Leseprobe1 - Laaber

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HUMOR
Am 14. März 1812 wurde zum ersten Mal eine wirklich ernste Oper des jungen Rossini aufgeführt, Ciro in Babilonia. Der Premierenanlass war ein feierlicher, und die Fastenzeit erforderte ein Sujet mit Bibelbezug: Die Oper behandelt den Untergang des babylonischen Königs Belsazar. Ganz ohne Vergnügen sollte die Aufführung in Ferrara gewiss nicht vonstattengehen, und
nach damaliger Konvention durfte während der Gesangseinlagen der Nebendarsteller auch in der Quaresima ein Halbgefrorenes verzehrt werden. Als
eine „Sorbet-Arie“ identifizierte Rossini im Gespräch mit Ferdinand Hiller
mehr als vierzig Jahre später jene Nummer, die er in Ciro in Babilonia für die
zweitrangige Sängerin Anna Savinelli schrieb:
„Bei dieser Gelegenheit fällt mir eine andere Aria di sorbetto ein, welche lustig genug
war. […] Zu einer Oper, Ciro in Babilonia, hatte ich eine schauderhafte SecundaDonna. Sie war nicht allein über die Erlaubnis hässlich, auch ihre Stimme war unter
aller Würde. Nach der sorgfältigsten Prüfung fand ich, dass sie einen einzigen Ton besaß, das B der eingestrichenen Octave, welcher nicht übel klang. Ich schrieb ihr daher
eine Arie, in welcher sie keinen anderen, als diesen Ton zu singen hatte, legte Alles ins
Orchester, und da das Stück gefiel und applaudirt wurde, so war meine eintönige Sängerin überglücklich über ihren Triumph.“1
Begreift man musikalischen Humor mit Bernhard W. Appel „als besondere
Umgangs- oder Aneignungsform tradierter Normen“, die in einem „geistreichen Spiel mit überkommenen Sinninhalten“2 bestehe, so trägt auch Rossinis
Humor „einen nicht-revolutionären, versöhnlichen Charakter, der am normativen Status quo nichts ändern kann, ohne sich selbst dabei aufzugeben“3.
Das kompositorische Experiment, die Vokallinie einer gesamten Arie auf
einen einzigen Ton zu beschränken, der hintereinander insgesamt 62mal
wiederholt wird, stellt zweifellos in der Geschichte der Oper einen Extremfall dar. Zugleich bietet es auch ein ganz besonderes Beispiel des tollkühnen
musikalischen Humors, zu welchem Rossini schon am Beginn seiner Karriere ohne Rücksicht auf den würdevollen Anlass und die bestehenden Konventionen fähig war. Der musikalische Spaß steigert sich im Verlaufe dieser
Arie in dem Maße, wie sich die konzertierenden Instrumente in immer brillanteren Passagen ergehen, während die Gesangsstimme konsequent auf
ihrem eingestrichenen B verharrt und mit jeder Wiederholung desselben die
Ausgelassenheit auf die Spitze treibt. Und dabei ging diese singuläre Inspiration Rossinis keineswegs auf Kosten der beschränkten Interpretin, sondern
bescherte ihr – statt eines gellenden Pfeifkonzerts, das ihr wohl mit jedem
anderen Gesangsstück geblüht hätte – einen völlig unerwarteten Triumph.
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Rossini war selbst ein begnadeter Sänger, und er verstand es, für jeden
individuellen Interpreten genau die Melodien zu erfinden, die dessen Stimme
am besten zur Geltung bringen konnten – im vorliegenden Falle das Paradox
einer „melodielosen Melodie“. Natürlich darf man Rossinis ironischer Stilisierung der Anekdote zur Entstehung dieser Arie nicht ganz trauen. Selbstverständlich wird besagte Anna Savinelli durchaus in der Lage gewesen sein,
auch noch einige weitere Noten passabel zu singen, wie allein schon die Behandlung ihrer Partie in den übrigen Szenen der Oper, an denen sie beteiligt
ist, durchaus nahelegt.4
Die Unvollkommenheit der Sängerin lieferte somit den Ausgangspunkt
eines ästhetischen Experiments. Im Jahre 1812, als die Oper Ciro in Babilonia
entstand, war Rossini übrigens nicht der einzige, der musikalischen Humor
aus dem Spannungsverhältnis von Monotonie und Artifizialität entstehen
ließ: Ludwig van Beethoven widmete sich im Finale seiner Achten Symphonie –
freilich mit gänzlich anderen Mitteln – einem zumindest in dieser Hinsicht
vergleichbaren kompositorischen Problem.5 Bemerkenswert ist, dass der alte
Rossini im Album français der sogenannten „Sünden des Alters“ (Péchés de
vieillesse) dieses Experiment in ähnlicher Form noch einmal wiederholen sollte, dabei jedoch eine gänzlich andere Wirkung zu erreichen suchte. In der
Elégie sur une seule note vollführt die Mezzosopranistin bei ihrem „Adieux à la
vie“ dasselbe Kunststück, wobei die Konstanz der Vokallinie durch einen
aufwendigen Klavierpart kaschiert wird. In dieser musikalischen Auseinandersetzung mit dem (eigenen) Tod kann somit zugleich eine elegische Reminiszenz des alten Komponisten an seinen jugendlichen Übermut gesehen
werden.
In einer grundlegenden Untersuchung über den Humor in der Musik Joseph Haydns hat Andreas Ballstaedt drei unterschiedliche Ansätze in der
Behandlung dieses Themas aufgezeigt. Während vor allem in biographischen
Arbeiten eine Verbindung zwischen musikalischen Elementen und persönlichen Charaktermerkmalen des Komponisten gesucht werde, ziele ein zweiter
Ansatz primär auf „eine nützliche Sammlung von schlagkräftigen Einzelbeispielen für den Entwurf einer Theorie des musikalischen Humors überhaupt,
die nicht selten auch unter dem Lemma einer Theorie des Komischen“ firmiere. Die dritte Richtung schließlich konzentriere sich auf die Herausarbeitung von Merkmalen des Personalstils.6 Zweifellos ließe sich ein solche Typologie auch auf Rossini anwenden, wobei die Abgrenzung des zweiten und
dritten Ansatzes besonders problematisch erscheint: Ein Merkmalskatalog
komischer musikalischer Elemente der Gattung Opera buffa lässt sich auch
deshalb kaum trennscharf von Rossinis Personalstil unterscheiden, weil Letzterer den Gattungsstil maßgeblich geprägt hat. Und erst recht lässt sich der
individuelle Humor als Persönlichkeitsmerkmal nicht methodisch schlüssig
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auf bestimmte musikalische Strukturen projizieren. Es kann daher in diesem
einleitenden Kapitel zunächst nur darum gehen, auf charakteristische Elemente des Humors sowohl in Rossinis Äußerungen als auch in seinen musikalischen Werken hinzuweisen.
„Ich kenne wahrlich wenig Menschen, die so amüsant und geistreich sein
können, wie dieser aimable Spitzbube, wenn er will; wir kamen die ganze
Zeit aus dem Lachen nicht heraus“, schrieb Felix Mendelssohn am 14. Juli
1836 an seine Schwester Rebecca, nachdem er im Hause seines Freundes
Ferdinand Hiller zu seiner völligen Überraschung „Rossini groß und breit, in
liebenswürdigster Sonntagslaune“ angetroffen hatte.7 Und dem weiteren
Verlauf des Briefes ist zu entnehmen, welche Mühen es Mendelssohn gekostet haben muss, das infolge seiner preußisch-bildungsbürgerlichen Sozialisation antrainierte Feindbild Rossini nach der unmittelbaren persönlichen Begegnung wenigstens ansatzweise zu berichtigen. Hiller, der schon in jungen
Jahren in Paris unter Rossinis Obhut gekommen war, hatte diese Korrektur
längst vorgenommen und wusste zeitlebens Rossinis Konversation zu schätzen:
„Er ist die socialste Natur, die man sich denken kann. Ich glaube, er wird nie müde,
Menschen um sich zu haben, zu plaudern, zu erzählen und – was viel verdienstlicher
– zuzuhören. Dabei hat er jenes gleichmäßige Wesen, das man nur bei Südländern
trifft: für Kinder und Greise, Vornehme und Geringe findet er stets das rechte Wort,
ohne sich dabei in Art und Weise seines Benehmens zu verändern. Es ist eben eine
jener glücklichen Naturen, denen Alles angeboren, und bei welchen alle Modificationen sich ebenfalls auf organische Weise von selbst gemacht. Nichts Gewaltsames ist
in seiner Musik und in seiner Persönlichkeit – das hat Beiden so viele Herzen zugewendet.“8
Mitunter konnte es Rossinis Gesprächspartnern vor lauter Humor aber auch
ungemütlich werden. So meinte etwa Eduard Hanslick, es sei „überhaupt mit
dem berühmten Maestro nicht ernsthaft zu reden“, denn dieser „fühle sich
nur behaglich in gemächlichem Scherz und leichten Neckereien.“9 Auch in
Rossinis Briefen finden sich immer wieder Beispiele eines durchaus extravaganten und keineswegs immer völlig „gewaltlosen“ Humors. Schon in einem
seiner ersten erhaltenen Briefe nimmt der zwanzigjährige Debütant sich
selbst, seinen Achtungserfolg mit La scala di seta und seinen venezianischen
Impresario Cera auf die Schippe: „Mein Lieber! Als Ihr mir das Libretto zur
Seidenen Leiter zum Komponieren zuschicktet, habt Ihr mich wie einen dummen Jungen behandelt. Wenn es Euch ein Fiasko einbringen sollte, so werde
ich es Euch heimzahlen. Nun sind wir quitt!“10 1829 trug er seinem Freund
Gaetano Conti auf, einen gewissen Idolotto ins linke Ohr zu beißen und ihn
auf das rechte Auge zu küssen, „damit er Erregung und magnetische Zärt-
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lichkeit zugleich“ verspüre: „Diese entgegengesetzten Empfindungen sind
nötig, um denjenigen aufzurütteln, der aus Wissenschaft und Buttermilch
zusammengeknetet ist.“11 Besonders häufig entzündete sich sein Humor an
kulinarischen Fragen. Einmal ließ er einem Freund ausrichten, „er solle sich
auf einen Delikatessenkrieg vorbereiten“ und versprach, „beizeiten wohlriechende Würste und andere Kleinigkeiten“ zu schicken, „damit die Korona
der gemeinsamen Freunde, die Dich bei Tische beehren, den Schiedsrichter
abgeben kann“.12 Seinem „geliebten Marquis Busca“ dankte er 1864 für
„Orest und Pylades (die beiden Stracchinikäse)“ und versicherte, diese „beiden Kleinodien (die mir zärtlich Ihre Hochherzigkeit beweisen)“ seien ein
Trost für sein Herz, seinen Magen und seine Eigenliebe.13 Ein Jahr später
redete er den „berühmten Marquis Busca“ als „Gorgonzolafürst“ an und bat
ihn, ihm „diesen kühnen und neuen Wunsch zu erfüllen“, dass er „um des
Himmels willen doch selbstverständlich nicht den gewohnten lieblichen
Stracchinokäse entbehren“ könne, der ihm viel lieber sei „als die Orden,
Plaketten und Schnüre, die mir hochherzigerweise von verschiedenen Herrschern Europas übersandt werden.“14 Mit den Anredeformen pflegte er gern
Wortspiele, etwa wenn 1853 „der sogenannte Schwan von Pesaro an den
Adler der Estensischen Delikatessenhändler“ Giuseppe Bellentani schrieb.15
Wortspielereien sind auch ein wesentlicher Aspekt seines musikalischen
Humors, wie schon in den frühen Komödien in nahezu allen Gesangsstücken zu greifen ist. Luigi Rognoni zufolge bestehe Rossinis musikalische
Komik „fast immer in der rhythmisch-melodischen Deformation des Textes
und bestimmter, eine szenisch-musikalische Aktion charakterisierender Worte“.16 Diese „Mechanisierung des Wortes“ steht in einem engen Wechselverhältnis zu der von Rossinis Zeitgenossen viel diskutierten (und kritisierten)
„mechanischen Musik“.17 Rossinis Scharfsinn habe ihn stets aufs Neue dazu
veranlasst, „die Absurdität bestimmter konventioneller, oftmals sinnloser
Diskurse des alltäglichen Lebens und ihre aberwitzige Stilisierung seitens der
Librettodichter ins Lächerliche zu überführen.“18 Dabei sei er sich, Rognoni
zufolge, stets „der Absurdität der Kunstform Oper insgesamt bewusst“ gewesen, weshalb er sich auch „davor hütete, die Oper zu reformieren, wie es
etwa Gluck zu tun vorgegeben“ habe. Vielmehr ließ er sich auf sie ein „mit
all ihren Schemata und Konventionen und begann, diese neu zusammenzusetzen und nach seinem Gusto zu verwenden“, gemäß einer musikalischen
Sprache, die „auf der Grundlage eines sehr präzisen kommunikativen Elementes konnotiert“ sei, nämlich des Rhythmus.19 Rossini habe so einen „expressiven Realismus“ geschaffen, der in der Lage sei, „das Komische mit
dem Pathetischen in einem lebhaften musikalischen Diskurs zu verbinden“.20
Paolo Gallarati hat die Bedeutung des Rhythmus bei Rossini zur Konstituierung einer Komik der unmittelbaren Gegenwärtigkeit hervorgehoben:
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„Welches sind die charakteristischen Züge dieses großen rossinianischen Festes, dieses außergewöhnlichen und verspäteten Durchbruchs des Positiv-Komischen auf der
Musiktheaterbühne des 19. Jahrhunderts, dieses letzten Aufloderns einer nur fragmentarisch und in völlig anderer Weise überlieferten Tradition? (…) Die Opera buffa
Rossinis kennt weder Vergangenheit noch Zukunft: Tatsächlich bezieht sich die Unruhe der Erinnerung und der Vorahnung auf eine psychologische Innerlichkeit, die
sich mit großer Flexibilität in der Musik ausdrückt. Die chronometrische Skansion des
rossinianischen Rhythmus verweist dagegen allein auf die unmittelbare Gegenwärtigkeit des Augenblicks, auf die konkrete Präsenz des hic et nunc, welche durch das Bewusstsein der Lebensfreude mit Glück erfüllt wird.“21
Sprachspiele und Lautmalereien zählen zu den traditionellen komischen
Elementen der Opera buffa. Auch im Rekurs auf Onomatopoesie knüpfte
Rossini an bestehende Konventionen an, die er in unerschöpflicher Vielfalt
auf die Spitze trieb. Das „verrückteste“ Beispiel ist wohl die Stretta des zentralen Finales aus L’italiana in Algeri (1813). Der lautmalerische Text variiert
literarische Modelle, die schon in der komischen Oper des 18. Jahrhunderts
geläufig waren, so etwa im zweiten Akt von Domenico Cimarosas Il falegname
(Venedig 1784) nach einem Libretto von Giuseppe Palomba.22 Typisch ist
dabei die vokale Imitation von Instrumentenklängen, hier von Glocken,
Hammerschlägen und Kanonen (vgl. Notenbeispiel 2).
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TUTTI
Va sossopra il mio cervello,
Sbalordito in tanti imbrogli;
Qual vascel fra l'onde e i scogli
Io sto/Ei sta presso a naufragar.
ALLE
Mein Gehirn dreht sich im Kreise,
Mein Verstand weicht aus dem Gleise,
Wie ein Schiff in Sturm und Wellen
Wank’ ich taumelnd hin und her.
ELVIRA
Nella testa ho un campanello
Che suonando fa din din.
ELVIRA
So wie helle Glocken tönen,
Klingt’s im Ohre mir, din, din!
ISABELLA E ZULMA
La mia testa è un campanello
Che suonando fa din din.
ISABELLA UND ZULMA
So wie helle Glocken tönen,
Klingt’s im Ohre mir, din, din!
LINDORO E HALY
Nella testa ho un gran Martello
Mi percuote e fa tac tà.
LINDORO UND HALY
Wie ein Hammer in der Schmiede
Schlägt’s im Kopfe mir, tak, tak!
TADDEO
Sono come una cornacchia
Che spennata fa crà crà
TADDEO
Ich, wie ’ne gerupfte Krähe
Schrei in Einem fort, kra, kra!
MUSTAFÀ
Come scoppio di cannone
La mia testa fa bum bum.
MUSTAFÀ
Gleich dem Donner der Kanonen
Kracht es um mich her, bum, bum!
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