6. Lager, Trag- und Fachwerke 6.1 Freiheitsgrade eines Körpers in der Ebene Ein Körper, der keiner Bindung unterworfen ist, hat in der Ebene offensichtlich zwei translative Freiheitsgrade, und kann sich etwa nach rechts bzw. links sowie nach oben bzw. unten bewegen. Außerdem kann er noch um eine senkrecht zur Ebene stehende Achse drehen, d.h. er besitzt einen rotatorischen Freiheitsgrad. Insgesamt ergibt sich somit als Gesamtanzahl der Freiheitsgrade in der Ebene die Zahl drei. Durch Lager, also Bindungen, wird die Bewegungsfreiheit eines Körpers eingeschränkt. Je nachdem, wie viel Lagerreaktionen r vorhanden sind, erniedrigt sich die Anzahl f der Freiheitsgrade eines Körpers von drei bis minimal auf null, d.h. der Körper ist vollständig gefesselt. Es gilt: f =3− r . (6.1.1) Wir wollen uns im folgenden darüber unterhalten, welche Möglichkeiten der Lagerung existieren. 6.2 Einwertige Lager Per Definition können einwertige Lager nur eine Reaktion, d.h. eine Fesselung, übertragen. Also gilt für sie r = 1 . Technische Beispiele hierfür sind das in Abbildung 6.2.1 dargestellte Rollenlager (a), das Gleitlager (b) sowie der Pendelstab (c). In Unterabbildung 6.2.1 (d) ist das technische Symbol eines einwertigen Lagers zu sehen. Die Unterabbildung 6.2.1 (e) deutet am Beispiel des Rollenlagers an, welche Bewegungsmöglichkeiten bei einwertigen Lagern verbleiben: Bewegung in einer Richtung sowie eine Drehmöglichkeit. Eine Bewegung in vertikaler Richtung ist ausgeschlossen. Die Unterabbildung 6.2.1 (f) zeigt das Freischnittbild für ein einwertiges (Rollen-)Lager. 76 a) c) b) f) d) Fy e) Fy Abb. 6.2.1: Einwertige Lager. 6.3 Zweiwertige Lager Per Definition können zweiwertige Lager genau zwei Reaktionen, d.h. zwei Fesselungen, übertragen. Also gilt für sie r = 2 . Technische Beispiele hierfür sind das in Abbildung 6.3.1 dargestellte Festlager (a) oder die Doppelstütze (b). In Unterabbildung 6.3.1 (c) ist das technische Symbol eines zweiwertigen Lagers zu sehen. Die Unterabbildung 6.3.1 (d) deutet an, welche Bewegungsmöglichkeit bei zweiwertigen Lagern noch verbleibt. Nach der Gleichung (6.1.1) ist dies genau eine, in den genannten Beispielen eine Drehung aber keinerlei Verschiebung. Die Unterabbildung 6.3.1 (e) zeigt das Freischnittbild für ein zweiwertiges Lager. Demnach kann eine Lagerkraft mit zwei voneinander unabhängigen Komponenten aufgenommen werden. Es ist aber auch denkbar, dass eine Kraftkomponente und ein Moment aufgenommen werden, so geschehen in der Parallelführung (siehe Abbildung 6.3.2 (a)) oder in der Schiebehülse (siehe Abbildung 6.3.2 (b)). Die dazugehörigen Freischnitte sind eben- 77 falls in der Abbildung dargestellt. Wieder sind zwei voneinander unabhängige Schnittgrößen zu erkennen, nämlich ein Moment und eine Kraftgröße. a) b) c) e) Fx Fy F d) F Fy Fx Abb. 6.3.1: Zweiwertige Lager. Fx M M Fy Abb. 6.3.2: Zweiwertige Lager. 78 6.4 Dreiwertige Lager Tritt zu einer Doppelstütze ein weiterer, etwas versetzter Pendelstab hinzu (Abbildung 6.4.1(a)), so geht die Möglichkeit zu einer Drehung, die beim zweiwertigen Lager noch gegeben war, verloren. Vollständige Fesselung setzt ein, denn man hat die Größe r auf drei erhöht, bzw. die Anzahl der Freiheitsgrade auf null herabgesetzt und ein dreiwertiges Lager erzeugt. Zusätzlich zu zwei Kraftkomponenten kann nun (etwa) auch noch ein Moment übertragen, wie der Freischnitt, der in Abbildung 6.4.1 (d) zu sehen ist, lehrt. Die gleiche Situation ergibt sich beim fest einzementierten Stab in der Wand (Abbildung 6.4.1 (b)). a) c) Fx M d) b) Fy F Abb. 6.4.1: Dreiwertige Lager. 6.5 Tragwerke Im Abschnitt 4.2 sind wir bereits auf den Begriff des statischen Gleichgewichts an einem starren Körper, bzw. an Körpern, die sich aus mehreren starren Scheiben zusammensetzen, zu sprechen gekommen. Aus mehreren Scheiben zusammengesetzte Körper sind in der Technik auch als Tragwerke bekannt. Hierbei übertragen Verbindungselemente, wie z.B. Pendelstäbe oder auch Gelenke, Kräfte und Momente von Scheibe zu Scheibe. Diese Kräfte bzw. Momente gilt es zu berechnen, und man erreicht das, wie schon gesagt, durch sogenannte Freischnitte. Wir nennen unser System von Scheiben bzw. das Tragwerk statisch bestimmt, wenn es gelingt, aus den Gleichgewichtsbedingungen allein, also aus Kräfte- und Momentengleichgewicht, die für jede Scheibe gesondert aufzustellen sind, alle Unbekannten zu berechnen. Hierzu zählen die durch Gelenke und Verbindungselement übertragenen Kräfte und Momente, wie auch die Lagerreaktionen. Seien also allgemein n Scheiben gegeben, aus denen sich das Tragwerk zusammensetzt. Dann lassen sich stets 3n -Gleichgewichts- 79 bedingungen, also 3n - Gleichungen formulieren, vorausgesetzt, es handelt sich bei den betrachteten Scheiben nicht um zentrale Kräftesysteme, was wir voraussetzen wollen. Sei die Anzahl der Lagerreaktionen mit r und die Anzahl der Reaktionen der Verbindungselemente mit υ bezeichnet. Dann ist es für ein statisch bestimmtes, ebenes Tragwerk notwendig, dass gilt: 3n = r + υ . (6.5.1) Man beachte, dass sich für n = 1 der Sonderfall des statisch bestimmt gelagerten einteiligen, ebenen Tragwerks ergibt, etwa ein Balken auf zwei Stützen, auf den eine Kraft wirkt. Hier ist die Anzahl der Reaktionen υ der Verbindungselemente nämlich gerade Null, und der Balken muss etwa mit Hilfe eines einwertigen und eines zweiwertigen Lagers gefesselt werden, um statische Bestimmtheit zu garantieren. Ein weiteres Beispiel soll die Formel (6.5.1) noch näher erläutern. Betrachte die in Abbildung 6.5.1 dargestellte Situation: Eine Kugel presst mit ihrem Gewicht auf zwei Stützen, die über ein Gelenk sowie über ein Seil miteinander verbunden sind. Gesucht sind die Lagereaktionen in A bzw. B , die Seilkraft S sowie die Gelenkkraft in C . Betrachten wir die über Seil und Gelenk gehaltenen Stützen als ein Tragwerk, auf das aus dem Gewicht G der Kugel berechenbare, also bekannte Kräfte wirken, so lassen sich die Gelenkkraft sowie die Seilkraft durch den in der Abbildung dargestellten Freischnitt sichtbar machen. Die Anzahl der Unbekannten ist offenbar gleich sechs, denn es gibt ja ein zweiwertiges sowie ein einwertiges Lager, eine Gelenkkraft (zwei Komponenten) sowie eine Seilkraft (eine Komponente). Die Anzahl der Scheiben beträgt zwei, was, mit Hilfe von Gleichung (6.5.1), die statische Bestimmtheit des Systems beweist. Für jede Scheibe lassen sich drei Gleichgewichtsbedingungen formulieren, das Problem ist lösbar. 80 G a a a G C S A FAx B S FAy a a a a FBy N2 N1 G FCy FAx N2 45 ° 45 ° N1 45 ° S FCx FAy FCy FCx S 45 ° a a a a a a FBy Abb. 6.5.1: Der symmetrische Bock. 6.6 Fachwerke 6.6.1 Definition des idealen Fachwerks Unter einem idealen Fachwerk wollen wir ein Stabgebilde mit den folgenden Eigenschaften verstehen: • Die Stäbe sind an den Knoten zentrisch und gelenkig miteinander verbunden (die Knoten sind reibungsfreie Gelenke). • Äußere Kräfte greifen nur an den Knoten an, d.h. die Stäbe werden nur auf Zug oder auf Druck beansprucht. • Die Stabachsen (= Schwerachsen) schneiden sich in den Knotenpunkten und sind gerade. Diese Idealisierungen treffen in der Realität nur begrenzt zu, denn selbstverständlich greifen auch längs der Stäbe verteilte Lasten an, nämlich z.b. das Eigengewicht der Stäbe. Man hilft sich hier, indem man diese Kräfte entweder ganz vernachlässigt oder 81 indem man sie zu statisch äquivalenten Kräften zusammenfasst, die in den zum Stab gehörigen Knoten angesetzt werden. Ein Beispiel eines solchen Fachwerks zeigt die Abbildung 6.6.1. Weiter unten wird die Wahl der Lagerung (zwei zweiwertige Lager) erläutert. F IV 7 5 II 3 6 4 8 V III VI 10 9 2 VII 1 I Abb. 6.6.1: Fachwerk. Das Ziel besteht nun darin, zum einen die Lagerkräfte und zum anderen die in jedem Stab herrschenden Kräfte zu ermitteln. Letztere können nach den eingangs getroffenen Voraussetzungen nur in Achsrichtung der Stäbe wirkende Kräfte sein, die entweder den Charakter einer Zug- oder einer Druckkraft tragen. Wir vereinbaren, Zugkräfte positiv und Druckkräfte negativ zu bemessen. Stellen wir uns nun die Frage, wie die Anzahl der das Fachwerk aufbauenden Stäbe sowie Knoten und Lagerreaktionen (genannt s , k und r ) beschaffen sein muss, damit das Fachwerk den Charakter eines statisch bestimmten Tragwerkes hat. Offenbar gelingt es, pro Knoten nur zwei Gleichgewichtsbeziehungen zu formulieren, denn an jedem Knoten muss eine zentrale Kräftegruppe angreifen, um Gleichgewicht zu garantieren. Eine zentrale Kräftegruppe in der Ebene ist eben durch zwei Gleichgewichtsbedingungen charakterisiert. Also gelingt es, bei k Knoten 2k -Gleichungen aufzustellen. Für ein statisch bestimmtes Fachwerk mit s unbekannten Stabkräften und r unbekannten Lagerreaktionen ist es somit notwendig, dass gilt: 2k = s + r . (6.6.1) 82 Die Abbildung 6.6.1 wird nun verständlich. Es gibt in dem abgebildeten Fachwerk nämlich sieben Knoten, also stehen 14 Gleichgewichtsbeziehungen zur Verfügung. Im übrigen finden sich zehn Stäbe und offenbar sind vier Lagerreaktionen nötig, um die Gleichung (6.6.1) zu befriedigen. Dieses erreicht man z.B. mit zwei zweiwertigen Lagern. Ein weiterer wichtiger Begriff ist der eines kinematisch bestimmten Fachwerks. Die Abbildung 6.6.2 zeigt ein Beispiel eines kinematisch unbestimmten Fachwerks. Hier ist zwar die Gleichung (6.6.1) erfüllt, die statische Bestimmtheit des Fachwerkes garantiert, dennoch lassen sich nicht alle Stabkräfte berechnen. Die Stäbe 7 und 8 des gezeichneten Fachwerks (oben) geben nämlich nach und beginnen, sich um einen endlichen Winkel zu drehen. Auch die zweite Skizze aus Abbildung 6.6.2 (unten) zeigt ein kinematisch unbestimmtes Fachwerk: Die Stäbe 5 und 8 sind in einer Linie verbunden, es besteht die Möglichkeit einer differentiell kleinen Drehung. IV II VI 9 1 I 5 6 4 3 2 5 IV 8 F II 4 III 8 V 7 F 1 7 III 3 2 I VI 6 9 V F Abb. 6.6.2: Kinematisch unbestimmte Fachwerke. Es stellt sich somit die Frage, wie wir es konstruktiv sicherstellen, ein kinematisch bestimmtes Fachwerk zu erzeugen. Eine Möglichkeit ist die folgende (siehe Abbildung 6.6.3): Man beginne mit einem aus drei Stäben bestehenden Dreieck. Dieses wird nun Stück für Stück um zwei Stäbe, d.h. jeweils einen neuen Knoten erweitert, wobei es nicht erlaubt ist, dass beide Stäbe so angeschlossen werden, dass sie auf einer Gerade liegen. k =3 k =4 s =3 s =5 k =5 s = 7 Abb.6.6.3: Erstellung eines kinematisch bestimmten Fachwerks. 83 k = 6 s = 9 6.6.2 Prinzipielle Berechnung der Stabkräfte: Knotenpunktverfahren Im Prinzip lassen sich alle Stabkräfte sowie Auflagerreaktionen in einem statisch sowie kinematisch bestimmten Fachwerk dadurch bestimmen, dass man einen jeden Knoten freischneidet, die dazugehörigen Gleichgewichtsbeziehungen formuliert und das resultierende i.a. gekoppelte Gleichungssystem löst. Dieses muss nicht immer einfach sein und kann rechnerisch umfangreich werden. Folgendes gilt es daher festzustellen: • Die Auflagereaktionen lassen sich oft gesondert behandeln, indem man das ganze Fachwerk als starre Scheibe begreift, an der die Lagereaktionen wie zuvor kennen gelernt durch drei Gleichgewichtsbedingungen ermittelt werden. • Meist interessieren auch gar nicht alle Stabkräfte. Vielmehr fällt die Wahl auf verschiedene, kritische Einzelstäbe, deren Festigkeitsverhalten untersucht werden soll und die gesondert bemessen werden müssen. Hier hilft der Rittersche Schnitt weiter (siehe unten). • Oft sind Stäbe gar nicht belastet. Man nennt solche lastfreie Stäbe auch Nullstäbe und es empfiehlt sich, diese vorab auszusondern. Die folgenden Regeln helfen, sie in einem Fachwerk zu entdecken (vgl. Abbildung 6.6.3): Regel 1: Sind an einem unbelasteten Knoten zwei Stäbe angeschlossen, die nicht in gleicher Richtung liegen, so sind diese Nullstäbe. Regel 2: Sind an einem belasteten Knoten zwei Stäbe angeschlossen, und greift die äußere Kraft in Richtung des einen Stabes an, so ist der andere Stab ein Nullstab. Regel 3: Sind an einem unbelasteten Knoten drei Stäbe angeschlossen, von denen zwei in gleicher Richtung liegen, so ist der dritte Stab ein Nullstab. 84 F III I VII V l VIII II IV A VI 2l 2l 1 3 4 0 F Ay 10 6 0 5 7 8 Regel 1 F Regel 3 2 B 2l 9 11 0 12 0 0 13 F Bx Regel 3 Regel 2 F By Abb. 6.6.4: Regeln zur Ermittlung von Nullstäben in Fachwerken. Für den allgemeinen Fall gibt es nicht nur das rechnerische Verfahren zur Bestimmung der Auflagerreaktionen und Stabkräfte, sondern auch ein zeichnerisches Verfahren, den Cremonaplan, den wir weiter unten besprechen. 6.6.3 Der Rittersche Schnitt Falls nur einzelne Stabkräfte in einem Fachwerk zu bestimmen sind, hat sich das nach dem Mechaniker Ritter benannte Schnittverfahren bewährt. Bei diesem Verfahren wird das Fachwerk durch einen Schnitt in zwei Teile zerlegt. Dabei werden genau drei Stäbe geschnitten, die nicht alle zum gleichen Knoten gehören dürfen oder der Schnitt ist durch einen Stab und ein Gelenk zu führen. Wir erläutern den Ritterschen Schnitt an dem in Abbildung 6.6.5 gezeigten Fachwerk. Sowohl der linke wie auch der rechte Teilkörper müssen für sich im Gleichgewicht sein. Zunächst werden die Auflagerkräfte ermittelt. Dazu betrachtet man das Fachwerk als einen starren Körper auf den in gewohnter Weise die Gleichgewichtsbedingungen angewendet werden. 85 3 F3 2 a B A 1 a F1 a a S2 I F Ay F2 a a S3 S 3 II F Ax a F3 S2 S1 S1 F1 F2 F By Abb. 6.6.5: Zum Ritterschen Schnitt. August Ritter (1826-1908) war seit 1856 Dozent an der Polytechnischen Schule in Hannover. Bei Eröffnung der Hochschule in Aachen im Oktober 1870 trat als ordentlicher Lehrer der Ingenieurmathematik und Mechanik in den Lehrkörper ein Wir kennen seinen Namen vornehmlich von der nach ihm benannte Schnittmethode. Sein wissenschaftliches Interesse galt aber auch vielen anderen physikalischen Fragestellungen, z.B. der Theorie der adiabaten Zustandsänderungen. Ritter hatte den Aachener Lehrstuhl für Mechanik (so die damalige Bezeichnung) bis 1899 inne. Sein Nachfolger wurde im Jahr 1900 der berühmte Physiker Arnold Sommerfeld. Als nächstes wird geschnitten, und dann wenden wir die drei Gleichgewichtsbedingungen auf einen der beiden Teilkörper an, um die drei unbekannten Stabkräfte zu ermitteln. Man sollte dabei möglichst Momentengleichungen um die Schnittpunkte von 86 zwei Stabkräften aufstellen, um so jeweils eine Gleichung für eine unbekannte Stabkraft zu erhalten. Bei Drehung um den Punkt I erhält man: 2aFAy − aF1 + aS 3 = 0 → S 3 = −2 FAy + F1 . (6.6.2) Und bei Drehung um den Punkt II sowie der Forderung, dass die Kräfte in vertikaler Richtung verschwinden müssen entsteht: − 3aFAy + aFAx + 2aF1 + aS1 = 0 → S1 = −2 F1 + 3FAy − FAx , FAy − F1 + (6.6.3) 1 1 S 2 = 0 → S 2 = 2 (− FAy + F1 ) mit cos(45°) = . 2 2 (6.6.4) Es sei abschließend bemerkt, dass der Rittersche Schnitt manchmal auch ohne Kenntnis der Auflagerkräfte zum Ziel führt. Ein Beispiel ist in Abbildung 6.6.6 zu sehen. Das rechte Teilsystem enthält alle eingeprägten Kräfte und kann offenbar sofort nach Ritter ausgewertet werden, ohne dass es nötig ist, die Kräfte in den Auflagern (linkes Teilsystem) zu ermitteln. F1 F2 F1 F2 S1 1 2 3 S1 Abb. 6.6.6: Zum Ritterschen Schnitt. 87 S2 S3 S2 S 3 6.6.4 Der Cremonaplan Der Cremonaplan erlaubt es, die Stabkräfte in einem statisch und kinematisch bestimmten idealen Fachwerk zeichnerisch zu ermitteln. Die folgenden Regeln gilt es zu beherzigen: • Zeichne einen Freischnitt des Fachwerks und berechne, wenn möglich, die Lagerkräfte (zeichnerisch oder rechnerisch). • Nummeriere die Stäbe durch. • Identifiziere eventuell vorhandene Nullstäbe, kennzeichne dieselben (etwa) durch eine Null im Freischnitt. • Lege für den Kräfteplan einen Maßstab sowie einen Umlaufsinn um die Knoten fest (beides willkürlich). • Beginne an einem Knoten mit höchstens zwei unbekannten Stabkräften und zeichne für jeden Knoten das geschlossenen Kräftepolygon. Trage dabei die Kräfte wieder in der Reihenfolge an, die durch den Umlaufsinn gegeben ist. • Jede Stabkraft tritt zweimal auf (mit entgegengesetzter Orientierung). Trage daher keine Pfeile in das Kräftepolygon ein, sondern kennzeichne die Stabkraft nur durch die entsprechende Stabnummer. Zeichne im Freischnitt (Lageplan) jedoch jeweils an den Knoten den Pfeil und an den Gegenknoten den Gegenpfeil. Vom Knoten weg weisende Kraftpfeile entsprechen Zug- und in den Knoten weisende Kraftpfeile stehen für Druckstäbe. • Verwende das letzte Krafteck zur Kontrolle. • Lese alle Stabkräfte ab (Lineal) und übertrage sie mit Vorzeichen in eine Tabelle. • Zur Kontrolle überprüfe noch, ob sich aus den eingeprägten Kräften und den Lagerreaktionen ein geschlossenes Kräfteck ergibt (siehe Abbildung 6.6.7). Als Beispiel für den Cremonaplan dient das in den Abbildung 6.6.7 gezeigte Fachwerk. 88 F 45° a 2 FAh a 1 a S4 FAυ S3 F S2 5 3 FBυ S5 S4 S1 F FBυ FAυ FAh F 4 a 5 FBυ 4 S3 3 S1 F FAh 2 FAυ 1 Abb. 6.6.7: Zum Cremonaplan. Antonio Luigi Gaudenzio Giuseppe Cremona (1830-1903) wurde in der Lombardei in Pavia geboren. Er wurde im Jahre 1860 Professor an der Universität von Bologna, um 1866 an das Polytechnische Institut in Mailand zu wechseln. Dies waren seine wissenschaftlich fruchtbaren Jahre. Als er 1877 an die Universität in Rom ging, holte ihn das Peterprinzip ein. Verwaltungsaufgaben nahmen überhand und töteten zunehmend seinen Geist, was daran besonders deutlich wird, dass er 1879 die Mathematik völlig aufgab, um Erziehungsminister zu werden und schließlich als Vizepräsident des italienischen Parlaments sein Ende fristete. 89