Newsletter 2-2007

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JUGENDKULTUR, RELIGION UND DEMOKRATIE
POLITISCHE BILDUNG MIT JUNGEN MUSLIMEN
Nr. 2/15. OKT. 2007
Newsletter des Modellprojekts in Berlin-Neukölln und Essen-Katernberg/-Altendorf
EDITORIAL
Liebe Leserinnen und Leser,
dies ist der zweite Newsletters des bpb-Modellprojekts „Jugendkultur, Religion und Demokratie.
Politische Bildung mit jungen Muslimen“. (Eine Projektbeschreibung finden Sie im Newsletter
Nr.1 auf der Homepage von ufuq.de. []) Die Resonanz auf die erste Ausgabe war ausgesprochen positiv. Sie spiegelte deutlich den Informationsbedarf wider, den es bei Multiplikatoren in
Schulen, Jugendeinrichtungen und Behörden zu den Themen Islam, Islamismus und Jugendkultur unter Jugendlichen aus muslimisch geprägten Milieus gibt.
Es gab aber auch kritische Reaktionen. Vor allem ging es dabei
um die Auswahl der Stimmen, die wir im Newsletter präsentiert
EDITORIAL
1
haben. Wir würden, so hieß es in einer Zuschrift, ein „einsei1. HINTERGRUND
2
tiges“ Bild von der muslimischen Jugend in Deutschland zeich„Was guckst Du?“ –
nen. Diese hasse den Westen, liebe die Hizbullah und stelle eine
Mediennutzung von
antisemitische und integrationsunwillige Randgruppe dar, die
muslimischen Jugendlisich vornehmlich für homophobe Rap-Texte begeistere – kurz:
chen (Teil 2)
Wir würden das Bild einer „Horde von Problemverursachern“
2. MUSLIMISCHE, ARABISCHE
4
zeichnen.
UND TÜRKISCHE STIMMEN
Dies liegt uns fern. Vielmehr soll der Newsletter über PhänomeRamadan, Verbände zu
ne, Einstellungen und Themen informieren, die von JugendTerror und Gewalt,
lichen mit arabischen, türkischen und/oder muslimischen FamiHiphop zu Nahost, Pierre
lienhintergrund diskutiert werden und der breiten Öffentlichkeit
Vogel über „Ungläubige“,
wenig oder gar nicht bekannt sind. Und weil es vorrangiges Ziel
Fatwa gegen Ehrenmorde
des Projekts ist, durch politische Bildungsarbeit Einstellungen
3. PUBLIKATIONEN
16
vorzubeugen, die das Zusammenleben in einer demokratischen
Schwimmunterricht,
Gesellschaft in Frage stellen, nimmt die Dokumentation von
Islamforum, Mus„Problemthemen“ relativ großen Raum ein. Womit selbstverlimische Bürger und
Zeitzeugenbegegnungen
ständlich nichts über „die“ Muslime gesagt ist.
4. HINWEISE & MATERIALIEN
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Auch steht die Bewertung der dokumentierten Positionen nicht
„Koran im Kopf“ und
im Vordergrund. Sicherlich: Über die Ideologie der Hizb ut„Hamburger Lektionen“
Tahrir möchten wir nicht streiten – sie ist eindeutig. (s. NL
1/2007) Anders sieht das schon bei den Songtexten zu den
Kriegen im Nahen Osten aus, die wir in dieser Ausgabe dokumentieren: In ihrer Mischung aus
emotionaler Betroffenheit und Ideologie entziehen sie sich einer unmittelbaren Bewertung. Sie
sind Ausdruck von dramatischen Erfahrungen, die manch ein deutsch-libanesischer Jugendlicher während des Krieges im Sommer 2006 machen musste. Die Texte sprechen eine deutliche
Sprache und drängen sich für Diskussionen mit Jugendlichen geradezu auf. Und darum geht es
uns: Der Newsletter soll zur kritischen Auseinandersetzung mit jungen Muslimen anregen, indem Themen und Positionen dokumentiert werden, die diese Jugendlichen beschäftigen.
Zum Schluss noch etwas zur Versendung des Newsletters: Dieser erscheint alle sechs Wochen
und wir würden uns freuen, wenn Sie ihn an potentielle Interessenten weiter verbreiten könnten. Falls Sie den Newsletter nicht weiter erhalten möchten, bitten wir Sie, uns dies mit einer
kurzen Mail mitzuteilen. ([email protected])
RAA/Büro für
interkulturelle
Arbeit
MaDonna Mädchenkult.Ur e.V.
1. HINTERGRUND
onsforschung oft benutzte Begriff der „Diaspora-Gemeinschaft“ nur bedingt zur Beschreibung der Online-Kommunikation von
Migranten. Schließlich, so Hugger, lasse sich
die Nutzung türkischer Internetangebote
nicht mit einer sozial-kulturellen Abgrenzung in einer ethnisch-homogenen Gruppe
gleichsetzen. Gerade die Internet-Nutzung
von deutsch-türkischen Jugendlichen sei
vielmehr ein Beispiel für die Entstehung eines „transnationalen sozialen Raums“ (Hugger: 7), in dem Themen, Sprachen und kulturelle Codes aus deutschen und türkischen
Kontexten miteinander verbunden werden.
Die deutsch- und türkischsprachige OnlinePlattform Vaybee! (vaybee.de) steht für
einen solchen grenzüberschreitenden kommunikativen Raum. Als kommerzielles Angebot, das im Frühjahr 2000 initiiert wurde,
versteht sich Vaybee! als „zentrale(r) Treffpunkt und die Quelle für Informationen, Interaktion, Business und Commerce der neuen türkischen Generation in Europa“. („Über
„Was guckst Du?“ – Zur Mediennutzung von Jugendlichen mit arabischen, türkischen und muslimischem
Familienhintergrund (Teil 2)
Neuere Studien zur Mediennutzung von Jugendlichen haben die besondere Bedeutung
des Internets als Kommunikations- und Informationsmittel hervorgehoben. Jugendliche Migranten unterscheiden sich darin nur
unwesentlich von ihren herkunftsdeutschen
Altersgenossen. Nach einer repräsentativen
Umfrage, die jüngst von der Medienkommission der ARD und ZDF durchgeführt
wurde, wird das Internet von 38% der 14
bis 29-jährigen Migranten täglich genutzt.
Unter den befragten Deutschen sind dies
46%. (ARD/ZDF, Migranten und Medien
2007: 12)
Die Bedeutung des Internets für die Identitätsentwicklung von Jugendlichen ist dagegen bisher kaum erforscht. Der Bielefelder Medienpädagoge Kai-Uwe Hugger kommt zu der Einschätzung, „dass
die Offline-Lebenswelten zunehmend
durch Online-Lebenswelten ergänzt
werden, mit einschneidenden Folgen
für das Jugendalter. Das Netz bietet
den Jugendlichen heute einen immer
gewichtiger werdenden Teil derjenigen Ressourcen, die sie für ihr soziales Miteinander und das Aushandeln
eines authentischen Bildes von sich
selbst benötigen.“ (Kai-Uwe Hugger,
Transnationale soziale Räumen: 12)
„Offline-Leben“ und „Online-Leben“
sind danach nicht zwei separate
Sphären des jugendlichen Alltags.
Vielmehr handelt es sich um zwei eng
miteinander verwobene Lebensbereiche, in denen Jugendliche denken und
handeln.
Deutsch-türkisches Online-Portal Vaybee!
Am Beispiel von deutsch-türkischen
Jugendlichen beschreibt Hugger die
uns“, vaybee.de) Bereits 2004 zählte das
Bedeutung dieser Internetnutzung im KonPortal mit über 300.000 registrierten Nuttext von Migration und Identitätsentwickzern zu den am meisten genutzten Onlinelung. Dabei eignet sich der in der Migrati-
2
2
Angeboten unter deutsch-türkischen Migranten. Die thematische Mischung aus Lifestyle, Musik, Politik und Erotik zielt vor allem auch auf Jugendliche als potentielle
Nutzer.
Ganz ähnlich „funktionieren“ die Online-Portale MarocZone (maroczone.de) und Afghanmania (afghanmania.de). Trotz deutlicher Anspielungen an eine gemeinsame marokkanische bzw. afghanische ethnische
Identität bedienen diese Portale ein
deutschsprachiges Publikum nicht-deutscher
Herkunft, dessen vielfältige Interessen in
den Foren zum Ausdruck kommen.
Religiöse Inhalte stehen dagegen im Mittelpunkt der Online-Angebote, die von
deutschsprachigen Seiten wie Muslim-Markt
(muslim-markt.de)
und
Muslima-Aktiv
(muslima-aktiv.de)
präsentiert
werden.
Trotz der Zugehörigkeit des Muslim-Markts
zum
virtuellen
schiitisch-islamistischen
Netzwerk des deutsch-türkischen Aktivisten
Yavuz Özoguz wendet sich das Portal ausdrücklich auch an eine sunnitische Öffentlichkeit. Neben konkreten religiösen Fragen
stehen vor allem politische Themen wie der
Konflikt in Israel/Palästina, im Irak und in
Afghanistan im Mittelpunkt. Vornehmlich an
Frauen wendet sich dagegen das Forum
Muslima-Aktiv, dessen Publikum zu einem
großen Teil durch deutsche Konvertiten geprägt
ist.
(Brückner,
Islamisches
Cyberspace: 11)
Ohne dass konkrete Daten erhältlich wären,
scheint die Reichweite beider Foren unter
jugendlichen Migranten allerdings begrenzt.
Deutlich populärer unter Jugendlichen sind
die multimedialen Angebote des islamischen
Community-Portal Waymo. Das Portal, dass
im Frühjahr 2007 gelauncht wurde, bietet
mittlerweile einen umfangreichen Fundus an
Videos und Audio-Dateien, die neben Koranrezitationen und Sendungen zu religiösen
Fragestellungen diverse Aspekte des Themas „Islam in Deutschland“ ansprechen. Aiman Mazyek, Generalsekretär des Zentralrats der Muslime und verantwortlich für
Waymo, beschreibt das Portal als Versuch,
den Islam im Web 2.0 zu etablieren: „Wenn
Sie so wollen ist Waymo ein Klon zwischen
3
YouTube und StudiVZ, nur ganz auf die Bedürfnisse unserer Community zugeschnitten.“ (Islamische Zeitung, 20. Juni 2007)
Jugendliche Migranten finden sich auch im
breiten Spektrum der Nutzer von Community-Portalen wie MySpace. Herkunft und Religionszugehörigkeit spielen dabei häufig eine
wichtige Rolle. Mit der Bebilderung des eigenen Profils mit libanesischen oder palästinensischen Fahnen oder durch die Wahl von
Nicknamen, in denen auf die kurdische oder
bosnische Herkunft angespielt wird, betonen die Nutzer ihre Zugehörigkeit zu einer
Illustration des MySpace-Profils “SMZA & Crecko”
bestimmten ethnischen Gruppe. Die Nutzung dieser Portale zeichnet sich dabei
durch die Offenheit für unterschiedliche jugendkulturelle und politisch-religiöse Einflüsse aus. So vermischen sich auf einigen
Seiten Hiphop-Videos mit explizit islamischen Texten und politischen Stellungnahmen.
Das Interesse jugendlicher Migranten an
politischen und gesellschaftlichen Themen,
das in diesen Portalen zum Ausdruck
kommt, ist dabei keineswegs passiv. Gerade die Möglichkeit, eigene Inhalte produzieren zu können, scheint die Popularität
dieses Mediums auszumachen.
Die Bedeutung arabischer und türkischer
Fernsehsender für jugendliche Migranten ist
Thema des nächsten Newsletters.
3
Literatur:
in unseren Ländern – neue Wege zu gehen
und vorwärts zu kommen. Wir bleiben, wo
wir sind, jammern und beklagen unser
schweres Los – und dann schauen wir wieder
weg und machen weiter wie zuvor. (...)
Die Sorgen Palästinas, des Iraks, des Libanons und des Sudans beschäftigen die Araber
und Muslime in jedem Moment – es gibt
eine feste Bande, die die Araber (in
Deutschland) an die Umma bindet. Und jeder von uns wird von den Deutschen als Repräsentant aller Araber und Muslime betrachtet. Als Saddams Armeen Kuwait angriffen, wurden wir für sie alle zu Saddams.
Als die Serben die Muslime in Bosnien
massakrierten, wurden wir zu Opfern. Mit
Tränen der Anteilnahme und des Mitleids
über unser Schicksal, schauten sie uns an.
Am Tag, als Muhammad Al-Durra gewaltsam und in die Enge getrieben getötet wurde, tötete man uns alle. Und nach den Ereignissen des 11. Septembers – möge Allah
alles Unglück von Euch abwenden – waren
wir alle verdächtig, selbst jene, die in ihrem
ARD/ZDF, Migration und Medien 2007. Ergebnisse
einer repräsentativen Studie der ARD/ZDF-Medienkommission, 05. Juni 2007. []
Matthias Brückner, Zentrale Aspekte des islamischen Cyberspace – ein Überblick, 2004 (Powerpoint-Präsentation). []
Ahmet Attila Dogan, Internet-Online-Dienste mit
türkischem Inhalt in Deutschland, in: Ev. Akademie Loccum (Hg.), Zwischen Autonomie und
Gängelung. Türkische Medienkultur in Deutschland, Loccum 2002.
Kai-Uwe Hugger, „Transnationale soziale Räume
von deutsch-türkischen Jugendlichen im Internet“, MedienPädagogik, 10. Okt. 2005. []
2. MUSLIMISCHE, ARABISCHE UND
TÜRKISCHE STIMMEN
Al-Dalil zum Ramadan: „Rechte werden
nicht gegeben, sondern erkämpft“
Die September-Ausgabe der Berliner Zeitschrift Al-Dalil stand ganz im Zeichen des
Fastenmonats Ramadan. In einem Leitartikel gibt der Herausgeber des arabischsprachigen Magazins seine Sicht auf die Stimmung in der arabischen Community in
Deutschland wider. Verbitterung über die
Entwicklungen im Nahen Osten und Frustration über den geringen Einfluss von Migranten in der hiesigen Politik spiegeln sich in
seiner Botschaft an die arabisch-islamische
Bevölkerung in Deutschland. Zugleich fordert er die Muslime und Araber auf, selbst
aktiv zu werden:
„Der alljährliche Ramadan steht in diesem
Jahr in Deutschland und besonders in Berlin
unter denkwürdigen Vorzeichen. Er kommt zu
einer Zeit, in der die Umma (die islamische
Gemeinschaft) weltweit in dunkelsten Verhältnissen lebt und schwere Tage durchmacht. (…) Hier in der Fremde spüren wir die
Schmerzen der Umma über das, was (in der
arabisch-islamischen Welt) geschieht, vielleicht noch stärker. Trotzdem versuchen wir
nicht – und darin gleichen wir den Menschen
4
Illustration des Profils “Ein wahrer Weg” auf MySpace
Leben keine Moschee von innen gesehen
haben. (…) Mitten unter den Menschen auf
den Straßen Berlins wurden wir alle zu Bin
Laden, verfolgt von tödlichen Blicken und
Anklagen. Alle unsere Kinder, sogar die
Mädchen, hießen an jenem Tag Usama, jeder Schleier wurde zur Zeitbombe und jedes
orientalische Gesicht zu einer Sprengladung
kurz vor der Explosion.
4
Die Gemeinde (der Araber und Muslime)
möchte der deutschen Regierung ganz klar
sagen: Wir sind friedliche Menschen, aber
wir lehnen den Überfall auf den Irak und die
Und nachdem die arabischen Organisationen (in Deutschland) ihre Vorreiterrolle aufgegeben haben und Ämter und institutionelle Interessen über Prinzipien stellten, machte sich Angst in den Herzen der Gemeindemitglieder breit.
Lasst uns in die Moscheen und Kirchen gehen, unseren Kinder die göttlichen Lehren
und die arabische Sprache beibringen. Lasst
uns sie lehren, wie man sich in die deutsche
Gesellschaft integriert, um so eine Generation heranwachsen zu lassen, die mit der Gesellschaft, in der sie lebt, im Austausch
steht und sich gleichzeitig unserer Sorgen
und Angelegenheiten bewusst ist. Lasst uns
unsere Kinder dazu motivieren, sich politischen Parteien und zivilgesellschaftlichen
Initiativen anzuschließen, so dass unsere
Stimme sichtbar und hörbar wird und wir
merken, dass Rechte nicht gegeben werden, sondern dass man sie sich erkämpfen
muss. Wenn wir uns auf uns selbst zurückziehen und darauf warten, dass die Vereine
und Verbände irgendetwas für uns tun, verschwenden wir Zeit und Mühen. (...)
Wir halten weiter an unseren legitimen
Rechten fest – und warten darauf, dass der
Tag kommt, an dem unsere Kinder der
zweiten und dritten Generation unsere Angelegenheiten unter der Kuppel des deutschen Parlaments diskutieren werden. Und
weiterhin hoffen wir, dass sich die Anstrengungen bündeln lassen. Vielleicht bietet der
diesjährige Ramadan erstmals Anlass, Stolz
für eine Gemeinde zu empfinden, die bis
heute auf der Suche nach Orientierung
war!“ (Al-Dalil, Sep. 2007 [])
Geschehnisse in Palästina ab. Wir sind kein
Volk, das den Terror liebt, aber wir unterstützen den legitimen und moralisch gerechtfertigten Widerstand gegen die Invasoren im Irak und gegen die blinde Tyrannei
in Palästina. In beiden Fällen handelt es sich
um offenkundige, unentschuldbare Aggressionen, die weder legitim noch moralisch
sind!
Islamische Verbände verurteilen Anschläge und Radikalisierung
Postkarte einer Nachbarschaftsaktion islamischer Vereine in Berlin zum Zuckerfest
Scharf verurteilten islamische Verbände die
Anschlagspläne, die Anfang September aufgedeckt wurden. Dabei wurde auch die Verantwortung von Muslimen und ihren Verbänden und Gemeinden betont, aktiver als
bisher gegen eine Radikalisierung von Muslimen vorzugehen. In einer Stellungnahme
Als Gemeinde stehen wir am Rande der Gesellschaft, in der wir leben. Wir haben keinen Einfluss und hinterlassen keine Spuren.
Weder fordern wir unsere Rechte noch stehen wir ein für unsere Angelegenheiten.
5
5
des Koordinationsrats der
Deutschland (KRM) heißt es:
Muslime
in
Auch die Türkisch-Islamische Union der Anstalt der Religion e.V. (DITIB) rief die islamischen Gemeinden auf, vor allem die Jugend vor einer Radikalisierung zu schützen:
„Wir sehen mit Sorge, dass die mutmaßlichen Täter deutscher und türkischer Herkunft sind. Aufgrund der Vorfälle wie am
gestrigen Tag sollten die Muslime in
Deutschland ein wachsames Auge haben.
Der Islam lehnt jegliche Form von Gewalt
und Extremismus ab und daraus erwächst
das Selbstverständnis für jeden Muslim sich
gegen Radikalismus zu stellen und das Gemeinwesen in Deutschland zu schützen. Alle
muslimischen Gemeinden in Deutschland
sollten verstärkt im Rahmen ihrer Gemeindearbeit vor Terrorismus warnen und insbesondere die Jugend vor extremistischen
Verführern schützen.“ (06. Sep. 2007 [])
„Anlässlich der jüngsten Festnahmen von
Terrorverdächtigen in Oberschlehdorn und
des bevorstehenden 6. Jahrestags des 11.
September 2001 verurteilen die im Koordinationsrat der Muslime in Deutschland KRM
gemeinsam wirkenden muslimischen Verbände Terror und Gewalt im Namen ihrer
Religion auf das Schärfste. Dieser erneute
Versuch des Missbrauchs der friedlichen und
friedliebenden Religion des Islams für extremistische und terroristische Interessen ist
eine existenzielle Belastung des Miteinanders von Muslimen und Nichtmuslimen in
unserer Gesellschaft. Der KRM ruft alle Muslime in Deutschland auf, sich für den Frieden in der Gesellschaft einzusetzen und jeglichen extremistischen Ideologien eine deutliche Absage zu erteilen und ihnen keinen
Platz in Moscheen zu gewähren. Der KRM
stellt jedoch auch fest, dass Islamfeindlichkeit und Antisemitismus in den letzten Wochen und Monaten erschreckende Maße angenommen haben. (…) Der KRM appelliert
an Politik und Gesellschaft, die Muslime
nicht als Teil des Problems sondern als Teil
der Lösung zu begreifen und unterstreicht
die gemeinsame Verantwortung die Auseinandersetzung mit extremistischem Gedankengut zu führen, um das friedliche Miteinander in diesem Land zu sichern.“ (06. Sep.
2007 [])
Auf scharfe Kritik stieß zudem der antisemitisch motivierte Übergriff auf einen Rabbiner
in Frankfurt Anfang September 2007. []
Mit deutlichen Worten distanzierte sich DITIB zudem von Drohungen gegen Günter
Wallraff, der wegen seines Vorschlags, die
„Satanischen Verse“ in einer Kölner DITIBMoschee zu lassen, im Internet als „Feind
des Islams“ bezeichnet worden war:
„Die fortschrittliche Religionsauffassung des
Islams rechtfertigt unter keinen Umständen
die Androhung oder den Einsatz von Gewalt. Wir lehnen daher Terrorismus, den
Einsatz oder die Androhung von Gewalt unter jeden Umständen ab. Der Koran bildet
auch in Deutschland für unsere Gesellschaft
die spirituelle Grundlage unserer Religiosität. Er darf aber keineswegs als Rechtfertigung zur Gewaltanwendung herangezogen
werden.“ (24. Sep. 2007 [])
Der Generalsekretär des Zentralrats der
Muslime in Deutschland (ZMD), Aiman Mazyek, betonte die Notwendigkeit einer intensiveren innerislamischen Auseinandersetzung mit dem Terrorismus:
„Ich erwarte jetzt von den Muslimen, dass
sie sich noch energischer mit Extremismus
und Terrorismus auseinandersetzen und die
Gemeinden dafür sensibilisieren, dass es
Bürger– und Muslimpflicht ist, Extremismus
zu melden. Der ZMD ist sehr an einer Aufklärung des Hintergrundes dieser Männer
interessiert.“ (05. Sep. 2007 [])
6
SaDe und Taleb Khalil: Ehrenmord und
Libanon-Konflikt im deutschen Hiphop
In der aktuellen Diskussion um GangstaRap geht es vornehmlich um gewaltverherrlichende und sexistische Texte. Weniger
Aufmerksamkeit bekommen Songs, in de-
6
nen junge Interpreten die Konflikte im Naan der sich auch yezidische Jugendliche behen Osten verarbeiten und ihre Wahrnehteiligten, ging es dementsprechend hoch her.
mung der Ereignisse zum Ausdruck bringen.
Mittlerweile ist das Video nur noch auf dem
In Online-Foren wie MySpace und YouTube
Portal MyVideo zu sehen. []
finden sich diverse Musikvideos, in denen
Wir dokumentieren im Folgenden Textausaktuelle Konflikte beispielsweise im Irak,
züge. Ihre suggestive und emotionale Kraft
dem Libanon oder Palästina im Mittelpunkt
entfalten die Stücke aber erst im Zusamstehen. Die Kommentare, die dazu auf den
menhang mit Musik und Bildern.
jeweiligen Seiten hinterlassen werden, machen deutlich, wie emotional auch Jugendli„SaDe: Ruhe in Frieden –
che in Deutschland auf diese AuseinanderMord an Doha“
setzungen reagieren.
Ein aktuelles Beispiel ist das Lied „Ruh in
Frieden – Mord an Doha“, das im August
„Siebzehn Jahre alt, verliebt in einen Junvon dem deutsch-libanesischen Rapper
gen, hatte eine Horde gestandener Männer
„SaDe“ als Video in verschiedenen Foren
sie bezwungen. Die eigene Familie hat diegepostet wurde. Thema des Stücks ist das
ses Kind verraten, durch Verrat folgten unSchicksal eines 17-jährigen kurdisch-yezidimenschliche Taten. Hunderte von Menschen
schen Mädchens, das im Frühjahr diesen
sehen tatenlos zu, keiner schreitet ein, das
Jahres im Nord-Irak von Familienangehörigen
gesteinigt wurde. Hintergrund des
„Ehrenmordes“, der als Videoaufnahme im Internet
kursierte und weltweit empörte Reaktionen auslöste,
war die vermeintliche Beziehung des Mädchens zu einem muslimisch-arabischen
Mann. Im Kontext der ethnischen
und
religiösen
Spannungen im Irak kam es
nach dem Mord zu Angriffen
auf Yeziden, die in der Vergangenheit in der Türkei
und im Irak oft als „Teufelsanbeter“ verfolgt wurden.
Das Entsetzen über den
Mord, aber auch die Wahrnehmung der Yeziden als
Musikvideo "Libanon" auf YouTube
„Ungläubige“, kommen in
dem Song zum Ausdruck.
Grauen nimmt seinen Lauf. (…)
Während der Mord an dem Mädchen als kollektive Tat eines frevlerischen Volkes dargeHabt ihr nicht gesehen, verdammt es war
stellt wird, suggeriert das Video, in dem die
ein Kind! Was zu weit ging, ging zu weit.
dramatischen Bilder der Steinigung verarbeiUnd hütet euch, wenn ihr diese Tat im Natet werden, dass es sich bei den Yeziden um
men Gottes meint!
eine fünfte Kolonne Israels im Irak handele.
Durch falschen Glauben hat man dieses
In der deutschsprachigen AuseinandersetKind getötet, und das Blut dieses Kindes hat
zung, die sich auf YouTube entwickelte und
die ganze Welt errötet. Das ist haram, was
7
7
man diesem Menschen antat – und das sind
die Worte, die nicht ich, sondern der Islam
sagt.
Sie kriecht am Boden, sie weint und sie
fleht sie an. Die Männer jubeln, als das
Mädchen nicht mehr flehen kann. Durch
Tritte drangsaliert, durch Schläge blutet sie,
ein Mann ballt beide Fäuste zu einer und
prügelt sie. Er zerschmettert voller Kraft ihr
Gesicht. Alle schauen zu, wie das kleine
Kind zerbricht. Man zieht ihr den Rock hoch,
alleine liegt sie da. Ihre Hände schützen ihr
Gesicht an diesem letzten Tag. Blutrünstig
fallen alle über Doha her, treten ihr in den
Unterleib – und Doha kann nicht mehr. Keiner bemerkt und sieht wie sie Angst hat.
Man zieht sie an den Haaren hoch und wirft
sie auf den Asphalt. Wie ein Stück Fleisch
ohne Seele behandelt man das zarte kleine
junge Leben. (…)
Wie konnte so was passieren, was sind das
für Menschen, die einem Kind mit einem
Stein das Gesicht zertrümmern. Was sind
das für Menschen, die ein Kind demütigen,
bespucken, beschimpfen, schlagen, treten,
ausziehen – und dann meinen, so die Ehre
der Familie wieder herzustellen. Die selber
die Ehre des Mädchens nicht würdigen. Sie
hat nichts getan. Sie hat nur geliebt. Sie hat
nichts verbrochen! Ihr seid keine Muslime,
das hat nichts mit Islam zu tun. Das ist haram, was ihr getan habt.
In welchem Vers im Koran sagt Allah: ‚Ihr
sollt aufgrund von Liebe töten!’ Allah
braucht keinen von Euch Ungläubigen, um
zu strafen. (…) Allah wird Euch dafür richten. (…) Was habt Ihr Kuffar mit Islam zu
tun. Ihr Ungläubigen nehmt den Namen
Gottes in den Mund?!“ []
nicht gegen Juden richte, sondern die unmittelbare Wut über den Krieg wiedergebe.
„SaDe: Libanon“
„Sieht denn keiner, wie im Libanon die Kinder schreien, wie die Kinder leiden. Wie täglich Kinder weinen. Mütter liegen im eigenen Blut erschossen. Wie viel Blut ist bis
zum heutigen Tag geflossen? Wie viel muss
noch fließen, wie viel muss passieren, damit
die Menschen diese Falschheit ihrer Tat kapieren? Väter knien vor den Leichen der
Kinder und Frauen. Menschen können voller
Angst sich nicht mehr vor die Türe trauen.
Dieser Alptraum lässt sie abhauen, lässt die
Menschen durch das Grauen selbst ihr Grab
bauen. (…)
Ich stehe ein für das Land meiner Brüder,
gegen euch skrupellose Mörder und Betrüger! Wir stehen hier vereint im Herzen Libanons und warten alle bis zum Tag, an dem
der Frieden kommt!
Der Tag erscheint leer und man wacht
durch Schüsse auf. Wie lange halten es die
Leute im Libanon aus. Sie flüchten vor dem
Tag, sie flüchten vor der Nacht. Sie werden
durch die Explosionen dennoch umgebracht.
Auf den Straßen Beiruts bildet sich ein Meer
aus Blut. Obwohl das jeder weiß, lässt man
so ein Blutbad zu. (…)
Die Welt läuft an uns vorbei und hat keinen
Schimmer, denn was im Nahen Osten passiert, ist wahrlich viel schlimmer. Deren Augen bleiben verschlossen, uns bleibt nur
noch hoffen. Der Glaube an Allah hält uns
unsere Wege ständig offen. (…)
Ich stehe ein für das Land meiner Brüder,
gegen euch skrupellose Mörder und Betrüger! Wir stehen hier vereint im Herzen Libanons und warten alle bis zum Tag, an dem
der Frieden kommt!
Hass überflutet meinen Körper, ich dreh
durch. Haben diese Menschen denn vor Allah keine Furcht? Ich weine, weil wir jeden
Tag die Wahrheit mitbekommen. Und sehen, wie sie jeden Tag erneut auf Häuser
bomben. Ein Kind läuft die Straße lang,
morgens, will zur Schule. Sie rennt, weil sie
Zuvor hatte SaDe bereits das Stück „Libanon“ herausgebracht. Wie im Fall von
„Doha“ löste auch das Musikvideo über den
Libanon-Krieg, das bis Oktober 2007 allein
auf YouTube über 100.000 mal angesehen
wurde, viele Reaktionen aus. In diesem Fall
allerdings überwiegend positive. In einer
Stellungnahme betonte ein Co-Produzent
des Clips, dass sich das Lied ausdrücklich
8
8
zu spät ist. Es lässt ihr keine Ruhe. Doch
voller Elan hebt der Soldat das Gewehr.
Heute sind es Engel, die dem Mädchen diese Welt erklären. (...)
Falscher Alarm, unnötig geschockt, doch zur
Sicherheit schießt man ihr lieber in den
Kopf. Inshallah geht es euch Brüdern und
Schwestern im Himmel gut. Man ließ euch
keine Chance und wollte euren Tod. Heute
muss hier keiner mehr nach den Schuldigen
suchen. Schuld an diesem Elend seid ihr
skrupellose –––.“ []
jeden von uns einen schicken Orden. Ihr
holt den Holocaust zurück, ihr seid verrückt
geworden. Wer ist jetzt radikal, wer ist der
Terrorist ? (…)
Wo sollen die Leute hin, ohne zu Hause,
Mann, da wo es einmal war, ist jetzt nur
noch einen Haufen da. Glaub mir, die Bomben auf Haifa gehen mir genauso nah, doch
was sie hier mit uns machen, ist einfach zu
grausam, Mann. (…)
Wenn der Tag dann kommt, dann glaubst
auch du! Vergeben kann nur Gott. Er schaut
uns zu, Gerechtigkeit wird kommen, unser
Leben wird wieder gut. Wenn der Tag dann
kommt, dann glaubst auch du! Vergeben
kann nur Gott. Er schaut uns zu, Gerechtigkeit wird kommen, unser Leben wird wieder
gut.
Bismillah al-Rahman al-Rahim. Mein Land
der Zedern, was musst du noch ertragen.
Schon wieder fließen Blut und Tränen durch
deine Straßen. Schon wieder Schutt und
Asche, wir wollen doch nur kurz atmen.
Schon wieder müssen wir zusehen, wie du
kaputt gemacht wirst. Meine Familie ist da,
mein Bruder kommt nicht raus. Südlibanon,
hier fallen die meisten Bomben drauf. Dayaa, kleines Dorf in den Bergen. Alles liegt
unter Beschuss, keine Chance, sie zu bergen.
Kein Brot, kein Strom, kein Wasser. (…) Er
sagt am Telefon, dass er keine Angst hat.
Doch ich hab Angst, soviel Angst, dass es
mich krank macht. Leute schreien im Hintergrund durcheinander. Mein Bruder sagt
durchs Telefon: ‚Taleb, bleib stark, Mann!’
Er macht einen kleinen Witz und sagt mir:
‚Mach Dir keine Sorgen. Grüß Mama und
Papa von mir, wir hören uns beide morgen!’
Mama, stark wie ein Löwe, guck wie sie
kämpft! Sie geht raus, macht alles publik,
bis jeder euch kennt. Sie sitzt die ganze
Zeit am Telefon, danach ruft sie dich an. Sie
geht in jede Show, erzählt, Mann, sie tut
was sie kann. Und Papa? Mann, du weißt,
wie er ist, er will cool sein, aber hat Angst,
doch er zeigt es dir nicht. Er sagt: ‚Wenn
wir stark bleiben, dann verzweifeln wir
nicht.’
Bruder, du weißt Bescheid, Mann, ich lebe
für dich! Ich gebe für dich, mein Herz und
„Taleb Khalil: Mahdi“
Persönliche Erfahrungen des Libanon-Krieges sind auch Thema des deutschsprachigen Songs „Mahdi“, das von dem Berliner
Sänger Taleb Khalil produziert wurde. Es
handelt unter anderem von seinen telefonischen Gesprächen mit einem Bruder, der
sich während des Krieges im Südlibanon
aufhielt. Anlässlich des ersten Jahrestages
des Krieges stieß das Video in den vergangenen Wochen erneut auf Beachtung:
„Ihr habt für New York geweint, warum
weint ihr nicht für uns? (…) Da drüben ist
ein Krieg, den keiner von uns haben will.
Unsere Leute sterben für einen Krieg, den
sie nicht haben wollen. Ich meine, wer
glaubt ihr, dass ihr seid? Seid ihr Gott, oder
was? Glaubt, ihr könnt einfach so ankommen und alle Leute umbringen? Und dafür
nicht mal bestraft werden?
Dieser Track ist nicht anti-israelisch, er ist
pro-menschlich! Ich sehe die Bilder und
fühle mich als wäre ich ohnmächtig. Es ist
so dreckig, was hier grad passiert, die Welt
schaut weg, obwohl meine Leute hier grad
krepieren. Ich rappe diese Zeilen unter Tränen, das ist nicht untertrieben. Ich sehe
mein Land untergehen, wie sie es bombardieren. Wie sie wiederkommen und das Tag
für Tag. Wie meine Leute draufgehen, langsam, Sarg für Sarg. (…)
Und jeden Tag heißt es: Aus Versehen!
Doch irgendwann schafft ihr es nicht mehr,
euch raus zu reden. Ich weiß, ihr kriegt für
9
9
Blut, und ich rede für dich. Ich bete für
dich. Und dann lese ich für dich, unser
Buch. (…) Du bist mein Blut, also wähle ich
dich. Ich gebe meine Seele für dich, doch
jetzt versprich mir eins, Bruder: Bitte lebe
für mich!“ []
und ideologischen Bezügen des Vereins zum
Spektrum der islamistischen Muslimbrüderschaft.
Einen Einblick in das religiöse Selbstverständnis und die programmatische Ausrichtung des Vereins bietet das viel beworbene
Buch „Jung & Muslim“ von Murat Demiryürek, das im Sommer 2007 im MJD-nahen
Green Palace Verlag erschienen ist. Im Vorwort des Buches heißt es: „Mit diesem Buch
soll jungen Menschen geholfen werden, sich
einen Zugang zur Religion zu verschaffen.
Es soll klar werden, dass Religion durchaus
etwas Lebbares ist und keinen Bereich unseres Lebens auslässt.“ Im Mittelpunkt der
Darstellung stehen dabei unterschiedliche
Situationen des jugendlichen Alltags, in de-
Muslimische Jugend in Deutschland:
„Jung & Muslim“
Die Muslimische Jugend in Deutschland e.V.
(MJD) ist einer von mehreren islamischen
Vereinen, die in den letzten Jahren mit vielfältigen zivilgesellschaftlichen Initiativen in
die Öffentlichkeit getreten sind. Die bundesweit aktive Organisation bemüht sich dabei
nach eigener Darstellung darum, Muslimen
der zweiten und dritten Generation die Möglichkeit zu geben, sich als Muslime konstruktiv in die Gesellschaft einzubringen.
Die MJD engagiert sich insbesondere im Bereich des interreligiösen Dialogs. Kritik an
der MJD gründet vor allem in personellen
10
Veranstaltungsankündigung des Berliner Vereins
al-Hiwar
nen Konflikte mit dem Glauben entstehen
können. Die Faszination, die von materiellen
Werten, von Alkohol und Drogen ausgeht,
10
der Reiz einer freundschaftlichen oder sexuellen Beziehung, der Besuch einer Disko
und die Gefahren einer kriminellen Karriere
sind Beispiele, an denen Demiryürek die alltäglichen Herausforderungen muslimischer
Jugendlicher beschreibt.
Viele dieser Probleme sind nach Ansicht Demiryüreks dem Leben in einer religionsfernen Gesellschaft geschuldet: Die religionsfeindliche „Lehre des Rationalismus“, die
bereits in der Schule verbreitet werde, die
gesellschaftlich geförderte Distanzierung
der Kinder von der Autorität ihrer Eltern
und die vermehrte mediale Präsenz von
„Minderheitsreligionen oder gar kuriose(n)
Sekten, welche tief im Amazonas oder im
fernen Osten beheimatet sind“, bilden den
Rahmen, vor dem die Orientierungslosigkeit
junger Muslime zu verstehen sei. Verstärkt
wird dies noch durch die unzeitgemäßen
Methoden der religiösen Erziehung und die
„unislamischen Traditionen“, die in vielen
muslimischen Familien praktiziert würden.
Die Gefahren, die für einen derart verunsicherten Jugendlichen bestehen, werden von
Demiryürek anschaulich beschrieben. Ein
besonderes Augenmerk legt er dabei auf die
Verlockungen der Zina, des außerehelichen
Geschlechtsverkehrs.
Die
menschliche
Schwäche für körperliche Reize und das
Treiben Iblis, des Teufels, stellen den Jugendlichen permanent auf die Probe, die
letztlich nur durch eine strikte Einhaltung
der islamischen Kleiderordnung und tiefen
Glauben bestanden werden kann:
“Wer sich freiwillig in eine Situation begibt,
wo alle sexuellen Anregungen gegeben sind,
kann sich nicht mehr beherrschen, weil die
Anziehungskraft des nackten Körpers zu
groß wird und die Widerstandskraft der Person bricht. (…) Ich habe viele Brüder gesehen, die stolz darauf waren, ständig in solchen Situationen zu sein und nicht Unzucht
begangen zu haben. Für sie stellte die Sache einen Nervenkitzel dar. Doch genau diesen Leichtsinn nutzte Iblis bei ihnen aus,
um sie in immer schwerere Prüfungssituationen zu locken, bis auch ihre Widerstandskraft gebrochen ist. Iblis hat mehr Wissen
11
als wir und ist auf dem Gebiet der Unzucht
definitiv erfahrener.
Der oft beobachtete Prozess mit der Freundin sieht wie folgt aus: Als erstes wird sich
‚verliebt’. Eine optimale Zeit beginnt. Beide
können es kaum abwarten, sich mit dem
anderen zu treffen oder sich gegenseitig anzurufen. Dann kommt der erste Körperkontakt durch das Händehalten und dem ersten
Wangenkuss zustande. Später sitzt man
eng an eng zusammen. Es berühren sich
immer mehr Körperstellen und irgendwann
reicht das nicht mehr aus. Es kommt zur
Zina. Was anfangs mit einem schönen
Bauchkribbeln begann, endet mit einer
wirklich großen Sünde.
Unmittelbar nach dem Geschlechtsakt setzt
eine tiefe Verbitterung und das Gefühl, etwas Schlechtes getan zu haben, ein. Wer
noch nicht einmal dieses Gefühl im Herzen
bekommt, dem gnade Allah. Denn das Herz,
was schmerzen soll, kann wegen Leblosigkeit nicht mehr schmerzen. Dieser Zustand
stellt sich bei Menschen ein, welche die Verbitterung des Herzens nicht als Möglichkeit
nutzen, von der Sünde reuig Abstand zu
nehmen. Stattdessen bleiben sie bei der
Sünde und das Herz stirbt.
Nach dem Geschlechtsakt ist Iblis sofort das
zweite Mal zur Stelle und sagt, dass man
etwas sehr Schlechtes gemacht hat. Dies
macht er nicht, um uns dazu zu ermutigen,
Reue für die Tat zu zeigen, sondern um uns
einzureden, wie schlecht und sündhaft wir
sind. Das Ganze dient dazu, den Widerstand
vor der nächsten Sünde zu reduzieren.“
Trotz der Gefahren, die den muslimischen
Jugendlichen in der nicht-islamischen Umgebung drohen, plädiert Demiryürek ausdrücklich gegen einen Rückzug aus der Gesellschaft. Nicht die Abwendung in Form von
Kriminalität oder Selbstisolation bietet für
ihn eine Lösung, sondern allein die Rückbesinnung auf den Islam:
„Das Strafgesetz ist von uns Muslimen automatisch mit anerkannt, wenn wir den Islam
befolgen. Deshalb ist eine islamische Rückbesinnung in mehrheitlich muslimischen
Stadtvierteln (so seltsam sich das auch anhören mag) für mich die einzige Möglich-
11
keit, die uns Muslimen hierzulande bleibt.
Kriminalitätsbekämpfung via Islam!“
Gleichzeitig ruft er zu einer aktiven Beteiligung der Muslime am gesellschaftlichen Leben auf:
„Durch das Abspalten signalisiert man der
Umgebung, dass der Islam das Ausscheiden
aus der Gesellschaft bedeute. Dieser Fehler
ist leider immer noch oft zu beobachten. Mit
dieser Einstellung machen sich viele das Leben schwer. Wenn mit Personen nicht mehr
geredet wird, weil sie Nichtmuslime oder
nicht praktizierende Muslime sind, kann den
Leuten nicht beigebracht werden, dass der
Islam eine lebbare Religion ist. Das erzeugt
bei ihnen eine Abneigung gegenüber dem
Islam, für die wir dann verantwortlich sind.“
Das Handeln des Einzelnen ist insofern bedeutsam: „(J)eder einzelne Mensch (ist)
wichtig für diese Gesellschaft. Deshalb legt
Allah einen riesigen Wert auf jeden einzelnen Menschen, schreibt ihn nicht ab und
wartet auf seine Reue. Jeder trägt somit
eine Teilverantwortung für die Entwicklung
der Welt. In diesem Zusammenhang kann
man dann verstehen, warum eine Tat überhaupt als Sünde bezeichnet wird: Sünden
tragen dazu bei, dass der persönliche Niedergang und daraus folgend der Niedergang
der Gesellschaft beschleunigt wird!!!“
Vogel, der mit bundesweit organisierten Vorträgen und seinen im Internet dokumentierten Reden auf großes Interesse stößt, wendet sich damit auch gegen Dialog-Veranstaltungen, in denen die beteiligten Religionen als gleichberechtigt angesehen
werden. Auf Grund seines strikten Verständnisses der islamischen Lehre wird
Vogel auch von vielen Muslimen scharf kritisiert. Eine Sammlung von Vorträgen, die
Vogel in den vergangenen Jahren gehalten
hat, findet sich auf dessen Website diewahrereligion.de. Ein Bericht über Pierre
Vogel erschien jüngst in der Zeit.[] Auch
in einer ZDF-Sendung von Frontal 21 ging
es um Vogels Einfluss unter jungen Muslimen. []
Pierre Vogel in einer Video-Präsentation auf der
Website www.diewahrereligion.de
Pierre Vogel: „Wir sind nicht im
Schmusekurs, es geht um den Islam“
Die Rede über die „Kuffar“ ist im Folgenden
in Auszügen dokumentiert:
„Wenn Du im Deutschen ‚Ungläubiger’
sagst, bedeutet das: Der glaubt an nichts.
Atheist! Wenn Du zum Beispiel sagst: Der
glaubt an die Schamanen-Religion, dann sagen die: Och, der ist gläubig, der glaubt ja
an was! Wenn du sagst: Der ist Buddhist,
dann sagen die: Ja, der glaubt ja an was,
der ist ja Buddhist. Wenn du sagst, der ist
Hinduist, dann sagen die, der ist nicht ungläubig, der glaubt ja an was! Ein Ungläubiger ist im Deutschen nur jemand, der Atheist ist.
In einem Vortrag zum Thema „Was bedeutet Kafir im islamischen Sinne?“ betont der
deutsche Konvertit Pierre Vogel, dass sich
der Begriff des „Ungläubigen“, des „Kafirs“,
auch auf Christen und Juden beziehe. Zudem gehören auch Muslime, die sich von
einzelnen Prinzipien des Islam abgewendet
haben, zu den „Kuffar“ (Plural von „Kafir“).
Der Islam sei dagegen die einzig wahre Religion. Deswegen sei es die Aufgabe der
Muslime, den „Kuffar“ deutlich zu machen,
dass allein das Bekenntnis zum Islam vor
dem Höllenfeuer bewahre.
12
12
Im Arabischen ist jeder ein ‚Kafir’, der den
Islam leugnet – und selbst wenn er nun
einen Teil vom Islam leugnet. Wenn beispielsweise jemand sagt: Ich bezeuge, dass
es keinen Gott gibt außer Allah und ich bezeuge, dass Muhammad der Gesandte ist.
Und er betet und er fastet und er gibt Zakat
aus – und er sagt, dass die Hadj nicht Pflicht
ist, dann ist er mit Ijma’a, mit Konsens der
Gelehrten des Islams ein Kafir, einer der den
Islam leugnet. Denn Allah sagt im Koran:
Glaubt er an das eine von dem Buche und
nicht an das andere – wer auch nur einen
Teil des Buches ist ein Kafir. (…)
Wenn jemand sagt: Ein Christ ist kein Kafir –
dann ist er selber ein Kafir! Weil Allah sagt
im Koran: Diejenigen sind Kuffar, die sagen,
'Allah ist der Messias, der Sohn der Maria'.
Heute sagen die Christen: der Vater ist
Gott, der Sohn ist Gott und der Heilige Geist
ist Gott. Die sagen: Jesus ist Gott – und alle
zusammen sind nur ein Gott. (…)
'Ich schwöre beim gewaltigen Gott' – Wer
daran nicht glaubt, und stirbt so, wer
glaubt, dass Juden und Christen Gläubige
im islamischen Sinne sind, und (Angehörige) der richtigen Religion sind, der wird für
alle Ewigkeit in die Hölle gehen. Und das ist
ein ganz klarer Fall und das sage ich nicht,
um Juden oder Christen zu bekämpfen. Im
Gegenteil, ich will, dass diese Menschen
zum Islam kommen. Diese Botschaft ist
jetzt hauptsächlich für sogenannte Muslime,
die den Islam nicht kapieren. (…)
Man muss den Leuten auch klar machen,
dass sie den Islam annehmen müssen.
Warum sollte er den Islam annehmen, wenn
er in die Moschee reinkommt und sagt: ‚Ja,
ich bin Katholik, aber ich glaube Muhammad
ist ein Prophet!’ Dann sitzen die (die Muslime) da vorne und sagen: ‚Schön, das ist
aber ja toll, dass sie das glauben, ach ja
schön. Sie haben ihre Religion, wir haben
unsere.’ Dann muss man aber doch diesem
Menschen sagen: ‚Hör mal, irgendwas
stimmt doch da nicht! Wenn Du glaubst,
dass das ein Prophet ist, dann kann ja irgendwas nicht stimmen. Dann kann ja Deine Religion nicht stimmen, weil der Islam
dem Christentum ja in fundamentalen Sa-
13
chen widerspricht. Das zum Beispiel Gott
gestorben und geboren ist und so weiter
und so fort.’ Aber mit dieser Methode, dieser Angsthasenmethode, bei der man noch
nicht mal in der Lage ist, jemanden zu sagen, dass er Muslim werden will – dadurch
wird doch keiner Muslim! ‚Ja guck mal, was
wir für eine schöne Religion haben! Komm,
trinken wir ein bisschen Tee!’ ‚Ach, das ist
aber schön!’ ‚Die Muslime beten fünfmal am
Tag!’ ‚Ja, das ist aber schön!’ Dadurch wird
er aber noch kein Muslim – sondern Du
musst ihm auch klarmachen, dass er Muslim werden will! Und das ist die Dawa des
Propheten!
Was hat der Prophet gemacht, als Allah zu
ihm gesagt hat: ‚Oh Gesandter, stehe auf
und warne!’ Was hat er gemacht, ist er zu
den Quraish gegangen und hat gesagt: ‚Ja,
wisst ihr, ich hab ein schöne Religion, wir
trinken Tee, oder was?!’ Nein, er hat gesagt: ‚Oh ihr Volk der Quraish! Ich bin euch
ein deutlicher Warner! Vor euch liegt eine
deutliche Strafe!’ (…)
Deswegen sind die Gesandten Warner! Man
muss den Leuten sagen, dass wenn sie den
Islam nicht annehmen, gehen sie in die Hölle, sonst nehmen sie den Islam sowieso
nicht an. (…)
Wer zu feige ist, zu sagen, dass der Islam
die wahre Religion ist, als Muslim, der hat
den Islam nicht verstanden. Ganz klarer
Fall. Wer zu feige ist und denkt, er hätte die
richtige Dawa-Methode, der ist an der
falschen Stelle. Natürlich muss man nicht
gleich sagen: ‚Hallo, ihr seid alle verkehrt!’
Aber man muss klar machen, man muss die
Sache auch rüberbringen. Wir sind nicht im
Schmusekurs, sondern es geht hier um den
Islam, es geht um die Religion Allahs. Er
hat die Gesandten als Warner und Vorboten
geschickt – und nicht, damit die mit den
Leuten Tee trinken. Du kannst ruhig mit
den Leuten Tee trinken – damit das nicht
wieder einer falsch versteht, weil sonst sagt
nachher wieder jemand, Pierre Vogel hat
gesagt: Man darf kein Tee trinken! – Du
kannst ruhig Tee mit denen, nur versuch
doch, die Sache rüberzubringen. Du musst
13
nicht mit der Tür ins Haus fallen, aber trotzdem: Das ist die Botschaft!“ []
als ‚Ehrenmord’, den manche Männer an ihren Töchtern, Schwestern, Ehefrauen oder
auch Frauen aus der Verwandtschaft begehen. Er geschieht unter dem Vorwand, dass
diese etwas getan hätten, was gegen Züchtigkeit und Ehre verstoße. Auf der anderen
Seite sind diese Männer aber nicht erzürnt,
wenn sich Männer aus ihrer Verwandtschaft
so verhalten (wie sie es den Frauen vorhalten) – als ob Züchtigkeit allein der Frau auferlegt wäre. In Wirklichkeit handelt es sich
dabei nicht um eine Frage von Ansehen und
Ehre, sondern eher um patriarchalisches
Stammesdenken, von dem noch immer viele Menschen beherrscht sind.
Fatwa gegen Ehrenmorde
Der hohe schiitische Geistliche Muhammad
Hussein Fadlallah hat sich in einer Fatwa
ausdrücklich gegen die Praxis der „Ehrenmorde“ gestellt. Diese Morde verstießen gegen das islamische Recht und seien Ausdruck von „patriarchalischem Stammesdenken“. Die Erklärung Fadlallahs, der als einer
der spirituellen Führer der libanesischen
Hizbullah gilt, erschien Anfang August in der
Zeitschrift Bayyanat, die vom Büro des
Geistlichen herausgegeben wird:
„In mehr als einem Land der arabisch-islamischen Welt ist ein sündhaftes Phänomen
Postkartenaktion des Neuköllner Mädchentreff
MaDonna gegen “Ehrenmorde”
Ausgehend von der Scharia halten wir Ehrenmorde für verwerflich, verurteilenswert und
verboten. Es handelt sich ohne Einschränkungen um ein Verbrechen, bei dessen Verurteilung es keine mildernden Umstände geben
kann, da das Verüben dieser Verbrechen nicht
auf Belegen und Grundlagen des islamischen
Rechts gründet. In den meisten Fällen basieren diese Taten (allein) auf Verdächtigungen.
Dabei steht es weder dem Mann, Vater, Bruder noch einem anderen Verwandten der Frau
zu, das Recht in die (eigene) Hand zu nehmen
und die Frau zu bestrafen. Dies ist die Aufgabe
der Gerichtsbarkeit. Diejenigen aber, die solche Verbrechen im Widerspruch zur Scharia
begehen, verdienen eine Strafe noch in dieser
Welt. Auch zählen diese Verbrechen zu jenen
Bericht über “Ehrenmord”-Fatwa, Bayyanat, 03.
Aug. 2007
verbreitet. In der jüngsten Zeit war es insbesondere in Palästina, Jordanien und dem
Libanon, aber auch in vielen anderen unserer Länder, zu beobachten. Es ist bekannt
14
14
Sünden, für die der Täter in die Hölle kommt.“
(Bayyanat, 3. August 2007 [])
„Eine der gefährlichsten Bewegungen, die
ich in Deutschland beobachten konnte, wird
von Reformern angeführt. Dabei handelt es
sich nicht um eine christliche oder jüdische
Bewegung, sondern um eine muslimische,
die versucht, den Islam unter dem Banner
von ‚Reform’ und ‚Modernität’ zu liberalisieren. Eine Reform in diesem Sinn würde die
Scharia – den Koran und die Sunna – kritisch hinterfragen, was gegen die Absolutheit der göttlichen Regeln verstößt. Eine Liberalisierung des Islam auf Art dieser Reformer würde bedeuten, heilige Wörter als
profan und den profanen menschlichen
Geist als heilig zu betrachten.
In ihrer Literatur stellen die Befürworter
dieser Bewegung einige koranische Verse
im Namen von Freiheit, Reform und Feminismus ausdrücklich in Frage. So wird in ihren Schriften die Aufforderung zur ‚Befreiung’ der muslimischen Frau, indem man ihr
eine Heirat mit nicht-muslimischen Männern
gewährt und sie den Männern im Erbrecht
gleichstellt, sehr deutlich. Diese Bewegung
ist eine Bedrohung für den Glauben der
Muslime. (...)
Die Türken, die die Mehrheit der Muslime in
Deutschland stellen und massiv von der
Türkei finanziert werden, versuchen beständig, die Oberhand über die anderen Muslime
in Deutschland zu gewinnen. Den Arabern
fehlt eine Organisierung und es fällt ihnen
schwer, mit dem Überlegenheitsgefühl umzugehen, mit dem die Türken ihnen gegenüber auftreten. Die Aleviten und die Ahmadiyya haben mit ihren vagen und weit vom
Islam entfernten Glaubensinhalten und –
praktiken kein Interesse, sich mit anderen
muslimischen Gruppen zusammenzutun.
Und die Iraner arbeiten für sich und verfolgen eigene Ziele.
Mit Blick auf die Aleviten und mehr noch die
Ahmadiyya muss ein besonderes Problem
angesprochen werden: Diese Leute, die innerhalb der islamischen Gemeinde in
Deutschland 250.000 Menschen ausmachen, sind Ursache für große Unruhe und
Verunsicherung in der Gemeinde. Mit ihren
vagen Glaubensvorstellungen stehen sie für
merkwürdige Praktiken, die der islamischen
Islam-Online zum Islam in Deutschland
In einem Bericht für das Web-Portal IslamOnline beschreibt die ägyptische Doktorandin Sherin Hamed Fahmy ihre Wahrnehmung der Debatten
um den Islam und die
Muslime in Deutschland. Fahmy war drei
Monate als Redakteurin in Bonn tätig, u.a.
bei der Deutschen
Welle. Deutlich wird in
ihrer Darstellung die
Befürchtung, dass in
Europa
traditionelle
Glaubensinhalte aufgegeben
werden
könnten. Diese Befürchtung wird durch
die Vielfalt der islamischen Strömungen in
Deutschland noch verstärkt. Angesprochen
wird von Fahmy auch
ein vermeintlicher „Juden-Komplex“, der die
Haltung
der
Deutschen gegenüber den
Muslimen bestimme.
Das englisch- und arabischsprachige Portal
Islam-Online
wendet
sich mit seinen Berichten
und
religiösen
Ratschlägen zur Lebensführung gezielt an
junge Muslime, die in
nicht-islamischen Gesellschaften leben. Es
T-Shirt-Motive des
steht unter Leitung
Online-Shop Omeirat
des
renommierten,
aber
wegen
seiner
Nähe zur Muslimbruderschaft und seinen
Positionen u.a. zu Selbstmordanschlägen
umstrittenen Gelehrten Yusuf al-Qaradawi:
15
15
Lehre entgegenlaufen. Ein größeres Problem
ist noch, dass die Aleviten und Ahmadiyya
substantiell vom deutschen Staat finanziert
werden, da man sie am besten als integrationsfähige Muslime ‚vorzeigen’ kann.
Der ‚Juden-Komplex’ und die Amerikanisierung sind zwei weitere wichtige Probleme,
die negative Auswirkungen für die Muslime
in Deutschland haben. Bis heute glauben
die Deutschen, sie hätten einen Fehler gegenüber den Juden begangen, der nicht
vergeben und vergessen werden kann und
darf. Bis heute klagen sich die Deutschen
wegen des Holocausts an und kommen
nicht darauf, dass der Holocaust vom Zionismus ausgebeutet wurde. Jeder deutsche
Bürger ist verpflichtet, einen Teil seines Einkommens als eine Art Kompensation an Israel zu zahlen. Diese ‚Verpflichtung’ führte
dazu, dass die Deutschen immer für Israel
und gegen die Araber und die Muslime Partei ergreifen, weshalb die muslimische Community beständig unter Druck steht.“ (Islam-Online, 5. Sep. 2007 [])
“In den Bundesländern kommt die Befreiung von Schwimmunterricht aus religiösen
Gründen überhaupt nur dann in Betracht,
wenn
kein
getrennt
geschlechtlicher
Schwimmunterricht angeboten wird. In einigen Bundesländern wie z. B. Baden-Württemberg und Bayern findet der Sport- und
Schwimmunterricht ab Klassenstufe 5 bzw.
Klassenstufe 7 generell nach Geschlechtern
getrennt statt. (…) In Berlin werden Anträge
auf Befreiung vom Schwimmunterricht aus
religiösen Gründen nicht als wichtiger Grund
angesehen, der zu einer Befreiung vom
Schwimmunterricht führt. (…) Die religiös
begründete Nichtteilnahme am Schwimmunterricht ist nach den Erkenntnissen der
zuständigen Landesministerien kein flächendeckendes Problem. Es handelt sich vielmehr um Einzelfälle, für die in der Praxis in
den Schulen vor Ort einzelfallorientierte Lösungen gesucht und gefunden werden.
Demzufolge sind seit dem Jahr 2000 keine
Gerichtsverfahren anhängig, in denen es
um die religiös begründete Befreiung vom
Schwimmunterricht geht.”
Interkultureller Rat in Deutschland e.V.,
Muslimische Mädchen und der Schwimmunterricht, August 2007 []
3. PUBLIKATIONEN
Berliner Islamforum: Zusammenarbeit
mit islamischen Vereinen
Umfrage: „Muslimische Mädchen und
der Schwimmunterricht“
Die Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen islamischen Vereinen, den nicht-religiösen Akteuren der Zivilgesellschaft und
der Berliner Verwaltung ist Thema einer
Broschüre des Berliner Islamforums. Seit
2005 bemüht sich das Islamforum, Wege
einer Beteiligung der verschiedenen islamischen Akteure auf Stadtteilebene auszuloten. Das Forum geht auf Initiative des Berliner Beauftragten für Integration und Migration und der Muslimischen Akademie zurück
und versammelt mittlerweile verschiedene
islamische Vereine, Vertreter der Verwaltung
und nicht-religiöse Vereine und Verbände.
Die zahlreichen in der Broschüre dokumentierten Beispiele für Kooperationen in der
Vor dem Hintergrund der von Neçla Kelek
angestoßenen Debatte um die zunehmende
Abmeldung muslimischer Mädchen vom
Schwimmunterricht hat das Clearingprojekt
“Zusammenleben mit Muslimen” des Interkulturellen Rats in Deutschland eine Umfrage (“Muslimische Mädchen und der Schwimmunterricht”) durchgeführt. Dazu wurden
die Kultusministerien der Länder um eine
Stellungnahme zum Umgang mit Befreiungsanträgen gebeten. Auf der Grundlage
der Antworten von 15 Ministerien kommt
der Interkulturelle Rat zu dem Ergebnis,
dass Konflikte um die Teilnahme muslimischer Mädchen am Schwimmunterricht in
der schulischen Praxis sehr selten sind:
16
16
Stadtteilarbeit verstehen sich als Anregung
für zukünftige Projekte. Dass islamische
Vereine als Mittler zu Personengruppen dienen, die ansonsten nur schwer zu erreichen
sind, ist dabei für viele nicht-islamische Akteure ein wesentlicher Anreiz für die Zusammenarbeit. Den islamischen Vereinen
eröffnet die Beteiligung an städtischen Projekten dagegen Gestaltungsmöglichkeiten
vor Ort. Nicht weniger wichtig ist die mit
solchen Projekten verbundene Anerkennung
durch die nicht-islamische Umgebung.
Zu den dokumentierten Projekten zählen neben der Organisation von Deutsch- und Integrationskursen
auch Aktivitäten im Umweltschutz, der Gesundheitsversorgung,
der
Jugendsozialarbeit und der
Konfliktprävention in Zusammenarbeit mit
der Polizei.
Unumstritten
und konfliktfrei
sind diese Projekte
aber
nicht. So heißt
es einleitend in
der Broschüre:
„Strittig bleibt
für die Mitglieder des Islamforums, ob ein
Broschüre des Berliner Isbeispielhaftes
lamforums
Vorgehen nur
an der konkreten Aktivität gemessen werden kann oder für
eine Bewertung der durchführende Moscheeverein insgesamt in seinem Verband, seiner
Arbeit und personellen Zusammensetzung
heranzuziehen ist. Die dabei bestehenden
Übergänge sind fließend. Hier eine am Einzelfall orientierte Lösung zu finden, ist die
Herausforderung für alle Beteiligten. Für die
folgende Darstellung heißt dies, dass sie
auch begrüßenswerte Beispiele von Vereinen
17
und Organisationen enthält, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden.“ []
Broschüre: „Zeitzeugenbegegnungen in
der Einwanderungsgesellschaft“
Über ihre Erfahrungen mit dem Projekt
„Zeitzeugenbegegnungen in der Einwanderungsgesellschaft“ berichtet der Verein
Miphgasch/Begegnung in einer 16-seitigen
Broschüre. Im Rahmen des Projekts, an
dem zwischen Mai 2006 und Juni 2007
etwa 110 Berliner Schüler – davon etwa
2/3 mit Migrationshintergrund und 55%
mit islamischer Religionszugehörigkeit –
teilnahmen, ging es um Formen der Auseinandersetzung mit dem NS und dem Holocaust in der Bildungsarbeit mit jugendlichen Migranten. Bei aller Problematik bietet das Projekt zahlreiche Anknüpfungspunkte für die pädagogische Arbeit:
„Skepsis gegenüber Juden, manchmal auch
eindeutige Ablehnung, die in antisemitischen Äußerungen zum Ausdruck kommen
(ohne dass dahinter ein geschlossenes
Weltbild erkennbar gewesen wäre), gehen
einher mit offener Neugier, fühlbarem Interesse am Thema und der unverkennbaren
Bereitschaft, neue Informationen aufzunehmen und eigene Stereotype zu hinterfragen.“
Die historischen Erfahrungen der Zeitzeugen dienten als Anregung für die Auseinandersetzung mit der Geschichte sowie den
Umgang mit aktuellen Erfahrungen: „Dabei
war es immer wieder wichtig, deutlich zu
machen, dass dieses Sich-Hinein-Versetzen
nur bis zu einem bestimmten Punkt funktionieren kann, da die Lebensumstände heute
andere sind als damals. Zugleich galt es,
den Jugendlichen zu vermitteln, dass die
heutige Situation ein (Zwischen-) Ergebnis
einer geschichtlichen Entwicklung ist. Ebenso waren dabei auch wesentliche Unterschiede zwischen dem diktatorischen NSSystem und der heutigen demokratischen
Gesellschaftsordnung deutlich zu machen.
Diese Unterscheidung wurde in der Regel
auch von den Jugendlichen selbst gemacht.“
17
Miphgasch zieht daher ein positives Fazit:
„Letztlich gehört zum öffentlichen Bildungsauftrag auch, den Umgang mit Differenz
produktiv zu nutzen und Unterschiede nicht
zur Ursache von Abgrenzung werden zu lassen, sondern sie als Ausgangspunkt für
Neugierde und individuelle Entwicklung zu
nutzen. Es gilt, die für die Gesamtgesellschaft so zukunftsweisende Integration von
bildungsbenachteiligten Jugendlichen zu erreichen und ihre Ausgrenzung aus gesellschaftlich wesentlichen und breit diskutierten Themenfeldern wie der NS-Geschichte
zu beenden.“
Miphgasch/Begegnung e.V., „Zeitzeugenbegegnungen in der Einwanderungsgesellschaft. Erfahrungen und Überlegungen für
die Bildungsarbeit zum Nationalsozialismus
im 21. Jahrhundert“, Berlin 2007. []
ren, dass „der Islam grundsätzlich nicht mit
den Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats vereinbar sei“. Antworten auf diese
und andere Fragen gaben muslimische und
nicht-muslimische Referenten. Nachzulesen
sind einige dieser Antworten nun einer Broschüre, die über die Veranstalter bestellt
werden kann.
Muslime als Staatsbürger: Bürgerschaftliches Engagement aus internationaler Perspektive. Eine Dokumentation einer Tagung
in Berlin, 8.-10. Feb. 2007 []
4. HINWEISE
MATERIALIEN FÜR
MULTIPLIKATOREN
Gerade erschienen sind zwei Filme, die sich
für den Unterricht und die politische Bildungsarbeit mit jungen Muslimen anbieten:
Broschüre: „Muslime als Staatsbürger“
Eine Dokumentation, die der WDR im August unter dem Titel „Koran im Kopf“ ausstrahlte, zeigt den Werdegang von Barino,
einem deutschen Konvertiten zum Islam.
Barino begreift den Islam und seine Quellen
als unantastbare Leitlinie seines Leben. Der
Film zeigt, wie Barino in einer Kölner Moschee anfängliche Zweifel etwa über Koranverse zu „Ungläubigen“, zum „Tod auf dem
Wege Allahs“ oder zu den Körperstrafen der
Scharia hinter sich lässt und sich immer
mehr einer wortwörtlichen, rigiden Interpretation der islamischen Quellen annähert.
Angesprochen auf terroristische Anschläge
von Muslimen spricht er am Ende des Films
davon, dass manche den Mut zum Jihad
hätten – andere eben nicht. Der Film ist
über den WDR [] erhältlich. Dort gibt es
auch das Manuskript der Sendung zum
Download.
Um die Einbürgerung des Islams ging es in
der Konferenz „Muslime als Staatsbürger:
Bürgerschaftliches Engagement aus internationaler Perspektive“, deren Beiträge nun in
einer Broschüre dokumentiert sind. Die von
der Bundeszentrale für politische Bildung,
der Heinrich-Böll-Stfitung, der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Deutschen Welle organisierte Tagung stellte Fragen, die nicht
mehr darauf zielten, „ob“ der Islam Teil der
deutschen Gesellschaft ist. Vielmehr ging es
darum, wie das Zusammenleben gelingen
kann: „Wie können wir dazu beitragen, dass
sich Muslime in westlichen Gesellschaften
mit ihrem Land, seiner Sprache, seiner Kultur und seinen Gesetzen identifizieren, ohne
dies als Widerspruch zu ihren religiösen
Vorstellungen zu empfinden? Welche Rahmenbedingungen für gleichberechtigte Partizipation sind erforderlich? Was können
westliche Gesellschaften, was müssen die
Muslime selbst tun, um bürgerschaftliches
Engagement zu erleichtern? Welche Rolle
können neue Konzepte staatsbürgerlicher
Bildung spielen?“ Nicht zuletzt müsse denjenigen Stimmen begegnet werden, die erklä-
18
UND
Einen Schritt weiter als Barino ging der islamistische Prediger Mohammed Fazazi aus
Hamburg. Fazazi hatte Verbindungen zu islamistischen Attentätern und sitzt heute in
marokkanischer Haft. Im ging es nicht nur
18
darum, Muslime im Denken zu radikalisieren. Er forderte auch Taten. Das dokumentiert der Film „Hamburger Lektionen“
von Regisseur Romuald Karmakar. Er zeigt
die innere Logik des Hasses auf den Wes-
men darf – selbst dann nicht, wenn sie gebracht und abgeholt wird; und er spricht
sich gegen Demokratie und Menschenrechte
aus, weil alle Souveränität von Gott ausgehen müsse. Religionsgelehrte wären demnach allein dafür zuständig, den Gläubigen
die uninterpretierbaren Gebote zu erklären
und sie zu ihrer unbedingten Einhaltung zu
bewegen. Dazu gehöre auch der Jihad:
Denn alle im Westen lebenden Ungläubigen
seien Teil der seit Jahrhunderten betriebenen westlichen Machtpolitik, die aus Unterdrückung, Ausbeutung und Krieg gegen
Muslime bestehe – daher dürfen sie getötet
werden.
In der Zeit schließt Jörg Lau seinen Beitrag
zum Film so: „Was der Film zeigt, ist unwillkommen, weil es bestehende Ängste vor
dem Islam verstärken könnte. Karmakar
zeigt die Nachtseite unseres mühsamen
'Dialogs mit dem Islam'. Darum sollte er auf
Islamkonferenzen, in Schulen und vor allem
in Moscheen diskutiert werden. Denn am
Ende werden nur Muslime, die von der Auslegung ihres Glaubens als Machtergreifungsideologie angewidert sind, den Fazazis
das
Handwerk
legen
können“.
[]
WDR-Dokumentation "Koran im Kopf"
ten, der Fazazi zum geistigen Brandstifter
macht. Dem Film zugrunde liegen Reden,
die Fazazi im Jahr 2000 in der Hamburger
Al-Quds-Moschee gehalten hat. Diese wurden gefilmt und als Videos verbreitet. Karmakars Film besteht ausschließlich aus dem
unkommentierten Verlesen dieser Reden.
Darin erklärt er beispielsweise, dass eine
Frau unbegleitet keine Flugreise unterneh-
Impressum:
ufuq.de – Medienforschung und politische Bildung in
der Einwanderungsgesellschaft, Dieffenbachstr. 74,
10967 Berlin, [email protected].
Redaktion:
Götz Nordbruch und Jochen Müller.
Der Newsletter erscheint sechswöchentlich im Rahmen des Modellprojekts “Jugendkultur, Religion und
Demokratie. Politische Bildung mit jungen Muslimen”
der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB). Kooperationspartner sind das Bezirksamt Berlin-Neukölln, die RAA/Büro für interkulturelle Arbeit der
Stadt Essen, der RAA Verein in NRW e. V., der Berliner Mädchentreff MaDonna e.V. und ufuq.de.
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