Zwischen Staatsräson und politischer Stereotypik: Auf dem Weg nach Europa Die Zeit der Krisen von 1945-1963 aus der Sicht der Rheinlande R. Pfromm (Bonn) Frankreich - dreimal gedemütigt Der Blitzsieg der deutschen Invasoren in Frankreich im Zweiten Weltkrieg war eine Niederlage, wie sie Frankreich seit Sedan nicht wiedererlebt hatte. Sie traumatisierte dieses Land, das weder auf den Krieg vorbereitet war, noch eine solche Katastrophe für möglich gehalten hatte. Das Frankreich von 1939 kann man nicht verstehen, ohne einen Blick auf die Jahre vor den Krieg zu werfen. Frankreichs Angst vor dem pickelhaubigen Deutschen – eines der politischen Stereotypen bis in die Gegenwart hinein (Grosser in DFI/DgfAP, 45,60) - geht auf den Krieg von 1870/71 zurück, als General Helmuth von Moltke bei der kleinen Maas-Festung Sedan in einer Kesselschlacht die gesamte Armee des französischen Marschalls MacMahon, etwa 130 000 Mann, mitsamt ihren Kaiser Napoleon III, zur Kapitulation zwangen. In London hatte man zu Beginn des Krieges gewettet, daß Fankreich in sechs Wochen in Berlin stehen werde. Napoleon hatte strategisch auf seine Wunderwaffe gesetzt, das „chassepot-Gewehr“ und Moltke auf die Eisenbahn als Garant für eine funktionierende Logistik. Er sollte Recht behalten: Frankreichs Niederlage folgte. Aber aus dem vier Monate lang von den Deutschen belagerten, gnadenlos bombadierten und ausgehungerten Paris meldete sich gleich nach dem Krieg wie schon zuvor seit 1850, Victor Hugo aus dem Parlament. Diesmal mit dem Satz: „Meine Revanche heißt Verbrüderung. Nieder mit den Grenzpfählen. Der Rhein für alle! Ein Hoch auf die Vereinigten Staaten von Europa!“ Und wir wollen nicht vergessen, daß er ein Europa unter Frankreichs Führung meinte. Frankreich hegte noch heroische und düstere Erinnerungen an den Großen Krieg von 19141918. Man ahnte zwar, daß das Land seinen ersten Platz in Europa verloren hatte, warf sich aber immer noch zum Beschützer kleinerer Nationen auf. Man lebte in einer Phase, in der seit 1918 nicht Neues mehr geschaffen worden war: Der Ruhm der Vergangenheit – das zeigen auch Résistance-Gedichte – prägte die Symbolik des Denkens. Der 14 juillet 1939 brachte Paris die größte Militärparade seit 1919. 1938 noch hatte man den 20. Jahrestag des Sieges über Deutschland gefeiert; jetzt stand der 150 Jahrestag der Französischen Revolution an. Frankreich, das Symbole liebt, feierte. Niemals zuvor, las man in den Zeitungen, hatte man eine so starke motorisierte Armee besessen und man zeigte sie der Welt, den Eindruck einer unwiderstehlichen Macht demonstrierend. Aber es kam anders, ganz anders und mit Auswirkungen bis heute, recht schlimm: Vor dem Debakel von 1940 war Pétain der große Schweiger, aber er wußte, daß das Land ihn brauchen würde. In der ersten Maihälfte 1940 war es soweit, obwohl er nicht in die Regierung Reynaud paßte, weil er den Briten mißtraute. Marschall Pétain glaubt, berichtete Botschafter Bullitt, daß GB Frankreich nicht helfen werde, sondern ohne Widerstand einen Kompromißfrieden mit Hitler anstrebe. Für den Marschall gab es nur eine Konsequenz, den Waffenstillstand mit Deutschland. Im Unterschied zu de Gaulle sah es Pétain als Verrat an, Frankreich zu verlassen und de Gaulle wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Am 21 Juni 1940 traf man sich im Wald von Compiègne, an eben derselben Stelle, wo die Deutschen am Ende des Ersten Weltkrieges eine ihrer Meinung nach demütigenden Waffenstillstand hatten unterzeichnen müssen, in demselben Eisenbahnwaggon, der dort bis heute der Nachwelt erhalten geblieben 1 ist. Hitlers Delegation formulierte den Text von 1918 um, aktualisierte ihn sozusagen, als Revanche für 1918: La France à l‘heure allemande, zwar zeitlich später anzusetzen, nämlich in den Beginn der vierziger Jahre, ist seither ein verbales Trauma, das Journalisten – auch heute noch - immer wieder benutzen, um Emotionen gegen die Deutschen zu wecken, eine Art „kraut-bashing“ à la française. Mit seinem Londoner Aufruf am 18. Juni 1940 zum Widerstand gegen die deutschen Besatzer leitete der General den unglaublichen Prozeß ein, an dessen Ende das besetzte und gedemütigte Frankreich – il n‘y avait plus de gloire à s‘y référer - auf dem „Rücksitz der USJeeps“ mit allen daraus erwachsenden Folgen für seinen Status innerhalb der Siegermächte – als Sieger aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgehen sollte. Der wortgewaltige „MikroGeneral“, wie ihn das Vichy-Regime wegen seiner Rundfunkappelle verächtlich genannt hatte, konnte nicht nur Washingtons Pläne abwehren, Frankreich und Deutschland dem Besatzungsstatut zu unterstellen. Er erreichte sogar, daß Frankreich als eine der Weltmächte in den Weltsicherheitsrat kam. Die Operation „Overload“, die Invasion in der Normandie am 06. Juni 1944 - filmisch von Cornelius Ryan in dem Melodram „Der längste Tag“ dargestellt – war der Beginn der Befreiung Frankreichs (Pfromm 1995, 162). Um nicht sein Gesicht zu verlieren, erstrotzte de Gaulle von General Eisenhower, daß die französische Panzerdivision unter General Leclerc als Spitzenformation des auf Paris vorstoßenden Angriffsteils eingesetzt wurde. Der triumphale Einzug in Paris am 25. August 1945 wurde also mit Bedacht vorbereitet. Der Retter de Gaulle war am Tag der Befreiung schon eine Legende, ohne daß das gegen ihn verhängte Todesurteil weiter eine Rolle gespielt hätte. Am 20. Januar 1946 trat de Gaulle spektakulär zurück. Innenpolitisch hatte er sich mit seinen Vorstellungen einer auf ihn zugeschnittenen Präsidialregierung (noch) nicht durchsetzen können. Verbittert zog er sich zurück auf sein Gut, wo er zwischen 1952-1958 seine Kriegsmemoiren schrieb. Danach bereitete er sich auf seine Rückkehr in die Politik vor, bis er – erst 12 Jahre später – wieder in den vorderen Linien der Politik stand. Aus dem Ablauf der Nachkriegsgeschichte gewann de Gaulle nach einigen Umwegen die Einsicht, daß die USA und SU die Welt in einer doppelten Hegemonie beherrschten. Sein Ziel war es daher, diese Hegemonie zugunsten eines unabhängigen Europas mit einem starken Frankreich in Führungsposition als dritte Kraft aufzuheben. Damit führte er die Gedanken Hugos mit denen Hitlers, einer Expansion in den Osten, zusammen. Unter Führung Frankreichs im Bündnis mit den Deutschen unter Abschluß der übrigen europäischen Staaten, als Reflex der Pentarchie sozusagen, sollte ein „Europa der Vaterländer“ entstehen, das als eigenständiger Faktor in der Weltpolitik aufzutreten vermochte. Das sind Gedanken, die schon in den Zwanziger und Dreißiger Jahren, übrigens auch in Belgien, bestanden: Coudenhove-Kalergi, Briand und Herriot seien lediglich erwähnt (Pfromm 1995,25). Zu seiner Europa-Politik fragt man sich heute, ob die Gemeinschaft ohne seinen Widerstand gegen „Supranationales„ heute nicht weiter wäre – auch wenn mitunter die Verhandlungen der EG-Europäer über eine politische Union häufig an seine Vorschläge aus den 60er Jahren erinnerte. In den USA wurde das Problem der „Wieder-Ordnung Europas“ anfangs hauptsächlich unter wirtschaftlichern Aspekten gesehen. Noch 1946 wird von offizieller amerikanischer Seite zu der von einigen Europäern erhobenen Forderung nach einem geeinten Europa zu hören, daß die Regierung einem europäischen Wirtschaftsland, in dem jede politische Blockbildung vermieden werde, wohlwollend gegenüber stehe. John Forster Dulles, damals 2 Vertreter der USA bei den Vereinten Nationen, formulierte bereits 1947, daß Europa nicht gesunden könne, solange es in kleine Wirtschaftseinheiten aufgeteilt sei (Bliesener 1962,11). Die Politik der Weimarer Republik war von Anfang an auf eine Revision des Versailler Vertrages ausgerichtet, während F auf einer strengen Vertragserfüllung bestand („L‘Allemagne payera.“). Die französische Härte findet ihre Erklärung in den besonders schweren Kriegsverlusten, die die deutsche Invasion bewirkt hatte, nämlich 1,4 Millionen Tote, 3 Millionen Verwundete, ihrem Sicherheitsverlangen und der Forderung nach Auslöschung der Erniedrigung von 1871. Die hohen Reparationszahlungen mußten auf mehreren Konferenzen (Dawsplan 1924, Youngplan 1930) der tatsächlichen deutschen Wirtschaftskapazität angepaßt werden. In D hatten die Parteien der Rechten die Propaganda gegen den „ Diktatfrieden“ sowie gegen die „Erfüllungspolitik“ der Weimarer Regierung nie eingestellt. Nach der Machtergreifung strebten die Nazis nicht mehr nur nach Revision, sondern Hitler verstieß mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht (1935) und der Rheinlandbesetzung (1936) gegen ausdrückliche Verbote des Versailler Vertrages, ohne daß die Alliierten nennenswert reagiert hätten (Schmidt u.a., II, 1983,378, troisième République, ebd. 383). Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges kam dem Rhein-Ruhrgebiet bei der politischen Neuordnung also eine entscheidende Rolle zu. Frankreich forderte wie schon 1919 eine Abtrennung der Rheinlande vom Deutschen Reich, wobei ihm die Schaffung des Staates Rhenania, später die Aufteilung des linksrheinischen Gebietes in mehrere unabhängige Staaten vorschwebte. Das Ruhrgebiet sollte internationalisiert werden. Beide Maßnahmen hielt F zum Schutz seiner Grenzen und für die Sicherheit Europas für unverzichtbar. Bei den Briten stießen diese Pläne, zumal die Sowjets sie unterstützen, um einen Fuß ins Ruhrgebiet zu bekommen, das zu ihrem Verwaltungsbereich gehörte, auf entschiedenen Widerstand. Im Dezember 1945 legten die Briten einen Plan vor, der die Besetzung von Nordrhein-Westfalen für 50 Jahre und die Leitung des Managements durch Deutsche aber unter internationaler Kontrolle vorsah. Es gab noch weitere Varianten, die 1946 in London zu einer Entscheidung führte, die die heutigen Grenzen von NRW festlegte, d.h. die Rheinlande und Westfalen mit zwei unterschiedlichen Mentalitäten zusammenführte (Boldt u.a. 1988,39). Der Versuch, im Rahmen einer westeuropäischen Integration zu Einfluß- und Kontrollmöglichkeiten auf das wirtschaftliche und militärische Potential Westdeutschlands, insbesondere seines wichtigsten Industriegebietes an Rhein und Ruhr zu gelangen, führte zum sog. Schumann-Plan (1950). Für die Bereiche Kohle und Stahl schlug er einen gemeinsamen Markt vor. Sein Vorschlag, die deutsch-französische Kohle- und Stahlindustrie zusammenzuführen, wurde auch unter dem Aspekt einer späten indirekten Reparation, vom französischen Kabinett gebilligt. Das war unter den vielen Ansätzen der erste konstruktive, der darauf zielte, einen europäischen Wirtschaftsraum zu schaffen. Dieser, die OEEC und der Europarat sollten sich als für die zukünftige Entwicklung fruchtbare Entscheidungen erweisen (Bliesener 1962,38-40; Boldt u.a. 1988, 40). Die zunehmende Spannung unter den ehemaligen Alliierten hatte 1949 schon zur Gründung der Nordatlantischen Verteidigungsorganisation, der NATO, geführt, der die meisten der westlichen Staaten beigetreten waren. Schon damals wurde klar, daß aus finanziellen und militärischen Gründen eine Beteiligung der Bundesrepublik nötig würde. Der Korea-Krieg, der den kalten Krieg zwischen Warschauer Pakt und NATO bestätigte, ließ die USA den Druck auf seine ehemaligen Alliierten verstärken. Es wurde deutlich, daß Deutschland durch seine Teilung ebenso wie Korea zu einer Nahtstelle der westlichen Welt geworden war, die es zu verteidigen galt. Bisher hat D keine Rolle gespielt; es wurde ja durch die Besatzungs3 mächte vertreten. Auch der 1949 neu gegründeten Bundesrepublik kam Souveränität zu, da sie noch immer nicht mehr als eine relativ umfassende staatliche Selbstorganisation war. Eine Wiederbewaffnung stieß bis 1954 und danach auf den Widerstand Frankreichs. Angesichts der eigenen innenpolitischen Schwäche, den Wechsel seiner Regierungen wird F in den folgenden Jahren zum Symbol einer eher schleppenden Fortführung der europäischen Integration (Bliesener, 30-32). So zukunftsträchtig sich die Montangemeinschaft vom ersten Augenblick ihrer Verbindung an erwies, so unglücklich und verworren war das Schicksal der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, mit der der französische Ministerpräsident Pleven im gleichen Jahr 1950 – in Ergänzung des Schumann-plans - die unmittelbar drohende Wiederbewaffnung der Bundesrepublik aufzufangen und in einen gesamteuropäischen Verteidigungskörper zu neutralisieren hoffte. Pleven wollte deutsche Kontingente mit in die europäische Verteidigungsfront gegen die Kommunisten einbeziehen, ohne die bestehenden nationalen Armeen, vor allem die frz. Aus der Hand zu geben. Eine eigene deutsche Armee war ja in F nicht akzeptabel. Der schon paraphierte und von den übrigen europäischen Parlamenten wurde nach mehrtägiger Debatte im französischen Parlament fallengelassen. Damit aber hatte F in den Augen der Unterzeichnerstaaten an politischem Kredit verloren. Nur die Sowjets triumphierten. Die USA waren vergrätzt, weil sie ja die Initiatoren gewesen waren. Auf Initiative nunmehr GB – verlängerter Arm der USA in Europa? - fand nur neun Monate später eine Konferenz in London statt. Ziel war es, das Besatzungsregime in der Bundesrepublik zu beenden, den Brüsseler Vertrag unter Beitritt von D und It zur Westeuropäischen Union auszubauen und die BrepD in die NATO aufzunehmen, während die USA und GB weiterhin ire Truppen auf dem Boden der Brep stationierten. Der Pleven-Plan hat die Bewaffnung der Brep nicht verhindern können, weil NATO-Interessen angesichts einer wachsenden Bedrohung durch die SU höher gewichtet wurden (Bliesener 1962,51,5?,60) De Gaulle schwebte für Frankreich ein souveräner Nationalstaat mit atomarer Bewaffnung in einem Bündnis mit anderen gleichberechtigten Nationalstaaten vor. Im Rahmen dieser Konzeption hatte der General eine eigene Atomwaffe mit einer eigenen Militärstrategie entwickeln lassen, die in Grundzügen bis heute Bestand hat. Während die Amerikaner unter Kennedy den atomaren Schutz für den europäischen Kontinent verringerten und dort trotz sowjetischer Bedrohung auf die konventionelle Verteidigung setzte, ließ die französische Strategie keinen Zweifel daran, daß das Überschreiten der deutsch-deutschen Grenze für sie eine Verletzung des nationalen Sicherheitsinteresses bedeutete und den Einsatz von Atomwaffen nach sich ziehen werde. Der Aufmarschraum Deutschland hatte also auch einen positiven Aspekt. Von der deutsche Mittellage zur Westbindung Was seit dem Großen Kurfürst keine Politik hatte bewirken können, das bewirkte der zweite Weltkrieg: die Befreiung Deutschlands, hier der Bundesrepublik, aus der Mittellage. Wie einst am Limes entlang des Rheins, eine Grenze, die Victor Hugo im Unterschied zu Hitler noch respektierte, endete die zivilisierte Welt für die Propagandisten am „Eisernen Vorhang“. Östlich der Elbe pflegte Adenauer zu sagen, beginnen die Steppen Asiens. D. bzw. was von ihm übrig geblieben war, befand sich nicht mehr in Europas Mitte, sondern an seinem Rand: Damit wurde die Westbildung zur Konsequenz. Von der Westintegration bis zur Ostpolitik vermochte sie Bonns Außenpolitik Richtung und Ziel zu sein, auch wenn im Ausland und auch in F immer wieder bis in jüngste Zeit Zweifel an dieser Richtung laut wurden. Die Wiedervereinigung hatte Adenauer mit allen Umwegen und Zwischenstationen stets im Blick. Willy Brandt und später Helmut Schmidts Verdienst war es, der vagen Formel der 4 „Überwindung der Teilung“ den ursprünglichen Inhalt zurückgegeben zu haben. Kohl ging weiter, er setzte auf die Integration D und Fs in einem Europa, dessen Strukturen offen blieben: Bundesstaat oder Staatenbund, vorzugsweise mit einem föderativen Charakter, um die Ethnien und Regionen zu stärken. Nachdem die Tschechoslowakei unter dem Druck der Sowjetunion ihre ursprüngliche Zusage zur Teilnahme am Marschallplan zurückgezogen hatte, wurde dieses Hilfsprogramm ausschließlich von den USA getragen, während die Europäer gleichzeitig die Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC, heute OECD) ins leben riefen. Als diese 1948 in Kraft trat, gehörten ihr die drei westlichen Besatzungszonen an. Frankreich hatte sich bei der Gründungskonferenz bereiterklärt, mit jedem Land, das sich hierzu bereiterklärte, eine Zollunion einzugehen. Verträge wurde paraphiert, aber nie ratifiziert. Der Grund lag meist darin, daß man sich nicht einigen konnte über die Beteiligung D, dessen drei Besatzungszonen 1949 zu einem Bundesstaat strukturierte (Bliesener 1962, 13, 19). Ende der 50er- Anfang der 60er Jahre geben die USA eine ganze Reihe dis dato unbestrittener Positionen auf, die Frankreich ausfüllen konnte. Spätestens seit dem Bau der Mauer im August 1961 erkannten die Politiker in der Brep ihr Dilemma: weiterhin den engen Anschluß an die USA aus Dankbarkeit und Schutzbedürfnis bewahren oder sich vorsichtig den neuen Verhältnissen anpassen, um sich Frankreich enger anzuschließen, wo die deutschen Interessen offenbar besser aufgehoben schienen als bei den angelsächsischen Mächten. Während der 19. Regierungskrise der IV Republik 1958 drängte de Gaulle, der sich 1946 aus Widerwillen gegen die „Parteienherrschaft“ aus der Politik verabschiedet hatte, das Kabinett zum Rücktritt und übernahm selbst das Ruder. Zum zweiten Mal wurde er zum Retter Frankreichs auf dem Höhepunkt der Kolonialkriege. Gleichzeitig trieb er als geopolitisch denkender Staatschef die Aussöhnung mit Adenauers Deutschland voran. Jetzt sah der General, der nach 1945 D noch in möglichst viele Teile zerschlagen wollte, in einer Achse Paris-Bonn die beste Gewähr für eine Unabhängigkeit von den Supemächten (L‘Express 26 oct.1996). Trizonesien Auf der Konferenz in Potsdam von Juli bis August 1945 trifft man einschneidende Beschlüsse für den Verlierer Deutschland aber in den wichtigsten Fragen einer Nachkriegspolitik kommt man nicht weiter. Die Sieger verpflichten sich zwar, Deutschland als einen Wirtschaftsraum zu behandeln aber riegeln bald schon ihre Besatzungsgebiete voneinander ab. Großbritannien verspricht bei einem künftigen Friedensvertrag der Sowjetunion Königsberg und halb Ostpreußen zuzuerkennen. Sie nehmen auch hin, daß Stalin in der Zwischenzeit die deutschen Gebiete bis zur Oder und Lausitzer Neiße (Schlesien) den Polen zur Verwaltung gegeben hat, behalten jedoch die endgültige Festlegung der Ostgrenze einem künftigen Friedensvertrag vor. Trotz der Atlantikcharta beschließen die Alliierten, um den Sowjets entgegenzukommen, die Umsiedlung der in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn befindlichen deutschen Bevölkerung. Die genannten Staaten halten sich aber nicht an diese Beschlüsse: Millionen von Deutschen werden auf zum Teil brutale Weise vertrieben. Die Besatzungsmächte, zu denen auch Frankreich gehört, bilden einen Kontrollrat mit Sitz in Berlin. Die Stadt wird in vier Sektoren eingeteilt und von den Truppen verwaltet. Schon 1948 stellt er diese Aufgaben ein, weil die Gegensätze zwischen den Mächten zu groß werden. Die sowjetische Besatzungszone erfährt trotz der Beschlüsse von Potsdam eine radikale Umgestaltung. Ohne jede Entschädigung wird schon 1945 jeder größerer Besitz 5 enteignet. Bevor die Westmächte sich dazu entschließen können, läßt die SU wieder deutsche Parteien zu, aber mit dem Ziel, eine Einheitspartei, die SED, zu gründen. Ein Blick in das Haus der Geschichte in Bonn verschafft plastische Einsichten. Die westlichen Besatzungszonen werden von Amerikanern, Engländern und Franzose recht unterschiedlich regiert und ebenfalls voneinander abgeriegelt. Wer von einer Zone in die andere wollte, brauchte dazu Erlaubnisscheine. Bis 1947 entstehen elf Länder. Ihre Grenzen richten sich nach den Besatzungsgebieten und nach dem Ermessen der Sieger. Preußen wird nach dem Kontrollratsbeschluß aufgelöst. Bayern verliert die Pfalz. Im früheren BadenWürttemberg bilden sich zunächst drei Länder, die sich aber nach einer Volksbefragung 1952 zu einem Land Baden-Württemberg zusammenschließen. Zu Beginn des Jahres 1947 werden die amerikanische und britische Zone wenigsten wirtschaftlich zu einer Bizone zusammen gefaßt. Anfangs 1948 entsteht durch Hinzutritt des französisches Besatzungsgebiet die „Trizone“. Vorher haben die Franzosen das Saarland aus ihrer Zone herausgelöst. Sie wollen es für immer von Deutschland trennen und sich wenigsten wirtschaftlich völlig angliedern. Über die Bildung eines neuen deutschen Staates gehen die Meinungen der Siegermächte weit auseinander. Man kommt nicht daran vorbei, Propaganda hin, Revanche her: Not und Elend herrschen nach dem Krieg in größerem Ausmaß. Furchtbar ist das Schicksal einer Mehrzahl von Flüchtlingen und Vertriebenen. In den USA, die in der lebensunfähigen Trizone eine Milliarde nach der anderen hineinpumpen müssen, setzt sich der Wunsch nach einer deutschen Regierung als erstes durch. Die Sowjetunion aber will nur dann eine gesamtdeutsche Regierung zulassen, wenn es ihren Einfluß auf ganz Deutschland ausdehnen kann. Unter diesen Umständen beschließen die Westmächte, ohne die Sowjetunion zu handeln. Die Westmächte führen in der Trizone und in Westberlin eine neue Währung ein, die „Deutsche Mark“; zudem fordern sie die Länder auf, gemeinsam eine neue deutsche Verfassung zu entwerfen. Um diese Pläne zu stören, versucht die Sowjetunion, die Westmächte aus Berlin zu verdrängen: sie sperrt alle Land- und Wasserstraßen. In dieser krisenhaften Situation fallen die ermunternden Worte J.F. Kennedys: „Ich bin ein Berliner.“ Das Gebäck hat damit, wie mancher Amerikaner meint, nichts zu tun. Warum der eine Amerikaner und der andere Berliner heißt, ist eine eigene Geschichte. Die Blockade scheitert, weil die USA eine „Luftbrücke“ einrichten, um Care-pakete abzuwehren. In einem Jahr wurden etwa 2 Millionen Tonnen Güter nach Westberlin befördert. An der Abwehr des sowjetischen Anschlags haben die Westberliner selbst einen wesentlichen Anteil durch ihre Standhaftigkeit trotz großer Entbehrungen. Diese Hilfe haben die Deutschen den Amerikanern nicht vergessen, wodurch sich deutscherseits für die Bildung von Europa Bremsen ergeben haben. Einige Lieder der „Bläck Föös“, der armen Socken, einer rheinischen Sängergruppe der 80er und 90er Jahre, die historische Lieder peppig aufbereitet hat, spiegelt die Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg: „Die hinger de Jardinge ston un spinxe“ wendet sich gegen die Gesinnungsschnüffelei und totale Überwachung, das „Kartoffellied“ erzählt vom „fringsen“ und das „Trizonesienlied“ rebelliert die Bevölkerung gegen die Kleinkariiertheit der Besatzer. Eine Nachricht aus der „Neuen Illustrierten Zeitung“ am 21.4.1949 belegt: „ Bei dem ersten internationalen Steherrennen in Köln wurde bei der Siegerehrung der Belgier die belgische, bei der Siegerrunde der Schweizer die schweizerische Nationalhymne gespielt. Als der deutsche Sieger seine Ehrenrunde fuhr, half man sich mit dem Karnevalslied „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“, denn die deutsche Nationalhymne durfte ja nicht gespielt 6 werden. Karl Berbuir hat überdies „Oh Mosella“ gedichtet, in dem er sich darüber beklagt, daß die französische Besatzungsmacht die Moselweingüter beschlagnahmt hat. Die Bonner Republik und Strasbourg – politische Städte am Rhein Das kleine Bonn, das bespöttelte Bundesdorf, entwickelte sich aus den bescheidenen Anfängen 1949 zu einem respektierten Bundeshauptdorf, das beinahe Bundeshauptstadt auf Dauer geworden wäre (Marienfeld 1989,42). In den 50 Jahren (1949-1999) seiner Existenz wurden 442 Eintragungen ins Goldene Buch der Stadt getätigt. Die junge Republik und ihre kriegszerstörte Hauptstadt Bonn besaßen 1949/50 noch wenig Reputation. Am 04. Februar 1945 fanden die letzten Bombenangriffe statt; am 8. März rücken US-Amerikaner in der Stadt ein. Am 08. Mai 1949 tritt das Grundgesetz in Kraft, das im Museum König ausgehandelt wurde. Bonn richtet sich als provisorische Bundeshauptstadt ein (Marienfeld,63). Die alliierten Mächte betrachteten die Bundesrepublik noch als „Paria“, als Außenseiter. F. Außenminister Robert Schumann wollte November 1949 auf der Durchreise mit Bkzler K. Adenauer kurz auf dem Bonner Bahnhof ohne Aufhebens mit ihm konferieren. Doch der gewitzte „Alte“ ließ einen roten Teppich vor dem Bahnsteig eins (dem ersten von dreien) ausrollen und es sah aus wie ein richtiger Staatsbesuch: Adenauer lächelte breit und R. Schumann schaute eher gequält drein. US-Präsident Dwight D. Eisenhauer fuhr erst im August 1959 zusammen mit dem Bkzler im offenen Mercedes durch Bonn und nahm wie später de Gaulle ein Bad in der Menge. Der Enthusiasmus der Bevölkerung war bei de Gaulle weit größer. Am 07. März gründete der französische Botschafter François Poncet zusammen mit K. Adenauer das Institut français, das aus dem Club Frankreich-Deutschland hervorgegangen ist. Es ist der föderative Aufbau der Bundesrepublik, der seine Wurzeln im vielgestaltigen Rheinland hat. Der Rhein als Symbol und Zankapfel zwischen D u F wurde als Trennlinie überwunden und zu einem europäischen Symbol der Vereinigung stilisiert. Als 1945 de Gaulle mit einem Schnellboot über den Rhein fuhr, äußerte er, ganz nach Victor Hugo : „ Die Ufer des Rheins – gestern noch Kampfesscheide, morgen schon Band der Vereinigung“. Die Rheinachse hat sich nach dem zweiten Weltkrieg zum Rückgrat aller Verkehrsbewegungen entwickelt; zugleich ballen sich entlang des Rheins auch die wichtigsten Verkehrsströme (nach Boldt u.a. 1988,26,46,62). Zwei spektakuläre dtsch-frz. Veranstaltungen – Adenauers Besuch in Frankreich und de Gaulles Reise durch die Bundesrepublik – bereiteten den dtsch-frz. Vertag von 1963 vor. Acht Tage zuvor hatte der General den Engländern die Tür zum europäischen Markt zugeschlagen mit der Begründung, sie seien das Trojanische Pferd der Vereinigten Staaten. Der Vertrag mitten im Kalten Krieg, als überall in Europa geheime Untergrundnetze im Westen entstanden und der Mythos der Speznazy im Osten aufkam, um den Guerillakrieg gegen sowjetische Invasion vorzubereiten, hatte der eigensinnig General schon 1953 seine unerhörte Vision eines „Europas der Vaterländer“ vorgetragene: Eine Konföderation über die Blockgrenzen hinweg, die die Völker aneinanderbindet, ohne ihnen den Handlungsspielraum zu nehmen. De Gaulle der sich übrigens schon als fünfzehnjähriger Knabe mit Politik befaßte, verband zu zweifelsfrei politischen Weitblick mit prophetischen Qualitäten. Die Idee eines vereinigten Europas (Förster 1967) ist keine Idee von de Gaulle oder von Churchill, sie besteht – ohne Konzept - seit Karl dem Großen, aber es ist ihr Verdienst, sie bereits in die Nachkriegsverhandlungen eingebracht zu haben. Er glaubte nicht an die Dauer der kommunistischen Ideologie und hatte für die DDR als einem künstlichen politischen Gebilde wenig übrig. Kein Wunder, war er doch selbst auch noch durch das Gedankengut eines Barrès geprägt. Schon 7 sehr früh trat er für die Wiedervereinigung Deutschlands ein, natürlich mit Bindung an Frankreich. Der christdemokratische Elsässer Pierre Pflimlin (gut detsch Pfläumlein) begann seinen Kampf für Europa als Abgeordneter des Departements Unterelsaß. 24 Jahre lang war er Bürgermeister von Strasbourg, 22 Jahre Mitglied der Nationalversammlung und suchte den dtsch-frz Ausgleich vor der Haustür mit Baden-Württemberg. Von 1942- 1962, also 16 lange Jahre, war er Minister für Landwirtschaft. Als Ministerpräsident arbeitete er von Mai bis Juni 1958 unter Staatspräsident René Coty, der 1959 sein Amt an de Gaulle übergab und damit die IV Republik beendete. Als sich de Gaulle auf der historischen Pressekonferenz vom 15. Mai 1962 über den Verfechter der europäischen Integration lustig machte, trat der Volksrepublikaner Pflimlin zusammen mit vier Amtskollegen noch am gleichen Tag zurück, knapp einen Monat, nachdem er auf Wunsch des Generals das Amt angenommen hatte. Das Elsaß hatte mit Baden-Württemberg als einem einheitlichen Kulturraum mit mehreren Dialekten eine ganz andere Geschichte gemeinsam als die Rheinlande links und rechts des Rheins im Norden. Unter Napoleon wie schon vorher unter Louis XIV erstreckte sich das Elsaß um 1806 noch über den Rhein bis weit hinter Freiburg nach Baden hinein und grenzte an das Königreich Württemberg, auch wenn oder gerade weil der Rhein als natürliche Grenze gesehen wurde. Das südliche Oberrheingebiet kann also als Musterbeispiel für einen Raum gelten, der mit historischer Hypothek belastet ist. Wegen der unsicheren Grenzsituation, allein das Elsaß wechselte in den letzen hundert Jahren dreimal seine Staatszugehörigkeit, bestand für diesen Raum kein großes wirtschaftliches Interesse, was sich erst in den letzten Jahren geändert hat (s. ALFA/CMK 1999; Boldt u.a. 1988,41,61). Die Saar-Frage Das Saargebiet, als Teil der französischen Besatzungszone, war von Anfang an in besonderer weise in die französischen Interessen eingebunden. Schon im Ersten Weltkrieg suchte F eine nachhaltige Schutzgarantie gegen deutsche Revanchismus zu erhalten (Marienfeld 1989,69). Neben Elsaß/Lothringen sollte auch das Saarland sozusagen als Bollwerk dienen. Der Vertrag von Versailles (28. Juni 1919) aber sah vor, das Saargebiet 15 Jahre lang einem Völkerbundsmandat zu unterstellen. Der Übergangscharakter dieser Lösung mußte zwangsweise zur Unruhe führen (Schmidt u.a.,II, 1983,376). Die gleichbleibenden Zielvorstellungen der französischen Saarpolitik werden deutlich an einer Vielzahl von Konventionen, die zwischen 1948 und 1953 mit der Saarregierung abgeschlossen wurden, um das Gebiet F anzuschließen. Bei den Landtagswahlen im Nov. 1952 werden wieder einmal die deutschen Parteien nicht zugelassen (Marienfeld 1989, 6974). Vom ersten Augenblick der Gründung der Brep an begann das Saarproblem, die dtschfrz. Beziehungen zu belasten. Auf französischer Seite wurde von mangelndem europäischem Geist und dtsch Revanchismus geredet und auf deutscher von frz. Ultranationalismus und antiquierten territorialen Annexionswünschen, wobei Parallellen zu den Sowjets gezogen wurden. Die innerdeutsche Politik, d.h. Regierung und Opposition, geriet aus den Fugen, als neben der Brep auch das Saarland mit Unterstützung F als assoziiertes Mitglied dem Europarat beitrat. Dem Pariser Abkommen war eine besonderes dtsch-frz. Abkommen über die Saar vorangestellt worden, das bis zum Abschuß eines endgültigen Friedensvertrages aufrecht erhalten bleiben sollte. Nicht nur in der Saar und der Brep, auch in anderen Ländern kam es zu Diskussionen. Am 23 Okt 1955 fand eine Volksabstimmung über den Status statt. Mit 8 ungeahnter Mehrheit wurde das Abkommen abgelehnt. In dieser höchst kritischen Situation setzte sich die Staatsräson durch und über nationale Hemmnisse hinweg. Nach einem Austausch einer Reihe von Telegrammen zwischen Bkzler und Président begannen unverzüglich neue Verhandlungen. Acht Monate später wurde die Saar in die Brep eingegliedert und den wirtschaftlichen Interessen F Rechnung getragen (Bliesner 1962,61,66). Frankreichs Kalkül zur deutschen Mittellage: Deutschlands Westbindung Machtpolitisch betrachtet gab es für D und F in Europa zwei Muster: F. hatte seine Lage in Europa zu überprüfen. Entweder eine südeuropäische Achse zu eröffnen, von Athen über Rom bis Madrid, um den Einfluß des „nördlichen“, auf D bezogenen Teil Europas einzudämmen oder mit D einen gemeinsamen Weg zu gehen. Paris setzte, noch vom Pentarchiedenken des 19. Jh geprägt, indes nicht auf das traditionelle Gleichgewichtskalkül: die Folge wäre nämlich gewesen, sich von D abzusetzen, um ein Gegengewicht zu eröffnen. Damit wäre eine Anlehnung D an die angelsächsischen Mächte England und USA, gegen die man seit dem Zweiten Weltkrieg Ressentiments hegte, in die Wege geleitet worden. Rivalitäten, die sich in stillschweigenden Gegenbündnissen oder Blockierungsstrategien ausgedrückt hätten, hätten verhindert, daß Europa seine Probleme anpackt. Damit begann die Entscheidung für das dtsch-frz „(W-) Ehepaar“ zur Bekämpfung des deutschen Dilemmas, sich nach Westen oder Osten zu orientieren und er Furcht der Franzosen, die Brep könnte nach Osten abdriften, ein beliebtes Stereotyp der 70er und 80er Jahre und seit Merkel auch der Jetztzeit wieder . Die Mittellage war womöglich auch der Grund dafür, daß Friedrich der Große um die Jahrhundertwende Großmacht neben F, E, Span, It werden wollte. Er vereinigte seine zwischen den Niederlanden und der Memel verstreuten Besitzungen und führte sie zielstrebig nach und nach zusammen. Der Erwerb Schlesiens sollte Preußen die Machtbasis einer Großmacht verschaffen. Nach drei Kriegen um diese Gebiete kam Preußen der „déstruction totale“ nahe. Daß es der Koalition der anderen Großmächte nicht erlag, verdankte Friedrich seiner Beschränkung auf sein unmittelbares Ziel Schlesien. Otto von Bismarck, Ministerpräsident von Preußen und 1871 erster Reichskanzler „schmiedete“ das Deutsche Reich endgültig zusammen. Der Reichstag des Norddeutschen Bundes – mit Bismarcks „Sattelrede“ vom 11. März 1867 („Meine Herren, arbeiten wir rasch! Setzen wird D sozusagen in den Sattel; reiten wird es schon können.“ ) und seinen Verfassungsentwurf, der am 16. April 1867 verabschiedet wurde, war nur eine erste Etappe auf dem Weg zu einem neuen Deutschland einschließlich der süddeutschen Länder. 1871 nimmt das Rheinland den Kulturkampf mit Preußen auf. Ursache ist die Opposition des jetzt in der Zentrumspartei vereinten politischen Katholizismus gegen das kleindeutsche, überwiegend protestantische Reich. Diese Opposition festigt die Bastionen des Zentrums in den rheinischen Städten, so auch in Bonn, das selbst nach dem Zweiten Weltkrieg als eine überwiegend katholische Stadt lange Zeit CDU wählte. Vom Reich zeitweise alleingelassen, mußte sich das überwiegend reichstreue Rheinland gegen die schon seit 1918/19 feststellbaren Separatisten erwehren. Sie erstrebten eine unabhängige rheinische Republik. Zeitweise gab es in der Zentrumspartei auch ein solches Ziel, ließen es aber später fallen. Großbritannien und die USA lehnten diese Bestrebungen ab, Frankreich dagegen passen diese ins Konzept. Im Februar 1920 besetzen die Franzosen die Rheinlande und bleiben dort bis 1926. Das Verhältnis zur Bevölkerung gestaltet sich harmonisch, weil die Regenten diese für sich gewinnen wollen. Am 11.01.1923 sind Franzosen und 9 Belgier wegen rückständiger Reparationszahlungen ins Ruhrgebiet einmarschiert. Reichskanzler Cuno ordnet „passiven Widerstand“ an und löste damit scharfe Reaktionen der Franzosen aus. Man muß wissen, daß seit dem Ersten Weltkrieg durch die Briten die Idee der psychologischen Kampfesführung, d.h. der Propaganda, aufkam und bald von allen Seiten geführt wurde mit dem Ziel der Desinformation. Aber auch im Binnenverhältnis der Staaten wurde, insbesondere seit das Radio existierte, dieses Mittel kräftig genutzt. Nicht nur das gerne militärisch auftretende Preußen, das seiner Bevölkerung zu einer eigenen Mentalität des Säbelrasselns und Überheblichkeit verhalf, welches sich weit in die 6oer Jahre des 20 Jh hinein noch hielt (s. Landserromane), sondern auch die Umorientierung des Bewußtseins der Bürger war ein Ziel schon vor den Nazis. 1923 waren die separatistischen Bestrebungen im Rheinland groß und weil mit dem Begriff verschiedene Interpretationen verbunden waren, kam es zu Unruhen. Darunter war auch die Idee einer eigenen Westdeutschen Republik innerhalb der Reichsgrenzen: Adenauer stand dieser Idee einige Zeit nahe. Die Agitation der Deutschlandtreuen richtete sich ab 1920 gegen die Franzosen und besonders gegen die schwarzen Soldaten, die als Schänder weißer, deutscher Frauen hingestellt wurden (Boldt u.a. 1988,37). Karl Marx, der bereist 1842/3 in Köln für die „Rheinische Zeitung“ gearbeitet hatte, kehrte im Revolutionsjahr 1848 aus Paris zurück, weil Köln das Zentrum der Rheinprovinz war, die in jeder Beziehung damals der fortschrittlichste Teil Deutschlands war. Zudem herrschte in Berlin das „elende preußische Landrecht“, im Rheinland aber, aus Tradition das französische Recht und damit „ unbedingte Pressefreiheit“ (Boldt u.a. 1988,32). Der Napoleonische Code civil wurde denn auch zur Vorlage für das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch. Konrad Adenauer ist seit 1919 Oberbürgermeister von Köln und Mitglied des Herrenhauses (Oberhauses), von 1920 bis 1932 gar Präsident des Preußischen Staatsrates. Er lavierte geschickt zwischen den Besatzern England und Frankreich, sowie deren Furcht vor dem Kommunismus. Er untergrub französische Annektionsbestrebungen und, wie Clemenceau in seinen Memoiren schreibt, auch die Separatistenbewegung. 1929 wurde Adenauer noch einmal, das dritte Mal, höchst knapp zum Oberbürgermeister gewählt; 1933 setzen ihn die Nazis ab (Wolf/Engelhardt, 73,221; Boldt u.a. 1988,37). Eine Anekdote aus den Nachkriegsrheinland, die mir 1999 in Düren zu Ohren kam, mag die Langfristigkeit des separatistischen Gedankenguts belegen: in der kleinen, zu 99 % zerstörten Stadt Düren, einer einst durch Papierproduktion sehr reichen Kleinstadt, wollten zwei Familien nach dem Zweiten Weltkrieg nicht, daß ihre Kinder sich ehelichten. Der Grund war, daß die andere Familie sich immer noch wünschte, daß das Gebiet von den Ardennen bis nach Köln den Franzosen zufalle. Als gute Deutsche mochte die eine von diesem sog. „neufranzösischem“ Gedankengut nichts, aber auch nichts hören. Der „cauchemar des coalitions“ verließ Bismarck nie. Einziges Ziel seiner Diplomatie war die Verhinderung einer Koalition gegen D. Die Balkan-Krise, die London, Wien und Petersburg gegeneinander führte, hielt er bewußt am Leben. Dieses permanente Krisenmanagement stellte höchste Anforderungen an die Berliner Diplomatie. Berlin hatte keine Zele, die den anderen Mächten als Orientierung gedient hätte. Solche Ziele wurden erst deutlich, als die Weimarer Republik sich die Aufgabe stellte, die Versailler Verträge zu revidieren. Die Siegermächte verstanden dieses Ziel nur allzu gut aus ihrer militärischen Sichtweise. So bot GB Hitler, um des „general settlement“ willen alles, was er wollte, Danzig, Österreich und die Tschechoslowakei. Nur friedlich sollte es zugehen. 10 Von dieser Konzeption aus wird das Verhalten de Gaulles in der Berlin-Frage verständlich: er war gegen jede Veränderung des Status von Berlin. Und an eben diesem Punkt verzahnten sich die deutschen und französischen Interessen. Während die SU den Status von Berlin verändern wollte und die USA und GB als Folge zu Konzessionen bereit waren, wahrte Frankreich allein den Status quo. In Bonn beobachteten 1958 alle Parteien mit Besorgnis die Entwicklung im Nachbarland. Besonders Adenauers Wirtschaftsminister und Vizekanzler Ludwig Erhard gab in seinen Presseerklärungen seinen Unmut über de Gaulle und dessen antiamerikanische und kritischeuropäische Haltung Ausdruck. Das sollte sich als Fehler erweisen, denn de Gaulle fand später kein harmonisches Verhältnis zu ihm, als dieser zum Nachfolger Adenauers gewählt wurde. Das nächste Jahrzehnt (die 60er Jahre) sollten zeigen, wie entscheidend die erste Begegnung Adenauers mi de Gaulle war: Schon zwei Monate nach Adenauers Empfang in La Bosserie, dem Hause de Gaulles in Colombey-les deux-Eglises als erster und einziger Staatsmann fand das zweite Gespräch am 26. November 1958 in Bad Kreuznach statt, während dem bereits eine politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit der sechs EWGStaaten verhandelt wurde. Frankreichs nationalistischen Reflexe Zehnjahre nach dem ersten Versuch, die Westmächte aus Berlin zu verdrängen, starteten die Sowjets, unter Chruschtschow hoch pokernd, den zweiten Versuch mit dem Berlinultimatum vom 27. Nov. 1958 und dem Friedensvertragsvorschlag von Januar 1959 (Marienfeld 1989, 111-115). Ihren Höhenpunkt hatte die westliche Politik bei der Außenministerkonferenz 1959 gefunden, die im Gefolge der neuen sowjetischen Initiative stand. Die drei Westmächte legten einen Plan vor, der die Wiedervereinigung Deutschlands, europäische Sicherheit und Friedensregelung miteinander verknüpfte. Die Sowjets schlagen vor, Westberlin zu entmilitarisieren und zur vereinten Hauptstadt der DDR zu machen. Eine Konföderation der beiden deutschen Staaten könne als Vorstufe der Wiedervereinigung betrachtet werden. Die Westmächte hätten sechs Monate Zeit, darüber nachzudenken. Dieser Versuch, die Westmächte aus Berlin zu verdrängen, wurde mit einem Vorschlag zur Wiedervereinigug verstärkt. Die Oder-Neiße-Linie wurde betont, der Austritt der beiden deutschen Staaten aus den Bündnissen gefordert. Beide Pläne waren für die BrepD und für die Westmächte unannehmbar. Aber was tun angesichts des sowjetischen Drucks? Verschiedenste Pläne kamen auf dem Tisch. Das Ultimatum verstrich; die Sowjets beließen es bei der Drohung. Im März 1959 gibt de Gaulle, wohl in Reaktion auf den Deutschlandplan der SPD vom 8. März (Marienfeld 1989,115), in einer Pressekonferenz seine berühmt gewordene Deutschland-Erklärung ab:“ Die Wiedervereinigung sei das normale Schicksal des deutschen Volkes“, vorausgesetzt .... daß es auf die Gebiete jenseits von Oder-Neiße und auf Atomwaffen verzichte. Und er rät „bis das Ideal erreicht werden könne“ sollten beide deutschen Staaten „die gegenseitigen und Beziehungen auf allen praktischen Gebieten vermehren“ (aus: Die Zeit 23. November 1990). Zu historischen Sternstunden wurden die Begegnungen von Adenauer und de Gaulle, nachdem sie sich aus der Ferne beobachtet hatten: Vor der Presse äußerte de Gaulle beispielsweise schon am 16. März 1950, daß er seit Jahren die Taten und Worte Konrad Adenauers aufmerksam verfolgt habe. Zum 100. Geburtstag de Gaulles fand eine Ausstellung ihm zu Ehren im Bundeskanzlerhaus in Rhöndorf bei Bonn statt (GA 21/22 November 1990). 11 Einen weiteren Höhepunkt der Begegnungen mit dem Präsidenten der Republik brachte der erste Staatsbesuch eines französischen Staatsoberhauptes nach dem Krieg in Deutschland vom 4-9 September 1962. De Gaulle fand die Herzen der Deutschen durch flammende Reden, in denen er zur Verzeihung und Freundschaft in Bonn, Köln, Düsseldorf, Duisburg, Hamburg, Stuttgart und München aufrief. Wer die beiden Staatschefs erlebte, fand in ihnen patriarchalische Persönlichkeiten. Am 22. Januar 1963 kam es zum deutsch-frz Vertrag und wenig später zur Gründung des dtsch-frz. Jugendwerks in Rhöndorf (Schmidt u.a. II, 1983, 373). Der Vertrag in Bonn sollte nach Auffassung de Gaulles die Grundlage für eine gemeinsame Ostpolitik bilden nach dem Grundsatz „détente, entente, coopération“. Er löste einen Sturm der Entrüstung in Washington und London aus und teilte die dtsche Innenpolitik bald in „Europäer“ und „Atlantiker“. Der Bundestag ratifizierte den Vertrag mi einer Präambel, durch die ihn der General entwertet sieht. Die NATO wird zum Hebel und Prüfstein der dtsch-amerikanischen Beziehungen, mit der Folge, daß die Atlantiker siegten. Dieser Streit zwischen den „Atlantikern“, die der Zusammenarbeit mit den USA den Vorrang einräumten und den „Gaullisten“ spaltete nicht nur die CDU/CSU als die größte Regierungspartei, sondern belastetet auch die Regierungsarbeit in den kommenden Jahren bis zum Herbst 1966. In der Sicherheitspolitik erschien die Übereinstimmung zwischen den beiden Staaten am größten: beide wünschten sich à la longue eine „unabhängige Verteidigung“ von den USA. Keine politisches Argument aber dürfte den General so lange überdauert haben, wie seine Forderung, daß Frankreich sich durch kein Bündnissystem „die Hände binden lassen“ sollte. Auch in Zukunft werde der Staat jeden Zugzwang auszuweichen suchen. Seine scharfe Ablehnung einer europäischen Armee im Jahre 1954 hinderte ihn nicht daran, sich 1963 der Notwendigkeit einer zunächst gemeinsamen dtsc-frz. Und anschließend auch europäischen Verteidigungspolitik bewußt zu sein. Am 28.08.1987 wurde die Übung „Kecker Spatz“ gefahren; die Bemühungen um eine Europäische Armee nehmen zu Beginn des zweiten Jahrtausends angesichts knapper werdender Mittel und der Globalisierung Konturen an (Menyesch/Uterwedde 41988,67). Bibliographie: Bliesener, Erich (1962): Europäische Integration als Thema der Karikatur. Heidelberg-Berlin: Impuls-Verlag. Boldt, Hans u.a. (Hrsg,) (1988): Der Rhein. Mythos und Realität eines europäischen Stroms. Köln: Rheinland Clemens, Gabriele (Hrsg.) (1992): Kulturpolitik im besetzten Deutschland 1945-1949. Zabern: Steiner. Documents. Revue des Questions Allemandes No 4/95. Numéro spécial. 50e Anniversaire. L‘Allemagne. Les Hommes – les Evénements 1945-1995. Paris. Dokumente/Documents-Deutsch-Französische Institut Ludwigsburg (Hrsg.) (1988): Deutschland-Frankreich. Ein neues Kapitel ihrer Geschichte 1948-1988. France- Allemagne. Un nouveau chapitre de leur histoire. Chronologie- Documentation. Bonn: Europa Union. 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