Faktenblatt: Kohlenhydratarme Diät und ketogene Kost Mai 2015 Verantwortlich: PD Dr. J. Hübner, Prof. K. Münstedt, Prof. O. Micke, PD Dr. R. Mücke, Prof. F.J. Prott, Prof. J. Büntzel, Prof. V. Hanf, Dr. C. Stoll Methode/Substanz Warburg beschrieb, dass Tumorzellen Energie im Gegensatz zu normalen Zellen überwiegend anaerob gewinnen und deshalb einen hohen Kohlenhydratverbrauch haben. Im Gegensatz zu der Ansicht von Warburg, dass der veränderte Stoffwechsel kausal für die Entstehung von Tumorzellen verantwortlich sei, besagen aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse, dass keine Kausalität besteht. Der erhöhte Kohlenhydratverbrauch ist ein Resultat der Karzinogenese. Basierend auf der Warburg-Hypothese wurden verschiedene Formen einer kohlenhydratarmen Kost entwickelt. Raffinierte Kohlenhydrate und Obstsorten mit hohem Kohlenhydratanteil sind verboten. Das Ausmaß, in dem Nahrungsmittel aus komplexen Kohlenhydraten erlaubt sind, ist bei den verschiedenen Formen der kohlenhydratarmen Kost unterschiedlich. Bei den Fetten werden Omega-3-Fettsäuren bevorzugt. Diäten mit moderater Kohlenhydratrestriktion werden als kohlenhydratarm, solche mit starker als ketogen bezeichnet. Bei der ketogenen Diät entstehen im Blut Ketonkörper, die angeblich das Wachstum von Tumorzellen hemmen sollen. Wirksamkeit in Bezug auf den Verlauf der Tumorerkrankung Zur Frage des Einflusses dieser Diät auf das Tumorwachstum gibt es nur Fallberichte und Fallserien und keine kontrollierten Studien. Keine der Studien berichtet ausreichend Daten, um einen Rückschluss auf eine antitumorale Wirksamkeit der ketogenen Kost zu ziehen. Folgende klinische Studien wurden bisher zu dieser Thematik publiziert: 1. Eine retrospektive Untersuchung von 5 Kindern mit tuberöser Sklerose, die eine ketogene Diät zur Anfallsprophylaxe einhielten, konnte anhand einer retrospektiven Auswertung der Bildgebung keinen Hinweis auf eine positive Beeinflussung des Tumorwachstums zeigen (Chu-Shore 2010). 2. Ein Fallbericht beschreibt 2 Kinder mit Hirntumoren, bei denen unter ketogener Diät die Glukoseaufnahme im PET-CT abnahm. Ein Mädchen überlebte mehrere Monate ohne Progress (Nebeling 1995). 3. In einer Untersuchung bei 5 Patienten mit fortgeschrittener Tumorkachexie wurde eine enterale Sondenkost mit isokalorischer ketogener Diät gegeben. Aussagen zum Einfluss auf die Kachexie oder den Tumorverlauf waren nicht möglich (Fearon 1988). 4. Die Arbeitsgruppe um Kämmerer und Otto publizierte eine Pilotstudie mit 16 Patienten mit weit fortgeschrittener Krebserkrankung, die über mindestens 6 Wochen eine Diät mit maximal 70g KH/d erhielten 2 Patienten verstarben in Woche 2 und 5, 3 schieden wegen Inakzeptanz bzw. aus persönlichen Gründen aus, 3 Patienten schieden wegen Progress aus. Eine Aussage zu einer möglichen Beeinflussung des Krankheitsverlaufs ist aufgrund dieser Daten nicht möglich. Bei den 5 Patienten, die die Therapie bis zum Ende der Studie durchführten und bei einem Patienten, der wieder eine Chemotherapie aufnahm, berichten die Autoren von einer Verbesserung der emotionalen Funktion in der Lebensqualität und weniger Schlafstörungen. Andere Funktionsbereiche der Lebensqualität blieben stabil oder verschlechterten sich. Die Autoren führen dies auf die fortgeschrittene Tumorerkrankung zurück. Als Nebenwirkungen werden Fatigue und Obstipation beschrieben. (Schmidt 2011). 5. Eine Pilotstudie zur ketogenen Diät bei Patienten mit rezidivierten Glioblastom (ERGO-Studie). In dieser Studie erhielten 20 Patienten mit rezidivierten Glioblastom eine ketogene Diät. Die Autoren berichten keine schwerwiegenden Nebenwirkungen. Drei Patienten beendeten die Ernährung allerdings wegen schlechter Tolerabilität. Ein Patient erreichte ein geringes Ansprechen (minor response) und zwei Patienten eine stabile Erkrankung über 6 Wochen. Das mediane progressionsfreie Überleben aller Patienten lag bei 5 Wochen (range 3-13), das mediane Gesamtüberleben nach Studieneinschluss bei 32 Wochen. Die Autoren schlussfolgern, dass die ketogene Diät durchführbar und sicher ist aber wahrscheinlich keine signifikante klinische Aktivität in dieser Krankheitssituation aufweist (Rieger 2014). 6. Fine et al. beschreiben eine Gruppe von 12 Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen und positiven PET-Befund (Patienten mit vorangehendem Gewichtsverlust wurden ausgeschlossen, der BMI musste mindestens bei 20 kg/qm-Körpergewicht liegen). Die Kohlehydratzufuhr wurde auf 5 % der Gesamtenergiezufuhr beschränkt. 10 Patienten führten diese Ernährungsform für 26 bis 28 Tage durch. Die Autoren berichten, dass es zu keinen Nebenwirkungen kam. Allerdings nahm die Kalorienzufuhr um 35 +/- 6 % gegenüber der Ausgangsbasis ab und das Gewicht nahm im Durchschnitt um 4 % (0,0 bis 6,1 %) ab. Der Tumorverlauf wurde mit PET gemessen. 5 von 9 Patienten mit zuvor rascher Tumorprogression zeigten in den 4 Wochen einen stabilen Krankheitsverlauf oder eine partielle Remission. Bei diesen Patienten war die Ketose deutlicher ausgeprägt als bei den 4 anderen Patienten mit einer progressiven Erkrankung (Fine 2012). Da die ketogene Diät zu einer Veränderung des Stoffwechsels der Tumorzellen führen soll, ist allerdings die Frage zu stellen, ob das PET, das die Glucoseaufnahme misst, der geeignete Verlaufsparameter ist. Klinische Parameter oder radiologische Größenmessungen werden in der Studie nicht mitgeteilt. 7. Raffaghello et al. fassen in der Rubrik Perspective erschienen Artikel Grundüberlegungen zur kurzzeitigen Kalorienrestriktion vor Chemotherapie mit dem Ziel der Verminderung der Nebenwirkungen zusammen. In einem kurzen Absatz wird berichtet, dass 6 Patienten entweder mit oder ohne fasten vor der Chemotherapie beobachtet wurden und dass es während des Fastens zu einer Reduktion von Fatigue, Schwäche und gastrointestinalen Nebenwirkungen gekommen sei (Raffaghello 2010). 8. Eine weitere Arbeitsgruppe berichtet über 11 Patienten mit Kopf-HalsTumoren, bei denen unter ketogener Diät im Verlauf der Erkrankung die Spiegel von Glucoselactat, Pyruvat und Harnstoff im Blut und im Tumor gemessen wurde. Im Tumor kommt es zu einer Lactatabnahme. Die Autoren berichten jedoch über eine stabile oder erhöhte Konzentration von Pyruvat und Glucose. Angaben zum klinischen Verlauf werden nicht gemacht (Schroeder 2013) Wirksamkeit als supportive Therapie Keine kontrollierten klinischen Studien. Interaktionen Nicht zu erwarten. Unerwünschte Wirkungen Unter einer ketogenen Diät kann sich ohne Substitution ein Mangel an Mikronährstoffen entwickeln. Patienten klagen über Übelkeit und Appetitmangel. Es kommt zu Gewichtsverlust, Hypoglykämie, metabolischer Azidose und einer Hyperlipidämie. Beschrieben werden Sedierung und durch fehlendes Durstgefühl eine Dehydratation (Kämmerer 2010). In-vitro-Daten zeigen, dass Tumorzellen Ketonkörper verstoffwechseln können (Bonucelli 2010). Kohlenhydratrestriktion fördert das Überleben von Tumorstammzellen (Martinez-Outschoorn 2011). Im Tierexperiment wird nur bei Gewichtsverlust und nur vorübergehend eine Abnahme des Tumorwachstums erreicht. Nach dieser ersten Phase entwickeln die Tumoren sich mit höherer Wachstumsrate weiter (Zhou 2007, Friedland 2008, Otto 2008). Kontraindikationen In ihrer Stellungnahme rät die Arbeitsgemeinschaft Prävention und integrative Onkologie der Deutsche Krebsgesellschaft von der Diät und der Bestimmung der Transketolaste-like-1 (TKTL1) außerhalb von Studien ab. Literatur Bonuccelli G, Tsirigos A, Whitaker-Menezes D et al. Ketones and lactate „fuel“ tumor growth and metastasis, Cell Cycle 2010, 9:17, 3506-3514. Chu-Shore CJ, Thiele EA.: Tumor growth in patients with tuberous sclerosis complex on the ketogenic diet. Brain Dev. 2010 Apr;32(4):318-22 Fearon KC, Borland W, Preston T, Tisdale MJ, Shenkin A, Calman KC. Cancer cachexia: influence of systemic ketosis on substrate levels and nitrogen metabolism. Am J Clin Nutr. 1988 Jan;47(1):42-8. Fine E, Segal-Isaacson CJ, Feinman R et al. Targeting insulin inhibition as a metabolic therapy in advanced cancer: A pilot safety and feasibility dietary trial in 10 patients. Nutrition 2012; 28(10):1028-1035. Freedland SJ et al.: Carbohydrate restriction, prostate cancer growth, and the insulin.like growth factor axis, Prostate 2008 Jan 1;68(1):11-9. Kämmerer U et al: Erste Erfahrungen mit einer stark kohlenhydratreduzierten Diät bei Krebspatienten; Poster 5.5 9. Dreiländertagung der DGEM, der AKE und der GESKES 2010. Martinez-Outschoorn UE, Prisco M, Ertel A et al: Ketones and lactate increase cancer cell „stemness“, driving recurrence, metastasis and poor clinical outcome in breast cancer, Cell Cycle 2011, 10:8, 1271-1286. Nebeling LC, Miraldi F, Shurin SB, Lerner E.: Effects of a ketogenic diet on tumor metabolism and nutritional status in pediatric oncology patients: two case reports. J Am Coll Nutr. 1995 Apr;14(2):202-8. Otto C, Kaemmerer U, Illert B et al.: Growth of human gastric cancer cells in nude mice is delayed by a ketogenic diet supplemented with omega-3 fatty acids and medium-chain triglycerides; BMC Cancer 2008, 8:122. Raffaghello L, Safdie F, Bianchi G, Dorff T, Fontana L, Longo VD. Fasting and differential chemotherapy proteton in patients; Cell Cycle 2010;9:22-23 Rieger J, Baehr O, Maurer GED et al. ERGO: A pilot study of ketogenic diet in recurrent glioblastoma; Int J Oncology;doi: 10.3892/ijo.2014.2382 Schmidt M, Pfetzer N, Schwab M, Strauss I, Kämmerer U. Effects of a ketogenic diet on the quality of life in 16 patients with advanced cancer: A pilot trial. Nutr Metab (Lond). 2011 Jul 27;8(1):54. Schroeder U, Himpe B, Pries R, Vontheim R, Nitsch S, Wollenberg B. Decline fo Lactate in tumor tissue after ketogenic diet: in vivo of microdialysis study in patients with head and neck cancer; Nutrition and cancer 2013;65(6):843-849 Zhou W, Mukherjee P, Kiebish MA, Markis WT, Mantis JG, Seyfried TN. The calorically restricted ketogenic diet, an effective alternative therapy for malignant brain cancer; Nutrition & Metabolism 2007, 4:5. Die Faktenblätter sind nach Kriterien der Evidenzbasierten Medizin erstellt. Angaben beziehen sich auf klinische Daten, in ausgewählten Fällen werden präklinische Daten zur Evaluation von Risiken verwendet. Um die Informationen kurz zu präsentieren, wurde auf eine abgestufte Evidenz zurückgegriffen. Im Falle, dass systematische Reviews vorliegen, sind deren Ergebnisse dargestellt, ggf. ergänzt um Ergebnisse aktueller klinischer Studien. Bei den klinischen Studien wurden bis auf wenige Ausnahmen nur kontrollierte Studien berücksichtigt. Die Recherche erfolgte systematisch in Medline ohne Begrenzung des Publikationsjahres mit einer Einschränkung auf Publikationen in Deutsch und Englisch.