4.-21.11.11 Maxim Gorki Theater Berlin „Kleists Figuren hören nie auf nach dem Sinn zu suchen. Sie werden der Welt (der Zeit) untreu, doch nur um dadurch ihre Treue zu jener anderen Welt zu beweisen, die mit dieser identisch, von ihrer Gebrechlichkeit und Hinfälligkeit jedoch frei ist.“ – László Földényi, „Kleist. Im Netz der Wörter“ Einstürzende Welten als Chance S.3 S.4 Großes historisches Ritterschauspiel von Heinrich von Kleist Jan Bosse Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe In einer unterirdischen Höhle mit einem Femegericht vermummter „Grafen, Herren und Ritter“ beginnt dieses „grosse historische Ritterschauspiel“, wie Kleist es (leicht ironisch?) nannte und zum Anlass nimmt, wieder einmal die Welt ins Verhör zu nehmen. 1808 schreibt er an Joseph von Collin: „Denn wer das Käthchen liebt, dem kann die Penthesilea nicht ganz unbegreiflich sein, sie gehören ja wie das + und das – der Algebra zusammen, und sind Ein und dasselbe Wesen, nur unter entgegengesetzten Beziehungen gedacht.“ Auch im Käthchen begegnet dem Mann eine starke Frau. Die Überforderung schlechthin: sie liebt den Grafen Wetter vom Strahl über alles. Sie verfolgt ihn überall hin, er will von ihr nichts wissen – sie ist nicht von seinem Stand. In einem Traum wird ihm prophezeit, dass er einst eine Tochter aus kaiserlichem Hause heiraten wird. Irrtümlich hält er Kunigunde dafür, die allen Rittern den Kopf verdreht. Seine Rüstung wird den Ritter vom Strahl nicht vor der bedingunslosen Liebe des Käthchens schützen; er wird sich ihr ergeben müssen – zumal dem unerschrockenen Mädchen nicht nur die Unterstützung des Kaisers selbst, sondern in einem Feuer die Hilfe eines leibhaftigen Engels zuteil wird.Im Käthchen begegnen wir der Sehnsucht nach der Einheit mit dem Sein: „Käthchen ist naiv. Ist unschuldig, sie hat diese Einheit. Sie ist die Wissende, die der Vernunft des Unbewussten gehorcht.“ (Günter Blöcker). Für unsere heutige Vorstellung trägt Käthchens unerschütterliche Zuversicht und ihr Glaube an die Liebe utopische Züge. Regie: Jan Bosse; Bühne: Stéphane Laimé; Kostüme: Kathrin Plath; Dramaturgie: Gabriella Bußacker. Jan Bosse (*1969) studierte Theaterwissenschaft, Germanistik und Kunstgeschichte an der Universität Erlangen/Nürnberg, danach Schauspielregie an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Es folgten Inszenierungen in Berlin, Wien und München. 2000-2005 war Jan Bosse Hausregisseur am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Er inszenierte am Schauspielhaus Zürich (zuletzt: „Hamlet“, eingeladen zum Theatertreffen 2008), Schauspiel Frankfurt, Burgtheater Wien und am Thalia Theater Hamburg. Beim 44. Theatertreffen 2007 war er mit zwei Inszenierungen vertreten: „Viel Lärm um nichts“ vom Burgtheater Wien und „Die Leiden des jungen Werthers“ vom Maxim Gorki Theater Berlin. Jan Bosse ist Hausregisseur des Maxim Gorki Theaters Berlin. Premiere: 4.11.2011, 19:30 Uhr, Bühne / weitere Vorstellung: 5.11.2011, 19:30 Uhr S.5 Lustspiel nach Molière von Heinrich von Kleist Jan Bosse Amphitryon Langezeit führte „Amphitryon“ als vermeintlich bloße Übersetzung des Erfolgsstückes von Molière ein Nischendasein in der Wahrnehmung des kleistschen Gesamtwerkes. Dabei hatte bereits der zeitgenössische Herausgeber Adam Müller zu Recht erkannt: „Eigenthümlich und im edelsten Sinne des Werks original ist diese Bearbeitung des Molière.“ Den Stoff lieferte eine Randnotiz der griechischen Mythologie: die Zeugungsgeschichte des Herakles. Begeistert von der Schönheit der Alkmene beschließt Zeus, sie in Gestalt ihres Mannes Amphitryon zu besuchen. Die getäuschte Alkmene erlebt mit dem falschen Ehemann eine unvergessliche Liebesnacht. Der echte Amphitryon, als Sieger aus der Schlacht heimgekehrt, erlebt seine größte Niederlage im Privaten: Ein anderer raubt ihm seine Identität. Was bleibt, wenn einem alles genommen wird, wenn selbst das Ich abhanden kommt? Vom titelgebenden Helden lenkt Kleist den Fokus auf Alkmene und lässt sie auf die Frage nach dem Ich mit dem berühmtesten „Ach!“ der Literaturgeschichte antworten: drei Buchstaben, die die Komödie ins Schleudern bringen. Mit: Hilke Altefrohne, Michael Klammer, Robert Kuchenbuch, Hans Löw, Anja Schneider. Regie: Jan Bosse; Bühne: Stéphane Laimé; Kostüme: Dagmar Fabisch; Musik: Arno Kraehahn; Dramaturgie: Ludwig Haugk. Vorstellung: 8.11.2011, 19:30 Uhr, Bühne Tickets Jetzt! S.6 Schauspiel nach Carlo Goldoni und Heinrich von Kleist Armin Petras Der Krieg Zwei Feldherren im Belagerungszustand. Sigismondo steht vor den Toren einer namenlosen italienischen Kleinstadt, Robert Guiskard vor den Toren Konstantinopels. In Italien wütet die Gewinn- und Genusssucht, in Kleinasien die Pest. Carlo Goldoni und Heinrich von Kleist haben mit der Komödie „La Guerra“ und dem Fragment gebliebenen Trauerspiel „Robert Guiskard“ zwei völlig verschiedene Bilder des Krieges gezeichnet. „Zwar bist du, wie du sagst, noch unberührt; / Jedoch dein Volk ist, deiner Lenden Mark, / Vergiftet, keiner Taten fähig mehr. / O führ uns fort aus diesem Jammertal! / Führ uns zurück, zurück ins Vaterland!“ Schreibt Kleist 1808. „Schön ist der Krieg! Ich kann nur Gutes darübersagen. Den möchte ich sehen, der - wenn er in vier oder fünf Kriegsjahren hunderttausend Scudi machen kann - aus lauter Nächstenliebe den Frieden will.“ Schreibt Goldoni 1760. „Wir befinden uns in einem Krieg gegen einen zu allem entschlossenen, fanatischen Gegner. Dieser Hauptfeldwebel ist nicht ums Leben gekommen, wie bei seiner Beisetzung erklärt worden ist, er ist für die Bundesrepublik Deutschland gefallen.“ Sagt der Bundeswehrverband 2008. Der Umgang mit Krieg als Lebenswirklichkeit steht im Zentrum der aktuellen politischen Debatte und des theatralen Doppelprojekts von Armin Petras. Mit: Tabea Bettin, Peter Brombacher, Peter Jordan, Thomas Lawinky, Wiebke Puls, Steven Scharf, Thomas Schmauser, Edmund Telgenkämper, Zimmermann. Regie: Armin Petras; Bühne: Susanne Schuboth; Kostüme: Bierner; Musik: Thomas Kürstner,Sebastian Vogel;Dramaturgie: Malte Lasse Myhr, Regine Karoline Jelden. Armin Petras *1964 in Meschede. 1969 Übersiedlung mit seinen Eltern in die DDR. Von 1985 bis 1987 Regie-Studium an der HfS „Ernst Busch“ Berlin, Mitbegründer der Theatergruppe Medea Ost. 1987 Inszenierung von Heiner Müllers „Wolokolamsker Chaussee 1-3“ am Theater Nordhausen. 1988 Ausreise in die BRD.1990-1991 Regieassistent an den Münchner Kammerspielen, 1992 -1993 Regisseur am Kleist-Theater Frankfurt/Oder. 1996-1999 Oberspielleiter am Theater Nordhausen sowie Hausregisseur in Leipzig. 1999-2002 Schauspieldirektor am Staatstheater Kassel. 2002-2006 Hausregisseur am Schauspielfrankfurt/Main und Leitung der Spielstätte schmidtstraße 12. Seit der Spielzeit 2006/07 Intendant am Maxim Gorki Theater Berlin. Gastspiel der Münchner Kammerspiele: 10.11.2011, 19:30 Uhr, Bühne S.7 Tickets Jetzt! Drama von Heinrich von Kleist Armin Petras Die Hermannsschlacht Teutoburger Wald, 9 n. Chr.: Cheruskerfürst Hermann schürt den Hass der einheimischen Bevölkerung auf die römischen Besatzer bis schließlich fast alle zuvor zerstrittenen Stammesfürsten auf seiner Seite stehen. Nachdem Varus‘ römische Truppen in einem Hinterhalt vernichtend geschlagen sind, wird Hermann zum Retter von Germanien ausgerufen. Neben Heinrich von Kleists 1808 entstandenem Stück widmet sich die Bearbeitung von Armin Petras auch dem gleichnamigen Stück von Christian Dietrich Grabbe aus dem Jahr 1835. „Kleist ist mein Lieblingsautor. Aber Grabbe gehört auch zu meinen liebsten Autoren. Ich finde, dieser kranke Größenwahn beschreibt Deutschland natürlich sehr schön und in der Mischung aus Größenwahn und extremer Verzweiflung sind Grabbe und Kleist sich sehr nahe.“ Armin Petras Mit: Katharina Hackhausen, Horst Kotterba, Peter Kurth, Lasse Myhr, Jochen Noch, Wiebke Puls, Edmund Telgenkämper, Michael Tregor und dem Modern String Quartet: Joerg Widmoser (Violine), Winfried Zrenner (Violine), Andrea Hörich (Viola), Jost-H. Hecker (Violoncello). Regie: Armin Petras; Bühne: Katrin Brack; Kostüme: Valerie von Stillfried; Musik: Thomas Kürstner, Sebastian Vogel; Dramaturgie: Malte Jelden. Gastspiel der Münchner Kammerspiele: 12.11.2011, 19:30 Uhr, Bühne Tickets Jetzt! S.8 Preußisches Traumspiel von Heinrich von Kleist Armin Petras Prinz Friedrich von Homburg Zwei Mal schon hat der junge Prinz Friedrich im Krieg gegen die Schweden bei Fehrbellin versagt. Und die nächste Schlacht ist nah. Geschwächt vom Kampf fällt er in einen tiefen Traum. Es ist ein Traum vom Ruhm – und von der Liebe. Homburg ahnt nicht, wie nah ihm die angebetete Natalie bereits ist. Gefangen in seinen Träumen überhört er die Anweisung des Kurfürsten, nicht ohne ausdrücklichen Befehl in die Schlacht einzugreifen. Als er den rechten Moment gekommen sieht, greift er ohne zu Zögern an und erringt den entscheidenden Sieg über die Schweden. Ohne Befehl. Dem Siegestaumel folgt der tiefe Sturz. In einem schnellen Verfahren wird die Todesstrafe verhängt. Der Prinz glaubt zu träumen. Trudelnd bewegt er sich zwischen Schicksalsergebenheit, Sehnsucht nach Leben und abgrundtiefer Furcht. Einzig der Kurfürst kann ihn nun noch retten. Natalie tut alles, um ihren Geliebten ins Leben zurück zu holen. Im Angesicht des Kurfürsten aber trifft Homburg seine Entscheidung schließlich allein im Namen seines Gewissens. Im von napoleonischen Truppen besetzten Berlin greift der chancenlose Dichter Kleist ein Jahr vor seinem Selbstmord zu einem letzten Strohhalm und beschwört Selbstaufgabe und Opfertod. Armin Petras befragt die Standpunkte der Figuren in Kenntnis des aktuellen Lebensgefühls in der Mark Brandenburg und inszeniert Kleists preußisches Traumspiel als zeitgenössischen Alptraum. Mit: Sandra Bayrhammer, Susanne Böwe, Andreas Haase, Robert Kuchenbuch, Peter Kurth, Gunnar Teuber. Regie: Armin Petras; Bühne: Katrin Brack; Kostüme: Aino Laberenz; Video: Chris Kondek; Dramaturgie: Andrea Koschwitz. Vorstellung: 13.11.2011, 19:30 Uhr, Bühne S.9 Tickets Jetzt! Trauerspiel von Heinrich von Kleist Felicitas Brucker Penthesilea Auf dem Schlachtfeld stehen sich die Heere der Griechen und Trojaner gegenüber. Unter Führung der Königin Penthesilea rückt das Heer der Amazonen aus Kleinasien an. Nach dem Gesetz ihres Frauenstaates müssen die Amazonen sich ihre Männer im Kampf erobern und als Gefangene in die Hauptstadt führen, wo dann beim Rosenfest die Vereinigung stattfindet. Auf dem Schlachtfeld treffen sich Penthesilea, die Amazonenkönigin, und Achill, der Griechenheld, zum ersten Mal. Im Zweikampf unterliegt die junge Königin Achill und verliert das Bewusstsein. Als sie erwacht, macht er sie glauben, sie habe ihn besiegt. Doch der Betrug fliegt auf. Schließlich fordert Achill Penthesilea erneut zum Kampf um Leben und Tod heraus, um sich freiwillig besiegen zu lassen und in der süßen Gefangenschaft des Rosenfestes Penthesilea zu gewinnen. Doch Penthesilea verwandelt sich in eine Furie: Liebe und Tod werden eins im Rausch, Tod ist Erfüllung, die Welt ein Schlachtfeld. Mit: Julischka Eichel, Wilhelm Eilers, Michael Klammer, Christian Kuchenbuch, Nele Rosetz, Anja Schneider, Albrecht Abraham Schuch, Ninja Stangenberg. Regie: Felicitas Brucker; Bühne: Kathrin Frosch; Kostüme: Sara Schwartz; Musik: Jörg Follert; Video: Stefan Bischoff; Dramaturgie: Jan Kauenhowen, Carmen Wolfram. Felicitas Brucker (* 1974) studierte Theaterwissenschaft, Literatur- und Kommunikationswissenschaft in München und arbeitete ab 2003 als Regieassistentin an den Münchner Kammerspielen. Dort inszenierte sie u. a. 2006 die Uraufführung von „Engel“ von Anja Hilling mit der sie 2007 zum Theaterfestival „Radikal Jung“ eingeladen wurde. Weitere Inszenierungen entstanden am Thalia Theater Hamburg, am Theater Freiburg sowie am Schauspiel Hannover. Seit 2007 arbeitet sie regelmäßig am Maxim Gorki Theater, hier inszenierte sie u.a. „Urfaust“ von Johann Wolfgang Goethe und „Geschlossene Gesellschaft“ von Jean-Paul Sartre. Felicitas Brucker ist Hausregisseurin am Schauspielhaus Wien, mit den dortigen Uraufführungsinszenierungen von Ewald Palmetshofer „hamlet ist tot. keine schwerkraft“ und „Faust hat Hunger und verschluckt sich an einer Grete“ wurde sie 2008 und 2010 zu den Mühlheimer Theatertagen eingeladen. Vorstellung: 14.11.2011, 19:30 Uhr, Bühne Tickets Jetzt! S.10 Lustspiel von Heinrich von Kleist Jan Bosse Der zerbrochne Krug In Huisum bei Utrecht ist ein Krug in die Brüche gegangen. Für Frau Marthe Rull scheint alles klar: bei einem heimlichen nächtlichen Besuch in der Kammer ihrer Tochter Eve hat deren Bräutigam Ruprecht den wertvollen Krug zerbrochen. Gleich am nächsten Morgen erscheint sie mit den Beteiligten und dem Indiz vor Gericht, wo der Dorfrichter Adam kurzen Prozess machen soll. Doch: Woher stammen Adams Verletzungen? Wer war der unerkannte Rivale, den Ruprecht bei Eve überrascht hat? Warum schweigt sie? Und, was zum Teufel hat Frau Brigitte wirklich gesehen? Der Schreiber Licht wartet auf seine große Chance, Gerichtsrat Walter, der auf seiner Inspektionsreise ausgerechnet in den Gerichtstag gerät, versucht, den drohenden Zerfall aufzuhalten und der Richter ist auf der Jagd nach sich selbst. Kleist macht den Zuschauer in diesem Prozess in Echtzeit zum unmittelbaren Zeugen der Macht der Worte. Sein Motor ist die Komödie: im Befreiungsschlag durch groteske Überdrehung der profanen Verhältnisse der „hinfälligen“, fragilen Welt zu trotzen und sich in ihr zu behaupten. Mit: Jean-Pierre Cornu, Britta Hammelstein, Wolfgang Hosfeld, Cristin König, Matti Krause, Ronald Kukulies, Edgar Selge, Franziska Walser. Regie: Jan Bosse; Bühne: Stéphane Laimé; Kostüme: Kathrin Plath; Dramaturgie: Gabriella Bußacker. Vorstellungen: 15.+ 16.11.2011, 19:30 Uhr, Bühne S.11 Tickets Jetzt! Trauerspiel von Heinrich von Kleist Antú Romero Nunes Die Familie Schroffenstein Bereits in seinem dramatischen Erstling „Die Familie Schroffenstein“, der 1803 erschien, lässt sich Kleists Grundthema, das alle nachfolgenden Werke durchzieht, erkennen und das Walter Jens folgendermaßen beschrieb: „Die Verrätselung der Welt für den einzelnen durch die undurchschaubare Verflechtung von Schein und Sein, den Gegensatz von Wahrheit und Täuschung, Wissen und Irrtum, Vertrauen und Misstrauen, die Problematik des Erkennens, der Wahrheitsfindung, die – wenn überhaupt – einzig im Vertrauen auf das eigene, letztlich unverstellte Gefühl gelingt.“ Die Familie Schroffenstein zerbricht in zwei Clans, nachdem ein Streit über einen alten Erbvertrag und dessen Auslegung ausgebrochen ist. Wessen Erblinie zuerst ausstirbt, dessen Besitz geht an den anderen Familienzweig über. Die misstrauische Haltung beider Häuser hat sich über viele Jahre hinweg durch mysteriöse Todesfälle verstärkt und so standen sie schon oft vor einem bewaffneten Konflikt. Nun haben beide Familien ein Kind verloren und verdächtigen die jeweils andere Seite des Mordes. Das Misslingen jeglicher Kommunikation erscheint hierbei als Ursache nicht nur für die Entzweiung der Familie, sondern auch für die Gespaltenheit der Welt. Die verfeindeten Parteien beginnen eine systematische Gewaltpolitik - eine Maschinerie aus paranoidintriganten Präventivmaßnahmen und tödlichen Vergeltungsschlägen kommt in Gang. Vorverurteilungen, Missverständnisse, Missgunst, Misstrauen und Hass bestimmen die Atmosphäre. Doch die beiden Kinder Ottokar und Agnes verlieben sich ineinander. Sie fliehen und entwickeln einen Plan mit dem sie hoffen, den Rachegelüsten ihrer Väter zu entgehen. Und diese erliegen in ihrem blinden Wüten einem grausamen Missverständnis. Antú Romero Nunes (*1983) studierte Regie an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. Während seines Studiums entstanden Arbeiten an der batStudiobühne, dem Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin sowie dem Düsseldorfer Schauspielhaus. Seine Diplominszenierung am Maxim Gorki Theater „Der Geisterseher“ nach Schillers Romanfragment wurde zum Festival Radikal Jung 2010 des Münchner Volkstheaters eingeladen. Er inszenierte mehrfach am Thalia Theater Hamburg und am Schauspiel Frankfurt. In der Kritikerumfrage der Fachzeitschrift Theater heute wurde Antú Romero Nunes für seine Arbeit „Das Prinzip Meese“ am Maxim Gorki Theater zum „Nachwuchsregisseur des Jahres 2010“ gewählt. Seit der Spielzeit 2010/2011 ist er Hausregisseur am Maxim Gorki Theater Berlin. Premiere: 19.11.2011, 19:30 Uhr, Bühne / weitere Vorstellung: 20.11.2011 S.12 Video-Game-Performance Victor Morales Über das Marionettentheater „... so findet sich auch, wenn die Erkenntnis gleichsam durch ein Unendliches gegangen ist, die Grazie wieder ein.“ In seinem theoretischen Text „Über das Marionettentheater“ setzt sich Heinrich von Kleist mit dem Verhältnis von Kunst und Sein sowie Kunst und Ästhetik auseinander. Die Fragen, wie eine ursprüngliche Wahrhaftigkeit Einzug in eine gebrechliche Welt halten kann, wie die Normen des Seins neu definiert werden können, stehen im Zentrum des Projektes des Comupterspieldesigners und Digital-Puppenspielers Victor Morales. Er entwickelt dazu ein computeranimiertes Marionetten-Theaterstück, das live, von und mit den Zuschauern, gespielt werden kann. Wird es uns gelingen, uns in die „Seele“ eines Tänzers hineinzuversetzen und die Figuren anmutig tanzen zu lassen? Kann sich eine computeranimierte Puppe vielleicht sogar mit mehr Grazie bewegen als ein Mensch? Und was erzählt uns die Anekdote vom fechtenden Bären in Bezug auf den Umgang mit künstlichen Intelligenzen? Doch aufgepasst: die Technik könnte mittlerweile so selbstorganisiert agieren, dass sie die Überhand gewinnt und den „Maschinisten“ aus den Fingern gleitet. Konzeption & Realisation: Victor Morales Set- & Objektdesign: Billy Burnes Dramaturgie: Carolin Hochleichter Victor Morales (*1967), geboren in Venezuela, ist Regisseur, Performer und Video-Game Modifier. Die Arbeiten des gebürtigen Venezolaners sind Kombinationen aus Video-Animation, Lecture, Tanz, Puppenspiel u.a. Er arbeitete für zahlreiche internationale Theatergruppen und als Soloperformer in den USA und Europa und befasst sich seit Längerem mit der Umprogrammierung von Computerspielen, um aus ihnen Kunstwelten zu schaffen. Morales lebt in Berlin. S.13 Schauspiel nach Kleists gleichnamiger Erzählung Armin Petras Das Erdbeben in Chili Ein junger Spanier, Jeronimo Rugera, der in St. Jago, der Hauptstadt Chilis, als Hauslehrer angestellt war, hat sich in seine Schülerin Donna Josephe verliebt und ist daher entlassen worden. Die Tochter, die seine Liebe erwidert, wird vom Vater in ein Kloster gesteckt, wo das Liebespaar seine Beziehung jedoch heimlich fortsetzt. Donna Josephe wird schwanger. Wegen dieser Schändung des Klosters werden beide eingekerkert und Donna Josephe zum Tode verurteilt. In der Stunde ihrer Hinrichtung will Jeronimo sich gerade im Gefängnis erhängen, als ein furchtbares Erdbeben über die Stadt hereinbricht, worauf-hin er sich aus dem Gefängnis in die Freiheit retten kann. Durch Trümmer und brennende Straßen rennt er zum Hinrichtungsplatz außerhalb der Stadt und findet die eben-falls gerettete Josephe und den gemeinsamen Sohn. Am nächsten Morgen tritt Don Fernando mit der Bitte an Donna Josephe heran, sein kleines Kind mitzustillen, da dessen Mutter schwer verletzt ist. Sie gewährt diese Bitte gern. Die Katastrophe scheint alle Gemüter versöhnt zu ha-ben, alle Standesunterschiede scheinen aufgehoben, man hilft sich gegenseitig. Während einer Dankesmesse kommt ein Geistlicher allerdings plötzlich auf den Sittenverfall in der Stadt sowie auf den Klosterskandal zu sprechen. Die rasch fanatisierte Menge erkennt Jeronimo und Josephe, und es kommt vor der Kirche zu wilden Kämpfen. Jeronimo und Josephe verlieren ihr Leben, doch wird ihr Sohn gerettet, und Don Fernando, dessen Kind getötet worden ist, nimmt ihn als Pflegesohn an. Mit: Christian Friedel, Matti Krause, Wolfgang Michalek, Anne Müller, Annika Schilling. Regie: Armin Petras, Bühne: Natascha von Steiger, Kostüm: Karoline Bierner, Dramaturgie: Nina Rühmeier / Martin Heckmanns. Koproduktion mit dem Staatsschauspiel Dresden Berliner Premiere: 6.11.2011, Studio / weitere Vorstellung: 7.11.2011 S.14 Lifecollage aus New York City Lutz Dammbeck Pursuit of happiness oder Der sichere Weg, ungestört das Glück zu finden und zu genießen „{Das Glück} erscheint mir nur wie ein Hohes, Erhabenes, Unnennbares, für das ich vergebens ein Wort suche, um es durch die Sprache, vergebens eine Gestalt, um es durch ein Bild auszudrücken. (Und dennoch strebe ich ihm mit der innigsten Innigkeit entgegen, als stünde es klar und deutlich vor meiner Seele).“ Inspiriert von Kleists „Aufsatz, den sichern Weg des Glücks zu finden und ungestört – auch unter den größten Drangsalen des Lebens – ihn zu genießen“ begibt sich der Künstler und Dokumentarfilmer Lutz Dammbeck auf die Suche nach dem Glück als etwas „Unnennbarem“. In den Vereinigten Staaten von Amerika, dem Land, das in seiner Declaration of Independence 1776 - ein Jahr vor Kleists Geburt - das ‚Streben nach Glückseligkeit‘ als freiheitliches Grundrecht formulierte, geht er auf die Suche nach Wegen und Formen dieses Strebens. Ist das Glück immer noch unnennbar? Oder manifestiert sich das Glück rein materiell? Dammbeck sucht als Filmer Menschen/Geschichten und berichtet per Videotelefonie live in das Maxim Gorki Theater. Er wohnt und arbeitet in New York im „Pennsylvania Hotel“, einem günstigen und großen Hotel in Lower Manhatten, das auch heute noch einen ersten Hafen für Glückssucher aus der ganzen Welt darstellt. Konzept & Regie: Lutz Dammbeck Lutz Dammbeck (*1948) ist Filmemacher, Grafiker und Maler. Der Käthe-KollwitzPreisträger (2005) ist seit 1998 Professor an der Hochschule für bildende Künste in Dresden, wo er die Projektklasse Neue Medien leitet. Zu seinen Arbeiten zählen insbesondere Mediencollagen aus Tanz, Malerei, Musik und Film sowie Animationsfilme. Seit Beginn der 90er Jahre arbeitet Dammbeck verstärkt als Dokumentarfilmer, wobei sein Film „Das Netz“ (2004) über die Entstehung des Internets viel Beachtung fand. S.15 Choreographie nach Kleists „Die Verlobung in St.Domingo“ Tommy Noonan The Engagement Heinrich von Kleist beruft sich in seinen Erzählungen wiederholt auf Kategorien wie Ordnung, Vernunft und Zivilisation und untersucht diese Qualitäten gleichzeitig in stets schwer zu bewältigenden Umgebungen von Chaos und Ausnahmezustand. Seine Erzählung „Die Verlobung in St.Domingo“ dient als narrativer Rahmen für eine Performance, die sich diesen Kontroversen stellt. Dabei ist das Publikum mobil: es wird den Darstellern und Ereignissen folgen und permanent gefordert sein, die Gratwanderung zwischen Stadt und Bühne, zwischen Fiktion und Realität, zwischen Ordnung und Chaos selbst auszuloten. Mit: Anna Böger, Murielle Elizéon, Georg Hobmeier, Thomas Jeker, Anja Müller, Tommy Noonan. Dramaturgie: Carolin Hochleichter; Produktionsleitung: Doreen Markert. Tommy Noonan (*1983) ist Tänzer, Choreograph und Mitbegründer des internationalen Künstlernetzwerkes „Sweet and Tender Collaborations“. Er war Mitglied in diversen Tanzkompanien, seine Arbeiten wurden an zahlreichen Theatern und auf Festivals in Europa und Amerika gezeigt. Im Herbst 2010 war er Artist-in-Residence in den Residencias del Sur in Buenos Aires, Argentinien. S.16 Film & Performance Jan Peters Ausflug nach Kohlhasenbrück Ein Biergarten in Kohlhasenbrück (im Süden Berlins, auf dem Weg nach Potsdam) wirbt mit der Darstellung der historischen Figur, die sich im Ortsnamen verbirgt. Bei der Wortwahl wird auf Heinrich von Kleist zurückgegriffen. „Aus einer alten Chronik“ untertitelt Kleist seine Novelle „Michael Kohlhaas“, die ihren Anfang an einem Schlagbaum nimmt. Auch Kohlhasenbrück hatte während des Kalten Kriegs einen Schlagbaum, lange Zeit war dort ein Kontrollpunkt, von dort ging es nach Steinstücken, der Westexklave im Osten mit 200 Einwohnern. „Ausflug nach Kohlhasenbrück“ ist eine Annäherung mit der Fragestellung wie wird Geschichte, wie werden Geschichten gemacht, erzählt und umgeschrieben, neu er- und wieder gefunden? Konzept & Regie: Jan Peters Dramaturgische Beratung: Gabriella Bußacker Jan Peters (*1966) lebt und arbeitet als Filmemacher, Hörspielautor und Videokünstler in Berlin. Er studierte an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und war dort Mitbegründer des Filmemacherkollektivs „Abbildungszentrum“. Neben seinem Langzeitprojekt „Ich bin...“, für das er lange Zeit ausschließlich Super-8-Material verwendete, drehte Peters zahlreiche preisgekrönte Kurz- und Langfilme. S.17 Installation Ildikó Enyedi Die Stimme von Kleist Kleist hat nie für deklamatorische Sprachkünstler geschrieben. Seine Dialoge in Dramen und Erzählungen und vor allem seine Briefe sind eine ‚gesprochene‘ Sprache: Oftmals machen Syntax und Interpunktion erst Sinn, wenn man die Passage laut liest. Kleist gehört zu den ‚sprechenden‘ Autoren, die ihre Texte erst sprachen und dann aufschrieben. Genauso leben und verändern sich auf eigenartige Weise seine Texte mit den Stimmen, die sie sprechen. Abseits des Festivaltrubels, in einem versteckten Winkel des Theatergebäudes findet der Zuschauer das Studienzimmer von Kleist vor. Dort lädt die ungarische Filmregisseurin Ildikó Enyedi die Festivalbesucher ein, ein Zitat auszuwählen und es im Kleist-Zimmer vor laufenden Kameras selbst zu sprechen. Der zweite Teil des Projektes ist eine multimediale FilmInstallation, die sich dem Menschen Kleist widmet. Sie wird auf der Medienfassade des Collegium Hungaricum Berlin, also im öffentlichen Raum neben dem MGT, während des Festivals zu sehen sein. Konzept & Regie: Ildikó Enyedi Ildikó Enyedi (*1955), ist Filmregisseurin und Drehbuchautorin aus Budapest. Sie begann ihre künstlerische Laufbahn als Konzept- und Medienkünstlerin. Enyedi war Mitglied der Künstlergruppe „Indigo“ und des Béla Balázs Studios, dem damals einzigen unabhängigen Filmstudio hinter dem Eisernen Vorhang. Ihr Spielfilmdebut „My 20th Century“ wurde 1990 von der New York Times in die Liste der „10 Best Films of the Year“ gewählt und erhielt in Cannes die Caméra d‘Or für den besten Nachwuchsfilm. Ildikó Enyedi drehte diverse Spielfilme und wurde mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. Enyedi lehrt an der Universität für Film und Theater in Budapest. In Zusammenarbeit mit dem Collegium Hungaricum Berlin und der Budapester Universität für Film und Theater S.18 Videoinstallation zu Kleist und der Ikonographie des Krieges Antje Ehmann & Harun Farocki Fetisch Krieg Kleist musste schon früh als Soldat dienen und nahm bereits mit 15 Jahren zum ersten Mal an einer Schlacht teil. Nach sechs Jahren nahm er freiwillig seinen Abschied vom Militär, blieb jedoch trotzdem immer fasziniert vom Krieg. Er reiste zu großen Schlachten, um diese zu beobachten, er spielte mit seinen Freunden nächtelang selbst entworfene Kriegsspiele und war ein Waffenfetischist. „Krieg und Kunst“ und „Krieg und Ästhetik“ waren für Kleist eng verbunden. Zusammen mit dem späteren Generalfeldmarschall Knesebeck beobachtete Kleist die Bombardierung der Stadt Mainz. „Fast jeder hatte nur ein Herz für die Schönheit des Anblicks,“ notierte Knesebeck, „weniger für die Angst der Einwohner.“ Diese Ästhetisierung von Gewalt und Grauen ist ein durchaus heutiges Phänomen, das zum Beispiel Karl-Heinz Stockhausen benannte, als er die Anschläge von New York als „das größte Kunstwerk, das es überhaupt gibt“ bezeichnete. Hier wie auch bei Kleist äußert sich dieselbe Sehnsucht nach einer Ästhetik von Gewalt und Zerstörung und die Möglichkeit der Kunst, sich vorübergehend nur auf den ästhetischen Moment des Erlebens zurückzuziehen. Im Film und in Computerspielen lebt heute die attraktive Linie „Unterhaltung/Kunst und Krieg“ fort: Sie ist kontrollierbar und propagandistisch einsetzbar - jeder zehnte Kinofilm fällt in das Genre „Kriegsfilm“. Gemeinsam haben sich Harun Farocki und Antje Ehmann dieser Flut gestellt und mehr als 500 Kriegsfilme gesichtet und über Monate schnitttechnisch „seziert“, um vor dem Hintergrund der Kleistschen Kriegsmauerschauen der Frage der Darstellung von Kampf und Waffe nachzugehen. Konzept & Realisierung: Antje Ehmann, Harun Farocki Antje Ehmann (*1968) ist Autorin, Kuratorin und Herausgeberin. Seit 10 Jahren haben Farocki und Ehmann viele Projekte gemeinsam realisiert. Zuletzt die Ausstellungen „Serious Games“, Darmstadt 2011, „The Image in Question. War Media - Art“, Boston 2010, „Kino wie noch nie“, Wien (2006), Berlin (2007). Harun Farocki (*1944) ist Filmemacher, Videokünstler und seit 2004 Professor an der Akademie der Künste in Wien. Seit 1966 hat er über 100 Produktionen für Fernsehen, Kino und Ausstellungsräume realisiert. Seine letzten Einzelausstellungen zeigten das Museum Ludwig Köln (2009), das Raven Row London, (2009) und das Kunsthaus Bregenz (2010). S.19 Selbstversuch frei nach Kleists „Die Marquise von O.“ She She Pop She She P. ist die Marquise von O... She She Pop haben in Kleists Marquise ihre Meisterin entdeckt. Nie zuvor oder danach wurde die Öffentlichkeit derart entschlossen mit persönlicher Schmach und Scham konfrontiert: Ihre unerklärliche Schwangerschaft annonciert sie in der lokalen Zeitung, um dem unbekannten mutmaßlichen Vergewaltiger die Heirat anzubieten. In einem szenischen Selbstversuch werden ausgewählte PerformerInnen von She She Pop die wichtigsten soziokulturellen Techniken der Marquise vorstellen und auf sich anwenden, insbesondere: das Blinddate mit der Öffentlichkeit, die feindliche Übernahme der Verantwortung und nicht zuletzt den initialen Kontrollverlust durch Ohnmacht. Dabei müssen allerdings die Vorzeichen der Kleistschen Anordnung an die PerformerInnnen angepasst werden: Gesellschaftlicher Redebedarf entsteht nicht durch eine rätselhafte Schwangerschaft ohne Ursache sondern durch deren andauerndes Ausbleiben. Alle, die dafür die Verantwortung übernehmen wollen, treffen sich im November 2011 im Maxim Gorki Theater zur Gegenüberstellung mit She She Pop. Von und mit She She Pop She She Pop wurde 1998 von Absolventinnen des Gießener Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft gegründet. Die ständigen Mitglieder des ursprünglich rein weiblich besetzten Performance-Kollektivs arbeiten außerhalb der hierarchischen Strukturen des Repertoiretheaters; sie entwickeln und performen ihre Produktionen im Kollektiv. Die Geschichte von She She Pop ist eine Geschichte der Publikumsbefragung und Publikumsinteraktion. S.20 Konzert aus der Bewegung heraus Schorsch Kamerun & Spezialisten Heute bin ich etwas eilig Kleist wuchs in einer preußischen Offiziersfamilie auf. Seine Karriere als Offizier war Ziel seiner Erziehung und schien unausweichlich. Aber zunehmend distanzierte er sich von seinem Leben beim Militär, das bereits mit 14 begann. 1795 brach Heinrich von Kleist mit einigen Freunden in den Harz auf, um als Straßenmusiker sein Geld zu verdienen. Unterwegs in eigener Sache. Kleist betrachtete die Musik als „algebraische Wurzel“ aller Kunst. Kleist war Nomade. Der nomadisierende Musiker ist ein Archetypus. Die neuesten frühzeitlichen Funde in der schwäbischen Alp beinhalten Knochenflöten, deren Isotopenanalyse einen Ursprung südlich der Alpen und sogar in der heutigen Türkei nahelegt. Musiker waren von Anfang an mobil. Und gerade in sesshaften Gesellschaften, bleiben sie die Wanderer. Schorsch Kamerun (*1963) ist Musiker, Autor und Regisseur. Seine Band „Die Goldenen Zitronen“ ist eine - häufig neu erfundene - Konstante der deutschen Musiklandschaft. Seit 2000 arbeitet er als Theaterregisseur und -autor an allen großen deutschsprachigen Theatern. Im Sommer 2009 übernahm er an der Bayerischen Staatsoper mit Bernsteins „Trouble in Tahiti“ erstmals eine Opernregie. Er ist Träger des „Hörspielpreises der Kriegsblinden” (für „Ein Menschenbild, das in seiner Summe Null ergibt”.) Als ein Spezialist für umherschweifende Musiker – er ist selber einer – lädt Kamerun für das Kleistfestival Freunde und Spezialisten zu einer gemeinsamen Kleist-Vertonung ein. Premiere: 6.11.2011, 20:15 Uhr, Bühne / weitere Vorstellung: 7.11.2011 S.21 Eine elektro-akustische Biomesse, generiert aus Heinrich von Kleists Biomasse, basierend auf der Erzählung „Cäcilie oder Die Gewalt der Musik“ Schneider TM Cäcilie Awestruck „...die Pfeiler des Hauses erschütterten, und die Fenster, von ihrer Lungen sichtbarem Atem getroffen, drohten klirrend, als ob man Hände voll schweren Sandes gegen ihre Flächen würfe, zusammen zu brechen.“ Vier Brüder initiieren im Aachen des 16.Jhs. einen Bildersturm auf das örtliche Kloster der Heiligen Cäcilie. Mit einem Mob besetzen sie die Klosterkirche, in der gerade eine Messe aufgeführt werden soll. Die Verwüstung der Kirche scheint unausweichlich, als plötzlich die Orgel, Chor und Orchester anfangen zu spielen: Die Musik packt die vier Brüder, sie werfen sich vor dem Altar nieder, der Mob bleibt stumm und die Kirche gerettet. Die vier Brüder aber werden in ein Irrenhaus eingeliefert, wo sie Jahr um Jahr täglich um Mitternacht für eine Stunde ein „Gloria in Excelsis Deo“ brüllen. Sonst schweigen sie im Gebet versunken. Der Komponist und Musiker Schneider TM und seine Freunde spielen in Anlehnung an die Erzählung ein 25-stündiges Konzert: Mit dem „Gloria in Excelsis Deo“, das in Kleists Erzählung für die Protagonisten als eine Art „Horror-Slot“ den Himmel öffnet, beginnt das Konzert in einem der zentralen Berliner Gotteshäuser. Das Konzert zieht dann in das Gorki Studio, wo die Gebete der vier Brüder musikalisch nachvollzogen werden. Als Instrumente der Musiker (und des Publikums) dient Biomasse von Kleists Grabstätte. Von und mit: Dirk Dresselhaus (Schneider TM, Angel) Ilpo Väisänen (Angel, Pan sonic) Michael Beckett (Kptmichigan, Schneider TM) Ronald Lippok (Torococorot, Tarwater) Schneider TM ist ein Soloprojekt von Dirk Dresselhaus (*1970), das sich der experimentellen, elektronischen Popmusik widmet. Dresselhaus war ehemals Mitglied der deutschen Indierock-Bands Hip Young Things und Locust Fudge und spielt außerdem seit 1999 zusammen mit Ilpo Väisänen von Pan sonic in der Noise-/ImprovFormation Angel. Seine und Michael Becketts Kooperation „The Light 3000“ als Schneider TM & KPTmichigan, eine elektronische Version von „There Is a Light That Never Goes Out“ von The Smiths, wurde vom britischen Avantgardemagazin „The Wire“ zu einer der besten Cover-Versionen aller Zeiten gewählt. S.22 Konzert Schwefelgelb Kleist Die musikalische Kompromisslosigkeit und das theatrale Stilbewusstsein der Band Schwefelgelb haben sie zu den großen Newcomern auf den internationalen Clubbühnen werden lassen.Liveshows in Deutschland, Tokyo, London, etc. haben euphorisierte und verschwitzte Fans hinterlassen. Die körperfixierten Hard Beats kommen mit einer umarmenden Gewalt über das Publikum. Sie werden ergänzt mit mal zarter, mal verschrobener Poesie. Kleists Sprache bildet die Grundlage für ihr Kleist-Konzert. Schwefelgelb sind Sid und Eddy. 2008 erschien ihr Debutalbum „Alt und Neu“, welches von der Kritik gefeiert wurde. Letztes Jahr haben sie mit „Das Ende vom Kreis“ nachgelegt. S.23 Ein Festkonzert für Heinrich von Kleist Sing-Akademie zu Berlin Die Gewalt der Musik Über Kleists eigene musikalische Begabungen ließ Ludwig Tieck wissen: „Er spielte mehrere Instrumente auf eine ausgezeichnete Weise. Ohne Noten zu kennen komponierte er Tänze, sang augenblicklich alles nach, was er hörte, spielte zu Ende seines ersten Dienstjahres in einer von Offizieren zusammengesetzten Musikbande die Klarinette.“ Doch wie steht es um die Vertonungen seiner Texte? Es ist uns keine Komposition, die zu Lebzeiten Kleists entstanden wäre, bekannt; später sagte Richard Strauss: „Kleist ist unkomponierbar!“ An dieses Diktum hielten sich viele, aber nicht alle seine Zeitgenossen und Nachfolger. Die SingAkademie zu Berlin hat in den letzten Monaten diverse vergessene Kleist-Vertonungen aus der Feder bekannter und unbekannter Komponisten in ihren Archiven wiederentdeckt, darunter Bühnenmusiken von Felix Draeseke, Hugo Wolff oder Wilhelm Taubert.Am 200.Todestag des Dichters werden sie von der Sing-Akademie im Maxim Gorki Theater wieder zu hören sein, darunter die Ouvertüre „In Memoriam Heinrich von Kleist“ des Geigenvirtuosen Joseph Joachim, eine „Schroffenstein“-Ouvertüre von Wilhelm Taubert oder der „Gesang der Barden“ vom später weltberühmten Wilhelm Kempff, der dafür die seltenen Altgermanischen Luren einsetzte. Letztere Uraufführung endete damals aus bühnentechnischen Gründen in einem Desaster und musste abgebrochen werden, woraufhin Kempff vom deutschen Kaiser kurzzeitig in den PostDienst strafversetzt wurde. Nun wird das Werk zum Todestag erstmals wieder gespielt. Außerdem hat die Sing-Akademie die Komponisten Michael Wertmüller und Bo Wiget beauftragt, für dieses Konzert je eine Kleist-Neuvertonungen zu schreiben. Die Sing-Akademie zu Berlin gilt als der älteste gemischte Chor der Welt. Sie wurde 1791 als Gesellschaft freier Bürger und „Kunstverein für die heilige Musik“ gegründet. Erstmals in der Geschichte der Musik trafen sich Männer und Frauen jeglicher Konfession, um gemeinsam alte und neue Kompositionen für mehrere Stimmen zu singen. Damals wie heute ist die Sing-Akademie ein fester Bestandteil des musikalischen Lebens in Berlin: „Hier feiern Enthusiasmus und Engagement, ein glänzend singender Chor und die Bereitschaft zu bürgerschaftlicher Förderung tatsächlich ein Fest.“ (Der Tagesspiegel) S.24 Während des Kleistfestivals des Maxim Gorki Theaters Berlin fällt der Startschuss für ein auf fünf Jahre angelegtes Akustisches Kleist-Denkmal von Paul Plamper „man sagt hier d. 21t Nov; wir wissen aber nicht ob es wahr ist.“ schreibt Heinrich von Kleist 1811, an seinem Todestag aus dem Wirtshaus ‚Stimmings Krug‘ am Kleinen Wannsee bei Berlin. 200 Jahre nach dem Doppelsuizid entsteht an diesem Ort ein akustisches Denkmal. Ausgestattet mit Kopfhörer und Audioplayer können sich Besucher auf dem Areal hörend und gehend erschließen, was passiert ist. Je nach Standort hört man Gespräche und überlieferte Aussagen der Boten, der Mägde, des Wirts von Stimmings Krug und diverser Figuren, die in den Vernehmungsprotokollen zu den Todesfällen auftauchen. Zeitzeugen kommentieren auch die letzten Briefe, die Kleist und Henriette Vogel aufgegeben haben. Es sind verstörende Zeugnisse, in denen poetische Abschiede neben hastig notierten Aufträgen an die Nachwelt stehen. Die Exaltiertheit dieses Todes, das Entschwinden der beiden ‚Culturmenschen‘ erscheint im Spiegel von Randfiguren und Zurückgelassenen. Das Projekt thematisiert, wie es dazu kam, dass Kleist und Henriette Vogel letztlich hier ihren Tod fanden. Wie bewusst war die Symbolik des Settings? Wieviel Inszenierung spielte bei der Wahl der Kulisse für den eigenen Tod eine Rolle? Die Besucher können den Hintergründen und Ursachen des Suizids nachgehen - ebenso dem Skandal, den er in der preußischen Gesellschaft verursachte, sowie seiner Auswirkung auf Kleists Nachruhm. Im heutigen Stadtraum spielt das Denkmal mit der Diskrepanz zwischen Gehörtem und Gesehenem. Schichten von Ereignissen und Bauten haben sich auf dem Terrain um das Kleistgrab abgelagert, angesammelt. Zwischen Bootsheimen und Tiefgaragen umkreist der Parcours die Themen Erinnerung und Tradierung; erforscht, wie aus dem zunächst Unfassbaren verschriftlichte Tatsachen und daraus Legenden geworden sind. Paul Plamper (*1972) ist Hörspielmacher, Autor und Regisseur. Er arbeitete unter anderem am Berliner Ensemble und der Volksbühne und inszenierte die erste türkische Heiner-Müller-Aufführung am Stadttheater Istanbul. Seine Hörspiele wurden vielfach ausgezeichnet - u.a. mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden für RUHE 1 (WDR / Museum Ludwig 2008). Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes im Rahmen des Kleist-Jahres 2011. S.25 Tickets Bühnenvorstellungen Preisgruppe: I = 34 Euro , II = 28 Euro, III = 22 Euro, IV = 16 Euro, V = 10 Euro Preise Gastspiele „Der Krieg“ und „Die Hermannschlacht“: Preisgruppe: I = 37 Euro , II = 31 Euro, III = 25 Euro, IV = 19 Euro, V = 13 Euro Tickets Jetzt! Der Vorverkauf für ausgewählte Veranstaltungen beginnt am 4. Februar 2011 Der Vorverkauf für das komplette Festival startet am 1. September 2011 Ermäßigungen für Frühbucher Die folgenden Ermäßigungen bieten wir Ihnen ab sofort in einem begrenzten Kontingent an – solange der Vorrat reicht! Vielbucherrabatt 3 Beim Besuch von mindestens 3 Vorstellungen auf der Bühne erhalten Sie 20 % Ermäßigung auf die regulären Preise Vielbucherrabatt 5 Beim Besuch von mindestens 5 Vorstellungen auf der Bühne erhalten Sie 30 % Ermäßigung auf die regulären Preise Weiterhin gültige Ermäßigungen Gruppenrabatt: Gruppen ab 10 Personen erhalten 20 % Ermäßigung auf die regulären Preise (PK I – IV) +++ Abonnenten und Gorki Ticket Inhaber: Erhalten bei unseren Repertoirevorstellungen im Rahmen des Kleistfestivals die üblichen Ermäßigungen.+++ Schüler, Studenten, Auszubildende, Arbeitslose, Wehr-/ Zivildienstleistende zahlen 10 Euro. Gruppenermäßigungen für Schüler/Studenten (So-Do) ab zehn Personen: 8 Euro. Ermäßigungen nach Verfügbarkeit und gegen Vorlage des entsprechenden Ausweises. Redaktionsschluss: 31. Januar 2011 Bildnachweise: S.6, S.11 Bettina Stöß; S.7 Andreas Pohlmann; S.8 Julian Röder; S.9 Alexander Paul Englert; S.10 Thomas Aurin; S.17 Jan Peters IMPRESSUM Herausgeber: Maxim Gorki Theater Berlin, Am Festungsgraben 2, 10117 Berlin. Intendant: Armin Petras, Geschäftsführender Direktor: Klaus Dörr, Kurator: Arved Schultze; Produktionsleitung: Julian Kamphausen; Gestaltung: Katja Strempel (M33); Druck: Tastomat Druck GmbH, Eggersdorf S.26 Service MAXIM GORKI THEATER BERLIN Am Festungsgraben 2, 10117 Berlin GORKI STUDIO BERLIN Hinter dem Gießhaus 2, 10117 Berlin www.gorki.de KARTENVERKAUF UND SERVICE Tel. 030.20221-115 zu den Öffnungszeiten der Theaterkasse Online: www.gorki.de, E-Mail: [email protected] ÖFFNUNGSZEITEN Theaterkasse im Foyer des MGT Berlin: Mo–Sa 12–18:30 Uhr, sonn- und feiertags 16–18:30 Uhr BESUCHERSERVICE Gruppenbestellungen/Spielplaninformationen Tel. 030.20221-129, Fax: 030.20221-128, E-Mail: [email protected] Wir verfügen über 2 Rollstuhlplätze und eine Schwerhörigen-Anlage. 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