Berufung und geistliche Begleitung

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Vorlesung WS 2014/2015
T h e o l o g i s c h e F a k u l t ä t P a d e r b or n – P r o f . D r . D r . B e r n d I r l e n b or n
Philosophie der Neuzeit: Erkenntnistheorie, Metaphysik, Gotteslehre
(Descartes, Kant, Hegel, Nietzsche)
René Descartes
(1596-1650)
Begriffe:
Rationalismus, Empirismus, Evidenz, methodischer Zweifel, genius malignus (Betrügergeist), „ego
sum, ego existo“ (Med. II, 3, 6), res cogitans (denkendes Ding, denkende Substanz), res extensa (ausgedehnte Substanz), Dualismus, clare et distincte perceptio (klare und deutliche Auffassung).
Werke:
1628: Regeln zur Leitung des Geistes (Regulae ad directionem ingenii); 1637: Von der Methode des
richtigen Vernunftgebrauchs (Discours de la méthode); 1641: Meditationen über die erste Philosophie
(Meditationes de prima philosophia); 1644: Prinzipien der Philosophie (Principia philosophiae);
1648: Gespräche mit Burman (Entretien avec Burman); 1649: Die Leidenschaften der Seele (Les passions de l’âme).
Literatur:
Einführungen: D. Perler, René Descartes, München 2 2006, Ders., René Descartes: Das Projekt einer
radikalen Neubegründung des Wissens, in: L. Kreimendahl (Hg.), Philosophen des 17. Jah rhunderts,
Darmstadt 1999, 69-90; H. Poser, René Descartes. Eine Einführung, Stuttgart 2003; Vertiefung: G.
Betz, Descartes’ Meditationen. Ein systematischer Kommentar, Stuttgart 2011; J. P. Carriero, Between
Two Worlds. A Reading of Descartes’s Meditations, Princeton 2009; J. Cottingham (Hg.), The Cambridge Companion to Descartes, Cambridge 1992; A. Kemmerling, Ideen des Ichs. Studien zu Descartes’ Philosophie, Frankfurt/M. 2 2005; Ders. (Hg.), René Descartes: Meditationen über die Erste Philosophie, Reihe „Klassiker Auslegen“, Berlin 2009; W. F. Niebel u. a. (Hg.), Descartes im Diskurs der
Neuzeit, Frankfurt/M. 2000.
Texte:
(1) Discours de la méthode II:
„Die erste Regel : Niemals eine Sache als wahr anzunehmen, die ich nicht als solche einleuchtend e rkennen würde, d. h., sorgfältig die Übereilung und das Vorurteil zu vermeiden und über nichts zu u rteilen, was sich meinem Verstand nicht so klar und deutlich darstellte, dass ich keinen Anlass hätte,
daran zu zweifeln. Die zweite Regel: jede der Schwierigkeiten, die ich untersuchen würde, in so viele
Teile zu zerlegen, wie es nötig ist, um sie leichter zu lösen. Die dritte Regel: Meine Gedanken so zu
ordnen, dass ich mit den einfachsten Gegenständen beginne, um nach und nach, gleic hsam stufenweise, bis zur Erkenntnis der am meisten zusammengesetzten aufzustei gen  Die vierte Regel:
Überall so vollständige Aufzählungen durchzuführen und so umfassende Übersichten anzulegen, dass
ich sicher wäre, nichts zu vergessen.“
(2) Meditationes I, 1:
„Schon vor einer Reihe von Jahren habe ich bemerkt, wieviel Falsches ich in meiner Jugend habe ge lten lassen und wie zweifelhaft alles ist, was ich hernach darauf aufgebaut, dass ich daher einmal im
Leben alles von Grund aus umstoßen und von den ersten Grundlagen an neu beginnen müsse, wenn
ich jemals für etwas Unerschütterliches und Bleibendes in den Wissenschaften festen Halt schaffen
wollte.“
(3) Meditationes I, 1:
„In der Ersten Meditation werden die Gründe auseinandergesetzt, weshalb wir an allen, besonders
aber an den materiellen Dingen zweifeln können; solange nämlich unser Wissen nicht festere Grun dlagen hat als bisher. Allerdings dürfte wohl der Wert eines so umfassenden Zweifels nicht auf den ersten Blick klar sein. Er ist gleichwohl sehr groß, insofern uns nämlich von allen Voru rteilen befreit und
uns den Weg ebnet, um ganz leicht den Verstand von den Sinnen abzuziehen. Schließlich bewirkt er,
dass wir an dem, was wir hernach für wahr befinden, nie wieder zweifeln können.“
(4) Meditationes I, 8- 9, 11:
„Denn ich mag wachen oder schlafen, so sind doch stets 2 + 3 = 5, das Qua drat hat nie mehr als vier
Seiten, und es scheint unmöglich, dass so augenscheinliche Wahrheiten in den Verdacht der Falschheit geraten könnten. Es ist indessen in meinem Denken eine alte Überzeugung verwurzelt, dass es
einen Gott gebe, der alles vermag und von dem ich so, wie ich bin, geschaffen wurde. W oher weiß ich
aber, ob er nicht bewirkt hat, dass es überhaupt keine Erde, keinen Himmel, kein ausgedehntes Ding,
keine Gestalt, keine Größe, keinen Ort gibt und dass dennoch dies alles genau so, wie es mir jetzt vorkommt, bloß da zu sein scheint; ja sogar auch, so wie ich überzeu gt bin, dass andere sich bisweilen in
dem irren, was sie vollkommen zu wissen meinen, ebenso könnte auch ich mich täuschen, sooft ich 2
und 3 addiere oder die Seiten des Quadrats zähle, oder was man sich noch leichteres denken mag.
Aber vielleicht hat Gott nicht gewollt, dass ich mich täusche, heißt er doch der Allgütige. Allein, wenn
es mit seiner Güte unvereinbar wäre, dass er mich so geschaffen hat, daß ich mich stets täusche, so
schiene es doch ebensowenig dieser Eigenschaft entsprechend, zu erlauben, d ass ich mich bisweilen
täusche, welch letzteres sicherlich doch der Fall ist. []
So will ich denn annehmen, nicht der allgütige Gott (non optimum deum), die Quelle der Wahrheit,
sondern irgendein böser Geist (genium aliquem malignum), der zugleich allmächtig und verschlagen
ist, habe all seinen Fleiß daran gewandt, mich zu täuschen; ich will glauben, Himmel, Luft, Erde, Fa rben, Gestalten, Töne und alle Außendinge seien nichts als das täuschende Spiel von Träumen, durch
die er meiner Leichtgläubigkeit Fallen stellt; mich selbst will ich so ansehen, als hätte ich keine Hä nde, keine Augen, kein Fleisch, kein Blut, überhaupt keine Sinne, sondern glaubte nur fälschlich das
alles zu besitzen. Und ich werde hartnäckig an diesem Gedanken fes thalten und werde so – wenn ich
auch nicht imstande sein sollte, irgendetwas Wahres zu erkennen, – mich doch entschlossenen Sinnes
in acht nehmen, soviel an mir liegt, nichts Falschem zuzustimmen, noch von jenem Betrüger mich
hintergehen zu lassen, so mächtig und so verschlagen er auch sein mag.
(5) Meditationes II, 2-3, 8:
„Ich setze also voraus, dass alles, was ich sehe, falsch ist, ich glaube, dass nichts jemals existiert hat,
was das trügerische Gedächtnis mir darstellt: ich habe überhaupt keine Sinne; Körper, Gestalt, Au sdehnung, Bewegung und Ort sind nichts als Einbildungen. Was also bleibt Wahres ü brig? Vielleicht
nur dies eine, dass nichts gewiss ist. [] Also wäre doch wenigstens ich irgendetwas? Aber  ich habe
bereits geleugnet, dass ich irgendeinen Sinn, irgendeinen Körper habe. Doch hier stutze ich: was soll
daraus folgen? Bin ich etwa so an den Körper und die Sinne gefesselt, dass ich ohne sie nicht sein
kann? Indessen, ich habe mir eingeredet, dass es schlechterdings nichts in der Welt gibt: keinen
Himmel, keine Erde, keine denkenden Wesen, keine Körper, also doch auch wohl mich selbst nicht?
Keineswegs; sicherlich war ich, wenn ich mir etwas eingeredet habe.  Aber es gibt einen, ich weiß
nicht welchen, allmächtigen und höchst verschlagenen Betrüger, der mich gefli ssentlich stets täuscht.
 Nun, wenn er mich täuscht, so ist es also unzweifelhaft, dass ich bin. Er täusche mich, soviel er
kann, niemals wird er doch fertig bringen, dass ich nichts bin, solange ich denke, dass ich etwas sei.
Und so komme ich, nachdem ich nun alles mehr als genug hin und her erwogen habe, schließlich zu
der Feststellung, dass dieser Satz: ‚Ich bin, ich existiere‘ (ego sum, ego existo), sooft ich ihn ausspreche oder in Gedanken fasse, notwendig wahr ist. []
Was aber bin ich demnach? Ein denkendes Wesen (res cogitans)! Was heißt das? Nun,  ein Wesen,
das zweifelt, einsieht, bejaht, verneint, will, nicht will und das sich auch etwas bildlich vo rstellt und
empfindet.“
Drei Stufen des Zweifels in den Meditationes:
(1)
Zweifel, ob die ihn umgebende Welt überhaupt in Wirklichkeit vorhanden oder E rgebnis einer
Sinnestäuschung ist
= Sinnenskeptizismus
(2) Zweifel, ob die Welt etwa bloße Einbildung oder das Produkt eines Traumes ist
= Außenweltskeptizismus erster Stufe: Traumargument
(3) Zweifel, ob die Welt tatsächlich so vorhanden ist, wie der Mensch sie erfährt, oder ob uns ein
Betrügerdämon täuscht
= Außenweltskeptizismus zweiter Stufe: Betrügerargument
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