele Kollegen, die das von mir übernommen haben und auf ihre eigene Art und Weise viel Erfolg haben mit sogenannten nostalgischen Sachen. GB Aber nicht aus rein nostalgischen Gründen – oder? RK Nein. Es ist immer interessant, Parallelen zu ziehen, damals mit heute zu vergleichen. Dabei stößt man auf beängstigend gleiche Themen. Und das ist mein Kreislauf der Zeit, dass man feststellt, ganz abgesehen von technischen Entwicklungen anno 2005, dass viele Themen gleich geblieben sind. Zum Beispiel die Singlewelt oder die gleichgeschlechtliche Liebe oder das Thema Klonen, aber auch politische Entwicklungen oder etwa die Börsenflaute - das sind auch Themen in meinen Programmen, wie sie früher darüber dachten und jetzt. Alles, was damals schon Thema war und heute noch immer modern ist, nehme ich in meine Programme auf und sage: Nichts war so modern wie die 20er Jahre. GB Also Sie würden sagen, die Themen kehren zurück, die Themen sind eigentlich identisch. Nun haben Sie Ihre Reihe in fünf thematische Blöcke gegliedert: Liebe, Technik, Mode, Urlaub, Reise und starke Frauen, starke Männer. Sind das die großen Themen in den 20er Jahren? RK Nein, das sind nicht die großen Themen. Ich habe ja mehrere von diesen Blocks gemacht für den SWR und die Themen sind einfach so, dass man sagt: Was gab es denn in der Mode, was hat sich verändert in der Mode von damals mit jetzt? Was hat sich verändert in der Mobilität? Was war damals mobil, was haben wir heute? Früher gab es das Telefon, heute haben wir die Handys und so. Zum Beispiel auch das Thema „Starke Männer, starke Frauen“, die haben wir heute auch, viel weniger übrigens als früher. Die starken Männer und starken Frauen entpuppen sich oft als nicht so stark. Das alles sind Themen, von denen ich gemeint habe, das könnte die Zuhörer interessieren. Die meisten Schellacksendungen laufen ja so, dass man etwas über die Orchester erzählt, die damals gespielt haben oder wer in der Band Dirigent war damals, wie die Orchester zusammengestellt waren, wie Schellackplatten funktionieren und so. Und ich habe immer gedacht, in allen diesen Sendungen, die ich gemacht habe, ich nehme ein Thema. GB Dennoch sind die 20er Jahre ja eigentlich eine versunkene Zeit - auch musikalisch. Abgesehen von wenigen Schellack-Klassikern ist das meiste in Vergessenheit geraten. Wie gehen Sie damit um? Interview mit Robert Kreis 2 RK Ich suche die Raritäten, das Unbekannte! Mein persönliches Interesse - und ich hoffe auch das der Zuhörer – ist es, seltene Aufnahmen aus der Zeit zu finden und auf die Bühne zu bringen. Ich bin überhaupt kein Liebhaber von den ganzen bekannten Sachen, wie zum Beispiel „Veronika, der Lenz ist da“. Das ist zwar ganz lustig, klar, aber wir wissen ja mittlerweile, dass es diese Dinge gab. Ich finde es viel interessanter, auch edukativ zu arbeiten und ein bisschen den Leuten zu vermitteln, was es an wichtigen Dingen oder Situationen des Alltags in der damaligen Zeit gab. Und das kann man viel besser aus diesen seltenen Juwelen heraushören, diesen Kabinettstücken, von denen die Zuhörer dann hoffentlich sagen: Ja, aber den Schlager habe ich noch nie gehört. Das ist ja interessant. GB Ja, und was ist mit den schwierigeren Themen aus dieser Zeit? Wirtschaftskrise, Erster Weltkrieg, Nationalsozialismus – sparen Sie die aus? RK Ich erwähne schon Arbeitslosigkeit oder die Perspektivlosigkeit, weil wir die heute auch haben. Aber dass wir so viele Arbeitslose haben, damit wird das heutige Publikum schon genug zugedonnert. Das soll man nicht immer eintrichtern, man kann es nebenbei erwähnen. Aber natürlich bekenne ich Farbe. Gegen die Nationalsozialisten, die alles kaputt gemacht haben, für die Juden, die ermordet wurden oder in die Emigration gegangen sind. Denn es ist klar, dass in der Weimarer Republik siebzig, achtzig Prozent der Kreativität und Ideen von Juden stammten. Und das soll man nicht vergessen: Diese Menschen sind ausradiert worden oder mussten emigrieren, haben fürchterliche Schicksale erlebt. Deshalb finde ich es so wichtig, dass man auch jüngeren Leuten, die diese Zeit überhaupt nicht kennen und eigentlich auch keine Verbindung mehr zu dieser Zeit haben, weil sie viel zu weit weg liegt - dass man denen sagt: Pass mal auf, das und das gab es in den 20er Jahren schon. GB Aber eben eher mit dem Fokus auf die fröhlichen, unterhaltenden Aspekte ... RK Sicher, das meiste ist ja auch Unterhaltungsmusik. Aber es geht mir auch um den Inhalt. Denn die Texter und Komponisten haben damals wirklich Wert gelegt auf Inhalt. Die Schlager hatten damals richtig Inhalt, waren entweder frivol oder sie waren auch scharfsinnig, bissig und kabarettistisch sogar. Die Schlager heutzutage, ich brauche es Ihnen nicht zu sagen, die ... na ja ... Abgesehen von ein paar großen Menschen wie Grönemeyer, die noch wirklich etwas zu vermitteln haben, mit Texten in ihren Schlagern, ist es doch hoffnungslos momentan. GB Aber Sie machen ja auch politische Programme, wie zum Beispiel nach dem Buch „Verehrt, verfolgt, vergessen“ von Ulrich Liebe. Da ging es um die Künstler in den 20er, 30er Jahren, die von den Nazis verfolgt und ermordet wurden. RK Ja, es ist schön, dass Sie das erwähnen. In seinem Buch hat Liebe die Biografien von 50 Künstlern zusammengestellt, die auf eine grausame Art und Weise ihr Leben lassen mussten. Allerdings fehlte ihm das musikalische Repertoire dieser Künstler. Und genau dieses Material hatte ich gesammelt – ein toller Zufall. Ich habe ihn dann angerufen und er sagte „Oh, Robert, das wäre wunderbar, wenn du liest aus meinem Buch und zur gleichen Zeit pianistisch und mit Conferencen, Persiflagen und Parodien erzählst, was die Leute damals schon gebracht haben.“ GB Das das so zusammenpasste, war wohl weniger Zufall als gemeinsames Interesse. Sie sammeln ja schon seit Ihrer Jugend Schellackplatten. Wie groß ist denn Ihre private Sammlung und was gab Ihnen überhaupt den Anstoß zu sammeln? Wann war das? Interview mit Robert Kreis 3 RK Ich habe meine Sammlung mittlerweile abgegeben. Das meiste ist an junge wissenschaftlich interessierte und musikalische Menschen gegangen, die über die 20er und 30er Jahre forschen. Dafür habe ich damals eigentlich auch die Sammlung aufgebaut. Ich finde es so faszinierend, dass vor allem junge Leute hier in Deutschland – es sind mittlerweile Hunderttausende - diese Weimarer Zeit sammeln und archivieren. Sie beschäftigen sich intensiv damit, schreiben Essays oder Kritiken in Zeitungen oder stellen Bücher zusammen über die damalige Zeit. Das finde ich wichtig. Denn es soll auch nach mir weitergehen in den nachfolgenden Generationen. Ich bin jetzt Mitte 50 und habe das was ich brauche auf Band, weil ich jetzt ein reiferer Mann werde. (lacht) GB Da haben Sie ja mit dem Christian Schönecker in der Sendung einen Partner, mit dem Sie ganz hervorragend fachsimpeln können über dieses Thema. RK Ja. Er ist als junger Mann theoretisch sehr weit, da weiß er manchmal viel mehr als ich. Ich bin eher künstlerisch mit dieser Zeit verbunden, ich habe die Texte immer sozusagen verlebendigt auf der Bühne. Und darin haben wir uns beide sehr gut ergänzt. Ich lerne sehr viel von ihm, was er mir erzählt über genaue Details der damaligen Zeit, weil er so ganz präzise alles archiviert und beschrieben hat. Deshalb habe ich dann auch gesagt: „Lass uns versuchen für diese Sendereihe beim SWR zusammenzuarbeiten. Und das hat auch mit der ganzen Crew, mit Petra MeunierGötz und mit Manfred Seiler und mit Regine Schneider, eine hervorragende Cutterin übrigens, die das alles wunderbar zusammengeschnitten hat, tadellos funktioniert und sehr viel Spaß gemacht. Und ich freue mich auf diese Sendungen. GB Ich würde gerne noch einmal auf das Thema Sammeln zurückkommen. Sie haben so viele Jahre intensiv gesammelt, wie kann man sich das denn vorstellen? Läuft man da ständig über Flohmärkte und besucht alle Plattenbörsen? Geht man regelmäßig zu Auktionen? RK Ja, jahrelang habe ich viel gesammelt und tatsächlich Flohmärkte abgeklappert - oder Versteigerungen oder Nachlässen und so. Das habe ich nun 30 Jahre gemacht, das war sehr schön, aber mittlerweile findet man auch nicht mehr viel Neues. Obwohl man sagen muss, also es gibt sehr leidenschaftliche Schellacksammler. Ich kenne ein Ehepaar, die haben 150.000 Schellack gesammelt. Die Frau wollte sich letztes Mal unbedingt scheiden lassen von ihrem Mann und dann habe ich gesagt „Amelie“, so hieß sie „Amelie, warum guckst du so traurig? Das ist doch schön, dass der John das alles macht, diese Sammlerei.“ Dann sagte sie: „Ja, aber er will mittlerweile auch Regale in meine Küche einbauen. Und das geht natürlich nicht. Jetzt muss ich mich unbedingt von ihm trennen, weil das geht mir zu weit.“ GB Aber was kann man denn dann überhaupt noch sammeln? Ich meine irgendwann gibt es ja wahrscheinlich gar nichts mehr Neues zu entdecken, oder gibt es da verborgene Schätze, so etwas wie die Blaue Mauritius bei den Briefmarken für Schellackplatten, kostbare Stücke, die man überall sucht? RK Immer gibt es etwas Neues zu entdecken. Es gibt immer wieder fabelhafte neue Raritäten, dass man denkt, das kann nicht wahr sein, ich dachte ich wäre komplett mit der Künstlerin oder dem Künstler. Und dann findet man auf einmal unterwegs irgendwo in den Bergen, in der Schweiz, in einer alten Alpenhütte ist auf einmal einen Flohmarkt, und der Mann hat einfach eine Platte, die man 40 Jahre gesucht hat. Es ist immer wieder was dabei. Es ist also ein unerreichbares Labyrinth eigentlich. Je mehr man in diese Geschichte einsteigt, je weniger findet man ein Ende. Interview mit Robert Kreis 4 GB Wie in jeder Forschung: Je tiefer man in eine Sache einsteigt, desto größer und unüberschaubarer erscheint einem das ganze Gebiet. RK Ja. Und die sind so wahnsinnig kreativ gewesen und haben solche wahnsinnigen Sachen auf die Beine gestellt, dass man heute nur noch karg und sozusagen mager vor sich hin leben kann, wenn man das vergleicht. Denn diese ganze Gesellschaft hat sich auch natürlich völlig verändert. Durch die ganze digitale Welt ist der Mensch auch mittlerweile verlaptopt, um es mal so auszudrücken. Ich meine das nicht negativ, aber ... GB ... Sie idealisieren die goldenen Zwanziger ein bisschen? RK Nein. Früher waren die Medien natürlich nicht so vertreten wie heute. Und die Medien haben auch sehr, sehr viel in der Richtung kaputt gemacht, das darf man nicht vergessen. Also, dass nicht mehr viel zustande kommt zwischen Menschen an einem Tisch, die eine verschiedene Art und Weise, zum Beispiel auf der Bühne agieren. Früher traf ein Operettenkomponist sich mit dem Schlagersänger und mit dem Jazzkomponisten und sie haben gesagt: „Sag mal, wie wäre es denn“ bei einem Glas Likör oder einem Glas Champagner haben sie gesagt „Komm, lass uns hier, heute Abend, auf der Stelle noch, mit Operettendiven wie Fritzi Massari oder Trude Hesterberg oder hervorragende Hermann Haller-Revuen-Tänzerinnen wie Irene Ambrus, lass uns eine Jazzoper zusammenschreiben. Die schreiben wir heute Nacht noch bis vier Uhr.“ Und dann haben sie im Romanischen Cafe gesessen, an der Gedächtniskirche in Berlin, und um fünf Uhr stand die Jazzoper. Und die haben sie dann zwei Monate später zur Premiere gebracht. Es waren rasende Zeiten, rasend interessant und rasend kreativ vor allem. GB Die wilden 20er Jahre, war ja auch in Deutschland ein Begriff. RK Ja, die wilden 20er. Kulturell betrachtet, waren die richtig wild. GB Nun sammeln Sie nicht nur, ich möchte ganz gerne noch am Schluss des Gesprächs draufkommen, sondern Sie singen ja auch, tanzen, leben Ihre Begeisterung für diese Zeit auf der Bühne aus. 2005 feierten Sie Ihr 25-jähriges Bühnenjubiläum. Wie viele Auftritte haben Sie denn so im Jahr und wie sieht so ein Jubiläumsprogramm aus? Picken Sie da die Rosinen aus Ihrer ganzen Laufbahn? RK Na ja, es waren natürlich sehr viele Programme, die ich hier gebracht habe und da muss man irgendwo eine Selektion machen. Und „Jubilee“ wie das Programm heißt, das sind dann eigentlich die sogenannten, ja, wie man immer so schön sagt, Höhepunkte von allen Programmen, die man präsentiert hat, die habe ich versucht in einem Programm zusammenzubringen. Man hört aber auch oft aus dem Saal: „Ah, Rob, sing doch mal die Nummer noch“ und so, oder: „Herr Kreis, singen Sie mal die, dafür bin ich gekommen“ und so. Und dann kommt das auch noch hinterher. Das ist kein Problem. Ich habe in den 25 Jahren minimal 220 Vorstellungen pro Jahr gemacht, oft waren es 250. 1996 hatte ich ein Rekordjahr, da waren es 301 Vorstellungen. GB Meine Güte, das ist ja fast jeden Tag! Interview mit Robert Kreis RK 5 Und ich lebe noch immer! GB Ja, und sehen noch gar nicht so kaputt aus. Haben Sie eigentlich, ich meine, Sie haben wahrscheinlich mehrere Grammofone Zuhause. Haben Sie auch so etwas Schnödes und Modernes wie einen CD-Player oder lehnen Sie so ein neumodisches Zeug ab? RK Natürlich habe ich einen CD-Player, aber der steht in einem schönen 30er Jahre Schrank, sodass man ihn nicht sieht. Aber auch darin entkomme ich der Gegenwart natürlich nicht, ein CDPlayer ist natürlich wunderbar. Denn mittlerweile gibt es, Gott sei Dank, einen interessanten Markt von Menschen, die ihre Sammlungen auch auf CDs herausbringen. Wunderbare kleine Firmen, die das machen. Und da freut man sich immer, dass man was hört, was man selber noch nie gehört hat. Und das ist toll. „Im Kreislauf der Zeit“ – Schellackraritäten der 20er und 30er Jahre 5-teilige Sendereihe mit Robert Kreis und Christian Schönecker SWR2 Musik Spezial: Passagen 27. März 2006, 22.03 Uhr 24. April 2006, 22.03 Uhr 29. Mai 2006, 22.03 Uhr 26. Juni 2006, 22.03 Uhr 31.Juli 2006, 22.03 Uhr SOS, ich suche dringend Liebe Ach ich bin ja so mobil Die Linie der Mode Wenn ich Urlaub habe Starke Frauen, starke Männer