Jugendliche und Erwachsene mit angeborenem Herzfehler Eine Informationsbroschüre der Schweizerischen Herzstiftung Aktiv gegen Herzkrankheiten und Hirnschlag Danksagung Die Schweizerische Herzstiftung dankt den Autoren für die unentgeltlich erstellten Artikel sowie der Vereinigung CUORE MATTO und ihren Mitgliedern für die kompetente Beratung und engagierte Mitarbeit. Insbesondere danken wir der Gertrude von MeissnerStiftung (in Erinnerung an Annette und Clas Richter). Sie hat uns mit grosszügigen Spenden die Herausgabe dieser Broschüre ermöglicht. Herausgeber: Schweizerische Herzstiftung Schwarztorstrasse 18 Postfach 368 3000 Bern 14 Telefon 031 388 80 80 Fax 031 388 80 88 E-Mail: [email protected] www.swissheart.ch PC-Konto 30-4356-3 Autoren: Prof. Beat Friedli, Genf Prof. Andreas Hoffmann, Basel PD Dr. Erwin Oechslin, Zürich Dr. Noémi de Stoutz, Forch Doris Zemp, Buttisholz Mitglieder von CUORE MATTO Koordination der Texte: Prof. Hugo Saner, Olten/Bern Übersetzung: Prof. Beat Friedli, Genf Dr. Noémi de Stoutz, Sion Fotoporträts: Foto Wolf, Chur Illustrationen: Prof. Beat Friedli, Genf Lektorat und Druck: Schwabe AG, Basel Hinweis der Redaktion: Um den Text nicht schwerfällig zu machen, verwenden wir vorwiegend und damit stellvertretend für die weibliche Form die männliche Bezeichnung. Wir danken für Ihr Verständnis. © Schweizerische Herzstiftung, 3.2004 Inhaltsverzeichnis 2 Einleitung 7 Die verschiedenen Typen von Herzfehlern und ihre Auswirkungen 21 Anpassungen, Komplikationen und Begleiterkrankungen 29 Die wichtigsten und häufigsten Untersuchungsmethoden 35 Operationen und interventionelle Eingriffe 44 Medikamentöse Behandlung und Antikoagulations-Selbstkontrolle 53 Freizeit, Sport, Reisen und Höhenaufenthalte, Diensttauglichkeit, Führen eines Fahrzeugs 67 Sexualität, Empfängnisverhütung und Schwangerschaft 77 Psyche und soziale Beziehungen 81 Berufsausbildung und Anstellungsverhältnisse 84 Versicherungen 86 Behandlungskette 91 Fragen und Ängste von Betroffenen 93 Kontaktadressen 98 Diagramm «Ihr persönlicher Herzfehler» 100 Literaturhinweise Porträts von Betroffenen auf den Seiten 4 l 18 l 27 l 33 l 42 l 50 l 64 l 75 l 83 l 88 1 Einleitung Etwa eines von hundert Neugeborenen hat einen Herzfehler. Die Hälfte ist nicht schwer wiegend, wird manchmal erst viel später entdeckt und bedarf keiner Behandlung. Bei einem Viertel wird aber bereits im ersten Lebensjahr eine Behandlung und oft ein Eingriff notwendig. Viele Herzfehler können heutzutage dank grosser Fortschritte der chirurgischen und anästhesiologischen Technik frühzeitig operiert werden und hinterlassen dann vielfach keine wesentlichen Folgen. In den meisten Fällen sind jedoch weiterhin regelmässige Kontrolluntersuchungen auch im Erwachsenenalter notwendig, um spätere Komplikationen oder Folgeschäden zu vermeiden oder frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. 2 Vielleicht gehören Sie zu den Personen, die ihre ganze Kindheit und einen Teil ihrer Jugendjahre mit einem angeborenen Herzfehler verbracht haben. Während dieser Zeit waren es in erster Linie die Eltern, die sich um die notwendige Information und Unterstützung bemüht haben. Nun ist die Zeit gekommen, Ihren weiteren Lebensweg selbständig zu bestimmen. Damit Sie bei gesundheitlichen Beschwerden und im Umgang mit Ärzten, Versicherungen, Arbeitgebern und Behörden gut gerüstet sind, sollten Sie Ihre bisherigen Kenntnisse ergänzen und lernen, mit Ihrem Herzfehler gut umzugehen. Bedenken Sie, dass Ihr Herzfehler nur einen Teil von Ihnen ausmacht und seinen kleineren oder grösseren Platz in Ihrer ganz persönlichen Lebensgeschichte hat. Die vorliegende Broschüre enthält Informationen zu einzelnen Herzfehlern, deren Behandlung und zu verschiedenen medizinischen Fragen. Darüber hinaus finden Sie darin praktische und hoffentlich für Sie hilfreiche Ratschläge. Schliesslich kommen in der Broschüre Betroffene zu Wort: Menschen, die alle an einem angeborenen Herzfehler leiden und am Sommerlager 2003 der Vereinigung CUORE MATTO in Passugg (Graubünden) teilgenommen haben. Sie berichten aus ihrem Leben mit der Krankheit, welche die einen mehr, die andern weniger einschränkt. Ihre Berichte zeigen, wie man mit einem schweren Schicksal umgehen kann oder muss. Sie machen Mut. Die Broschüre kann nicht alle Ihre Fragen beantworten. Die Art und die Bedeutung Ihres Herzfehlers sollten Sie sich von Ihrem Arzt im Detail erklären lassen. Ihr Arzt und insbesondere Ihr Herzspezialist, weitere medizinische Fachpersonen, die Vereinigung CUORE MATTO und die Schweizerische Herzstiftung stehen Ihnen ebenfalls jederzeit für weiterführende und individuelle Fragen gerne Rede und Antwort. Für Ihren weiteren Lebensweg wünschen wir Ihnen von Herzen alles Gute. Schweizerische Herzstiftung 3 Mein Name ist Monika Rüegg Jeker, ich bin 41 Jahre alt, gelernte Bürokauffrau und seit Juni 2003 mit meinem langjährigen Lebenspartner verheiratet. Ich wurde 1962 mit einem Single Ventrikel und einem offenen Ductus Botalli geboren. Daraus entstand im Laufe der Zeit zusätzlich ein Eisenmenger-Syndrom. Die Ärzte prophezeiten mir kein langes Leben. Damals konnte der Herzfehler noch nicht operiert werden. Trotzdem konnte ich wie alle anderen Kinder die Primarschule besuchen. Während der Bezirksschulzeit hatte ich vermehrt mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Zum einen musste ich ein Korsett tragen, das meine Skoliose (Wirbelsäulenverkrümmung) stabilisieren sollte. Zum andern erlitt ich einige schmerzhafte Lungenembolien. 4 Nach der Schulzeit absolvierte ich eine kaufmännische Lehre bei der kantonalen Verwaltung. Anschliessend trat ich eine Stelle als Sachbearbeiterin bei einem Getränkekonzern an. Das 100-Prozent-Pensum bereitete mir keine grossen Probleme, bis ich 1985 eine Lungenblutung erlitt, die besonders schwer wiegend war, da ich zu dieser Zeit blutverdünnende Medikamente nahm. Nach diesem gesundheitlichen Rückschlag durfte ich auf Anraten der Ärzte noch fünfzig Prozent arbeiten. Mit zunehmendem Alter machte mir auch dies immer mehr zu schaffen, so dass ich mich Mitte 2001 entschloss, eine volle IV-Rente zu beantragen. Seit Ende 2001 amte ich in unserem Dorf als Gemeindeschreiberin. Das Nebenamt umfasst nur ein geringes Pensum, und ich kann die Arbeit zu Hause erledigen. So ist es mir möglich, die Zeit nach meinem gesundheitlichen Befinden frei einzuteilen, und ich habe trotzdem eine interessante und verantwortungsvolle Aufgabe. Daneben bleibt mir viel Freiraum, um beispielsweise – meist mit meiner Mutter als Gegnerin – Scrabble zu spielen. Ab und zu besuche ich meine Patenkinder oder gehe shoppen. An den Wochenenden treffen wir uns oft mit Freunden, gehen essen oder besuchen Konzerte. Gesundheitlich geht es mir seither einiges besser. Eine Korrektur des Herzfehlers wäre heute medizinisch zwar machbar, kommt aber wegen meinen geschädigten Lungen nicht in Frage. Sollte sich mein Gesundheitszustand wesentlich verschlechtern, wäre eine Herz-LungenTransplantation die einzige Option. Ausser auf sportliche Aktivitäten musste ich bisher auf wenig verzichten. Deshalb fühle ich mich durch meinen Herzfehler selten behindert. Ab und zu hadere ich dennoch mit meinem Schicksal, vor allem dann, wenn ein gesundheitlich schlechter Tag meine Pläne durchkreuzt. 55 Monika Rüegg Die verschiedenen Typen von Herzfehlern und ihre Auswirkungen Angesichts der grossen Vielfalt von Herzfehlern und ihres unterschiedlichen Schweregrades können die Auswirkungen von Patient zu Patient sehr verschieden sein. Bezüglich des klinischen Erscheinungsbilds gibt es drei grosse Gruppen: – Herzfehler, die zu ungenügender Pumpleistung führen (Herzinsuffizienz). – Herzfehler mit Blauverfärbung (Zyanose). – Herzfehler, die keinerlei Symptome verursachen. Anatomisch lassen sich vier hauptsächliche Missbildungen unterscheiden: 1. Defekte (Öffnungen) der Scheidewände, welche die rechten und linken Herzhöhlen voneinander trennen. 7 2. Verengungen von Klappen oder grossen Blutgefässen. 3. Abnormale Stellung der grossen Gefässe (Aorta, Lungenarterie, obere oder untere Hohlvene), einer Herzhöhle oder des ganzen Herzens. 4. Ungenügende Entwicklung von Herzhöhlen oder Gefässen, die zu klein sind oder sogar ganz fehlen. Verschiedene Kombinationen dieser Elemente erklären die grosse Vielfalt der bekannten Herzfehler, wobei bestimmte Kombinationen besonders häufig sind. Das Ziel dieser Broschüre ist es nicht, alle Herzfehler aufzuzählen und zu beschreiben. Wir werden nur einige Beispiele für jede der genannten Kategorien beschreiben. Um die Herzfehler zu verstehen, müssen wir uns zuerst die normale Anatomie und Funktionsweise des Herzens vergegenwärtigen. Abbildung 1 zeigt ein normales Herz, in dem die vier Herzhöhlen sauber getrennt sind. Das Blut vom Körperkreislauf kommt im rechten Vorhof und das Blut vom Lungenkreislauf kommt im linken Vorhof an. Aus den Vorhöfen gelangt das Blut in die Herzkammern (Ventrikel), welche die eigentliche Pumpleistung aufbringen. Die rechte Kammer schickt das blaue Blut in die Lungen, wo es sich mit Sauerstoff belädt und von wo es in den linken Vorhof gelangt. Die linke Kammer pumpt das rote sauerstoffreiche Blut in den Körperkreislauf. Abb. 1: Normale Anatomie des Herzens 1 rechter Vorhof 2 rechte Kammer (Ventrikel) 3 Lungenarterie, die das blaue Blut in die Lungen führt 4 linker Vorhof 5 linke Kammer (Ventrikel) 6 Aorta, die das rote Blut in den Körperkreislauf führt 6 3 4 Lunge 1 5 2 Defekte in den Scheidewänden und grossen Gefässen 8 Der Ventrikelseptumdefekt Abbildung 2 zeigt diesen sehr häufigen Herzfehler, der sich durch Herzinsuffizienz bemerkbar machen kann. Es besteht eine Öffnung zwischen den beiden Kammern (in der Scheidewand, dem Septum). In dieser Situation dringt das sauerstoffreiche Blut aus der linken Kammer (Ventrikel) durch die Öffnung in den rechten Ventrikel, weil der Druck in der linken Kammer höher ist. Abb. 2: Ventrikelseptumdefekt Sauerstoffreiches Blut fliesst vom linken in den rechten Ventrikel (wo ein tieferer Druck herrscht), vermischt sich mit dem blauen Blut und kehrt in die Lunge zurück In der Mehrheit der Fälle ist die Öffnung klein, es fliesst wenig Blut hindurch, und der Patient spürt nichts davon. Wenn die Öffnung grösser ist, geht viel sauerstoffreiches Blut über die rechte Kammer in die Lungen zurück. Der Herzmuskel ermüdet dann, und es kommt zur Herzinsuffizienz. Glücklicherweise haben diese Öffnungen die Tendenz, mit der Zeit spontan kleiner zu werden oder sich sogar ganz zu verschliessen, und sind dann bedeutungslos. Wenn ein kleines Loch bleibt, das nicht operiert werden muss, wird das den Patienten nicht stören. Es ist aber wichtig, darauf zu achten, dass für den Rest des Lebens eine Endokarditisprophylaxe (siehe Seiten 21, 22) durchgeführt werden muss. Der Vorhofseptumdefekt Abbildung 3 illustriert diesen häufigen Herzfehler. Auch hier dringt sauerstoffreiches Blut vom linken in den rechten Vorhof. Der Druck in den Vorhöfen ist aber gering, so dass kleinere Mengen Blut durch den Defekt fliessen als beim Ventrikelseptumdefekt. Daher kommt es nicht zur Herzinsuffizienz, und der Herzfehler wird oft während der ganzen Kindheit nicht bemerkt. Symptome treten häufig erst beim Erwachsenen auf in Form von Atemnot bei Anstrengungen oder Störungen des Herzrhythmus mit unangenehmem Herzklopfen und unregelmässigem Puls. Dieser Herzfehler wird aber doch meist in der Kindheit beim Abhören 9 (Auskultation) entdeckt. Wenn sich eine Überlastung der rechten Herzhöhlen zeigt, ist eine Operation notwendig. Ist die Öffnung jedoch sehr klein, so kann man darauf verzichten. Heute können gewisse Defekte mittels Herzkatheter, die in die Leistenvene eingeführt werden, behoben werden. Dabei wird mit einer kleinen, schirmförmigen Prothese das Loch verschlossen. Wenn ein Eingriff, sei es chirurgisch oder mit dem Katheter, rechtzeitig und mit Erfolg vorgenommen wurde, sind längerfristig keine Kontrollen mehr nötig. Abb. 3: Vorhofseptumdefekt Rotes, sauerstoffreiches Blut fliesst durch die Öffnung in den rechten Vorhof und in den rechten Ventrikel, mischt sich mit dem blauen Blut, und kehrt zurück in die Lunge Der offene Ductus Botalli Beim ungeborenen Kind ist der Ductus Botalli eine normale und lebenswichtige Struktur. Es handelt sich um ein kurzes Verbindungsgefäss zwischen der Lungenarterie und der Aorta. Dieser Kanal verschliesst sich spontan in den ersten Tagen nach der Geburt. Wenn er dennoch offen bleibt, kann das sauerstoffreiche Blut aus der Aorta (wo ein hoher Druck herrscht) in die Lungenarterie (wo der Druck niedriger ist) fliessen. Die Folgen sind bei einem grossen Ductus genau gleich wie beim Ventrikelseptumdefekt. Oft verschliesst sich aber der Ductus Botalli teilweise, so dass nur wenig Blut durchdringt. Dann wird dieser Herzfehler, der keine Beschwerden verursacht, erst spät, bei grösseren Kindern oder gar Erwachsenen, festgestellt. Es ist in jedem Fall wichtig, einen offenen Ductus Botalli zu verschliessen, um das Risiko einer Endokarditis zu vermeiden. Der Eingriff erfolgt bei kleinem Ductus mit einem Herzkatheter. Wenn der Kanal weit offen ist und erst spät entdeckt wird, besteht die Gefahr eines Lungenhochdrucks (Blutdruck in der Lungenarterie erhöht, zum Teil sogar höher als in der Aorta = Eisenmenger-Reaktion). Einfache Verengungen (Stenosen) 10 Stenose der Pulmonalklappe Die Pulmonalklappe, die am Ausgang der rechten Herzkammer sitzt, ist am häufigsten von einer Verengung betroffen (Abbildung 4). Die Verengung kann sehr unterschiedlich stark sein. Oft ist sie so geringfügig, dass sie zu keinen Beschwerden führt. Ausser in sehr schweren Fällen sind auch stärkere Verengungen recht beschwerdearm. Wenn es sich um eine grössere Verengung handelt, muss sie aber doch behoben werden. Abb. 4: Pulmonalstenose (Lungenklappenverengung) Die Pulmonalklappe ist verwachsen und öffnet sich unvollständig, so dass nur ein feiner Strahl Blut mittels hohen Drucks in die Lungenarterie gepumpt wird Die Klappe lässt sich meist mittels Herzkatheter erweitern (Ballon-Valvuloplastie). Nach einer solchen Erweiterung mit einem Ballon verengt sich die Klappe nur in Ausnahmefällen wieder. In diesem Fall kann der Eingriff wiederholt werden. Ein chirurgisches Vorgehen ist nur selten nötig. Stenose der Aortenklappe Diese führt viel häufiger zu Beschwerden. Die Aortenklappe sitzt am Ausgang der linken Herzkammer (Abbildung 5). Da sie ein Hindernis am Ausgang bildet, kann die Herzkammer ihre Pumpleistung bei Anstrengung nicht erhöhen. Bei körperlichen Anstrengungen kann es daher zu Ermüdbarkeit oder sogar zu Bewusstlosigkeit (Synkopen) kommen. Abb. 5: Aortenstenose (Aortenklappenverengung) Die Aortenklappe ist verwachsen und öffnet sich nur unvollständig. Unter hohem Druck pumpt die linke Kammer einen Strahl Blut durch die verengte Klappe in die Aorta 11 Beim Kind kann eine Stenose der Aortenklappe wie jene der Lungenklappe ohne Operation mit einem Ballon aufgedehnt werden, der mit einem Katheter eingeführt wurde. Bei Erwachsenen muss im Allgemeinen chirurgisch vorgegangen und die Klappe eventuell durch eine mechanische oder biologische Prothese ersetzt werden. Mit einer mechanischen Klappe ist eine lebenslange Blutverdünnung angezeigt, dies ist bei biologischen Klappen nicht notwendig. Hingegen haben biologische Klappen nach heutiger Erkenntnis eine beschränkte Lebensdauer. Für beide Arten von Klappenprothesen braucht es eine Endokarditisprophylaxe und regelmässige kardiologische Kontrollen. Koarktation der Aorta (Aortenisthmusstenose) Es handelt sich nicht eigentlich um einen Herzfehler, sondern um eine Fehlbildung der Aorta. Wie Abbildung 6 zeigt, besteht eine Verengung der absteigenden Aorta, unterhalb des Abgangs der Kopf- und Armarterien. Diese unterschiedlich starke Verengung bildet ein Hindernis für die Blutzufuhr in die untere Körperhälfte, also die Bauchorgane und Beine. Demzufolge ist der Blutdruck in Kopf und Armen hoch und jenseits des Hindernisses niedrig. Dieser Unterschied kann mit einem Blutdruckmessgerät festgestellt werden. Gewisse Formen der Aortenisthmusstenose verursachen schon beim Säugling schwere Störungen; andere werden sehr gut vertragen, und die Diagnose wird dann erst spät, beim Jugendlichen, gestellt. Es ist der Bluthochdruck am Arm, der den Verdacht einer solchen Missbildung aufkommen lässt. Die Anomalie sollte immer behoben werden – meistens chirurgisch –, vor allem bei jungen Patienten. Wenn sich die Aorta später wieder verengt, kann sie oft mit einem Ballonkatheter erneut erweitert werden. Dies erlaubt im Allgemeinen, den Blutdruck wieder zu normalisieren. Er kann aber, auch nach einer erfolgreichen Operation oder Aufdehnung, nach einigen Jahren wieder ansteigen. Kardiologische Kontrollen bleiben also nach diesen Eingriffen lebenslang nötig. 12 Abb. 6: Aortenisthmusstenose (Koarktation) Nach Abgang der linken Armarterie (Subclavia) findet sich eine Verengung der Aorta, wodurch der Blutstrom gehemmt wird und der Blutdruck im oberen Körperteil ansteigt Die wichtigsten zyanotischen Herzfehler mit vier Herzhöhlen Die Fallot-Tetralogie Dies ist der häufigste zyanotische Herzfehler. Er vereint zwei der oben besprochenen Anomalien, nämlich einen Ventrikelseptumdefekt und eine Pulmonalstenose. Letztere liegt vor der eigentlichen Klappe, im Muskel am Ausgang des rechten Ventrikels, und behindert den Zugang des sauerstoffarmen Blutes zu den Lungen. Daher entweicht Blut durch den Septumdefekt in Richtung Aorta (Abbildung 7). Das sauerstoffarme Blut in der Aorta führt zur Zyanose, das heisst Blauverfärbung der Haut und Schleimhäute. Ausserdem sind die äussersten Finger- und Zehenglieder verbreitert, man spricht von Trommelschlegelfingern. Die FallotTetralogie muss immer operiert werden, andernfalls erreichen die Patienten das Erwachsenenalter nur selten. Wenn die Operation früh und erfolgreich durchgeführt wird, können diese Personen ein praktisch normales Leben mit nur wenigen Einschränkungen führen. Immerhin sind regelmässige kardiologische Kontrollen und einige, in den nächsten Kapiteln beschriebene Vorsichtsmassnahmen zu empfehlen. 13 Abb. 7: Fallot-Tetralogie Die häufigste «blaue» Krankheit. Es besteht ein Kammerseptumdefekt kombiniert mit einer stark verengten Ausflussbahn zur Lungenarterie; die Aorta sitzt halbwegs über dem rechten Ventrikel. Blaues Blut fliesst folglich in die Aorta Die Transposition der grossen Arterien Dieser Herzfehler, der fast so häufig auftritt wie die Fallot-Tetralogie, entsteht durch eine verkehrte Verbindung der grossen Arterien mit ihren Herzkammern: Die Lungenarterie tritt aus dem linken statt aus dem rechten Ventrikel aus, die Aorta aus dem rechten statt aus dem linken Ventrikel (Abbildung 8). Diese Fehlbildung ist mit dem Leben nicht vereinbar, da das blaue, sauerstoffarme Blut direkt in den Körperkreislauf Abb. 8: Transposition der grossen Arterien Die Aorta entspringt dem rechten Ventrikel, die Lungenarterie dem linken Ventrikel. Ein Überleben nach der Geburt ist nur möglich, wenn rotes und blaues Blut ausgetauscht wird, zum Beispiel durch einen Vorhofseptumdefekt 14 zurückgeht, ohne sich in den Lungen mit Sauerstoff angereichert zu haben. Das Überleben ist jedoch möglich, wenn zwischen den Vorhöfen oder den Herzkammern eine Verbindung besteht, was doch recht häufig der Fall ist. Eine Verbindung zwischen den Vorhöfen kann auch notfallmässig beim Neugeborenen mittels Herzkatheter geschaffen werden, um ihm das Überleben zu ermöglichen. Eine chirurgische Korrektur muss sehr rasch darauf folgen. Heute werden dabei die grossen Gefässe am Ausgang ihres jeweils richtigen Ventrikels angeschlossen. Früher wurde das Blut aus den Hohlvenen in die linke und aus den Lungenvenen in die rechte Kammer geleitet (Operation nach Senning oder Mustard, siehe Seite 37). Diese Operation, die heute kaum noch durchgeführt wird, erlaubt, ein relativ normales Leben zu führen. Manche Patienten müssen aber Medikamente nehmen, um die rechte Herzkammer zu entlasten, die in die Aorta pumpt. Ausserdem kommt es manchmal zu verlangsamtem Puls, was selten Probleme verursacht, aber gelegentlich das Einsetzen eines Herzschrittmachers erforderlich macht. Komplexe Herzfehler, mit Fehlen einer Herzhöhle oder eines grossen Gefässes Fehlen eines Ventrikels Alle bisher dargestellten Herzfehler haben eines gemeinsam: Das Herz besteht aus den vier Herzhöhlen, d.h. zwei Vorhöfen und zwei Kammern der richtigen Grösse. Dies erlaubt, chirurgisch einen normalen Kreislauf herzustellen, bei dem das Blut aus einem Ventrikel in die Lungen, aus dem anderen in den Körper gepumpt wird. Eine solche symmetrische Ausbildung der rechten und linken Herzhöhlen kann jedoch fehlen. Tatsächlich gibt es Herzfehler, bei denen eine Kammer, meist ein Ventrikel, kaum oder gar nicht entwickelt ist. Es kann sich um den rechten oder den linken Ventrikel handeln. Der einzige Ventrikel muss dann die ganze Arbeit übernehmen, das heisst als Pumpe für den systemischen (Körper-) und den pulmonalen (Lungen-)Kreislauf dienen. Es ist unvermeidlich, dass sauerstoffarmes und -reiches Blut sich vermischen, so dass diese Patienten meist zyanotisch sind. Die Abbildungen 9 und 10 zeigen zwei klassische Situationen, bei denen beide Kreisläufe aus einer einzigen Kammer gespeist werden. In der einen (Abbildung 9) ist die Klappe zwischen dem rechten Vorhof und dem rechten Ventrikel vollständig verschlossen (Atresie der Trikuspidalklappe). Das Blut, das aus den Körpervenen in den rechten Vorhof zurückkommt, fliesst durch eine Öffnung in der Vorhofscheidewand (Septumdefekt oder Foramen ovale) und gelangt so über den linken Vorhof durch die verbleibende Klappe in den linken Ventrikel. Der rechte Ventrikel ist sehr klein und dient praktisch nur als Durchgang in die Lungenarterie, die Pumpfunktion wird vom linken Ventrikel allein übernommen. 15 Abb. 9: Trikuspidalatresie Die Trikuspidalklappe (zwischen rechtem Vorhof und rechter Kammer) ist verschlossen, der rechte Ventrikel stark unterentwickelt. Blaues Blut muss durch einen Vorhofseptumdefekt in den linken Vorhof fliessen, mischt sich mit rotem Blut und gelangt in die linke Kammer, die einzige effektive Pumpe. Dank einem Ventrikelseptumdefekt geht Blut in die kleine rechte Kammer und in die Lungenarterie. Die Lungenklappe ist oft verengt Im zweiten hier dargestellten Fall (Abbildung 10) sind die Klappen am Ausgang beider Vorhöfe normal, führen aber beide in eine einzige Kammer, die der linken Kammer entspricht (alleinige Kammer = «Single Ventricle» vom linken Typ oder linker Ventrikel mit doppeltem Eingang). Die rechte Kammer ist nur ein Anhängsel, das durch einen Ventrikelseptumdefekt mit dem linken Ventrikel verbunden ist und als Durchgang Abb. 10: Single Ventricle Hier sind beide Klappen von Vorhof zu Kammer offen, aber beide führen das Blut in den linken Ventrikel. Der rechte Ventrikel ist unterentwickelt und dient als Ausflussbahn zur Aorta, die Lungenarterie entspringt direkt dem linken Ventrikel (Transposition) 16 zur Aorta dient. Die Aorta entspringt also von der rechten Kammer, man spricht von Transposition. Diese komplexen Herzfehler haben gemeinsam, dass dem Lungenkreislauf keine eigene Pumpe zugeordnet werden kann. Die einzige Möglichkeit, die beiden Kreisläufe zu trennen, besteht darin, die Körpervenen oder den rechten Vorhof direkt, ohne zwischengeschaltete Pumpe, an die Lungenarterie anzuschliessen. Der Druck in der Lungenarterie muss dann tief sein, damit der Venendruck das sauerstoffarme blaue Blut durch die Lungen befördern kann (siehe Kapitel Operationen und interventionelle Eingriffe, Seite 38). Fehlen einer grossen Arterie Seltener kommen Herzfehler vor, bei denen beide Ventrikel gut ausgebildet sind, aber eine der grossen Arterien fehlt (oder sehr klein ist). Wenn die Lungenarterie fehlt, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder entspringen aus der Aorta eine linke und eine rechte Lungenarterie, man spricht dann vom gemeinsamen Arterienstamm (truncus arteriosus communis). Oder aber die Lungenarterien haben überhaupt keinen Kontakt zu einem Ventrikel oder der Aorta (Pulmonalatresie). In diesem Fall führen mehrere Arterien aus dem absteigenden Teil der Aorta Blut in die Lungenarterien. In beiden Situationen ist die chirurgische Korrektur schwierig, aber oft dadurch möglich, dass eine künstliche Pulmonalarterie oder ein transplantiertes Gefäss und eine Klappe eingebaut werden. Wenn die Aorta sehr klein ist, ist auch der linke Ventrikel zu klein (Linksherzhypoplasie), um eine Korrektur mit zwei funktionierenden Pumpen vornehmen zu können. Dieser Herzfehler erlaubt kein Überleben, wenn nicht bald nach der Geburt eine palliative Operation (Teilkorrektur, siehe Kapitel Operationen und interventionelle Eingriffe) durchgeführt wird. Andere Herzfehler Ebstein-Anomalie Es handelt sich um eine seltene Fehlbildung, bei der die Trikuspidalklappe, die den Durchgang vom rechten Vorhof zum rechten Ventrikel bildet, in den Ventrikel hinunter versetzt ist. Dadurch hat der Ventrikel ein reduziertes Volumen, während der Vorhof um einen Teil des Ventrikels vergrössert ist, der hier oberhalb der Klappe zu liegen kommt. Wenn das Säuglingsalter vorüber ist, wird dieser Herzfehler oft während der ganzen Kindheit und im frühen Erwachsenenalter gut vertragen. Die wesentlichen Probleme sind Herzrhythmusstörungen und eine Herzinsuffizienz, die spät auftritt. Oft besteht zusätzlich ein Defekt in der Vorhofscheidewand, so dass venöses Blut in den linken Vorhof gelangen kann, was zu einer Zyanose führt. Treten Symptome auf, ist ein chirurgischer Eingriff nötig. Die kongenital korrigierte Transposition der grossen Arterien Die kongenital korrigierte Transposition der grossen Arterien ist ein seltener Herzfehler. Wie der Name sagt, sind die grossen Arterien ausgetauscht, das heisst, die Aorta tritt aus dem rechten, die Lungenarterie 17 aus dem linken Ventrikel aus. Die Ventrikel haben aber ihre Stellung ebenfalls ausgewechselt: der linke Ventrikel liegt rechts und schliesst an den rechten Vorhof an; der rechte Ventrikel liegt links und nimmt das Blut aus dem linken Vorhof auf. Das sauerstoffarme blaue Blut geht also in die Lungen, das sauerstoffreiche rote Blut in die Aorta, also in den Körperkreislauf: Die Transposition ist durch die Fehlstellung der Ventrikel «korrigiert». Wo liegt nun das Problem? Die beiden Ventrikel sind nicht gleichwertig, sie haben eine unterschiedliche anatomische Struktur. Der rechte Ventrikel ist nicht dazu gedacht, ein Leben lang den Körperkreislauf (hoher Druck) zu speisen. Im Laufe der Jahre ermüdet deshalb der Ventrikel oder die Trikuspidalklappe wird undicht. Darum müssen regelmässige kardiologische Kontrollen durchgeführt werden. Ich heisse Donat Burkhalter und wurde 1959 geboren. Als ungewöhnlich ruhiger Bub wurde ich vom Einschulungsarzt wegen eines abnormen Herzgeräuschs an einen Kardiologen überwiesen. Vorerst war nicht klar, ob es sich um einen erworbenen oder angeborenen Herzfehler handelte. Erst später liess sich mit der Ultraschalltechnik eine angeborene inoperable Ebstein-Anomalie diagnostizieren. Endlich hatten meine Familie und ich eine Erklärung dafür, weshalb ich oft müde, antriebslos und körperlich weniger leistungsfähig war als gleichaltrige Kinder. Die Schulzeit erlebte ich unterschiedlich. In den ersten Jahren waren die Hänseleien und Übergriffe seitens der Mitschüler massiv. Dank tollen Kollegen gestalteten sich die letzten vier Jahre hingegen recht spassig. Die Mithilfe im elterlichen Lebensmittelgeschäft und in einer Buchdruckerei hatten mich körperlich etwas gestärkt. Schon lange stand mein Berufswunsch fest: Ich wollte Coiffeur werden. So begann ich 1975 die Ausbildung, drei Jahre als Herrencoiffeur in Solothurn und 11/2 Jahre als Damencoiffeur in Herzogenbuchsee. 18 Mit der Berufserfahrung, die ich mir inzwischen angeeignet hatte, erwarb ich 1981 den fünfplätzigen Salon meines ehemaligen Lehrmeisters in Solothurn. Mit der Zeit wurde die Belastung durch das eigene Geschäft und weitere Aktivitäten – ich sang in einem Männerchor und spielte in einem Akkordeonorchester – doch zu gross. 1992 rächte sich die Überlastung mit einem Spitalaufenthalt. Es wurde mir eine Lebenserwartung von nur noch drei bis fünf Jahren genannt. Erst nach einem vierwöchigen Aufenthalt in der Reha-Klinik in Seewis ging es langsam wieder aufwärts. Später erlitt ich einen Autounfall. Es folgten mehrere Hospitalisierungen, eine Operation und eine Neurodermitis-Behandlung. 2002 verkaufte ich den Coiffeursalon. Dank IV-Unterstützung habe ich meinen Beruf nun zum Hobby machen können. Viel Freude bereiten mir auch das Akkordeonspiel im Orchester und die Aktivitäten bei CUORE MATTO. Mir ist bewusst, dass die meisten Menschen Lebenskurven kennen; mit einer Behinderung sind sie eben doch schwerer zu ertragen. Donat Burkhalter 19 Anpassungen, Komplikationen und Begleiterkrankungen Bestimmte Komplikationen sind allen angeborenen Herzfehlern gemeinsam. Ein Beispiel ist die subakute bakterielle Endokarditis. Andere sind für einen Typ spezifisch. Schliesslich gibt es Komplikationen, die typischerweise nach chirurgischen Eingriffen auftreten, wie zum Beispiel Herzrhythmusstörungen. Subakute bakterielle Endokarditis Die Endokarditis ist eine Komplikation, die allen, auch sehr leichten Herzfehlern droht, ausser im Fall von Vorhofseptumdefekten. Sie wird durch im Blut zirkulierende Bakterien verursacht, die sich auf Anomalien (Verengungen, Öffnungen, Klappen) festsetzen und dort vermehren können. Es entsteht eine Infektion im Herzen, insbesondere auf den Klappen. Wie gelangen solche Bakterien ins Blut? Die wichtigsten Eintrittspforten sind der Mund und Infektionsherde. Wenn der Zahnarzt einen Zahn zieht oder auch nur Zahnstein radikal entfernt, wenn ein 21 Abszess oder Furunkel aufgeschnitten wird, haben die Bakterien aus dem Mund oder dem Infektionsherd Zugang ins Blut. Das ist bei jedermann der Fall. Wenn kein Herzfehler besteht, können sich die Bakterien (meistens) nicht am Endokard (Innenhaut des Herzens) fixieren, sie werden durch die Infektabwehr abgetötet. Wenn jedoch im Blutfluss Wirbel bestehen, beispielsweise durch abnormale Klappen oder Öffnungen, können sich die Bakterien dort fixieren. Die Endokarditis ist eine schwere Infektionskrankheit, die eine langdauernde Behandlung mit Antibiotika erfordert und Folgeschäden nach sich ziehen kann, insbesondere die Zerstörung von Klappen. Sie muss unter allen Umständen verhütet werden. Deshalb werden Personen mit angeborenem Herzfehler mündlich und schriftlich über die Massnahmen informiert, die bei Zahnbehandlungen, Magen- oder Darmspiegelungen oder bei chirurgischen Eingriffen in infizierten Gebieten ergriffen werden müssen. Eine Stunde vor Beginn der Prozedur muss das Antibiotikum geschluckt werden, damit es im Blut aktiv ist, wenn die Bakterien eindringen. Diese Vorbeugung ist zwar sehr nützlich, schützt aber nicht hundertprozentig vor einer Endokarditis. Bei Fieber über eine längere Zeit und verschlechtertem Allgemeinzustand muss an eine Endokarditis gedacht werden. Eine frühzeitige Behandlung erlaubt im Allgemeinen, die Infektion unter Kontrolle zu bringen, ohne dass Folgeschäden entstehen. Nach guten chirurgischen Korrekturen von Herzfehlern ist zum Glück eine Endokarditis viel seltener. Jeder Patient, ob operiert oder nicht, bekommt ein Kärtchen mit präzisen Anleitungen für Massnahmen zur Vorbeugung der Endokarditis. Es enthält eine Liste jener Eingriffe, die mit dem Risiko einer Bakteriämie (Eintritt von Bakterien ins Blut) verbunden sind, so dass die vorgängige Einnahme von Antibiotika nötig ist. Auch die empfohlenen Antibiotika und ihre Dosierung sind angegeben. Diese Kärtchen sind rot oder grün. Die rote Karte gilt für Patienten mit hohem Endokarditisrisiko, hauptsächlich Personen mit mechanischen oder biologischen Herzklappenprothesen, und solche, deren Herzfehler mit künstlichen Gefässen mit oder ohne Klappen korrigiert worden ist. Die grüne Karte gilt für alle anderen Patienten. 22 Die Liste der Risikoeingriffe ist nicht erschöpfend. Heute wünschen viele Junge, sich tätowieren zu lassen oder ein Piercing zu tragen. Es sind Fälle von Endokarditis auch nach solchen kosmetischen Prozeduren beschrieben worden. Der beste Schutz wird natürlich durch den Verzicht auf diese Eingriffe erreicht. Wer dennoch ein Piercing oder Tattoo unbedingt wünscht, muss sich dieses unter absolut sterilen Bedingungen anbringen lassen und zuvor Antibiotika einnehmen, besonders wenn das Piercing Schleimhäute (Nase, Mund) betrifft. Anpassungen und Komplikationen bei zyanotischen Herzfehlern Die zyanotischen Herzfehler haben gemeinsam, dass die Sauerstoffsättigung im arteriellen Blut vermindert ist. Der Körper reagiert mit einem ganz logischen Anpassungsmechanismus: Die Anzahl roter Blutkörperchen steigt an. Da jeder dieser Sauerstofftransporter (rotes Blutkörperchen) weniger Sauerstoff trägt, erlaubt deren höhere Anzahl, die im ganzen transportierte Sauerstoffmenge zu erhöhen. Dies ist – bis zu einer gewissen Grenze – durchaus sinnvoll. Wenn die roten Blutkörperchen zwei Drittel oder mehr des Blutvolumens ausmachen (Hämatokrit 65% oder höher), wird das Blut dickflüssig (höhere Viskosität) und fliesst langsamer durch die kleinsten Blutgefässe (Kapillaren). Es entsteht ein Stau wegen des dichteren «Verkehrs», und es gelangt eine geringere Sauerstoffmenge zu den Zellen. Die Menge der Blutkörperchen kann durch einen Aderlass verringert werden. Dies ist aber bei einem Hämatokrit unter 65 Prozent nicht angezeigt. Auch bei höheren Werten ist ein Aderlass nicht immer erforderlich. Gewisse Patienten ertragen einen Hämatokrit bis 70 Prozent gut. Wenn jedoch Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Schlaflosigkeit auftreten, muss Blut abgenommen und durch physiologische Kochsalzlösung ersetzt werden. Unter den infektbedingten Komplikationen der zyanotischen Herzfehler ist in erster Linie die Endokarditis zu nennen (siehe oben), dann auch der Hirnabszess. Da das Blut, das aus dem Körper zum Herzen zurückkommt, nicht durch die Lungen «gefiltert» wird, können kleine Gerinnsel, die Bakterien aus einem Infektionsherd enthalten, in die Aorta gelangen und in verschiedene Organe geschwemmt werden. Das Gehirn ist besonders empfindlich für diese Komplikation. Die Bakterien können sich an irgendeiner Stelle des Gehirns festsetzen und einen Abszess bilden. Bei Fieber mit Kopfschmerzen ist es daher wichtig, dass Personen mit zyanotischen Herzfehlern ihren Arzt aufsuchen. Herzinsuffizienz Herzinsuffizienz bedeutet, dass das Herz keine ausreichende Pump23 leistung erbringt, um eine normale Durchblutung der Organe zu ermöglichen. Dies kann zwei Gründe haben: Entweder wird ihm eine stark erhöhte Leistung abverlangt oder die Pumpe selbst ist geschwächt, das heisst, die Muskelkraft nimmt ab. Bei angeborenen Herzfehlern ist die Muskelkraft meist erhalten, jedenfalls bei Kindern und Jugendlichen. Die Hauptursache der Herzinsuffizienz ist hier also eine erhöhte Belastung. Zum Beispiel ist bei einem grossen Ventrikelseptumdefekt die Blutmenge, die gepumpt werden muss, bis zu dreimal höher. Dies ist eine klassische Ursache der Herzinsuffizienz beim Säugling. Hingegen ist die zu pumpende Blutmenge bei zyanotischen Herzfehlern nicht erhöht, in einigen Fällen sogar erniedrigt (Fallot-Tetralogie). Es kommt jedoch vor, dass im Erwachsenenalter eine Ermüdung des Herzmuskels auftritt und die Kontraktionskraft abnimmt, besonders bei komplexen Herzfehlern wie dem «Single Ventricle» (alleinige Kammer). Patienten mit Herzinsuffizienz verspüren Atemnot bei Anstrengungen, zum Beispiel beim Treppensteigen. Ihre Knöchel werden geschwollen. Es gibt heute sehr wirksame Medikamente gegen die Herzinsuffizienz (siehe Kapitel Medikamentöse Behandlung und Antikoagulations-Selbst- kontrolle). Wenn jedoch ein nicht operierter Herzfehler die Ursache der Herzinsuffizienz ist, kann ein chirurgisches Vorgehen oft zu einer Lösung des Problems führen. Herzrhythmusstörungen Das Herz schlägt normalerweise regelmässig, wobei die Frequenz sehr unterschiedlich ist, je nachdem ob man schläft, wach ist oder sich körperlich anstrengt. Sogar die gewöhnliche Atmung führt zu kleinen Schwankungen des Herzrhythmus. Eine Gruppe von Zellen im rechten Vorhof, Sinusknoten genannt, gibt entsprechend dem Bedarf den Rhythmus an. Er gibt elektrische Impulse, die durch das Herz geleitet werden und zur Kontraktion zuerst der Vorhöfe, dann der Kammern führen. Dieser perfekte Mechanismus kann auf verschiedene Arten gestört sein. Zellen ausserhalb des Sinusknotens, irgendwo im Herzen, können elektrische Reize aussenden, die den Herzrhythmus stören. Das kann bei jedermann, auch mit normalem Herzen, passieren und sich mit den Extrasystolen, die oft als Herzstolpern spürbar sind, äussern. 24 Herzrhythmusstörungen können dazu führen, dass das Herz viel zu schnell schlägt. Man spricht in diesem Fall von Tachykardie. Andererseits kann ein schlechtes Funktionieren des Sinusknotens oder ein blockiertes Reizleitungssystem, insbesondere im Leitungsbündel zwischen Vorhof und Ventrikeln, den Rhythmus stark verlangsamen, man spricht dann von Bradykardie. All diese Herzrhythmusstörungen kommen bei Menschen mit normalen Herzen zwar vor, aber sie sind bei Personen mit Herzfehlern häufiger. Bestimmte Rhythmusstörungen treten nach Operationen am offenen Herzen auf, entweder weil Narben die Ausbreitung der Reize verändern, oder weil der Sinusknoten während der Operation verletzt wurde. Ist der Herzrhythmus beschleunigt (Tachykardie), muss dies im Allgemeinen mit Medikamenten behandelt werden. Im Fall eines verlangsamten Rhythmus (Bradykardie) sind Medikamente nicht sehr nützlich, und es muss oft ein Herzschrittmacher eingesetzt werden. Personen mit Herzfehlern, ob operiert oder nicht, müssen wissen, dass es wichtig ist, rasch mit dem Kardiologen Kontakt aufzunehmen, wenn sie Herzstolpern spüren, plötzliche Schwindelanfälle bekommen oder in Ohnmacht fallen. Pulmonale Hypertonie Der Blutdruck im kleinen (Lungen-)Kreislauf ist normalerweise fünf- bis sechsmal niedriger als der systemische Druck (der am Arm gemessen wird). Wenn beide Kreisläufe verbunden sind, meistens wegen eines Ventrikelseptumdefekts, wirkt der systemische Blutdruck auch auf den Lungenkreislauf ein, und es entsteht eine pulmonale Hypertonie. Die Blutgefässe in der Lunge reagieren darauf mit einer Verdickung ihrer Wände, sie verengen sich oder verstopfen sogar ganz. Diese Lungengefässkrankheit wird Eisenmenger-Reaktion genannt. Wenn diese Reaktion eintritt, ist der Bluthochdruck in der Lunge nicht rückgängig zu machen (irreversibel), und es kann keine Operation mehr vorgenommen werden. Nur eine Herz-Lungen-Transplantation ist denkbar, die heute noch risikoreich ist. Eine frühe Operation kann die Entwicklung eines fixen und irreversiblen Lungenhochdrucks verhüten. Bei fortgeschrittener Eisenmenger-Reaktion wird der Druck in der Lungenarterie so hoch, dass sauerstoffarmes blaues Blut durch den Defekt von den rechten in die linken Herzhöhlen und in Richtung auf die Aorta hinüberfliesst: der Patient wird zyanotisch. Begleiterkrankungen Bei etwa einem Drittel der Patienten mit angeborenen Herzfehlern kommen zusätzliche Missbildungen vor, die nicht das Herz betreffen. Etwa 15–20 Prozent der Herzfehler sind Teil eines so genannten Syndroms, einer Zusammensetzung von Fehlentwicklungen an mehreren Organsystemen. Zudem gibt es eine ganze Reihe von Krankheiten, die als Folge eines angeborenen Herzfehlers erworben werden. Eine Verzögerung der intellektuellen Entwicklung kann als angeborene Behinderung (als Teil eines Syndroms, wie z.B. beim Down-Syndrom) oder seltener auch als Folge eines frühkindlichen Sauerstoffmangels in Erscheinung treten. Skelettdeformationen wie Skoliose, Anfallsleiden (Epilepsie) oder Muskellähmungen und -verkrampfungen sowie Lungenerkrankungen (Asthma, Infektionen) sind oft beobachtete Begleiterscheinungen. Gicht und Störungen im Blutbild (Zusammensetzung der Blutkörperchen) kommen als Folge einer chronischen Zyanose vor. Zu den Folgen früherer Operationen und Eingriffe (z.B. wiederholte Herzkatheteruntersuchungen) zählen Gefässverschlüsse von Arterien und Venen an Armen und Beinen, Narben meistens am Brustkorb, welche manchmal die Rippen miteinbeziehen und sichtbare Deformationen bewirken. 25 26 Andreas Meyer Ich heisse Andreas Meyer und bin 1978 mit einem Herzfehler – Fallotsche Tetralogie – zur Welt gekommen: Aufgewachsen und zur Schule gegangen bin ich in Wil. Dank einem Lehrer, der mich trotz meiner körperlichen Schwächen gezielt förderte, konnte ich die ganze Primarschule in der Regelklasse besuchen. In der Oberstufe wurde es einfacher: Die körperliche Leistungsfähigkeit stand nicht mehr im Vordergrund, und mit der Berufswahl wurden ganz andere Themen aktuell. Ja, die Berufswahl: Mein Kardiologe hätte mich wohl am liebsten in irgendeinem Büro versorgt, um mich vor körperlicher Anstrengung zu schützen. Ich wollte aber Schreiner lernen. Allerdings war es nicht ganz einfach, einen Lehrmeister zu finden, der bereit war, einen körperlich eingeschränkten Lehrling auszubilden. Nach einem Tag in der Werkstatt hatte ich keine Energie mehr für ein Hobby. Während dem ersten Lehrjahr wurde der lange angekündigte und dringend notwendige Kathetereingriff mit anschliessender notfallmässiger Operation am offenen Herzen vorgenommen. Letztere war in jenem Moment problematisch und risikoreich, entpuppte sich aber nachher als Glücksfall für mich. Auf diese Weise konnte ein Teil der Verengungen in den herznahen Blutbahnen operativ beseitigt werden, was dauerhafter ist als einzelne Katheterinterventionen. Nach der Erholungsphase war das 27 Resultat deutlich spürbar. Ich hatte viel mehr Lust und Energie, nach einem Tag in der Werkstatt noch etwas zu unternehmen. Damals wuchs auch der Wunsch, im Beruf mehr mit dem Kopf zu arbeiten, als nur die Ideen anderer umzusetzen. Ich schloss meine Lehre mit der Berufsmatura ab, die den Eintritt in eine technische Hochschule ermöglicht. Heute stehe ich kurz vor dem Abschluss meiner Zweitausbildung zum Raumplaner (Dipl. Ing. HS). Dank den Beziehungen, die ich während einem Praktikumsjahr im Tessin geknüpft habe, habe ich für die Zeit nach der Ausbildung dort bereits eine Stelle. Schon während der Lehre begann ich mich für die Selbsthilfegruppe CUORE MATTO zu engagieren. Auch wenn ich mich gesund fühle, ist das Thema Herzfehler für mich noch lange nicht erledigt. Es wird mich wohl ein Leben lang begleiten. Wie lange ich die Energie und die körperliche Leistungsfähigkeit haben werde, um ein so aktives Leben zu geniessen, weiss ich nicht. Zurzeit habe ich sie. Und wenn ich einmal gewisse Abstriche machen muss, werde ich Lösungen finden. Meine individuelle Lebensqualität wird darunter nicht leiden. Eine Begleiterkrankung bzw. deren Behandlung wird unter Umständen von den besonderen Kreislaufbedingungen der Herzpatienten und deren Behandlung beeinflusst. Ein wichtiges Beispiel dafür ist das Absinken des Blutdrucks bei Fieber, Flüssigkeitsverlust oder Narkose, das sich besonders ungünstig auswirkt auf den Kreislauf von Patienten mit Lungenhochdruck und Zyanose oder bei Patienten, die bereits unter einer stark blutdrucksenkenden medikamentösen Behandlung stehen. Bei komplizierten Herzfehlern ist deshalb eine Verständigung zwischen allen behandelnden Ärzten auch bei scheinbar «harmlosen» Eingriffen lebenswichtig und sollte von den Patienten selbst nachdrücklich verlangt werden. Frauenärzte, Narkoseärzte, Chirurgen und Zahnärzte sollten sich immer mit dem für Sie zuständigen Herzspezialisten in Verbindung setzen. 28 Die wichtigsten und häufigsten Untersuchungsmethoden In diesem Abschnitt werden die wichtigsten Untersuchungsmethoden kurz beschrieben. Weitere Informationen zu den Untersuchungsmethoden finden Sie in den entsprechenden Broschüren der Schweizerischen Herzstiftung. Wenn Sie den Grund einer Untersuchung oder die Untersuchungsmethode trotzdem nicht verstehen, sprechen Sie mit Ihrem Arzt und lassen Sie sich beraten. EKG Das Elektrokardiogramm (EKG) registriert die feinen elektrischen Ströme, die sich bei der Erregung des Herzens über dieses ausbreiten. Mit dem EKG werden bei Patienten mit angeborenem Herzfehler vor allem der Herzrhythmus, Erregungsausbreitungsstörungen im Herzen und Rhythmusstörungen untersucht. Die Frage nach einer Durchblutungsstörung des Herzens (Ischämie oder Herzinfarkt) stellt sich bei Patienten mit angeborenen Herzfehlern selten. 29 Holter-EKG Das Holter-EKG wird auch 24-Stunden-EKG genannt. Die Untersuchung wird ambulant durchgeführt. Der Patient soll während der Registrierung seinen üblichen Alltagsverpflichtungen nachgehen. 24-Stunden-Blutdruckmessung Ein Registriergerät misst während 24 Stunden in bestimmten Intervallen den Blutdruck und zeichnet ihn auf. Diese Untersuchung dient der Bestätigung oder dem Ausschluss eines zu hohen Blutdruckes (bei grenzwertigen Blutdruckwerten während der ärztlichen Untersuchung) und der optimalen Blutdruckeinstellung. Röntgenbild Das Röntgen ist eine alte und heute immer noch sehr wichtige Untersuchungsmethode. Bei Eintritt ins Erwachsenenalter wird in der Regel zur Standortbestimmung («Ausgangswert» für den weiteren Verlauf) ein Röntgenbild des Brustkorbs angefertigt. Echokardiographie Bei der transthorakalen Echokardiographie wird das Herz von aussen durch die Brustwand mittels Ultraschall untersucht. Bei Lungenerkrankungen und/oder Zustand nach Operationen kann die Bildqualität eingeschränkt sein. Bei der transösophagealen Echokardiographie wird das Herz von der Speiseröhre (Ösophagus) her, das heisst von hinten, mittels Ultraschall untersucht. Der Patient muss wie bei der Magenspiegelung eine Sonde schlucken. Der Vorteil liegt in der ausgezeichneten Bildqualität. Diese Untersuchung wird häufig während und am Schluss einer Herzoperation als Qualitätskontrolle durchgeführt. Belastungstest Ein Belastungstest kann mit dem Velo (Fahrrad-Ergometer) oder einem Laufband (Laufband-Ergometer) durchgeführt werden. Die Belastung auf dem Laufband ist natürlicher und wird in vielen Fällen der FahrradErgometrie vorgezogen. 30 Mit dem Belastungstest werden neben der Belastbarkeit auch Symptome, Puls und Blutdruckanstieg, Rhythmusstörungen und EKG-Veränderungen beurteilt. In speziellen Situationen wird eine Spiroergometrie durchgeführt, das heisst, neben den üblichen Messwerten werden über ein Mundstück oder eine Maske die anaerobe Schwelle (Übergang auf nicht primär sauerstoffabhängige Energiegewinnung) und die Sauerstoffaufnahme während der Belastung gemessen. Computer-Tomographie Das Computer-Tomogramm stellt den Körper in Schicht-Röntgenbildern dar, so dass krankhafte Veränderungen genau studiert werden können. Sein Nachteil ist die Strahlenbelastung. Dreidimensionale Darstellungen sind aber möglich und sehr informativ. Die Computer-Tomographie eignet sich zum Beispiel besonders gut für die Untersuchung der Brustschlagader. Magnet-Resonanz-Untersuchung (MRI) Diese sehr moderne Untersuchungsmethode bedient sich der elektromagnetischen Eigenschaften der Moleküle, und es entstehen Bilder mit sehr hohem Auflösungsvermögen. Die fehlende Strahlenbelastung ist ein grosser Vorteil. Die Methode darf aber bei Patienten mit einem Herzschrittmacher oder einem Defibrillator (ICD) nicht angewendet werden. Herzkatheter-Untersuchung Bei der Herzkatheter-Untersuchung wird durch die Punktion der Arterie und der Vene in der Leiste (gelegentlich auch in der Armbeuge oder einer Vene am Hals) ein Katheter in die grossen, herznahen Venen, zu den grossen Arterien und zum Herzen vorgeschoben. Die Untersuchung wird unter örtlicher Betäubung (Lokalanästhesie) durchgeführt (eine Narkose ist bei Adoleszenten und erwachsenen Patienten nicht notwendig). Sie dient der Druckmessung im Herzen und in den grossen Gefässen sowie der Darstellung der Gefässe und der Herzkammern durch die Injektion von Kontrastmittel. 31 Gabi Kobelt 32 Ich heisse Gabi Kobelt, bin 24 Jahre alt und die jüngste von drei Schwestern. Ich wohne in Olten. Meine Hobbys sind Kochen, vor allem asiatische und thailändische Gerichte, und Einkaufen in SpezialitätenLäden. Und nun zu meiner Krankheit: Ich habe ein Noonan-Syndrom. Das bedeutet Kleinwuchs, Blutgefässmissbildung mit inneren Blutungen, Organmissbildung und neben anderem natürlich auch einen Herzfehler. Bis zur 6. Klasse besuchte ich die Schule in Olten, die 7. und 8. Klasse im Töchterinstitut Marienburg in Wikon bei Ordensschwestern. Es ging mir gesundheitlich so schlecht, dass ich nicht einmal den Schulweg bewältigen konnte. Nach diesen zwei Jahren durfte ich im Rossfeld in Bern, einer Institution für körperbehinderte Menschen, einen kaufmännischen Beruf erlernen. Im Jahr 2002 habe ich die Bürolehre abgeschlossen. Bei meiner ersten Herzoperation war ich 15 Jahre alt. Ich musste die Pulmonalklappe erweitern lassen, die zu eng war (Stenose). Weil es mir so schlecht ging, musste ich rund sechs Monate im Inselspital in Bern bleiben. Ich weiss von dieser Zeit fast nichts mehr. Ich hatte fürchterliche Ödeme in den Beinen und Lungen bekommen, welche die Ärzte fast nicht mehr zu heilen wussten. Dazu kamen noch Magen- und Darmblutungen. Der Tod wartete an meinem Bett. Wie durch ein Wunder stoppten Kortisonpillen die Blutungen. Die zweite Herzoperation erfolgte im Januar 2003 wiederum im Inselspital, wo ich einfühlsam betreut wurde. Wegen dem Wachstum hatte sich meine eigene Herzklappe zu stark erweitert. Ich musste einen Klappenersatz haben. Ich bekam einen so genannten Homograft (menschliche Klappe). Anschliessend musste ich für vier Wochen zur Kur nach Gais. Danach ging ich dreimal pro Woche zur Rehabilitation ins Kantonsspital Olten. Die IV hat mich aufgrund meiner vielen gesundheitlichen Probleme zu hundert Prozent arbeitsunfähig erklärt. Trotzdem bin ich bestrebt, eine meiner Leistungsfähigkeit entsprechende Teilzeitarbeit zu suchen. Bei der heutigen Arbeitsmarktlage ist dies für Behinderte aber sehr schwierig. 33 Operationen und interventionelle Eingriffe Dank bedeutenden Fortschritten in der Medizin während der letzten vierzig Jahre können heute auch komplizierte Herzfehler bereits in den ersten Lebenswochen operativ behandelt werden. Neben grossen Fortschritten und Erfahrungen in der Herzchirurgie haben neue Erkenntnisse in diagnostischen Verfahren, in der Herzanästhesie, der Intensivmedizin, der Pflege, der Physiotherapie usw. zum Erfolg in der Behandlung von angeborenen Herzfehlern beigetragen und vielen Kindern das Überleben ins Erwachsenenalter ermöglicht. Teiloperation – palliative Operation Das Ziel der Teiloperation oder des Palliativeingriffs ist die Verbesserung der Symptome und der Lebensqualität. Der Herzfehler wird in seiner Anatomie nicht oder nur unwesentlich verändert (z.B. der Kammerscheidewanddefekt wird nicht verschlossen), das heisst, die wichtigsten Defekte bleiben bestehen und werden nicht angerührt. Die meisten palliativen Eingriffe werden (als vorbereitende Massnahme) 35 zur Verbesserung der Lungendurchblutung und somit zur Linderung der Zyanose bei ungenügendem Blutfluss in die Lunge durchgeführt. So wird beispielsweise zwischen der linken Armarterie und der linken Lungenarterie eine Verbindung hergestellt zur Verbesserung der Lungendurchblutung (der Patient ist weniger zyanotisch oder weniger «blau»). Ein palliativer Eingriff kann sein: 7 Ein erster Schritt zur definitiven Operation, weil das Kind noch zu klein oder zu krank für die definitive Operation ist. 7 Eine Behandlungsmöglichkeit zur Verbesserung der Symptome, weil der Herzfehler wegen des Schweregrades nicht definitiv operiert werden kann. Reparative Operation In der Vergangenheit wurde häufig von Totalkorrektur eines Herzfehlers gesprochen. Dieser Begriff beinhaltet eine vollständige Korrektur des Herzfehlers (d.h. keine Restbefunde) und lässt vermuten, dass in Zukunft keine Operationen mehr notwendig sein werden – der Herzfehler ist ja total korrigiert. In den letzten Jahren lernten wir aber, dass dieser Begriff nur für einzelne Herzfehler (z.B. offener Ductus arteriosus Botalli, Vor- hofseptumdefekt) Gültigkeit hat. Für viele Herzfehler ist er aus folgenden Gründen nicht ganz zutreffend: 7 Die abnormale Verbindung zwischen den Ventrikeln und den grossen Arterien nach der Operation einer Transposition der grossen Arterien (z.B. Vorhofumkehr nach Senning) besteht immer noch, das heisst, der rechte Ventrikel pumpt das Blut in den Körper. 7 Obwohl ein ausgezeichnetes Operationsresultat besteht, kann nach Verschluss eines grossen Ventrikelseptumdefekts immer noch eine kleine Verbindung zwischen den beiden Ventrikeln oder eine Einengung über einer Klappe bestehen (z.B. Conduit mit biologischer Klappe). 7 Das zur Herstellung der Verbindung verwendete Prothesematerial wird mit dem Wachstum zu klein, altert und muss wieder ersetzt werden, das heisst, eine erneute Operation ist vorprogrammiert. 36 Der bis anhin verwendete Begriff «Totalkorrektur» wird deshalb zunehmend durch den Begriff «reparative Operation» ersetzt. Beispiele: 7 Eine eingeengte Klappe wird plastisch erweitert oder durch eine künstliche Klappe ersetzt. 7 Undichte Herzklappen werden rekonstruiert (vor allem Mitralklappe) oder ersetzt (z.B. biologische oder mechanische Herzklappen). 7 Nach der Operation einer Fallot-Tetralogie mit Verschluss des Ventrikelseptumdefekts und Behebung der Einengung im Ausflusstrakt des rechten Ventrikels besteht häufig eine Resteinengung, eine Undichtigkeit der Pulmonalklappe (Klappe zwischen Lungenarterie und rechter Ventrikel) und /oder eine Undichtigkeit des mittels Patch verschlossenen Ventrikelseptumdefekts (Abbildungen 11a und b). Abb. 11a und b: Operation der Fallot-Tetralogie a) Seitenanblick der Tetralogie: LV = linker Ventrikel RV = rechter Ventrikel PA = Pulmonalarterie (Lungenarterie) Ao = Aorta b) Nach der Operation: Der Ventrikelseptumdefekt ist mit einem «Patch» verschlossen, und die Ausflussbahn zur Lungenarterie ist erweitert worden. Oft besteht eine undichte Pulmonalklappe, nachdem diese chirurgisch eröffnet wurde (Pfeil) a) b) Ao PA LV RV 7 Bei einer Transposition der grossen Arterien – die Lungenarterie entspringt aus dem linken Ventrikel und die Aorta aus dem rechten Ventrikel – wurde das Blut in der Vergangenheit auf Ebene des Vorhofs auf die Gegenseite umgeleitet (z.B. Vorhofumkehr nach Senning). Somit besteht eine funktionelle (das Blut fliesst nun richtig), aber nicht eine anatomische Korrektur (der rechte Ventrikel ist weiterhin mit der Aorta verbunden und pumpt das Blut in den Körper anstatt in die Lunge) (Abbildung 12). Abb. 12: Operation nach Senning oder Mustard im Falle der Transposition Durch eine komplexe Kanalisation der Vorhöfe, nachdem die Scheidewand herausgeschnitten wurde, kann nun sauerstoffarmes Blut in den linken Ventrikel und so in die Lungenarterie fliessen (blaue Pfeile), während sauerstoffreiches Blut in den rechten Ventrikel und so in die Aorta gelangt (rote Pfeile) 37 7 Eine schwere Einengung (z.B. Aortenisthmusstenose, Stenose der Ausflussbahn des linken oder rechten Ventrikels) kann auch durch einen Bypass überbrückt werden. 7 Bei komplexen Herzfehlern wird das Blut zur Trennung der Kreisläufe vom rechten Vorhof direkt in die Lungenarterie geleitet, womit nur noch ein Ventrikel die Pumpleistung für den Kreislauf aufbringt (Fontan-Operation mit univentrikulärer Zirkulation) (Abbildungen 13a und b). Abb. 13a und b: Operationen im Falle von Trikuspidalatresie oder Single Ventricle (so genannte FontanZirkulation) a) a) Klassische Fontan-Operation, wobei der rechte Vorhof mit der Lungenarterie verbunden wird; der Vorhofseptumdefekt wurde verschlossen, so dass alles sauerstoffarme Blut in die Lunge fliesst, ohne Hilfe einer Pumpe (hier in einer Trikuspidalatresie) b) Total Cavo-pulmonary Connection. Beide Hohlvenen werden separat in die Lungenarterie geführt (hier in einem Single Ventricle) b) 38 Schrittmacher Bei angeborenen Herzfehlern und erworbenen Herzerkrankungen können Reizleitungsstörungen (Blockierungen) entstehen, das heisst, das Herz schlägt viel zu langsam. Die zu langsame Herzfrequenz kann sich in einer Leistungsabnahme oder im Extremfall in einem kurzen Bewusstseinsverlust äussern. Der Schrittmacher wird bei Reizleitungsstörungen eingepflanzt. Er registriert jeden Herzschlag. Wenn die Herzfrequenz zu langsam ist, gibt er dem Herzen einen elektrischen Impuls, den man nicht spürt. Der Eingriff ist bei Patienten ohne angeborenen Herzfehler ein Routineeingriff. Bei Patienten mit einem angeborenen Herzfehler kann er aber wegen der schwierigen Anatomie und den Voroperationen kompliziert sein, weshalb in solchen Fällen die Implantation in der Regel in einem Zentrum mit Erfahrung in der Betreuung von Patienten mit angeborenem Herzfehler erfolgt. Für weitere Details siehe Broschüre «Herzschrittmacher» der Schweizerischen Herzstiftung. Radiofrequenzablation Diese Behandlung erfolgt mittels Kathetertechnik, das heisst, es wird über eine Vene oder über eine Arterie ein Katheter eingeführt. Rhythmusspezialisten können mittels dieser Technik einen instabilen Herd, der Rhythmusstörungen verursachen kann, im Herzen lokalisieren und durch die lokale Verabreichung von Wärme veröden und ausschalten. Interner Defibrillator (ICD = Internal Cardioverter Defibrillator) Neben den Blockierungen mit zu langsamem Puls kann das Herz ohne Grund auch viel zu schnell schlagen (Tachykardien). Einige dieser Rhythmusstörungen können bedrohlich sein (Kammertachykardie). Der interne Defibrillator (ICD) erkennt solche schnellen Herzrhythmen, analysiert sie und führt den Rhythmus durch die Abgabe eines Impulses wieder in einen normalen Rhythmus über, das heisst, der schnelle Puls wird unterbrochen. Für weitere Details siehe Broschüre «Herzrhythmusstörungen» der Schweizerischen Herzstiftung. Herztransplantation Die Herztransplantation ist heute eine weltweit akzeptierte Behandlungsmethode, wenn die Pumpfunktion des Herzens schwer ein39 geschränkt ist. Voraussetzungen für eine Herztransplantation sind: 7 Schwere Symptome, Einschränkungen der Lebensqualität und der Lebenserwartung trotz optimaler Einstellung der medikamentösen Therapie und Ausschöpfung sämtlicher herzchirurgischer Methoden (z.B. Ersatz einer Herzklappe). 7 Lebensbedrohliche, schwierig behandelbare Rhythmusstörungen. 7 Keine schweren anderen Erkrankungen (ausser der Herzerkrankung), die den Erfolg der Herztransplantation in Frage stellen bzw. gefährden. 7 Bereitschaft und Fähigkeit zur Einhaltung einer komplizierten medizinischen Behandlung. Das Mitmachen des Patienten und der Angehörigen ist unabdingbar. Der Zeitpunkt der Herztransplantation wird auch bestimmt durch das Risiko des Spontanverlaufs der Herzerkrankung und das Risiko der Herztransplantation, das heisst, der Zeitpunkt ist gekommen, wenn das Risiko der Herztransplantation kleiner ist als das Risiko des Spontanverlaufs der Herzkrankheit. Folgende Punkte sind wichtig: 7 Frühzeitiges Gespräch mit dem behandelnden Arzt über die Möglichkeit einer Herztransplantation, damit der einschneidende Entscheid für oder gegen die Herztransplantation in Ruhe getroffen werden kann. Dieser Entscheid reift meistens über Wochen bis Monate gemeinsam bei Betroffenen und bei den betreuenden Ärzten. 7 Möglichst früh soll auch ein Arzt mit Erfahrung in der Transplantationsmedizin in die Betreuung miteinbezogen werden. So kann ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden und die Betroffenen erhalten eine kompetente Beratung über Erfolgschancen, Nachbetreuung u.a.m. 40 Die Aussichten sind nach erfolgreicher Herztransplantation meistens gut bis sehr gut. Patienten mit einem angeborenen Herzfehler verfügen nach der Transplantation häufig über eine bessere Leistungsfähigkeit als je zuvor in ihrem Leben. Für die gewonnene Lebensqualität wird jedoch ein Preis bezahlt: 7 Regelmässige, lebenslange Kontrollen. 7 Regelmässige, ambulant durchgeführte Herzmuskelbiopsien (Entnahme von Herzgewebe aus dem rechten Ventrikel) zur Überwachung der Abstossungssituation. Die Biopsie ist jedoch eine schmerzlose Untersuchung. 7 Konsequente Einnahme von Medikamenten zur Unterdrückung des Abwehrsystems (Immunsuppression), damit das Organ nicht abgestossen wird. 7 Viele Patienten benötigen auch Medikamente zur Behandlung des erhöhten Blutdrucks und weiterer Begleiterkrankungen. Interventionen Interventionen beinhalten Behandlungen mittels Kathetertechniken, das heisst, über eine Vene oder eine Arterie wird ein Katheter, beispielsweise zur Erweiterung einer verengten Herzklappe oder zum Verschluss einer Verbindung zwischen zwei Herzhöhlen, eingeführt. Das Angebot und der Therapieerfolg dieser Eingriffe haben sich in den letzten Jahren stets erweitert und verbessert. Die Vorteile sind gross: 7 Die meisten Eingriffe erfolgen im Wachzustand. 7 Ein Hautschnitt (mit Narbe) ist nicht notwendig. 7 Dem Patienten bleibt eine Operation, eventuell mit Herz-LungenMaschine, erspart. Folgende Eingriffe bieten sich an: Erweiterung von eingeengten Herzklappen (Valvuloplastie) oder Gefässen (Angioplastie) Ein aufblasbarer Ballon wird zu einer eingeengten Herzklappe vorgeschoben und nach der Positionierung aufgeblasen (z.B. Lungenklappe, Mitralklappe). Wird der Eingriff durch einen erfahrenen Untersucher vorgenommen, ist das Risiko niedrig. Das Behandlungsresultat ist bei sorgfältiger Auswahl der Patienten gut bis sehr gut. Mit dieser Methode werden auch Gefässe, meistens Lungenarterien, erweitert (Angioplastie). Weil sich bei der Anwendung dieses Verfahrens das erweiterte Gefäss nicht selten wegen Schrumpfung der Gefässwand oder des Narbengewebes wieder einengt, wird zur Stabilisierung und zum Offenhalten des Gefässlumens gleichzeitig ein Stent (Gitternetz aus rostfreiem Edelstahl) implantiert. Heute werden in Zentren mit entsprechender Erfahrung auch Aortenisthmusstenosen (Einengung der Aorta nach dem Abgang der linken Armarterie) mittels Ballonerweiterung und gleichzeitiger Implantation eines Stents behandelt. Die Kurzzeitresultate sind vielversprechend, Langzeitresultate fehlen noch. Verschluss von abnormen Verbindungen Mittels Kathetertechniken können abnorme Verbindungen verschlossen 41 werden: Ein offener Ductus arteriosus Botalli (Verbindung zwischen Aorta und Lungenarterie) oder ein Vorhofscheidewanddefekt durch die Implantation eines «Schirmchens». Abnorme Verbindungen zwischen Arterien und Venen werden durch die Platzierung von Metallspiralen (Coils) verschlossen. Die Coils rollen sich im Gefäss auf und führen durch Bildung eines Blutgerinnsels (Thrombus) zum Verschluss des Gefässes. Ich bin Sybille Haller. Ich wurde 1974 geboren und habe eine extreme Fallotsche Tetralogie. Das heisst, dass ich zyanotisch bin (Blaufärbung der Fingernägel und Lippen). Wenn ich längere Strecken gehen muss, ermüde ich meistens sehr schnell, und das Treppensteigen ist für mich eine grosse Anstrengung. Deshalb bin ich auf einen Rollstuhl und ein Elektromobil angewiesen. Je nach dem geht es mir manchmal etwas besser oder etwas schlechter. Ich mache Physiotherapie und Reittherapie (Hippo). Diese Behandlungen tun mir gut und helfen mir, den Alltag etwas besser zu bewältigen. Das «Reiten» macht mir Freude und erheitert. Ich bin gerne bei den Pferden. Die Reittherapie kräftigt die Rückenmuskulatur und die Muskeln überhaupt und lockert, wenn ich Schmerzen habe. Ich gehe fast jeden Monat zum Hausarzt und einmal im Jahr zum Herzspezialisten. 42 Zweimal haben mich die Ärzte zu operieren versucht, einmal als Kind und einmal als junge Erwachsene. Im Verlaufe des Eingriffs mussten sie feststellen, dass die Operation nicht gelingen würde. Das war für mich eine grosse Enttäuschung. Als einzige Möglichkeit bliebe eine HerzLungen-Transplantation. Darauf will ich mich nicht einlassen. Das Risiko wäre viel zu gross. Manchmal geht es mir doch recht gut, wenn es dazwischen auch wieder schwerere Zeiten gibt. Man muss das Beste aus dem Leben machen. Man lebt ja nur einmal! Beruflich habe ich einmal eine Büro-Anlehre der IV in der Rodtegg Luzern gemacht. Jetzt arbeite ich im Arbeitszentrum für Behinderte in Strengelbach. Leider nicht mehr so oft im Büro, so dass ich mich manchmal frage, wieso ich eine Büro-Anlehre absolviert habe. Statt in der Werkstatt Sichtmäppli polieren und zählen zu müssen, möchte ich wieder mehr anspruchsvollere Büroarbeiten erledigen. Doch genug gejammert. Lieber erzähle ich noch etwas über meine Hobbys: Das sind Briefe und E-Mails schreiben, Spielen und Arbeiten am Computer, etwas Handarbeiten, Radio hören oder fernsehen. Meinen Haushalt besorge ich selber. Ich lebe in einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung. Es macht mir grosse Freude, meine eigene Wohnung zu haben. Im Haushalt gibt es leichtere und schwerere Arbeiten. Bei den schwereren Arbeiten nehme ich mir halt mehr Zeit. Sybille Haller 43 Medikamentöse Behandlung und AntikoagulationsSelbstkontrolle Allgemeine Überlegungen Vor jeder medikamentösen Behandlung sollten Sie Antworten auf folgende Fragen verlangen: 7 Warum erhalte ich ein Medikament? 7 Wie lange muss ich es nehmen? 7 Welche Wirkungen und Nebenwirkungen hat das Medikament? 7 Verträgt sich das Medikament mit bestimmten Medikamenten nicht oder wird seine Wirkung abgeschwächt oder verstärkt? 44 WICHTIG: Patienten mit zyanotischen Herzfehlern (Blauverfärbung der Haut) und Patienten, die so genannte Blutverdünnungsmittel einnehmen, wird empfohlen, vor jeder Einnahme eines neuen Medikaments Rücksprache mit dem behandelnden Arzt bzw. Kardiologen zu nehmen. Schmerzmittel (z.B. Aspirin, Rheumamittel) können die Blutungsneigung erhöhen und zu schwer wiegenden Nebenwirkungen und Folgen führen! Medikamente mit Herz-Kreislauf-Wirkung Nachfolgend werden die wichtigsten Medikamente mit Herz-KreislaufWirkung besprochen, wobei die aufgeführten Indikationen und Nebenwirkungen nicht abschliessend sind. Angiotensin-Converting-Enzyme-Hemmer (ACE-Hemmer) Die ACE-Hemmer senken den Widerstand im Systemkreislauf, das heisst, der Blutdruck sinkt und das Herz wird durch die Reduktion der Herzarbeit entlastet. Indikationen: Hoher Blutdruck; Herzmuskelschwäche. Wichtigste Nebenwirkungen: Husten; Schwindel wegen zu tiefem Blutdruck; Einschränkung der Nierenfunktion (deshalb regelmässige Kontrolle der Nierenfunktionen). Diese Nebenwirkung wird bei jungen Menschen sehr selten festgestellt. Angioödem, das heisst Schwellung von Lippen und Zunge, worauf sofort der Arzt aufgesucht werden muss (sehr seltene Nebenwirkung). WICHTIG: ACE-Hemmer dürfen während der Schwangerschaft wegen Nebenwirkungen auf das Kind nicht eingenommen werden! Diuretika Diuretika sind wassertreibende Medikamente. Sie reduzieren das Blutvolumen und die Stauung im Kreislauf. Indikationen: Herzmuskelschwäche; hoher Blutdruck (arterielle Hypertonie). Nebenwirkungen: Sehr selten; zu tiefer Blutdruck; Durst, wenn zu hoch dosiert; Kalium-Magnesium-Mangel. Digitalis Digoxin wird seit Jahrzehnten in der Medizin bei Herzschwäche (Herzinsuffizienz) verabreicht. Heute stehen aber viel wirksamere Medikamente zur Behandlung von Herzschwäche zur Verfügung, so dass Digoxin an Bedeutung verloren hat. Indikationen: Herzmuskelschwäche; gewisse Herzrhythmusstörungen. Nebenwirkungen: Rhythmusstörungen; Appetitlosigkeit; Übelkeit und /oder Erbrechen; Veränderung des Farbsehens vor allem im GrünGelb-Bereich. Die gleichzeitige Verabreichung von anderen Medikamenten, insbesondere Medikamente zur Stabilisierung des Herzrhythmus, kann die Wirkung wie auch die Nebenwirkungen von Digoxin verstärken. Betablocker Betablocker blockieren die Beta-Rezeptoren an Herz und an Gefässen, die wichtig sind für die Übertragung der Signale des unwillkürlichen Nervensystems (Sympathikus) und der Hormone (z.B. Adrenalin). Sie verlangsamen unter anderem die Herzfrequenz und senken den Blutdruck. Indikationen: Hoher Blutdruck (Hypertonie); Durchblutungsstörungen des Herzens (Angina pectoris oder nach Herzinfarkt); Rhythmusstörungen. Nebenwirkungen: Müdigkeit; Asthma; Potenzstörungen; Schwindel bei zu tiefem Blutdruck; langsame Rhythmusstörungen. 45 Antiarrhythmika Antiarrhythmika sind Mittel zur Stabilisierung des Herzrhythmus. Es gibt verschiedene Antiarrhythmika mit unterschiedlichen Wirkungsmechanismen. Die wichtigsten Vertreter sind Betablocker, Sotalol, Amiodarone, Flecainid und Propafenon. Indikation: Rhythmusstörungen, die vom Vorhof (z.B. Vorhofflimmern, Vorhofflattern) oder von der Herzkammer (z.B. Kammertachykardien) ausgehen. Nebenwirkungen: Das Nebenwirkungsprofil dieser Medikamente ist verschieden. Orientieren Sie sich vor Einnahme eines solchen Medikaments beim Arzt und anhand der Patienteninformation, die der Medikamentenpackung beiliegt. Orale Antikoagulantien 46 Orale Antikoagulantien sind Blutverdünner, das heisst, sie blockieren den Gerinnungsprozess, so dass keine Thromben (Blutgerinnsel) entstehen. Der im Volksmund verwendete Begriff «Blutverdünnung» ist verwirrlich: Das Blut ist nicht dünner, es dauert nur länger, bis es gerinnt. Im Extremfall gerinnt es nicht, wenn die Dosierung des Medikamentes zu hoch ist. Marcoumar® und Sintrom® werden in der Schweiz verwendet. Die Therapie mit diesen Medikamenten erfordert eine genaue Überwachung des Ausmasses der Blutverdünnung und wird im INR-Wert angegeben. Der früher übliche Quick-Wert (in Prozenten) wird immer seltener und sollte nicht verwendet werden. Indikationen: Mechanische Herzklappen; Rhythmusstörungen (Vorhofflimmern, Vorhofflattern); tiefe Beinvenenthrombose oder Lungenembolie; thrombotische und/oder embolische Ereignisse (Bildung und / oder Verschleppung von Blutgerinnseln in der Blutbahn mit Verstopfung von Gefässen); schwere Einschränkung der Herzfunktion. Nebenwirkungen: Blutungsneigung, vor allem bei zu hoher Dosierung bzw. bei zu hohem INR-Wert; Missbildungen des Kindes, wenn orale Antikoagulation von der werdenden Mutter in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen eingenommen wird (kritische Wochen: 6.–12. Schwangerschaftswoche), insbesondere in hohen Dosen. WICHTIG: Wenn Sie mit Marcoumar® oder mit Sintrom® behandelt werden, muss der Ziel-INR-Wert durch den Arzt festgelegt und Ihnen mitgeteilt werden. Das Ausmass der Blutgerinnung muss regelmässig nachkontrolliert werden, weil eine schlecht eingestellte Blutgerinnung gefährlich ist. Ein zu tiefer INR-Wert schützt nicht vor Blutgerinnseln, bei einem zu hohem INR-Wert besteht ein Blutungsrisiko. Aspirin und Rheumamittel erhöhen die Blutungsneigung und können zusammen mit Blutverdünnungsmitteln zu schweren Blutungen führen. Die Kontrolle des INR-Werts erfolgt regelmässig durch den Hausarzt oder durch Sie selbst. CoaguCheck®: Die Selbstbestimmung des Blutzuckers und die Dosierung des Insulins in Zusammenarbeit mit dem Hausarzt ist bei vielen Patienten mit einem Diabetes mellitus in der Zwischenzeit eine Selbstverständlichkeit. Für Patienten mit einer Langzeitantikoagulation (Blutverdünnung) stehen nun ebenfalls Geräte zur Selbstbestimmung des INR-Werts bzw. Quick-Werts zur Verfügung. Dabei wird ein Tropfen Blut durch einen Fingerstich gewonnen und auf den Teststreifen aufgetragen. Das Gerät bestimmt den INR-Wert innert 2 Minuten. Die Technik kann in einem Kurs gelernt werden. Vorteile der Selbstbestimmung: 7 Übernahme von Selbstverantwortung. 7 Zuverlässige und sichere Messergebnisse. 7 Im Langzeitverlauf sehr gute Einstellung des INR-Werts. 7 Grössere Mobilität und Unabhängigkeit. 7 Weniger Arztbesuche zur Bestimmung des INR-Werts und Einsparen von Kosten im Gesundheitswesen. 7 Sehr gute Erfahrungen in kontrollierten Untersuchungen. Nachteile der Selbstbestimmung: 7 Kostenübernahme durch die Krankenkasse noch nicht geregelt. Die Selbstbestimmung des INR-Werts und Selbstdosierung der Medikamente (Selbstmanagement) reduzieren die Arztbesuche, ersetzen sie aber nicht. Die Einstellung des INR-Werts erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Hausarzt, weshalb in grösseren Abständen zur Qualitätskontrolle eine Konsultation bei ihm nötig ist. Andere Medikamente Schmerzmittel Schmerzmittel auf der Basis von Paracetamol sind gut verträglich und führen bei üblicher Dosierung (bis 2 g pro Tag) sehr selten zu Nebenwirkungen. Schmerzmittel auf der Basis von Aspirin oder Rheumamittel können zu Nebenwirkungen führen, insbesondere bei Patienten, die Sintrom® oder Marcoumar® einnehmen, oder bei zyanotischen Patienten. 47 Aspirin Aspirin-Tabletten enthalten Acetylsalicylsäure, welche die Funktion aller im Blut zirkulierenden Blutplättchen (Thrombozyten) irreversibel hemmt. Aspirin wird deshalb verabreicht, um Blutgerinnsel zu verhindern (z.B. zur Vorbeugung von Gefässverschlüssen und somit von Herzinfarkt und Hirnschlag). Nebenwirkungen: Weil Aspirin die Funktion der Blutplättchen hemmt, ist das Blutungsrisiko erhöht, vor allem bei gleichzeitiger Einnahme von Marcoumar® oder Sintrom® oder bei Patienten mit zyanotischen Herzfehlern. Bei hoher Dosierung kann Aspirin die Magenschleimhaut angreifen. Ovulationshemmer (Antibabypille) Die meisten Ovulationshemmer enthalten zur Empfängnisverhütung (Antikonzeption) ein Östrogen und ein Progesteron. Die Konzentration von Östrogen ist in den heutigen Präparaten niedrig, womit auch das Risiko für Thrombosen (Blutgerinnsel) gesenkt werden konnte. Die Konstellation «Rauchen und Ovulationshemmer» ist sehr ungünstig, weil das Risiko für Thrombosen deutlich erhöht wird. 48 Die meisten Frauen mit angeborenem Herzfehler können einen Ovulationshemmer einnehmen (siehe Kapitel Sexualität, Empfängnisverhütung, Schwangerschaft). Vor der definitiven Einnahme soll das Risiko zusammen mit dem betreuenden Kardiologen und Gynäkologen besprochen werden. Eisenpräparate Patienten mit einem zyanotischen Herzfehler können wegen wiederholter Phlebotomien (Aderlass) einen Eisenmangel haben, der behandelt werden muss! Ein Eisenmangel kann dieselben Symptome verursachen wie ein zu hoher Hämatokrit- bzw. Hämoglobin-Wert. Diese Symptome werden häufig nicht als Eisenmangel erkannt, so dass weitere Phlebotomien durchgeführt werden und der Eisenmangel verstärkt wird. Neben der Verschlechterung des allgemeinen Wohlbefindens hat ein Eisenmangel auch weit reichende Auswirkungen (erhöhtes Risiko von Durchblutungsstörungen). Indikation: Eisenmangel. Nebenwirkungen: Schlechte Verträglichkeit der Tabletten (intravenöse Verabreichung ist in diesem Fall bevorzugt). Wechselwirkungen der Medikamente (Interaktionen) Verschiedene Medikamente können sich gegenseitig beeinflussen, das heisst die Wirkung verstärken oder vermindern. Wenn Sie Medikamente – auch homöopathische Mittel – einnehmen, erkundigen Sie sich beim Arzt über deren Verträglichkeit. Impfungen Für die meisten Patienten ist die jährliche Grippeimpfung empfohlen. Die Pneumokokken verursachen oft eine Lungenentzündung (Pneumonie), die ausserhalb des Spitals erworben wird. Deshalb empfiehlt sich die Impfung mit Pneumovax®. Beide Impfungen werden allgemein gut toleriert. 49 Hallo! Ich heisse Laurent Höller und bin 13 Jahre alt. Ich wurde mit einer Pulmonal- und einer Trikuspidalatresie geboren. Ich hatte im Alter zwischen einem Tag und sechs Jahren sechs Operationen und drei Kathetereingriffe. Von Beruf bin ich (leider) noch Schüler. Ich sage «leider», weil die Schule nicht unbedingt mein Hobby ist. Zurzeit bin ich in der Orientierungsschule in Basel. Berufswünsche habe ich noch keine. Mein Herzfehler behindert mich nur manchmal beim Sport, weil ich zwischendurch von den andern geplagt werde. Und weil mich viel schneller etwas schmerzt (aber trotzdem treibe ich sehr viel Sport). Meine Hobbys sind: Fussball (ich bin ein grosser Fan des FC Basel), ich fahre gerne Snowboard und skate gern. Zu meinen Hobbys gehört auch das Schlagzeug. Ich spiele schon seit vier Jahren und bin ein grosser Fan von Linkin Park (Rockgruppe). 50 Wegen meines Herzfehlers bin ich im Vergleich zu meinen Alterskollegen ziemlich klein. Das kann auch Vorteile haben: Weil ich so klein bin, muss ich oft weniger für meine Kleider bezahlen. Auch bei Rennen und Wettkämpfen in der Schule kann sich das positiv auswirken: Wenn jemand irgendwohin getragen werden muss, bin ich oft der Auserwählte, weil ich leichter bin. Das Negative an meinem Herzfehler ist, dass mich viele für einen kleinen Angeber halten, wenn ich mit meinem Skateboard in der Stadt herumlaufe. Oder ich werde unterschätzt, wenn ich zum Beispiel am Kiosk eine Jugendzeitschrift kaufen will. Aber ich habe lieber etwas im Gehirn als in den Fäusten oder in den Beinen. Laurent Höller Freizeit, Sport Reisen und Höhenaufenthalte Diensttauglichkeit Führen eines Fahrzeugs In der Vergangenheit wurde Jugendlichen und Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern Zurückhaltung sowohl beim Reisen als auch bei sportlichen Aktivitäten empfohlen. Teils wurden ihnen sogar Aktivitäten verboten, welche für die Integration in der Gesellschaft wichtig sind. In der Zwischenzeit haben wir gelernt, dass viele Patienten mit angeborenen Herzfehlern ihren Aktivitäten nach ihren Möglichkeiten nachgehen können, ja diese Aktivität für die Entwicklung der Persönlichkeit, des Selbstwertgefühls und der sozialen Integration sogar erwünscht ist. Jeder soll nach seinen Möglichkeiten seine Aktivitäten in Beruf und Freizeit soweit möglich nach eigenen Wünschen und Bedürfnissen gestalten können. 53 Freizeit, Sport Regelmässige körperliche oder sogar sportliche Aktivitäten sind nicht nur wichtig für die körperliche und geistige Fitness, sondern ebenso für die soziale Integration in Familie, Freundeskreis und Gesellschaft. Zudem wissen wir heute, dass frühzeitige Mobilisation, körperliche Aktivität und Rehabilitation auf den Kreislauf und den Organismus als Ganzes sowie auf die Leistungsfähigkeit, die Lebensqualität und die Prognose positive Auswirkungen haben. Warum sind Jugendliche und Erwachsene mit angeborenem Herzfehler weniger leistungsfähig? Viele Jugendliche und Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern berichten über normale Leistungsfähigkeit im Alltag und verneinen eine Einschränkung. Festgestellt wird höchstens eine rasche Ermüdbarkeit bei starken Belastungen. Dieses Empfinden ist subjektiv, weil viele sich an eine verminderte Leistungsfähigkeit im Vergleich zu ihren Alltagskollegen und -kolleginnen gewöhnt oder angepasst haben. Wenn die Leistungsfähigkeit durch einen Belastungstest objektiv gemessen wird, erreichen viele Patienten nur etwa zwei Drittel der normalen Leistungsfähigkeit im Vergleich zum Alterskollektiv, weil: 7 die Herzfrequenz während der Belastung nicht adäquat erhöht werden kann (zu langsamer Pulsanstieg); 7 die Pumpfunktion des Herzens während der Belastung nicht genügend gesteigert werden kann; 7 die Lungenfunktion eingeschränkt sein kann, das heisst, die Lungenvolumina sind reduziert (nach Operationen, Wirbelsäulenfehlbildung [Skoliose] etc.); 7 die Muskulatur ungenügend ausgebildet ist (wegen des Herzfehlers, wegen ungenügender körperlicher Belastung bzw. Schonung); 7 der Stoffwechsel in der Muskulatur nicht normal ist (z.B. bei Patienten mit zyanotischen Herzfehlern); 7 eine psychologische Barriere besteht (Vermeiden von körperlicher Anstrengung während der Kindheit). Warum ist körperliche Aktivität erwünscht? Der Einfluss regelmässiger körperlicher Aktivität auf den Organismus ist mannigfaltig: 54 Besseres Allgemeinbefinden. Gewichtskontrolle. Günstiger Einfluss auf bessere Einstellung des Blutdrucks. Stärkung von Muskulatur und Knochen (Skelett) und bessere Beweglichkeit der Gelenke. 7 Verminderung der Risikofaktoren für Arteriosklerose im Erwachsenenalter. 7 7 7 7 Jugendliche und Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern können eine Skoliose haben (krummer Rücken). Die Kräftigung der Muskulatur als Stützapparat des Skeletts ist deshalb besonders wichtig. Ist sportliche Aktivität schädlich? Regelmässige körperliche Betätigung ist nicht schädlich, und über ernsthafte Komplikationen wurde bei Jugendlichen und Erwachsenen während sportlicher Tätigkeit kaum berichtet. Ernsthafte Zwischenfälle betreffen meistens bis anhin Gesunde während extremen sportlichen Belastungen, das heisst Sportler, bei denen ein Herzfehler noch nicht entdeckt worden war. Welche Probleme können bei körperlicher Aktivität auftreten? 7 Rhythmusstörungen bei stark geschwächtem Herzmuskel, bei Durchblutungsstörungen oder Zyanose. 7 Extremer Blutdruckanstieg oder -abfall; Blutungsgefahr insbesondere unter Gerinnungshemmern wie Marcoumar® oder Sintrom®. 7 Flüssigkeitsmangel. 7 Verletzungen von Skelett und Weichteilen. Welche Belastungsarten gibt es? Grundsätzlich werden zwei Belastungsarten unterschieden: 7 Isotone Belastung: Diese Belastung beinhaltet alle dynamischen Belastungen wie Schwimmen, Laufen, Wandern, Springen, Velofahren usw. 7 Isometrische Belastung: Diese Belastung beinhaltet alle statischen Belastungen, das heisst, es wird eine grosse Kraftanstrengung ohne Vorwärtsbewegungen gemacht, z.B. Gewicht stemmen, Harasse oder Sack heben usw. Viele Belastungsarten sind gemischte Formen und lassen sich nicht streng in eine isotone oder isometrische Belastungsart einteilen. Allgemein sind isotone Belastungen besser, weil sie nicht zu einem plötzlichen starken Blutdruckanstieg und einer plötzlichen Belastung des Herzens und des Kreislaufs führen. Wie stark darf ich mich belasten? Bei Gesunden wird als grobe Regel folgende maximale Herzfrequenz angegeben: 220 minus Alter. Diese Regel darf bei Jugendlichen und Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler nicht angewendet werden! Eine Formel zur Berechnung der maximalen Herzfrequenz gibt es bei ihnen nicht, weil die Herzfrequenz zwischen verschiedenen Individuen und den verschiedenen Herzfehlern stark variiert. Wenn die Angabe einer Zielherzfrequenz erwünscht ist, muss ein Belastungstest mit der Berechnung der anaeroben Schwelle bzw. der Sauerstoffaufnahme durchgeführt werden. Viele unterschätzen ihre Fähigkeit zu körperlichen Leistungen, weil sie während der Kindheit stets vor körperlichen Belastungen geschont oder vom Turnunterricht dispensiert wurden. Einzelne Jugendliche und Erwachsene mit Herzfehlern haben Sport sogar bis zum Niveau Nationalliga (z.B. Volleyball) betrieben! 55 Energieverbrauch und Belastungsarten beim Sport Beispiele von Sportarten Leicht (<3 MET) Langsames Gehen Wandern Rasches Gehen Gymnastik Golf Mässig (3–6 MET) Tourenradfahren Schwimmen Bergaufgehen mit Last Alpiner Skilauf Reiten Gesellschaftstanz Schwer (>6 MET) Tennis (Einzel) Jogging Langlaufen (klassisch) Rennvelofahren Rudern Fussball, Handball Energieverbrauch in kcal/h (für 70 kg Körpergewicht) statisch dynamisch 200 300 350 400 350 – – – ++ – + + + – – 400 500 500 450 200–500 400 + + – ++ + + ++ + + + – + 600 700 700 800 800 600 – + – ++ ++ + ++ + ++ ++ ++ ++ – gering, + mässig, ++ stark 56 Die Belastung kann auch aus dem Energieverbrauch abgeschätzt werden. Dies erfolgt in Kilokalorien pro Stunde (kcal/h) oder in MET (metabolische Einheiten). Man kann Sportarten grob in drei Gruppen mit leichtem, mittlerem und hohem Energieverbrauch einteilen. Beurteilung der körperlichen Aktivität Für die Begrenzung der körperlichen Aktivität beim einzelnen Menschen eignen sich die folgenden drei Methoden am besten, die auf eigenem Erleben oder Messungen beruhen: Borg-Skala (einfache Skala von 0 bis 10, welche die persönliche Bewertung einer Anstrengung gemäss dem eigenen Empfinden erlaubt): 0 1 2 3 4 5 Ruhezustand Sehr leicht Leicht Mässig Etwas schwer Etwas schwer 6 7 8 9 10 Schwer Sehr schwer Sehr schwer Sehr sehr schwer Maximal Empfohlen wird beim Sport ein Anstrengungsgefühl zwischen 3 und 5. Sprechregel: Solange das Sprechen möglich ist, ist die Aktivität nicht zu schwer. Trainingspuls: 60–80 Prozent des maximalen Pulswertes, der während eines Belastungstests ohne schwere Rhythmusstörungen, Durchblutungsstörungen oder Blutdruckabfall erreicht werden kann (für Leute zwischen 20 und 30 Jahren entspricht dies in der Regel einem Pulswert zwischen 140 und 160 pro Minute, Abweichungen vor allem unter gewissen Medikamenten und bei Schrittmachergeräten). Empfehlung für die sportliche Tätigkeit Die Empfehlung ist stets individuell und orientiert sich am Herzfehler und der körperlichen Konstitution. Als Richtlinien gelten: 7 Gehorchen Sie Ihrer inneren Stimme, Ihrem allgemeinen Empfinden. Respektieren Sie Ihre körperlichen Grenzen. 7 Gehorchen Sie nicht Ihrem Willen. Welche sportlichen Tätigkeiten sind geeignet? Es muss zwischen Freizeitsport und Wettkampfsport unterschieden werden. Freizeitsport ist für die meisten Herzfehler geeignet, Wettkampf- 57 sport soll erst nach eingehender ärztlicher Beratung ausgeübt werden. Die Wahl der Sportart richtet sich in erster Linie nach den persönlichen Wünschen und Bedürfnissen. Allgemein sind Sportarten mit isotoner (dynamischer) Belastung besser als jene mit isometrischer Belastung: 7 Die meisten Mannschaftssportarten (z.B. Volleyball, Fussball, Handball), ausser Sportarten mit speziell grossem körperlichem Einsatz (z.B. Boxen, Rugby). 7 Alle Sportarten mit dynamischem Bewegungsablauf wie Wandern, Laufen, Joggen, Schwimmen, Velofahren. Welche Tätigkeiten sind nicht geeignet? Alle Sportarten mit isometrischer Belastung und starkem körperlichem Engagement: 7 7 7 7 Gewichtheben Ringen Boxen Rugby Keine Einschränkung Kein Wettkampfsport Sportarten mit leichter Belastung Kein Sport erlaubt 58 Vermeiden von heftigem Körperkontakt Geringgradige Klappenfehler Kleine Septumdefekte Verschlossene Septumdefekte Korrektur bei Fallot ohne Restbefunde Optimaler Verlauf nach arterieller Switch-Operation Mitralklappenprolaps ohne Rhythmusstörungen Klappenprothesen mit normaler Ventrikelfunktion Leichte bis mittelschwere Einengung oder Undichtigkeit von Klappen Mittelschwere Aortenisthmusstenose Bedeutsamer Shunt Herzvergrösserung Verminderte Pumpfunktion des Herzens Vorhofumkehr (Mustard/Senning) bei Transposition der grossen Arterien Fontan-Operation Patienten mit palliativen Shunts Leichter bis mässiger Lungenhochdruck Zyanose Hochgradige Einengung oder Undichtigkeit von Klappen Schwere Aortenisthmusstenose Hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie Missbildungen der Herzkranzgefässe Schwerer Lungenhochdruck (Eisenmenger-Reaktion) Rhythmusstörungen unter Belastung (wenn sie nicht harmlos sind) Marfan-Syndrom Nach Operation an der Aorta Behandlung mit Antikoagulantien Herzschrittmacherträger Empfehlungen für einige typische Herzfehler Die oben stehende Tabelle ist eine Empfehlung für sportliche Aktivitäten bei bestimmten Herzfehlern. Sie ersetzt aber keinesfalls eine ärztliche Beratung. Zu jeder kardiologischen Kontrolle gehört eine Beratung über die Möglichkeiten und Grenzen der sportlichen Tätigkeit. Reisen und Höhenaufenthalte Wir können dank der sicheren sozialen Verhältnisse, des grossen Reiseangebots und der Sicherheit aller Verkehrsmittel beinahe unbeschränkt unsere Reisefreudigkeit und Reiselust ausleben. Ist es Jugendlichen und Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern vorenthalten, Geheimnisse und Wunder der Natur zu entdecken, neue Länder und Kulturen kennen zu lernen? Nein! Die meisten von Ihnen dürfen die Bewegungsfreiheit der modernen Gesellschaft geniessen, wenn bestimmte wichtige Punkte beachtet werden. Lassen Sie sich vor jeder grösseren Reise und vor Höhenaufenthalten durch Ihren Kardiologen beraten. Mit zunehmender Höhe nimmt mit der Abnahme des Barometerdrucks der Sauerstoffgehalt der Luft ab, das heisst, der Lunge und dem Körper werden mit zunehmender Höhe weniger Sauerstoff angeboten. Dank der Anpassungsmechanismen des Organismus sinkt sowohl beim Gesunden als auch beim Patienten mit einem angeborenen Herzfehler, ebenso bei Patienten mit Eisenmenger-Syndrom, die Sauerstoffkonzentration im Blut nur leicht (bei Patienten mit Lungenerkrankungen verhält es sich ein wenig anders). Die Herzarbeit und somit auch der Sauerstoffbedarf und -verbrauch des Herzens nehmen aber wegen der Zunahme der Herzfrequenz und des Blutdrucks beim Höhenaufenthalt zu. Diese Veränderungen werden meistens problemlos toleriert. Aufenthalte in der Höhe Ferien- oder Kurorte liegen meistens nicht höher als 1500 Meter ü. M. und sollten deshalb keine grösseren Probleme bereiten. Der Aufenthalt und das Gehen in der Höhe (v.a. über 1500 Metern ü. M.) kann in den ersten Tagen Mühe bereiten, bis die Adaptationsmechanismen abgeschlossen sind. Die Symptome äussern sich meistens in rascher Ermüdbarkeit, Atemnot und Schwindel. Empfehlungen: 7 Schrittweiser Aufstieg: Man soll nicht direkt auf eine Höhe von über 1800 Metern ü. M. gehen, sondern sich bereits Wochen vorher stufenweise an diese Höhe herantasten, das heisst auf einen Hügel (evtl. mit Bahn) mit etwa 1500 Metern ü. M., dann auf einen mit etwa 1800 Metern ü. M. und dann erst auf einen Berg mit 2000 Metern ü. M. aufsteigen. 7 Reduzierte Aktivität: In den ersten 3–5 Tagen (Zeit der Adaptation) keine grösseren körperlichen Anstrengungen machen. 59 Ferien im Ausland und Flugreisen Ferien im Ausland können auch Jugendliche und Erwachsene mit einem angeborenen Herzfehler meistens ohne Probleme geniessen, wenn einige Verhaltensmassnahmen berücksichtigt werden. Bei Zweifel oder Unklarheiten fragen Sie Ihren Hausarzt oder Kardiologen. Flugzeuge adaptieren den Kabinendruck auf einer Flughöhe zwischen 1800 und 2400 Metern ü. M. (maximale Flughöhe 2438 Meter ü. M.). Eine Untersuchung bestätigte die guten Erfahrungen, die Patienten mit zyanotischem Herzfehler oder Eisenmenger-Syndrom auch während längeren Flugreisen bereits selbst machten. Das Fliegen wird sehr gut toleriert, wenn bestimmte Verhaltensmassnahmen berücksichtigt werden. Besonders zu beachten ist die Thrombose-Prophylaxe (Trinkmenge, Bewegungsübungen alle Stunden). 60 Planung der Reise: 7 Frühzeitig mit der Planung beginnen. 7 Klima und sanitäre Einrichtungen können einen grossen Einfluss auf die Wahl des Ferienorts haben. 7 Wenn möglich Ferienort auswählen, der nicht fern von der Zivilisation liegt. 7 Wo ist das nächste Spital mit kompetenter Betreuung (d.h. Erfahrung mit angeborenen Herzfehlern)? Ihr Kardiologe kann Ihnen helfen, den Standort ausfindig zu machen. 7 Ausführliche Arztberichte in Englisch mitnehmen. 7 Genügend Tabletten organisieren und mitnehmen, das heisst meistens doppelte Ration und in separaten Koffern (falls ein Koffer verloren geht!). 7 Notwendige Impfungen frühzeitig machen. 7 Reiseversicherung. Besteht ein Versicherungsschutz im Ausland? Versicherung für Repatriierung abschliessen, falls noch nicht in der Versicherung abgedeckt. 7 Eventuell Hilfsmittel sowohl am Abflug- als auch am Zielflughafen rechtzeitig reservieren (z.B. Rollstuhl, Betreuung am Flughafen). 7 Rechtzeitig einen Kollegen oder eine Kollegin zum Tragen der Koffer organisieren. 7 Sauerstoffflasche, wenn benötigt, besorgen. Erfahrungen und Untersuchungen zeigten aber, dass auch Patienten mit zyanotischem Herzfehler oder Eisenmenger-Syndrom die Flugreise ohne zusätzlichen Sauerstoff problemlos tolerieren (Sauerstoff hilft aus medizinischen Überlegungen nicht, seine Handhabung kann aber beruhigen und psychischen Stress vermeiden und damit hilfreich sein). Die gute Planung und Vorbereitung ist der wichtigste Schritt, damit Sie die Reise unbeschwert geniessen können! Reisetag: 7 Nehmen Sie sich Zeit für die Formalitäten am Bahnhof und Flughafen und rechnen Sie die Wartezeiten ein. 7 Wenn Sie alleine reisen, was je nach angeborenem Herzfehler und Gesundheitszustand nicht empfehlenswert ist, sollten Sie einen Helfer zum Tragen des Gepäcks haben. Vermeiden Sie psychischen und körperlichen Stress und Hektik. Treten Sie die Reise ausgeruht an! Flugreise: 7 Genügend Flüssigkeit im Flugzeug zu sich nehmen, weil die Luftfeuchtigkeit sehr tief ist (<15%); Konsequenz: Austrocknen der Schleimhäute, Dehydratation. 7 Keine alkoholischen Getränke. 7 Regelmässiges Herumgehen bzw. Bewegen der Beine gegen Beinvenenthrombose. Ferienort: Der ungetrübte Feriengenuss steht an erster Stelle. Beachten sie deshalb 61 einige Vorsichtsmassnahmen: 7 Vorsicht mit ungekochter Nahrung (Salmonellen, andere Erreger). 7 Vorsicht mit direkter Sonnenbestrahlung – Sonnenschutzcrème und Sonnenhut. 7 Melden Sie sich rechtzeitig bei einem Arzt, wenn medizinische Probleme auftreten. Kontaktieren Sie allenfalls auch Ihren Kardiologen in der Schweiz. Diensttauglichkeit Die gültigen Richtlinien für die Beurteilung der Diensttauglichkeit von Stellungspflichtigen und Armeeangehörigen wurden per 1. Januar 1999 revidiert, medizinisch aktualisiert und den neuen Bedürfnissen der Armee angepasst. Folgende Patientengruppen sind zwingend dienstuntauglich: 7 Patienten, die eine Langzeit-Antikoagulation benötigen. 7 Patienten mit angeborenen und erworbenen Herzerkrankungen mit einem hohen Endokarditis-Risiko, z.B. Patienten nach durchgemachter Endokarditis, Patienten mit Klappenprothesen. 7 Patienten mit einem zyanotischen oder anderen komplizierten Herzfehler. 62 Für andere Herzerkrankungen werden spezielle Empfehlungen abgegeben, das heisst, der Vorsitzende der Untersuchungskommission wird sich dabei insbesondere auf medizinische Unterlagen (Verlauf, Schweregrad der Erkrankung, Behinderungen) und das militärische Umfeld (welche Funktion hat der Armeeangehörige?) abstützen. Ein aktueller Arztbericht erübrigt nicht selten unnötige Diskussionen und vereinfacht den Ablauf am Aushebungstag. Für Angehörige des Zivilschutzes wird die Diensttauglichkeit nach anderen Richtlinien definiert. Führen eines Fahrzeugs Das Auto ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens und das Führen eines Fahrzeugs im privaten (z.B. Freizeitaktivitäten, Fahrt zum Arbeitsplatz) oder beruflichen Bereich besitzt in den westlichen Industrieländern einen sehr hohen Stellenwert. Die Verweigerung des Fahrausweises hat für den Betroffenen einen ernsthaften Einfluss auf seine Aktivitäten. Die meisten Verkehrsunfälle (95%) ereignen sich wegen menschlichen Versagens (z.B. Missachten von Verkehrsregeln, Alkohol). Seltener (etwa 5%) sind technische Mängel am Fahrzeug die Ursache eines Unfalls. Gesundheitliche Störungen als Ursache für einen Unfall mit ernsthaften Folgen sind im Vergleich zu den anderen Ursachen sehr selten. Beurteilung der Fahrtauglichkeit Bei der Beurteilung der Fahrtauglichkeit ist die Herzerkrankung nur ein Kriterium; neurologische Begleiterkrankungen, Sehkraft, Hörvermögen sind weitere Kriterien. Eine angeborene oder erworbene Herzerkrankung an sich ist kein Grund zur Verweigerung des Ausweises zum Führen von Motorrädern (Kat. A), von Motorwagen bis 3,5 Tonnen Gesamtgewicht und bis maximal acht Sitzplätzen (Kat. B) oder landwirtschaftlichen Motorfahrzeugen (Kat. G). Erwachsene mit angeborenem Herzfehler können den Führerausweis der Kategorie A und B ohne Einschränkungen erwerben, wenn keine zusätzlichen, disqualifizierenden Faktoren vorliegen. Eine Einschränkung zum Führen eines Fahrzeugs kann auferlegt werden: 7 Bei einem ungeklärten Bewusstseinsverlust. 7 Nach der Implantation eines Herzschrittmachers (während einer Woche). 7 Nach der Implantation eines internen Defibrillators zur Behandlung von Rhythmusstörungen (in der Regel während 6 Monaten). Bei Unklarheiten wenden Sie sich an das kantonale Strassenverkehrsamt, wo ein Vertrauensarzt die Fahrtauglichkeit beurteilt. Zum Erwerb des Führerausweises der Kategorien C, E und D gelten besondere Beurteilungskriterien. 63 Hallo, ich bin Daniela Thalmann. Letzten Dezember durfte ich nach einer problemlosen Schwangerschaft mit 31 Jahren stolze Mutter von Tim werden. Ich wurde mit einer bikuspiden Aortenklappe und einer postduktalen Aortenisthmusstenose geboren, die im Universitätsspital Zürich operiert wurde, als ich sechs Monate alt war. Ich verbrachte eine beschwerdefreie Kinder- und Jugendzeit. Meine Eltern machten zwischen mir und meinen Schwestern nie einen Unterschied. Ich wurde von ihnen auch nicht gehindert, im Turnunterricht alles mitzumachen oder meinem Hobby, dem Reiten, nachzugehen. Nur die jährlichen Kontrollen erinnerten mich jeweils an meinen Herzfehler. Nach der obligatorischen Schulzeit und einem einjährigen Aufenthalt in der Westschweiz absolvierte ich die KV-Lehre. Ich merkte schnell, dass meine Welt die Zahlen sind. Deshalb bildete ich mich berufsbegleitend zur eidg. Buchhalterin mit Fachausweis weiter. Zum Ausgleich verbrachte ich meine Freizeit und Ferien auf dem Pferd, dem Motorrad und auf den Skiern. Dies vermittelte mir immer ein Gefühl der Freiheit. 64 Mit Beginn meiner Schwangerschaft begann für meinen Mann und mich ein neuer Lebensabschnitt. Den Augenblick, als wir Tim zum ersten Mal in den Armen hielten, werden wir nie vergessen. Es ist einfach grossartig zu erleben, wie ein kleiner Mensch heranwächst. Meinen Beruf als Buchhalterin tauschte ich gegen den der Mutter und Hausfrau ein. Für meine Hobbys bleibt nicht mehr viel Zeit, dafür geniesse ich das Spielen und Spazieren mit meinem Sohn sehr. Ich fühle mich trotz meines Herzfehlers rundum wohl. Daniela Thalmann Sexualität Empfängnisverhütung Schwangerschaft Dank der grossen Fortschritte in der Medizin erhalten auch Kinder mit komplizierten Herzfehlern, die etwa einen Drittel der angeborenen Herzfehler ausmachen, eine Überlebenschance. Im Erwachsenenalter stellen sich dann für sie die Fragen der Sexualität, Antikonzeption und allfälligen Schwangerschaften. Sexualität Darf ich eine normale Sexualität leben? Jugendliche und Erwachsene mit einem angeborenen Herzfehler dürfen und sollen eine normale Sexualität leben, wobei die üblichen Sicherheitsmassnahmen bezüglich Empfängnisverhütung (Antikonzeption) und Infektionsrisiko (HIV-Infektion, Hepatitis, Geschlechtskrankheiten) beach67 tet werden müssen. Die körperliche Einschränkung äussert sich bezüglich Sexualität beim Mann und bei der Frau verschieden. Die Frau ist vor allem konfrontiert mit den Fragen der Empfängnisverhütung, der Möglichkeit zu einer Schwangerschaft und der Fähigkeit, die Schwangerschaft und die Geburt ohne grössere Risiken zu tolerieren. Während bei der Frau der Geschlechtsakt an sich mit geringeren körperlichen Anstrengungen verbunden ist als beim Mann, kann er für diesen eine grosse körperliche Anstrengung bedeuten, der er sich nicht gewachsen fühlt und sich deshalb seiner Partnerin gegenüber als Versager sehen kann. Der Aufbau und die Stabilität einer Partnerschaft können in dieser Situation sehr belastet sein, wenn der Partner mit einem komplizierten Herzfehler und eingeschränkter Herzfunktion wegen ungenügender Erektion zur Penetration nicht fähig ist (Einführung des Penis in die Scheide, Impotentia coeundi) oder die Frau wegen ihres Herzfehlers nicht fähig ist, ein Kind auszutragen und den Wunsch des Partners auf ein gemeinsames Kind zu erfüllen. Diese Umstände erfordern gegenseitiges Verständnis und Einfühlungsvermögen, damit sich beide nicht verletzen. Empfängnisverhütung (Antikonzeption) Jede Schwangerschaft birgt ein Risiko für Komplikationen, auch bei Frauen ohne Herzfehler. Frauen mit einem Herzfehler besitzen ein höheres Risiko, weshalb vor allem für jene mit einem komplizierten Herzfehler die Vermeidung einer ungeplanten Schwangerschaft und somit die Durchführung einer konsequenten Antikonzeption enorm wichtig ist. Ein informatives Gespräch über Fragen der Antikonzeption mit dem Arzt muss bei Frauen im gebärfähigen Alter in regelmässigen Abständen erfolgen. 68 Welche Methode ist die beste Empfängnisverhütung? Die perfekte Methode zur Empfängnisverhütung (Antikonzeption) existiert nicht. Jede hat ihre Vor- und Nachteile bezüglich Sicherheit und Komplikationen. Zudem müssen die persönlichen Präferenzen der Partner berücksichtigt werden. Jede Methode hat eine Versagerquote, auch die Sterilisation. Versager werden mit dem PEARL-Index angegeben: Anzahl Schwangerschaften bei hundert Frauen, die während eines Jahres eine bestimmte Methode anwenden. Die nachfolgenden Beschreibungen der verschiedenen Möglichkeiten ersetzen die kompetente Beratung bei einem Gynäkologen oder einer Gynäkologin und die Rücksprache mit dem betreuenden Kardiologen nicht. Die Wahl der Methode zur Antikonzeption muss stets nach einer Untersuchung und Beratung bei einem Gynäkologen oder einer Gynäkologin, in Zusammenarbeit mit Ihrem Kardiologen erfolgen! Natürliche Methoden Sie beinhalten Coitus interruptus, Temperaturmessmethode (sichere Zeitspanne) und natürlich auch die Enthaltsamkeit. Diese so genannten natürlichen Methoden sind sehr unsicher (ausser der Enthaltsamkeit) und sind in der praktischen Anwendung in einer Partnerschaft alles andere als natürlich. Barriere-Methoden Sie beinhalten das Präservativ oder Kondom beim Mann und das Diaphragma bei der Frau. Neben der effektiven Verhütung ist das Kondom bei korrekter Anwendung auch sehr wirksam in der Verhinderung der Übertragung von Infektionskrankheiten. Intrauterine Spirale (IUCD = Intra Uterine Contraceptive Device) Die Spirale ist effektiver in der Verhinderung von Schwangerschaften als das Kondom (PEARL-Index 0.1–1.0, d.h., eine von hundert Frauen wird alle zehn Jahre schwanger bzw. eine von hundert Frauen pro Jahr im schlechtesten Fall). Neben dem Infektionsrisiko besteht bei der Spirale das Risiko von Zwischenblutungen oder anderen Blutungskomplikationen, vor allem bei Frauen mit zyanotischen Herzfehlern. Eine Endokarditis-Prophylaxe ist bei der Einführung empfohlen bei Hochrisikopatienten (z.B. Patienten mit Klappenprothese, zyanotischen Herzfehlern oder nach durchgemachter Endokarditis). Ovulationshemmer – orale Antikonzeptiva (Antibabypille) Es gibt zwei verschiedene Arten von Ovulationshemmern oder Antibabypillen: Kombinationspräparate, die Östrogen und Gestagen als Hormone enthalten, und Präparate, die nur ein Hormon (Gestagen) enthalten. Die Wirkung beruht auf einer Hemmung der Ovulation (Eisprung). Über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Präparate müssen Sie sich durch Ihren Gynäkologen oder Ihre Gynäkologin beraten lassen. Die Ovulationshemmer sind am wirksamsten in der Verhinderung einer Schwangerschaft (PEARL-Index 0.1–0.4), wenn sie korrekt eingenommen werden. Sie besitzen auch den Vorteil, dass sie den Menstruations- 69 zyklus regulieren und das Ausmass der Menstruationsblutung reduzieren. Sie besitzen aber das Risiko einer Thrombose (Bildung eines Blutgerinnsels). Das Thromboserisiko ist jedoch kleiner als das Risiko einer Schwangerschaft, denn auch eine Schwangerschaft (bei einer gesunden Frau) beinhaltet ein Komplikationsrisiko. Die Kombination Rauchen und Ovulationshemmer ist sehr ungünstig und erhöht das Thromboserisiko deutlich! Drei-Monats-Spritze – Depot-Injektion eines Hormons Die Drei-Monats-Spritze (Injektion eines Hormons) gibt einen guten Schutz gegen eine Schwangerschaft während zirka zehn Wochen (PEARL-Index 0.1–1.0). Häufig entstehen Unregelmässigkeiten im Menstruationszyklus und starke Blutungen, wenn deren Wirkung nachlässt. Implanon® Implanon® ist ein biologisch nicht abbaubares Implantat zur subkutanen Applikation eines Hormons (eines Gestagens), das heisst, Implanon® wird unter die Haut eingesetzt und gibt das Hormon an die Blutbahn ab. Die kontrazeptive Wirkung, das heisst die Verhinderung einer Schwan- gerschaft, beruht primär auf einer Hemmung des Eisprungs (Ovulation), wobei die Aktivität der Eierstöcke (Ovarien) nicht vollständig unterdrückt ist. Der PEARL-Index ist bei bisherigen Erfahrungen sehr tief (0–0.1). Dieser hohe Schutz vor einer Schwangerschaft wird erreicht, weil im Gegensatz zu oralen Konzeptiva die Wirkung von Implanon nicht von einer regelmässigen Tabletteneinnahme abhängig ist. Implanon wird zu Beginn des Zyklus eingesetzt, was stets durch einen Arzt erfolgen muss. Auf Wunsch kann Implanon jederzeit wieder entfernt werden, wenn eine Empfängnisverhütung z.B. bei Wunsch auf eine Schwangerschaft nicht mehr erwünscht ist. Es sollte aber spätestens nach drei Jahren in jedem Falle entfernt bzw. ersetzt werden, weil die Wirkung nicht mehr garantiert ist. «Morning after Pill» 70 Die Morning after pill oder die «Pille danach» ist ein hoch dosiertes Hormonpräparat, das so rasch als möglich, bis spätestens 48 (notfalls 72) Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr eingenommen werden muss. Wegen des hohen Hormongehalts besteht bei Frauen mit bestimmten angeborenen Herzfehlern ein besonderes Risiko für Thrombosen. Eine geplante Antikonzeption ist immer besser als eine Notfall-Antikonzeption. Sterilisation Die Sterilisation ist eine sehr gute und akzeptierte Methode (PEARLIndex 0–0.5), wenn sich das Ehepaar oder die Lebenspartner entscheiden, keine Kinder mehr zu zeugen, oder zusammen mit dem betreuenden Kardiologen finden, eine Schwangerschaft sei zu risikoreich. Es kann entweder die Frau (Durchtrennung der Eileiter) oder der Mann (Durchtrennung der Samenleiter) sterilisiert werden. Meistens lassen sich die Frauen sterilisieren, weil sie bei einer allfälligen Schwangerschaft das Risiko tragen. Die Durchtrennung der Eileiter erfolgt im Allgemeinen laparoskopisch: In Allgemeinnarkose werden zwei kleine Kanülen in die mit Kohlendioxid gefüllte Bauchhöhle eingeführt. Unter Sicht werden dann die beiden Eileiter durchtrennt. Andererseits können die Eileiter bei der Durchführung eines Kaiserschnitts problemlos durchtrennt werden. Bei Männern ist der Eingriff deutlich kleiner und kann unter Lokalanästhesie durchgeführt werden. Schwangerschaft Darf ich schwanger werden? Diese Kernfrage beschäftigt jede Frau und bedarf einer Antwort durch den betreuenden Kardiologen. Frauen mit einer angeborenen oder erworbenen Herzerkrankung müssen ihre Schwangerschaft planen, das heisst, sie dürfen nicht plötzlich schwanger sein! Bei der Familienplanung und dem Entscheid über eigene Kinder müssen Mann und Frau die eigene Lebenserwartung und die Fähigkeit zur Sorge und Erziehung der Kinder berücksichtigen. Für beide Lebenspartner und die Kinder können die Behinderung und das Erkrankungsrisiko des Betroffenen sehr belastend werden. An die Leistungsfähigkeit des Herzens werden während der Schwangerschaft und der Geburt deutlich höhere Ansprüche gestellt. Deshalb muss der Kardiologe, mit Einbezug des Geburtshelfers, Ihnen nach einer gründlichen Untersuchung folgende Fragen beantworten: 7 Wie gross ist das Risiko der Schwangerschaft und der Geburt für mich und mein Kind? 7 Welche Komplikationen können auftreten? 7 Wie gross ist das Risiko für mein Kind, einen angeborenen Herzfehler 7 7 7 7 7 7 oder andere Gesundheitsschäden zu haben? 71 Soll eine pränatale Diagnostik durchgeführt werden? Wie kann ich gebären? Spontangeburt oder Kaiserschnitt? Welche unterstützenden Massnahmen erhalte ich während der Geburt? Wo soll ich entbunden werden? Im Regionalspital oder im Zentrumsspital? Habe ich spezielle Wünsche bei der Geburt und können sie ohne Erhöhung des Risikos erfüllt werden? Welche Medikamente dürfen bzw. dürfen nicht während der Schwangerschaft und Stillperiode eingenommen werden? Risikobeurteilung Nach einer medizinischen Standortbestimmung muss der Kardiologe vor der Schwangerschaft eine Risikobeurteilung machen und die Frau und ihren Partner eingehend über die Risiken bzw. über mögliche Komplikationen bei Mutter und Kind informieren. Die kardiologische Untersuchung vor der Schwangerschaft beurteilt den Ist-Zustand und dient zur Bestätigung, dass eine Schwangerschaft für Mutter und Kind ohne Probleme oder unter Berücksichtigung bestimmter Massnahmen möglich ist. Eine Schwangerschaft mit erhöhtem, aber vertretbarem Risiko ist für die meisten Frauen mit einem angeborenen Herzfehler aufgrund der heutigen Erfahrungen möglich. Gelegentlich muss vor einer Schwangerschaft zur Reduktion des Risikos zum Beispiel eine Herzklappe mit einem Ballon zuerst erweitert oder durch einen Herzchirurgen ersetzt werden. Ein hohes Risiko haben beispielsweise Frauen mit Einengungen von Herzklappen, mit einem Marfan-Syndrom und mit zyanotischen Herzfehlern. Bei Eisenmenger-Syndrom ist das Risiko sehr hoch, und von einer Schwangerschaft muss hier dringend abgeraten werden. Die Betreuung während der Schwangerschaft geschieht stets gemeinsam durch den Kardiologen und den Geburtshelfer. 72 Wie gross ist das Risiko eines angeborenen Herzfehlers für mein Kind? Die Wahrscheinlichkeit für einen angeborenen Herzfehler beträgt knapp ein Prozent bei der Bevölkerung. Bei Eltern mit einem angeborenen Herzfehler beträgt das Wiederholungsrisiko eines Herzfehlers beim Kind etwa 4–6 Prozent, für Geschwister 2–3 Prozent. Bei bestimmten Herzfehlern, oder wenn die Frau an einem Herzfehler leidet, liegt das Risiko etwas höher. Von einigen Defekten ist heute bereits der genaue Erbgang bekannt, anderen genetischen Ursachen ist man auf der Spur. Bei einigen Formen von Herzfehlern ist allerdings eine ausführliche genetische Beratung ratsam. Es sind Formen, bei denen die Vererbung genauer bekannt ist wie zum Beispiel die hypertrophe Kardiomyopathie (HOCM) und das Marfan-Syndrom. Hier kann die Erblichkeit sehr viel grösser sein, das heisst, das höhere Risiko eines erneuten gleichartigen Herzfehlers bei den Nachkommen kann abgeschätzt werden. Pränatale Diagnostik Dank der grossen Fortschritte der bildgebenden Technik (Ultraschall) kann um die 18. bis 22. Schwangerschaftswoche ein Ultraschall gemacht werden, um Fehlbildungen des Herzens oder auch anderer Organe zu erkennen. Auch wenn kleinere Fehlbildungen nicht dargestellt werden können, lassen sich schwer wiegende Fehlbildungen mit grosser Sicherheit diagnostizieren oder ausschliessen. Die Konsequenzen bei der Entdeckung einer Fehlbildung müssen vor der Anordnung der pränatalen Diagnostik mit den werdenden Eltern besprochen werden. Wie kann ich gebären? Spontangeburt oder Kaiserschnitt? Wenn eine Frau die Schwangerschaft ohne ernsthafte Komplikationen toleriert, kann sie aus kardiologischer Sicht meistens auch spontan gebären (vaginale Entbindung). Die Durchführung eines Kaiserschnittes aus kardialen Gründen ist selten notwendig. Um den Faktor Stress und somit eine übermässige Belastung des Herzens zu vermeiden, ist eine gute Schmerzbehandlung während der Geburt notwendig (Epiduralanästhesie). Wo soll ich entbunden werden? Frauen mit einfachen Herzfehlern können im Spital ihrer Wahl gebären. Frauen mit einfachen Herzfehlern, aber wichtigen Restbefunden, und Frauen mit komplizierten Herzfehlern sollten an einem Zentrumsspital, z.B. an einem Universitätsspital, gebären, damit bei Problemen die Fachärzte rasch kompetente Hilfe für Mutter und Kind anbieten können. Von einer Hausgeburt ist in der Regel abzuraten. 73 Linus Bernet Mein Name ist Linus Bernet und seit meiner Geburt 1970 ist ein grosser Ventrikelseptumdefekt mein ständiger Begleiter. Die Diagnose wurde erst im 6. Lebensjahr gestellt, als ich zunehmend blau wurde und sich ein Eisenmenger-Syndrom gebildet hatte. Darauf gilt es sich immer wieder neu einzustellen. Aufgewachsen bin ich mit fünf Geschwistern in Meilen am Zürichsee. Dort habe ich meine Schulzeit verbracht. Einschränkungen wegen meiner Krankheit gab es fast nur beim Sportunterricht. Dank der Unterstützung von Familie und Lehrern konnte ich eine Banklehre absolvieren. Als Kassier, Kreditsachbearbeiter und Spezialist für Computerprogramme im Bereich Kreditvergabe lernte ich die Vielseitigkeit des Bankgeschäfts kennen. Oftmals habe ich mich aber über meine Grenzen hinaus belastet. Auf Anraten meiner Ärzte reduzierte ich mein Arbeitspensum um 50 Prozent und zog mich auf eine ruhigere Assistenzposition im Personalbereich zurück. Ein Schritt, der mir nun wieder Raum lässt für andere Vorhaben, für die mir vorher einfach die Kraft fehlte. Zum Beispiel übe ich in der Rechnungsprüfungskommission der Gemeinde Männedorf ein politisches Amt aus. Ausserdem bin ich Mitglied des Organisationskomitees für die Young-Hearts-Konferenz 2004. Solche Nebenbeschäftigungen sind mir wichtig. Sie erlauben mir, andere Menschen, Ansichten und Tätigkeits75 bereiche kennen zu lernen und neue Erfahrungen zu sammeln. Positiv hat sich das proaktive Informieren über meinen Herzfehler vor allem im Privatleben ausgewirkt. Das hilft Missverständnissen vorbeugen und bewahrt mich davor, als bequem oder faul abgestempelt zu werden. Die Mitarbeitenden sollen wissen, dass ich zum Beispiel nicht einfach aus Bequemlichkeit den Lift benütze oder öfters eine Pause brauche. Dass man mich nicht mit Samthandschuhen anfassen muss, merken meine Gegenüber meist noch früh genug. Seit über zehn Jahren führe ich meinen eigenen Haushalt, wobei ich für Reinigung und Waschen auf freundliche Mithilfe zählen kann. In der Ruhe meiner Wohnung tanke ich nach einem oftmals turbulenten Arbeitstag oder einer hitzigen Sitzung neu auf und lasse meine Seele ein wenig «baumeln». Sehr wichtig ist mir meine Freiheit. Das gilt auch bei meinem liebsten Hobby, dem Reisen. In den vergangenen zehn Jahren habe ich alle fünf Kontinente bereist, den Äquator und die Datumsgrenze überquert und dabei die Welt einmal umrundet. Und dies alles auf eigene Faust und als Alleinreisender. Die daraus entstandenen Begegnungen möchte ich auf keinen Fall missen. Dabei habe ich eines gelernt: «Vieles ist möglich, wenn du es nur willst» – aber auch: «Respektiere deine Grenzen!» Psyche und soziale Beziehungen Selbstwertgefühl, Selbstvertrauen Wer mit einem Herzfehler aufgewachsen ist, hat grosse Erfahrung mit Einschränkungen, Ausgrenzungen und Unverständnis. Der Körper wurde als unzuverlässiger Partner wahrgenommen in einer Zeit, als Gleichaltrige den ihren ganz selbstverständlich als Werkzeug benutzten. Junge Erwachsene mit angeborenem Herzfehler haben daher oft ein geringes Selbstwertgefühl und sind unsicher. Es braucht dann aber einiges an Durchsetzungsvermögen, um dennoch ein einigermassen normales Leben führen zu können. Der Weg des geringsten Widerstandes ist für diese Menschen meist inakzeptabel. Sie werden zu Kämpfertypen, die aber auch zerbrechen und resignieren können. Umgang mit Grenzen Der körperlichen Belastbarkeit Erwachsener mit einem angeborenen Herzfehler sind Grenzen gesetzt. Sie haben die Tendenz, diese Grenzen zu suchen und sie gelegentlich zu überschreiten. Die Angst, an Leistungs- 77 fähigkeit zu verlieren, ist dauernd im Hintergrund vorhanden. Das kann dazu führen, dass sie sich selbst überfordern. Seltener unterfordern sie sich und leiten aus ihrer Behinderung Ansprüche an die Umgebung ab. Dies vor allem, wenn ihre Erziehung durch ein allzu beschützendes Verhalten ihrer Umgebung geprägt war. Die psychische Belastbarkeit ist an sich gross. Dennoch erreicht sie leicht ihre Grenzen, weil Selbstdisziplin und Selbstzweifel der Herzkranken mit Unverständnis und Diskriminierung seitens ihrer Umgebung konfrontiert sind. Eine kompetente psychische Unterstützung wäre oft wünschenswert. Es gibt aber zurzeit wenig Fachleute, die sich auf dem Gebiet der psychischen Folgen körperlicher Krankheiten auskennen. In Selbsthilfegruppen können Erwachsene mit angeborenem Herzfehler untereinander Erfahrungen austauschen, Verständnis und Ermutigung finden für die Dinge, in die sich Gesunde nicht einfühlen können. Solche positive Erfahrungen machen zum Beispiel zahlreiche Betroffene, die sich der Gruppe CUORE MATTO (Vereinigung für Jugendliche und Erwachsene mit angeborenem Herzfehler) angeschlossen haben. Unsichtbare Behinderung Vielen Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler sieht man ihre Behinderung nicht an, sofern sie weder besonders klein noch zyanotisch oder krankhaft mager sind. Es bleibt ihnen überlassen, ob, wie und wann sie jemanden über ihren Herzfehler informieren. Dabei ist es unvermeidlich, dass ahnungslose Mitmenschen Bemerkungen machen, die den Herzkranken verletzen. Die Gesellschaft hält Werte hoch, denen er nicht nachleben kann: Treppen steigen statt Lift fahren, Rad statt Auto fahren, Rohkost essen statt Medikamente nehmen. Umgekehrt werden dem schwer atmenden Herzkranken gelegentlich genau die Verhaltensweisen vorgeworfen, mit denen Gesunde ihr Herz schädigen: «Du rauchst wohl zu viel!», «Du solltest mehr Sport treiben!» 78 Wenn Operationsnarben beim Sport sichtbar sind, reagiert die Umgebung entweder mit direkten Fragen oder mit auffallend unaufdringlichen Blicken. Das ist nicht angenehm, aber man kann sich darauf einstellen und darf sich die Freude am Sport dadurch auf keinen Fall trüben lassen. Es ist praktisch unvermeidlich, dass Gesunde ungeschickt sind, denn Gesunde und Herzkranke schüchtern sich gegenseitig ein. Manchmal ist es Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler möglich, Gesunde in ausgesprochen peinliche Situationen hineinzumanövrieren. Wenn sie auf eine spöttische Bemerkung mit der Information über den Herzfehler antworten, kann das für Spötter zutiefst beschämend sein. Partnerschaft, Ehe, Familie Die Frage der Partnerschaft und Ehe ist für Erwachsene mit angeborenem Herzfehler schwierig. Die Frage, ob und wie lange man den Bedürfnissen des Partners gerecht werden kann, ist im Voraus kaum zu beantworten. Das Ende einer Liebesbeziehung wird gerne mit dem Herzfehler in Verbindung gebracht und trägt zur Unsicherheit noch mehr bei. Frauen mit angeborenem Herzfehler können recht gut annehmen, dass sie von ihrem Partner Unterstützung brauchen. Schwierig ist für sie die Frage, ob sie Kinder haben können, ob deren Entwicklung vor der Geburt normal sein kann und ob diese früh ihre Mutter verlieren werden. Beruf und Familie zu vereinbaren, ist für diese Frauen noch viel schwieriger als für gesunde Frauen. Dem gesunden Partner fällt es oft schwerer, mit der Behinderung umzugehen, als dem Behinderten selbst. Männer mit angeborenem Herzfehler haben grosse Mühe damit, der schwächere Partner zu sein. Die Erwartung der Gesellschaft an den Mann belastet ihre Beziehung, und es fällt ihnen oft leichter, eine ähnlich behinderte Partnerin zu haben. Wohl wollende Gesunde Wie in der Kindheit, so ist es auch im Erwachsenenalter ein häufiges Problem, dass Gesunde den Menschen mit angeborenem Herzfehler unnötig enge Grenzen setzen. Ihre Vorstellungen über das Ausmass der Behinderung, über Gefahren und ihre Hilfsbedürftigkeit sind diffus; unnötige Schonung oder deplatzierter Trost sind ebenso häufig wie unrealistische Erwartungen an die Willenskraft des Behinderten. Das richtige Mass ist deshalb sowohl für Erwachsene mit angeborenem Herzfehler als auch für ihre Umgebung schwierig zu finden, weil die Leistungsfähigkeit oft sehr variabel ist. Beide haben Mühe vorauszusehen, wann wie viel zumutbar ist. Immer wieder taucht für Erwachsene mit angeborenem Herzfehler auch die Frage auf, ob sie für Gesunde eine Zumutung sind. Diskriminierung Diskriminierung ist eine häufige Erfahrung von Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler. Es werden wohl auch Verhaltensweisen und Regelungen als diskriminierend empfunden, die nicht so gemeint sind. So kann eine «behindertengerechte» Bauweise für Behinderte mit Atemnot die Wahl zwischen einer unzumutbaren Treppe und einer ebenso unüberwindlichen Rampe bedeuten. Wenn es schlechter geht Für Erwachsene mit angeborenem Herzfehler ist es nicht immer möglich, das Thema ihrer Sterblichkeit so zu verdrängen, wie es Gesunde im Alltag tun. In jede Planung der eigenen Zukunft schleicht sich der Gedanke ein, und auch eine Karriere kann nicht unbeschwert überblickt werden. Wie es jedem Schwerkranken zusteht, sollen Personen mit Herzfehlern wählen dürfen, ob, wann und mit wem sie über den Tod sprechen wollen. Die Tendenz Gesunder, abzuwinken und zu positivem Denken aufzufordern oder mit einem Hinweis auf Gefahren im Strassenverkehr die Bedrohtheit des Herzkranken zu relativieren, ist verständlich, aber wenig hilfreich. Da in den Spitälern junge Herzpatienten selten sind, ist die Chance gross, dass auf der Intensivstation alles versucht wird, ihr Leben zu retten. Es kann sinnvoll sein, sich mit einer Patientenverfügung vor extremen Massnahmen ein Stück weit zu schützen. Dabei ist das offene Gespräch mit dem eigenen Arzt und mit nahe stehenden Personen wichtig, damit der eigene Wille auch dann in ärztliche Entscheide einfliessen kann, wenn der Patient zur Mitsprache nicht mehr fähig ist. 79 Das Sterben macht Angst. Körperliche Beschwerden (z.B. Atemnot), Schwäche, Abhängigkeit und Vereinsamung dominieren die Vorstellungen. Die palliative Medizin und Pflege kann durch ärztliche und pflegerische Massnahmen, durch liebe- und respektvolle Beziehungen der Betreuenden mit den Patienten und durch Unterstützung der Angehörigen vor und nach dem Tod das Ende des Lebens lebenswert machen. Das dürfen Patienten und Angehörige fordern. 80 Berufsausbildung und Anstellungsverhältnisse Eine möglichst gute Schulbildung ist wichtig, insbesondere wenn als Folge eines Herzfehlers oder einer begleitenden Erkrankung eine körperliche Leistungsverminderung vorliegt, welche die Ausübung eines körperlich anstrengenden Berufes einschränkt. Manchmal ist die Ausbildung in einem Schulheim oder einer Spezialtagesschule sinnvoll. In vielen Fällen kann eine sorgfältige Berufsberatung durch die Invalidenversicherung (IV) und durch andere staatliche oder private Stellen sehr nützlich sein. Für die Mehrheit der Betroffenen stehen aber die meisten Berufe offen. Arbeitssuchende mit einem angeborenen Leiden sollten sich im Arbeitsrecht besonders gut auskennen oder beraten lassen. Im Bewerbungsgespräch oder auf Fragebögen müssen Angaben zum Gesundheitszustand nur dann gemacht werden, wenn sie unmittelbar mit dem Arbeitsplatz zusammenhängen. 81 Gezielte Fragen des Arbeitgebers müssen beantwortet werden, sofern sie mit der zu leistenden Arbeit in Zusammenhang stehen können (betrifft beispielsweise auch mögliche vermehrte Absenzen wegen Krankheiten) (OR Art. 320 und 328; AVIG Art. 30). Bei der Aufnahme in die gesetzlich vorgeschriebene Vorsorge (II. Säule) besteht keine Verpflichtung zur Beantwortung von Gesundheitsfragen. Beim Vorstellungsgespräch sollten Sie versuchen, ruhig und selbstsicher zu sein, ein freundliches Gesicht zu machen und dem Gegenüber in die Augen zu schauen. Seien Sie pünktlich, lieber etwas zu früh und rechnen Sie mit genügend Zeitreserve. Lassen Sie sich von einer Fachperson, die über Vorstellungsgespräche besonders gut Bescheid weiss, instruieren und beraten, wie Sie sich verhalten sollen und auf welche Art Sie Fragen am besten beantworten. Christian Diem Ich heisse Christian Diem und bin 30 Jahre alt, obwohl ich mich erst 25 Jahre jung fühle. Ich bin 185 cm gross und wohne in Herisau. Mit 16 Jahren, als ich in der 3. Sekundarschulklasse war, erkrankte ich an einer Endokarditis. Irgendwann rebellierte mein Körper, aber ich wusste nicht wieso. Ich wurde immer blasser und bekam lauter blaue Striche. Der Kinderarzt wusste nicht mehr weiter und meldete mich im Regionalspital an. Dort wurde die Krankheit aufgedeckt. Ich wurde sofort hospitalisiert und nach drei Tagen ins Universitätsspital in Zürich verlegt, wo ich sieben Wochen lang an Infusionsschläuchen hing. Die Endokarditis zerstörte meine Aortaklappe und erforderte eine Herzoperation. Zuvor wurden mir alle vier Weisheitszähne herausoperiert. Dann durfte ich bis zum Operationstermin nochmals nach Hause. In jener Zeit erlitt ich eine Hirnblutung. Halbseitig gelähmt wurde ich wieder nach Zürich verlegt. Meine Mutter ist noch heute überzeugt, dass die Entfernung der Weisheitszähne die Hemiplegie verursachte. Zwei Wochen später wurde mir eine neue biologische Herzklappe eingesetzt. Von dann an war mein Tag mit Therapien ausgefüllt. Unter anderem musste ich das Treppensteigen wieder lernen. Dann konnte ich endlich zur Rehabilitation ins Jugendwerk nach Gailingen (Deutschland) gehen, wo ich anderthalb Jahre blieb und auch die Schule besuchte. Meine Schul83 zeit beendete ich dann in Trogen. Bei einer Treuhandgesellschaft absolvierte ich eine kaufmännische Lehre. 1997, acht Jahre nach der ersten Operation, wurde mir eine neue künstliche Aortenklappe eingesetzt. Seither bin ich auf blutverdünnende Medikamente angewiesen. Mit einer Behinderung ist es schwierig, einen Job zu bekommen. Ich kann nur noch die linke Hand gebrauchen, und meine Aphasie (Wortfindungsstörungen) erschwert den Kontakt mit Menschen, die meine Krankengeschichte nicht kennen. Ich arbeitete temporär in mehreren Treuhandfirmen, bis ich meine jetzige Stelle in der Buchhaltung des Kantonsspitals St. Gallen bekam. Einer meiner früheren Chefs hatte meine Arbeitsfähigkeit entdeckt. Er sagte, die Behinderten wollten arbeiten, die gesunden Menschen hingegen müssten arbeiten. Obschon der Alltag für mich schwieriger ist als für die andern, bin ich ein Optimist. Wenn man sich behindert fühlt, geht die Lebensfreude verloren. Versicherungen Zu den obligatorischen Versicherungen gehören die Grundversicherung der Krankenkasse (KK) und die obligatorische Vorsorgeversicherung für Arbeitnehmer (Pensionskasse II. Säule). Zusätzlich sind alle Schweizer und aufenthaltsberechtigten Ausländer bei der Invalidenversicherung (IV) versichert. Zu den freiwilligen Versicherungen gehören die Zusatzversicherungen (halbprivat und privat) der KK, die freiwilligen Zusatzanteile der Pensionskasse, die vertraglich geregelten Lohnausfallversicherungen sowie private Lebens-, Risiko- und Rentenversicherungen. 84 Angeborene Herzfehler fallen zunächst unter die Leistungspflicht der Invalidenversicherung (IV, Ziffer 313). Die IV kommt bis zum vollendeten 20. Lebensjahr für medizinische Leistungen (ärztliche Behandlung) im Zusammenhang mit dem Herzfehler auf, danach besteht die Leistungspflicht bei der Krankenkasse (Grundversicherung). Bei der obligatorischen Grundversicherung der Krankenkasse dürfen keine Vorbehalte gemacht werden. Bei der obligatorischen beruflichen Vorsorge (II. Säule) sind ebenfalls keine Vorbehalte möglich und daher müssen keine Gesundheitsfragen beantwortet werden. Jedoch ist eine Arbeitnehmerin verpflichtet, anlässlich der Aufnahme in den über das gesetzliche Minimum hinausgehenden Teil der Pensionskasse zuhanden des Vertrauensarztes über eine allfällige Krankheit oder Behinderung Auskunft zu geben. Die Pensionskasse bzw. deren Vertrauensarzt darf aber die Krankheit gegenüber dem Arbeitgeber nicht erwähnen. Wenn keine Höherversicherung möglich ist, sollte folgender Vermerk angebracht werden: «Lediglich gesetzlich vorgeschriebener Vorsorgeteil erwünscht, keine weitergehende berufliche Vorsorge.» Dies um eine Diskriminierung bei der Anstellung zu vermeiden. Die Zusatzversicherungen der Krankenkasse und die nichtobligatorischen Vorsorge- und Risikoversicherungen, auch dem Gesetz für Privatversicherungen unterstellte Lohnversicherungen, sind nicht verpflichtet, Kunden anzunehmen, und müssen für eine Ablehnung auch keine Begründung angeben. Personen mit erhöhtem Risiko werden entweder abgelehnt oder mit Prämienzuschlag versichert. Manchmal werden dieselben Anträge jedoch nicht von allen Versicherungen gleich beurteilt. Die Versicherungsgesellschaften stützen sich bei ihren Verträgen auf das Tarifbuch einer Rückversicherungsgesellschaft. Zurzeit befinden sich die Beurteilungsgrundlagen der Schweizer Rückversicherung (die meist massgebend ist) in Überarbeitung. Mehrere Versuche und eine Beratung durch einen unabhängigen Versicherungsexperten sowie die persönliche Rücksprache des behandelnden Arztes mit dem Vertrauensarzt der Versicherung lohnen sich. Es kann empfehlenswert sein, sich in Anstellungsund Versicherungsfragen eventuell frühzeitig von einem erfahrenen Juristen beraten zu lassen (Kontaktadressen über die Selbsthilfeorganisation CUORE MATTO). Bei vollständiger oder teilweiser Erwerbsunfähigkeit infolge des Herzfehlers besteht nach Ablauf eines Jahres die Möglichkeit, eine IV-Rente zu beantragen. Die IV kommt auch für berufliche Eingliederungsmassnahmen oder Umschulungen auf. Die Antragsformulare sind bei der kantonalen Ausgleichskasse zu beziehen und durch den Versicherten selbst auszufüllen. Die IV holt dann bei den angegebenen Ärzten die medizinischen Auskünfte ein. 85 Behandlungskette Die erste Anlaufstelle für alle gesundheitlichen Probleme ist in der Regel der Hausarzt. Wenn bei Ihnen bisher ein Kinderarzt die Funktion des Hausarztes hatte, werden Sie anschliessend wahrscheinlich einen Allgemeinpraktiker oder einen Internisten als Hausarzt wählen. Daneben benötigen Sie in gewissen Abständen auch die Untersuchung und Beratung durch einen im Umgang mit angeborenen Herzfehlern erfahrenen Kardiologen. 86 Eine gute Zusammenarbeit des Kinderkardiologen mit einem Herzspezialisten für Erwachsene ist sehr wichtig. In der Schweiz gibt es dafür eine spezielle Arbeitsgruppe «WATCH» (= Working Group for Adults and Teenagers with Congenital Heart Disease) der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie, welche die Fortbildung und Forschung auf dem Gebiet der Herzfehler fördert. Durch die gemeinsame Besprechung lernen einerseits die Erwachsenenärzte die neuen Erkenntnisse und Behandlungsmethoden im Kindesalter besser kennen, andererseits erhalten die Kinderärzte wertvolle Informationen über das weitere Schicksal ihrer Patientinnen und Patienten, die zur Beurteilung zukünftiger Probleme wichtig sein können. Am besten wird die Übergabe anlässlich der letzten Konsultation beim Kinderkardiologen bereits festgelegt. Im Idealfall findet bei komplizierten Fällen eine persönliche Übergabe vom Kinderkardiologen an den mit der Betreuung von Patienten mit angeborenem Herzfehler erfahrenen Erwachsenenkardiologen in Anwesenheit des Patienten statt. Wenn Akten über frühere Untersuchungen und Behandlungen vorhanden sind, sollten diese vom Kinderarzt bzw. dem Kinderkardiologen an die Erwachsenenärzte übergeben werden. Besonders wichtig sind die Protokolle der durchgeführten Operationen, da sie bei allfälligen später auftretenden Problemen und speziell bei der Planung weiterer Eingriffe wertvolle Hinweise liefern können. Stellen Sie sicher, dass Sie Ihren Ansprechpartner für alle Arten von Fragen kennen, sei es der Hausarzt, der Kardiologe in der Praxis oder derjenige im Zentrumsspital. Sorgen Sie auch dafür, dass andere Ärzte, mit denen Sie vielleicht wegen akuter Erkrankungen, Operationen oder Unfällen in Kontakt kommen, immer mit Ihrem Hausarzt und Ihrem Kardiologen Kontakt aufnehmen. Nur so werden Missverständnisse vermieden und wichtige Gesichtspunkte frühzeitig erkannt. Falls Sie viel auf Reisen sind, empfiehlt es sich, eine Zusammenfassung Ihrer Krankengeschichte auf Englisch, ein aktuelles EKG und Kontaktadressen Ihrer Ärzte mitzunehmen. Bei komplizierten Fällen ist es ratsam, wenn die Patienten immer eine Kopie des letzten Arztberichts bei sich tragen. 87 Mein Name ist Doris Zemp-Lustenberger. Ich wurde 1951 mit einer kongenital korrigierten Transposition der grossen Arterien, einem Ventrikelseptumdefekt und einer Pulmonalstenose geboren. Damals war mein Herzfehler noch inoperabel, weshalb ich mit einer kurzen Lebenserwartung von unter 20 Jahren zu rechnen hatte. Eine Endokarditis im Alter von zwei Jahren verschlechterte die Prognose zusätzlich. Trotz körperlichen Einschränkungen und mehreren Spitalaufenthalten durchlief ich die Schulzeit problemlos und war bei meinen Schulkolleginnen bestens integriert. 1967, als ich 16 war, wagten sich die Ärzte im Unispital Zürich an eine mehrstündige Operation, die erfolgreich verlief. Das eröffnete mir neue Lebensperspektiven. Noch während meiner Lehrzeit als Dentalassistentin lernte ich meinen jetzigen Mann kennen, mit dem ich seit 1972 verheiratet bin. Nach fünf Fehlgeburten bekamen wir 1979 und 1981 zwei gesunde Kinder. 88 Unser Familienglück wurde jedoch schon bald einer harten Zerreissprobe ausgesetzt, als sich mein Gesundheitszustand ab 1987 wieder zusehends verschlechterte. Nach grossen Diskussionen, ob erneute Herzoperation oder Transplantation, wurde ich 1992 im Unispital Zürich zum zweiten Mal operiert (mit der Option einer Transplantation nach fünf bis sieben Jahren). Bei diesem sehr erfolgreichen Eingriff erhielt ich unter anderem eine mechanische Herzklappe und einen Schrittmacher. Ich habe dadurch wieder viel Lebensqualität gewonnen und bin meinen Ärzten sehr dankbar für diesen mutigen Entscheid. Seitdem sind elf Jahre vergangen, und es geht mir so gut, dass das Thema Herztransplantation in weite Ferne gerückt ist. Seit meine Kinder erwachsen sind, habe ich wieder mehr Zeit für andere Tätigkeiten. Nebst meiner Teilzeitarbeit in der Zahnarztpraxis meines Mannes und als Lehrabschlussprüfungsexpertin für Dentalassistentinnen habe ich 1999 zusammen mit einigen anderen Betroffenen die Vereinigung für Jugendliche und Erwachsene mit angeborenem Herzfehler namens CUORE MATTO gegründet, der ich seit Beginn als Präsidentin vorstehe. Dieses Amt bringt zwar viel Arbeit mit sich, aber auch grosse Befriedigung und vor allem viele neue Freundschaften. In meiner Freizeit besuche ich gerne Konzerte, entspanne mich beim Lesen oder geniesse mit Freunden ein Glas Wein. Auch wenn ich mit ein paar Einschränkungen leben muss, fühle ich mich nicht behindert. Ich habe meinen Herzfehler akzeptiert und mich mit ihm arrangiert, so dass ich ein sehr lebenswertes Leben führen kann. Getragen und begleitet werde ich von meiner Familie und kompetenten, einfühlsamen Ärzten. 89 Doris Zemp Fragen und Ängste von Betroffenen Viele Menschen mit angeborenen Herzfehlern werden im Laufe ihres Lebens mit Situationen konfrontiert, die nicht nur für den Körper, sondern auch für die Psyche eine grosse Herausforderung und Belastung darstellen. Vor allem vor Operationen können quälende Fragen aufkommen: 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 Ist dieser Eingriff wirklich notwendig? Was wird dabei gemacht? Werde ich grosse Schmerzen haben? Geht es mir danach besser? Wird sich meine Arbeitsfähigkeit verbessern? Bin ich nachher auf Medikamente angewiesen? Wie lange dauert der Spitalaufenthalt? Wie lange dauert die Rekonvaleszenz? Muss oder soll ich nach der Operation in die Rehabilitation gehen? Muss ich später nochmals operiert werden? Wie werden meine Kolleginnen und Kollegen reagieren? Werden mich meine Narben sehr stören? Verständlicherweise verursachen existenzielle Fragen grosse Angst und Unsicherheit, mit denen sich Betroffene auseinander setzen müssen: 7 Wie risikoreich ist dieser Eingriff? 7 Könnte er gar tödlich enden? Manchen Betroffenen fällt es schwer, mit ihren Angehörigen diese Fragen zu thematisieren, weil sie deren Angst und Hilflosigkeit spüren. Aus gegenseitiger Rücksichtnahme wird das Thema dann oft tabuisiert, was jedoch für beide Seiten meistens sehr belastend ist. Wie viel man Freunden und Bekannten gegenüber erzählen möchte, muss wohl jeder für sich selbst abwägen. Erfahrungen zeigen jedoch, dass die Umgebung oftmals mit Mitleid reagiert. Gut gemeinte Sätze wie: «Du bist wirklich ein Armer» oder «Du tust mir echt leid» wirken eher kontraproduktiv. Denn Mitleid kann beim Betroffenen sehr schnell zu Selbstmitleid führen, und das ist wohl das Unbrauchbarste in einer solchen Situation. Mutmachende Worte, welche die Kraft und den Durchhaltewillen stärken, bleiben jedoch leider oft aus. Deshalb erzäh- 91 len viele Betroffene aus Selbstschutz wenig bis gar nichts über ihre Befindlichkeit bei einem bevorstehenden Eingriff. In dieser Zeit kann der Arzt – meistens der Kardiologe – zu einer sehr wichtigen Bezugsperson werden. Dies setzt jedoch ein uneingeschränktes Vertrauensverhältnis voraus, das schon vorher aufgebaut werden sollte. Nur so werden sich Betroffene wagen, ihm gegenüber ihre Ängste auszusprechen, und der Arzt wird sich den Fragen – auch den unangenehmen – offen stellen. Für die Patienten ist es unabdingbar, von ihrem Arzt ernst genommen zu werden. Niemand sollte sich schämen müssen, wenn er zum Beispiel einen einfachen Kathetereingriff als bedrohlich empfindet oder eine vermeintlich «dumme Frage» stellt. Auch Tränen sollten nicht unterdrückt werden müssen aus Angst, vor dem Arzt das Gesicht zu verlieren. Ebenso ist es kein Makel, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dies geschieht idealerweise in interdisziplinären Sprechstunden, wo der Kardiologe und der Psychologe eng zusammenarbeiten. Angst und Unsicherheit kann nur in einem engen Verhältnis mit den betreuenden Ärzten, gestützt auf gegenseitige Offenheit, auf Respekt und Vertrauen, begegnet werden. 92 Nicht zu unterschätzen ist auch der Austausch mit andern Betroffenen. Wohl können Fachpersonen die medizinischen und psychologischen Fragen beantworten und Verständnis für die Ängste ihrer Patienten signalisieren. Dennoch werden wohl nur Personen, die Ähnliches selbst durchlebt haben, die Ängste und Sorgen, welche Patienten vor einem Eingriff bedrücken, wirklich nachvollziehen können. Kontaktadressen Patienten- und Selbsthilfeorganisationen Schweizerische Herzstiftung Schwarztorstrasse 18 Postfach 368 3000 Bern 14 Telefon 031 388 80 80 Fax 031 388 80 88 [email protected] www.swissheart.ch Die Schweizerische Herzstiftung setzt sich aktiv gegen Herzkrankheiten und Hirnschlag ein. Sie organisiert einerseits Präventionskampagnen zur Aufklärung der Bevölkerung über kardiovaskuläre Erkrankungen, andererseits generiert sie Mittel für wichtige Forschungsprojekte, unter anderem auch auf dem Gebiet der angeborenen Herzfehler. So hat die Schweizerische Herzstiftung in den vergangenen Jahren wichtige Beiträge zur Verbesserung der Situation von Patienten mit angeborenen Herzfehlern geleistet und wird sich auch in Zukunft auf diesem Gebiet engagieren. Auf der Website der Schweizerischen Herzstiftung finden Betroffene, Angehörige und Interessierte Wissenswertes und Nützliches zum Thema Herzkrankheiten und Hirnschlag. CUORE MATTO, Vereinigung für Jugendliche (ab 16 Jahren) und Erwachsene mit angeborenem Herzfehler Präsidentin: Doris Zemp Feldmatt 20 6018 Buttisholz Telefon P 041 928 16 88 Telefon G 041 490 22 44 [email protected] [email protected] www.cuorematto.ch Sekretariat: Caroline Süess Engelbergstrasse 40 4656 Starrkirch Telefon 062 295 36 32 [email protected] 93 Die Vereinigung CUORE MATTO hilft Betroffenen bei medizinischen Fragen und Alltagsproblemen. Dies geschieht sowohl durch gegenseitige Unterstützung und Erfahrungsaustausch als auch durch Zusammenarbeit mit Fachpersonen, Vermittlung von Beratungsstellen (z.B. bei Versicherungs- und Rechtsproblemen), Vorträge, Seminare, gesellschaftliche Treffen und Ferienwochen. Ebenfalls pflegt die Vereinigung internationale Kontakte zu gleichartigen Patientenvereinigungen und setzt sich gesamteuropäisch für die Anliegen ihrer Mitglieder ein. Elternvereinigung für das herzkranke Kind Sekretariat Anita Kallon Neuhusstrasse 35c 8630 Rüti Telefon 055 260 24 52 [email protected] www.evhk.ch 94 Die Elternvereinigung setzt sich direkt für herzkranke Kinder ein. Sie pflegt eine gute Zusammenarbeit mit der Vereinigung CUORE MATTO und stellt dieser im «Herzblatt», dem Informationsmedium der Elternvereinigung, ein Publikationsforum zur Verfügung. Beratungsstellen Dachverband Schweizerischer Patientenstellen Postfach 8042 Zürich Telefon 01 361 92 56 Team Selbsthilfe Dolderstrasse 18 8032 Zürich Telefon 01 252 30 36 Procap Schweizerischer Invalidenverband Zentralsekretariat Froburgstrasse 4 4600 Olten Telefon 062 206 88 88 www.procap.ch Beratungsdienst des Schweizerischen Beobachters Förrlibuckstrasse 10 8005 Zürich Telefon 01 448 78 78 Rechtsberatungsstelle für Unfallopfer und Patienten (UP) Werdstrasse 36 8004 Zürich Telefon 01 242 43 54 und 0800 707 277 Schweiz. Patientenorganisation (SPO) Zähringerstrasse 32 8001 Zürich Telefon 01 252 54 22 Ombudsman der sozialen Krankenversicherung Morgartenstrasse 9 6003 Luzern Telefon 041 226 10 10 Ombudsman der Privatversicherung Kappelergasse 15 8001 Zürich Telefon 01 211 30 90 Unter www.krankenkasse.ch wird im Internet ein dreisprachiger Prämienvergleich mit verschiedenen Franchisen für die ganze Schweiz angeboten. 95 Fachgesellschaften und -arbeitsgruppen Schweizerische Gesellschaft für Kardiologie Schwarztorstrasse 18 3007 Bern Telefon 031 388 80 90 Fax 031 388 80 98 [email protected] www.swisscardio.com Die Schweizerische Gesellschaft für Kardiologie ist die Fachgesellschaft der Schweizerischen Herzspezialisten. Sie beschäftigt sich neben organisatorischen und standespolitischen Aspekten mit medizinischen Fragen der angeborenen Herzfehler und kann bei Bedarf Kontakte mit entsprechenden Fachleuten herstellen. WATCH 96 Innerhalb der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie hat sich eine Arbeitsgruppe von Fachärzten gebildet, die sich speziell mit den angeborenen Herzfehlern im Erwachsenenalter befassen. Der Name dieser Arbeitsgruppe ist WATCH (Working Group for Adults and Teenagers with Congenital Heart Disease). Die Gruppe erarbeitet Empfehlungen zur Abklärung und Behandlung von Herzfehlern, koordiniert Forschung und Öffentlichkeitsarbeit und organisiert Fortbildungen sowie Fachtagungen. Sie unterhält ferner Kontakte zu gleichartigen ausländischen Organisationen. Die Kontaktadressen der Funktionsträger dieser Gruppe und eine Liste ihrer Mitglieder ist bei der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie erhältlich. Allgemeine Adressen Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) Effingerstrasse 33 3003 Bern Telefon 031 322 90 11 Bundesamt für Gesundheit (BAG) Schwarzenburgstrasse 165 3003 Bern Telefon 031 322 21 11 Santésuisse Konkordat der Schweizerischen Krankenversicherer Römerstrasse 20 4502 Solothurn Telefon 032 625 41 41 [email protected] Schweizerischer Verband für Gemeinschaftsaufgaben der Krankenversicherer (SVK) Muttenstrasse 3 4500 Solothurn Telefon 032 626 57 47 Interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel (IKS) Erlachstrasse 8 3000 Bern 9 Telefon 031 322 36 51 97 Diagramm «Ihr persönlicher Herzfehler» Diagramm 1: normale Anatomie 98 Bitten Sie Ihren Kardiologen, das vorgesehene Diagramm zu ergänzen bzw. eine für Ihren Fall zutreffende Zeichnung an dieser Stelle einzufügen: Diagramm 2: individuell zu ergänzen gemäss Diagnose 99 Literaturhinweise Website von CUORE MATTO www.cuorematto.ch Website des Canadian Adult Congenital Heart Network www.cachnet.org Website der Bibliothek der University of Toronto, mit Spezialseiten für Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern www.library.utoronto.ca/nevil_thomas Website der Elternvereinigung für das herzkranke Kind www.evhk.ch Diagramme von angeborenen Herzfehlern www.kumc.edu/kumcpeds/cardiology/pedcardiodiagrams.html «Herzblatt», Zeitschrift der Elternvereinigung für das herzkranke Kind Redaktion: Spichermattstrasse 18, 4573 Lohn-Ammannsegg 100 Oechslin E., Hoffmann A. Organisatorische und medizinische Aspekte beim Übergang von Jugendlichen mit einem angeborenen Herzfehler ins Erwachsenenalter Therapeutische Umschau 2001;58:111–118 Mutter Herz Kind – Das Leben mit einem vom Tod bedrohten Kind Autorin: Ruth Meyer Appenzeller Verlag, Kasernenstrasse 64, Postfach, 9101 Herisau «Ruth beschreibt in ihrem stark autobiografischen Buch ihre Erfahrungen mit einem vom Tod bedrohten Kind. Sie erzählt von einem Leben, in dem die Krankheit zum stetigen Begleiter, die Erwartung des Aussergewöhnlichen zum Normalen wird. In der Gegenüberstellung mit Geschichten von Arbeitslosen entschlüsselt Ruth Meyer die Gefühle von Sara und enthüllt die Dynamik, die weder die Elternbeziehung noch das Leben der Geschwister unberührt liess.» Ein kleines Herz wird stark Prof. Dr. med. Thierry Carrel, Katalin Vereb, Karl-Heinz Hug Werd Verlag Schweizerische Herzstiftung Schwarztorstrasse 18 Postfach 368 3000 Bern 14 Telefon 031 388 80 80 Fax 031 388 80 88 E-Mail: [email protected] www.swissheart.ch PC-Konto 30-4356-3