Sie sind hier: www.schuldner-hilfe.at . Kaufsucht - Interview mit Oliver Büttner Oliver Büttner ist Universitätsassistent an der Universität Wien mit dem Arbeitsbereich Angewandte Sozialpsychologie und Konsumentenverhaltensforschung. Seit 2011 leitet er ein EU-gefördertes Forschungsprojekt zum Thema problematisches Kaufverhalten. Seine Forschungsschwerpunkte sind Konsumentenpsychologie, Einkaufsverhalten, Werbung und Forschungsmethoden. Wir haben uns mit ihm für die Geizhalszeitung (Ausgabe 46) über das Thema Kaufsucht unterhalten. Lesen Sie hier die ungekürzte Version des Interviews mit ihm. Herr Büttner, wie wird Kaufsucht definiert? Es gibt unterschiedliche Ansätze. Ein Anzeichen ist, dass chronisches wiederholtes Einkaufen stattfindet, welches nicht gestoppt werden kann. Die Betroffenen haben den Drang raus zu gehen und zu kaufen. Dass wir Dinge kaufen, die wir nicht brauchen, kennen wir alle. Das tun sehr viele Menschen. Unterschiede bei Kaufsucht sind jedoch der starke Drang, die ständige Wiederholung und die schädlichen Konsequenzen. Ein weiterer Aspekt ist, dass häufig eingekauft wird, um negative Gefühle zu beseitigen. Es ist also häufig ein Kompensationsmechanismus. Ist problematisches Kaufverhalten eine Vorstufe der Kaufsucht? Das ist schwierig zu trennen. Es gibt keinen fixen Punkt, an dem man sagt: „Das Verhalten ist noch o.k. und ab da ist es problematisch.“ Das kann man sich eher wie ein Kontinuum vorstellen. Problematisch wird es aber spätestens dann, wenn sich Personen größeren Schaden zuführen, etwa durch Überschuldung. Wie entsteht Kaufsucht? Die Forschung zeigt, dass ein paar Risikofaktoren dazu beitragen. Einer ist Materialismus. Personen, die eine materialistische Wertehaltung haben, sind eher kaufsuchtgefährdet. Materialismus allein reicht aber noch nicht aus. Nicht alle Materialisten werden kaufsüchtig. Ein Punkt, der hinzu kommt, sind Abweichungen vom „idealen Selbst“, also von dem, wie wir gerne wären. Und wenn man materialistisch orientiert ist, ist Kaufen eine Möglichkeit dazu, diese Lücke zu schließen. Wie stark muss ein mangelndes Selbstwertgefühl sein, um ein Suchtverhalten auszulösen? Das ist eine gute Frage. Man weiß eigentlich noch nicht so genau, was da wirklich passiert. Und es sind sicher nicht die beiden Faktoren alleine, die zu Kaufsucht führen. Man weiß mittlerweile, dass Leute, die zu Kaufsucht neigen, generell Probleme mit Selbstkontrolle, ein Problem mit Impulsivität haben. Und Kaufsucht geht auch häufig einher mit anderen Störungen: mit Depressionen, Substanzmissbrauch, teilweise auch mit Essstörungen. Kaufsucht ergibt sich aus einem Bündel an Faktoren. Was sind typische Warnsignale für Kaufsucht? Wahrscheinlich kennen alle in ihrem Bekanntenkreis Leute, die tendenziell zu viel einkaufen. Das muss noch nicht problematisch sein. Warnsignale sind z.B., wenn Betroffene versuchen ihr Verhalten zu verheimlichen. Was man auch immer wieder findet ist, dass Personen Dinge zuhause horten, die sie gar nicht nutzen. Die gekauften Sachen werden oft gar nicht einmal ausgepackt. Und natürlich sind finanzielle Probleme durch zu viel Einkaufen Warnsignale. Ist Kaufsucht eine offiziell anerkannte Krankheit? In den beiden großen Klassifikationssystemen für psychische Störung findet sich Kaufsucht bisher nicht als eigenständige Störung. Es gibt aber Diskussionen darüber, ob es eine eigene Di agnose werden soll. Bisher ist es u.a. daran gescheitert, dass es noch zu wenig Forschung zu dem Thema gibt. Gibt es ein Alter, wo Kaufsucht begründet wird? Darüber kann man keine ganz fixen Aussagen treffen. Man sieht aber in Studien, dass bereits jüngere Personen zu Kaufsucht neigen. Was heißt jünger? Wenn man Zahlen aus der österreichischen Kaufsuchtstudie der Arbeiterkammer nimmt, dann ist bei Personen zwischen 14 und 24 Jahren der Anteil der Kaufsuchtgefährdeten am größten. Wie wichtig sind Eltern als Vorbilder? Können Eltern verhindern, dass das Kind kaufsüchtig wird? Speziell bei Kaufsucht kenne ich keine Forschung zur Rolle der Eltern. Man weiß aber natürlich insgesamt, dass Eltern an verschiedenen Stellen eine große Rolle spielen, etwa bei der Entwicklung von Wertehaltungen. Und hier wird das Thema Materialismus relevant. Die Wahrscheinlichkeit, dass, wenn Sie als Eltern eine materialistische Wertehaltung vorleben, die Kinder diese auch übernehmen, ist natürlich groß. Und auch für die Entwicklung von Selbstkontrolle, den Umgang mit Impulsivität sind Eltern wichtig. Interessanterweise unterscheiden sich Kinder schon relativ früh darin, ob sie sich gut kontrollieren können oder auch nicht. Und hieraus kann man wiederum ableiten, wie sie sich als Jugendliche höchstwahrscheinlich verhalten werden. Ab welchem Alter kann man feststellen, wie impulsiv ein Mensch ist? Eine der bekanntesten Studie verwendete den „Marshmallow-Test“ (von Walter Mischel, Anm.d.Red.) mit Vorschul-Kindern. Dabei ging es darum, dass Kinder sich kontrollieren sollten, einen Marshmallow, den sie direkt vor sich hatten, nicht zu essen. (Schafften sie es sich über eine gewisse Zeitspanne zu kontrollieren und den Marshmallow nicht zu essen, bekamen sie als Belohnung einen zweiten. Dieser Test zeigt die Wichtigkeit von Impulskontrolle und des Aufschieben-Könnens von Selbstbelohnung für das Erreichen langfristiger Ziele. Anm.d.Red.). Bei kleineren Kindern werden eher die Eltern befragt. Was für eine Rolle spielt die Wirtschaft? Was muss die Wirtschaft tun, damit sie uns alle kaufsüchtig macht? Lustigerweise denkt man ja, dass Kaufsucht ein relativ neues Phänomen ist. Aber das erste Mal ist dieses Störungsbild Anfang des 20. Jahrhunderts vom deutschen Psychiater Kraepelin beschrieben worden. Natürlich liegt die Vermutung nahe, dass eine Reihe an Faktoren zu einer Zunahme beitragen, etwa Werbung, die eine materialistische Wertehaltung anspricht, oder die erhöhte Verfügbarkeit von Produkten. Wobei man zu beiden Aspekten sagen muss, dass die Zusammenhänge bisher nicht untersucht oder nachgewiesen wurden. Auch könnte die Möglichkeit, im Internet rund um die Uhr shoppen zu können, Kaufsucht fördern. Das weiß man aber auch nicht so genau. Denn gerade Menschen, die exzessiv einkaufen, tun das häufig auch im stationären Handel, weil sie den Erlebnischarakter schätzen und mit Leuten sprechen wollen. Heißt das, dass es bei der Kaufsucht gar nicht um das Produkt, sondern um den Akt des Kaufens geht? Genau. Und das ist online deutlich weniger spannend. Bargeldlose Bezahlung ist übrigens ein weiterer Faktor. Einige Studien zeigen, dass, bereits wenn man Personen dazu bringt, an Kreditkarten zu denken, sie dann weniger Selbstkontrolle in Kaufsituationen zeigen und auch weniger auf Kosten achten. Zahlen zu Kaufsucht? Bei den Zahlen muss man ein bisschen vorsichtig sein. Es handelt sich dabei um Zahlen aus repräsentativen Befragungen, also auch bei der Kaufsucht-Studie der Arbeiterkammer. Diese Studien untersuchen mittels eines Fragebogens den Grad der Kaufsuchtgefährdung. Darüber wie viele Personen tatsächlich in therapeutischer Behandlung sind oder wirklich behandlungsbedürftig sind, gibt es keine Zahlen. Aber bezogen auf die Kaufsuchtgefährdung gibt es aktuelle Zahlen aus der letzten Kaufsucht-Studie, die ca. 8 % der österreichischen Bevölkerung benennen. Das deckt sich mit Zahlen aus Deutschland und den USA, die von etwa 6-8 % von Personen ausgehen, die man als stark kaufsuchtgefährdet einschätzen kann. Die Zahlen der 14-24jährigen sind sogar höher. Warum genau ist die junge Bevölkerung so betroffen? Ist hier der Selbstwert noch nicht so ausgeprägt? Das ist eine Zeit, in der man stärker mit Identitätsfindung beschäftigt ist. Und natürlich ist man in dieser Zeit auch noch nicht so stark in gewisse soziale Kontrollmechanismen eingebunden, wie beispielsweise eine Familie zu ernähren. Die Personen, die zu Kaufsucht neigen, sind tendenziell eher ledig, jung, weiblich. Das ist eher das Risikoprofil. Wo sind die Männer bei der Kaufsucht? Oder sind die von anderen Süchten betroffen? Anscheinend scheinen Männer stärker zu Substanzmissbrauch wie Alkohol oder zu Glückspiel zu neigen. Ich glaube aber, dass auch bei Kaufsucht das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Denn es gibt auch Studien, die zeigen, dass Männer ähnlich stark davon betroffen sind. Männer haben oft nur andere Produktkategorien, für die sie Kaufsucht entwickeln. Und Männer tendieren dazu weniger offen über Einkaufen zu reden. Was für Arten der Forschung gibt es zu Kaufsucht? Im Prinzip sind es zwei Arten: eine kommt aus der psychotherapeutischen und psychiatrischen Forschung, die andere aus der Konsumentenforschung. In den 80er Jahren wurde damit begonnen das Phänomen der Kaufsucht zu beschreiben und Messinstrumente zu entwickeln. Mittlerweile gibt es auch Studien, die stärker auf das eingehen, was der Kaufsucht zugrunde liegt und welche Prozesse damit zusammen hängen. Es gibt beispielsweise eine Studie, die neurophysiologische Prozesse, also Unterschiede in der Gehirnaktivität untersucht. Darin zeigt sich, dass Personen, die kaufsüchtig sind oder zur Kaufsucht neigen, in Kaufsituationen weniger Aktivierungen in Kontroll- oder Schmerzzentren zeigen, dafür aber mehr Aktivierungen in Lustzentren haben. Sie empfinden also mehr Kauffreude und weniger Zahlschmerz. In unserer Forschung beschäftigen wir uns mit Aufmerksamkeitsprozessen. Wir erforschen, ob sich Personen, die eher zu Kaufsucht neigen, sich in Kaufsituationen leichter ablenken lassen, d.h. ob es diesen Personen schwieriger fällt sich auf das Ziel zu konzentrieren, wenn sie einkaufen gehen. Dies zeigt sich auch in unseren Studien. Dabei finden wir aber auch, dass diese Personen nicht generell leichter ablenkbar sind, sondern nur in Kaufsituationen. Werden Sie als Forscher von Medizinern eingebunden, wenn es um Therapien geht? Fragen von Nein, unser Schwerpunkt liegt nicht in der klinischen, therapeutischen Arbeit mit Kaufsüchtigen. Wir interessieren uns eher dafür, wie sich Konsumenten im Allgemeinen verhalten. Problematisches Kaufverhalten ist hier eine Facette. Es gibt jedoch beispielsweise von einer Forschergruppe aus Erlangen ein verhaltenstherapeutisches Konzept samt Wirksamkeitsstudie. Kann man je geheilt werden? Denn wir sind ja jeden Tag schon durch den Kauf von Lebenserhaltungsmittel mit dem Thema Kauf konfrontiert. Das ist natürlich schwierig. In einer Studie analysierten wir Interviews mit Kaufsüchtigen. Diese beschrieben zum Beispiel, dass, wenn sie sich in der Stadt mit Freunden treffen, sie an lauter Läden vorbei müssen, was die Verlockung wieder größer macht. Die oben genannte Studie der Forschergruppe aus Erlangen hat allerdings gezeigt, dass die Wirksamkeit des Therapieprogramms auch nach sechs Monaten noch anhält. Das ist ein Hinweis darauf, dass Verhaltenstherapie hier gut wirkt. Präventionsmaßnahmen: Was würden Sie anraten, damit man nicht kaufsüchtig wird? Eigentlich einfache Sachen, die alle schon mal gehört haben. Einkaufszettel schreiben: Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich ungeplante Käufe mache geringer. Einnahmen und Ausgaben aufschreiben und dadurch Übersicht und Kontrolle behalten. Kaufsüchtige haben damit offensichtlich Probleme. Dieses Überwachen der Ausgaben ist zudem etwas, was die Selbstkontrolle stärkt. Es gibt mittlerweile einige Studien, die zeigen, dass die Stärkung der Selbstkontrolle in einem Bereich auch in anderen Bereichen einen positiven Effekt hat. Ein „Selbstkontrolltraining“ ist daher gut. Weiterhin: nicht erschöpft Einkaufen gehen. In Situationen, in denen man vorher schon sehr viel Selbstkontrolle ausgeübt hat und die Selbstkontrollressourcen erschöpft sind, ist man besonders anfällig dafür, unkontrolliert Sachen zu kaufen. Zum Beispiel nach einem anstrengenden Tag im Büro ist unkoordiniertes Einkaufen keine gute Idee. Und natürlich sollte man vermeiden bargeldlos zu bezahlen, wenn man an sich problematisches Kaufverhalten bemerkt. Welche Maßnahmen sollten Ihrer Meinung nach ergriffen werden und von welchen Stellen? Ich denke es ist wichtig, Kompetenz im Umgang mit Geld und insgesamt Konsumkompetenz zu erlernen. Was die Schuldnerhilfe ja durch ihre Präventionsprojekte teilweise macht, etwa dass ihr in die Schulen geht und erklärt, dass es kein „0-Euro-Handy“ gibt. Das betrifft aber nicht nur Kaufsucht, sondern insgesamt den Umgang mit Werbung, mit Marketing, mit Einkaufen. Wenn man sich ansieht, welche große Rolle das in unserem täglichen Leben spielt, ist es erschreckend, wie wenig die Leute darüber wissen. Und gut wären auch Selbstkontrolltrainings. Macht es Sinn die Eltern zu schulen? Ja, auf jeden Fall. Das ist meines Erachtens ein wichtiger Punkt, den Sie da ansprechen. Das Wissen an Schulen zu vermitteln ist ein Aspekt, aber es gibt ja viele Kompetenzen, die Kinder von ihren Eltern lernen. Und Eltern, die sich der Probleme rund um das Thema Kaufen bewusst sind, können sicher früher und sensibler mit ihren Kindern dahingehend umgehen. Persönliche Frage: Wie gehen Sie mit Ihren materiellen Wünschen um? Gibt’s da auch den Oliver Büttner, der manchmal mit dem Geld um sich wirft und sich anschließend denkt: „Oje, das hätt´ ich mir aber nun sparen können!“ Klar. Ich merke, dass ich gerade bei Supermärkten relativ anfällig bin. Mir macht es ganz viel Spaß irgendwelche neuen Lebensmittel zu entdecken und einzukaufen. Ich weiß natürlich um das Problem, fall dann aber trotzdem immer wieder drauf rein. Das heisst, das Wissen allein schützt nicht. Stimmt, man muss aber schauen, wie viel Geld man für so einen Spaß übrig hat. Und anderseits nutzt Wissen schon auch. Denn die Forschung zeigt immer wieder, dass materieller Besitz nicht wirklich glücklich macht, sondern dass sich das Ganze relativ schnell abnutzt. Wenn ich ein neues Smartphone kaufe, dann ist die Erwartung an das tolle Gefühl das ich dadurch erhalten werde viel größer, als das tatsächliche Gefühl, wenn ich das Smartphone habe. Eigentlich ist es viel sinnvoller, Geld für Erlebnisse auszugeben. Dies kann dann auch relativ günstig sein, wie z.B. ein Picknick mit Freunden. Da hat man viel mehr davon, als wenn man sich immer das Neueste kauft. Geht’s hierbei um eine Wertebefriedigung, wenn Sie sagen, dass materieller Besitz nicht dauerhaft glücklich macht? Was wird beim Picknick mit Freunden mehr befriedigt, als beim Kauf eines Smartphones? Es ist ein soziales Erlebnis, das wir mit anderen teilen. Aber auch, wenn ich alleine etwas erlebe, z.B. bei einem Ausflug, kann ich noch relativ lang davon zehren. Ich kann mich dann mit anderen Leuten darüber unterhalten. Und ich kann mich immer wieder daran erinnern. Und es ist jedes Mal wieder etwas anderes. Denn in der Erinnerung verändert sich das Ganze, während wir uns an Dinge, die wir um uns haben, relativ schnell gewöhnen. Es ist ein grundlegender Mechanismus, dass wir uns sowohl an das Positive, als auch an das Negative relativ schnell gewöhnen. Deshalb nutzen sich neue Produkte relativ schnell ab. Und das ist sicher auch etwas, das man in solchen Trainings/an Schulen lernen müsste. Denn der Einzelne weiß gar nicht, dass sich diese Sachen so schnell abnutzen. Ist das etwas, was die Wirtschaft vorgibt? Immer das Neuste haben! Das sind doch Themen, mit denen Marketing arbeitet! Na klar. Wenn wir alle zufrieden wären, mit den Dingen, die wir haben, dann würden wir relativ wenig kaufen. Der Forscher Dan Gilbert hat das in einem Vortrag mal – den gibt’s auch online – ganz schön gesagt: Ein Einkaufszentrum für Zen-Mönche funktioniert einfach nicht. Die wollen einfach nicht so viele Sachen haben! Herr Büttner, danke für das Interview und Ihre Zeit. Danke für Ihr Interesse! Internet-Tipp: http://www.ted.com/talks/dan_gilbert_asks_why_are_we_happy.html