9 Folgen • Eine (unendliche) Folge im herkömmlichen Sinn entsteht durch Hinterein” anderschreiben“ von Zahlen, z.B.: 1, 2, 3, 4, 5, . . . Dabei ist die Reihenfolge wichtig, jede Zahl hat also ihre feste Position. Die Folge 2, 1, 4, 3, . . . ist eine andere als 1, 2, 3, 4, . . . • Mathematisch können wir eine Folge deshalb als Abbildung N → R auffassen: jeder Position wird eine Zahl zugeordnet. Die Abbildung f : n 7→ 2n generiert demnach die Folge der geraden Zahlen 2, 4, 6, 8, 10, . . . • Die Schreibweise f : n 7→ f (n) ist für Folgen eher nicht gebräuchlich. Eher benutzt man die Indexschreibweise f : n 7→ fn . Meist aber einfach (fn )n∈N oder noch kürzer (fn ). Die Klammern vermeiden Verwechslungen mit fn , was das n-te Glied der Folge (fn ) bezeichnet. • Oft ist es praktischer, nicht die Folgenglieder fn explizit aufzuschreiben, sondern die Differenz sn := fn − fn−1 zwischen benachbarten Folgengliedern. Man spricht dann von einer Reihe mit Reihengliedern (sn ) und den Partialsummen fn := n X k=1 sk = (fn − fn−1 ) + (fn−1 − fn−2 ) + . . . + (f1 − 0) (f0 := 0). (Man beachte, dass sich aus der Definition für den Folgenanfang f1 = s1 ergibt.) • Speziell in der Informatik treten (bei Kostenanalysen) oft rekursiv definierte Folgen auf, bei denen jede Zahl fn nach einer festen Vorschrift aus dem Vorgänger fn−1 (oder weiteren Vorgängern) berechnet wird. Wichtig: Festlegen der Anfangs(Start)-Werte, damit die Folge überhaupt eindeutig definiert ist. Einfaches Beispiel ist z.B. das Verdoppeln: die Vorschrift fn = 2fn−1 führt auf die Folge 1, 2, 4, 8, 16, 32, . . . , sofern man vorher festgelegt hat, dass f1 = 1 sein soll. Die Vorschrift fn = nfn−1 , f1 = 1 liefert dagegen die Folge 1, 2, 6, 24, . . . , also fn = n!. • Eine typische Anwendung von Folgen in der Informatik: die Laufzeit eines Programms für verschiedene Eingaben; etwa die Folge (an ) der Anzahl der Vergleiche, die ein Sortierprogramm zum Sortieren von n Zahlen höchstens durchführt (Insert-Sort). • Bei Laufzeitvergleichen ist insbesondere interessant, wie sich die Laufzeiten für immer größere n verhalten. Wachsen? Fallen? Wie stark? • Entsprechend sind folgende Eigenschaften von Folgen von praktischer Bedeutung: – Ein Folge heißt monoton wachsend, wenn jedes Element größer oder gleich seinem Vorgänger ist, also fn ≥ fn−1 für jedes n ≥ 2. Folgen mit fn > fn−1 heißen streng monoton wachsend – Ein Folge heißt entsprechend monoton fallend bzw. streng monoton fallend, wenn die Elemente kleiner werden, also fn ≤ fn−1 bzw. fn < fn−1 . • Mindest- oder Maximallaufzeiten sind wichtig, daher sind wir an oberen/unteren Schranken für unsere Folgenelemente interessiert: – Gibt es eine Zahl C ∈ R mit C ≥ fn für alle n, dann nennt man C eine obere Schranke. Alle Zahlen, die größer als C sind, sind natürlich erst recht obere Schranken; am interessantesten ist daher eine kleinste obere Schranke, die heißt dann Supremum: sup fn . – Entsprechend heißt ein c ∈ R mit c ≤ fn für alle n eine untere Schranke, besonders interessant ist hier eine größte untere Schranke, die heißt Infimum: inf fn . – Hat eine Folge sowohl eine obere als auch eine untere Schranke, dann nennt man sie beschränkt −∞ < inf fk ≤ fn ≤ sup fk < ∞ für n = 1, 2, . . . . k=1,2,... k=1,2,... • Bei Folgen (und mithin auch bei Reihen) interessiert oft, was mit den Folgengliedern fn im Grenzwert sehr großer n passiert. • Der gutmütige“ Fall dabei ist, dass die Folge gegen eine Grenzwert y kon” vergiert, d.h., dass für hinreichend großes n alle Folgenglieder beliebig nahe an y liegen: ∀ε > 0 : ∃n0 (ε) ∈ N : n ≥ n0 (ε) ⇒ |fn − y| < ε • Zur Erklärung: definiere die ε-Umgebung einer Zahl y ∈ R Uε (y) := {x ∈ R : |x − y| < ε} • Beliebig nahe an y“ heißt nun, dass für jedes (noch so kleine) ε > 0 die ” Folgenglieder ab einem n0 (ε) in Uε (y) liegen. • Es dürfen also insbesondere nur endlich viele Folgenglieder außerhalb von Uε liegen! Für kleineres ε muss man dann meist ein größeres n0 (ε) nehmen. • Konvergenz heißt also: ∃y ∈ R : ∀ε > 0 : ∃n0 (ε) ∈ N : ∀n ≥ n0 (ε) : fn ∈ Uε (y). In diesem Fall heißt y der Grenzwert der Folge: y = lim fn . n→∞ n+1 1 = 0 (wähle n0 (ε) := ⌈ 1ε ⌉ + 1), lim = 1 (umformen n→∞ n→∞ n n n n + (−1) n → 1), lim = 1 (|(−1) n | = n1 → 0) n→∞ n • Beispiele: lim zu 1 + 1 n • Ein nützlicher Satz zur Konvergenz: Eine beschränkte und monotone (d.h. monoton wachsende oder monoton fallende) Folge reeller Zahlen ist konvergent. • Die Folge (fn ) mit 1 n konvergiert nicht gegen einen Grenzwert, aber die Werte 1 und −1 haben ähnliche Eigenschaften wie ein Grenzwert. In jeder Umgebung sind unendlich viele Folgenglieder enthalten, aber eben für beide Werte! fn := (−1)n + • Einen Wert mit dieser Eigenschaft (in jeder Umgebung sind unendlich viele Folgeglieder enthalten) nennt man Häufungspunkt der Folge. • Man beachte den Unterschied zwischen nur endlich viele Folgenglieder sind ” außerhalb der Umgebung“ (Grenzwert) und unendlich viele Folgenglieder ” sind in der Umgebung“ (Häufungspunkt). • Eine beschränkte Folge reeller Zahlen besitzt immer wenigstens einen Häufungspunkt. Beweis durch Intervallschachtelung: man betrachtet das Intervall zwischen einer unteren und einer oberen Schranke, halbiert es, überlegt sich, dass in wenigstens einer Hälfte noch unendlich viele Folgenglieder liegen müssen, halbiert diese Hälfte,. . . Daher erzeugen wir auf diese Art und Weise eine geschachtelte Folge immer kleinerer Intervalle, deren Obergrenzen eine monoton fallende, beschränkte, also konvergente Folge bilden. Grenzwert dieser Folge ist ein Häufungspunkt! • Von besonderem Interesse bei beschränkten Folgen ist der größte Häufungspunkt, oder Limes superior der Folge. Dazu betrachten wir zunächst zu einer beschränkten Folge (fn ) die Folge (gn ) mit gn := sup fm . m≥n Wegen der Beschränktheit von (fn ) ist auch (gn ) beschränkt, weiter ist (gn ) monoton fallend (warum?), mithin konvergent und der Grenzwert lim sup fn := lim gn = lim sup fm n→∞ n→∞ n→∞ m≥n ist der größte Wert, für den in jeder Umgebung unendlich viele fn liegen: der größte Häufungspunkt. Zum Beweis sind zwei Eigenschaften zu zeigen: – In jeder Umgebung liegen unendlich viele Folgenglieder. – Kein größerer Wert hat diese Eigenschaft. • Dazu überlegen wir uns, dass für C := lim sup xn einer beschränkten Folge (xn ) gilt, dass für jedes ε > 0 nur endlich viele xn größer als C + ε sind. • Wären unendlich viele Glieder größer als C + ε, so könnte man daraus eine unendliche Folge definieren mit Häufungspunkt! • Was passiert, wenn keine Konvergenz vorliegt? Divergenz: ∀y ∈ R : ∃ε > 0 : ∀n0 (ε) ∈ N : ∃n ≥ n0 (ε) : fn 6∈ Uε (y). In diesem Fall heißt die Folge divergent. • Es gibt zwei verschiedene Formen der Divergenz: – Divergenz als ”Konvergenz”gegen Unendlich (+ oder −) lim fn = ∞ :⇔ ∀C ∈ R : ∃n0 (C) ∈ N : ∀n ≥ n0 (C) : fn > C n→∞ lim fn = −∞ :⇔ ∀C ∈ R : ∃n0 (C) ∈ N : ∀n ≥ n0 (C) : fn < C. n→∞ – Divergenz durch mehr als einen Häufungspunkt: fn := (−1)n (−1 und 1) oder gn = n · (−1)n (+∞ und −∞ ) • Die O-Notation (O wie in Oh!, nicht 0 wie in 1 − 1 = 0) ist ein Werkzeug, um Folgen nach ihrem Wachstumsverhalten zu klassifizieren. Für eine Folge f = (fn ) wird die Klasse O(f ) alle Folgen enthalten, die bis auf einen konstanten Faktor nicht schneller wachsen als f . • Wir schreiben eine Folge (fn ) jetzt kurz und einfach z.B. als n2 an Stelle von n 7→ n2 . • In einer Klasse von Folgen O(n2 ) wollen wir Folgen zusammenfassen, mit einem bestimmten Divergenzverhalten, z.B.: – n, weil n ≤ n2 , – 16n2 , weil uns ein konstanter Faktor 16 nicht stört (nach wie vor gilt, dass sich mit doppeltem n das fn vervierfacht: in diesem Sinn wachsen n2 und 16n2 gleich schnell), – n2 + n + 1, weil das kleiner ist als 3n2 , Aber nicht 2n , weil man für jedes C ∈ R ein n finden kann mit 2n > C · n2 • Mathematisch sieht das so aus: fn ∈ O(gn ) :⇔ ∃C > 0, n0 ∈ N : ∀n > n0 : |fn | ≤ C · gn (9.1) • Neu ist das n0 : Die Ungleichung muss nicht für alle Glieder gelten, sondern erst ab einem bestimmten Index (also für sehr große n); endlich viele Ausnahmen sind erlaubt. Endlich viele Ausnahmen könnte man auch versuchen durch größeres n zuzulassen. Geht aber nicht für gn = 0. • Unter der Voraussetzung ∀n : gn > 0 kann man (9.1) umschreiben zu fn ∈ O(gn ) :⇔ ∃C > 0, n0 ∈ N : ∀n > n0 : |fn | ≤C gn In dieser Form ist das n0 überflüssig: die Folge |fn |/gn muss beschränkt sein. • Sollte man an einem möglichst kleinen C interessiert sein (normalerweise ist man das nicht), kann man sich auf die Suche nach dem größten Häufungspunkt der (beschränkten) Folge |fn |/gn begeben: wenn man den noch um ein beliebiges ε > 0 vergrößert, hat man ja eine Zahl C, für die nur endlich viele der Quotienten größer sind. • Eine Menge heißt abgeschlossen, wenn sie alle ihre Häufungspunkte enthält. Beispiel: nicht abgeschlossen: Q, ]0, 1[ ; abgeschlossen: R, [0, 1] • Eine Menge kann abgeschlossen werden, indem man all ihre Häufungspunkte hinzunimmt: Q → R Aufgaben 9.1 Berechne die ersten Partialsummen der Reihe mit Gliedern sn = bestimme deren kleinste obere Schranke. 9 10n und P 9.2 Gib eine Bedingung an die Reihenglieder sk an, wann eine Reihe fn = sk streng monoton wachsend bzw. fallend ist (im Fall einer Reihe beziehen sich Attribute wie monoton wachsend“ auf die Partialsummen, nicht auf die ” Reihenglieder). 9.3 Zeige: für 0 < x < 1 ist die geometrische Reihe fn := n X xk k=0 beschränkt und monoton, mithin konvergent. Was ist der Grenzwert der Reihe? (Tipp: die Summe kennen wir schon. . . ) 9.4 Zeige, dass die harmonische Reihe mit Reihengliedern sn := n1 keine obere Schranke besitzt (die Partialsummen also beliebig groß werden). 9.5 Zeige, dass eine Folge höchstens einen Grenzwert besitzen kann! Nimm dazu an, es gebe y1 6= y2 , die beide die Grenzwertbedingung erfüllen und führe das zum Widerspruch durch Angabe eines ε, mit dem die weitere Bedingung unmöglich erfüllt sein kann. 9.6 Ein Mann spaziert mit seinem Hund von seinem Haus zu einer Kneipe. Die Entfernung zwischen Haus und Kneipe sei s. Der Mann gehe dabei mit der Geschwindigkeit v. Dies ist dem Hund jedoch zu langweilig. Er läuft deswegen doppelt so schnell zwischen der Kneipe und seinem Herrchen hin und her. Das heißt, er startet am Haus zusammen mit seinem Herrchen, dreht um, sobald er das Ziel erreicht, stoppt, wenn er wieder auf sein Herrchen trifft, läuft dann wieder zur Kneipe,. . . Berechne, welchen Weg der Hund zurücklegt, bis Herrchen und Hund gemeinsam die Kneipe erreichen. Es gibt einen so genannten Mathematiker-Weg“ ” und einen so genannten Physiker-Weg“. Versuche, beide zu finden. ” 9.7 In Aufgabe 1.7 haben wir die Länge der Kochkurve zu berechnet, was uns auf eine Folge (ln ) von Zahlen führt. Ebenso kann man die Fläche (an ) unter der Kochkurve berechnen, indem man die Flächen der Dreiecke aufaddiert, die Schritt für Schritt auf die Kurve draufgesetzt“ werden. Sind diese Folgen ” jeweils beschränkt und/oder monoton? 9.8 Gib Folgen (an ), (bn ) an mit limn→∞ (an ) = ∞, limn→∞ (bn ) = ∞, sowie: a) lim(an − bn ) = 0 b) lim(an − bn ) = +∞ c) lim( abnn ) = 0 9.9 O-Notation: zeige, dass gilt a) 6n4 ∈ O(3n6 ), b) 16n3 ∈ O(2n ), c) n2 6∈ O(n), Gib im Fall von ∈“ ein entsprechendes C und ein n0 an, so dass Bedingung ” (9.1) erfüllt ist. 9.10 Bestimme alle Häufungspunkte und den größten Häufungspunkt von π n an = sin 4 √ (benutze dabei die Gleichheit sin(π/4) = 2/2). 9.11 Prüfe jeweils auf Konvergenz und bestimme ggf. den Grenzwert. Hinweis: wenn lim an = α und lim bn = β, dann ist lim (an + bn ) = α + β. n→∞ n→∞ n→∞ Ebenfalls gilt: lim (an · bn ) = α · β und – wenn β und alle bn 6= 0 sind – n→∞ lim (an /bn ) = α/β. n→∞ a) an = b) bn = 3n+2(−1)n n nxn , x nxn +1 ∈ R, x > 1