September 2000 Monitor EU-Erweiterung Deutsche Bank Research Osteuropa auf dem Weg in die EU: Chance für eine dynamische Entwicklung Trotz aller Hürden in West und Ost ist der politische Wille der mittelund osteuropäischen Länder, im Laufe der nächsten Jahre der EU beizutreten, aus guten Gründen ungebrochen. Ihnen bietet diese Perspektive eine einmalige Chance: In absehbarer Zeit werden sie Teil eines großen, hochintegrierten Marktes und einer Zone der Stabilität und Prosperität sein. Diese Entwicklungsperspektive trennt die “emerging markets” Mittel- und Osteuropas zunehmend von denen anderer Weltregionen. Wirtschaftliche, rechtliche, finanzielle und vor allem auch politische Integration haben in der Europäischen Union ein Maß erreicht, für das es weltweit kein Vorbild gibt. In wenigen Jahren wird auch in Mittel- und Osteuropa europäisches Wirtschaftsrecht von den nationalen Rechtssytemen übernommen, werden substantielle finanzielle Transfers für Wirtschafts- und Infrastrukturentwicklung zur Verfügung stehen und feste Eckwerte für wirtschaftspolitische Stabilität gelten. Doch wäre es falsch, die positiven Effekte der EU-Erweiterung auf die Zeit nach dem Beitritt zu beschränken. Bereits jetzt zeigt sich, dass die Aussicht auf die EU-Integration eine nicht zu unterschätzende Ankerwirkung für die nationale Wirtschaftspolitik hat. Auch durch Wahlen und Regierungswechsel wird es kaum zu gravierenden Politikänderungen kommen. Schon im Vorfeld der Erweiterung könnte sich daher in den Beitrittsländern eine wirtschaftliche Dynamik entwickeln, die den Aufholprozessen in Spanien, Portugal oder Irland im letzten Jahrzehnt vergleichbar sein und zu dauerhaft hohem Wirtschaftswachstum führen dürfte. Mittel- und Osteuropa vor einem Erweiterungsboom? Investitionsquote 1999 Slowakei Slowenien Estland Tschechien Polen Litauen Ungarn EU-15 Lettland Rumänien 0 5 10 15 20 25 30 35 40 &YQPSUF (MFJU.%VSDITDIOJUUHH7K Die EU-Erweiterung ist eine historische Chance für einen beschleunigten Strukturwandel. Eine Reihe von Faktoren könnte eine dynamische Wirtschaftsentwicklung in den nächsten Jahren tragen. Marktwirtschaftliche Ideen dürften stärker noch als bisher Richtschnur für die Wirtschaftspolitik sein. Außerdem dürften sich mehr und mehr die Strukturreformen der letzten Jahre auszahlen und für nachhaltiges Wachstum sorgen: • Viele Länder haben ihre Bankensysteme mit ausländischem Kapital saniert, den Großteil der Wirtschaft privatisiert und Subventionen stark abgebaut. Geld- und Fiskalpolitik sind im Vergleich zu den ersten Jahren der Transformation auf einem klaren Stabilitätskurs, und auch auf mikroökonomischem Gebiet sowie bei der Flexibilisierung der Arbeitsmärkte wurden teils erhebliche Fortschritte gemacht. % des BIP Bulgarien 1PMFO 6OHBSO 5TDIFDIJFO Ausländische Direktinvestitionen (USD Mrd.) Bulgarien Tschechien Estland Ungarn Lettland Litauen Polen Rumänien Slowakei Slowenien MOE-10 1995 1996 1997 1998 1999 (S) 2000 (P) 2001 (P) 0.1 2.5 0.2 4.4 0.2 0.1 3.6 0.4 0.1 0.2 0.1 1.3 0.1 2.0 0.4 0.2 4.4 0.3 0.2 0.2 9.0 0.5 1.3 0.1 1.7 0.5 0.3 4.9 1.2 0.1 0.3 10.9 0.5 2.6 0.6 1.5 0.2 0.9 6.0 2.0 0.3 0.2 14.8 0.8 4.9 0.3 1.4 0.3 0.3 6.0 1.0 0.2 0.0 15.3 0.7 4.5 0.4 1.8 0.4 0.9 7.0 1.1 0.7 0.2 17.7 1.0 6.5 0.3 1.8 0.5 0.8 7.0 1.2 0.7 0.3 20.0 1995-2001 3.7 23.6 2.0 14.5 2.6 3.5 39.0 7.2 2.2 1.3 99.6 Economics 11.9 19 Deutsche Bank Research Monitor EU-Erweiterung • Osteuropäische Konsumenten dürften angesichts der gerechtfertigten Erwartung steigender Lebensstandards in der Zukunft ihren Konsum anpassen, was zu hohen Wachstumsraten der inländischen Nachfrage führen dürfte. Gleichzeitig könnte das beschleunigte Wachstum in Euroland in den nächsten beiden Jahren aufgrund der hohen Handelsverflechtung auch deutliche Zuwachsraten im Exportsektor nach sich ziehen. • Vor allem richten sich berechtigte Hoffnungen – in Analogie zum Investitionsboom im Zuge der Süd-Erweiterung der EU – auf rasch steigende ausländische Direktinvestitionen und den damit verbundenen Transfer von Kapital und Technologie. Die Bewerberländer verfügen im allgemeinen über gut ausgebildete Arbeitskräfte. Jedoch fehlt ihnen das Kapital, ihre Produktionskapazitäten auszuweiten. Bei sinkendem Länder- und Investitionsrisiko dürften westliche Firmen dabei neben niedrigeren Produktionskosten und der Möglichkeit zum Re-Export der produzierten Güter nach Westeuropa in immer stärkerem Maße auch die Durchdringung der osteuropäischen Wachstumsmärkte mit der steigenden Kaufkraft ihrer Konsumenten ins Auge fassen. Es könnte daher in der Tat ein sich selbst verstärkender Wachstumszirkel einsetzen: Höhere Investitionen könnten zu stärkerem Produktivitäts- und Wirtschaftswachstum führen, was weitere Kapitalzuflüsse generiert. Höheres reales Wachstum als in Westeuropa und reale Aufwertung der osteuropäischen Währungen gegenüber dem Euro – im Zuge der rapiden Produktivitätssteigerungen – würden gleichzeitig das Pro-Kopf-Einkommen erhöhen und die Wohlstandslücke zur EU im nächsten Jahrzehnt kontinuierlich verringern. In Portugal etwa hat sich im Rahmen eines vergleichbaren Prozesses das nominale Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung innerhalb von zehn Jahren zwischen 1986 und 1996 verdreifacht und von 31% auf knapp 50% des EU-Durchschnitts fast verdoppelt. Auch wenn EU-Finanzmittel nicht in gleichem Umfang zur Verfügung stehen sollten, ist eine ähnliche Wohlstandsentwicklung in Osteuropa nicht auszuschließen (siehe auch Kasten “EUTransfers schon in der Vorbereitungsphase”). September 2000 Produktivitätswachstum 1999 Litauen % gg. Vj. Rumänien Ungarn EU-15 Lettland Slowenien Tschechien Estland Polen Bulgarien Slowakei -5 0 5 10 15 BIP-Wachstum 1999 Litauen % gg. Vj. Rumänien Estland Tschechien Lettland Slowakei EU-15 Bulgarien Polen Reale und nominale Konvergenz treibt Finanzmärkte Auf den mittel- und osteuropäischen Finanzmärkten ist die EU-Erweiterung schon seit geraumer Zeit ein wichtiges marktbewegendes Thema: Die sogenannte “Konvergenz-Story” beruht auf der Annahme, dass fortschreitende reale und nominale Konvergenz zu potentiellen Gewinnen aus sinkenden Risikoprämien und besseren Kredit-Ratings sowie einer stabilitätsorientierten Wirtschaftspolitik führt. Dabei muß zwischen dem Beitritt zur EU und dem ebenfalls angestrebten Beitritt zur Währungsunion (EWU) unterschieden werden. Während die allgemeine Senkung des Länderrisikos ein Nebeneffekt der EU-Erweiterung sein dürfte, rechnen die Märkte vor allem in Analogie zum griechischen EWUBeitritt mit kontinuierlich sinkenden Zinsen und deutlichen Wertsteigerungen auf den Aktienmärkten. Nominale EWU-Konvergenz läßt über die Auswirkungen der EU-Erweiterung hinaus einen Trend zur Disinflation erwarten, der von sinkenden Inflationserwartungen im Hinblick auf das Ziel EWU-Mitgliedschaft unterstützt wird, und daher auf längere Sicht parallele nominale Zinssenkungen bis auf EWU-Niveau möglich machen könnte. Im unmittelbaren Vorfeld der EWU-Mitgliedschaft dürfte der eigentliche Impuls zur Reduzierung des inländischen Zinsniveaus von deutlich niedrigeren Wechselkursrisiken ausgehen. Nach unserer Einschätzung ist allerdings mit dem Eintritt in die europäische 20 Economics Ungarn Slowenien -5 0 5 10 (SJFDIFOMBOE;JOTFO+ VOE"LUJFONBSLU "4&MJOLT 3FOEJUF QBSFDIUT September 2000 Monitor EU-Erweiterung Währungsunion für die ersten Länder vorbehaltlich der Erfüllung der Maastrichter Kriterien kaum vor dem Jahr 2008 zu rechnen, so dass es für detaillierte Projektionen noch zu früh ist. Dennoch dürften Portfolioinvestitionen in Osteuropa auch zuvor für Anleger interessant sein. Dies liegt vor allem an der erwarteten realwirtschaftlichen Konvergenz im Zuge des “catch-up” der osteuropäischen Volkswirtschaften. Strukturelle Konvergenz – durch Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens, die Verbesserung der institutionellen Rahmenbedingungen und wirtschaftlichen Strukturwandel – verstärkt den Trend zu realer Aufwertung, der die meisten osteuropäischen Währungen in den letzten Jahren auszeichnete, und eröffnet somit interessante Renditechancen. Hohes Produktivitätswachstum dürfte die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften erhöhen, die sich in einem – relativ zu den Inflationsraten – höheren Außenwert der Währungen niederschlägt, ohne dass im Gegenzug das außenwirtschaftliche Gleichgewicht gefährdet wird. Die Erwartung steigender Faktorproduktivität wird nicht zuletzt durch folgende Entwicklungen gestützt: • Ausländische Direktinvestitionen dürften den Kapitalstock und das technologische Potential der Volkswirtschaften erhöhen; Deutsche Bank Research 3FBMFSFGGFLUJWFS8FDITFMLVST 6OHBSO 1PMFO *OEFY 3FBMFSFGGFLUJWFS8FDITFMLVST *OEFY • weitere Deregulierung und Privatisierung sowie bessere Unternehmensführung könnten zu mehr Wettbewerb und zu Effizienzgewinnen führen. &TUMBOE -JUBVFO Sind nominale EWU-Konvergenz und “catch-up” zu vereinbaren? Das Ideal-Szenario von gleichzeitiger hoher Einkommenskonvergenz durch höheres reales Wachstum sowie nominaler EWU-Konvergenz durch sinkende Inflations- und Zinsraten könnte sich allerdings als zu optimistisch herausstellen. Ein Konflikt beider Entwicklungsszenarien könnte durch den Harrod-Balassa-Samuelson-Effekt entstehen1 . Dieser geht von der Annahme aus, dass schnell wachsende, wirtschaftlich weniger entwickelte Länder bei ihrem Aufholprozess relativ höhere Inflationsraten aufweisen als die weiter entwickelten Handelspartner. Dies lässt sich auf höhere Produktivitätsentwicklung in den Export-orientierten Sektoren vor allem im Vergleich zum heimischen Dienstleistungssektor zurückführen. Da sich die Lohnentwicklung aber über die verschiedenen Sektoren in der Volkswirtschaft ausgleicht, steigen die Löhne in den Binnensektoren schneller als die Produktivitätsentwicklung, was zu Inflationsdruck führt. Dies muss zwar nicht unmittelbar die außenwirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des Landes beeinträchtigen, führt aber zu einem strukturell bedingten höheren Preisanstieg, der nicht mit dem parallelen Ziel der nominalen Konvergenz auf EU-Inflationsraten vereinbar sein könnte2 . Außerdem besteht das Risiko, dass ein höheres Preisniveau im Binnensektor auch die Produktivitätsfortschritte im Bereich der handelbarer Güter untergräbt, sofern aus dem Dienstleistungssektor Input für Handelsgüter geliefert wird. -FUUMBOE Rumänien 44.8 Slowakei Ungarn Polen Slowenien Estland Lettland Tschechien EU-15 Litauen % gg. Vj. 0 Siehe auch George Kopits, Implications of EMU for Exchange Rate Policy in Central and Eastern Europe, IMF Working Paper 99/9, January 1999. 2) Andrzej Bratkowski/Jacek Rostowski, Unilateral Adoption of the Euro by EU Applicant Countries, Paper presented at the Dubrovnik Economic Conference, June 2000, forthcoming. Economics Inflation/Jahresdurchschnitt 1999 Bulgarien 1) 5 10 15 20 21 Deutsche Bank Research Monitor EU-Erweiterung September 2000 Um das Risiko des Wettbewerbsverlusts zu vermeiden, sollten die Länder frühzeitig darauf achten, durch Liberalisierung und Deregulierung Produktivitätssteigerungen sowie eine Dämpfung des Lohn- und Preisauftriebs zu erzielen. In diesem Zusammenhang spielen auch Maßnahmen zur Anpassung der Lohnpolitik eine Rolle. Eine frühzeitige Deregulierung im Bereich der nicht handelbaren Güter kann die positive Dynamik in der Wirtschaft zusätzlich unterstützen.3 Arbeitslosigkeit 1999 Die wirtschaftspolitischen Herausforderungen sind groß, aber zu bewältigen Der Weg in EU und EWU dürfte für die Beitrittskandidaten auch in Zukunft kurvenreich bleiben. Vor allem die Fiskalpolitik muss die schwierige Gradwanderung zwischen Disinflation und realem Wachstum in einem Umfeld zunehmender Kapitalmarktliberalisierung - durch die Übernahme des einschlägigen EU-Acquis – steuern. Auch wenn es Anzeichen gibt, dass aufgrund des großen Aufholbedarfs im Dienstleistungsbereich in Mittel- und Osteuropa auch hier deutliche Produktivitätssteigerungen verzeichnet werden, die den Inflationsdruck mindern, bleibt es von überragender Bedeutung, kostspielige Strukturreformen im Bankensektor oder im Sozialsystem so schnell wie möglich zu implementieren. Gleichzeitig sollte sich die Lohnentwicklung deutlicher als bisher an der sektoralen Produktivitätsentwicklung orientieren, während Investitionen, Deregulierung und mehr Wettbewerb das Produktivitätswachstum in allen Sektoren beschleunigen und den Strukturwandel fördern können. Doch die wirtschaftspolitischen Herausforderungen für die Kandidaten hören hier nicht auf. Denn auch im Hinblick auf den angestrebten EWUBeitritt gilt es, in absehbarer Zeit wichtige Weichenstellungen vorzunehmen. Während die ökonomischen Vor- und Nachteile der Teilnahme an der Währungsunion nicht zuletzt von der Vergleichbarkeit der Wirtschaftsstrukturen und der Verflechtung mit Euroland abhängen, da diese Faktoren über das Potential für asymmetrische Schocks entscheiden, wird die Wahl der Wechselkurspolitik über die Qualifikation zur Teilnahme an der EWU entscheiden.4 Die Chancen der Erweiterung nutzen Bulgarien Estland Slowenien Polen Rumänien Ungarn Tschechien EU-15 Lettland % Litauen 0 5 10 15 20 Staatsquote 1999 EU-15 Slowakei Lettland Die Chancen stehen gut, dass sich bereits vor der EU-Osterweiterung eine rasante wirtschaftliche Entwicklung in Mittel- und Osteuropa einstellt, die der Dynamik bei der Entwicklung des gemeinsamen Binnenmarktes vor 1993 entsprechen könnte. Sinkende Länderrisiken, steigende Rechtssicherheit, bessere Investitionsbedingungen und die Erträge vergangener Reformbemühungen könnten zu einem sprunghaften Anstieg der ausländischen und inländischen Investitionen führen, die ihrerseits hohe Wachstumsraten und die reale Aufwertung der Währungen nach sich ziehen, was die Wohlstandslücke zwischen Ost und West schneller als erwartet abbauen könnte. Trotz der großen Chance für einen “Erweiterungboom” bleiben die Herausforderungen an die Wirtschaftspolitik in Mittel- und Osteuropa groß. Vor allem die parallelen Politikziele von realer und nominaler Konvergenz bergen noch nicht voll gewürdigte wirtschaftspolitische Impli3) Mit Fragen der realen Aufwertung sowie des tatsächlichen Produktivitätsfortschritts einzelner Länder werden wir uns in einer der nächsten Ausgaben des Monitor EU Erweiterung ausführlich beschäftigen. 4) Siehe auch Robert Coker/Craig Beaumont/Rachel van Elkan/Dora Iakova, Exchange Rate Regimes in Selected Advanced Transition Economies – Coping with Transition, Capital Inflows, and EU Accession, IMF Policy Discussion Paper 00/3, 2000. 22 Slowakei Economics Slowenien Tschechien Ungarn Estland Polen Rumänien Litauen Bulgarien % des BIP 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 September 2000 Monitor EU-Erweiterung kationen. Strukturreformen müssen beschleunigt werden, um Mittel frei zu machen für die Investitionen, die durch die Übernahme des Acquis Communautaire und die Kofinanzierung der Kohäsionsprogramme notwendig werden, ohne in Konflikt mit den Maastrichter Haushalts- und Inflationskriterien zu kommen. Die sich immer deutlicher abzeichnende Integration der mittel- und osteuropäischen Länder in die EU darf insofern nicht als nahender Abschluß des Reformprozesses, sondern muss im Gegenteil als neue Herausforderung interpretiert werden. Glaubwürdigkeit und Konsistenz dieses neuen Reformanlaufs werden nebenbei auch über die erfolgreiche Integration in WKMII und EWU entscheiden. Der Konvergenzpfad der Beitrittskandidaten ist durchaus mit Unsicherheiten gepflastert: Leistungsbilanzdefizite, Wechselkursschwankungen und ein Auf und Ab in Inflationsraten dürften auf absehbare Zeit noch zum Alltag auf den osteuropäischen Märkten gehören. Mehr Aufmerksamkeit als in der Vergangenheit sollte auf beiden Seiten den Interaktionen von EU und EWU-Mitgliedschaft gezollt werden. Das konkrete Ziel des EU-Beitritts – wenn auch bisher noch ohne feste Beitrittstermine – wird die Dynamik des wirtschaftlichen und institutionellen Fortschritts in Osteuropa deutlich verstärken. Ein festes Datum für den Abschluss der Verhandlungen wäre wünschenswert, um den Verhandlungsprozess zu beschleunigen. Je konkreter das Ziel für die EU-Integration der osteuropäischen Länder formuliert wird, um so dynamischer dürfte auch die hier gezeichnete Entwicklung in den Beitrittskandidaten verlaufen. Gleichzeitig sollten nicht zuletzt die beteiligten westeuropäischen Regierungen über allen Detailfragen nicht aus dem Blick verlieren, in welchem Maße eine neue wirtschaftliche Dynamik die politische Logik der Osterweiterung unterstützen könnte. Deutsche Bank Research Haushaltssaldo 1999 Litauen Estland Tschechien Slowakei Rumänien Ungarn Lettland Polen Bulgarien Slowenien EU-15 % des BIP -10 -5 0 Moritz Schularick, +49 69 910-31746 ([email protected]) EU-Transfers schon in der Vorbereitungsphase Der Umfang der Finanzhilfen, die den einzelnen Kandidaten in den nächsten Jahren von der EU zur Vorbereitung auf den Beitritt zur Verfügung gestellt werden, hängt maßgeblich von den Beitrittszenarien ab, da die EU zwei verschiedene Geldtöpfe für Vorbereitung auf und für Transfers nach dem Beitritt definiert hat. Der Berliner Gipfel im März 1999 hat die Vorbereitungshilfen für die Beitrittskandidaten ab dem Jahr 2000 auf jährlich EUR 3,12 Mrd. festgesetzt, was etwas weniger als 1% des BIP der Beitrittskandidaten entspricht. Diese Summe setzt sich zu gleichen Teilen aus technischer Modernisierungshilfe (PHARE) auf der einen und strukturellen (ISPA) sowie landwirtschaftlichen Anpassungshilfen (SAPARD) auf der anderen Seite zusammen. Sie wird unter allen Beitrittskandidaten, also auch Zypern und Malta, aufgeteilt. Sobald die ersten Kandidaten der EU beitreten, wird die gleiche Summe unter den verbleibenden Kandidaten neu aufgeteilt. Sobald die ersten Länder der EU beitreten, verlieren diese zwar ihren Anspruch auf die Vorbereitungshilfen, erhalten aber Zugang zu den Gemeinschaftspolitiken. Die Agenda 2000 sieht für den beitritt der Luxemburg-Runde Mittel vor, die progressiv von EUR 6,5 Mrd. in 2002 auf 16,8 Mrd. in 2006 ansteigen, unabhängig von der Zahl der neu aufgenommenen Länder. Diese Mittel könn- ten ein Anreiz für eine frühe Teilnahme darstellen, woraus sich eine Dynamik bei den Beitrittsverhandlungen ergeben könnte. Sollte es früh zu kleinen Gruppenbeitritten kommen, dürften in der Realität angesichts der begrenzten Absorptionsfähigkeit der Empfängerländer die Überweisungen an die ersten Beitrittsländer jedoch deutlich geringer ausfallen. Unklar ist auch noch, inwiefern es politisch möglich sein wird, die nicht aufgebrauchten Gelder (etwa für Beitritte im Jahr 2002) auf die folgenden Jahre umzuverteilen. Politisch gesehen erscheint es schwierig, diese bereits verbuchten Mittel nicht in der einen oder anderen Form den Kandidaten zur Verfügung zu stellen. In dieser Frage könnten von der Budgetüberprüfung der EU in gut zwei Jahren noch einige Änderungen ausgehen. Die EU hat jedoch wiederholt klargestellt, dass sich an der in Berlin festgesetzten Obergrenze nichts ändern wird. Für Verhandlungen über die Integration der Kandidaten in die teure Agrarpolitik der Union ergibt sich daraus, dass Spielraum in bezug auf die Förderungsziele und Adressaten, nicht aber mit Blick auf die Höhe der Mittel existiert. Es ist freilich offen, welche Mittel die neuen Mitgliedsländer nach dem Ende der aktuellen Finanzierungsperiode ab dem Jahr 2007 erhalten werden. Economics 23