Irrfahrtprobleme A V Blockseminar Stochastik (W

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Irrfahrtprobleme
X Z
A  V  Blockseminar Stochastik
(W 2008/09, L PD D. G T̈)
Zusammenfassung: Irrfahrten (englisch random walk“) bilden eine wichtige Klasse stochasti-
”
scher Prozesse. Der Vortrag zum Thema Irrfahrtprobleme ist, aus thematischer Sicht, dreigeteilt. Es
wird im ersten Teil Wissen zum Thema Die Irrfahrt auf einer Geraden vorgestellt. Dies führt zur
Frage, wie groß sind die Wahrscheinlichkeit und die mittlere Schrittzahl, für ein Teilchen von x aus
bis zur Absorption. Im zweiten Teil wird Rückkehr zum Ursprung bei der Irrfahrt vorgestellt. Dazu kommt die Frage, wie groß ist P(Xn = 0) für n → ∞, wenn wir in X0 = 0 starten? Ändert
sich das vielleicht mit zunehmender Dimension? Schließlich gehen wir der Frage nach, mit welcher
Wahrscheinlichkeit eine zufällige Irrfahrt irgendwann erstmalig den Ursprung erreicht. Als nützliches
Werkzeug werden wir dabei das Spiegelungsprinzip kennenlernen.
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung
3
2
Die symmetrische Irrfahrt auf einer Geraden
3
3
Asymmetrische Irrfahrt auf der Geraden
7
4
Rückkehr zum Ursprung bei der symmetrischen Irrfahrt
8
5
Rückkehr zum Ursprung bei der asymmetrischen Irrfahrt
14
6
Die erste Rückkehr zum Ursprung. Das Spiegelungsprinzip
15
7
Resümee
16
Abbildungsverzeichnis
2.1
2.2
3.1
4.1
4.2
5.1
6.1
Die symmetrische Irrfahrt auf einer Geraden . . . . .
Irrfahrt des Betrunkenen. . . . . . . . . . . . . . . . .
Asymmetrische Irrfahrt auf der Geraden . . . . . . . .
Die 4 Sprungvektoren . . . . . . . . . . . . . . . . .
Berechnung von p . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die Rückkehrwahrscheinlichkeit u in Abhängigkeit von
Die ungünstigen Pfade unter den m’ Pfaden . . . . . .
2
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p
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3
4
7
10
13
14
16
Abbildung 2.1: Die symmetrische Irrfahrt auf einer Geraden
1 Einleitung
Sehr viele Zufallsprozesse sind als Irrfahrt auf einem Graphen deutbar. Bei großzügiger Auslegung ist das ganze Leben als Irrfahrt auf einem (unendlichen) Zustandsgraphen mit leider
genau einem absorbierenden Zustand deutbar. Wir wollen uns nun mit sogenannten klassische Irrfahrtproblemen beschäftigen. Zunächst betrachten wir den einfachsten (eindimensionalen) Fall und bewegen uns dabei auf den ganzen Zahlen der reellen Achse.
2 Die symmetrische Irrfahrt auf einer Geraden
Wir starten bei irgendeiner ganzen Zahl x. Von dort aus gehen wir mit Wahrscheinlichkeit p
um eine ganze Einheit nach rechts und mit Wahrscheinlichkeit 1 − p um eine ganze Einheit
nach links.Vom neuen Punkt aus beginnt dann das gleiche Spiel von vorn, d.h. wir gehen wieder mit Wahrscheinlichkeit p um eine ganze Einheit nach rechts und mit Wahrscheinlichkeit
1 − p um eine ganze Einheit nach links usw. (Abbildung 2.1)
Mit Xn bezeichnen wir unsere Position zur Zeit n, für n = 0, 1, 2, . . . Demzufolge gilt, da
wir mit Wahrscheinlichkeit 1, also ganz sicher, in x starten:
P(X0 = x) = 1
sowie
P(Xn = Xn−1 + 1) = p
und
P(Xn = Xn−1 − 1) = 1 − p
für alle n ∈ N.
Im Fall p = 12 spricht man auch von einer symmetrischen Irrfahrt.
Ist p , 1 − p, so haben wir eine asymmetrische Irrfahrt.
Wir untersuchen zuerst die symmetrische Irrfahrt.
Beispiel 1 Irrfahrt des Betrunkenen.
Ein Betrunkener will aus einem Gasthaus heimkehren. Das Gasthaus liegt an einer geraden
Straße; an einem Ende befindet sich ein See, am anderen das Wohnhaus des Betrunkenen.
Der Betrunkene erinnert sich nicht an die richtige Richtung. Er macht einen Schritt nach
links oder rechts mit gleicher Wahrscheinlichkeit (1/2), ohne sich zu erinnern, woher er
beim letzten Schritt gekommen war, irrt er in dieser Weise weiter: einen Schritt nach rechts
oder links, mit gleicher Wahrscheinlichkeit 1/2. Erreicht er den See, so fällt er hinein und
ertrinkt; kommt er zu Hause an, so bleibt er dort und schläft seinen Rausch aus.
3
Abbildung 2.2: Irrfahrt des Betrunkenen.
(Abbildung 2.2)
Frage: mit welcher Wahrscheinlichkeit ertrinkt der Betrunkene, und mit welcher Wahrscheinlichkeit erreicht er sein Haus?
Zur Berechnung formalisieren wir: Wir nehmen an, daß jeder Schritt des Betrunkenen
gleich lang ist. Sein Haus ist vom See n Schritte entfernt, das Gasthaus x Schritte. Die
möglichen Positionen des Betrunkenen entsprechen den Zahlen 0, 1, . . . , n − 1, n (der Abstand vom See, in Schritten). Befindet sich der Betrunkene in Position i (zwischen 1 und
n − 1), so führt sein nächster Schritt mit Wahrscheinlichkeit 1/2 nach i − 1, und mit Wahrscheinlichkeit 1/2 nach i+1. (Man kann sich vorstellen, daß er vor jedem Schritt eine Münze
wirft, um über die Richtung zu entscheiden.) Die Position 0 (See) und n (Haus) sind sogenannte absorbierende Zustände: Einmal dort angelangt, ist die Wahrscheinlichkeit dort zu
bleiben gleich 1.
Wir schreiben w(i) für die Wahrscheinlichkeit, daß der Betrunkene, ausgehend von Position
i, jemals nach Hause kommt. Dann ist w(0) = 0, da 0 für den absorbierenden Zustand (See)
steht, von dem aus es unmöglich ist (Wahrscheinlichkeit 0), das Haus zu erreichen. Außerdem ist w(n) = 1 ( die 1 steht für mit Sicherheit“), da der Betrunkene dann ja schon zu
”
Hause ist.
Für i zwischen 1 und n − 1 führt der erste Schritt jeweils mit Wahrscheinlichkeit 1/2 nach
i − 1 oder i + 1, von wo aus das Haus dann irgendwann erreicht werden soll. Dies drückt sich
durch die Beziehung
w(i) =
1
w(i − 1) + w(i + 1)
2
(2.1)
aus. Dazu kommen die Randwerte
w(0) = 0,
w(n) = 1
(2.2)
und man findet
w(i) = i/n
Das Gasthaus steht an der Position x, also ist
x
W[nach Hause] = ,
n
und analog W[ertrinken] = 1 −
4
x
n
(2.3)
Wenn beides gleich wahrscheinlich ist, steht x genau in der Mitte der x-Achse.
Beispiel 2 Das klassische Problem des Spielerruins
Abel besitzt a DM und Kain hat b DM. Beide spielen wiederholt ein faires Glückspiel (Gewinnwahrscheinlichkeit 0,5 für jeden) gegeneinander, solange, bis einer von beiden kein Geld
mehr besitzt. Für jeden Ausfall 1(0) gewinnt Abel(Kain) eine DM. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß Abel ruiniert wird?
Abel wird ruiniert mit Wahrscheinlichkeit:
p(x) = 1 −
a
b
=
a+b a+b
Hier gilt das gleiche Prinzip wie im Beispiel 1: befindet sich die Irrfahrt im Zustand x, so
besitzt Abel x DM. Die Irrfahrt startet demnach in Position x = a (a ist das Anfangskapital
von Abel). Sie endet in Position x = 0 (Abel ist ruiniert) oder in Position x = n. Die Position
n bedeutet, dass Abel n = a + b DM besitzt.
Frage: Wie groß ist die mittlere Dauer der Irrfahrt bis zur Absorption?
Es sei m(x) die mittlere Schrittzahl von x aus bis zur Absorption.
Für m(x) gilt dann:
m(0) = m(n) = 0
1
m(x) = 1 + m(x − 1) + m(x + 1)
2
(2.4)
m(x + 1) = 2m(x) − m(x − 1) − 2
(2.6)
(2.5)
Aus (2.5) folgt
Wir beginnen mit m(0) = 0 und setzen m(1) = a. Das Ziel ist, das unbekannte a mit Hilfe
von (2.6) zu berechnen und zwar sukzessiv über m(2), m(3), usw.
Aus m(n) = 0 ergibt sich dann a.
Konkret rechnen wir:
m(2) = 2(a − 1)
m(3) = 3(a − 2)
m(4) = 4(a − 3)
Wir vermuten, daß
m(x) = x(a − x + 1)
für alle x ∈ {0, 1, 2, . . . , n}
und beweisen dies im folgenden induktiv: Für x = 0 und x = 1 ist (2.7) richtig. Es sei
m(x − 2) = (x − 2)(a − x + 3),
m(x − 1) = (x − 1)(a − x + 2)
5
(2.7)
Mit Hilfe von (2.6) kann man jetzt m(x) berechnen und erhält (2.7). wir haben den Induktionsschritt beendet.
Für x = n ergeben (2.4) und (2.7)
0 = m(n) = n(a − n + 1)
d.h.
a=n−1
m(x) = x(n − x)
(2.8)
Die mittlere Lebensdauer eines Teilchens in x ist also gleich dem Produkt der Entfernungen
des Punktes x von den absorbierenden Zuständen.
Beim Problem des Spielerruins haben Abel und Kain a DM bzw. b DM und jede Sekunde wechselt eine DM den Besitzer. Nach (2.8) ist die mittlere Spieldauer m(x) = a· b.
Das Spiel dauert länger als man intuitiv erwartet. Wenn Abel 1 DM und Kain 1000 DM hat,
1000
so verliert Abel mit Wahrscheinlichkeit 1001
, aber das Spiel dauert im Mittel 1000 Runden.
Wir lassen jetzt für n → ∞ gehen und erhalten dann eine symmetrische Irrfahrt auf dem
unendlichen Zustandsraum S = {0, 1, 2, 3, . . .} mit dem absorbierenden Zustand 0.
Für x , 0 folgt aus (3) und (8) für n → ∞
W[ertrinken] → 1,
m(x) → ∞
D.h. von jedem Zustand x , 0 wird das Teilchen mit Wahrscheinlichkeit 1 in 0 absorbiert, aber die mittlere Schrittzahl bis zur Absorption ist unendlich. Dies ist intuitiv schwer
verständlich.Deshalb haben wir einen Computer angewiesen 50 mal eine Irrfahrt im Zustand
x = 1 zu starten und die Laufzeit bis zum Zustand 0 zu drucken. Die Schrittzahlen waren:
3, 1, 1, 3, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 1, 123, 1, 1, 15, 3, 37, 1, 3, 1, 3, 1, 1, 1, 1, 17,
3, 49, 19, 5, 1, 3, 3, 1, 3, 205, 27, 1, 7, 1, 3, 1, 9, 1, 9, 23, 1, 1, 1, 14627.
Runde die Hälfte der Irrfahrten haben die Dauer 1, was auch zu erwarten ist. Die mittlere
Dauer stabilisiert sich nicht auf einen festen Wert. Sie schwankt wild und tendiert unbegrenzt zu wachsen mit zunehmender Anzahl von Irrfahrten. In unserem Fall ist die mittlere
Schrittzahl je Irrfahrt:
15228 : 50 ≈ 304, 56
Bei nur einer Irrfahrt weniger wäre die mittlere Schrittzahl:
601 : 49 ≈ 12.26
6
Abbildung 3.1: Asymmetrische Irrfahrt auf der Geraden
3 Asymmetrische Irrfahrt auf der Geraden
In diesem Kapitel möchten wir die Wahrscheinlichkeit berechnen,daß ein Teilchen von x aus
in 0 absorbiert wird.
In Abbildung 3.1 startet ein Teilchen in x und springt jede Sekunde einen Schritt nach links
oder rechts mit Wahrscheinlichkeit q bzw. p, bis es in 0 oder n absorbiert wird.
Es sei h(x) die Wahrscheinlichkeit, daß es von x aus in 0 absorbiert wird.
Nach der 1.Mittelwertregel ist
h(x) = ph(x + 1) + qh(x − 1),
h(0) = 1,
x = 1, 2, 3, . . . , n − 1
h(n) = 0
Wir nehmen an, daß p , q ist und setzen r :=
q
p
(3.1)
(3.2)
.
Unter Verwendung von p + q = 1 kann man (3.1) wie folgt umformen
ph(x) + qh(x) = ph(x + 1) + qh(x − 1)
h(x + 1) − h(x) = r h(x) − h(x − 1)
Durch wiederholte Anwendung von (3.3) ergibt sich
h(x + 1) − h(x) = r x h(1) − h(0) , x = 0, 1, 2, . . . , n − 1
(3.3)
(3.4)
Addiert man die Gleichung (3.4) für x = 0, 1, 2, . . . , n − 1, so erhält man
h(x) − h(0) =
rx − 1 h(1) − h(0)
r−1
Wegen h(0) = 1 ist
h(x) = 1 +
rx − 1 h(1) − 1
r−1
(3.5)
Wir setzen in (3.5) x = n und erhalten wegen h(n) = 0
h(1) − 1 = −
7
r−1
rx − 1
(3.6)
Aus (3.5) und (3.6) folgt nach kurzer Rechnung
h(x) =
( qp )n − ( qp ) x
( qp )n − 1
x = 0, 1, 2, . . . , n, p , q
(3.7)
Für p = q haben wir in Kapitel 1 gefunden
h(x) = 1 −
x
n
(3.8)
Für n → ∞ ergibt sich aus (3.7) und (3.8)
(
1,
falls p 5 q
h(x) =
q x
( p ) , falls p > q
D.h. falls p 5 q wird das Teilchen mit Wahrscheinlichkeit 1 in 0 absorbiert, falls p > q wird
das Teilchen mit Wahrscheinlichkeit ( qp ) x in 0 absorbiert.
4 Rückkehr zum Ursprung bei der symmetrischen Irrfahrt
Nun interessieren wir uns für die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns, beginnend in x = 0, im
Raum verlaufen oder für die Wahrscheinlichkeit des Gegenereignisses, nämlich dass wir immer wieder (unendlich oft) zum Ausgangspunkt zurückkehren. Wie groß ist also P(Xn = 0)
für unendlich viele n, wenn wir in X0 = 0 starten? Ändert sich das vielleicht mit zunehmender Dimension?
(a) Irrfahrt auf der Geraden
Ein Teilchen startet im Ursprung und springt jede Sekunde eine Einheit nach links oder rechts
mit Wahrscheinlichkeit 21 . In Kapitel 1 wurde gezeigt, daß das Teilchen von jeder Stellung
x , 0 mit Wahrscheinlichkeit 1 nach 0 gelangt. Die mittlere Laufzeit ist jedoch unendlich.
Daraus folgt, dass ein in 0 startendes Teilchen unendlich oft nach 0 zurückkehrt, aber die
Zeit zwischen zwei Besuchen des Ursprungs hat unendlichen Erwartungswert.
Ein im Ursprung startendes Teilchen kann nur nach einer geraden Anzahl von Schritten dorthin zurückkehren. Wir wollen abschätzen, wie oft es im Mittel in 2n Schritten den Ursprung
besucht.
Das Teilchen ist nach 2n Schritten wieder in 0 mit Wahrscheinlichkeit
!
1
2n 1
∼
(mit Hilfe der Stirling-Formel)
(4.1)
an =
√
n 22n
πn
Es sei Xi der Indikator des Ereignisse das Teilchen befindet sich im Ursprung nach 2i Schrit”
ten“. Die Zufallsvariable Xi nimmt die Werte 0 und 1 mit Wahrscheinlichkeiten 1 − ai und ai
an. Die Variable
X := X1 + X2 + . . . + Xn
zählt die Häufigkeit der Rückkehr zum Ursprung in 2n Schritten. Uns interessiert der Erwartungswert von X:
8
E(X) =
n
X
E(Xi ) =
i=1
Für große n ist nach (4.1)
n
X
ai
(4.2)
i=1
n
n
X
1
1 X 1
√ = √
√
π
πi
i
i=1
i=1
r
n
⇒ E(X) ≈ 2
π
E(X) ∼
(4.3)
Was dies in konkreten Anwendungen bedeutet, schauen wir uns etwas genauer an und berechnen
n
1
5
10
50
100
500
1000
5000
8000
10000
Pn
i=1
ai
0,5
1,7070
2,7001
7,0385
10,3260
24,2502
34,6959
78,7944
99,9300
111,8421
p
2 πn
1,128
2,5231
3,5682
7,9788
11,2838
25,2313
35,6825
79,7885
100,9253
112,8379
mit einem Computer den genauen Erwartungswert (4.2) und den Näherungswert (4.3).
Wie wir bereits wissen, ist die mittlere Wartezeit bis zum ersten Wiedersehen mit dem Ursprung unendlich. Und doch tritt dieses Ereignis ziemlich oft ein. Nach der Tabelle sind in
2n = 1600 Schritten rund 100 Besuche des Ursprungs zu erwarten.
9
Abbildung 4.1: Die 4 Sprungvektoren
(b) Irrfahrt in der Ebene
Ein Teilchen startet im Ursprung eine symmetrische Irrfahrt auf den Gitterpunkten (= Punkt
mit zwei ganzzahligen Koordinaten) der Ebene. Bei jedem Schritt springt es von einer augenblicklichen Stellung (x, y) nach einem der 4 Punkte (x ± 1, y ± 1). Abbildung 4.1 zeigt die
4 Sprungvektoren.
Nach 2n Sprüngen ist das Teilchen in (X2n , Y2n ), wobei X2n , Y2n unabhängige Zufallsvariable
sind.
Die Sprünge parallel zu y = ±x wurden gewählt, um Unabhängigkeit von X2n und Y2n zu
erzwingen.
Wir betrachten das Ereignis
Ai = das Teilchen ist nach 2i Schritten im Ursprung.
Aus der Unabhängigkeit der Ereignisse X2i = 0 und Y2i = 0 folgt
P(Ai ) = P(X2i = 0 ∩ Y2i = 0) = P(X2i = 0)P(Y2i = 0) = a2i
Es sei Ui der Indikator von Ai . Dann ist
E(Ui ) = P(Ui = 1) = P(Ai ) = a2i
In 2n Schritten möge das Teilchen U-mal den Ursprung besuchen. Dann ist
U = U1 + U2 + . . . + Un
Nach (4.1) ist
E(U) =
n
X
i=1
a2i
n
X
1
1
1 1
1
∼
= (1 + + + . . . + )
πi π
2 3
n
i=1
⇒ E(U) ∼
10
ln n
π
(4.4)
n
1
5
10
50
100
500
1000
5000
10000
Pn
i=1
ln n
π
ai 2
0,25
0,6236
0,8224
1,0316
1,5345
2,0449
2,2653
2,7774
2,9980
0
0,5123
0,7329
0,9536
1,4659
1,9782
2,1988
2,7111
2,9317
Die Tabelle zeigt den exakten Wert E(U) und seinen Näherungswert nach (4.4). E(U)
wächst sehr langsam. Nach 2n = 36 Schritten ist ein Besuch des Ursprungs zu erwarten,
nach rund 870 Schritten zwei Besuche, nach rund 20128 Schritten drei Besuche, usw. Und
doch kehrt das Teilchen unendlich oft zum Ursprung zurück, da E(U) → ∞ für n → ∞.
(c) Irrfahrt im Raum
Entsprechend kann man auch die Bedingungen für eine dreidimensionale symmetrische Irrfahrt aufstellen (mit Wahrscheinlichkeit 81 für jede Richtung). Nach 2n Sprüngen ist das
Teilchen in (X2n , Y2n , Z2n ), wobei X2n , Y2n , Z2n unabhängige Zufallsvariable sind.
Es sei Ui der Indikator des Ereignisses das Teilchen ist im Ursprung nach 2n Schritten“. In
”
2n Schritten möge der Ursprung U-mal besucht werden.
Dann ist
U = U1 + U2 + . . . + Un
E(Ui ) = P(Ui = 1) = P(X2i = 0 ∩ Y2i = 0 ∩ Z2i = 0) = P(X2i = 0)P(Y2i = 0)P(Z2i = 0) = a3i
n
X
a3i
(4.5)
E(U) =
i=1
Diese Summe ist für alle n beschränkt. In der Tat ist
1
an < √
πn
Dann folgt:
n
X
i=1
a3i
für alle n.
n
1 X 1
3
< 1.5
< 1.5 < 0.5388
1.5
π i=1 i
π
Wir können also die Anzahl U∞ der Besuche des Ursprungs in unendlich vielen Schritten
betrachten. Es ist
X
µ = E(U∞ ) =
a3i
i≥1
Die vom Computer berechnete Tabelle in der nächsten Seite zeigt, daß
10000
X
a3i = 0, 389612322
i=1
11
ist.
n
1
5
10
50
100
500
1000
5000
10000
Pn
ai 3
0,125
0,2436
0,283695
0,3427865
0,35742
0,37715
0,381850
0,388125
0,389612322
i=1
Den Rest
X
R10000 =
a3i
i>10000
kann man nach (4.1) scharf abschätzen:
1
ai ≈ √ ,
πi
X
1
i 1,5 ≈ q
i>n
2
n+
1
2
Beide Näherungen sind etwas zu groß. Damit wird
R10000 ≈
2
≈ 0, 003591652652
√
π π10000, 5
µ ≈ 0, 393203974
Dieser Wert ist etwas zu groß. Genauere Rechnung liefert auf 9 Dezimalen genau
µ = 0, 393203922
µ ist endlich, wie wir wissen, ist dies damit gleichbedeutend, daß
W[keine Rückkehr]> 0 und W[Zn = 0 unendlich oft]= 0.
Also verliert sich der Zufallspunkt Zn für zunehmendes n in gewissem Sinne in den unendlichen Weiten des Raumes.
Wir sehen einen drastischen Unterschied zwischen Dimension 2 und Dimension 3: im Zweidimensionalen ergeht es dem Irrfahrer ähnlich wie dem Verdurstenden in der Wüste, der nach
einigem Herumirren auf Fußspuren stößt und hofft, die Rettung zu finden; In Wirklichkeit
hat er aber seine eigenen Spuren wiedergefunden und irrt im Kreis. Im Dreidimensionalen
hingegen verliert sich der Irrfahrer zu den Grenzen“ des Alls.
”
Es sei p die Wahrscheinlichkeit, jemals nach dem Ursprung zurückzukehren. Da µ endlich
ist, muß p < 1 sein. Man kann p nach Abbildung 4.2 berechnen.
Dort ist q = 1 − p
12
Abbildung 4.2: Berechnung von p
µ = 1pq + 2p2 q + 3p3 q + . . . = pq(1 + 2p + 3p2 + . . .)
pq
pq p
p
⇒µ=
= 2 = =
2
(1 − p)
q
q 1− p
oder
p=
µ
= 0.282229985
µ+1
Wir haben also das folgende bemerkenswerte Ergebnis: Bei der symmetrischen Irrfahrt auf
der Geraden oder in der Ebene kehrt man mit Wahrscheinlichkeit 1 (unendlich oft) zum
Ursprung zurück. Daraus folgt übrigens, daß jeder Gitterpunkt der Geraden bzw. der Ebene
unendlich oft besucht wird. Nach einer Bemerkung von W.Feller gilt hier das Sprichwort
Alle Wege führen nach Rom“. Im Raum kehrt das Teilchen nur mit Wahrscheinlichkeit
”
p ≈ 0.28 zum Ursprung zurück.
13
Abbildung 5.1: Die Rückkehrwahrscheinlichkeit u in Abhängigkeit von p
5 Rückkehr zum Ursprung bei der asymmetrischen Irrfahrt
Ein Teilchen startet im Ursprung und springt jede Sekunde eine Einheit nach links oder rechts
mit Wahrscheinlichkeit q bzw. p. Es sei v die Wahrscheinlichkeit, daß es jemals von 0 nach
1 gelangt. Da alle Zustände gleichberechtigt sind, ist dies auch die Wahrscheinlichkeit von n
nach n + 1 zu gelangen. Die Wahrscheinlichkeit jemals von n nach n + i zu gelangen ist dann
vi . Nach der Regel von der totalen Wahrscheinlichkeit ist
p
1
±
1 − 4pq
v = p + qv2 ⇒ v =
2q
Für p = 0 muß v = 0 sein. Ferner ist 1 − 4pq = (p + q)2 − 4pq = (p − q)2 . Also ist
v=
1 − |p − q|
2q
(5.1)
Vertauscht man in (5.1) p mit q, so erhält man die Wahrscheinlichkeit w jemals von 0 nach
-1 zu kommen (bzw. von n nach n − 1):
w=
1 − |p − q|
2p
(5.2)
Das Teilchen kehrt jemals nach 0 zurück mit Wahrscheinlichkeit
u = qv + pw ⇒ u = 1 − |p − q|
(5.3)
Abbildung 5.1 zeigt die Rückkehrwahrscheinlichkeit u in Abhängigkeit von p. Nur für p = 21
ist eine Rückkehr zum Ursprung sicher. Für p , q kehrt das Teilchen mit Wahrscheinlichkeit
|p − q| nie zum Ursprung zurück.
14
6 Die erste Rückkehr zum Ursprung. Das Spiegelungsprinzip
Stellen wir uns zunächst vor, dass während einer Wahl Kandidat A a Stimmen und Kandidat B b Stimmen erhält, a > b. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kandidat A
während des gesamten Wahlverlaufs stets in Führung lag? Dabei wird angenommen, daß
alle möglichen Abstimmungsprotokolle gleichwahrscheinlich sind. Ein Abstimmungsprotokoll ist ein Wort aus a Buchstaben A und b Buchstaben B.
Es gibt
!
!
a+b
a+b
m=
=
(6.1)
a
b
solcher Wörter.
Wir deuten die Stimmenauszählung als eine Irrfahrt auf der Geraden, die im Ursprung beginnt. Bei einer A-Stimme geht das Teilchen einer Schritt nach rechts und bei einer BStimme einen Schritt nach links. Es sei Xi der i-te Schritt. D.h.
(
1, falls die i-te Stimme für A ist
Xi =
−1, falls die i-te Stimme für B ist
Die Position des Teilchens nach n Schritten ist
S n = X1 + X2 + . . . + Xn
Z.B., das Abstimmungsprotokoll (1,-1,1,-1,-1,-1,1,1,1,1)
liefert
n
Sn
0
0
1
1
2 3
0 1
4
0
5
-1
6
-2
7 8
-1 0
9
1
10
2
Zu jedem Abstimmungsprotokoll gehört ein solcher Pfad, der in O(0,0) beginnt und in
E(a+b,a-b) endet.
Gesucht ist also die Wahrscheinlichkeit, dass die Irrfahrt in einem bestimmten Punkt E endet
und die Eigenschaft S 1 > 0, . . . , S n > 0 besitzt. Die möglichen Pfade von 0 nach E haben
wir bereits in (1) gezählt. Wir müssen noch die günstigen Pfade bestimmen. Dies sind alle
Pfade von O nach E, die außer im Ursprung die n-Achse meiden. Sie gehen alle durch den
Punkt (1,1). Insgesamt gibt es
!
!
a+b−1
a a+b
0
m =
=
(6.2)
a−1
a+b a
über P führende Pfade.
Wir zählen die ungünstigen Pfade unter den m’ Pfaden. Das sind die Pfade über P, welche
zwischen O und E die n-Achse berüher oder schneiden.
Abbildung 6.1 zeigt einen solchen Pfad. Dabei ist P’(1,-1) der Spiegelpunkt von P an der
n-Achse.
Es gilt das folgende
Spiegelungsprinzip: Die Anzahl der ungünstigen Pfad über P nach E ist gleich der Anzahl
aller Pfade über P’ nach E
Beweis: Es sei Q der erste gemeinsame Punkt eines ungünstigen Pfades mit der n-Achse. Wir
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Abbildung 6.1: Die ungünstigen Pfade unter den m’ Pfaden
spiegeln das Pfadstück OPQ an der n-Achse nach OP’Q. Durch OPQE↔ OP’QE wird eine
eindeutige Zuordnung zwischen den ungünstigen Pfaden über P nach E und alle möglichen
Pfaden über P’ nach E hergestellt. Also sind ihre Anzahlen gleich.
Von O über P’ nach E gibt es aber
!
!
!
!
b a+b
b a+b
a+b−1
b a+b a+b−1
=
=
u=
=
a+b b
b−1
a+b b
a+b a
a
mögliche Pfade. Die Anzahl der günstigen Pfade über P ist daher g = m0 − u,
d.h.
!
a+b a−b
g=
a a+b
(6.3)
(6.4)
Der Kandidat A führt dauernd mit Wahrscheinlichkeit
g
PA =
m
d.h.
PA =
a−b
a+b
(6.5)
7 Resümee
In diesem Vortrag wurden Irrfahrtprobleme durch mathematische Methoden gelöst, anhand
von Beispielen und ein kleines Programm. Hierbei wurden sowohl die symmetrische oder
asymmetrische Irrfahrt auf einer Geraden, als auch Irrfaht mit Rückkehr zum Ursprung , wie
im ein-, zwei- und dreidimensionalen Gitter behandelt. Das Programm Donalds Irrfahrt“
”
[3] bietet experimentalmathematische Zugänge für diese Problemstellungen. Aber man sieht
hier ganz deutlich die Grenze der Simulationsmethode: Derartige Probleme mit unendlichem
Zeithorizont können mit Hilfe von Simulationen gar nicht oder nur höchst unbefriedigend
bearbeitet werden.
Das klassische Problem des Spielerruins hat mich gewundert, da das Spiel ziemlich länger
dauert als ich erwartet.
Sehr zu empfehlen ist diesbezüglich das im Literaturverzeichnis genannte Buch von Arthur
Engel.
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Literatur
[1] Arthur Engel: Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik. Klett Verlag, 1981.
[2] Wolfgang Woess: Irrfahrten.
[3] Donalds Irrfahrt: http://users.minet.uni-jena.de/∼ hrehlich/Irrfahrt/Irrfahrt.HTM
Alle Abbildungen und Tabellen übernommen aus [1]
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