Descartes: Meditationen und Prinzipien der Phil

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Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Institut für Philosophie
ÜfA: Descartes: Meditationen und Prinzipien der Philosophie
Holger Lyre
Wintersemester 2005/2006
Essay zur 3. Meditation – Marcel Pawlowski
01.12.2005
Descartes’ Ziel in der dritten Meditation ist es, einen Beweis für die Existenz Gottes zu
finden. Er baut dabei auf dem Cogito-Argument auf, d.h. er weiß, dass er ein Ding ist, das
denkt. Er bemerkt ferner, dass er ein Mittel hat zu entscheiden, wann etwas wahr ist: Er setzt
fest: „[…] dass alles das wahr ist, was ich ganz klar und deutlich einsehe.“ 1 Zu diesen Dingen
gehört auch die Logik, die er zuvor als zweifelhaft verworfen hatte, nun aber mit der
Begründung, sie sei nur sehr wenig zweifelhaft als wahr annimmt, um im folgenden
Argumentieren zu können. Dabei folgt bereits aus der Logik selbst, dass ein auf zweifelhaften
Prämissen aufgebauter Beweis inkorrekt ist. Selbstverständlich auch dann, wenn die
Prämissen schließlich aus dem Bewiesenen folgen.
Eigentlich ließe sich Descartes’ Gottesbeweis an dieser Stelle bereits verwerfen. In den
vorangehenden Meditationen zweifelt Descartes jedoch Wahrheitswerte an, zieht Schlüsse
und weiß schließlich etwas, das zweifellos wahr sein soll. Daher benutzte Descartes meiner
Meinung nach bereits die Gültigkeit der Logik implizit, auch wenn er dies bestreitet. Ich
nehme sie daher einmal als gegeben hin.
Descartes argumentiert nun wie folgt: zunächst weist er Vorstellungen eine objektive Realität
und Dingen eine formale Realität zu. Ferner geht er davon aus, dass jede Vorstellung eine
Ursache haben muss.
Dann aber fordert er, dass die Ursache einer Vorstellung mindestens soviel formale Realität
besitzen muss, wie die Vorstellung an objektiver Realität besitzt, bzw. dass es zumindest eine
erste Vorstellung gibt, deren Ursache dann formale Realität haben muss.
Diese erste Ursache könnte natürlich Descartes selbst sein, er hat schließlich schon
festgestellt, dass er existiert. Um nun zu zeigen, dass dort außerhalb von ihm noch etwas
anderes existiert, muss er zeigen, dass er eine Vorstellung hat, die nicht aus seiner eigenen
formalen Realität abgeleitet werden kann, d.h. eine Vorstellung mit größerer objektiver
Realität als sein Ich formale Realität hat.
Er behauptet nun, diese Vorstellung sei die Gottes als „[…] unendliche, unabhängige,
allweise, allmächtige Substanz […]“ 2 und sie besäße die größtmögliche objektive Realität. Er
selbst habe diese vollkommenen Eigenschaften nicht, wodurch seine formale Realität geringer
sein muss.
Er schlussfolgert nun, dass er nicht die Ursache der Vorstellung Gottes sein kann, es also
außerhalb von ihm eine Ursache mit ausreichender formaler Realität geben muss. Diese
Ursache kann nur Gott sein, da nur diese alle vollkommenen Eigenschaften hat.
Descartes’ Argumentation mag zwar in sich schlüssig sein, doch der Aussagewert seines
Beweises steht und fällt mit der Gültigkeit der Prämissen. Diese bieten gleich eine ganze
Reihe von Angriffspunkten. Ich will mich hier auf einen beschränken und die anderen
Prämissen einmal stillschweigend hinnehmen:
1
2
René Descartes, Meditationes de Prima Philosophia, Reclam, 3. Meditation, 2. Abschnitt
ebd., 22. Abschnitt
Warum sollte die Vorstellung Gottes nicht aus mir selbst hervorgegangen sein? Descartes
meint, meine Endlichkeit erlaube mir nicht, die Idee von etwas Unendlichem zu bilden. Aber
vielleicht erfasse ich die Unendlichkeit ja gar nicht. Ich kann mich vielleicht der Vorstellung
des Unendlichen annähern, indem ich mir etwas sehr großes vorstelle und wann immer ich
mich einer Grenze nähere etwas hinzunehme. Aber das Unendliche erreicht mein Geist nicht.
Kann ich überhaupt die Vorstellung von etwas Unendlichem haben? Descartes selbst sagt:
„Es liegt nämlich im Begriff des Unendlichen, daß es von mir, der ich endlich bin, nicht
verstanden werden kann.“ 3
Wie lässt sich eine solche Vorstellung dann aber klar und deutlich auffassen? Wie kann die
Vorstellung von Gott die „[…] wahrste, klarste und deutlichste aller meiner Vorstellungen
[…]“ 4 sein, wenn ich, der ich endlich bin, sein Wesen nicht fassen kann. Descartes sagt dazu:
„Jene Vorstellung ist auch vollkommen klar und deutlich, denn in ihr ist alles enthalten, was
ich klar und deutlich wahrnehme, […]“ 5 .
Ich kann allerdings immer nur einen endlichen Teil von ihm betrachten, der per Definition im
Vergleich zur Unendlichkeit verschwindend gering sein muss. Doch eine Vorstellung, die
nicht einmal den Bruchteil einer Sache umfasst kann in meinen Augen nicht deutlich sein,
selbst wenn ein Teil von ihr klar und deutlich ist.
Im Anschluss, fast so, als wüsste Descartes von den Schwächen des Beweises, führt er noch
einen zweiten Beweis Gottes. Er versucht die Annahme, er selbst existiere ohne dass es ein
vollkommenes Seiendes (Gott) gibt, zum Widerspruch zu führen.
Der Beweis baut darauf auf, dass Descartes irgendwie entstanden sein muss. Wenn Gott nicht
der Schöpfer wäre, so kämen als solche in Frage: Descartes selbst, seine Eltern, oder eine
andere, weniger vollkommene Ursache als Gott.
Descartes will nun die Annahmen zum Widerspruch führen und beginnt damit zu zeigen, dass
er sich nicht selbst geschaffen haben kann. In diesem Fall hätte er sich nämlich mit allen ihm
bekannten Vorzügen ausgestattet. Da er eine Vorstellung von der Vollkommenheit Gottes hat,
hätte er sich diese verliehen und wäre somit selbst Gott. Bei einem derart narzisstischen
Menschen wie Descartes mag dies zutreffen, vorstellbar ist aber auch, das er sich nicht alle
Eigenschaften verliehen hat, das er sich vielleicht sogar die Erinnerung an das Vermögen oder
Unvermögen, sich diese Vollkommenheit zu verleihen, gelöscht hat.
Ein zweiter entscheidender Aspekt seiner Argumentation ist es, festzuhalten, dass er
geschaffen worden sein muss.
Dazu stellt er zunächst fest: „Die ganze Lebenszeit kann nämlich in unzählige Teile zerlegt
werden, und jeder dieser Teile ist gänzlich unabhängig von allen anderen.“ 6
Wie das? Hat nicht jeder dieser Teile einen Anschlusspunkt an einen anderen? Wenn dem
nicht so wäre und wir in jedem Moment aufs neue aus Nichts geschaffen werden und uns
unsere vermeintlich bisherigen Erfahrungen eingepflanzt werden, so verlieren zeitliche
Abfolgen ihren Sinn. Die Teile unserer Lebenszeit können ungeordnet abfolgen und uns
würde dies nicht auffallen, womöglich existieren wir nur in diesem einen Augenblick. Um mit
Descartes zu sprechen: wir würden getäuscht in unserer Wahrnehmung von Zeit. Wir müssten
anzweifeln, dass so etwas wie Zeit existiert und schließlich zu dem Schluss kommen, dass wir
gar nicht immer wieder neu geschöpft werden müssten, da wir nur wüssten, dass es uns jetzt
gerade gibt, dass es vielleicht überhaupt nur diesen einen Augenblick gibt.
3
ebd., 25. Abschnitt
ebd., 25. Abschnitt
5
ebd., 25. Abschnitt
6
ebd., 31. Abschnitt
4
Descartes kann auch nicht immer aus sich heraus existiert haben, behauptet er anschließend,
da „[…] dieselbe Kraft und Tätigkeit nötig ist, um ein Ding in den einzelnen Momenten
seiner Dauer zu erhalten, als zu seiner Neuschöpfung erforderlich wäre […]“ 7 Eine weitere
Begründung liefert er nicht, er verweist nur darauf, dass dies „[…] zu den durch das
natürliche Licht offenkundigen Wahrheiten […]“ 8 gehöre. Dies soll wohl möglichen
Einwänden entgegenkommen nach dem Motto: denkt man nur genügend klar darüber nach, so
kommt man zu der selben Schlussfolgerung.
Vielleicht war es aber auch eine zu seiner Zeit allgemein anerkannte Meinung, was dann aber
im Widerspruch zu Descartes’ radikalem Zweifeln und seiner Abneigung gegenüber
scholastischen Meinungen stünde. Aus heutiger Sicht jedenfalls steht diese Behauptung wie
aus der Luft gegriffen da und widerspricht unseren Vorstellungen. Womöglich haben die zu
Descartes’ Zeiten noch unbekannten Erhaltungssätze der Physik zu dieser heutigen
Auffassung geführt. Es ist mir jedenfalls kein Grund ersichtlich, weshalb die Dinge nicht auch
bleiben sollten, wie sie sind, sofern nichts auf sie einwirkt um sie zu ändern.
Wäre Descartes nun aus einer anderen Ursache als sich selbst oder Gott hervor gegangen, so
müsste diese Ursache mindestens genauso viel Realität enthalten wie er, also ein
vernunftbegabtes Wesen sein. Dieses müsste wieder aus etwas hervorgegangen sein, das eine
derartige Ursache darstellt. Descartes behauptet nun, es müsse eine letzte Ursache geben, die
dann aus nichts mehr hervorgegangen sein kann. Dies könne nur Gott als vollkommenes
Wesen sein.
Dieser Schluss ist spätestens seit Entwicklung der Evolutionstheorie nicht mehr zwingend.
Insbesondere besteht zumindest die Möglichkeit, dass sich vernunftbegabte Wesen aus nichtvernunftbegabten Wesen entwickeln konnten.
Descartes hätte hier sicher vehement protestiert, da in seinen Augen nicht-vernunftbegabte
Wesen bloße Automaten darstellen, die eine geringere formale Realität enthalten als
vernunftbegabte Wesen. Insbesondere zufällige Entwicklungen schließt er mit seiner
Auslegung von Ursache und Wirkung offensichtlich aus.
Doch auch wenn man die natürliche Evolution nicht als gesicherte Erkenntnis hinnimmt, zeigt
es eine Alternative zu Descartes’ Schluss auf und macht somit seinen Beweis auch an dieser
Stelle zunichte.
Abschließend ist zu bemerken, dass Descartes’ Beweise zwar logisch korrekt sein mögen, wie
man es von einem Mathematiker seines Rangs erwartet, aber dennoch keine Aussagekraft
haben. Grund sind die mangelhaften Prämissen. Manche Unzulänglichkeiten mögen sich aus
dem historischen Kontext erklären, doch häufig scheint mir der radikale Zweifel zuviel vom
Fundament abgetragen zu haben, um nun darauf noch sichere Argumentationsschritte zu
vollziehen.
7
8
ebd., 31. Abschnitt
ebd., 31. Abschnitt
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