2 Grundlagen: Unternehmenstheorie und Wohlfahrtsbetrachtung

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2 Grundlagen: Unternehmenstheorie und
Wohlfahrtsbetrachtung
Bevor wir mit der Untersuchung des Verhaltens von Unternehmen in unterschiedlichen
Marktformen beginnen, geben wir einen kurzen Überblick bzw. eine kurze Wiederholung
der Unternehmenstheorie [theory of the firm], die in der Mikroökonomik–Vorlesung (VWL
A)behandelt wurde, denn Grundkenntnisse aus diesem Bereich sind für das Verständnis
der meisten industrieökonomischen Fragestellungen unabdingbar. Hierzu gehören in erster Linie die zentralen Konzepte aus der Produktions- bzw. Kostentheorie, also die Produktionsfunktion und die Kostenfunktion sowie deren Eigenschaften.
Aber auch einige wesentliche Aspekte der Nachfrageseite sollen kurz diskutiert werden,
wie etwa Nachfrage- und Preis-Absatz-Funktion und die Frage der Messung der Wohlfahrt der Konsumentinnen
2.1 Die Unternehmenstheorie
Ein Unternehmen in der mikroökonomischen Theorie ist im allgemeinen vollständig charakterisiert durch seine technischen Möglichkeiten, Inputs in Outputs bzw. Produktionsfaktoren in Produkte zu verwandeln. Diese technischen Möglichkeiten können durch
die Technologiemange [technology] beschriben werden, üblicherweise greift man aber auf
das Konzept der Produktionsfunktion zurück. Die grundlegende Annahme bezüglich des
Verhaltens eines Unternehmens ist die der Gewinmaximierung [profit maximization].
Betrachten wir im folgenden die einfache Situation, in der ein Unternehmen nur ein Gut
herstellt, zu dessen Produktion die beiden Produktionsfaktoren Kapital (k) und Arbeit
(l) eingesetzt werden.
Eine Produktionsfunktion gibt an, wie viele Einheiten des Produktes mit Hilfe der beiden Produktionsfaktoren hergestellt werden können. Dieser Zusammenhang wird formal
durch die Produktionsfunktion [production function]
y = f (l, k)
beschrieben.
Wir werden im weiteren unterstellen, dass diese Produktionsfunktion mindestens zweimal stetig differenzierbar ist, d. h. insbesondere dass die ersten und zweiten partiellen
Ableitungen der Produktionsfunktion gebildet werden können.
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2 Grundlagen: Unternehmenstheorie und Wohlfahrtsbetrachtung
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Die erste partielle Ableitung der Produktionsfunktion z. B. nach dem Faktor Arbeit gibt
an, um welchen Betrag sich der Output der Firma verändert, wenn wir den Produktionsfaktor Arbeit marginal erhöhen. Analog kann man das auch für den Faktor Kapital
durchführen. Diese beiden partiellen Ableitungen
∂f (l, k)
∂f (l, k)
und GPk (l, k) =
∂l
∂k
werden als die Grenzprodukte [marginal product] der Faktoren Arbeit und Kapital bezeichnet.
GPl (l, k) =
Wir werden im allgemeinen davon ausgehen, dass die Grenzprodukte aller Produktionsfaktoren positiv sind, d. h.
∂f (l, k)
> 0 und
∂l
∂f (l, k)
> 0.
∂k
Beispiel 2.1.1
Eine bekannte Produktionsfunktion ist die Cobb–Douglas–Produktionsfunktion, die wie
folgt definiert ist
y = f (l, k) = lα k β ,
α, β > 0.
Die Grenzprodukte sind hier gegeben durch
GPl (l, k) = αlα−1 k β
und GPk (l, k) = βlα k β−1
Im weiteren unterscheiden wir zwei verschiedene Arten der Beziehung zwischen den
Produktionsfaktoren.
Definition 2.1 1. Zwei Produktionsfaktoren sind komplementär [complements] in einem gegebenen Produktionsprozess, wenn eine erhöhte Einsatzmenge des einen Faktors zu einem erhöhten Grenzprodukt des anderen Faktors führt, d. h.
∂GPl (l, k)
> 0 und
∂k
∂GPk (l, k)
> 0.
∂l
2. Zwei Produktionsfaktoren sind substitutiv [substitutes] in einem bestimten Produktionsprozess, wenn eine erhöhte Einsatzmenge des einen Faktors zu einem geringeren
Grenzprodukt des anderen Faktors führt, d. h.
∂GPl (l, k)
< 0 und
∂k
∂GPk (l, k)
< 0.
∂l
Im Beispiel der Cobb–Douglas–Produktionsfunktion sind die beiden Produktionfaktoren
komplementär, da
∂ αlα−1 k β
∂ βlα k β−1
=
= αβlα−1 k β−1 > 0.
∂k
∂l
Ein weiteres zentrales Konzept, das im Verlauf der Vorlesung noch häufig verwendet
werden wird, ist das der Skalenerträge [returns to scale].
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Industrieökonomik
Sommersemester 2007
Definition 2.2 1. Eine Produktionsfunktion weist zunehmende Skalenerträge [increasing returns to scale] auf, wenn gilt
f (λl, λk) > λf (l, k),
∀λ > 1,
d. h. eine Erhöhung aller Produktionsfaktoren um den gleichen Faktor führt dazu,
dass sich der Output um mehr als diesen Faktor erhöht.
2. Eine Produktionsfunktion weist abnehmende Skalenerträge [decreasing returns to
scale] auf, wenn gilt
f (λl, λk) < λf (l, k),
∀λ > 1,
d. h. eine Erhöhung aller Produktionsfaktoren um den gleichen Faktor führt dazu,
dass sich der Output um weniger als diesen Faktor erhöht.
3. Eine Produktionsfunktion weist konstante Skalenerträge [constant returns to scale]
auf, wenn gilt
f (λl, λk) = λf (l, k),
∀λ > 1,
d. h. eine Erhöhung aller Produktionsfaktoren um den gleichen Faktor führt dazu,
dass sich der Output um den gleichen Faktor erhöht.
Grafisch kann man sich die drei Arten von Skalenerträgen wie in Abbildung 2.1 gezeigt
veranschaulichen. Dabei ist jeweils eine Produktionsfunktion mit einem Input, der auf
der Abszisse abgetragen wird, und einem Output, der auf der Ordinate abgetragen wird,
dargestellt.
fl
2
fl
2
fl
2
1
1
1
1
2
l
,
1
2
l
,
1
2
l
Abbildung 2.1: abnehmende, konstante und zunehmende Skalenerträge
In unserem Beispiel der Cobb–Douglas–Produktionsfunktion hängt es von den Parametern α und β ab, ob abnehmende, konstante oder zunehmende Skalenerträge vorliegen.
Es gilt
f (λl, λk) = (λl)α (λk)β = λα+β lα k β = λα+β f (l, k).
Für λ > 1 ist


> λ
α+β
λ
=λ


<λ
für α + β > 1,
für α + β = 1,
für α + β < 1.
Daher besitzt eine Cobb–Douglas–Produktionsfunktion
Jörg Naeve
2 Grundlagen: Unternehmenstheorie und Wohlfahrtsbetrachtung
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• zunehmende Skalenerträge, falls α + β > 1,
• konstante Skalenerträge, falls α + β = 1 und
• abnehmende Skalenerträge, falls α + β < 1.
2.2 Kosten und Nachfrage
Die Kostenfunktion [cost function] eines Unternehmens wird ermittelt, indem man für ein
gegebenes Outputniveau, z. B. ȳ, feststellt, wie dieser Output mit den geringstmöglichen
Kosten hergestellt werden kann. Mit anderen Worten, die Kostenfunktion ergibt sich
durch die Lösung eines Minimierungsproblems.
Im Beispiel der Cobb–Douglas–Produktionsfunktion kann die Kostenfunktion wie folgt
bestimmt werden. Zunächst müssen wir Preise für die beiden Produktionsfaktoren einführen.
In Anlehnung an den Lohn (wage) für den Produktionsfaktor Arbeit, verwenden wir für
Inputpreise häufig die Notation w. Hier ist wl der Preis für Arbeit und wk der Preis für
Kapital. Wenn ein Unternehmen mit der Cobb–Douglas–Produktionsfunktion die Menge
ȳ zu geringstmöglichen Kosten herstellen möchte, muss es folgendes Minimierungsproblem lösen.
min
wl l + w k k
u.d.N.
lα k β = ȳ.
l,k
(2.1)
Die Zielfunktion sind die Kosten, d. h. die mit den jeweiligen Inputpreisen bewerteten
Mengen von Arbeit bzw. Kapitel, die das Unternehmen einsetzt. Die Nebenbedingung
ist, dass mit diesen Inputs gerade die gewünschte Menge ȳ produziert wird.
Die Lagrangefunktion für dieses Problem ist
L (l, k, λ) = wl l + wk k + λ ȳ − lα k β .
Die Bedingungen erster Ordnung lauten
∂L (l, k, λ)
= wl − λαlα−1 k β = 0
∂l
∂L (l, k, λ)
= wk − λβlα k β−1 = 0
∂k
∂L (l, k, λ)
= ȳ − lα k β = 0.
∂λ
Daraus erhält man durch Division von Gleichung 2.2 durch Gleichung 2.3
wl
λαlα−1 k β
αk
α α−1 −α β β−1
=
l
l
k
k
=
.
=
wk
λβlα k β−1
β
βl
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(2.2)
(2.3)
(2.4)
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Industrieökonomik
Sommersemester 2007
Auflösen nach l ergibt
l=
α wk
k.
β wl
(2.5)
Dies setzen wir in die Nebenbedingung (2.4 ein und erhalten
α
α
α wk
α wk
β
ȳ =
k α+β
k k =
β wl
β wl
Auflösen nach k ergibt
k = y
1
α+β
α wk
β wl
α
− α+β
.
Dies gibt an, welche Menge des Produktionsfaktors Kapital das Unternehmen einsetzen
wird, um bei gegebenen Faktorpreisen wl und wk die Menge ȳ mit geringstmöglichen
Kosten zu herzustellen. Diese Menge muss das Unternehmen am Markt kaufen, weshalb
wir sie als bedingte (auf den vorgegebenen Output ȳ) Faktornachfrage bezeichnen. Die
bedingte Faktornachfragefunktion [contingent factor demand] gibt für alle Faktorpreise
und Outputniveaus die entsprechende bedingte Faktornachfrage an. Für Kapital lautet
sie also
α
− α+β
1
α wk
α+β
.
k (wl , wk , y) = y
β wl
Wenn wir dies in Gleichung (2.5) einsetzen und vereinfachen erhalten wir auch die bedingte Faktornachfragefunktion für Arbeit
l (wl , wk , y) = y
1
α+β
α wk
β wl
β
α+β
.
Schließlich setzen wir diese beiden bedingten Faktornachfragefunktionen in die Zielfunktion unseres Minimierungsproblem ein, um die Kostenfunktion zu erhalten
C (wl , wk , y) = wl l (wl , wk , y) + wk k (wl , wk , y) .
Diese Funktion gibt für alle Faktorpreise wl und wk die minimalen Kosten an, die aufgewendet werden müssen, um ein vorgegebenes Outputniveau zu erzeugen.
In unserem Fall ist die Kostenfunktion gegeben durch
#
" β
α
− α+β
β
α
1
α
α α+β
+
wlα+β wkα+β y α+β
C (wl , wk , y) =
β
β
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2 Grundlagen: Unternehmenstheorie und Wohlfahrtsbetrachtung
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Die Kosten, die pro hergestellter Einheit Output anfallen, sind durch die Durchschnittskostenfunktion [average cost function] bestimmt. Wenn also y Einheiten produziert werden, dann betragen die Durchschnittskosten
AC (wl , wk , y) =
(wl , wk , y)
.
y
Die Änderung in den Kosten, die durch eine marginale Erhöhung des Outputs entstehen,
werden durch die Grenzkostenfunktion [marginal cost function] beschrieben
M C (wl , wk , y) =
∂C (wl , wk , y)
.
∂y
Um den Zusammenhang zwischen den Kosten, Durchschnitts- und Grenzkosten zu verdeutlichen, betrachten wir die Kostenfunktion
C(y) = F + cy 2 ,
F, c > 0.
Hierbei sind durch F die outputunabhängigen Fixkosten [fixed costs] bezeichnet, also die
Kosten die aufgewendet werden müssen, um überhaupt etwas produzieren zu können.
Sie hängen nicht von der Ausbringungsmenge ab. Die Kostenfunktion hat hier nur ein
Argument, nämlich die Outputmenge. Das heißt, dass wir implizit unterstellen, dass die
Faktorpreise auf einem bestimmten Niveau konstant bleiben.
Offensichtlich sind die Durchschnittskosten gegeben durch
AC(y) =
F
+ cy
y
und die Grenzkosten durch
M C(y) = 2cy.
Beide Kostenfunktionen sind in Abbildung 2.2grafisch dargestellt.
Die Grenzkostenfunktion ist linear mit
pder Steigung 2c und die Durchschnittskostenp
funktion fällt für
Outputniveaus
y
<
F/c
und
steigt
für
Outputniveaus
y
>
F/c.
p
Im Punkt y = F/c erreichen die Durchschnittskosten ihr Minimum.
Man sieht, dass die Durchschnittskostenfunktion gerade dort ihr Minimum erreicht, wo
sie von der Grenzkostenfunktion geschnitten wird. Dies gilt auch allgemein, wie man
sich leicht überlegt, wenn man die Bedingungen erster Ordnung für die Minimierung der
Durchschnittskosten betrachtet.
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Industrieökonomik
Sommersemester 2007
AC
20
15
10
5
5
10
15
20
y
Abbildung 2.2: Durchschnitts– und Grenzkosten
dAC(y)
= 0
dy
⇐⇒
d C(y)
y
= 0
dy
M C(y) C(y)
− 2 = 0
⇐⇒
y
y
C(y)
⇐⇒ M C(y) =
= AC(y).
y
Damit kann man leicht das Outputniveau bestimmen, das die Durchschnittskosten minimiert. y min ist gegeben durch
M C(y min ) = AC(y min ).
Man muss also nur Grenz– und Durchschnittskosten gleichsetzen und nach y auflösen.
In unserem Beispiel ergibt sich dieses Outputniveau aus der Gleichung
M C(y min ) = 2cy min =
F
y min
+ cy min = AC(y min ).
Daraus folgt
y min =
r
F
c
und damit
√
M C(y min ) = AC(y min ) = 2 cF .
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Der Zusammenhang zwischen Produktions- und Kostenfunktion: Dualität
Da wir die Kostenfunktion aus dem Minimierungsproblem (wie im Beispiel 2.1) hergeleitet haben, in dessen Nebenbedingung die Produktionsfunktion einging, besteht ein
enger Zusammenhang zwischen Kosten- und Produktionsfunktion. Diese Beziehung wird
als Dualität [duality] bezeichnet. Der Zusammenhang kann dazu herangezogen werden,
um Informationen über die Produktionsfunktion zu erhalten, wenn die Kostenfunktion
bekannt ist und umgekehrt.
Betrachten wir als Beispiel einen Produktionsprozess, bei dem nur ein Produktionsfaktor
(Arbeit) eingesetzt wird. Die Produktionsfunktion ist gegeben durch
y = f (l) = lγ ,
γ > 0.
Für unterschiedliche Werte von γ (γ < 1, γ = 1 und γ > 1), sieht die Produktionsfunktion aus wie in Abbildung 2.3 gezeigt.
fl
2
fl
2
fl
2
1
1
1
1
2
l
,
1
2
l
,
1
2
l
Abbildung 2.3: Produktionsfunktion für γ = 12 , γ = 1, γ = 2
Um daraus Informationen über die Kostenfunktion zu erhalten, invertieren wir die Produktionsfunktion.
l = y 1/γ
Wenn der Lohnsatz w beträgt, ergeben sich die Kosten zur Herstellung von y als
C(y) = wl = wy 1/γ .
Diese Kostenfunktion ist in Abbildung 2.4 ebenfalls für die drei Parameterwerte dargestellt.
Der Verlauf der Kosten- und Produktionsfunktion macht deutlich, dass zunehmende Skalenerträge, d. h. eine konvexe Produktionsfunktion mit einer konkaven Kostenfunktion,
konstante Skalenerträge, d. h. eine lineare Produktionsfunktion mit einer linearen Kostenfunktion und abnehmende Skalenerträge, d. h. eine konkave Produktionsfunktion mit
einer konvexen Kostenfunktion verbunden sind.
Dies kann auch aus dem Verlauf der Durchschnittskosten entnommen werden, die in
Abbildung 2.5 dargestellt sind.
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Industrieökonomik
Sommersemester 2007
Cy
2
Cy
2
Cy
2
1
1
1
1
2
y
1
,
2
y
1
,
2
y
Abbildung 2.4: konvexe, lineare und konkave Kostenfunktionen
AC
2
AC
2
AC
2
1
1
1
1
2
y
,
1
2
y
,
1
2
y
Abbildung 2.5: zunehmende, konstante und fallende Durchschnittskosten
Im ersten Fall — steigende Skalenerträge — nehmen die Kosten pro Stück mit zunehmender Outputmenge ab, bei konstanten Skalenerträgen, d. h. linearer Kostenfunktion
bleiben sie konstant und bei abnehmenden Skalenerträgen nehmen sie zu.
Übung: Überprüfen Sie anhand der Cobb–Douglas–Produktionsfunktion und der dazugehörigen Kostenfunktion den dargestellten Zusammenhang. Beachten Sie dabei, dass
die Summe der Parameter α und β Auskunft über die Skalenerträge der Produktionsfunktion gibt.
Nachfrage– und Grenzerlösfunktion
Um das Verhalten von Firmen am Markt zu studieren, müssen wir auch die Nachfrageseite modellieren. Dies wird im allgemeinen durch eine Nachfragefunktion [demand function]
y(p) getan. Eine Nachfragefunktion gibt zu jedem vorgegebenen Preis die nachgefragte
Menge an. Betrachten wir zum Beispiel die lineare Nachfragefunktion
y(p) =
a 1
− p,
b
b
wobei a und p positive Konstanten sind. Hier wird unterstellt, dass die Nachfrage nach
dem Produkt y nur vom Preis dieses Produktes abhängt; dies ist typisch für den partialanalytischen Ansatz vieler industrieökonomischer Modelle.
In der Industrieökonomik wird jedoch häufig nicht mit der Nachfrage, sondern mit der
inversen Nachfragefunktion [inverse demand function] gearbeitet. Diese Funktion gibt
Jörg Naeve
2 Grundlagen: Unternehmenstheorie und Wohlfahrtsbetrachtung
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an, welchen Preis man für eine gegebene Menge am Markt erzielen kann. Die inverse
Nachfragefunktion — auch als Preis–Absatz–Funktion bezeichnet — ist in unserem Fall
p(y) = a − by.
Eine grafische Darstellung ist in Abbildung 2.6 gegeben.
px
12
10
8
6
4
2
2
4
6
8
10
12
x
Abbildung 2.6: Preis-Absatz-Funktion
Eine wichtige Eigenschaft der Nachfragefunktion ist ihre Elastizität [elasticity]. Die Preiselastizität [price elasticity] gibt an, um wieviel sich — prozentual — die Nachfrage ändert,
wenn der Preis eine marginale prozentuale Erhöhung erfährt. Sie ist definiert als
ηp (y) =
dy(p) p
.
dp y
Definition 2.3 Für eine gegebene Menge y heißt die Nachfrage
1. elastisch [elastic], wenn ηp (y) < −1 (|ηp (y)| > 1);
2. unelastisch [inelastic], wenn −1 < ηp (y) < 0 (|ηp (y)| < 1);
3. einheitselastisch [unit elastic], wenn ηp (y) = −1 (|ηp (y)| = 1).
Die Elastizität der linearen Nachfragefunktion ist gegeben durch
ηp (y) =
dy(p) p
1 a − by
a
=−
=1− .
dp y
b y
by
Die Funktion ist daher elastisch für y < a/(2b), unelastisch für y > a/(2b) und einheitselastisch für y = a/(2b). Diese Elastizitätsbereiche sind in Abbildung 2.7 in die
Preis-Absatz-Funktion eingezeichnet.
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Industrieökonomik
Sommersemester 2007
p
ela
stis
ch
|ηp (y)| = 1
un
ela
stis
ch
a
2b
y
Abbildung 2.7: Elastizitätsbereiche
Erlös– und Grenzerlösfunktion
Die Erlösfunktion [revenue function] R(y) gibt an, welchen Erlös ein Unternehmen bei
der Menge y erzielen kann, wenn der dazugehörige Preis über die Preis-Absatz-Funktion
bestimmt wird. Dieser Erlös ergibt sich im Beispiel der linearen Nachfragefunktion als
p(y)y = ay − by 2 .
Man kann nun die Frage stellen, wie der Erlös eines Unternehmens sich ändert, wenn
die am Markt abgesetzte Menge etwas erhöht wird. Die Antwort darauf gibt die Grenzerlösfunktion [marginal revenue] M R(y). Sie ist definiert als die Ableitung der Erlösfunktion
M R(y) =
dRE(y)
.
y
Für den Fall einer linearen Nachfrage- bzw. Preis-Absatz-Funktion gilt der folgende
Zusammenhang.
Satz 2.4 Ist die inverse Nachfragefunktion linear, dann ist auch die Grenzerlösfunktion
linear und hat den selben Achsenabschnitt aber die doppelte (negative) Steigung, d. h.
M R(y) = a − 2by.
Dies ergibt sich unmittelbar aus der Ableitung der Erlösfunktion.
Man sieht auch, dass es einen Zusammenhang zwischen der Elastizität der Nachfragefunktion und der Grenzerlösfunktion gibt. Diesen Zusammenhang kann man wie folgt
Jörg Naeve
2 Grundlagen: Unternehmenstheorie und Wohlfahrtsbetrachtung
16
herleiten.
dp(y)y
dp(y)
dRE(y)
=
=p+y
dy
dy
dy
"
#
y 1
1
= p 1 + dy(p) = p 1 +
.
p
ηp (y)
M R(y) =
(2.6)
dp
Der Grenzerlös ist also positiv im elastischen Bereich der Nachfragefunktion, gleich Null
an der Stelle, an der die Elastizität gleich 1 ist und negativ im unelastischen Bereich.
2.3 Wohlfahrt
Eine ökonomische Beurteilung verschiedener ökonomischer Situationen sollte sich aus
klassischer mikroökonomischer Perspektive grundsätzlich auf die individuellen Bewertungen durch die Wirtschaftssubjekte stützen. Wir sprechen von Wohlfahrt [welfare] als
dem maß dafür, wie gut ein bestimmter Zustand aus Sicht der Gesellschaft, also aller
beteiligten Wirtschaftssubjekte als Gruppe ist.
Die relevante Größe für die Unternehmen ist ihr Gewinn [profit]. Die Summe aller gewinne
bezeichnen wir daher auch als Produzentenrente [producer rent].
Um das entsprechende Konzept für die Konsumentinnen zu definieren, starten wir mit
der inversen Nachfragefunktion.
Betrachten wir noch einmal die inverse Nachfragefunktion oder Preis–Absatz–Funktion
eines Konsumenten nach einem Gut x, also die Funktion p(x). Diese Funktion gibt
zu jeder Menge x den Preis , p(x) an, zu dem der Konsument gerade die Menge x
nachfragt. Den Wert der Preis–Absatz–Funktion für x = 1 können wir offenbar direkt
als die Zahlungsbereitschaft des Konsumenten für eine Einheit des Gutes interpretieren,
denn ist dies der Preis kauft er eine Einheit, aber sobald der Preis höher ist, kauft er
weniger. Den Wert der Preis–Absatz–Funktion für x = 2 interpretieren wir nun als die
Zahlungsbereitschaft für die zweite Einheit des Gutes. Wir stellen uns also vor, der
Konsument würde zwei Einheiten des Gutes nacheinander erwerben. Dann wäre er für
die erste bereit p(1) zu zahlen, für die zweite aber nur noch p(2). Demnach wären ihm
beide Einheiten also p(1) + p(2) wert.
Diese Überlegungen sind für die ersten drei Einheiten und eine lineare Preis–Absatz–
Funktion in Abbildung 2.8(a) grafisch dargestellt.
Dabei sind die Zahlungsbereitschaften für die einzelnen Einheiten als Säulen mit verschiedenen Grauschattierungen dargestellt, die gesamte Zahlungsbereitschaft für n Einheiten
ergibt sich als Summe der Flächen der ersten n dieser Säulen. Dass wir eine lineare
Preis–Absatz–Funktion betrachten liegt nur daran, dass die Grafiken für diese leichter
zu konstruieren sind, prinzipiell kann man die selben Überlegungen für jede beliebige
Preis–Absatz–Funktion anstellen.
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Industrieökonomik
p
Sommersemester 2007
p
p(1)
p(2)
p(3)
x
1 2 3
(a) diskret
3
x
(b) kontinuierlich
Abbildung 2.8: Zahlungsbereitschaft
Für diese Überlegungen haben wir so getan, als werde das Gut nur in ganzzahligen
Einheiten verkauft. In der Tat ist dies nicht der Fall, das Gut ist beliebig teilbar. Wir
könnten daher die Breite der betrachteten Säulen beliebig klein machen und kommen
schließlich dazu, dass die Zahlungsbereitschaft für eine Menge x gerade der Fläche unter
der Preis–Absatz–Funktion zwischen 0 und x entspricht, dies ist in Abbildung 2.8(b)
dargestellt.
Das, was der Konsument für eine Menge x̄ tatsächlich zahlen muss entspricht aber der
Fläche des Rechtecks mit Breite x̄ und Höhe p (x̄), da er ja für die gesamte Menge einen
einheitlichen Preis (pro Stück) zahlen muss. Dieses Rechteck sind die Ausgaben für die
Menge x̄. Dessen Fläche ist aber kleiner als die der Fläche, die seiner Zahlungsbereitschaft für x̄ entspricht. Die Differenz zwischen dem, was er zu bezahlen bereit wäre und
dem, was er tatsächlich zahlen muss, ist die Konsumentenrente []. Grafisch ist die Konsumentenrente die Fläche unter der Preis–Absatz–Funktion zwischen 0 und x̄ abzüglich
der Ausgaben. Grafisch ist dies in Abbildung 3.3 dargestellt. Die Konsumentenrente KR
ist die schattierte Fläche.
In der Zeichnung haben wir bewusst die Bezeichnung p̄ statt p (x̄) verwendet, um deutlich zu machen, dass die Konsumentenrente nicht auf den Fall beschränkt ist, dass wir die
Grafik im Sinne einer Preis–Absatz–Funktion interpretieren, also x vorgeben und p(x)
berechnen, sondern genausogut betrachtet werden kann, wenn wir sie im Sinne einer
Nachfragefunktion interpretieren, also p vorgeben und x(p) berechnen. Die Konsumentenrente hängt in jedem Fall von der Lage des Punktes auf der Kurve ab.
Damit können wir uns fragen, wie sich die Konsumentenrente ändert, wenn sich der
Preis des Gutes ändert (und der Konsument dementsprechend seine nachgefragte Menge
ändert). Abbildung 2.10 zeigt, dass die Konsumentenrente mit steigenden Preisen abnimmt, bzw. mit sinkenden Preisen steigt. dabei ist die Zeichnung so zu interpretieren,
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p
p̄
KR
x̄
x
Abbildung 2.9: Konsumentenrente
dass jede Fläche jeweils alle dunkler schattierten Flächen mit umfasst.
p
KR(p1 )
p1
p2
p3
KR(p2 )
KR(p3 )
x(p1 ) x(p2 ) x(p3 )
x
Abbildung 2.10: Änderung der Konsumentenrente bei Preisänderung
Zwar können wir die Konsumentenrente für beliebige Nachfrage bzw. Preis–Absatz–
Funktionen definieren und zeichnen, im Falle einer linearen Nachfrage bzw. Preis–Absatz–
Funktion können wir sie aber auch einfach berechnen.
Betrachten wir die Preis–Absatz–Funktion
p (x) = a − b x.
Daraus erhalten wir durch invertieren die Nachfragefunktion
x (p) =
a−p
a 1
− p =
.
b
b
b
In Abbildung 2.11 ist die Konsumentenrente für diese Nachfragefunktion dargestellt.
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Industrieökonomik
p
a
Sommersemester 2007
a−p
b
a−p
KR(p)
p
x(p) =
a−p
b
a
b
x
Abbildung 2.11: Konsumentenrente bei linearer Nachfragefunktion
Da es sich bei der Fläche, die der Konsumentenrente entspricht im Falle linearer Funktionen um ein Dreieck handelt, erhalten wir die Fläche einfach nach der Formel Grundseite
(hier a−p
) mal Höhe (hier a − p) durch zwei (sonst hätten wir die Fläche des gepunktet
b
angedeuteten Quadrats berechnet).
Die Konsumentenrente bei der betrachteten Nachfragefunktion ist also
(a − p)2
1 a−p
(a − p) =
.
KR (p) =
2 b
2b
Im allgemeinen Fall müssten wir zur Berechnung der Konsumentenrente bestimmte Integrale bilden und davon die Ausgaben abziehen. Die allgemeine Formel lautet für die
Preis–Absatz–Funktion p(x)
Z x̄
KR(x̄) =
p (x) dx − x p (x) .
x=0
Wenn wir die Konsumentenrente in Abhängigkeit von p ausdrücken wollen, müssen wir
zunächst zu vorgegebenem p̄ die dazugehörige Menge x̄ berechnen (für die p̄ = p /x̄) gilt)
und dann obige Formel anwenden.
Wir führen diese Formel hier der Vollständigkeit halber auf. Dass sie für viele abschreckend wirkt, mag erklären, warum wir die Konsumentenrente in der Regel nur für lineare
Nachfrage- bzw. Preis–Absatz–Funktionen betrachten.
Statt individuelle Nachfrage- bzw. Preis–Absatz–Funktionen und damit die Konsumentenrente eines Konsumenten zu betrachten, können wir genauso aggregierte Nachfragebzw. Preis–Absatz–Funktionen betrachten, was dazu führt, das wir auch die Konsumentenrente als aggregierte Konsumentenrente interpretieren müssen. In beiden Fällen
haben wir dadurch ein Maß dafür gewonnen, wie der bzw. die Konsumenten verschiedenen Marktsituationen, d. h. Kombinationen von Mengen und Preisen beurteilen.
Jörg Naeve
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