Die Marktchancen für Crowdsourcing in Europa

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Die Marktchancen für Crowdsourcing in Europa
Ausbeutung oder gute Ressource?
Chancen und Probleme von Crowdsourcing in der
Wahrnehmung durch die etablierte Wirtschaft.
Frank Puscher, freier Journalist, im Expertengespräch auf der
Crowdconvention 2011 mit Jasper Masemann, cotent.de; Tommi
Koskinen, Audiodraft; Harri Holopainen, Microtask und Nadine
Freischlad, Jovoto.
Jasper, Content.de hat 3000 deutsche Texter im Pool. Ist das viel
oder wenig?
Jasper Masemann, Content.de: Das ist eigentlich verdammt wenig,
wenn man bedenkt, dass es um die Aufgabe des Textens geht. Das kann
ja eigentlich jeder, auf unterschiedlichem Qualitätsniveau versteht sich.
Der Qualitätsanspruch der Aufgaben auf unserer Plattform ist so breit
gefächert, da kann man mindestens das Hundertfache an Autoren haben.
Und warum habt Ihr die nicht? Macht Ihr kein Marketing?
Masemann: Wir machen zwar Marketing aber nur sehr wenig. Vielleicht
ist das ein deutscher Weg. Wir wollen langsam wachsen, weil wir glauben,
dass Qualität das wichtigste Thema ist. Das nehmen auch unsere Kunden
so war. Es ist eben nicht so einfach, gute Autoren zu finden.
03.07.11; Autor: Frank Puscher
Nadine, wenn Du mit Kunden sprichst, fragen die Dich „Was macht
Ihr da eigentlich“?
Nadine Freischlad, Jovoto: Ich selbst spreche selten mit den Kunden,
aber ich nehme im Unternehmen wahr, dass die Kunden beginnen zu
verstehen, was wir tun. Sie haben von Crowdsourcing und Open
Innovation gehört und sind experimentierfreudig. Den Unterschied spüren
wir vor allem beim Vergleich mit unserem Büro in New York. Während bei
uns noch Experimentierphase herrscht, gehört dort Crowdsourcing längst
zum Alltag. Was den deutschen Markt anbetrifft, habe ich aber schon das
Gefühl, dass das gut angenommen wird.
Dennoch gibt es nur wenige Unternehmen in diesem Bereich. Hat
Crowdsourcing in Deutschland ein schlechtes Image?
Freischlad: Wir sind eigentlich gar keine Crowdsourcing-Plattform im
engeren Sinne. Eher Community-Sourcing. Wir verteilen keine Aufgaben
und warten auf das Ergebnis, sondern ein Projekt auf Jovoto ist ein
stetiger Interaktionsprozess. Unsere Crowd ist eben nicht anonym.
Für einige Leute hat Crowdsourcing tatsächlich ein schlechtes Image. Vor
allem bei den etablierten Designern, die in Verbänden gut organisiert sind,
hat Crowdsourcing einen faden Beigeschmack. Die sagen, dass die Jobs
eben von gut ausgebildeten Designern erledigt werden sollten. Die
machen schon Stimmung gegen das Grundkonzept.
Das müsste doch für das Thema Audio-Design noch stärker gelten,
Tommi. Üblicherweise sind es doch 1:1-Beziehungen zwischen
Kunden und Komponist.
Tommi Koskinen, Audiodraft: Und genau das ist das Problem für die
Produktionsfirmen. Die Lizenzrechte für Musik sind viel zu teuer. Daher
müssen wir keine große Überzeugungsarbeit leisten. AudioDraft bietet den
perfekten Weg, die Musik schnell und günstig zu bekommen.
Ihr bedient also eine Marktlücke.
Koskinen: Ja, da ist definitiv eine Lücke. Heute benutzen die
Produktionsfirmen meistens noch günstigeres, nicht-exklusives StockMaterial.
03.07.11; Autor: Frank Puscher
Sind die Finnen offener gegenüber derartigen Innovationen?
Harri Holopainen, Microtask: Wir haben ein Jahr gebraucht, um
praktisch mit jedem in Finnland zu sprechen, für den unser Konzept
interessant sein könnte. Wir haben alle Termine bekommen, die wir
wollten und die Idee der verteilten Microtasks wurde wohlwollend
begutachtet. Wir mussten überhaupt nicht predigen.
Wenn es aber dann darum ging, konkrete Projekte zu verkaufen, wurden
die Dinge schwierig. Gar nicht, weil die Kunden nicht kaufen wollten,
sondern vielmehr, weil die internen Prozesse fundamental inkompatibel
mit Crowdsourcing sind. In der Praxis wird es erst richtig losgehen, wenn
die großen Firmen ihre Prozesse neu definieren. Die letzte Neudefinition
ging in Richtung Web-basierte Prozesse und Online-Interfaces. Die
nächste Neudefinition wird eine in Richtung Neuverteilung der Arbeit sein.
Ihr werdet nun also zum Beratungsunternehmen?
Holopainen: Wie viele Startups haben wir zuerst den Hammer erfunden
und nun suchen wir nach dem passenden Nagel. Das erste Jahr haben wir
tatsächlich damit verbracht, herauszufinden, was man mit diesem
wunderbaren goldenen Hammer eigentlich machen kann.
Wie viel Zeit verwendet Ihr darauf mit potentiellen Kunden über
Sicherheitsthemen und Datenschutz zu sprechen?
Masemann: Datenschutz ist kein großes Thema. Das ist ziemlich
überraschend für mich, aber es hat vielleicht damit zu tun, dass das
Texten für Websites zum Beispiel ohnehin zu einem öffentlichen Ergebnis
führt. In klassischen Prozessen machen das Freelancer für
mittelständische Unternehmen. Die Kunden sind es also gewohnt, diese
Arbeit auszulagern und mit Partnern zusammenzuarbeiten, die sie gar
nicht kennen.
Gibt es keine Neuprojekte, wo der Kunde nicht möchte, dass
frühzeitig etwas darüber bekannt wird?
Masemann: Der einzelne Autor erhält nur einen winzigen Bruchteil der
Website als Aufgabe und sieht das ganze Projekt ja nicht. Das ist bislang
tatsächlich kein Problem.
03.07.11; Autor: Frank Puscher
Was passiert, wenn das Crowdsourcing-Projekt mit internen
Ressourcen in Konkurrenz tritt?
Freischlad: Wir positionieren unseren Ansatz als Ergänzung zu internen
Prozessen. Wir wollen keine Agenturen ersetzen, sondern nur deren Arbeit
ergänzen. Ich glaube nicht, dass wir kannibalisieren. Der Markt für
Grafikdesign wächst.
Wenn man das zusammenfasst, bedient Ihr alle vier jeweils eine
Marktlücke, keiner wird entlassen und alles geht weiter wie
bisher.
Freischlad: Natürlich nicht. Aber die Veränderung ist eine viel größere
und wir sind ein Teil davon. Die Demokratisierung des Zugangs zu
Produktionswerkzeugen ist eine technische Entwicklung, der sich kaum ein
Prozess wird entziehen können. In Zukunft arbeiten mehr Leute von
zuhause und nach selbst bestimmten Zeitplänen.
Aus einer Ressourcen-Perspektive zeichnet sich Crowdsourcing
dadurch aus, dass es schnell skalieren kann und flexibel ist. Aber
brauchen die Unternehmen das überhaupt? Das gilt doch nur für
große Firmen.
Harri: Die Skalierbarkeit der Ressourcen ist an unseren Arbeitsmärkten
sehr schwierig. Daher gibt es in den meisten Firmen auch keine Ideen
dafür und keinen Bedarf. Ohne unsere Plattformen ist der Gedanke ja
absurd, dass für die nächsten zehn Minuten 10.000 Menschen weltweit für
meine Firma arbeiten könnten.
Die Existenz skalierbarer Produktionskräfte wird ganz neue Angebote
hervorbringen. Das gilt auch für CloudComputing oder NetworkStorage.
Die Vernetzung und die Technologie reduzieren drastisch die SetupKosten. Das wird auch eine neue Experimentierkultur hervorbringen.
Stellen Sie sich vor, Sie könnten einfach zehn Minuten der Arbeitszeit
eines Einzelnen kaufen, um damit etwas auszuprobieren.
03.07.11; Autor: Frank Puscher
Betrachten wir kurz die Angebotsseite: Wie reagieren gut
ausgebildete Qualitätskräfte auf ein solches Angebot?
Koskinen: In der Szene der AudioDesigner hat AudioDraft einen hohen
Bekanntheitsgrad und einen guten Ruf. Ich habe bisher keine Kritik
wahrgenommen. Wir versuchen, die Community gut zu behandeln.
Beispielsweise haben wir kostenlose Online-Werkzeuge zur Verfügung
gestellt, um online zusammen zu arbeiten. Sie können also auch ihre
eigenen Musikprojekte crowdsourcen. Erst danach haben wir die
kommerziellen Aspekte ins Spiel gebracht.
Und das natürlich international. Derzeit haben wir 20 Prozent Finnen, 25
Prozent Engländer, 25 Prozent Amerikaner und der Rest verteilt sich.
Insgesamt sind es 3500 Audio-Designer.
Was muss man tun, damit die Plattformen mehr Zulauf
bekommen?
Masemann: Der wichtigste Hebel für uns sind einfache
Experimentierphasen. Die Leute wollen das ausprobieren. Sie platzieren
ein paar Texte und wollen dann sehen, wie die Plattform funktioniert.
Vermutlich wird tatsächlich an der einen oder anderen Stelle im
Unternehmen Arbeitskraft eingespart, aber meistens dort, wo das interne
Personal ohnehin überqualifiziert ist. Das gilt vor allem für die Idee von
Microtasks. Dieses Personal kann sich dann um wichtigere Sachen
kümmern.
Was ist mit Werbung?
Koskinen: Wir machen ein bisschen Google-Werbung, wir werben z. B.
auf Spieleseiten. Das funktioniert aber nicht besonders.
Holopainen: Ich glaube für viele Szenarien ist das Problem, dass die
Leute noch gar nicht so weit sind, nach einer Crowdsourcing-Lösung für
ihre Aufgabe zu suchen. Unser Marketing besteht vor allem darin, in den
Firmen herumzulaufen und über uns zu erzählen. Eine Arbeit für die
finnische Nationalbibliothek hat uns natürlich geholfen. Da haben wir
Crowdsourcing spielerisch eingesetzt, um das finnische Kulturerbe zu
bewahren. Das hat viel Aufmerksamkeit erzeugt.
Freischlad: Auch wir machen NGO-Projekte und spannende Cases, die
den Mehrwert demonstrieren. Dann wird sich das viral verbreiten. Bislang
nehmen die Medien ja am liebsten Fälle auf, bei denen Crowdsourcing
schlecht lief, wie zum Beispiel den Fall Pril.
03.07.11; Autor: Frank Puscher
Gehen wir dahin, wo es weh tut: Ist das Arbeiten mit Content.de
billiger als die traditionelle Arbeitsweise zum Beispiel mit einem
PR-Büro?
Masemann: Es kann günstiger sein. Da hat sich bereits ein recht stabiles
Preisniveau eingependelt. Die Plattformen unterscheiden sich da gar nicht
viel voneinander. Es gibt gute Autoren, die mehr verlangen. Wir wollen
eine Art Mindestlohn installieren, um Autoren auf unsere Plattform zu
bekommen.
Koskinen: Ja, wir haben auch einen Mindestpreis. Wir unterscheiden
zwischen exklusiven und nicht-exklusiven Lizenzrechten. Die exklusiven
Rechte beginnen bei 500 Dollar. Darüber kann man seinen Preis selbst
setzen. Unsere Empfehlungen, die wir aussprechen, haben wir übrigens
vom Freiberuflermarkt.
Harri, euer Konzept ist viel kleiner. Habt Ihr auch Mindestlöhne?
Holopainen: Der Mindestlohn wäre wohl null Euro. Bei der
Nationalbibliothek war die Bezahlung der gute Wille und das Schöne daran
ist: den guten Willen kann man in zwei Milliarden Stückchen zerschneiden.
Unser Ziel ist die Arbeit dorthin zu bringen, wo die Leute sind. Ich weiß,
das ist eine Schlangengrube, wenn wir über Steuern und Sozialabgaben
sprechen. Aber wir haben für uns herausgefunden, dass man das auch
nicht verkomplizieren muss. Durchschnittlich spielen die Leute unsere
Crowdsourcing-Spiele sieben Minuten lang. Da verliert doch keiner etwas.
Dennoch erwarten Sie, dass es gewerkschaftsähnliche
Organisationen im digitalen Raum geben wird?
Holopainen: Das ist unvermeidlich. Das wird seinen Ursprung nehmen in
Foren, wo sich Leute austauschen, die viel für derartige Plattformen
arbeiten. Wenn eine Million Leute Clickworking machen, ist es doch klar,
dass sich viele davon auch auf anderen Plattformen und mit anderen
Zielen vernetzen. Wir werden sehen, was dann passiert.
Werden Regierungen auf die Plattformen zugehen und
Sozialabgaben verlangen?
Freischlad: Noch wissen wir das nicht. Aber ich glaube auch, dass das
eher aus Richtung der Verbände kommt, wie der Künstlersozialkasse.
Tommi: Die Diskussion wird natürlich kommen, aber sie ist noch nicht da.
03.07.11; Autor: Frank Puscher
Wo wird Crowdsourcing in zwei Jahren in Deutschland stehen?
Masemann: Das wird exponentiell wachsen. Der Kostenfaktor wird es
antreiben. Das wird jeder irgendwie ausprobieren.
Kurzinformationen zu den Gesprächsteilnehmern:
Nadine Freischlad, Community Managerin bei Jovoto.de, einer deutschen
Plattform für Design-Crowdsourcing.
Jasper Masemann sitzt im Aufsichtsrat von Content.de, einer Plattform,
die unterschiedlichste Textaufträge via Crowdsourcing abwickelt.
Harri Holopainen ist einer der Gründer von Microtask in Finnland. Ziel von
Microtask ist es, Projekte in winzigste Häppchen zu zerlegen, so dass sie
beispielsweise mit dem Smartphone unterwegs zu bearbeiten sind.
Tommi Koskinen ist der Chief Community Officer von Audiodraft. Das
Projekt vermittelt Komponisten und Musiker an Unternehmen und schreibt
Wettbewerbe zur Erzeugung von Soundlogos und ähnlichem aus.
03.07.11; Autor: Frank Puscher
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