Differentialpsychologische Konstrukte Sommersemester 2014 Gabriele Helga Franke Zuletzt bearbeitet: 3.6.14 GHF DIFF SoSe 14 INTRO 1 9 Differerentialpsychologische Unterschiede Emotionsbezogene Unterschiede GHF im SoSe 14 an der HS MD-SDL im FBR Angewandte Humanwissenschaften Ängstlichkeit Diese Vorlesung basiert auf • Salewski & Renner (2009). Differentielle und Persönlichkeitspsychologie. München: Ernst Reinhardt. Bibo-SDL: SP 54-153 • Sowie der angegebenen Literatur Ängstlichkeit 2 Übungsaufgaben 1. 2. 3. Was unterscheidet das Persönlichkeitsmerkmal Ängstlichkeit vom Zustand Angst? Durch welche Faktoren werden Unterschiede in der Ausprägung von Ängstlichkeit zwischen Personen erklärt? Ist Vigilanz oder ist die kognitive Vermeidung die bessere gedankliche Bewältigungsstrategie von Angst? Ängstlichkeit 3 Ängstlichkeit DER SCHREI Edvard Munch Die Welt, 03.05.2012 Überlebensnotwendige Emotion Angst ist ein wichtiges Signal vor Gefahren und ermöglicht eine schnelle Reaktion darauf. In diesem Sinne dient Angst dem Überleben und einer besseren Anpassung an die Umwelt Bildquelle: Ängstlichkeit http://www.welt.de/aktuell/article106257293/ Der-Schrei-schreibt-Kunstgeschichte.html 4 Ängstlichkeit Unterschiede im Angsterleben Menschen unterscheiden sich jedoch darin, wie oft und wie stark sie Angst erleben. Deshalb wird zwischen dem „state [Zustand]“, also dem aktuellen Zustand der Angst (z.B. eine Person erlebt während eines unruhigen Fluges Angst), und dem Persönlichkeitsmerkmal (trait [Eigenschaft]) „Ängstlichkeit“ (z.B. eine Person erlebt fast immer Angst, wenn sie Bus fährt) unterschieden. Ängstlichkeit 5 Ängstlichkeit Definition „Ängstlichkeit“ (trait – Eigenschaft): „Das Persönlichkeitsmerkmal Ängstlichkeit bezeichnet die zwischen Personen (interindividuell) unterschiedliche Tendenz, Situationen als bedrohlich wahrzunehmen und hierauf mit einem erhöhten Angstzustand zu reagieren. Die Ängstlichkeit variiert damit zwischen Personen, ist aber innerhalb einer Person (intraindividuell) relativ stabil.“ Ängstlichkeit 6 Ängstlichkeit Definition „Angst“ (state – Zustand) „Die aktuelle Angstemotion wird … als intraindividuell variierender affektiver Zustand des Organismus verstanden, der durch spezifische Ausprägungen auf physiologischen, verhaltensmäßig-expressiven und subjektiven Parametern gekennzeichnet ist.“ Krohne, 1996 Ängstlichkeit 7 Ängstlichkeit Angst und Ängstlichkeit „Angst haben“ „Ängstlichkeit“ aktueller Zustand Persönlichkeitseigenschaft Wird einer Person zugewiesen, die in vielen Situationen mit Angst reagiert Ängstlichkeit 8 Ängstlichkeit Kognitive Bewertungen Ein wichtiger Aspekt des Persönlichkeitsmerkmals Ängstlichkeit ist, dass sich Menschen mit hoher und niedriger Ängstlichkeit vor allem darin unterscheiden, wie häufig sie Situationen als bedrohlich bewerten. Ängstlichkeit 9 Ängstlichkeit Beispiel Eine hochängstliche Studentin empfindet eine Referatssituation als bedrohlich und erlebt deshalb Angst, während eine niedrigängstliche Studentin die Situation als Herausforderung empfindet und sich freut, ihre Kompetenzen zeigen zu können. Die gleiche Situation wird von beiden unterschiedlich interpretiert und löst entsprechend unterschiedliche emotionale Zustände aus. Ängstlichkeit 10 Ängstlichkeit Wenn sich Ängstlichkeit als Persönlichkeitsmerkmal in einem häufig erhöhten Angstzustand äußert, dann stellt sich die Frage nach den Kennzeichen des Zustands Angst. Die Emotion Angst ist ein affektiver Zustand des Organismus, der sich in drei verschiedenen Parametern äußert: Ängstlichkeit 11 Ängstlichkeit Komponenten der Angst Angst äußert sich als: 1. physiologische Reaktion 2. motorisch-expressives Verhalten 3. subjektives Gefühl Ängstlichkeit 12 Angstschreie Blutdrucksteigerung Erhöhung der Atemfrequenz Angststarre Herzschlagbeschleunigung Stresshormone Ängstlichkeit 13 Ängstlichkeit Physiologische Angstreaktionen Zentral für die Angstreaktion ist die Amygdala (Mandelkern) im Temporalkortex. Sie ist für das Erleben von Angst verantwortlich und gleichzeitig für das Auslösen von Reaktionen, die das Überleben in Gefahrensituationen sichern sollen: • Hemmung von Aktivität durch die Anspannung von Muskeln (Verringerung der Gefahr einer Entdeckung) Ängstlichkeit 14 Ängstlichkeit Physiologische Angstreaktionen • Für den Fall eines Angriffs: gleichzeitig Auslösung einer Reihe von Reaktionen, die Flucht- oder Kampfhandlungen erleichtern • Erhöhung der Herzschlagrate, des Blutdrucks und der Atemfrequenz (Bereitstellung des notwendigen Sauerstoffs für eine Flucht) • Ausschüttung von Stresshormonen (Sicherung der Koordination von Reaktionen) • Außerdem Angstschreie, Aufstellen der Haare etc. Ängstlichkeit 15 Bildquelle: http://www.strathclydetelegraph.co m/2012/09/essential-film-psycho/ Bildquelle: http://www.filmposterarchiv.de/filmplakat.php?id=1098 Ängstlichkeit 16 Ängstlichkeit Motorisch expressives Verhalten Personen, die akut Angst erleben, zeigen in der Regel Schutz-, Verteidigungs- oder Fluchtverhalten (z.B. Weglaufen vor einem bellenden Hund). Angst äußert sich auch in einer spezifischen Mimik. Subjektives Gefühl Neben diesen motorisch-expressiven Reaktionen ist der Zustand der Angst mit einem subjektiven Gefühl verbunden – wir wissen sehr genau, wie es sich anfühlt, Angst zu haben. Ängstlichkeit 17 Ängstlichkeit Angstmimik: - Auseinandergezogener Mund - Angespannte Lippen - Hoch- und zusammengezogene Augenbrauen - Hochgezogene Oberlider - Angespannte Unterlider Ängstlichkeit 18 Ängstlichkeit Ursachen für interindividuelle Ängstlichkeitsunterschiede Es gibt in der psychologischen Forschung unterschiedliche Antworten auf die Frage nach den Ursachen von Ängstlichkeitsunterschieden. Ängstlichkeit 19 Ängstlichkeit Spezifische Bewertungsmuster Die kognitive Emotionsforschung nimmt an, dass spezifische Bewertungen (Kognitionen) eine zentrale Rolle beim Erleben von Angst spielen – siehe das Beispiel der Studentinnen in der Referatssituation. Ein Referat stellt objektiv keine Gefahr dar. Erst durch eine entsprechende Bewertung wird es zu einer angstauslösenden Situation. Lazarus nannte diese Interpretation der Situation „primäre Bewertung“ Ängstlichkeit 20 Situation Primäre Einschätzung (primary appraisal) z.B. Bewertung des Vortrag, Ereignisses Prüfung, - irrelevant positiv dunkler -Keller - stresshaft (Schaden/Verlust, Bedrohung, Herausforderung) Sekundäre Einschätzung (secondary appraisal) Bewertung der Bewältigungskapazität - vorhanden - nicht vorhanden - unsicher Ängstlichkeit Bewertung der Situation als angstauslösend führt zu physiologischen, expressiven, motivationalen Reaktionen und dem subjektiven Gefühl „Angst“ Bewältigung (coping) 21 Primäre Sekundäre Einschätzung Einschätzung (secondary Situation(primary appraisal) appraisal) Bewertung der des Ereignisses Bewältigungskapazität - vorhanden - nicht - stresshaft (Schaden/Vervorhanden - unsicher lust, Bedrohung, Heraus- z.B. Bewertung Vortrag, - irrelevant Prüfung, - positiv dunkler Keller Bewertung der Situation als angstauslösend führt zu physiologischen, expressiven, motivationalen Reaktionen und dem subjektiven Gefühl „Angst“ Bewältigung (coping) forderung) Ängstlichkeit 22 Ängstlichkeit Neben der Bewertung der Situation schätzen Menschen ihre eigenen Möglichkeiten zur Bewältigung der Situation ein. Die Einschätzung der eigenen Bewältigungsressourcen wird als „sekundäre Bewertung“ bezeichnet. Ängstlichkeit 23 Situation z.B. Vortrag, Prüfung, dunkler Keller Primäre Einschätzung (primary appraisal) Sekundäre Einschätzung (secondary appraisal) Bewertung des Ereignisses - irrelevant Bewertung der - positiv - stresshaft Bewältigungskapazität (Schaden/Ver-- vorhanden lust, Bedroh- nicht vorhanden ung, Heraus- unsicher forderung) Ängstlichkeit Bewertung der Situation als angstauslösend führt zu physiologischen, expressiven, motivationalen Reaktionen und dem subjektiven Gefühl „Angst“ Bewältigung (coping) 24 Ängstlichkeit Wenn also eine Person das Halten eines Referates als bedrohlich einschätzt (primäre Einschätzung) und zu einer ungünstigen Bewertung der eigenen Bewältigungsressourcen kommt (sekundäre Einschätzung) gelangt, dann entsteht Angst. Ängstlichkeit 25 Situation z.B. Vortrag, Prüfung, dunkler Keller Primäre Einschätzung (primary appraisal) Bewertung des Ereignisses - irrelevant - positiv - stresshaft (Schaden/Verlust, Bedrohung, Herausforderung) Bewertung der Situation als Sekundäre Einschätzung angstauslösend (secondary führt zu appraisal) Bewältigung physiologischen, Bewertung der (coping) Bewältigungsexpressiven, kapazität - vorhanden motivationalen - nicht vorhanden Reaktionen und dem - unsicher subjektiven Gefühl „Angst“ Ängstlichkeit 26 Situation z.B. Vortrag, Prüfung, dunkler Keller Primäre Einschätzung (primary appraisal) Sekundäre Einschätzung (secondary appraisal) Bewertung des Ereignisses - irrelevant - positiv - stresshaft (Schaden/Verlust, Bedrohung, Herausforderung) Bewertung der Bewältigungskapazität - vorhanden - nicht vorhanden - unsicher Ängstlichkeit Bewältigung (coping) Bewertung der Situation als angstauslösend • problemorientiert: führt zu physioLösung des Problems logischen, expressiven, motivationalen • emotionsorientiert: Reaktionen und Linderung der dem subjektiven Gefühl Belastungssymtome „Angst“ 27 Ursachen für interindividuelle Ängstlichkeitsunterschiede: spezifische Bewertungsmuster Situation z.B. Vortrag, Prüfung, dunkler Keller Primäre Einschätzung (primary appraisal) Sekundäre Einschätzung (secondary appraisal) Bewertung des Ereignisses - irrelevant - positiv - stresshaft (Schaden/Verlust, Bedrohung, Herausforderung) Bewertung der Bewältigungskapazität - vorhanden - nicht vorhanden - unsicher Ängstlichkeit Bewertung der Situation als angstauslösend führt zu physiologischen, expressiven, motivationalen Reaktionen und dem subjektiven Gefühl „Angst“ Bewältigung (coping) 28 Ängstlichkeit Ursachen für interindividuelle Ängstlichkeitsunterschiede Genetische Unterschiede Biologische Ansätze betonen genetische Unterschiede als Ursache von Ängstlichkeitsunterschieden. Die Einschätzung des Erblichkeitsanteils von Persönlichkeitsmerkmalen erfolgt häufig durch den Vergleich von eineiigen Zwillingen (100% genetische Übereinstimmung) mit zweieiigen Zwillingen (50% genetische Übereinstimmung). Ängstlichkeit 29 Wenn eine genetische Komponente vorliegt, sollten eineiige Zwillingen eine höhere Ähnlichkeit in Bezug auf das Persönlichkeitsmerkmal Ängstlichkeit aufweisen, als zweieiige Zwillinge. In einer Studie mit Kindern und Jugendlichen kamen so etwa Legrand et al. (1999) zu dem Schluss, dass 45% der Varianz der Ängstlichkeit auf genetische Faktoren zurückzuführen waren. Ängstlichkeit 30 Ängstlichkeit Geschlechtsunterschiede Als weiterer wichtiger Einflussfaktor wird das Geschlecht diskutiert. Frauen berichten mehr Ängstlichkeit als Männer. Ob dies biologische Unterschiede zwischen Mann und Frau oder unterschiedliches Geschlechterrollenverhalten reflektiert, ist unklar. Für Männer ist Angst eine weniger sozial erwünschte Emotion als für Frauen, weshalb sie möglicherweise seltener bereit sind, Angst zu berichten. Ängstlichkeit 31 Frauen werden als furchtsamer, ängstlicher und sorgenvoller als Männer beschrieben Mädchen und Frauen bewerten sich selbst auf Ängstlichkeitsskalen als ängstlicher Mädchen und Frauen geben zu, dass sie häufiger Angst vor Bewährungssituationen, vor Abwertung und Unterlegenheit haben Ängstlichkeit 32 Ängstlichkeit Bedeutung von Lernerfahrungen Eine wesentliche Rolle spielen aber auch Lernerfahrungen, v.a. in der Kindheit. Eltern, die selbst ängstlich sind, leben dieses Verhalten ihren Kindern als Modell vor. Auch Eltern, die den Handlungsspielraum ihrer Kinder einschränken und dadurch nur begrenzte Erfahrungen ermöglichen, können zu einer erhöhten Ängstlichkeit der Kinder beitragen. Ängstlichkeit 33 Ängstlichkeit Leistungsverhalten Auswirkung von Ängstlichkeitsunterschieden auf Lebensbereiche: In welchen Lebensbereichen spielt es eine Rolle, ob jemand mehr oder weniger ängstlich ist? Häufig untersucht wurde die Bedeutung von Ängstlichkeit für das Leistungsverhalten, und zwar in der Form von Test- und Prüfungsängstlichkeit. Ängstlichkeit 34 Prüfungsängstlichkeit – Zwei-KomponentenTheorie der Prüfungsängstlichkeit Liebert & Morris, 1967 1. Kognitive Komponente: Besorgtheit (worry), d.h. aufgabenirrelevante Kognitionen, z.B. Zweifel an eigener Kompetenz („Das kann ich nicht“), Misserfolgserwartungen („Das wird sicher danebengehen“) oder negative Bewertungsantizipation („Ich bekomme sowieso eine schlechte Note“). 2. Emotionale Komponente: Aufgeregtheit (emotionality), d.h. wahrgenommene körperliche Erregung/ Befindlichkeit vor oder in der Leistungssituation (z.B. Schwitzen) Bildquelle: http://www.pruefungsangst-bielefeld.de/ Ängstlichkeit 35 Ängstlichkeit Prüfungsängstlichkeit Besorgtheit Vor allem für die Besorgtheit wird angenommen, dass sie das Leistungsverhalten in Prüfungssituationen beeinträchtigen kann. Für eine gute Leistung bzw. das Lösen der Aufgaben in einer Prüfungssituation benötigt man in der Regel volle Konzentration. Besorgtheit beeinträchtigt die Leistung, indem sie die auf die Aufgabe gerichtete Aufmerksamkeit und Konzentration verringert und gleichzeitig die Aufmerksamkeit für aufgabenirrelevante Aspekte erhöht. Ängstlichkeit 36 Ängstlichkeit Studie – Dusek, 1980 Diese Studie zeigte, dass sich Leistungsunterschiede zwischen hoch- und niedrigängstlichen Grundschulkindern signifikant reduzierten, wenn die hochängstlichen Kinder glaubten, dass es sich um eine Spiel- statt um eine Prüfungssituation handelte. Bei niedrigängstlichen Kindern hatte diese experimentelle Manipulation keinen Einfluss. Ängstlichkeit 37 Ängstlichkeit Besorgtheit Allerdings lässt sich die leistungsmindernde Wirkung einer erhöhten Besorgtheit nicht durchgängig nachweisen, denn auch andere Faktoren wie Begabung, die aufgewendete Anstrengung, Umgebungsfaktoren oder die Art der Aufgaben spielen eine wesentliche Rolle. Ängstlichkeit 38 Ängstlichkeit Angststörungen Aber nicht nur für das Leistungsverhalten, sondern in vielfältigen anderen Bereichen kann die Ausprägung der individuellen Ängstlichkeit Auswirkungen haben. Es zeigte sich z.B. auch, dass höhere Ängstlichkeit mit der Ausbildung von Angststörungen nach traumatisierenden Ereignissen (etwa Naturkatastrophen) einhergehen kann. Ängstlichkeit 39 Posttraumatische Belastungsstörung PTBS Diagnose nach ICD-10 und DSM-IV 309.81 Posttraumatische Belastungsstörung (Posttraumatic Stress Disorder, PTSD) A: Person wurde mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert 1. Person erlebte, beobachtete ein Ereignis, das den tatsächlichen oder drohenden Tod, ernsthafte Verletzung oder die Bedrohung körperlicher Unversehrtheit beinhaltete 2. Reaktion der Person umfasste intensive Flucht, Hilflosigkeit oder Entsetzen B: Das Erlebnis wird beharrlich auf eine der folgenden Weisen wieder erlebt: 1. Wiederkehrende belastende Erinnerungen 2. Wiederkehrende belastende Träume 3. Handeln oder Fühlen, als ob das traumatische Ereignis wieder kehrt 4. Psychische Belastung bei internalen oder externalen Hinweisreizen, die an das Ereignis erinnern 5. Körperliche Reaktionen bei der Konfrontation internalen oder externalen Hinweisreizen Ängstlichkeit 40 Posttraumatische Belastungsstörung PTBS Diagnose nach ICD-10 und DSM-IV C: Anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind, oder eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität (= Fähigkeit sensibel zu reagieren): 1. Bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen. 2. Bewusstes Vermeiden von Aktivitäten, Orten oder Menschen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen. 3. Unfähigkeit, einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern. 4. Deutlich vermindertes Interesse oder verminderte Teilnahme an wichtigen Aktivitäten. 5. Gefühl der Losgelöstheit und Fremdheit von anderen. 6. Eingeschränkte Bandbreite des Affekts (z.B. Unfähigkeit, zärtliche Gefühle zu empfinden) 7. Gefühle einer eingeschränkten Zukunft (z.B. erwartet nicht, Karriere, Ehe, Kinder oder normal langes Leben zu haben). Ängstlichkeit 41 Posttraumatische Belastungsstörung PTBS Diagnose nach ICD-10 und DSM-IV D: Anhaltende Symptome erhöhten Arousals (vor dem Trauma nicht vorhanden). Mindestens zwei der folgenden Symptome liegen vor: 1. Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen. 2. Reizbarkeit oder Wutausbrüche. 3. Konzentrationsschwierigkeiten. 4. Übermäßige Wachsamkeit (Hypervigilanz) 5. Übertriebene Schreckreaktionen E: Das Störungsbild (Symptome unter Kriterium B, C und D) dauert länger als ein Monat. F: Das Störungsbild verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. Ängstlichkeit 42 Posttraumatische Belastungsstörung PTBS Diagnose nach ICD-10 und DSM-IV Akut: Wenn die Symptome weniger als 3 Monate andauern. Chronisch: Wenn die Symptome mehr als 3 Monate andauern. Mit verzögertem Beginn: Wenn der Beginn der Symptome mindestens 6 Monate nach dem Belastungsfaktor liegt Ängstlichkeit 43 Beschreibung der Störung Diagnose nach ICD-10 und DSM-IV F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung Kriterien: 1. Person muss mit einem Ereignis außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalen Ausmaß konfrontiert gewesen sein. 2. Dieses Ereignis wurde bei fast jedem eine tiefe Verstörung hervorrufen. Notwendige Symptome: 1. Wiederholte unausweichliche Erinnerungen und Wiederinszenierung des Ereignisses im Gedächtnis, Tagträumen oder Träumen Andere typische Symptome: 2. Ausdauerndes Gefühl von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit, Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit gegenüber der Umgebung, Anhendonie 3. Vermeidung von Aktivitäten oder Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wecken Ängstlichkeit 44 Beschreibung der Störung Diagnose nach ICD-10 und DSM-IV Gewöhnliche Symptome: 4. Vegetative Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, übermäßiger Schreckhaftigkeit und Schlaflosigkeit 5. Angst und Depressionen Seltene Symptome: 6. Dramatische, akute Ausbrüche von Angst, Panik oder Aggression Zeitlicher Rahmen: Symptome treten üblicherweise innerhalb von 6 Monaten nach dem belastenden Ereignis auf Ängstlichkeit 45 Hurricane Katrina: August 2005; richtete in den südöstlichen Teilen der USA enorme Schäden an. Durch den Sturm und seine Folgen kamen etwa 1.800 Menschen ums Leben. Der Sachschaden belief sich auf etwa 81 Milliarden US-Dollar. Insbesondere die Stadt New Orleans war stark betroffen: Durch ihre geographische Lage führten zwei Brüche im Deichsystem dazu, dass bis zu 80 % des Stadtgebietes bis zu 7,60 Meter tief unter Wasser standen. Bildquellen: http://urbanlegends.about.com/librar y/bl_hurricane_katrina_pictures.htm http://www.welt.de/vermischtes/articl e9265767/So-geht-es-New-Orleansnach-dem-Hurrikan.html http://www.stern.de/panorama/hurrik an-katrina-kriegsrecht-in-neworleans-ausgerufen-544968.html Weems, Pina, Costa, Watts, Taylor & Cannon (2007). Predisaster trait anxiety and negative affect predict posttraumatic stress in youths after hurricane Katrina. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 75, 154-159. Ängstlichkeit 46 Ängstlichkeit Fragestellungen: Das Erleben von Naturkatastrophen führt zu PTBS-Symptomen, häufig auch zu Angststörungen und Depression Ängstlichkeit (trait) kann eine prädisponierende Persönlichkeitseigenschaft sein, weil Ängstlichkeit z.B. die Bewältigungsfähigkeit einschränkt In wie weit gibt das Ausmaß an Ängstlichkeit vor einer Naturkatastrophe Hinweise auf die Schwere der PTBS-Symptome, Angststörungen und Depression nach einer Naturkatastrophe? Ängstlichkeit 47 Ängstlichkeit Methode: Befragung von 52 Kindern/Jugendlichen (M=11 J., 30♂, 22♀) vor und nach Hurricane Katrina 17 Monate vor Katrina 6-7 Monate nach Katrina PTBS (PTSD checklist) PTBS (PTSD checklist) Ängstlichkeit (trait) (STAIC-T) Ängstlichkeit (trait) (STAIC-T) Angststörungen und Depression (RCDAS) Angststörungen und Depression (RCDAS) Negative Emotionalität (PANAS-C) Negative Emotionalität (PANAS-C) Art und Anzahl der Hurricane-Erlebnisse Ängstlichkeit 48 (1) (2) (3) Ängstlichkeit 49 Ängstlichkeit Schlussfolgerungen: Ängstlichkeit als Persönlichkeitsmerkmal vor Erleben der Naturkatastrophe kann die PTBS-Symptome vorhersagen (1) Allerdings sind die Variablen: Art und Anzahl der HurricaneErlebnisse, negative Emotionalität vor Katrina, Geschlecht (weiblich = mehr Symptome) von größerer Bedeutung (2-3) Ängstlichkeit ist der wichtigste Prädiktor für die Ausprägung von Angststörungen und Depression nach Katrina Ängstlichkeit 50 Ängstlichkeit Schlussfolgerungen: Ängstlichkeit als Persönlichkeitsmerkmal ist ein relevanter Faktor für die Ausbildung einer psychischen Störung Ängstlichkeit ist somit ein Ansatzpunkt für Interventionen nach einem Trauma Ängstlichkeit 51 Ängstlichkeit Angstbewältigungsstile Ob eine erhöhte Ängstlichkeit negative Folgen nach sich zieht oder nicht, hängt ganz entscheidend davon ab, welche Formen der Angstbewältigung ein Mensch zeigt. Krohne (1993) betonte die Bedeutung der Kognitionen auch beim Umgang mit angstauslösenden Situationen und beschrieb zwei wesentliche Strategien: Vigilanz die aktive gedankliche Beschäftigung und Hinwendung zur Situation) Kognitive Vermeidung die gedankliche Abwendung von der Situation Ängstlichkeit 52 Ängstlichkeit Angstbewältigungsstile Beide Strategien ( Vigilanz und kognitive Vermeidung) können hilfreich sein, müssen aber flexibel, in Abhängigkeit von der Art der Situation, einsetzbar sein. Bei zumindest einigermaßen kontrollierbaren Situationen (etwa ein in mehreren Wochen anstehendes Referat) dürfte Vigilanz erfolgreicher sein, in nicht kontrollierbaren Situationen sollte kognitive Vermeidung zu einer besseren emotionalen Befindlichkeit führen. Ängstlichkeit 53 Bilz, L. (2014). Werden Ängste und depressive Symptome bei Kindern und Jugendlichen in der Schule übersehen? Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 28, 57-62. Lengning, A., Mackowiak, K., Steinhoff, S. & Franke, A. 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Ängstlichkeit 54 Psychotherapieforschung: Angst und Bindung (Scheidt & Waller, 2004) Generalisierte Angststörung (GAS) – unsicher-ambivalente Bindung Das Bindungsverhalten spiegelt die Erfahrungen von verdeckter Zurückweisung durch die primäre Bezugsperson wider. Therapeutisch sind affektive Selbsteinbringung, Ermutigung und Unterstützung notwendig Ängstlichkeit 55 Psychotherapieforschung: Angst und Bindung (Scheidt & Waller, 2004) Soziale Phobie – unsicher-vermeidende Bindung Inkonsistenz und Widersprüchlichkeit der Reaktionsweisen der primären Bezugsperson werden erneut hergestellt. Konstanz, Verlässlichkeit und wohlwollende Neutralität sind therapeutisch zentral. Ängstlichkeit 56 Psychotherapieforschung: Angst und Bindung (Scheidt & Waller, 2004) PTBS – desorganisierte Bindung Die traumatische Gefahrensituation droht in die Gegenwart einzudringen und die primäre Bezugsperson wird als Bedrohung wahrgenommen. Das Herstellen von Sicherheit in der therapeutischen Beziehung ist von zentraler Bedeutung. Ängstlichkeit 57 Übungsaufgaben – 1 1. Was unterscheidet das Persönlichkeitsmerkmal Ängstlichkeit vom Zustand Angst? Das Persönlichkeitsmerkmal Ängstlichkeit bezeichnet die zwischen Personen (interindividuell) unterschiedliche Tendenz, Situationen als bedrohlich wahrzunehmen und darauf mit einem erhöhten Angstzustand zu reagieren. Der Zustand Angst bezieht sich auf die aktuelle Emotion. Ängstlichkeit 58 Übungsaufgaben – 2 2. Durch welche Faktoren werden Unterschiede in der Ausprägung von Ängstlichkeit zwischen Personen erklärt? a) Ängstlichkeit als Ergebnis spezifischer Bewertungsmuster: Wenn eine Person eine Situation als bedrohlich einschätzt (primäre Einschätzung) und zu einer ungünstigen Bewertung der eigenen Bewältigungsressourcen (sekundäre Einschätzung) gelangt, dann entsteht Angst. b) Genetische Unterschiede: Etwa die Hälfte der Varianz der Ähnlichkeit von Ängstlichkeit könnte auf genetische Faktoren zurückzuführen sein. c) Biologische oder geschlechterrollenbezogene Geschlechtsunterschiede. d) Lernerfahrungen durch Modelle von ängstlichen Eltern, eingeschränkte Entfaltungsmöglichkeiten oder aufgrund von unsicheren Bindungen. Ängstlichkeit 59 Übungsaufgaben – 3 3. Ist Vigilanz oder ist die kognitive Vermeidung die bessere gedankliche Bewältigungsstrategie von Angst? Beide Strategien sind je nach Art der vorliegenden Situation hilfreich. Bei zumindest einigermaßen kontrollierbaren Situationen ist wahrscheinlich Vigilanz meistens besser für das Wohlbefinden, in nicht kontrollierbaren Situationen sollte kognitive Vermeidung zu einer besseren emotionalen Befindlichkeit führen. Ängstlichkeit 60 VIELEN LIEBEN DANK FÜR IHR INTERESSE! Ängstlichkeit 61 Literatur Dusek, J.B. (1980). The development of test anxiety in children. In I. G. Sarason (Ed.), Test anxiety: Theory, research and applications. (pp. 87-110). Hillsdale, NJ: Erlbaum Krohne, H.W. (1996). Angst und Angstbewältigung. Stuttgart: Kohlhammer. - SP 511-62 Lazarus, R.S. (1993). From psychological stress to the emotions: A history of changing outlooks. Annual Review of Psychology, 44, 1-21. Lazarus-Mainka, G. & Siebeneick, S. (2000). Angst und Ängstlichkeit. Göttingen: Hogrefe. - SP 511-43 Legrand, L.N., McGue, M. & Iacono, W. G. (1999). A twin study of state und trait anxiety in childhood and adolescence. Journal of Child Psychology and Psychiatry , 40, 953-958. Liebert, R. M. & Morris, L. W. Cognitive and emotional components of test anxiety: A distinction and some initial data. Psychological Reports, 1967, 20, 975-978. Saß, H. (1998). Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen : DSMIV ; übersetzt nach der vierten Auflage des Diagnostic and statistical manual ofmental disorders d er American Psychiatric Association. 2. verb. Auflage. Göttingen: Hogrefe - SP 551-102:2 Scheidt, C.E. & Waller, E. (2005). Angststörungen und Bindungsforschung. Psychotherapie im Dialog, 6, 362-369. Weems, C.F., Pina, A.A., Costa, N.M., Watts, S.E., Taylor, L.K. & Cannon, M.F. (2007). Predisaster trait anxiety and negative affect predict postraumatic stress in youths after hurricane Katrina. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 75, 154-159. Ängstlichkeit 62