Normal? Ich flippe aus!

Werbung
Foto: Stefan Klüter
Normal? Ich flippe aus!
Die Autorin vom HASEN-BLUES.STOPP. und THEATER STRAHL im Interview.
STRAHL: Uta Bierbaum, ist der Inhalt Ihres Stückes HASEN-BLUES.STOPP, das
jetzt bei Theater Strahl uraufgeführt wird, ebenso verwirrend wie der Titel?
Uta: Nein, das Stück ist überhaupt nicht verwirrend, sondern ziemlich klar!
Es geht um Identitäten, auch um sexuelle Identitäten, und darum, wie
unterschiedlich und vielfältig Menschen sind und dass es keiner Festlegungen
bedarf - und wie wir alle damit umgehen. Verwirrend ist vielleicht, wenn man in
seiner Geschlechter-Rolle feststeckt, einer Norm entsprechen will und wenn das
dann alles nicht zusammenpasst. Der Titel ist in diesem Fall ganz assoziativ von
den Charakteren des Stückes abgeleitet. Manchmal muss man halt einfach laut
und deutlich Stopp! sagen.
STRAHL: Wer steckt denn da alles fest - in seiner Rolle, Schublade,
Zuschreibung? Und was hat das mit all denen zutun, die sich für normal halten?
Ute: In dem Stück treffen wir eine ganze Menge „Feststeckender“. Lila, die
Lehrerin, am Anfang heillos überfordert, quasi gefangen im Körper einer Lehrerin,
aber gerade durch ihre scheinbare Naivität ein tolles Beispiel für Toleranz,
Unvoreingenommenheit und auch Mut. Es gibt eine zentaurische
Schulpsychologin/einen zentaurischen Schulpsychologen, die oder der eigentlich
lieber ein weiblicher Hase wäre, aber ihre/seine geheimen Wünsche negiert, weil
sie/er eben nicht mutig und in ihren/seinen alten Rollenmustern gefangen ist.
Sie/er schafft es nicht, über ihren/seinen doppelmoralischen Tellerrand
hinauszuschauen.
Ein Kernthema des Stückes ist die Intersexualität, personifiziert in dem
intersexuellen Charakter ROX, der bzw. die an genau diesen Zuschreibungen von
außen zu scheitern droht. Weiteres Kernthema: Wer bestimmt denn, was normal
ist? Was heißt denn das eigentlich? Um es mit Lilas Worten zu sagen: „Normal.
Wenn ich dieses Wort noch einmal höre FLIPP ICH AUS!“
STRAHL: Es gibt sprechende Türklinken, eine_n zentaurische_n Direktor_in,
unglückliche Versandhauskartons ... welche Botschaft haben all diese skurilen
Gestalten?
Uta: Circa jedes 4000. Baby wird in Deutschland mit uneindeutigen
Geschlechtsmerkmalen geboren. Intersexuelle Menschen wurden schon immer
operativ oder medikamentös behandelt und als Kranke behandelt. Aber:
intersexuelle Menschen sind weder krank noch behandlungsbedürftig. Hier werden
Menschen ihrer Identitäten beraubt. Ohne Zustimmung. Ausschlaggebend für
dieses Stück war der Selbstmord des 17jährigen Transgender-Mädchens Leelah
Alcorn im Jahr 2014. Sie hinterließ einen Abschiedsbrief im Internet, der ihre
Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit beschreibt. Wie es ist, in einer
Gesellschaft zu leben, die dir diktiert, was „normal“ ist und wie du zu sein hast. Ihr
Tod hat mich berührt, und ich habe den Charakter der Lehrerin Lila nach ihr
benannt. Zum Glück haben meine Recherchen ergeben, dass mehr und mehr
Kinder im Grundschulalter Intersexualität oder Transsexualität für immer
selbstverständlicher halten. Ein Mädchen erzählte, dass es jeden Tag aufs Neue
entscheidet, ob es seinen Mädchen- oder den Jungennamen trägt. Toll! Dafür
stehen auch meine Türklinken in dem Stück: Es gibt bei uns nur zwei
Toilettentüren. Wo gehe ich rein, wenn ich mich weder als das pinkelnde Mädchen
noch den pinkelnden Jungen sehe? Hier muss wirklich ein Umdenken im großen
Stil stattfinden.
STRAHL: HASEN-BLUES.STOPP. ist ihr erstes Stück für Jugendliche. Wie ist es
entstanden?
Uta: Es gab die Kooperation mit der Universität der Künste Berlin, wo ich
szenisches Schreiben studiert habe. Da kam das Theater Strahl vorbei in unserem
Jugendtheater-Seminar und versprach die Uraufführung für das geilste Stück. Ich
habe als erstes überlegt, was mich interessiert und was auch für Jugendliche
relevant sein könnte. Dann habe ich schnell gemerkt, dass es mir großen Spaß
macht, für junges Publikum zu schreiben und dabei die Komik nicht außen
vorzulassen. Das war quasi ein Selbstläufer. Ich habe dennoch versucht, ein Stück
zu schreiben, das auch für Erwachsene cool ist. Damit die Lehrer und Lehrerinnen
sich nicht langweilen. Und wie gesagt, das Thema finde ich sowieso äußerst
gewichtig. Für Menschen jeden Alters.
STRAHL: Sie sind ausgebildete Schauspielerin. Hätten Sie Lust, selber mit zu
spielen, zum Beispiel als das vom Leben gezeichnete Riesenrad... oder macht
Ihnen das Schreiben mehr Spaß?
Eindeutig Schreiben. Außerdem habe ich große Lust, das Stück selber
anzuschauen! Anna Vera Kelle ist eine tolle Regisseurin, und ich bin gespannt,
was sie draus macht.
Das Gespräch führte Anke Kuckuck
Herunterladen