6. Württ.VGT 09.03.2007 HS Esslingen AG 6 Fürsorglicher Zwang bei Demenzerkrankung Ergebnisse aus der AG 6: Fürsorglicher Zwang Von den 28 TN waren ca. die Hälfte aus den Arbeitfeldern: Betreuungsführung / 1 TN Vormundschaftsgericht die andere Hälfte zu etwa gleichen Teilen aus Pflege / Klinik und sonstigen wie Beratung / Sozialdiensten Es wurde als Stimmungsbild bei den Teilnehmenden bezüglich der These 2 abgefragt (s.Anlage 1: beiliegende Gliederung der Inhalte aus AG 6): und im Wesentlichen unsere These bestätigt, auch Hinweis auf das Modellprojekt „Redufix“ s. Internet: www.efh-freiburg.de/agp/redufix.htm Vorstellung des Krankheitsbildes: Ärztliche Ausführungen: (s. Anlage 2) Das Kennen des Krankheitsbildes und die Persönlichkeit des Kranken erfordern Zeit, Geduld , Risikobereitschaft Anhand eines Praxisbeispieles wurden nach Alternativen zu Zwangsmaßnahmen „Ausschau gehalten“, die Frage, welche Bedingungen für ambulante Versorgung gegeben sein müssen / sollen bzw. welche Gründe eine stationäre Pflege notwendig erscheinen lassen konnte nur im Ansatz andiskutiert werden. Stichworte: Toleranz von Dritten/Familie, Pflegedienste, Gefährdung, finanzielle Situation, Handhabung u. tatsächliche Zwangsmaßnahmen (Einschließen) im familiären Rahmen ohne gerichtliche Genehmigung: Grauzone Gründe für zu viele Zwänge: (nur beispielhaft, nicht abschließend) - Alternativen nur eingeschränkt bekannt - Alternativen im Einzelfall nicht praktikabel (Hüftprotektoren, niedrige Betten werden fraglich nicht angenommen …) - Kostenfaktor (u.a. auch zu wenig Zeit) - Innere Erleben der Kranken wird zu wenig berücksichtigt - Haftung: Verrechtlichung mit zunehmendem Verlauf der Erkrankung ist die Eigenbestimmung des Erkrankten immer weniger möglich und an diese Stelle tritt die Fremdbestimmung durch Betreuer (zeitintensiv). Gesetzliche Regelung der Pauschalierung verläuft diametral zum Verlauf der Demenzerkrankung (mit zunehmender Dauer weniger Zeit bezahlt durch Pauschalierung und mehr Zeit nötig wegen Krankheitsverlauf / Fremdbestimmung durch Betreuer.) Dilemma: Durch zeitökonomische Begrenztheit gerät der Betreuer in Konflikt und unter massiven Handlungs- und Haftungsdruck. Gefahr: Verrechtlichung These 1 s. Gliederung (Anl. 1) R. Kren / I.A. Steiner Ergebnis Moderation R. Kren / I.A. Steiner 6. Württ. VGT 09. März 2007 HS Esslingen AG 6 Fürsorglicher Zwang bei Demenzerkrankung Anlage 1 zu AG Thesen-Arbeitspapier AG 6 Fürsorglicher Zwang bei Demenzerkrankung Vorstellungsrunde der TeilnehmerInnen mit Abfrage zu Arbeitsfeld und „Stimmungsbild“ zu These 2 These 2 Demenzkranke sind zu vielen Zwängen und Zwangsmaßnahmen ausgesetzt Krankheitsbild Voraussetzung für adäquaten Umgang mit Demenzerkrankten: Kenntnis des Krankheitsbildes im Allgemeinen + im Besonderen der Biographie und Persönlichkeit des kranken Menschen: sehr zeitintensiv Dilemma: § 1901 BGB und Pauschalierung Praxis-Beispiel These 1 Fürsorglicher Zwang ist per se kein Widerspruch ?! vom Sprachlichen und Verständnis her ist Formulierung ein Widerspruch Haltung des Betreuers maßgeblich Gliederung (Folie) Moderation: R. Kren / I. Steiner Anlage 2 zu AG 6 6. Württembergischer Vormundschaftsgerichtstag 09. 03. 2007 AG 6 Fürsorglicher Zwang bei Demenzerkrankung Ingrid A. Steiner, Berufsbetreuerin Rita Kren, Allgemeinärztin Themen für die AG -- Rita Kren Demenzielles Syndrom Demenz ist gekennzeichnet durch unterschiedliche, persönlich geprägte Krankheitsbilder. Gemeinsam ist allen Krankheitsbildern, dass sie progredient und irreversibel sind, da Hirnsubstanz mit dem Krankheitsverlauf unwiederbringlich zerstört wird. Unterschiede der beiden verbreitetsten Krankheitsbilder: Alzheimer Demenz Vaskuläre Demenz *Umbau von Hirnzellen ( Ablagerungen ) *Abbau von Nervenleitungen *Störung im Transmittersystem *Durchblutungsstörung von Gehirnteilen *Abbau von Hirnzellen durch Sauerstoffmangel >schleichender Beginn >kontinuierliche Abnahme von Hirnleistungen >irreversibler Verlauf >plötzlicher Beginn >schubweise Abnahme von Hirnleistungen >irreversibler Verlauf + körperliche Beschwerden ( Schwindel, Seh- und Hörstörung, Depressivität ) Definition der Demenz nach ICD 10 und Entwicklung über 3 Stadien Stadium I: bemerkte Einbussen wie Gedächtnisstörung, Wortfindungsstörung, Vernachlässigung vertrauter Interessen, Störung der zeitlichen Orientierung bis örtlichen führen zu Beschämung, Aggression oder auch Depressivität. Stadium II: nun zusätzlich auftretende Störungen bei Alltagsfunktionen, Störungen der Wahrnehmung durch Sinnestäuschungen, verlorenes Zeitgefühl, gestörte Orientierung in vertrauter Umgebung führen dazu, dass die Lebensführung erhebliche Einschränkungen erfährt und nicht ohne Hilfe von außen möglich ist. Stadium III: Gedächtnis erheblich gestört, fehlerhaftes Erkennen vertrauter Personen, Wortschatz auf wenige Worte geschrumpft, Gefahr von Stürzen, Schluckstörungen, Inkontinenz heben die selbständige Lebensführung völlig auf und führen durch Bettlägerigkeit zu Immobilität, Infektionsgefahr, Nierenversagen. Demente Persönlichkeit Um dem natürlichen Willen gerecht werden zu können, bedarf es, besonders bei der Anwendung fürsorglichen Zwanges, der Kenntnisse über die Persönlichkeit des kranken Menschen. Das Gehirn mit seinen ca. 100 Milliarden Nervenzellen und ca. 4 Millionen Nervenfasern steuert die geistigen, emotionalen, sozialen, körperlichen und spirituellen Leistungen des Menschen im Zusammenspiel mit den übrigen Organen des Körpers. Für den dementen Menschen gilt in besonderem Maße, was Jean Améry über das Altern sagt: Die Schere zwischen dem inneren Bild, das Du von Dir hast und dem tatsächlichen Bild im Spiegel beginnt immer weiter zu klaffen. Das Sehen wird gefährlich für Dich und Dein Selbstwertgefühl. Die Vergesslichkeit schützt Dich wie ein schöner Vorhang vor der Wirklichkeit, dem Gefühl des Bloßgestelltseins. Seite 2 AG 6 Vormundschaftsgerichtstag 09. März 2007 Wichtig ist, die innere Landkarte des einzelnen Menschen zu kennen, um ihm gerecht zu werden. Innere Landkarte, ein gestückeltes Etwas aus: Ratlosigkeit, Freude, Unsicherheit, Scham, Langeweile, Rastlosigkeit, Misstrauen, Schlaflosigkeit, Unruhe, Anspannung, Trauer, Orientierungslosigkeit, Angst, Sprachlosigkeit, Heiterkeit, Einsamkeit, Zorn, Distanz. Problematisches Verhalten Zwang löst bei Menschen ein problematisches Verhalten aus: entweder Angst / Rückzug oder Aggression / Angriff. Das gilt auch für jeden fürsorglichen Zwang, vor allem, da er bei einem an Demenz erkrankten Menschen niemals auf Einsicht stoßen kann. Die Einzelleistungen des Gehirns lassen sich aufgliedern in: Bewusstsein > ist der Mensch wirklich wach und nimmt seine Umgebung wahr? Aufmerksamkeit/Gedächtnis > kann sich der Mensch auf eine Sache konzentrieren, aufmerken? Orientierung > ist sie vorhanden zur Zeit, zum Ort, zur Situation, zur eigenen Person? Wahrnehmung > werden Umgebung und Personen so wahrgenommen, wie andere das tun? Denken > wird die Situation richtig eingeschätzt und kommt eine logische Antwort? Affektivität > sind Heiterkeit und Traurigkeit angemessen, Wut und Zorn ebenso? Antrieb > unangebrachte Ruhelosigkeit oder Passivität? Ich-Erleben > wie weit klafft die Schere zwischen innerem und äußerem Bild? Intelligenz > sehr gebildete Menschen können lange Zeit Defizite der Demenz verbergen Umgang mit dementen Menschen zur Vermeidung von problematischen Situationen: Alzheimer Demenz Vaskuläre Demenz Versuchen die Innenwelt zu verstehen in Bewegung bringen Überforderung vermeiden Herz-Kreislauf stabilisieren Hohen Lärmpegel vermeiden Bluthochdruck behandeln Anregung geben zu aktivem Tun Diabetes einstellen Scheinbar sinnloses Tun auch loben Biographiearbeit Selbstwertgefühl stärken konstante Bezugsperson Validation geben Anregung zu aktivem Tun Versuchen, Reaktionen vorauszusehen Aufmunterung geben Unbemerkt Hilfestellung geben für ausreichend Flüssigkeitsaufnahme sorgen Essgewohnheiten regeln Zusammenarbeit verdeutlichen Ausreichend Auslauf gewähren ausreichende Ruhepausen Bei Begegnung und Gespräch mit dementen Menschen helfen folgende Spielregeln: >nahe zu dem Menschen stellen >auf Augenhöhe mit den Augen Kontakt aufnehmen >leichte Berührung, um weitere Aufmerksamkeit zu erhalten >mit dem Namen ansprechen >übertrieben langsam und deutlich sprechen >kurze, einfache und deutliche Wörter und Sätze benutzen >nur eine Mitteilung auf einmal geben >in bejahenden Sätzen sprechen >Gesprochenes durch Gebärden und Berührungen verstärken >Ablehnung niemals persönlich nehmen >bei Aggression Gründe dazu in der Innenwelt des Menschen suchen oder möglich empfundene Bedrohung in der Außenwelt ermitteln