Geschichte Afrikas im Überblick: 20. Jahrhundert „ Der Zweite Weltkrieg und die Konferenz von Brazzaville“ Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs versuchen die USA, den politischen Druck auf England und Frankreich zu erhöhen: das aus der Atlantik-Charta abgeleitete Selbstbestimmungsrecht des Völker wird zu einem zentralen Kriegsziel erklärt. Die Atlantik-Charta wurde am 14. August 1941 bei der Atlantik-Konferenz (in Neufundland, Kanada) vereinbart. Es handelte sich um eine gemeinsame Erklärung (Prinzipien ihrer nationalen Politik) des britischen Premierministers Winston Churchill (1874-1965) und des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt (1882-1945) Die Charta enthielt acht Punkte: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Verzicht auf territoriale Expansion Gleichberechtigter Zugang zur Weltwirtschaft Gleichberechtigter Zugang zu den Rohstoffen Liberalisierung des Welthandels Öffnung der maritimen Wege für alle Verzicht auf Gewaltanwendung Selbstbestimmungsrecht der Nationen Vernichtung des Nazi-Regimes Am 24 September wurde die Erklärung von der Sowjetunion, Jugoslawien, Polen, Norwegen, Luxemburg, Tschechoslowakei, Griechenland, Niederlanden, Belgien und vom Freien Frankreich paraphiert. Die Erklärung gilt außerdem als fundamentales Gründungsdokument der künftigen Vereinten Nationen [LIT.: Jacobs, Raoul: Mandat und Treuhand im Völkerrecht, Universitätsverlag, Göttingen 2004] Grundsätzlich war die Stimmung im Alliiertenlager eine äußerst schlechte. Die sogenannten imperialistischen Nationen (USA, Frankreich, England) haben die Erklärung eigentlich nur aus taktischen Gründen unterzeichnet, zumal ihre Interessen grundverschieden waren. Aus US-amerikanischer Sicht hatte das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker einen rein wirtschaftlichen Hintergrund. Für die Sowjetunion handelte es sich um einen wichtigen ideologischen Faktor im Kampf gegen den internationalen Imperialismus. Franzosen und Engländer hingegen sahen darin eine drohende Gefahr für ihre Kolonialimperien, die sie auf gar keinen Fall aufgeben wollten. Jean Suret-Canale formuliert die außenpolitischen Divergenzen unter den Alliierten sehr treffend. Er meint dass Frankreich und England daran interessiert waren, ihre Monopolstellung (etwa in Afrika) zu sichern, während Roosevelt sich zum Ziel setzte (in Anlehnung an Woodrow Wilson im Ersten Weltkrieg), den universalen Charakter der Atlantik-Charta durchzusetzen: „Un ébranlement interne des empires coloniaux anglais et français, qui relâcherait la tutelle des métropoles et donnerait à l’impérialisme américain, avide d’expansion, un accès et des chances dans des territoires jusque là interdits, ne serait pas pour déplaire à Washington“ [LIT.: SuretCanale, Jean: Afrique Noire. L’Ere coloniale 1900-1945, Editions Sociales, Paris 1964, p. 597] „Im Namen Frankreichs erkläre ich ausdrücklich folgendes: jeder Franzoser, der noch im Besitz seiner Waffen ist, hat die absolute Aufgabe, den Widerstand fortzusetzen… Jeder, der im Afrika von Clozel, Bugeaud, Lyautey und Noguès, Ehre hat, ist strikt verpflichtet, die Ausführung feindlicher Bedingungen abzulehnen… Soldaten Frankreichs steht auf, wo immer ihr seid“. Um das Kolonialreich zu retten bzw. neue Ressourcen aus den Kolonien holen zu können, ließ Charles de Gaulle vom 30. Jänner bis zum 8. Februar 1944 eine Tagung in Brazzaville organisieren: die „Conférence Africaine Française de Brazzaville“ (Afrikanisch-Französische Konferenz von Brazzaville). De Gaulle wurde von der Vichy-Regierung in Abwesenheit zum Tode verurteilt, da er den Waffenstillstand mit Deutschland ablehnte. 1941 gründete er in London das „Comité National Français“ (CNF) [Französisches Nationalkomitee], eine Exilregierung des Freien Frankreichs. Gleichzeitig baute er die „Forces Françaises Libres“ (FFL) *Freie Französische Streitkräfte+, die an der Seite der Alliierten und der Resistance kämpften. Nach der Alliiertenlandung in Marokko und Algerien (1943) und der Niederlage der Achsen-Mächte in Nordafrika beschloss das Freie Frankreich, sich in Algerien zu etablieren. In der Folge begannen die Kolonien (eine nach der anderen) sich von Vichy zu distanzieren, um sich den truppen von de Gaulle anzuschließen. Die Achsen-Mächte: Dieses Bündnis hat seinen Ursprung im Abkommen von 1936 zwischen Nazi-Deutschland und Italien (Achse Berlin-Rom). Mai 1939 wurde es durch ein neues Militärabkommen (den Stahlpakt) erweitert. In diesem Pakt stand die Verpflichtung zur gegenseitigen Unterstützung im Kriegsfall sowie zur Zusammenarbeit im kriegswirtschaftlichen und militärischen Bereich. Die Sicherung des Lebensraumes und der Lebensinteressen Deutschlands und Italiens war ein weiterer wichtiger Punkt des Abkommens. September 1940 kam es zum Dreimächtepakt, nachdem Japan sich dem deutsch-italienischen Bündnis angeschlossen hatte. Weitere Mitgliedsstaaten: Bulgarien, Kroatien, Ungarn, Rumänien und Slowakei. 1943 übernahm de Gaulle, gemeinsam mit General HenriHonoré Giraud (1879-1949) [Oberbefehlshaber der Streitkräfte des Freien Frankreichs] die Führung des in Algier neu gegründeten und aus dem CNF hervorgegangenen „Comité Français de Libération Nationale“ (CFLN) *Französisches Komitee zur Nationalen Befreiung]. Noch im gleichen Jahr wurde de Gaulle zum alleinigen Chef des Komitees, nachdem er sich bei einem internen Machtkampf gegen General Giraud, den Mann der Amerikaner, durchsetzte. April 1944 sollte General Giraud den Oberbefehl endgültig niederlegen. Die USA wollten den für sie leicht manipulierbareren Giraud als Chef des Freien Frankreichs bestimmen. Denn aus der Perspektive der amerikanischen Strategen war de Gaulle aufgrund seines glühenden Nationalismus ein Störfaktor, den man von den Entscheidungsmechanismen fernhalten musste. Am 3. Juni 1944 wurde das CFLN in die „Gouvernement Provisoire de la République Française“ (GPRF) [Provisorische Regierung der Französischen Republik] umgewandelt. In Brazzaville trafen sich Vertreter des Freien Frankreichs mit den wichtigsten Kolonialbeamten aus den afrikanischen Kolonien. Neben de Gaulle und dem Kolonialminister René Pleven (19011993) waren 20 Gouverneure anwesend. So wurde Brazzaville, zumindest für kurze Zeit, zur Hauptstadt des Freien Frankreichs. Aber warum gerade Brazzaville als Konferenzort? Da Dakar (Senegal) ebenfalls in Frage kam, kann man davon ausgehen, dass hier einige strategische Überlegungen eine zentrale Rolle gespielt haben müssen. Der zweite Grund dürfte insofern einen Symbolcharakter gehabt haben, weil die erste positive Reaktion auf den Appell von de Gaulle aus Brazzaville kam. Der aus Cayenne (Französisch Guyana) stammende AEF-Generalgouverneur (mit Sitz in Brazzaville), Félix Eboué (1885-1944), war nämlich der erste Franzose, der bereit war, Truppen zusammenzustellen, um sie dem Freien Frankreich zur Verfügung zu stellen. In der Hierarchie der Kolonialadministration hatte F. Eboué wichtige Funktionen inne: zuerst war er Generalsekretär der Regierung von Martinique, bevor er als Lieutenant-Gouverneur in Französisch-Sudan (Mali, 1934), Guadeloupe (1936) und Tschad (1938) fungierte. Sollten hier sentimentale Faktoren eine rolle gespielt haben, so hätte man vielleicht behaupten können, de Gaulle wollte sich mit der Wahl auf Brazzaville als Konferenzort bei F. Eboué bedanken. Aber wir wissen, dass die Mechanismen der Realpolitik stets auf rationalen und pragmatischen Überlegungen basieren. De Gaulle wollte aus guten (opportunistischen) Gründen das Zentrum der Aktivitäten seiner Befreiungsbewegung in die Kolonien transferieren. Er war ja überzeugt, dass das afrikanische Kolonialreich aufgrund seiner Humanressourcen bzw. wirtschaftlichen Möglichkeiten und strategischen Position eine gewichtige Rolle im weiteren Verlauf des Krieges spielen wird. Ende 1940 hatte de Gaulle eine lange Afrika-Reise unternommen, besuchte dabei Dakar (Senegal), Douala (Kamerun), Fort-Lamy (Tschad), Brazzaville (Französisch-Kongo), Léopoldville [(aktuell Kinshasa, Demokratische Republik Kongo), (ehemals Zaire) und Libreville (Gabun) Am 17. November 1940 kehrte er nach London, mit Zwischenstationen im anglophonen Afrika [Lagos (Nigeria), Freetown (Sierra Leone), und Bathurst (heute Banjul in Gambia)] zurück. Das Ziel dieser ersten Reise bestand darin: auf dem afrikanischen Kontinent lebenswichtige Strukturen für das Freie Frankreich aufzubauen die Vichy-treuen Kolonien zurückzugewinnen von Afrika aus den Widerstand zu organisieren. Nach der Niederlage bzw. der Kapitulation in Bordeaux (Juni 1940) und der Etablierung in Vichy eines Kollaborationsregimes (unter der Leitung von Pétain) war de Gaulle quasi isoliert in London. Erst im Exil ist es ihm bewusst geworden, dass die meisten Franzosen nicht bereit waren, ihm nach England zu folgen. Ganz im Gegenteil: es war in Afrika, wo begonnen hatte, sich militärisch zu organisieren. Das Beispiel von F. Eboué hat letztlich viele französische Soldaten im Dient in den Kolonien davon überzeugt, sich der Resistance anzuschließen. „Hitler avait pu gagner en Europe la première manche, mais la seconde allait commencer… En attendant, c’était en Afrique, que nous, Français, devions poursuivre la lutte… Dans les vastes étendues de l’Afrique, la France pouvait en effet, se refaire une armée et une souveraineté, en attendant que l’entrée en ligne d’alliés nouveaux, à côté des anciens, renversât la balance des forces… Au surplus, la libération nationale, si elle était un jour accomplie grâce aux forces de l’Empire, établirait entre la Métropole et les terres d’outre-mer des liens de communauté. Au contraire, que la guerre finît sans que l’Empire eût rien tenté pour sauver la mère-patrie, c’en serait fait, sans nul doute de l’œuvre africaine de la France“ [LIT.: De Gaulle, Charles: Mémoires de guerre: l‘appel, Editions Plon, Paris 1954, p. 95] „Hitler hatte die erste runde in Europa gewinnen können. Aber die zweite sollte bald beginnen… Indessen war es in Afrika, wo wir Franzosen, den Kampf fortsetzen mussten… Doch in den Weiten von Afrika vermochte Frankreich, sich eine neue Armee aufzustellen und seine Souveränität wiederherzustellen, während neue Alliierten, neben den Alten, die Kräfteverhältnisse umkehren konnten… Außerdem, würden Gemeinschaftsbindungen zwischen Metropole und Kolonien entstehen, wenn eines Tages die nationale Befreiung dank der Stärke des Empire erreicht werden sollte. Im Gegenteil, wenn der Krieg zu Ende gegangen wäre, ohne dass das Empire etwas unternommen hätte, um das Vaterland zu retten, dann wäre es ohne Zweifel mit den französischen Werk in Afrika vorbei gewesen“ Um das Kolonialreich nicht aufgeben zu müssen, entwickelte de Gaulle eine Strategie, die in einer ersten Phase darin bestand, Französisch-Äquatorial Afrika unter Gaullisten-Kontrolle zu bringen. In einer zweiten Phase ging es darum, Senegal unbedingt zurückzuerobern, da de Gaulle die Absicht hatte, Dakar als Hauptstadt des Freien Frankreichs zu deklarieren. Um seine Ziele zu erreichen, war er sogar bereit, militärisch einzugreifen. Zudem wollte er persönlich dabei sein. Dakar, gelegen auf der Halbinsel „Cap-Vert“, dem westlichsten Punkt des afrikanischen Kontinents, hatte stets eine militärisch strategische Bedeutung. De Gaulle und Churchill wollten mit der Besetzung von Dakar den Deutschen zuvorkommen. Im Rahmen der Atlantik-Schlacht plante Deutschland, den Hafen von Dakar in eine Basis für U-Boote umzufunktionieren. Außerdem wollte de Gaulle einen Teil [der andere teil befand sich bereits auf der US-amerikanischen Federal Bank] der französischen, belgischen und polnischen Goldreserven, die nach Senegal bzw. Französisch-Sudan transferiert waren, vor den Nazis retten. Die in Afrika versteckten Goldreserven wurden später von einer Einheit afrikanischer Soldaten (unter der Führung von zwei französischen Offizieren) durch die Sahara nach Colomb-Béchard (Nordwesten Algeriens an der marokkanischen Grenze) gebracht. Am 8. September 1940 starteten de Gaulle und Churchill die sogenannte „Opération menace“ (Operation Bedrohung), um Dakar militärisch zu erobern. Drei Tage lang (23. bis 25. September) versuchte de Gaulle mit seinen Verbündeten (England und Australien), die politische und militärische Kontrolle über AOF an sich zu reißen. Ein Sieg würde de Gaulle mehr Legitimität vor dem US-amerikanischen Misstrauen verleihen. Für Churchill ging es darum, die Deutschen von Westafrika fernzuhalten und zugleich eigene britische Truppen dort zu stationieren. Zum ersten Mal im Zweiten Weltkrieg mussten Franzosen gegen Franzosen kämpfen. De Gaulle, der sich am Bord eines holländischen Passagierschiffes befindet, gelingt es nicht, Generalgouverneur Pierre Boisson (1894-1948) zur Kapitulation zu überreden. Auf den von de Gaulle selbst verfassten Propaganda-Brief reagiert Pierre Boisson mit den Worten: „La France m‘a confié Dakar, je défendrai Dakar“ „Frankreich hat mir Dakar anvertraut, ich werde Dakar verteidigen“ De Gaulle hat bis zum letzten Moment gehofft, dass seine persönliche Anwesenheit vor Dakar manche Franzosen zum überlaufen animieren könnte. Die alliierten Streitkräfte starteten ihre Offensive mit einer doppelten Taktik: gleichzeitig mit dem Beginn der Bombardierung versuchte ein Kommando, sich ans Land zu setzen, wurde aber relativ rasch von den VichyTruppen gestoppt und gefangen genommen. Zusammensetzung der alliierten Streitkräfte vor Dakar: 2 Fischdämpfer 3 Landungsboote 4 Frachtschiffe (für den Transport des schweren Kriegsmaterials) 2 000 französische Soldaten 2 holländische Passagierschiffe (mit de Gaulle am Bord) 1 englisches Geschwader 2 Schlachtschiffe 1 Flugzeugträger 4 Kreuzer 10 Zerstörer [LIT.: Bourgi, Robert: Le Général de Gaulle et l‘Afrique Noire 1940-1969, Librairie Générale de Droit et de Jurisprudence, Paris 1975, p. 82.] [LIT.: Williams, John: The Guns of Dakar: September 1940, Heineman, London 1976] Am drittenTag der „Opération menace“ (25. September) beschloss der Kommandeur der Britischen Marine Admiral John Cunningham (1885-1962), die Operation abzubrechen: er wollte zurück zu seinem Stützpunkt in Freetown (Sierra Leone). Die Schlacht um Dakar erwies sich als totales Fiasko für de Gaulle und seine Verbündeten. Daraufhin ging de Gaulle nach Yaoundé (Kamerun), wo er vom Gouverneur Oberst Philippe Leclerc (1902-1947) empfangen wurde. Schließlich besuchte er F. Eboué, der sich in Fort-Lamy (Tschad) aufhielt. Bei den Begegnungen ging es darum, den weiteren Verlauf von de Gaulles Strategie zu fixieren. Vom 8. bis zum 12. November, also zwei Monate nach Dakar, sollte es zu einer weiteren Schlacht, diesmal um Libreville (Gabun) kommen. Hier hatte de Gaulle mehr Erfolg, da es ihm doch gelungen war, ganz FranzösischÄquatorial-Afrika für das Freie Frankreich zu gewinnen. Zwei Jahre später (5. Mai – 6. November 1942) starteten die Alliierten (ohne de Gaulle) die Schlacht um Madagaskar [Operation Ironclade = Operation Panzerschiff]. Gemeinsam mit Australien, Südrhodesien und Südafrika konnte England die Vichy-Streitkräfte und japanische Marineeinheiten besiegen und so Madagaskar erobern. Nachdem Französisch-Äquatorial-Afrika sich de Gaulle angeschlossen hatte, wurden die Truppen von F. Eboué und die Panzerdivision von P. Leclerc [eigentlich: Philippe François-Marie, Comte de Hauteclocque. Während der Résistance änderte er seinen Namen in Jacques-Philippe Leclerc. 1941 wurde er zum Brigadegeneral bzw. 1943 Generalmajor ernannt] zusammengeführt. Über Libyen erreichten sie Nordafrika, wo sie gegen den Afrikakorps von Erwin Rommel (1891-1944) kämpften. In Südosten von Libyen, bei der Kufra-Oasen (950 km südlich von Banghazi) trafen sie auf italienische Truppen, die sie relativ rasch besiegen konnten (Februar 1941). Zu diesem Anlass machte er die berühmte Rede von Kufra: „Soldaten! Wir werden die Waffen erst dann niederlegen, wenn wir Straßburg erreichen, und wenn die schöne französische Flagge auf dem Straßburger Dom flattert“. Am 25. August 1944 erreichte Leclerc Paris, wo er am Bahnhof Montparnasse die Kapitulation der deutschen Besatzungstruppen von General Dietrich von Choltitz (1894-1966) entgegennahm. Choltitz war Stadtkommandant von Groß-Paris. Der sogenannte US-amerikanische und sowjetische Antikolonialismus hat im Endeffekt de Gaulle dazu bewogen, die Konferenz von Brazzaville organisieren. USA hatten offensichtlich rein wirtschaftliche Interessen. Deswegen benötigten sie neue Märkte. UdSSR wollte im Rahmen des Kalten Krieges den ideologischen Kampf intensivieren. Die Kolonien stellten dafür ein ideales Terrain dar, wo man im Namen des Antikolonialismus den antiimperialistischen Kampf für sich entscheiden wollte. In einem solchen Kontext sollte die AfrikaFrankreich-Konferenz von Brazzaville beginnen. Rasch erkannte de Gaulle die Notwendigkeit politischer, sozialer und wirtschaftlicher Reformen in den von Frankreich besetzten Territorien. Deshalb wollte er eine grundlegende Neuordnung der Beziehungen zwischen Metropole und Kolonien. Es ist allerdings wichtig, zu bemerken, dass dieses Neuordnungskonzept nicht die Unabhängigkeit, sondern die Umstrukturierung der Kolonialverhältnisse beinhaltete: das heißt, die Konstituierung einer Französischen Union. Ein fundamentaler Aspekt von de Gaulles Militärstrategie bestand darin, die afrikanischen Kolonien intensiver in den Kampf um die Befreiung des Vaterlandes einzubinden. Schon in der Grundsatzerklärung von Brazzaville stand: „Die Vorsätze des von Frankreich in den Kolonien realisierten Kolonialwerkes untersagen jegliche Möglichkeit einer Evolution außerhalb des französischen Empire. Die eventuelle Bildung von SelfGovernments in den Kolonien ist zu unterbinden“ 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Die „Déclaration de Brazzaville“ (Deklaration von Brazzaville) beinhaltete folgende Punkte: Frankreich und seine Kolonien werden in der Zukunft vereint bleiben. In jeder Kolonie sollen halbautonome Regierungsorgane eingerichtet werden. Die Bürger der französischen Kolonien bekommen das Recht, Vertreter in die verfassungsgebenden und halbautonomen Organe zu entsenden. Diese werden nach dem Krieg installiert. Die Bürger der französischen Kolonien werden das Recht erhalten, Vertreter in das Französische Parlament zu entsenden. Der öffentliche Dienst soll für die Indigenen (nur in den Kolonien) zugänglich werden. Abschaffung der Zwangsarbeit. Wirtschaftliche Reformen sollen den ausbeuterischen Charakter der kolonialen Wirtschaft verringern. In Brazzaville wurden ebenfalls die Lebens- und Sozialverhältnisse in den Kolonien neugeregelt: Indigenenpolitik Stellung der Frauen/Frauenrechte/Zwangsehe Afrikanische Sprachen wurden aus der Bildungspolitik gestrichen Feststellung der Unfähigkeit der Afrikaner, sich selbst zu regieren Frankreich übernimmt die Aufgabe, sie graduell zu emanzipieren Gouverneure bekommen mehr Machtbefugnis Frage der französischen Nationalität wird nach Kriegsende behandelt Familienzusammenführung: Kolonisierte, die einen neuen Posten bekommen und daher einen Ortwechsel unternehmen müssen, dürfen ihre Familie (Frau, Kinder) mitnehmen Obligatorischer Dienst: nicht mobilisierte junge Menschen müssen ein Jahr lang der Administration zur Verfügung stehen Ein wichtiger Kritikpunkt an der Konferenz: Die Afrikaner, über deren Leben Frankreich entscheiden wollte, wurden nicht aufgefordert, der Konferenz beizuwohnen. Zudem haben manche von ihnen (der afrikanischen Eliten) stark damit gerechnet, in Brazzaville anwesend zu sein. Der einziger Kompromiss, den de Gaulle zu machen bereit war, bestand darin, den Eliten zu bieten, 6 Petitionsbriefe (Memoiren) zu verfassen. In der Folge wurden die Briefe von den französischen Verantwortlichen völlig ignoriert, trotz der Zusicherung, dass man sie als Konferenzgrundlagen verwenden wird. Im Grunde haben de Gaulle und René Pleven der Konferenz eine Bedeutung verliehen, die sie (aus afrikanischer Sicht) gar nicht hatte. Anhänger des „Gaullismus“ sollten später versuchen, die Konferenz von Brazzaville als Ausgangspunkt des Dekolonisierungsprozesses zu interpretieren: für sie war es de Gaulles Absicht, das Kolonialreich aufzugeben. In der Regel wird er (auch von vielen Afrikanern) als „l‘Homme de Brazzaville“ (Mann von Brazzaville) bezeichnet. Jean Suret-Canale meint hingegen, dass die Entsendung von 6 Petitionsbriefen nach Brazzaville keineswegs als effektive Partizipation aufgefasst werden kann. Die Konferenz, schreibt er, war weder demokratisch noch repräsentativ [LIT.: Suret-Canale, J. (1964), p. 599-600] Adotévi Spero Stanislas [1934 in Lomé (Togo) geboren; Nationalität: Beniner; lebt derzeit in Burkina Faso] schreibt in Anlehnung an Jean Suret-Canale: „Brazzaville war ein Rettungsversuch der französischen Diplomatie vor dem Druck der USA, die die Souveränität Frankreichs als imperialistische Macht in Frage stellten. In Brazzaville ist nie die Rede von Unabhängigkeit gewesen. De Gaulle als „l‘Homme de Brazzaville“ bleibt ein Mythos“ *LIT.: Adotévi, Spero Stanislas: De Gaulle et les Africains. In: Afrique Contemporaine (sous la direction d‘Ibrahima Baba Kaké), Vol. 10, Editions Chaka, Paris 1990, p. 101] Der Emanzipationsprozess hatte eine Eigendynamik entwickelt, die dazu führte, dass Frankreich aufgrund zweier Kolonialkriege (Indochina und Algerien) quasi gezwungen war, die Unabhängigkeitsforderungen der Kolonien doch noch zu akzeptieren Die Formulierung, wonach Frankreich seine Kolonien in die Unabhängigkeit entlassen hätte, wird von zahlreichen Afrikanern kritisiert, zumal sie meinen, dass dominierte Menschen sich ihre Befreiung erkämpfen müssten. Aus ihrer Sicht stellt eine auf der Servierplatte präsentierte Unabhängigkeit im Grunde eine falsche Auslegung des Begriffes „Freiheit“ dar. Der mexikanische Politiker, Diplomat und Lyriker Octavio Paz (1914-1998) über Freiheit: „Freiheit ist weder eine Idee, noch ein Glaube. Die Freiheit lässt sich nicht definieren: man übt sie aus. Sie ist eine Wette. Der Beweis für Freiheit ist kein philosophischer, sonder ein existentieller: es gibt Freiheit immer dann, wenn es einen freien Menschen gibt, immer dann, wenn ein Mensch es wagt „Nein“ zur Macht zu sagen. Wir werden nicht frei geboren. Die Freiheit ist eine Eroberung –darüber hinaus: eine Erfindung“ [LIT.: Paz, Octavio: Der menschenfreundliche Menschenfresser. Geschichte und Politik 1971-1980, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1981, S. 14-14. Originaltitel: El Ogro Filantrópico]