Richter fachen Diskussion zur Präimplantationsdiagnostik an

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Richter fachen Diskussion zur
Präimplantationsdiagnostik an
Die Präimplantationsdiagnostik (PID) verstößt nach Ansicht des Bundesgerichtshofes nicht
gegen das Embryonenschutzgesetz. Der Leipziger Strafsenat des Gerichts verwarf am 6. Juli
die Revision der Staatsanwaltschaft gegen einen Berliner Gynäkologen und bestätigte den
Freispruch des Berliner Landgerichts vom 14. Mai 2009. Der Frauenarzt hatte künstlich
befruchtete Eizellen von drei kinderwilligen Paaren untersucht und in deren Einvernehmen
nur Embryonen ohne chromosomale Anomalien in die Gebärmutter eingesetzt. In allen drei
Fällen wies jeweils ein Partner genetische Belastungen auf.
Das oberste deutsche Gericht hat geurteilt, doch der Leipziger Richterspruch gibt keine
Antwort darauf, wie es Deutschland künftig mit der umstrittenen PID halten soll. In der wieder
angefachten Diskussion werden die bekannten Argumente Pro und Contra ausgetauscht,
werden neue Gesetze zur Fortpflanzungsmedizin oder Gesetzesänderungen zum
Embryonenschutz (ESchG) gefordert. Dass geltendes Recht (Pränataldiagnostik und
Fristenregelung nach § 218 StgB) voller Widersprüche steckt und im Fall des
Embryonenschutzgesetzes dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt hinterherhinkt (wie
der BGH explizit anmerkt), vereinfacht die Debatte nicht.
Jetzt sind die Politiker am Zug
Intrazytoplasmatische Spermieninjektion, eine Methode der künstlichen Befruchtung. © Wikipedia/Clinica e centro
de pesquisa em reprodução humana Roger Abdelmassih
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Klarheit schafft das Leipziger Urteil insofern, als es die Entnahme von pluripotenten Zellen aus
dem Embryo für die PID als straffrei wertet. Diese Zellen sind anders als totipotente nicht mehr
in der Lage, sich zu einem eigenen Menschen zu entwickeln. Das Berliner Landgericht hatte in
seinem Urteil von 2009 entschieden, dass diese Nutzung zum Ausschluss schwerer
Erbkrankheiten nicht gegen das ESchG verstoße. Justizministerin LeutheusserSchnarrenberger begrüßte denn auch das BGH-Urteil, weil es Rechtssicherheit gebe. Die
Reaktionen auf das Urteil zeigen aber auch, dass die regierende schwarz-gelbe Koalition
uneins in der Bewertung der PID ist und eine entsprechende Gesetzesinitiative aus den Reihen
des Parlaments kommen müsste.
Justizministerin gesteht vorherige Rechtsunsicherheit ein
Über die Art genetischer Belastung der kinderwilligen Paare wurde nichts Näheres öffentlich.
Das BGH teilt mit, dass mit der Auslese genetisch defekter Embryonen ein „Abort, eine
Totgeburt, ein Versterben des Neugeborenen nach der Geburt oder die Geburt eines
schwerkranken Kindes“ vermieden worden sei. Was unterscheidet einen „schweren genetischen
Schaden“, von dem der 5. Strafsenat des BGH spricht, von einem minder schweren
genetischen Schaden? Diese Frage mussten die Juristen nicht beantworten, aber mit solchen
schwer lösbaren Fragen könnte sich ein Gesetzgeber konfrontiert sehen, falls er den Umgang
mit der PID in Regeln gießen wollte.
Später ist erlaubt, was vorher verboten sein soll
Vorgeburtliche Diagnostik wird von widersprüchlichen Gesetzen geprägt. © Templermeister/pixelio.de
Warum soll verboten sein, was Wochen später straffrei bleibt? Die PID wird oft mit der
Pränataldiagnostik (PND) verglichen, die nach entsprechender Diagnose einen
Schwangerschaftsabbruch ermöglicht. Manche Kritiker halten diesen Vergleich für falsch, weil
zwar das Ziel (die Abwehr schwerer genetischer Schäden) dasselbe, die Ausgangslage aber eine
andere sei. Der Bundesgerichtshof jedoch verweist in der Erläuterung des Urteils auf die später
mögliche PND und sieht die PID dazu geeignet, „solch schwerwiegende Gefahren (gemeint ist
der Schwangerschaftsabbruch, d. Red.) zu vermindern“.
Eine solche Gefahrenminderung könne das 1990 verabschiedete, 1991 in Kraft getretene
Embryonenschutzgesetz nicht verboten haben, gibt der BGH zu bedenken, wäre die im Ausland
entwickelte PID schon zur Verfügung gestanden. Das Gericht bezieht sich in diesem
Zusammenhang auf eine „Werteentscheidung“ des Gesetzgebers, der in § 3 des ESchG eine
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Ausnahme vom Verbot der Geschlechterwahl zuließ. Danach gelte dieses Verbot „nicht, wenn
die Auswahl der Samenzelle durch einen Arzt dazu dient, das Kind vor der Erkrankung an einer
Muskeldystrophie vom Typ Duchenne oder einer ähnlich schwerwiegenden
geschlechtsgebundenen Erbkrankheit zu bewahren, und die dem Kind drohende Erkrankung
von der nach Landesrecht zuständigen Stelle als entsprechend schwerwiegend anerkannt
worden ist.“ Eine gleichgelagerte Konfliktlage habe in den jetzt gerichtlich geklärten Fällen des
Berliner Reproduktionsmediziners bestanden.
Medizinethiker Fangerau: Urteil ist konsistent
Der Ulmer Medizinethiker Prof. Heiner Fangerau. © UK Ulm
Heiner Fangerau, Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der
Universität Ulm, hält das Urteil für „konsistent“ mit der Abtreibungsregel, die von der
Fristenregelung ausgeht, wonach sich der Wert des Lebens mit dem zunehmenden Alter des
Embryos erhöht. Die Begründung des Urteils, die auf die Pränataldiagnostik
(Fruchtwasseruntersuchung) verweist, hält Fangerau für trifftig. Man müsse auch die Eltern im
Blick haben.
Der Ulmer Wissenschaftler plädiert dafür, die PID analog zum Abtreibungsgesetz zu sehen.
Tatsächlich müsste dann der Gesetzgeber das Embyronenschutz-Gesetz ändern, wenn er einen
vollständigen Schutz von Embryonen durchsetzen wollte und gleichzeitig den Paragraphen 218
neu fassen. Auch in den Reihen der Bioethiker gibt es kein einheitliches Meinungsbild.
Fangeraus Freiburger Kollege Giovanni Maio verurteilt die PID grundsätzlich. In einem
Interview in der Süddeutschen Zeitung (Online, 6.7. “Auch das kränkste Leben ist wertvoll“)
fordert Maio ein ausdrückliches Verbot der PID.
Kirchen beklagen Schlag gegen Würde frühen Lebens
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Kritik am Gerichtsurteil äußerten die beiden großen christlichen Kirchen. PID beruhe auf
„Verbrauch und Vernichtung menschlicher Embryonen. Die Würde auch des frühen
menschlichen Lebens verbiete es jedoch, dass es „bloß als Material und Mittel zu anderen
Zwecken genutzt und erst recht gar nur erzeugt wird", sagte Hermann Barth, Präsident des
Kirchenamtes der Evangelischen Kirche Deutschlands. Die katholischen Bischöfe befürchten,
dass nun „der Rechtfertigungsdruck auf behinderte Menschen und deren Eltern" weiter
wachse.
Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe (CDU), warnte vor einer
Freigabe der Auslese von Embryonen. Hüppe warnte im Deutschlandfunk vor einem ethischen
Dammbruch, sollte die PID grundsätzlich zugelassen werden. Dann gehe es nur noch um "
Selektionen, was ist lebenswert und was ist nicht mehr lebenswert". Ähnlich äußerte sich
Martin Lohmann vom Bundesverband Lebensrecht, der die Entscheidung für einen "schlimmen
Tag für die Unantastbarkeit der Würde des Menschen“ hält.
Ärzte begrüßen Urteil und fordern Gesetzesnovelle
Die Bundesärztekammer (BÄK) begrüßte dagegen das Urteil. Die „unlogische Diskrepanz"
zwischen der erlaubten vorgeburtlichen Diagnostik und der Präimplantationsdiagnostik sei
„endlich aufgehoben worden", erklärte BÄK-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe in Berlin. Nun habe
man Rechtssicherheit für die betroffenen Eltern und für die verantwortlichen Ärzte geschaffen.
„Der BGH hat eine geschlechtsspezifische Auswahl wie auch eine unbegrenzte Selektion von
Embryonen strikt untersagt. Damit hat der BGH eindeutig klargestellt, dass die PID keinesfalls
als Methode zur Erzeugung von sogenannten Designer-Babies erlaubt ist“, so der
Ärztefunktionär. Der Gesetzgeber sei nun aufgefordert, das Embryonenschutzgesetz
entsprechend nachzubessern.
Unterdessen forderte der Lübecker Reproduktionsmediziner Klaus Diedrich (Deutschlandfunk,
07.07. 16.30 Uhr) die Politik auf, das Embryonenschutzgesetz aus dem Jahr 1991 zu
überarbeiten und ein neues Fortpflanzungsgesetz zu schaffen. Einen solchen Regelungsbedarf
hatte auch der Vorsitzende Richter des 5. Strafsenats des BGH Clemes Basdorf speziell für die
PID erkannt.
Quelle:
Bundesgerichtshof, Pressemitteilung 137/2010: „Die Präimplantationsdiagnostik zur Entdeckung schwerer
genetischer Schäden des extrakorporal erzeugten Embryos ist nicht strafbar“
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Fachbeitrag
09.07.2010
wp
BioRegionUlm
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Empfehlenswertes Dossier zur PID des Deutschen Referenzzentrums für Ethik in den
Biowissenschaften
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