NEU ERSCHIENEN Einstein mit Hindernissen G erade bei Schülern und Studienan- Bernd Sonne, Reinhard Weiß: Einsteins Theorien. Spezielle und Allgemeine Relativitätstheorie für interessierte Einsteiger und zur Wiederholung Springer-Spek­trum-Verlag, Berlin und Heidelberg 2013. XVI + 292 Seiten mit 80 Abbildungen, 36 davon in Farbe. ISBN: 978-3-642-34764-1 Kartoniert € 29,99 Gedächtnisverlust ist teuer Studienanfänger erst allmählich entwickeln. fängern steht bei der Auseinander­ Das hier besprochene Buch bietet Ein- setzung mit neuem physikalischen Lern- steigern in das Thema Relativitätstheorie stoff oft auch die Selbsteinschätzung leider viel Gelegenheit für diese Art von mit auf dem Spiel. Kaum etwas ist dabei Frustration. Bestimmte, zum Verständnis frustrierender, als in einem Lehrbuch nötige Grundbegriffe werden gar nicht, festzustecken, eine Passage auch nach in- nur arg verkürzt oder in irreführender tensivem Nachdenken nicht zu verstehen Weise definiert. Was soll man anders tun und sich langsam aber sicher zu fragen, als ungläubig den Kopf schütteln, wenn im ob man dem Thema vielleicht einfach Kapitel zur Kosmologie seitenlang Lösun- nicht gewachsen ist. Entsprechend ärger- gen der – ohne rechte Motivation aus der lich ist es, wenn die Schuld in solch einem Literatur entnommenen – Gleichungen Fall bei den Autoren liegt – sei es, dass die für den kosmischen Skalenfaktor vorge- betreffende Passage falsch ist, sei es, dass rechnet werden. Dabei wurde es aber ver- sie dem Leser schlicht nicht die zum Ver- säumt, dem Leser zu erklären, was dieser ständnis nötigen Informationen liefert. Skalenfaktor überhaupt für eine Bedeu- Auf diese Weise können schlecht gemach- tung hat, welche Abstände er beeinflusst te Lehrbücher großen Schaden anrichten. und wie er mit der – ebenfalls nicht recht Das nötige Selbstbewusstsein, die Schuld erklärten – Expansion des Universums zu- durchaus auch einmal bei den Autoren sammenhängt. neue Vorhaben werden wegen steigender entdeckten Radiowellen, Planck legte die Entwicklungskosten abgebrochen oder sie Quantentheo­rie vor. Das alles hatte noch verzögern sich durch beschränkte jährli- keine Verbindung zur Astronomie, vieles che Etats. Wie sollten die Astronomen auf davon aber sollte schon wenige Jahre spä- die jetzt erkennbaren Grenzen reagieren? ter zu ihren Werkzeugen und Forschungs- Das sind Themen, die Martin Har- Martin Harwit: In Search for the True Universe: The Tools, Shaping, and Cost of Cosmological Thought Cambridge University Press, Cambridge 2013. 393 Seiten mit zahlreichen Abbildungen. ISBN: 978-1-1070440-67 Gebunden £ 35, $ 50,00 des Buchs zu suchen, müssen Schüler und gegenständen werden. wit in seinem neuesten Buch behandelt. Ausführlich behandelt werden die gro- Bekannt gemacht hatten den Verfasser ßen Beiträge der theoretischen Physik und schon seine früheren Hervorbringungen der Mathematik, die bald zu einer theore- »Astrophysical Concepts« und »Cosmic tischen Astrophysik führen sollten. So Discoveries« (1981). In Erinnerung geblie- wurde Einsteins Relativitätstheorie erst ben ist Harwits kühne Vorhersage, dass die vollendet, nachdem die Mathematik von damals noch ansteigende Entdeckungsra- Riemann, Minkowski und Hilbert ein- te kosmischer Phänomene sich jenseits geflossen war. Einsteins mathematische des Jahres 2000 abflachen wird. Diese wis- Fähigkeiten blieben hinter seinem physi- senschaftsgeschichtlichen Untersuchun- kalischen Genie zurück. Die Fragen nach gen führt er jetzt in der »Erforschung des den Energiequellen der Sterne und dem wahren Universums« weiter, vertieft sie Ursprung der Elemente konnten mit den aber um soziologische Betrachtungen. frühen Messwerten der experimentel- Wie beeinflussen tonangebende Astrono- len Kernphysik und der Quantentheorie men künftige Forschungsrichtungen und endlich angegangen werden. So erkannte unsere gegenwärtigen Vorstellungen über von Weizsäcker 1938 die Verschmelzung das Universum? leichterer zu schwereren Kernen als Ener- W Das Buch führt den Leser zunächst giequelle der Sterne, aber die Entstehung ird die Gesellschaft in der Zukunft unterhaltsam durch die Entwicklung der der sehr schweren Elemente vermutete weiterhin bereit sein, Milliarden- Astrophysik seit der Wende vom 19. zum er noch in der heißen Frühzeit des Uni- summen für astronomische Fragen, wie 20. Jahrhundert. Es muss eine aufregen- versums. Auch Eddington nahm für seine die nach der Natur der Dunklen Energie de Zeit gewesen sein. Nachdem Röntgen Sternmodelle eine Elementhäufigkeit wie und der inflationären Explosion des Uni- 1895 seine Strahlen entdeckt hatte, folg- auf der Erde an und konnte mit der irrigen versums auszugeben? Es gibt heute be- ten fast im Jahresrhythmus die Entde- Voraussetzung sogar eine Masse-Leucht- reits Anzeichen, dass sich das Wachstum ckung des Elektrons durch Thomson, der kraft-Beziehung der Sterne herleiten. beim Bau immer größerer astronomischer Radioaktivität durch Becquerel und das Zwar war durch die kosmologischen Entdeckungsmaschinen abflacht: Einzelne Ehepaar Curie. Marconi überwand den Theorien von Lemaître und Friedmann Observatorien werden vorzeitig stillgelegt, Englischen Kanal mittels der von Hertz in den 1920er Jahren ein expandieren- 94 August 2014 STERNE UND WELTRAUM Einige Aussagen des Buchs sind schlicht befinden«, der sollte schlicht keine Bücher scheinlich auch viel Herzblut in ihren Text falsch. Einbettungen – etwa der zweidi- über die allgemeine Relativitätstheorie investiert haben. Dass die Autoren sich mensionalen Oberfläche eines Luftballons schrei­ben. überhaupt in dieser Weise Teile der Relati- in den dreidimensionalen Raum – kön- Positiv hervorzuheben ist, dass in die- vitätstheorien erarbeitet und dabei vieles nen zwar der Veranschaulichung dienen. sem Buch insbesondere im Rahmen der selbst durch- und nachgerechnet haben, Aber in der geometrischen Beschreibung speziellen Relativitätstheorie viel und aus- ist durchaus eine Leistung. Das Bedürfnis, gekrümmter Räume oder Raumzeiten, führlich gerechnet wird. Für die »Wieder- solche selbst erworbenen Kenntnisse mit wie sie der allgemeinen Relativitätstheo- holer«, die sich mit den Grundlagen be- anderen zu teilen, ist naheliegend und rie zugrundeliegen, geht es im Gegensatz reits auskennen, und an die sich das Buch ehrenwert. Aber das Ergebnis kann ich in dazu um diejenigen (intrinsischen) Eigen- dem Untertitel nach unter anderem rich- diesem Falle niemandem, der einen Ein- schaften, die nicht von einer Einbettung tet, kann das nützlich sein. Die Zielgruppe stieg in die Welt der einsteinschen Theori- abhängen. Somit belegen gekrümmte der »interessierten Einsteiger« wird da­ en sucht, empfehlen. Der Text hätte in der dreidimensionale Räume also nicht die raus mangels rotem Faden, klar erklärter vorliegenden Form nie in einem – zumal Existenz einer vierten Raumdimension. Grundkonzepte und einer ganzen Reihe in diesem Falle durchaus renommierten Dies gehört aber zum mathematischen zum physikalischen Verständnis wichti- – Fachbuchverlag veröffentlicht werden Grundwissen über diese Theorie. Wer sich ger Querverbindungen nur sehr begrenz- dürfen. von der Luftballon-Analogie der kosmi- ten Nutzen ziehen können. MARKUS PÖSSEL ist Astrophysiker und leitet schen Expansion so verwirren lässt, dass Ich habe keinen Zweifel, dass sich die er meint »Wir können aber nicht feststel- Autoren – ein promovierter, anschließend len, wohin oder worin [sich die Galaxien] im IT-Bereich tätiger Physiker und ein bewegen. Wir können nur sagen, dass sie physikinteressierter Mediziner – mit ihrer sich irgendwo in der vierten Dimen­sion Darstellung viel Mühe gegeben und wahr- der Kosmos modelliert und von Hubble Universität und Pionier der Infrarot- Observatorien schließlich zu freifliegen- durch Beobachtungen bestätigt worden, Astronomie, kann aus lebenslanger Er- den Weltraumteleskopen machte. Trotz dennoch blickten die Astronomen bis in fahrung und Mitwirkung in zahlreichen ihrer gelegentlichen Irrtümer vertraut die 1940er Jahre in ein weitgehend ruhi- wissenschaftlichen Komitees antworten. die Mehrzahl der Astronomen ihren her- ges Universum. Das änderte sich schlag- Die meinungsbestimmende Gruppe von ausragenden Vertretern und übernimmt artig, als die während des Zweiten Welt- Astronomen ist vergleichsweise klein. deren Vorstellungen über das Universum. kriegs und dem anschließenden Kalten Ihre Mitglieder sind meist durch eine Und die sind immer noch Gedankenge- Krieg entwickelten Technologien für die wissenschaftliche Entdeckung oder eine bäude, denn über mehr als 96 Prozent des Astrophysik verfügbar wurden. Die Ra- wichtige instrumentelle Entwicklung her- Inhaltes des »wahren Universums« an dartechnik wurde zum Geburtshelfer der vorgetreten. Dadurch bekannt, wurden Masse und Energie wissen wir sehr wenig. Radioastronomie, mit erbeuteten deut- sie zu Leitern von Instituten berufen. Aus schen Raketen gelangen die ersten Ultra- dieser Stellung heraus wurden sie Mit- Pionierleistungen violettbilder des Himmels, mit militärisch glieder von Beratungskomitees für NASA, die meisten Entdeckungen von jungen entwickelten Infrarotsensoren begann die die Regierung oder Stiftungen. Und da es Forschern gemacht wurden: 14 Wis- das Haus der Astronomie in Heidelberg. Am Beispiel von 20 theoretischen zeigt Harwit, dass Beobachtung des kalten Universums. Die USA förderten ab 1945 großzügig Technologie-Entwicklungen, die der Sicherheit und dem Wohlstand des Landes dienten. Wie sollen Astronomen auf die jetzt erkennbaren finanziellen Grenzen reagieren? Ein weiterer finanzieller Schub wurde im demokratischen Amerika eine Viel- senschaftler waren zwischen 24 und 1957 durch den Sputnik-Schock ausge- zahl solcher meinungsbildenden Komi- 35 Jahren alt. Bei den Älteren zeigte sich löst: Die NASA wurde gegründet, die Zahl tees gibt, wurden die Auserwählten dann gelegentlich mangelnde Einsicht in die der Astronomie-Studenten verfünffachte oft Mitglied in weiteren Komitees. So ent- Innovationen. So zweifelte Einstein lange sich im folgenden Jahrzehnt. Harwit stellt steht ein Netzwerk von Prominenten, die an den Schwarzen Löchern und der Ex- eine eindrucksvolle Liste von Neuentde- die Mittelvergaben und damit künftige pansion des Kosmos; Russell und Edding- ckungen durch den Technologieschub vor, Forschungsrichtungen beeinflussen kön- ton wollten den hohen Wasserstoffanteil die ein Dutzend Phänomene enthält, von nen. Da auch Astronomen nicht gegen in den Sternen lange Jahre nicht wahr- Radiogalaxien bis zu Gammastrahlenaus- den Geldstrom schwimmen, befürwor- haben. Theoretiker verfolgten später als brüchen. teten sie Mitte der 1980er Jahre die Sta- Sackgassen erkannte Ideen, so die magne- gewähren tionierung der »Großen Observatorien« tischen Monopole oder die Steady-State- die soziologischen Betrachtungen: Wer der NASA auf der politisch gewollten und Kosmologie, mit der eine damals falsch beeinflusst die Richtungen der astro- geförderten Raumstation. Ein Fehler, der bestimmte Hubble-Konstante zu retten nomischen Forschung? Wem gelingen erst durch das Challenger-Unglück und gewesen wäre. Aber auch Beobachter die Entdeckungen? Martin Harwit (83), die gewaltigen Kostensteigerungen bei können sich irren, wie die Aufregung von emeritierter Professor an der Cornell- der ISS berichtigt wurde und die Großen 2011 um die Überlichtgeschwindigkeiten Ungewohnte Einsichten www.sterne-und-weltraum.de August 2014 95 der Neutrinos zeigte. Diese Sensation lös- sich auch in Jahrzehnten noch auswerten nung fehlt dann in einigen Abschnitten, in te eine »soziale Kaskade« aus, Hunderte lassen, statt sie mit teuren Missionen in ei- denen soziologische Theorien abstrakt auf von Wissenschaftlern debattierten, das ner neuen Computersprache wiederzuge- die Astronomie angewandt werden. Dies führte bald zur Berichtigung. winnen. In manche Observatorien könn- kann man übergehen, ohne den Gewinn Für die Zukunft der Astronomie hat ten »Winterschlaf«-Optionen eingebaut aus dem Studium des Buchs zu verfehlen. Harwit bedenkenswerte Ratschläge zu- werden, um die Betriebskosten zu senken. Einzige Voraussetzung für das verständ- sammengestellt. Sie muss auf ihren gesell- Internationale Kooperationen werden bei nisvolle Lesen ist Vertrautheit mit den schaftlichen Nutzen hinweisen, so beim den immer kostspieligeren Satelliten- und Grundlagen der Astrophysik, denn gele- frühzeitigen Erkennen von Gefahren aus Großteleskopen notwendig, endlich auch gentlich werden Formeln und Diagramme dem All und beim überragenden Einfluss mit strengerer Kontrolle der Kostenent- benutzt, mit denen schneller Klarheit über der Sonne auf unser Leben. Auf breites wicklung. die Natur der Dinge erreicht werden kann. Interesse stößt stets die Erkundung der Diese Zukunftsstrategien machen das Harwit hat vor 30 Jahren mit diesem Stellung des Menschen im Universum. Buch geradezu zu einer Pflichtlektüre für Werk begonnen, davon zeugen rund Davon kann auch die Erforschung von oft die heute in der Verantwortung stehenden 700 Quellenangaben. Da wird man neu- als esoterisch empfundenen Fragen nach Astrophysiker. Die Fülle der geschilderten gierig, liest einige der Originalveröffentli- der Dunklen Energie und der Dunklen Erfahrungen und der Chancen der Gegen- chungen nach, und wird von weiteren wis- Materie profitieren, von der kein Nutzen wart könnte das langfristige Planen in der senschaftlichen Kostbarkeiten gefesselt. erkennbar ist. Private Spender werden Forschung gewinnbringend verändern. hier wichtig, wie bei der SETI-Suche nach Jüngere Leser werden erkennen, dass es DIETRICH LEMKE war am Max-Planck- extraterrestrischer mittels »Denkstile und Denkkollektive« gibt, und Institut für Astronomie in Heidelberg lange des Allen-Teleskops, gefördert durch den dass gegenüber aktuellen Gedankenge- Zeit für die Weltraumprojekte des Instituts gleichnamigen Microsoft-Mitbegründer. bäuden und Autoritäten Zurückhaltung verantwortlich. Intelligenz Größere Aufmerksamkeit verdient die angesagt sein kann. Lebendig sind die Pflege astronomischer Datenarchive, ins- Berichte des Verfassers über seine eigene besondere der von Weltraumteleskopen. Einbindung in den politischen Kampf um Die teuer gewonnenen Ergebnisse sollten die großen Observatorien. Diese Span- Einführung in die Molekül-Astronomie M it »Observational Molecular Astro­ Teleskope ist und bleibt aber natürlich die nomy – Exploring the Universe Kreativität und Fachkunde der Wissen- using Molecular Line Emissions« liegt nun schaftlerinnen und Wissenschaftler, wel- der mittlerweile zehnte Band der Reihe che die Beobachtungen beantragen, durch- »Cambridge Observing Handbooks for Re- führen und auswerten. search Astronomers« vor. Die im Umfang Genau hier setzen traditionell die stets kompakt gehaltenen Bücher dieser »Cambridge Observing Handbooks« an, in- Serie zählen für viele Astronomen zum dem historische und aktuelle Fragestellun- Die Kosmochemie gewinnt immer mehr an Bedeutung. David A. Williams, Serena Viti: Observational Molecular Astronomy – Exploring the Universe using Molecular Line Emissions Cambridge University Press, Cambridge 2014. XVI + 174 Seiten mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen und Grafiken. ISBN: 978-1-107-01816-7 Gebunden £ 35, $ 55 96 August 2014 täglichen Handwerkszeug, gerade wenn es gen des jeweiligen Fachgebiets nicht nur einmal darum geht, sich in Beobachtungs- in den Kontext der zu erforschenden phy- techniken oder Wellenlängenbereiche ein- sikalischen Prozesse eingeordnet werden, zuarbeiten, die bisher nicht zum »täglich sondern auch sehr konkret Techniken und Brot« zählten. Standardverfahren der Datengewinnung Im hier zu besprechenden Band widmet sich das Autorenteam der Beobachtung und Auswertung exemplarisch besprochen werden. von Moleküllinien. Diese Themensetzung Dieses Erfolgsrezept kommt auch in erscheint sinnvoll und zeitgemäß aus min- Band 10 zur Anwendung: Nach einer sehr destens zwei Perspektiven: Gerade in den kurzen historischen Übersicht zur Entde- letzten Jahren hat das Feld der Kosmoche- ckung von Molekülen im Weltall folgen mie einen enormen Aufschwung genom- auch schon kapitelweise Einführungen men – also der Erforschung der Verteilung in die Themenbereiche Molekülspektren der chemischen Elemente und von chemi- und astrochemische Prozesse. Hier fällt schen Prozessen im interstellaren Medium. insbesondere positiv auf, dass die Auto- Die entscheidende Komponente zur ren auch der noch vergleichsweise jungen, bestmöglichen Nutzung leistungsfähiger aber sicherlich zukunftsträchtigen Frage STERNE UND WELTRAUM nach der Rolle energiereicher kosmischer Strahlung in der Kosmochemie den gebührenden Raum widmen. Im folgenden Kapitel werden dann rele- V I D E O S vante Prozesse in verschiedenen astrophy- aus der Wissenschaft – spannend und informativ sikalischen Umgebungen übersichtsartig diskutiert. Daran schließt sich der umfangreichste Teil des Buchs an, in dem detailliert für eine Vielzahl von Objektklassen – JETZT A K TU E L L von unserer Milchstraße bis zu Galaxien im frühen Universum – die wichtigsten Moleküllinien und die jeweiligen Bedingungen ihrer Entstehung besprochen wer- Diedrich Möhlmann, Stephan Ulamec: Raumsonde Rosetta – Die abenteuerliche Reise zum unbekannten Kometen Franckh-Kosmos-Verlag, Stuttgart 2014. 160 Seiten mit zahlreichen Farbfotos und Farbgrafiken. ISBN: 978-3-440-13083-4 Gebunden € 24,99 den. Eine solch umfassende und doch kompakte Darstellung findet man ansonsten kaum in der einschlägigen Literatur – allein dieser Teil würde schon den Kauf des Buchs rechtfertigen! Aber auch die beobachterische und interpretative Seite kommt nicht zu kurz, denn in Kapitel 8 spannt das Autorenteam quasi rezeptartig, und ausgehend von den Grundlagen der Radioastronomie, den Bogen von den mittels Teleskop gemessenen Größen zum eigentlichen Ziel der Beobachtungen: quantitative Aussagen zum Beispiel über die Häufigkeiten bestimmter Moleküle in den jeweiligen Objekten. Auf zum Kometen 67P! I m Franckh-Kosmos-Verlag Stuttgart erschien Anfang 2014 und damit zeitlich passend zur laufenden ESA-Mission Ro- Die sprachliche Darstellung bleibt dabei setta das Buch »Raumsonde Rosetta – Die immer präzise und korrekt, ohne dabei abenteuerliche Reise zum unbekannten Einbußen an Verständlichkeit in Kauf zu Kometen«. Die beiden Autoren Diedrich nehmen. Möhlmann und Stephan Ulamec sind als Selbstverständlich kann auf 174 Seiten Wissenschaftler beziehungsweise Projekt- ein so komplexes Thema wie die astrono- leiter für den Lander Philae aktiv an der mische Beobachtung von Moleküllinien Rosetta-Mission der ESA beteiligt. Sie be- keinesfalls abschließend behandelt wer- richten somit aus erster Hand über diese den, was aber auch nicht Ziel des Buchs ist. europäische Raumsonde, die zum ersten Vielmehr bieten die Autoren konsequent Mal eine Landung auf einem Kometenkern am Ende jedes Kapitels eine Auswahl von wagen wird. weiterführender Literatur an. Das Buch spannt den Bogen von den Als Fazit ist zu ziehen, dass das vorlie- Anfängen der Kometenforschung über gende Werk natürlich eine sehr spezifische eine allgemeine Beschreibung der Schweif­ Zielgruppe hat. Für den Amateurastro- sterne aus heutiger Sicht bis hin zu den nomen oder interessierten Laien ist das bisherigen und aktuellen Raumsonden Buch zwar sicherlich auch mit Gewinn zur Kometenforschung. Die Rosetta-Mis- lesbar. Jedoch muss hier die Fokussierung sion wird dabei mit mehr als 50 der rund auf Beobachtungsmöglichkeiten und -Da- 160 Seiten entsprechend gewürdigt. Natür- ten bedacht werden, denn das sind Frage- lich beschreiben die Autoren neben dem stellungen mit denen üblicherweise eher Mutterschiff Rosetta detailliert auch die Fachwissenschaftler konfrontiert werden, Landeeinheit Philae, an deren Entwicklung wenn sie sich neu in ein Gebiet einarbeiten Deutschland einen großen Anteil hatte. möchten (oder müssen). In diesem Fall ist Diesen langen Bogen zu spannen ist kein das Buch quasi ein »must have« und erhält leichtes Unterfangen, da man einerseits eine absolute Empfehlung. eine Gesamtübersicht über die Kometenforschung und andererseits eine aktuelle DOMINIK ELSÄSSER ist Astrophysiker an der Vorstellung der Mission geben möchte. Universität Würzburg, wo er unter anderem Da es schon zahlreiche Bücher über Kome- die kosmische Strahlung in Galaxienhaufen ten gibt, so auch von Diedrich Möhlmann erforscht. selbst, ließe sich argumentieren, dass die- www.sterne-und-weltraum.de AstroViews 10: Entfernungsbestimmungen im All – Der lange Weg zu den Galaxien Es war ein langer Weg von der Entfernungsbestimmung der nächsten Sterne bis zum Nachweis, dass unsere Galaxie nur eine unter vielen ist. Doch wie können wir Entfernungen bis hin zu Milliarden von Lichtjahren eigentlich messen? AstroViews 9: Jahresvorschau 2014 Planeten, Kometen, Polarlichter: Astronom Klaus Jäger präsentiert eine Vorschau auf interessante astronomische Ereignisse im Jahr 2014. AstroViews 8: Gaia und die Vermessung der Galaxis Am 19. Dezember 2013 startete das AstrometrieObservatorium Gaia. Es wird die Vermessung der Sterne unseres Milchstraßensystems revolutionieren und den Astronomen ermöglichen, die Dynamik und Struktur unserer Galaxis umfassend zu erforschen. Mehr Videos finden2014 Sie unter: August 97 sterne-und-weltraum.de/videos ser Teil doch entbehrlich wäre. Aber dann rung unseres Erbguts anhand der DNS zur wäre aus dem Rest nur ein schma­ler Band Quantenphysik und der Frage, was eigent- geworden, was der Bedeutung der Mis­ lich ein Vakuum ist und ob ein perfektes sion meiner Meinung nach nicht gerecht Vakuum überhaupt möglich ist. Diese Fra- geworden wäre. Ich finde, man hat hier ei- ge verneint der Autor mit Verweisen auf nen guten Kompromiss gefunden und das die heisenbergsche Unschärferelation und Buch ist von der thematischen Aufteilung den Casimireffekt, anhand dessen sich die her gut gelungen. Existenz spontan erzeugter virtueller Teil- Auch hinsichtlich der Zielgruppe des Bu- chen nachweisen lässt. ches wagten die Autoren einen Spagat – es Bevor der Leser großartig eine Möglich- sollen sowohl astronomisch Interessierte keit hätte, all diese Erkenntnisse zu ver- ohne allzu großes Vorwissen angesprochen dauen, geht es im dritten Teil des Buchs werden als auch erfahrene Hobbyastro- direkt hinein in die unendlichen Weiten nomen. Als Anfänger kann man vielleicht durch so viele Informationen und Fachbegriffe etwas gebremst werden. Leider wurde auf ein Glossar verzichtet, was sicherlich von Vorteil gewesen wäre. Ein fortgeschrittener Leser kann die schon bekannten Kapitel überspringen und sich gleich dem Werner Kinnebrock: Mikro und Makro – Von Galaxien und Atomen – Eine physikalische Reise Verlag C. H. Beck, München 2014. 144 Seiten mit 20 Abbildungen und 4 Tabellen. ISBN 978-3-406-66028-3 Gebunden € 12,95 des Kosmos. Auf acht Seiten wird das Universum von seinen Anfängen bis zur Gegenwart abgehandelt. Dabei werden auch die Dunkle Materie, die Dunkle Energie und die Existenz von möglichen Multiversen kurz besprochen. Man merkt es vielleicht schon: Diese Wesentlichen nähern. Der eine oder an- Bandbreite an Themen in 142 kleinforma- dere Experte wird vielleicht einige wenige tigen Seiten abzuhandeln, ist ein sport- Ungenauigkeiten bemerken, die aber den Gesamteindruck nicht trüben. Insgesamt wurde die verbindende Klammer gut angebracht, so dass alle Leser von diesem Buch licher Ansatz. Darin offenbart sich das Physik im Schnelldurchlauf E Hauptproblem des Titels. Kinnebrock gibt sich alle Mühe, dem Leser die Sachverhalte ine physikalische Reise verspricht der präzise und trotzdem verständlich darzu- Untertitel des Buchs. Würde es sich da- legen. Leider verwendet er dazu (Die Kar- bei um eine Reise handeln, so wäre sie ein riere als Mathematikprofessor lässt grü- lesbare Schreibstil und die vielen De- einwöchiger Rundreisemarathon durch ßen?) meist Zahlen, um andere Zahlen zu tailinformationen. Sie bieten auch alten alle Hauptstädte Europas: fünf Minuten erklären, was schnell ermüdend wird. astro­nomischen Hasen Neues und ver- Foto- und Toilettenpause am Brandenbur- deutlichen immer wieder die Komplexität ger Tor, zehn Minuten für den Eiffelturm. profitieren dürften. Positiv erfreut haben mich der gut Ein Beispiel: Er verkleinert das All erst einmal im Maßstab von 1 : 1 Milliarde einer solchen Mission. Auch hat man kurz Der Autor Werner Kinnebrock ist pen- (»Dabei schrumpft die Erde auf einen vor der Drucklegung noch aktuelle Fotos sionierter Professor für Mathematik. Er Durchmesser von 1,2 Zentimetern.«) und einbinden können, so beispielsweise Auf- handelt in »Mikro und Makro« im Schnell- anschließend diese verkleinerte Version nahmen aus dem Kontrollraum nach dem Erwachen von Rosetta aus ihrem Winter- Das Buch geht eher auf Themen mit »Wow-Effekt« ein. schlaf im Januar 2014. Eine interessante Timeline zu Philae durchlauf diejenigen Gebiete der Physik noch einmal im Maßstab von 1 : 1 Mil­ von der ersten Inbetriebnahme 2004 bis ab, welche die Fantasie und das Interesse lion: »Unsere Milchstraße füllt nunmehr zum Beginn des Winterschlafs 2010 ist der Öffentlichkeit am meisten anregen: einen Raum aus, der in etwa einem Raum auch vorhanden – eine Weiterführung der Die Welt des Allerkleinsten, mit der sich entspricht, wenn man über der Fläche Planungen als Timeline bis zum Missions- die Teilchenphysik auseinandersetzt, und Deutschlands eine Höhe von 20 bis 50 Ki- ende wäre bestimmt noch eine Aufwer- die Welt des Allergrößten, derer sich die As­ lometer abträgt.« Mit Verlaub, aber: Häh? tung gewesen. trophysik und die Kosmologie annehmen. Abgesehen von diesen Zahlenspielerei- Insgesamt liegt hier ein schönes, infor- Der erste Teil des Buchs beschreibt en bleibt der Titel aber so oberflächlich, matives und gut verständliches Sachbuch dabei die »Vermessung der Welt«, in der dass sich für den Leser kaum ein Mehrwert vor, das ich weiterempfehlen kann. Ich hof- Kinnebrock die mathematischen Grundla- gegenüber der Lektüre der entsprechenden fe auf einen großen Erfolg von Rosetta und gen für die folgenden Sachverhalte legt. Er Wikipedia-Artikel ergibt. Absoluten Laien wünsche mir als Fortsetzung einen zwei- geht dabei aber auch eher auf Themen mit kann man das Buch trotzdem vorsichtig als ten Band mit vielen Bildern und Berichten »Wow-Effekt« ein, die den Leser faszinie- allerersten Überblick empfehlen. Anderer- über die neuen Erkenntnisse dieser einma- ren könnten als auf jene, die zum weiteren seits gibt es gerade zur Teilchenphysik und ligen Kometenmission! Verständnis absolut nötig wären. Beispiel zur Kosmologie eine vielfältige Auswahl an sind hier die verschiedenen Arten der Un- Büchern, die ihr Geld mehr wert sind. CHRISTIAN GRITZNER ist Raumfahrtinge- endlichkeit oder die doch sehr hübschen nieur und arbeitet in Bonn bei einer großen Visualisierungen der fraktalen Geometrie FRANZISKA KONITZER studierte Physik und deutschen Forschungseinrichtung. Er promo- und der Mandelbrot-Menge. Astrophysik an der University of York in Groß- vierte 1996 an der TU Berlin über das Thema der Abwehr von erdnahen Objekten. 98 August 2014 Anschließend taucht Kinnebrock in die Mikrowelt ein: von Molekülen zur Kodie- britannien. Derzeit ist sie in München als freie Journalistin tätig. STERNE UND WELTRAUM