„Wählen ist unser Recht, Demokratie unsere Verpflichtung

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„Wählen ist unser Recht, Demokratie unsere Verpflichtung“
Grußwort zum Tag der Deutschen Einheit
am 3. Oktober 2013 in der Frankfurter Paulskirche
von Peter Feldmann, Oberbürgermeister von Frankfurt am
Main
Es gilt das gesprochene Wort!
1. Rückblick Wahlen
 Sehr geehrte Damen und Herren
 Demokratie heißt die Wahl haben, heißt Wählen dürfen
 71,5 Prozent der Bürger in unserem seit 1990 wieder
geeinten Land haben vor wenigen Tagen von ihrem
demokratischen Wahlrecht Gebrauch gemacht
 Das ist ein gutes halbes Prozent mehr im Vergleich zu
2009, aber immer noch das zweitschlechteste Ergebnis
aller 18 Bundestagswahlen
 1972 mobilisierten die Wahlen noch 91,1 Prozent der
Wähler
 71,5 Prozent - darauf können wir nicht stolz sein
 Dass weniger Menschen an die Wahlurne gehen, heißt
nicht,
o dass alles in Ordnung ist
o dass es keine Konflikte gibt
o dass es nichts zu entscheiden gibt
 Es zeigt vor allem, dass wir unserer Pflicht zur
demokratischen Bildung nicht nachkommen
 In den Wochen vor der Wahl gab es zwei Tendenzen,
denen ich deshalb eine Absage erteilen möchte
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 Weder eine Wahlpflicht noch der Aufruf zum Nichtwählen
erscheinen mir für einen demokratisch verfassten Staat
legitim
2. Wahlpflicht
 71,5 Prozent, das war also genau die Menge Wähler, die
unser Bildungssystem, unsere Medienlandschaft und
unsere politische Kultur zu mobilisieren vermögen
 Wer mehr Wähler will, darf sie nicht zur Wahl verpflichten
o er muss in Schulen investieren
o er muss Freiheit und Qualität für den Journalismus
gewährleisten
o und er muss glaubhafte, authentische Politik mit
Inhalten machen
 Werfen wir einen Blick auf die letzten Wahlen vor der
Wende in der DDR
 Bei der Volkskammerwahl am 8. Juni 1986 stimmten bei
einer Wahlbeteiligung von 99,74 % insgesamt 99,94 % der
Wähler für den Wahlvorschlag der Nationalen Front
 dies war das letzte Ergebnis einer zur Farce
verkommenen Pflichtwahl
 Die offensichtlichen Fälschungen bei den
Kommunalwahlen im Mai 1989 waren dann eine
herausragende Ursache für den Fall des Regimes o zusammen mit den Vorgängen in den deutschen
Botschaften in Prag und Warschau
o und den Montagsdemonstrationen in Leipzig
o die nach dem Mauerfall am 9. November 1989 am 3.
Oktober 1990 in der deutschen Einheit mündeten
 Die Demokratie ermächtigt die Mehrheit nicht zur Tyrannei
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 sie verpflichtet die Mehrheit zum weisen Ausgleich der
Minderheiten
 Hierzu wünsche ich den sich neu bildenden Regierungen
in Bund und Ländern eine gute Hand
 Mögen sie Regierungen der Einheit bilden, nicht der
Spaltung
3. Nichtwählen
 Als geradezu unverantwortlich müssen wir auch Aufrufe
verurteilen, nicht zur Wahl zu gehen
 Eine Absage an das Parteiensystem wäre eine Absage an
die Grundfesten unserer Demokratie
 34 Parteien warben dieses Jahr um die Gunst der Wähler
 Zur Wahl standen von der NPD bis zur DKP alle Pole des
politischen Spektrums,
 darunter zudem Parteien für Tierschützer, eine RentnerPartei, eine feministische Partei und eine Partei für
spirituelle Politik
 Die polemische Aussage, dass Parteien die Vielfalt im
Volk nicht wiedergeben, ist Unsinn
 Dass die in den Bundestag gewählten Parteien nicht die
Pole repräsentieren, sondern einen common sense,
 mag einzelnen Radikalen und Ideologen nicht gefallen, ist
aber Ausdruck einer lebendigen, funktionierenden
Demokratie
 Wer den Parteien das Vertrauen entzieht und das
Parteiensystem kippen will, stellt das Grundgesetz in
Frage
 Wer zum Nichtwählen aufruft, beleidigt auch alle, die in der
Weltgemeinschaft im Kampf um einen demokratisch
verfassten Staat gegen Diktatoren aufstehen
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4. Kommunales Wahlrecht für alle Ausländer
 Am heutigen 3. Oktober erinnern wir an Bürgerinnen und
Bürger unseres Landes, die um ihr Wahlrecht stritten
 und denen jeder Aufruf Wahlen zu boykottieren zynisch
vorkommen muss
 Ich möchte das Resümee zur eben vergangenen Wahl
verbinden mit einer Forderung für die nächsten Wahlen
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Nach der Wahl ist vor der Wahl
In wenigen Monaten schon ist Europawahl
Danach steht in Hessen eine Kommunalwahl an
Frankfurt ist eine Stadt, die von Menschen mit deutschem
Pass und ohne deutschen Pass gleichermaßen geprägt
wird
 Deshalb sollte auch allen in Deutschland wohnenden
Ausländern das kommunale Wahlrecht erteilt werden
 Ich würde mir wünschen, dass die neue Regierung bereit
ist, darüber zu entscheiden
5. Schlussteil
 Sehr geehrte Damen und Herren
 Die Paulskirche als Geburtsort der deutschen Demokratie
ist der richtige Ort, um über Parlamentarismus zu reden
 Die Feststunde zum Tag der Deutschen Einheit in der
Paulskirche ist uns eine willkommene Erinnerung an die
Bedeutung einer freien Demokratie für unser Land
 Die Kommune ist die kleinste Einheit der demokratischen
Entscheidungsfindung, aber die wichtigste, für die
Menschen spürbarste
 Die Einheit der Gesellschaft wird auf den Straßen unserer
Stadt jeden Tag neu verhandelt
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 Die Politik ist dafür da, die nötigen Rahmenbedingungen
zu schaffen:
o ein erstklassiges Bildungssystem
o eine unabhängige Medienlandschaft
o und nicht zuletzt ein Kulturangebot, das allen
Bevölkerungsgruppen gerecht wird
 Um diese Einheit zu bewahren und den sozialen Frieden
zu sichern brauchen wir
o keine Wahlpflicht, sondern ein Wahlrecht, das von
mündigen Bürgern ausgeübt wird
o Intellektuelle, die zum Wählen aufrufen, nicht zum
Nichtwählen
o und ein kommunales Wahlrecht für ALLE Menschen,
die hier wohnen
 Nie mehr soll in Deutschland eine Mauer aufgerichtet
werden zwischen seinen Menschen
 Vielen Dank!
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