NEU ERSCHIENEN Gedächtnisverlust ist teuer Einstein mit

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NEU ERSCHIENEN
Einstein mit Hindernissen
G
erade bei Schülern und Studienan-
Bernd Sonne, Reinhard Weiß:
Einsteins Theorien. Spezielle und
Allgemeine Relativitätstheorie für
interessierte Einsteiger und zur
Wiederholung
Springer-Spek­trum-Verlag, Berlin und
Heidelberg 2013. XVI + 292 Seiten mit
80 Abbildungen, 36 davon in Farbe.
ISBN: 978-3-642-34764-1
Kartoniert € 29,99
Gedächtnisverlust ist teuer
Studienanfänger erst allmählich entwickeln.
fängern steht bei der Auseinander­
Das hier besprochene Buch bietet Ein-
setzung mit neuem physikalischen Lern-
steigern in das Thema Relativitätstheorie
stoff oft auch die Selbsteinschätzung
leider viel Gelegenheit für diese Art von
mit auf dem Spiel. Kaum etwas ist dabei
Frustration. Bestimmte, zum Verständnis
frustrierender, als in einem Lehrbuch
nötige Grundbegriffe werden gar nicht,
festzustecken, eine Passage auch nach in-
nur arg verkürzt oder in irreführender
tensivem Nachdenken nicht zu verstehen
Weise definiert. Was soll man anders tun
und sich langsam aber sicher zu fragen,
als ungläubig den Kopf schütteln, wenn im
ob man dem Thema vielleicht einfach
Kapitel zur Kosmologie seitenlang Lösun-
nicht gewachsen ist. Entsprechend ärger-
gen der – ohne rechte Motivation aus der
lich ist es, wenn die Schuld in solch einem
Literatur entnommenen – Gleichungen
Fall bei den Autoren liegt – sei es, dass die
für den kosmischen Skalenfaktor vorge-
betreffende Passage falsch ist, sei es, dass
rechnet werden. Dabei wurde es aber ver-
sie dem Leser schlicht nicht die zum Ver-
säumt, dem Leser zu erklären, was dieser
ständnis nötigen Informationen liefert.
Skalenfaktor überhaupt für eine Bedeu-
Auf diese Weise können schlecht gemach-
tung hat, welche Abstände er beeinflusst
te Lehrbücher großen Schaden anrichten.
und wie er mit der – ebenfalls nicht recht
Das nötige Selbstbewusstsein, die Schuld
erklärten – Expansion des Universums zu-
durchaus auch einmal bei den Autoren
sammenhängt.
neue Vorhaben werden wegen steigender
entdeckten Radiowellen, Planck legte die
Entwicklungskosten abgebrochen oder sie
Quantentheo­rie vor. Das alles hatte noch
verzögern sich durch beschränkte jährli-
keine Verbindung zur Astronomie, vieles
che Etats. Wie sollten die Astronomen auf
davon aber sollte schon wenige Jahre spä-
die jetzt erkennbaren Grenzen reagieren?
ter zu ihren Werkzeugen und Forschungs-
Das sind Themen, die Martin Har-
Martin Harwit:
In Search for the True Universe:
The Tools, Shaping, and Cost
of Cosmological Thought
Cambridge University Press, Cambridge
2013. 393 Seiten mit zahlreichen
Abbildungen. ISBN: 978-1-1070440-67
Gebunden £ 35, $ 50,00
des Buchs zu suchen, müssen Schüler und
gegenständen werden.
wit in seinem neuesten Buch behandelt.
Ausführlich behandelt werden die gro-
Bekannt gemacht hatten den Verfasser
ßen Beiträge der theoretischen Physik und
schon seine früheren Hervorbringungen
der Mathematik, die bald zu einer theore-
»Astrophysical Concepts« und »Cosmic
tischen Astrophysik führen sollten. So
Discoveries« (1981). In Erinnerung geblie-
wurde Einsteins Relativitätstheorie erst
ben ist Harwits kühne Vorhersage, dass die
vollendet, nachdem die Mathematik von
damals noch ansteigende Entdeckungsra-
Riemann, Minkowski und Hilbert ein-
te kosmischer Phänomene sich jenseits
geflossen war. Einsteins mathematische
des Jahres 2000 abflachen wird. Diese wis-
Fähigkeiten blieben hinter seinem physi-
senschaftsgeschichtlichen Untersuchun-
kalischen Genie zurück. Die Fragen nach
gen führt er jetzt in der »Erforschung des
den Energiequellen der Sterne und dem
wahren Universums« weiter, vertieft sie
Ursprung der Elemente konnten mit den
aber um soziologische Betrachtungen.
frühen Messwerten der experimentel-
Wie beeinflussen tonangebende Astrono-
len Kernphysik und der Quantentheorie
men künftige Forschungsrichtungen und
endlich angegangen werden. So erkannte
unsere gegenwärtigen Vorstellungen über
von Weizsäcker 1938 die Verschmelzung
das Universum?
leichterer zu schwereren Kernen als Ener-
W
Das Buch führt den Leser zunächst
giequelle der Sterne, aber die Entstehung
ird die Gesellschaft in der Zukunft
unterhaltsam durch die Entwicklung der
der sehr schweren Elemente vermutete
weiterhin bereit sein, Milliarden-
Astrophysik seit der Wende vom 19. zum
er noch in der heißen Frühzeit des Uni-
summen für astronomische Fragen, wie
20. Jahrhundert. Es muss eine aufregen-
versums. Auch Eddington nahm für seine
die nach der Natur der Dunklen Energie
de Zeit gewesen sein. Nachdem Röntgen
Sternmodelle eine Elementhäufigkeit wie
und der inflationären Explosion des Uni-
1895 seine Strahlen entdeckt hatte, folg-
auf der Erde an und konnte mit der irrigen
versums auszugeben? Es gibt heute be-
ten fast im Jahresrhythmus die Entde-
Voraussetzung sogar eine Masse-Leucht-
reits Anzeichen, dass sich das Wachstum
ckung des Elektrons durch Thomson, der
kraft-Beziehung der Sterne herleiten.
beim Bau immer größerer astronomischer
Radioaktivität durch Becquerel und das
Zwar war durch die kosmologischen
Entdeckungsmaschinen abflacht: Einzelne
Ehepaar Curie. Marconi überwand den
Theorien von Lemaître und Friedmann
Observatorien werden vorzeitig stillgelegt,
Englischen Kanal mittels der von Hertz
in den 1920er Jahren ein expandieren-
94
August 2014
STERNE UND WELTRAUM
Einige Aussagen des Buchs sind schlicht
befinden«, der sollte schlicht keine Bücher
scheinlich auch viel Herzblut in ihren Text
falsch. Einbettungen – etwa der zweidi-
über die allgemeine Relativitätstheorie
investiert haben. Dass die Autoren sich
mensionalen Oberfläche eines Luftballons
schrei­ben.
überhaupt in dieser Weise Teile der Relati-
in den dreidimensionalen Raum – kön-
Positiv hervorzuheben ist, dass in die-
vitätstheorien erarbeitet und dabei vieles
nen zwar der Veranschaulichung dienen.
sem Buch insbesondere im Rahmen der
selbst durch- und nachgerechnet haben,
Aber in der geometrischen Beschreibung
speziellen Relativitätstheorie viel und aus-
ist durchaus eine Leistung. Das Bedürfnis,
gekrümmter Räume oder Raumzeiten,
führlich gerechnet wird. Für die »Wieder-
solche selbst erworbenen Kenntnisse mit
wie sie der allgemeinen Relativitätstheo-
holer«, die sich mit den Grundlagen be-
anderen zu teilen, ist naheliegend und
rie zugrundeliegen, geht es im Gegensatz
reits auskennen, und an die sich das Buch
ehrenwert. Aber das Ergebnis kann ich in
dazu um diejenigen (intrinsischen) Eigen-
dem Untertitel nach unter anderem rich-
diesem Falle niemandem, der einen Ein-
schaften, die nicht von einer Einbettung
tet, kann das nützlich sein. Die Zielgruppe
stieg in die Welt der einsteinschen Theori-
abhängen. Somit belegen gekrümmte
der »interessierten Einsteiger« wird da­
en sucht, empfehlen. Der Text hätte in der
dreidimensionale Räume also nicht die
raus mangels rotem Faden, klar erklärter
vorliegenden Form nie in einem – zumal
Existenz einer vierten Raumdimension.
Grundkonzepte und einer ganzen Reihe
in diesem Falle durchaus renommierten
Dies gehört aber zum mathematischen
zum physikalischen Verständnis wichti-
– Fachbuchverlag veröffentlicht werden
Grundwissen über diese Theorie. Wer sich
ger Querverbindungen nur sehr begrenz-
dürfen.
von der Luftballon-Analogie der kosmi-
ten Nutzen ziehen können.
MARKUS PÖSSEL ist Astrophysiker und leitet
schen Expansion so verwirren lässt, dass
Ich habe keinen Zweifel, dass sich die
er meint »Wir können aber nicht feststel-
Autoren – ein promovierter, anschließend
len, wohin oder worin [sich die Galaxien]
im IT-Bereich tätiger Physiker und ein
bewegen. Wir können nur sagen, dass sie
physikinteressierter Mediziner – mit ihrer
sich irgendwo in der vierten Dimen­sion
Darstellung viel Mühe gegeben und wahr-
der Kosmos modelliert und von Hubble
Universität und Pionier der Infrarot-
Observatorien schließlich zu freifliegen-
durch Beobachtungen bestätigt worden,
Astronomie, kann aus lebenslanger Er-
den Weltraumteleskopen machte. Trotz
dennoch blickten die Astronomen bis in
fahrung und Mitwirkung in zahlreichen
ihrer gelegentlichen Irrtümer vertraut
die 1940er Jahre in ein weitgehend ruhi-
wissenschaftlichen Komitees antworten.
die Mehrzahl der Astronomen ihren her-
ges Universum. Das änderte sich schlag-
Die meinungsbestimmende Gruppe von
ausragenden Vertretern und übernimmt
artig, als die während des Zweiten Welt-
Astronomen ist vergleichsweise klein.
deren Vorstellungen über das Universum.
kriegs und dem anschließenden Kalten
Ihre Mitglieder sind meist durch eine
Und die sind immer noch Gedankenge-
Krieg entwickelten Technologien für die
wissenschaftliche Entdeckung oder eine
bäude, denn über mehr als 96 Prozent des
Astrophysik verfügbar wurden. Die Ra-
wichtige instrumentelle Entwicklung her-
Inhaltes des »wahren Universums« an
dartechnik wurde zum Geburtshelfer der
vorgetreten. Dadurch bekannt, wurden
Masse und Energie wissen wir sehr wenig.
Radioastronomie, mit erbeuteten deut-
sie zu Leitern von Instituten berufen. Aus
schen Raketen gelangen die ersten Ultra-
dieser Stellung heraus wurden sie Mit-
Pionierleistungen
violettbilder des Himmels, mit militärisch
glieder von Beratungskomitees für NASA,
die meisten Entdeckungen von jungen
entwickelten Infrarotsensoren begann die
die Regierung oder Stiftungen. Und da es
Forschern gemacht wurden: 14 Wis-
das Haus der Astronomie in Heidelberg.
Am Beispiel von 20 theoretischen
zeigt
Harwit,
dass
Beobachtung des kalten Universums. Die
USA förderten ab 1945 großzügig Technologie-Entwicklungen, die der Sicherheit
und dem Wohlstand des Landes dienten.
Wie sollen Astronomen auf die jetzt erkennbaren
finanziellen Grenzen reagieren?
Ein weiterer finanzieller Schub wurde
im demokratischen Amerika eine Viel-
senschaftler waren zwischen 24 und
1957 durch den Sputnik-Schock ausge-
zahl solcher meinungsbildenden Komi-
35 Jahren alt. Bei den Älteren zeigte sich
löst: Die NASA wurde gegründet, die Zahl
tees gibt, wurden die Auserwählten dann
gelegentlich mangelnde Einsicht in die
der Astronomie-Studenten verfünffachte
oft Mitglied in weiteren Komitees. So ent-
Innovationen. So zweifelte Einstein lange
sich im folgenden Jahrzehnt. Harwit stellt
steht ein Netzwerk von Prominenten, die
an den Schwarzen Löchern und der Ex-
eine eindrucksvolle Liste von Neuentde-
die Mittelvergaben und damit künftige
pansion des Kosmos; Russell und Edding-
ckungen durch den Technologieschub vor,
Forschungsrichtungen beeinflussen kön-
ton wollten den hohen Wasserstoffanteil
die ein Dutzend Phänomene enthält, von
nen. Da auch Astronomen nicht gegen
in den Sternen lange Jahre nicht wahr-
Radiogalaxien bis zu Gammastrahlenaus-
den Geldstrom schwimmen, befürwor-
haben. Theoretiker verfolgten später als
brüchen.
teten sie Mitte der 1980er Jahre die Sta-
Sackgassen erkannte Ideen, so die magne-
gewähren
tionierung der »Großen Observatorien«
tischen Monopole oder die Steady-State-
die soziologischen Betrachtungen: Wer
der NASA auf der politisch gewollten und
Kosmologie, mit der eine damals falsch
beeinflusst die Richtungen der astro-
geförderten Raumstation. Ein Fehler, der
bestimmte Hubble-Konstante zu retten
nomischen Forschung? Wem gelingen
erst durch das Challenger-Unglück und
gewesen wäre. Aber auch Beobachter
die Entdeckungen? Martin Harwit (83),
die gewaltigen Kostensteigerungen bei
können sich irren, wie die Aufregung von
emeritierter Professor an der Cornell-
der ISS berichtigt wurde und die Großen
2011 um die Überlichtgeschwindigkeiten
Ungewohnte
Einsichten
www.sterne-und-weltraum.de
August 2014
95
der Neutrinos zeigte. Diese Sensation lös-
sich auch in Jahrzehnten noch auswerten
nung fehlt dann in einigen Abschnitten, in
te eine »soziale Kaskade« aus, Hunderte
lassen, statt sie mit teuren Missionen in ei-
denen soziologische Theorien abstrakt auf
von Wissenschaftlern debattierten, das
ner neuen Computersprache wiederzuge-
die Astronomie angewandt werden. Dies
führte bald zur Berichtigung.
winnen. In manche Observatorien könn-
kann man übergehen, ohne den Gewinn
Für die Zukunft der Astronomie hat
ten »Winterschlaf«-Optionen eingebaut
aus dem Studium des Buchs zu verfehlen.
Harwit bedenkenswerte Ratschläge zu-
werden, um die Betriebskosten zu senken.
Einzige Voraussetzung für das verständ-
sammengestellt. Sie muss auf ihren gesell-
Internationale Kooperationen werden bei
nisvolle Lesen ist Vertrautheit mit den
schaftlichen Nutzen hinweisen, so beim
den immer kostspieligeren Satelliten- und
Grundlagen der Astrophysik, denn gele-
frühzeitigen Erkennen von Gefahren aus
Großteleskopen notwendig, endlich auch
gentlich werden Formeln und Diagramme
dem All und beim überragenden Einfluss
mit strengerer Kontrolle der Kostenent-
benutzt, mit denen schneller Klarheit über
der Sonne auf unser Leben. Auf breites
wicklung.
die Natur der Dinge erreicht werden kann.
Interesse stößt stets die Erkundung der
Diese Zukunftsstrategien machen das
Harwit hat vor 30 Jahren mit diesem
Stellung des Menschen im Universum.
Buch geradezu zu einer Pflichtlektüre für
Werk begonnen, davon zeugen rund
Davon kann auch die Erforschung von oft
die heute in der Verantwortung stehenden
700 Quellenangaben. Da wird man neu-
als esoterisch empfundenen Fragen nach
Astrophysiker. Die Fülle der geschilderten
gierig, liest einige der Originalveröffentli-
der Dunklen Energie und der Dunklen
Erfahrungen und der Chancen der Gegen-
chungen nach, und wird von weiteren wis-
Materie profitieren, von der kein Nutzen
wart könnte das langfristige Planen in der
senschaftlichen Kostbarkeiten gefesselt.
erkennbar ist. Private Spender werden
Forschung gewinnbringend verändern.
hier wichtig, wie bei der SETI-Suche nach
Jüngere Leser werden erkennen, dass es
DIETRICH LEMKE war am Max-Planck-
extraterrestrischer
mittels
»Denkstile und Denkkollektive« gibt, und
Institut für Astronomie in Heidelberg lange
des Allen-Teleskops, gefördert durch den
dass gegenüber aktuellen Gedankenge-
Zeit für die Weltraumprojekte des Instituts
gleichnamigen Microsoft-Mitbegründer.
bäuden und Autoritäten Zurückhaltung
verantwortlich.
Intelligenz
Größere Aufmerksamkeit verdient die
angesagt sein kann. Lebendig sind die
Pflege astronomischer Datenarchive, ins-
Berichte des Verfassers über seine eigene
besondere der von Weltraumteleskopen.
Einbindung in den politischen Kampf um
Die teuer gewonnenen Ergebnisse sollten
die großen Observatorien. Diese Span-
Einführung in die Molekül-Astronomie
M
it »Observational Molecular Astro­
Teleskope ist und bleibt aber natürlich die
nomy – Exploring the Universe
Kreativität und Fachkunde der Wissen-
using Molecular Line Emissions« liegt nun
schaftlerinnen und Wissenschaftler, wel-
der mittlerweile zehnte Band der Reihe
che die Beobachtungen beantragen, durch-
»Cambridge Observing Handbooks for Re-
führen und auswerten.
search Astronomers« vor. Die im Umfang
Genau hier setzen traditionell die
stets kompakt gehaltenen Bücher dieser
»Cambridge Observing Handbooks« an, in-
Serie zählen für viele Astronomen zum
dem historische und aktuelle Fragestellun-
Die Kosmochemie gewinnt immer mehr an Bedeutung.
David A. Williams, Serena Viti:
Observational Molecular Astronomy –
Exploring the Universe using Molecular
Line Emissions
Cambridge University Press, Cambridge
2014. XVI + 174 Seiten mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen und
Grafiken. ISBN: 978-1-107-01816-7
Gebunden £ 35, $ 55
96
August 2014
täglichen Handwerkszeug, gerade wenn es
gen des jeweiligen Fachgebiets nicht nur
einmal darum geht, sich in Beobachtungs-
in den Kontext der zu erforschenden phy-
techniken oder Wellenlängenbereiche ein-
sikalischen Prozesse eingeordnet werden,
zuarbeiten, die bisher nicht zum »täglich
sondern auch sehr konkret Techniken und
Brot« zählten.
Standardverfahren der Datengewinnung
Im hier zu besprechenden Band widmet
sich das Autorenteam der Beobachtung
und Auswertung exemplarisch besprochen werden.
von Moleküllinien. Diese Themensetzung
Dieses Erfolgsrezept kommt auch in
erscheint sinnvoll und zeitgemäß aus min-
Band 10 zur Anwendung: Nach einer sehr
destens zwei Perspektiven: Gerade in den
kurzen historischen Übersicht zur Entde-
letzten Jahren hat das Feld der Kosmoche-
ckung von Molekülen im Weltall folgen
mie einen enormen Aufschwung genom-
auch schon kapitelweise Einführungen
men – also der Erforschung der Verteilung
in die Themenbereiche Molekülspektren
der chemischen Elemente und von chemi-
und astrochemische Prozesse. Hier fällt
schen Prozessen im interstellaren Medium.
insbesondere positiv auf, dass die Auto-
Die entscheidende Komponente zur
ren auch der noch vergleichsweise jungen,
bestmöglichen Nutzung leistungsfähiger
aber sicherlich zukunftsträchtigen Frage
STERNE UND WELTRAUM
nach der Rolle energiereicher kosmischer
Strahlung in der Kosmochemie den gebührenden Raum widmen.
Im folgenden Kapitel werden dann rele-
V I D E O S
vante Prozesse in verschiedenen astrophy-
aus der Wissenschaft –
spannend und informativ
sikalischen Umgebungen übersichtsartig
diskutiert. Daran schließt sich der umfangreichste Teil des Buchs an, in dem detailliert für eine Vielzahl von Objektklassen –
JETZT
A K TU E L L
von unserer Milchstraße bis zu Galaxien
im frühen Universum – die wichtigsten
Moleküllinien und die jeweiligen Bedingungen ihrer Entstehung besprochen wer-
Diedrich Möhlmann, Stephan Ulamec:
Raumsonde Rosetta – Die
abenteuerliche Reise
zum unbekannten Kometen
Franckh-Kosmos-Verlag, Stuttgart 2014.
160 Seiten mit zahlreichen Farbfotos
und Farbgrafiken.
ISBN: 978-3-440-13083-4
Gebunden € 24,99
den. Eine solch umfassende und doch kompakte Darstellung findet man ansonsten
kaum in der einschlägigen Literatur – allein dieser Teil würde schon den Kauf des
Buchs rechtfertigen!
Aber auch die beobachterische und interpretative Seite kommt nicht zu kurz,
denn in Kapitel 8 spannt das Autorenteam
quasi rezeptartig, und ausgehend von den
Grundlagen der Radioastronomie, den
Bogen von den mittels Teleskop gemessenen Größen zum eigentlichen Ziel der Beobachtungen: quantitative Aussagen zum
Beispiel über die Häufigkeiten bestimmter Moleküle in den jeweiligen Objekten.
Auf zum Kometen 67P!
I
m Franckh-Kosmos-Verlag Stuttgart erschien Anfang 2014 und damit zeitlich
passend zur laufenden ESA-Mission Ro-
Die sprachliche Darstellung bleibt dabei
setta das Buch »Raumsonde Rosetta – Die
immer präzise und korrekt, ohne dabei
abenteuerliche Reise zum unbekannten
Einbußen an Verständlichkeit in Kauf zu
Kometen«. Die beiden Autoren Diedrich
nehmen.
Möhlmann und Stephan Ulamec sind als
Selbstverständlich kann auf 174 Seiten
Wissenschaftler beziehungsweise Projekt-
ein so komplexes Thema wie die astrono-
leiter für den Lander Philae aktiv an der
mische Beobachtung von Moleküllinien
Rosetta-Mission der ESA beteiligt. Sie be-
keinesfalls abschließend behandelt wer-
richten somit aus erster Hand über diese
den, was aber auch nicht Ziel des Buchs ist.
europäische Raumsonde, die zum ersten
Vielmehr bieten die Autoren konsequent
Mal eine Landung auf einem Kometenkern
am Ende jedes Kapitels eine Auswahl von
wagen wird.
weiterführender Literatur an.
Das Buch spannt den Bogen von den
Als Fazit ist zu ziehen, dass das vorlie-
Anfängen der Kometenforschung über
gende Werk natürlich eine sehr spezifische
eine allgemeine Beschreibung der Schweif­
Zielgruppe hat. Für den Amateurastro-
sterne aus heutiger Sicht bis hin zu den
nomen oder interessierten Laien ist das
bisherigen und aktuellen Raumsonden
Buch zwar sicherlich auch mit Gewinn
zur Kometenforschung. Die Rosetta-Mis-
lesbar. Jedoch muss hier die Fokussierung
sion wird dabei mit mehr als 50 der rund
auf Beobachtungsmöglichkeiten und -Da-
160 Seiten entsprechend gewürdigt. Natür-
ten bedacht werden, denn das sind Frage-
lich beschreiben die Autoren neben dem
stellungen mit denen üblicherweise eher
Mutterschiff Rosetta detailliert auch die
Fachwissenschaftler konfrontiert werden,
Landeeinheit Philae, an deren Entwicklung
wenn sie sich neu in ein Gebiet einarbeiten
Deutschland einen großen Anteil hatte.
möchten (oder müssen). In diesem Fall ist
Diesen langen Bogen zu spannen ist kein
das Buch quasi ein »must have« und erhält
leichtes Unterfangen, da man einerseits
eine absolute Empfehlung.
eine Gesamtübersicht über die Kometenforschung und andererseits eine aktuelle
DOMINIK ELSÄSSER ist Astrophysiker an der
Vorstellung der Mission geben möchte.
Universität Würzburg, wo er unter anderem
Da es schon zahlreiche Bücher über Kome-
die kosmische Strahlung in Galaxienhaufen
ten gibt, so auch von Diedrich Möhlmann
erforscht.
selbst, ließe sich argumentieren, dass die-
www.sterne-und-weltraum.de
AstroViews 10: Entfernungsbestimmungen im All – Der
lange Weg zu den Galaxien
Es war ein langer Weg von der Entfernungsbestimmung der nächsten Sterne bis zum Nachweis, dass
unsere Galaxie nur eine unter vielen ist. Doch wie
können wir Entfernungen bis hin zu Milliarden von
Lichtjahren eigentlich messen?
AstroViews 9:
Jahresvorschau 2014
Planeten, Kometen, Polarlichter: Astronom Klaus
Jäger präsentiert eine Vorschau auf interessante
astronomische Ereignisse im Jahr 2014.
AstroViews 8: Gaia und die
Vermessung der Galaxis
Am 19. Dezember 2013 startete das AstrometrieObservatorium Gaia. Es wird die Vermessung der
Sterne unseres Milchstraßensystems revolutionieren und den Astronomen ermöglichen, die
Dynamik und Struktur unserer Galaxis umfassend
zu erforschen.
Mehr Videos
finden2014
Sie unter:
August
97
sterne-und-weltraum.de/videos
ser Teil doch entbehrlich wäre. Aber dann
rung unseres Erbguts anhand der DNS zur
wäre aus dem Rest nur ein schma­ler Band
Quantenphysik und der Frage, was eigent-
geworden, was der Bedeutung der Mis­
lich ein Vakuum ist und ob ein perfektes
sion meiner Meinung nach nicht gerecht
Vakuum überhaupt möglich ist. Diese Fra-
geworden wäre. Ich finde, man hat hier ei-
ge verneint der Autor mit Verweisen auf
nen guten Kompromiss gefunden und das
die heisenbergsche Unschärferelation und
Buch ist von der thematischen Aufteilung
den Casimireffekt, anhand dessen sich die
her gut gelungen.
Existenz spontan erzeugter virtueller Teil-
Auch hinsichtlich der Zielgruppe des Bu-
chen nachweisen lässt.
ches wagten die Autoren einen Spagat – es
Bevor der Leser großartig eine Möglich-
sollen sowohl astronomisch Interessierte
keit hätte, all diese Erkenntnisse zu ver-
ohne allzu großes Vorwissen angesprochen
dauen, geht es im dritten Teil des Buchs
werden als auch erfahrene Hobbyastro-
direkt hinein in die unendlichen Weiten
nomen. Als Anfänger kann man vielleicht
durch so viele Informationen und Fachbegriffe etwas gebremst werden. Leider wurde auf ein Glossar verzichtet, was sicherlich
von Vorteil gewesen wäre. Ein fortgeschrittener Leser kann die schon bekannten Kapitel überspringen und sich gleich dem
Werner Kinnebrock:
Mikro und Makro – Von Galaxien und
Atomen – Eine physikalische Reise
Verlag C. H. Beck, München 2014.
144 Seiten mit 20 Abbildungen
und 4 Tabellen.
ISBN 978-3-406-66028-3
Gebunden € 12,95
des Kosmos. Auf acht Seiten wird das Universum von seinen Anfängen bis zur Gegenwart abgehandelt. Dabei werden auch
die Dunkle Materie, die Dunkle Energie
und die Existenz von möglichen Multiversen kurz besprochen.
Man merkt es vielleicht schon: Diese
Wesentlichen nähern. Der eine oder an-
Bandbreite an Themen in 142 kleinforma-
dere Experte wird vielleicht einige wenige
tigen Seiten abzuhandeln, ist ein sport-
Ungenauigkeiten bemerken, die aber den
Gesamteindruck nicht trüben. Insgesamt
wurde die verbindende Klammer gut angebracht, so dass alle Leser von diesem Buch
licher Ansatz. Darin offenbart sich das
Physik im Schnelldurchlauf
E
Hauptproblem des Titels. Kinnebrock gibt
sich alle Mühe, dem Leser die Sachverhalte
ine physikalische Reise verspricht der
präzise und trotzdem verständlich darzu-
Untertitel des Buchs. Würde es sich da-
legen. Leider verwendet er dazu (Die Kar-
bei um eine Reise handeln, so wäre sie ein
riere als Mathematikprofessor lässt grü-
lesbare Schreibstil und die vielen De-
einwöchiger Rundreisemarathon durch
ßen?) meist Zahlen, um andere Zahlen zu
tailinformationen. Sie bieten auch alten
alle Hauptstädte Europas: fünf Minuten
erklären, was schnell ermüdend wird.
astro­nomischen Hasen Neues und ver-
Foto- und Toilettenpause am Brandenbur-
deutlichen immer wieder die Komplexität
ger Tor, zehn Minuten für den Eiffelturm.
profitieren dürften.
Positiv erfreut haben mich der gut
Ein Beispiel: Er verkleinert das All erst
einmal im Maßstab von 1 : 1 Milliarde
einer solchen Mission. Auch hat man kurz
Der Autor Werner Kinnebrock ist pen-
(»Dabei schrumpft die Erde auf einen
vor der Drucklegung noch aktuelle Fotos
sionierter Professor für Mathematik. Er
Durchmesser von 1,2 Zentimetern.«) und
einbinden können, so beispielsweise Auf-
handelt in »Mikro und Makro« im Schnell-
anschließend diese verkleinerte Version
nahmen aus dem Kontrollraum nach dem
Erwachen von Rosetta aus ihrem Winter-
Das Buch geht eher auf Themen mit »Wow-Effekt« ein.
schlaf im Januar 2014.
Eine interessante Timeline zu Philae
durchlauf diejenigen Gebiete der Physik
noch einmal im Maßstab von 1 : 1 Mil­
von der ersten Inbetriebnahme 2004 bis
ab, welche die Fantasie und das Interesse
lion: »Unsere Milchstraße füllt nunmehr
zum Beginn des Winterschlafs 2010 ist
der Öffentlichkeit am meisten anregen:
einen Raum aus, der in etwa einem Raum
auch vorhanden – eine Weiterführung der
Die Welt des Allerkleinsten, mit der sich
entspricht, wenn man über der Fläche
Planungen als Timeline bis zum Missions-
die Teilchenphysik auseinandersetzt, und
Deutschlands eine Höhe von 20 bis 50 Ki-
ende wäre bestimmt noch eine Aufwer-
die Welt des Allergrößten, derer sich die As­
lometer abträgt.« Mit Verlaub, aber: Häh?
tung gewesen.
trophysik und die Kosmologie annehmen.
Abgesehen von diesen Zahlenspielerei-
Insgesamt liegt hier ein schönes, infor-
Der erste Teil des Buchs beschreibt
en bleibt der Titel aber so oberflächlich,
matives und gut verständliches Sachbuch
dabei die »Vermessung der Welt«, in der
dass sich für den Leser kaum ein Mehrwert
vor, das ich weiterempfehlen kann. Ich hof-
Kinnebrock die mathematischen Grundla-
gegenüber der Lektüre der entsprechenden
fe auf einen großen Erfolg von Rosetta und
gen für die folgenden Sachverhalte legt. Er
Wikipedia-Artikel ergibt. Absoluten Laien
wünsche mir als Fortsetzung einen zwei-
geht dabei aber auch eher auf Themen mit
kann man das Buch trotzdem vorsichtig als
ten Band mit vielen Bildern und Berichten
»Wow-Effekt« ein, die den Leser faszinie-
allerersten Überblick empfehlen. Anderer-
über die neuen Erkenntnisse dieser einma-
ren könnten als auf jene, die zum weiteren
seits gibt es gerade zur Teilchenphysik und
ligen Kometenmission!
Verständnis absolut nötig wären. Beispiel
zur Kosmologie eine vielfältige Auswahl an
sind hier die verschiedenen Arten der Un-
Büchern, die ihr Geld mehr wert sind.
CHRISTIAN GRITZNER ist Raumfahrtinge-
endlichkeit oder die doch sehr hübschen
nieur und arbeitet in Bonn bei einer großen
Visualisierungen der fraktalen Geometrie
FRANZISKA KONITZER studierte Physik und
deutschen Forschungseinrichtung. Er promo-
und der Mandelbrot-Menge.
Astrophysik an der University of York in Groß-
vierte 1996 an der TU Berlin über das Thema
der Abwehr von erdnahen Objekten.
98
August 2014
Anschließend taucht Kinnebrock in die
Mikrowelt ein: von Molekülen zur Kodie-
britannien. Derzeit ist sie in München als freie
Journalistin tätig.
STERNE UND WELTRAUM
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