Adhäsionsprophylaxe in der Chirurgie Priv.-Doz. Dr.med. Karl-Heinz Treutner Chirurgische Klinik und Poliklinik Universitätsklinikum Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen – Deutschland Vortrag auf dem Fortbildungsseminar der Österreichischen Gesellschaft für Chirurgie Salzburg, Österreich, 15. September 2001 Bereits um die Wende zum 20sten Jahrhundert haben Chirurgen wie R. Stern (1888), T. Naegeli (1922) und E. Payr (1924) die auslösenden Ursachen, die Schwierigkeiten bei epidemiologische Diagnostik Bedeutung und Prophylaxe postoperativer, sowie peritonealer die zunehmende Adhäsionen erkannt. Inzwischen hat die Problematik unter Überschriften wie „Verwachsungen nicht auszurotten“ (FAZ v. 27.09.95) und „Verwachsungen – das Elend der Bauchchirurgie“ (FAZ v. 06.12.2000) auch Eingang in die seriöse Laienpresse gefunden. Adhäsionen können zu uncharakteristischen Beschwerden, kontinuierlichen oder rezidivierenden Schmerzen, inkompletten und kompletten intestinalen Passagestörungen sowie zu weiblicher Infertilität führen. Zudem erhöhen sie die Dauer und das Risiko von Reeingriffen. Damit erlangen postoperative Adhäsionen eine erhebliche, sozio-ökonomische Bedeutung. Diese zeigt bei zunehmender Lebenserwartung und wachsender Verfügbarkeit medizinischer Versorgung eine steigende Tendenz. Ursache postoperativer Adhäsionen sind Läsionen des Peritoneums durch Präparation und Resektion, Fremdkörper wie Handschuhpuder und Textilpartikel aber auch Naht- und Klammermaterial, Traumatisierung durch Haken und Klemmen, Ischämien durch Ligaturen und Koagulationen sowie Austrocknung. Grundsätzlich kommt es als initiale Reaktion zur Ablagerung von Fibronectin und Fibrin. Aufgrund der posttraumatisch erniedrigten Aktivität von tPA (Gewebe-Plasmin-Aktivator) bei Überwiegen von PAI-1 und PAI-2 (Plasminogen-Aktivator-Inhibitoren), stimuliert durch TNF (Tumor-Nekrose-Faktor) sowie IL -1 und IL-6 (Interleukine), ist die fibrinolytische Aktivität herabgesetzt. Aus primär temporären, fibrinösen Adhäsionen können sich durch Einwanderung von Granulozyten, Monozyten und Fibroblasten mit folgender Einsprossung von Kapillaren und Ablagerung von Kollagen permanente, fibröse Verwachsungen entwickeln. Das zentrale Problem postoperativer Adhäsionen in der Viszeralchirurgie ist der mechanische Dünndarmileus. Vor dem II. Weltkrieg war die häufigste Ursache hierfür die inkarzerierte Hernie, die heute nur noch in Entwicklungsländern diese Bedeutung hat. Der überwiegende Anteil der Bauchwandbrüche wird in den Industrieländern vor Eintritt von Komplikationen chirurgisch versorgt. Deshalb führen hier Adhäsionen mit bis zu 75% nun die Ursachenstatistik an. Dabei tritt der Adhäsionsileus bei 10-24% der Patienten erst nach einem Intervall von mehr als 20 Jahren zur Primäroperation auf. Appendektomien (40%) und gynäkologische Operationen (30%) sind aufgrund ihrer relativen und absoluten Häufigkeit dabei die vorwiegenden Eingriffe in der Anamnese. Etwa 3% aller Laparotomien erfolgen wegen eines Adhäsionsileus. In Studien an sehr grossen Kollektiven mit einem Nachbeobachtungszeitraum von 10 Jahren finden sich Wiederaufnahmen zur Behandlung adhäsionsbedingter Komplikationen in Raten von 2,9 bis 10,3 pro 100 gynäkologischen Eingriffen bzw. Rektumoperationen. Die Letalität des Dünndarmileus liegt auch heute noch bei Werten um 10%. Die Analyse einer Vielzahl von Publikationen konnte keine signifikante Reduktion dieser Probleme durch Einsatz der Laparoskopie verzeichnen. Dies mag sich in Zukunft durch Umstellung auf die Insufflation erwärmten und befeuchteten Gases ändern. In den USA stieg die Anzahl stationärer Behandlungen wegen eines Adhäsionsileus von 1968 bis 1978 um 10% und in der folgenden Dekade um weitere 18%. Allein für die Adhäsiolyse wurden dort 1994 insgesamt knapp 21 Mrd. ATS aufgewendet. Die Kosten zur Therapie des Dünndarm-Adhäsionsileus belaufen sich in Schweden mit einer zu Österreich vergleichbaren Population auf 200 Mill. ATS jährlich. In den Niederlanden kostet ein solcher Patient im Durchschnitt 184.000 ATS. Nach Adhäsiolyse beträgt die Rezidivileusrate über 13 Jahre 11-21% und steigt bei längerer Nachbeobachtung bis 45 Jahre auf 46%. Auch nach Dünndarmund Mesenterialplikatur sowie nach Schienung mit langen Intestinalsonden finden sich nach etwa einer Dekade Rezidivquoten von bis zu 27%. Zudem bleibt festzuhalten, dass diese Verfahren keine Adhäsionsprophylaxe darstellen. Die Dünddarmschlingen werden vielmehr während der Ausbildung der Verwachsungen in einer harmonschen Lage ohne Abknickung und Torquierung fixiert. Eine Vielzahl von Medikamenten wurde und wird systemisch und lokal mit dem Ziel der Adhäsionsprophylaxe eingesetzt. Am häufigsten werden kristalloide Lösungen wie NaCl 0.9%, Ringer und Ringer-Laktat verwendet. Zum einen ist die Resorprtionsrate mit 35 ml/h sehr hoch und andererseits reduziert das applizierte Volumen die Bakterienclearence in der Bauchhöhle. Ausserdem belegen sowohl tierexperimentelle Daten als auch eine Metaanalyse klinischer Studien eher eine Zunahme der Verwachsungen durch diese Elektrolytlösungen. Dextran (32%, 70.000 D) wird langsamer resorbiert und entfaltet zusätzlich eine osmotische Wirkung, wodurch das Prinzip der „Hydroflotation“ unterstützt wird. Nebenwirkungen wie Ödem, Gerinnungsstörungen bis zur disseminierten, intravasalen Koagulation und Allergien bis zum anaphylaktischen Schock bei sehr unterschiedlichen Ergebnissen verbieten jedoch den Einsatz zur Adhäsionsprophylaxe. Die systemische Gabe von Corticosteroiden (Dexamethason) und nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR, Ibuprofen) soll die Bindegewebsproliferation und damit die Ausbildung von Verwachsungen verhindern. Nebenwirkungen wie Immunsuppression sowie Wundheilungsstörungen (Steroide) und Ulcera (NSAR) haben jedoch zu einer sehr limitierten Anwendung in der Gynäkologie mit variablen Resultaten geführt. Desweiteren werden so unterschiedliche Ansätze wie die Fibrinkleber und Fibrinolytika zur Adhäsionsprophylaxe empfohlen. Fibrinkleber soll Peritonealläsionen abdecken und weitere Blutung und Ablagerung von Fibrin verhindern. Zur Wirksamkeit gibt es jedoch keine gesicherten Daten. Der Einsatz von Fibrinolytika (rtPA) erscheint aufgrund der Pathogenese der Verwachsungen sinnvoll. Das Problem ist jedoch die individuelle Dosisfindung mit dem Risiko schwerer Blutungen. Deshalb wurden positive Ergebnisse aus Tierexperimenten auch noch nicht in die klinische Routine übernommen. Die Deckung von Peritonealläsionen durch Gewebe aus oxidierter, regenerierter Zellulose (Interceed®) oder Hyaluronsäure mit Carboxymethylzellulose (Seprafilm®) hat bei Gynäkologen einige Verbreitung gefunden. Hier muss nur ein kleines, umschriebenes Areal vor Adhäsionen geschützt werden. In der Viszeralchirurgie ist zur Prophylaxe jedoch die Einbeziehung der gesamten Peritonealoberfläche mitsamt aller akzidentellen Läsionen erforderlich. Ausserdem wird Interceed® unter dem Einfluss von Blut nahezu wirkungslos und für Hyaluronsäure wurde kürzlich ein positive Effekt auf Mortilität und Nidationsrate von Tumorzellen publiziert. Die letztgenannte Problematik betrifft auch ein zur Erhöhung der Viskosität und Verweildauer mit Eisen (Fe3+) vernetztes Hyaluronsäure-Gel (Intergel®). In unserer Arbeitsgruppe beschäftigen wird uns seit einigen Jahren mit Phospholipiden zu Adhäsionsprophylaxe. Diese bipolaren Phosphorsäure-di-Ester bilden auf dem Peritoneum einen abriebfesten Film mit hohem Schmiereffekt. Nach einmaliger intraperitonealer Applikation konnten wir in mehreren Tierversuchen eine signifikante Reduktion von Verwachsungen ohne nachteiligen Einfluss auf Blutgerinnung und Wundheilung nachweisen. Selbstverständlich können in dieser kurzen Zusammenfassung nicht alle Verfahren und Medikamente zur Adhäsionsprophylaxe erläutert werden. Es kann jedoch festgestellt werden, dass lediglich die Verwendung puderfreier Handschuhe, eine atraumatische Operationstechnik mit Vermeidung von Peritonealläsionen sowie der Verzicht auf Naht des Bauchfells als gesicherte Methoden angesehen werden können. Für die Zukunft ist eine routinemässige Prophylaxe postoperativer Verwachsungen analog zur Thromboseprophylaxe zu fordern. Hierzu so sollte ein flüssiges Medikament, welches sich in der gesamten Bauchhöhle verteilt eingesetzt werden. Dieses darf keinen negativen Einfluss auf Gerinnung und Heilung haben und sollte das Budgets nicht mehr belasten als der Einsatz von Heparin. siehe auch: Treutner KH, Schumpelick V. Adhäsionsprophylaxe – Wunsch und Wirklichkeit. Chirurg 2000; 71: 510-517 Treutner, KH, Müller, SA, Jansen M, Schumpelick V. Inzidenz, Komplikationen und Prophylaxe postoperativer, peritonealer Adhäsionen. Viszeralchirurgie (im Druck)