Entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems In Europa und Nordamerika ist die Multiple Sklerose (MS) die häufigste autoimmun-entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems des jungen Erwachsenenalters. Die ersten Symptome treten meist bei jungen Menschen zwischen dem 15. und 40. Lebensjahr auf, häufig bleiben diese aber unentdeckt. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Schätzungen ergeben für Österreich etwa 9.000 Erkrankte. Die Diagnose Multiple Sklerose (MS) bedeutet für die Betroffenen meist einen schweren Schicksalsschlag. Der Verlauf von MS ist sehr unterschiedlich und kann im Einzelfall nicht vorhergesagt werden. Die Prognose ist für die meisten Erkrankten viel günstiger als allgemein angenommen wird. Während MS bei wenigen schon früh zu einer bleibenden Behinderung führt, verläuft die Erkrankung bei den meisten Betroffenen in Schüben und führt erst nach einer unterschiedlich langen Zeit zu einer zunehmenden Behinderung. In sehr seltenen Fällen verläuft die Erkrankung zeitlebens „gutartig“, das heißt mit wenigen Schüben und nur sehr geringer Behinderung. Diagnose Zur Diagnosestellung werden neben der neurologischen Untersuchung weitere Methoden herangezogen: so die Untersuchung des Hirnwassers (Liquors), die Ableitung von Hirnpotenzialen auf einen Reiz sowie die Kernspintomographie (MRT). Eine Heilung der Erkrankung ist der- zeit noch nicht möglich. Allerdings kann der Krankheitsverlauf durch die Gabe entzündungshemmender Medikamente bzw. von Präparaten, welche auf die Immunabwehr wirken, günstig beeinflusst werden. Durch die Fortschritte der letzten zehn Jahre hat sich die Prognose für MS-Patienten deutlich verbessert. Langzeittherapie Durch eine Langzeittherapie kann das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamt und die Intensität der Krankheitsschübe vermindert werden. Wichtig sind auch eine Behandlung der Symptome und die Einbindung der medikamentösen MS-Therapie in ein ganzheitliches Konzept, um dem Betroffenen eine möglichst hohe Lebensqualität zu sichern. Definition Bei der Multiplen Sklerose werden durch Entzündungen in Gehirn und Rückenmark die Oligodendrozyten und Markscheiden zerstört. Abwehrzellen, die sonst fremde Erreger oder Substanzen angreifen, schädigen dann körpereigenes Gewebe. Deshalb zählt man die Multiple Sklerose zu den Autoimmunkrankheiten (auto = selbst). Im frühen Stadium der Erkrankung sind die Markscheiden zunächst an bestimmten Stellen entzündet. Unter Umständen können sich diese Entzündungsherde zurückbilden. Meist jedoch zerfallen die Markscheiden an den betroffenen Arealen und werden durch Narbengewebe ersetzt. Eine krankhafte Verhärtung des Gewebes setzt ein, die sogenannte „Sklerosierung“. Die einzelnen Herde, auch Plaques genannt, sind in unterschiedlicher Größe willkürlich über das zentrale Nervensystem verteilt. Besonders häufig finden sie sich an den Sehnerven, im Hirnstamm, im Kleinhirn und an den Hintersträngen des Rückenmarks. An den beschädigten Arealen der Markscheiden ist die Weiterleitung der Erregung gestört. Auch die Nervenfasern selbst werden mehr oder weniger stark geschädigt. Die elektrischen Impulse können zwischen den verschiedenen Nervenund Körperzellen (zB Muskelzellen) nicht mehr ungehindert weitergeleitet werden. Störungen der Körperbewegungen (Motorik) und Körperempfindungen (Sensorik), sowie verschiedene andere Symptome können die Folge sein. Autoimmunprozesse Die Multiple Sklerose gehört zur Gruppe der Autoimmunerkrankungen. Das Immunsystem des Körpers, das sonst fremde Erreger bzw. Substanzen angreift, wird bei MS-Patienten gegen körpereigenes Nervengewebe aktiv. Warum bestimmte Abwehrzellen (TZellen) aktiviert werden, welche die Blut-Hirn-Schranke überwinden, ins Hirngewebe eindringen und dort Entzündungen hervorrufen, kann bisher nur vermutet werden. Wahrscheinlich ist, dass in der Kindheit Infektionen mit Erregern stattfanden, deren Strukturen teilweise identisch sind mit körpereigenen Strukturen. Der Körper produziert daraufhin Antikörper, die auch gegen die eigenen Zellen gerichtet sind. Verbleiben diese autoaggressiven Antikörper nach der Infektion im Blut, entwickeln sich chronische Erkrankungen, die in der Regel in Schüben verlaufen und verschiedene Organe und Gewebe betreffen können. Beispiele sind neben der Multiplen Sklerose der Systemische Lupus erythematodes oder die Rheumatoide Arthritis. Genetische Ursachen Familienuntersuchungen ergaben, dass für enge Verwandte eines MSPatienten das Risiko, ebenfalls daran zu erkranken, 10- bis 30-mal höher ist als in der übrigen Bevölkerung. Einige Völker erkranken auffallend seltener an Multipler Sklerose als andere. Erbliche Faktoren scheinen also die Entstehung von MS mit zu beeinflussen. Dennoch ist MS keine Erbkrankheit im klassischen Sinn, da auch Umweltfaktoren eine wichtige Rolle bei der Entstehung spielen. Infektionen Eine Theorie lautet, dass ausgeheilte Infektionen mit bestimmten Erregern, deren Oberfläche Ähnlichkeiten mit Markscheiden der Nervenfasern aufweisen, zu der immer wieder aufflammenden Entzündung im zentralen Nervensystem führt. Derzeit werden Herpes-Viren, vor allem EpsteinBarr-Viren, sowie Chlamydien als mögliche Ursache diskutiert. Risikofaktoren Das Risiko für einen akuten Krankheitsschub steigt bei allen seelischen wie körperlichen Belastungen, bei denen das Immunsystem aktiv wird. Zu möglichen Risikofaktoren zählen: Stresssituationen, zB Operationen und größere Verletzungen - Schwankungen im Hormonhaushalt wie Pubertät oder Wechseljahre - Infektionen, besonders Virus-Infektionen wie zB Grippe bestimmte aktive Impfungen sowie Desensibilisierungsbehandlungen bei Allergien - das Immunsystem fördernde Medikamente, wie zB. Sonnenhutpräparate (Echinacea). Symptome Die Beschwerden bei einer Multiplen Sklerose sind äußerst vielgestaltig. „Das“ typische Symptom gibt es so wenig wie „den“ typischen Verlauf. Unter den Frühsymptomen sind am häufigsten die Empfindungsstörungen, am zweithäufigsten die Sehstörungen, dann die Muskellähmungen. Vor allem bei Muskelschwäche, Hitze, Fieber oder Anstrengung verschlimmern sich charakteristischerweise die Symptome. Häufigste Beschwerden Über Sehstörungen klagen etwa drei Viertel aller MS-Betroffenen. Meist geht die Sehstörung auf eine Entzündung des Sehnerven zurück. Sie beginnt häufig mit Augenschmerzen, die sich bei Bewegungen der Augäpfel verstärken. Der MS-Patient sieht sein Umfeld auf einem Auge plötzlich wie durch einen Schleier oder Nebel. Je nach Ausmaß der Entzündung kann auch das Farbensehen beeinträchtigt sein, es kann zu „Lichtblitz“-Erscheinungen oder zu Ausfällen des Gesichtsfeldes kommen. In manchen Fällen leidet das sogenannte zentrale Sehen, so dass die Patienten plötzlich Schwierigkeiten haben, eine kleine Druckschrift zu lesen. Meist bilden sich die Symptome in bis sechs Monaten nach Abklingen der Entzündung wieder zurück. Eine andere Sehstörung betrifft das Sehen von Doppelbildern, das durch eine Lähmung der Augenmuskulatur hervorgerufen wird. Ebenfalls sehr häufig sind Lähmungen der Muskulatur. Kraftlosigkeit, schnelle Ermüdung, angespannte und „steife“ Muskeln sowie Lähmungserscheinungen in den Armen und Beinen kommen vor. Die Lähmung beginnt oft nur in einem Bein. Die Muskulatur kann stark angespannt („spastisch“) und zusätzlich geschwächt sein, Arme und Beine wie auch eine Körperseite können betroffen sein. Empfindungsstörungen sind fast immer anzutreffen: ein Taubheitsgefühl oder ein Kribbeln („Ameisenlaufen“) an Armen und Beinen, Spannungsgefühle um die Gelenk- und Hüftregion (wie ein „eiserner Handschuh“ oder „Gürtel“), Schmerzen, auch eine verminderte Empfindlichkeit (zB bei der Temperaturwahrnehmung). Oft beginnen die Missempfindungen in den Fingerspitzen oder in den Füßen und breiten sich dann auf Arme bzw. Beine aus. Typisch ist das sogenannte Nackenbeugezeichen: Beugt die bzw. der MSBetroffene den Kopf nach vorne, wird häufig ein blitzartiger Schlag entlang der Wirbelsäule, manchmal bis in die Hände und Füße verspürt. Weitere Symptome Bei einer Beteiligung verschiedener Hirnnerven kommt es im Gesicht zu Lähmungen oder Schmerzen. Auch Geschmacks- und Gleichgewichtsstörungen sind möglich. Belastend sind für den Patienten vor allem Sprachstörungen. Sie treten neben Unsicherheiten beim Gehen und zitternden Händen auf, wenn das Kleinhirn geschädigt ist. Eine für die Multiple Sklerose typische Sprachstörung ist die langsame, schleppende Sprache, bei der die einzelnen Silben abgehackt und explosiv ausgestoßen werden. Etwa zwei Drittel aller MS-Patienten leiden unter Blasenfunktionsstörungen. Dadurch werden Alltagsleben und Wohlbefinden zum Teil schwer eingeschränkt. In frühen Stadien dominiert ein heftiger und kaum zu kontrollierender Harndrang mit unwillkürlichem Harnverlust. Später kommt es meist zu ungewolltem Harnverhalt. Auch Störungen der Stuhlentleerung (meist Verstopfung), der Sexualfunktionen und der Schweißabsonderung können auftreten. Psychische Erkrankungen: MS-Patienten neigen zu Stimmungsschwankungen und depressiven Symptomen wie Traurigkeit, Schlaf- und Antriebslosigkeit. Mitunter zeigen sie auch ein sehr euphorisches Verhalten, das mit dem eigentlichen Krankheitszustand nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Grundsätzlich können alle genannten Beschwerden einzeln oder in Kombinationen auftreten.