Lesen Sie hier das gesamte Interview als PDF

Werbung
5 Fragen an …
Prof. Dr. Gerhard Raab
Gerhard Raab ist Professor für Marketing und Internationales Marketing Management an der
Fachhochschule Ludwigshafen am Rhein, Studiengangleiter BIP und Direktor des
Transatlantik-Instituts.
Was versteht man in der Psychologie unter „Kaufsucht“?
Ein gelegentlicher Frustkauf oder die ab und zu auftretende Situation, dass man
Produkte kauft, die man eigentlich nicht braucht oder nicht nutzt, hat noch nichts mit
Kaufsucht zu tun. Die inflationäre und unbedachte Verwendung des Begriffs Sucht
wird dem Leidensdruck der wirklich Betroffenen nicht gerecht und führt zu einer
vorschnellen Bezeichnung aller möglichen Verhaltensweisen als Sucht, wenn diese
von dem als normal oder richtig bezeichneten Verhalten abweichen. Von Kaufsucht
kann nur dann gesprochen werden, wenn klare Kriterien erfüllt sind, die anerkannter
Weise zur Diagnose herangezogen werden. Diese Kriterien sind auch maßgebend
für die Diagnose von anderen sogenannten stoffungebundenen Suchtformen bzw.
Verhaltenssüchten, wie z.B. der Spielsucht oder Kleptomanie. So muss der
Betreffende einen „unwiderstehlichen Drang“ erleben. Diesen Aspekt findet man
auch in Aussagen Kaufsüchtiger wieder, wenn sie schildern, dass sie „etwas kaufen
mussten“ und sich „nicht dagegen wehren konnten“. Der erlebte Kontrollverlust ist
das zweite wichtige Kriterium bei der Diagnose: Diese Personen können ihr
Verhalten nicht mehr kontrollieren. Der Impuls, etwas zu kaufen, ist stärker als der
eigene Wille. Der dritte Aspekt zeigt sich konkret darin, dass immer mehr und immer
häufiger Produkte gekauft werden – die „Dosis“ muss gesteigert werden. Das letzte
Kriterium sind Entzugserscheinungen, wie wir sie auch von anderen Suchtformen
kennen. Erst wenn diese vier Kriterien erfüllt sind, kann im klinischen Sinne von
süchtigem Kaufverhalten gesprochen werden. Dies entspricht dem Diagnostischen
und Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM IV), wonach süchtiges
(pathologisches) Kaufverhalten als Störung der Impulskontrolle diagnostiziert wird.
Was sind die Ursachen dieser spezifischen Verhaltenssucht?
Die Kaufsucht ist kein völlig neues Phänomen in unserer Gesellschaft. Bereits zu
Beginn des letzten Jahrhunderts beschrieb der deutsche Psychiater Emil Kraepelin
die „krankhafte Kauflust“ und prägte hierfür den Begriff der „Oniomanie“ (Kraepelin,
1909, S. 408). Vor rund 20 Jahren begannen US-amerikanische (Faber& O’Guinn,
1988), kanadische (d’Astous & Tremblay, 1989) und deutsche (Scherhorn, Raab &
Reisch, 1989) Psychologen und Wirtschaftswissenschaftler, sich mit diesem
Phänomen stärker zu befassen. Die Gründe hierfür liegen insbesondere darin
begründet, dass immer mehr Menschen die Kontrolle über ihre Konsumausgaben
und ihr Kaufverhalten verlieren. Mit dieser Entwicklung und den weltweiten
Forschungsaktivitäten ist auch ein zunehmendes Interesse der Öffentlichkeit und der
Medien für dieses Phänomen zu beobachten.
Hinsichtlich der gesellschaftlichen Bedingungen (z.B. des Konsums, der Werbung)
und der Bedeutung der Kindheit sowie Erziehung liegen gegenwärtig zahlreiche
Untersuchungen vor. Im Kern zeigt sich bei diesen Untersuchungen, dass der
Überbetonung des Konsums als „Sinnstifter“ in einer Familie und der Gesellschaft
eine zentrale Rolle bei der Entwicklung des süchtigen Kaufverhaltens zukommt.
Darüber hinaus scheinen auch neurologische bzw. biopsychologische Ursachen eine
Rolle zu spielen. Dies zeigen aktuelle Untersuchungen mittels fMRT.
Wie viele Deutsche sind derzeit von einer Kaufsucht betroffen?
Nach neueren und repräsentativen Untersuchungen gelten zwischen sechs und
sieben Prozent der Bundesbürger als kaufsuchtgefährdet. Dies deckt sich auch mit
aktuellen Zahlen für andere Länder (z.B. Dänemark).
Gibt es gesellschaftliche Milieus, die besonders betroffen sind?
Frauen scheinen deutlich stärker und häufiger betroffen zu sein. Aber man muss
dabei berücksichtigen, dass Frauen in der Familie auch gegenwärtig immer noch
diejenigen sind, die häufiger die Einkäufe tätigen. Ein wesentlicher Unterschied
zwischen den Geschlechtern besteht darin, welche Produkte bevorzugt gekauft
werden. Darüber hinaus sind junge Menschen häufiger betroffen. Ein signifikanter
Zusammenhang zwischen süchtigem Kaufverhalten und Einkommen und
Bildungsniveau konnte in den meisten Untersuchungen nicht festgestellt werden.
Welche Therapieansätze gibt es bei einer Kaufsucht?
Mittlerweile gibt es Erfahrungen mit unterschiedlichen Therapieansätzen. Während in
den USA die Pharmakotherapie eine wichtige Rolle spielt, überwiegt in Deutschland
die verhaltenstherapeutisch orientierte Behandlung von Kaufsucht. Führend in der
verhaltenstherapeutischen Behandlung und therapeutischen Forschung der
Kaufsucht ist in Deutschland das Universitätsklinikum Erlangen-Nürnberg.
Herunterladen