Verbraucherschutz und Werbung Prof. Dr. Edda Müller

Werbung
Verbraucherschutz und Werbung
Prof. Dr. Edda Müller, Vorstand Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.
anlässlich der Verbraucherschutz- Konferenz der Ministerin für Soziales, Gesundheit
und Verbraucherschutz des Landes Schleswig-Holstein
am 3. 11. 2004 in Kiel
Anrede,
ich möchte mich für die Einladung zu Ihrer Verbraucherschutz-Konferenz sehr herzlich
bedanken: Erstens, weil ich immer gern nach Schleswig-Holstein komme und zweitens, weil
das mir gestellte Thema: Verbraucherschutz und Werbung Gelegenheit bietet, zwei
zentrale Botschaften zu vermitteln, die in der verbraucherpolitischen Debatte immer noch zu
wenig reflektiert werden. Die Botschaften lauten: Erstens: Aktiver Verbraucherschutz ist
gut für die Volkswirtschaft und für leistungsbereite, seriöse Unternehmen. Zweitens:
Die Verbraucherverbände und Verbraucherzentralen haben wichtige
ordnungspolitische Funktionen. Sie wachen über den fairen Wettbewerb und sorgen
angesichts des weitgehend zivilrechtlich organisierten Wirtschafts- und
Verbraucherrechts für die Rechtsdurchsetzung.
Ich werde darüber sprechen, welche Rolle und Bedeutung die Werbung in unserer
Marktwirtschaft hat. Ich werde über die Funktion der Werbung als Informationsquelle
für die Verbraucher sprechen und den schmalen Grat beschreiben, auf dem sich Werbung
bewegt. Sie kann in Werbeformen abrutschen, die zu einer Irreführung und Belästigung
der Verbraucher und zur Verfälschung des Qualitätswettbewerbs zwischen Unternehmen
führen. Sie kann schließlich durch ihre Finanzierungskraft zu Abhängigkeiten und zu einer
Gefahr für die Meinungsfreiheit werden. Die deutsche Rechtsordnung hat den
Verbraucherverbänden durch die Übertragung von Klagerechten die Aufgabe zugewiesen,
über die Lauterkeit der Werbung zu wachen und bei Verstößen für Abhilfe zu sorgen. Ich
werde deshalb auch darüber sprechen, was wir tun, um für die Lauterkeit in der Werbung zu
sorgen.
Zur Rolle der Werbung in der Marktwirtschaft
Ich weiß nicht, ob die Wissenschaft bereits abschließend die Henne- und Ei-Frage geklärt
hat, ob nämlich die Werbung das Konsumverhalten prägt oder ob sich vielmehr die Werbung
mit ihren Slogans und Marketingstrategien auf den jeweiligen – von mannigfachen Faktoren
beeinflussten - „Zeitgeist“ einstellt, um die Verbraucher zu erreichen.
Interessant ist hierfür ein Rückblick auf die Entwicklung unserer Konsumgesellschaft nach
dem 2. Weltkrieg. Die 50er Jahre waren die Zeit des Nachholkonsums und ab 1953/54 des
Wirtschaftswunders und der hektischen Betriebsamkeit in der Arbeitswelt. Die politische
Botschaft dieser Jahre war: Alle sollen besser leben. Die Werbeslogans trafen den Zeitgeist.
Coca Cola kreierte 1954 den Slogan Mach mal Pause. Bosch brachte 1958 einen
Kühlschrank mit dem Namen Leberecht auf den Markt.
Schon in den 60er Jahren wurde der Zeitgeist konsumkritischer. Während einerseits die
Werbung auf das Bedürfnis der Deutschen „sich mal was zu gönnen“ mit Sprüchen wie Erst
mal entspannen, erst mal Picon oder die Stuyvesant Zigarettenwerbung Der Duft der
großen weiten Welt reagierte, revoltierte die 68-Generation gegen den „Konsumterror“.
In den 70er Jahren war zunächst allerorten eine Systemveränderung angesagt. 1973
kauften deutsche Frauen erstmals mehr Hosen als Röcke. Die Haare der Männer wurden
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länger. Die Konsumwelt wurde quietschbunt. Wohnlandschaften zogen in die Wohnzimmer
ein. Die Kacheln in den Küchen wurden mit den Popblumen des Spülmittels Pril dekoriert.
Dann wurde es alternativ. Die Zeit des Gesinnungskonsums begann.1975 eröffnete IKEA
sein erstes Möbelhaus in Deutschland. Natürlichkeit war in und die Flohmärkte kamen
wieder in Mode. Außerdem entstand mit den Kinderprodukten eine neues Marktsegment.
Das Überraschungsei kam in den Handel und Ferrero warb für Kinderschokolade mit dem
Spruch „Mit der Extra Portion Milch.
In den 80er Jahren erlebten wir einen Boom der postmodernen Luxusgüter. Prototypisch
hierfür war die Swatcharmbanduhr, die 1983 auf den Markt gebracht wurde. Ladenstädte
und Shopping Malls für den Erlebniskonsum sprossen aus dem Boden. Die Brille wurde von
der Sehhilfe zum Designerobjekt. Skandale wie der Glykolwein und Tschernobyl sorgten für
eine Aktivierung des Gesundheitsbewusstseins. Zugleich bewegte sich die Arbeitslosigkeit
auf die 9 Prozentrate zu. Der Siegeszug der Discounter setzte ein.
In den 90er Jahren hielt das totale Medienzeitalter Einzug in die Wohnzimmer. Die
Prominentenwerbung –human brands – kam auf und eine zunehmende Vermischung von
Programm und Werbung setzte ein. Verkaufsstätten wurden noch mehr zu Erlebniswelten.
Als Gegenreaktion pflegten die Verbraucher ihre Individualität. Man pflegte den Körper –
Wellness -, staffierte ihn aus - Piercing und Tattoo Studios – und man kaufte bequem –
Tiefkühlpizzas, take-away Backshops. Im Schnittpunkt zwischen Globalisierung und
Individualität bewegte sich die Generation Golf. Sie ist nüchtern und urban und kauft
selbstbewusst sowohl bei Aldi als auch im exquisiten Fachhandel. Dieser Trend scheint sich
auch im 1. Jahrzehnt des 21. Jahrhundert fortzusetzen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts
hat die Werbung eine neue Dimension erreicht. Mit dem Siegeszug der elektronischen
Medien greift die Werbung immer mehr auch in die Privatsphäre der Verbraucher ein.
Werbung ist untrennbar mit unserem System der Marktwirtschaft verbunden. Mit der
Werbeindustrie lebt ein ganzer Wirtschaftszweig davon und gibt seinen Beschäftigten Lohn
und Brot und die Medienlandschaft wäre sicher ohne die Werbeeinnahmen farbloser. 28,9
Milliarden Euro haben deutsche Unternehmen im Jahr 2003 für Werbung ausgegeben.
Sinkende Werbeausgaben führen nicht nur zu Krisen in der Werbewirtschaft selbst, sie
gefährden auch Zeitungsverlage und andere Wirtschaftsbereiche, die für ihre Arbeit
zunehmend auf Werbeeinnahmen angewiesen sind.
Werbung zwischen Information und Manipulation
Werbung erfüllt eine wichtige Informationsfunktion in der Marktwirtschaft.
Ohne Werbung haben neue Produkte kaum eine Chance, sich am Markt durchzusetzen.
Werbung leistet auch einen wichtigen Beitrag für den Aufbau von Marken und
Qualitätserzeugnissen. Geworben wird z.B. für Markenprodukte und für
Herkunftsbezeichnungen. Diese vermitteln auch kulturelle Kontinuität, Orientierung und
Sicherheit.
Für viele Verbraucher ist Werbung die erste und leicht verfügbare Informationsquelle,
um sich angesichts eines vielfältigen und immer wieder neuen Angebots überhaupt auf dem
Markt orientieren zu können. Dies gilt nicht nur für das klassische Warenangebot, sondern
immer mehr auch für Dienstleistungen. Es sind z.B. Dienstleistungen rund um das Thema
Geldanlage, Versicherungen, Telekommunikation oder auch die Versorgung mit Strom und
Gas, Post- und Verkehrsleistungen.
Werbung kann jedoch immer auch einen manipulativen Charakter annehmen. Ich will drei
Formen solcher unerwünschter Werbung im folgenden etwas näher beschreiben:
1. Werbung als Belästigung: Viele Formen von Werbung gehen Verbrauchern
zunehmend auf die Nerven und verursachen Kosten.
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2. Werbung als Täuschungsmanöver: Werbebotschaften sind häufig schlichtweg
falsch.
3. Der Finanzierungsfaktor: Werbung bedeutet Finanzierung und damit Einfluss –
auch auf öffentliche Einrichtungen.
Zu 1. Werbung als Belästigung
Viele Verbraucher reagieren auf Werbung zunehmend mit Ablehnung. Mehr als 90 %
der Zuschauer schalten um oder verlassen den Raum, wenn im Fernsehen ein Werbeblock
beginnt. Fast jeder fünfte Bundesbürger würde Werbung am liebsten völlig verbieten lassen
(GFK-Studie von 1997). Ein Grund für die Abwendung vieler Verbraucher von
Werbebotschaften mag in der Allgegenwärtigkeit der Werbung zu suchen sein. Radio- und
Fernsehwerbung begleitet uns vom Frühstückstisch bis zum Schlafengehen. Aus der
Morgenzeitung fallen die Werbebeilagen gleich zahlreich heraus und auf dem Weg zur Arbeit
- in Bus und Bahn - drängen sich Anzeigen ins Blickfeld der Verbraucher. Werbebotschaften
prägen zunehmend das Stadtbild unserer Innenstädte. Auch Kultur- und Sportereignisse sind
ohne Sponsor nicht mehr vorstellbar. Es geht längst nicht mehr nur um lila Kühe und
kraftprotzende Fruchtzwerge; Werbung erscheint vielmehr so allgegenwärtig wie die Luft
zum Atmen – gerade so wie uns der Name eines großen Mobilfunkanbieters suggerieren will
(die Rede ist von „O2“).
Als besonders ärgerlich und belästigend wird der Einzug von Werbung in die Privatsphäre
der Verbraucher empfunden. Die Rede ist von elektronischer Werbung in Form von Fax und
e-mails (spam) und von Telefonwerbung.
Werbefax und E-mail (Spam) / E-Commerce
Die meisten von Ihnen werden bereits Erfahrung mit unerwünschten Werbefaxen gesammelt
haben. Ein noch größeres Problem ist der elektronische Werbemüll, das sogenannte
Spamming. Weil die Versendung von E-mails bekanntlich nichts kostet, steigt die Anzahl der
Adressaten und damit auch die Anzahl von E-mails pro Empfänger.
Der TACD (Trans Atlantic Consumer Dialog) hat im Herbst letzten Jahres in den U.S.A. und
in Europa eine Umfrage zu Spam durchgeführt. Es haben sich über 21.000 Verbraucher
beteiligt, so dass man das Ergebnis als repräsentativ bezeichnen kann.
Als Ausschnitt aus dem Ergebnis möchte ich Ihnen nur drei Zahlen mitteilen:
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96 % der Verbraucher bekommen täglich Spams,
95 % fühlen sich durch Spam belästigt oder sind sogar sehr verärgert darüber,
52 % kaufen deshalb deutlich weniger im Internet ein, fast die Hälfte hiervon nutzt
das Internet wegen der Spam-Gefahr gar nicht als Einkaufsplattform.
Vor allem der letzte Punkt, nämlich der direkte Kausalzusammenhang zwischen
unerwünschter Werbung und Konsumzurückhaltung, sollte alle Werbetreibenden ebenso wie
den Handel und die anbietende Wirtschaft alarmieren. Werbung bewirkt hier offenbar das
Gegenteil dessen, was beabsichtigt ist.
Natürlich sind es wieder nur ein paar schwarze Schafe, die mit ihrem Werbemüll Millionen
von Verbrauchern die Zeit stehlen. Ich möchte aber deutlich machen, dass ein effektives
Vorgehen gegen diese Art der Werbung gerade im Interesse der überwiegenden Mehrheit
aller Akteure im Markt ist.
Abhilfe ist nur möglich, wenn wir das Prinzip des „Opt-in“, also die vorherige Einwilligung des
Verbrauchers, konsequent umsetzen. Jede Form der individualisierten Werbung darf nur
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nach ausdrücklichem vorherigen Einverständnis der Adressaten verschickt werden.
Andernfalls müssen wir damit rechnen, dass das gewollte oder auch ungewollte Lostreten
von Werbelawinen nicht nur zu einer Abstumpfung des Verbrauchers gegenüber Werbung
beiträgt, sondern zu einem Rückzug der Verbraucher aus dem e-commerce führt.
Telefonmarketing
Aber auch unerwünschte Werbeanrufe bei privaten Telefonanschlüssen zählen zu den
besonders aggressiven Marketingmethoden. Obwohl unerbetenes Telefonmarketing in
Deutschland wie auch in Österreich verboten ist, halten sich viele Firmen nicht an dieses
Verbot.
Die Annahme, dass die Verbraucher Telefonanrufe abwehren und ihren entgegenstehenden
Willen entschieden zum Ausdruck bringen könnten, widerspricht unseren Erfahrungen mit
Beschwerden zur Telefonwerbung. In vielen Fällen führen telefonische Erstkontakte zu
nachteiligen Vertragsabschlüssen, vor allem im Bereich des „Grauen Kapitalmarktes“ .Der
Vertrieb von Zeitschriftenabonnementverträgen zählt zum Beispiel zu den traditionellen
Reklamationsthemen, die an die Verbraucherverbände herangetragen werden. Ursprünglich
betrafen die Verbraucherbeschwerden in erheblicher Zahl unlautere Vertreterwerbung
(Drückerkolonnen). Inzwischen konzentriert sich die Branche offensichtlich immer mehr auf
das Direktmarketing über das Telefon.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass im neuen UWG zur Verhinderung von belästigender
Telefonwerbung ein Sondertatbestand (§ 7 UWG) mit ausdrücklicher „opt-in“-Regelung
vorgesehen ist. Damit wird das mit guten Gründen von der Rechtsprechung entwickelte
strenge Schutzniveau gesetzlich verankert und den Erfahrungen der Verbraucherverbände
Rechnung getragen, dass Verbraucher unter anderem durch Telefonwerbung erheblich
belästigt werden.
Probleme bei der Rechtsdurchsetzung
In der Praxis haben wir allerdings noch erhebliche Probleme bei der Rechtsdurchsetzung.
Zumeist wird der Absender einer Werbung verschleiert, indem z.B. unerwünschte Fax-,
Email- oder SMS-Sendungen den Absender nicht erkennen lassen. Die Ermittlung des
Absenders ist dann nur über den Umweg der in solchen Sendungen häufig angegebenen
Mehrwertdienste-Rufnummern möglich.
Doch auch dieser Weg bleibt häufig erfolglos, da das dem Netzbetreiber genannte
Unternehmen häufig nicht registriert oder am gemeldeten Ort nicht mehr ansässig ist oder
der Anschlussinhaber sich weigert, nähere Angaben über seinen Auftraggeber zu machen.
Über ein Jahr Recherche war z.B. in einem Fall erforderlich, um eine Firma im Fürstentum
Liechtenstein als Inhaberin eines Fax-Anschlusses ausfindig zu machen.
Zu 2. Täuschung durch Werbung
Werbung kann aber auch direkt auf Täuschung und Irreführung der Verbraucher angelegt
sein. Es gibt Werbeaussagen, die offenkundig die reale Welt des beworbenen Produkts
hinter sich gelassen haben. Wir wissen alle, dass Kühe nicht lila sind und Mobilfunkanbieter
keinen Sauerstoff verkaufen. Das kreative Umdeuten der Realität kann amüsant sein und
braucht Verbraucher nicht zu stören. Es gibt aber Werbebotschaften, die darauf angelegt
sind, ernst genommen zu werden und trotzdem gelogen sind. Hier hört der Spaß auf. Ich
möchte drei Beispiele nennen: Lockvogelangebote, Werbung mit Testergebnissen und
irreführende Nährwertangaben bei Lebensmitteln.
Lockvogelangebote - Irreführung über die Verfügbarkeit von Waren und
Dienstleistungen
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Irreführende attraktive Lockvogelangebote, d.h. bereits kurzfristig nicht mehr vorrätige
Waren, sind ein Verbraucherärgernis erster Ordnung. Nahezu täglich erhalten wir
Verbraucherbeschwerden zur Einleitung wettbewerbsrechtlicher Schritte.
Wir gehen derzeit wegen unerlaubter Lockvogelwerbung gerichtlich gegen eine große
Discountkette (Plus) vor. Wegen mehrerer Verstöße gegen ein Urteil vom Oberlandesgericht
Düsseldorf vom 5. März 2002 haben wir jetzt ein "spürbares" Ordnungsgeld beantragt.
Aktueller Anlass sind Werbeaktionen des Discounters in diesem Sommer. So hatte dieser
mit Preissenkungen für über 1000 Artikel von bis zu 50 Prozent geworben. Als Kunden die
beworbenen Produkte erwerben wollten, waren diese zum Teil bereits am Vormittag des
ersten Geltungstages vergriffen. Auch der Versuch, die Produkte über die in der
Werbebroschüre angegebene Telefon-Hotline zu bestellen, schlug fehl.
Werbung mit Testergebnissen der Stiftung Warentest
Ein weiteres Ärgernis ist die unlautere Werbung mit Testergebnissen der Stiftung Warentest.
Im Wesentlichen geht es um folgende Verstöße :
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Es werden günstige Einzelbewertungen in der Werbung herausgestellt, zugleich
aber weniger günstige Einzelurteile verschwiegen.
Es fehlt die Angabe des Test-Veröffentlichungsdatums.
Die Produkte bzw. Leistungen werden fälschlich als die bestbewerteten (z.B.
Testsieger) herausgestellt.
Es wird mit einem nicht mehr verwertbaren Testergebnis geworben, da
inzwischen ein Wiederholungstest stattgefunden hat.
Es wird auf Produktverpackungen mit einem Testergebnis geworben, obwohl
dieses ein anderes Produkt des Anbieters betrifft.
Wir haben deshalb seit Ende letzten Jahres ca. 90 Abmahnungen versandt und diverse
Gerichtsverfahren eingeleitet. Zahlreiche Unterlassungserklärungen wurden abgegeben.
Unsere intensiven Bemühungen um die Lauterkeit der Werbung mit Testurteilen hat gute
Gründe. Es geht hier nicht nur um den guten Ruf unserer Schwesterorganisation, der
Stiftung Warentest. Der vergleichende Warentest ist wie kaum ein anderes Instrument der
Verbraucherinformation geeignet, den Leistungswettbewerb am Markt zu unterstützen und
der zunehmenden Intransparenz der Warenwelt entgegen zu wirken.
Health Claims
Im Zentrum der kontroversen öffentlichen Diskussion steht derzeit die geplante europäische
Verordnung für nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben auf Lebensmitteln, die
sogenannten „Health Claims“. Der vzbv hatte solche Werbeeinschränkungen bereits seit
Jahren gefordert und unterstützt den entsprechenden Verordnungsvorschlag aus Brüssel.
In den letzten Jahren mussten wir bei der Lebensmittelwerbung ein hohes Täuschungs- und
Irreführungspotential insbesondere bei Waren, deren Werbung sich an Kinder und alte
Menschen richtet, feststellen. Wir würden es deshalb begrüßen, wenn für Lebensmittel, die
ein unerwünschtes „Nährwertprofil“ aufweisen, nicht mehr mit nährwert- und
gesundheitsbezogenen Angaben geworben werden darf. Gesundheitsbezogene Angaben für
Lebensmittel, die viel Zucker, Fett oder Salz enthalten – beispielsweise Snacks,
Knabberartikel oder Getränke – sollten nicht mehr dazu genutzt werden können, diese
Produkte aufzuwerten, indem ihnen ein „gesundes“ Image verliehen wird.
Wie nutzen wir unsere Klagerechte?
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Neben den zahlreichen einzelfallbezogenen Abmahnungen und Unterlassungsklagen, die wir
und unsere Mitgliedsorganisationen – die Verbraucherzentralen – auf der Grundlage des
UWG einleiten, gehen wir gegen Verstöße gegen das Verbot der irreführenden Werbung
auch mit gezielten Kampagnen vor. Ich will hier zwei solcher Kampagnen kurz vorstellen:
Projekt VKI /vzbv: Gemeinsame Abmahnungen und Verbandsklagen
Gemeinsam mit dem österreichischen Verein für Konsumenteninformation haben wir 2001
bis 2003 das EU-Projekt „Abmahnungen und Verbandsklagen wegen irreführender
Werbung“ durchgeführt. Irreführende gesundheitsbezogene Werbung für Lebensmittel bzw.
Nahrungsergänzungsprodukte war auch hier ein zentraler Gegenstand der Verfahren.
In einer Vielzahl der im Berichtszeitraum eingeleiteten Unterlassungsverfahren ging es um
irreführende Schlankheitsmittelwerbung. Diese suggerierte den Verbrauchern häufig, sie
könnten mittels dieser Präparate ohne Umstellung ihrer Ernährungsgewohnheiten und ohne
sportliche Betätigung mit Sicherheit erheblich abnehmen.
In einem anderen Bereich ist der vzbv mehrfach gegen irreführende Werbung mit ländlicher
Idylle, u.a. auf Hühnereierverpackungen vorgegangen. Außerdem wurde die Unterlassung
verbotener krankheitsbezogener Werbeaussagen für Fleischprodukte gefordert.
Der vzbv hat bisher im Berichtszeitraum zu diesem Projekt fast 90 Unterlassungsverfahren
eingeleitet. Zahlreiche Vorgänge konnten durch Abgabe der geforderten
Unterlassungserklärungen abgeschlossen werden. In 15 Fällen wurden Klagen eingereicht.
Die gerichtlichen Verfahren wurden überwiegend erfolgreich beendet.
Kinderkampagne
Kinder und Jugendlichen sind eine besonders intensiv umworbene Zielgruppe der
Werbewirtschaft. Dies hat Gründe. Innerhalb der letzten zwei Jahre ist die Finanzkraft der 6bis 19-jährigen um 24 % gestiegen. Laut „Kids Verbraucher Analyse 2003“ verfügen die etwa
11 Millionen Mädchen und Jungen in Deutschland im Alter zwischen 6 und 19 Jahren jährlich
über mehr als 20 Milliarden Euro. Das sind im Schnitt pro Kind mehr als 1.800 € im Jahr.
Nie war die Kaufkraft der deutschen Kinder und Jugendlichen größer.
Dies ist auch der werbetreibenden Wirtschaft nicht entgangen. Kinder und Jugendliche sind
im täglichen Leben in immer stärkerem Maße aggressiver Werbung ausgesetzt. Beim Kauf
bestimmter Produkte werden ihnen attraktive Gewinne oder als Zugabe ein tolles Spielzeug
versprochen. Häufig geht es dabei um Produkte mit problematischen Folgen: Übergewicht
bei Süßigkeiten, Snacks und Soft Drinks, Gesundheitsschäden bei Alkohol und Zigaretten.
Im Umgang mit dem Handy eignen sich Kinder und Jugendliche häufig einen leichtfertigen
Umgang mit Geld an, der oft hohe Kosten und immer häufiger Schulden zur Folge hat. Dem
massiven Werbedruck der Werbewirtschaft stehen die Unerfahrenheit, Leichtgläubigkeit und
Neugier von Kindern und Jugendlichen gegenüber. Die Fähigkeit mit Werbung umzugehen
ist nicht angeboren, sondern muss erst erworben werden.
Mit dem vom Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
(BMVEL) geförderten und nunmehr abgeschlossenen Projekt “Kinderkampagne“ wollen
wir dazu beitragen, dass ältere Kinder und Jugendliche die Hintergründe und das
Funktionieren von Werbung besser verstehen. Kinder und Jugendliche sollen in die Lage
versetzt werden, der heutigen Werbeflut angemessen begegnen zu können. Sie sollen
problematische Werbebotschaften erkennen und ihr Konsumverhalten bewusst steuern
können. Zugleich hat das Projekt den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor
wettbewerbswidriger Werbung zum Ziel.
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Um Kinder und Jugendliche umfassender zu schützen, bedarf es einer verstärkten Kontrolle
der Inhalte und Erscheinungsformen der Werbung sowie einer umfassenden Aufklärung und
Information sowohl der Kinder und Jugendlichen als auch der Erzieher darüber, wie sie den
aggressiven Werbemethoden und Werbebotschaften adäquat begegnen können.
Der vzbv misst dem Thema Werbung und Kinder eine außerordentlich hohe Bedeutung zu.
Die Kinderkampagne stand deshalb auch im Mittelpunkt unserer Öffentlichkeitsarbeit. Wir
haben einen projektbezogenen Internetauftritt unter www.kinderkampagne.de erarbeitet und
veröffentlicht. Diese Website bietet vertiefende Informationen zum Thema
Kinder/Jugendliche und Werbung.
Im Oktober letzten Jahres (22.10.2003) fand unter Mitwirkung des Deutschen
Familienverbandes die Auftakt-Pressekonferenz des vzbv zur Kinderkampagne statt. Es
wurden dort u. a. das projektbezogene Faltblatt und die Website präsentiert. Das Faltblatt
erschien in einer Auflage von 600.000 Exemplaren und wurde bundesweit unterschiedlichen
Publikationen (z. B. dem „test“-Heft der STIFTUNG WARENTEST in der Novemberausgabe)
beigelegt.
Gegen wettbewerbswidrige Formen kinder- und jugendbezogener Werbung sind wir im
Wege von Abmahnungen und auch Unterlassungsklagen vorgegangen. 50 Verfahren
wurden eingeleitet, 16 Klagen erhoben.
Zu 3. Werbefinanzierung, öffentliche Einrichtungen, Schulen
Ich möchte nun noch einen letzten Punkt ansprechen, der ebenfalls mit dem wichtigen
Thema „Kinder und Werbung“ zu tun hat.
Es geht um die Frage der Finanzierung öffentlicher Aufgaben und Einrichtungen. Im Kern
berührt dieses Thema die gleichen Probleme, die wir aus den werbefinanzierten Medien
kennen: “Sponsoring, Product Placement und virtuelle Werbung“ durchbrechen den
Grundsatz der Trennung von Werbung und Programm; der Einfluss der mittels Werbung
finanzierten Sender auf Programminhalte ist häufig intransparent und täuscht dem
Verbraucher eine vermeintliche Objektivität vor. Was wir aus den Medien kennen, greift
mittlerweile auch auf öffentliche Einrichtungen über.
Die Schmerzgrenze ist hier spätestens beim Thema Werbung an Schulen erreicht. Wir
sollten uns gut überlegen, in welchem Umfang wir öffentliche Einrichtungen wie Schulen
sponsern lassen wollen und welchen Vertrauensverlust wir hiermit riskieren.
Die Finanzierung der öffentlichen Bildungspolitik hat in Deutschland mittlerweile einen Punkt
erreicht, an dem sogar zentrale bildungspolitische Prinzipien wie der Verzicht auf Werbung
an Schulen aufgegeben werden. In der Vergangenheit galten in allen Bundesländern klare
gesetzliche Vorgaben, die ein Eindringen der Werbung in die Schulen verhinderte. In den
letzten Jahren wurden diese Zügel deutlich gelockert. Schulen können sich nach
finanzkräftigen Sponsoren umsehen, die Computer anschaffen oder Schulfeste finanzieren.
Ich weiß, dass Schleswig-Holstein im Unterschied zu anderen Bundesländern noch
vergleichsweise restriktive Vorgaben für das Schulsponsoring praktiziert und freue mich
darüber.
Werbung an Schulen findet jedoch nicht nur in Form des Schulsponsoring statt. Sie kann
auch ganz anders – aber ebenso fragwürdig - funktionieren, wie uns das Beispiel „Kellogg’s“
lehrte. Die Firma Kellogg’s hatte mit der Aktion „Kellogg’s Frosties für Schulsport“ geworben,
bei dem Schüler unter anderem durch den Kauf von Kellogg’s Produkten Taler sammeln
konnten. Diese sollten sie – versehen mit einem Stempel der Schule – gegen Sportgeräte für
die Schulen eintauschen.
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Der vzbv ist der Ansicht, dass durch solche Aktionen Schüler und Eltern unter Druck gesetzt
werden, ihre Schule mit dem Kauf bestimmter Produkte zu unterstützen. Dadurch entsteht
ein psychologischer Kaufzwang und ein moralischen Druck insbesondere auf Eltern.
Unseres Erachtens verstößt eine solche Kopplung von privatem Gewinnstreben und
öffentlicher Finanzierung von Schulen gegen den staatlichen Bildungs- und
Erziehungsauftrag.
Die Werbeaktion wurde von der Deutschen Schulsportstiftung unterstützt, in deren
Kuratorium alle Kultusminister der Länder vertreten sind. Im Oktober 2003 hatte der vzbv alle
Kultusminister angeschrieben und um eine Stellungnahme gebeten. Zur Ehrenrettung
Schleswig-Holsteins sei angemerkt, dass sich das hiesige Kultusministerium ebenso wie die
Kultusminister von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern von der Aktion distanzierten.
Der vzbv hat Kellogg’s in dem gerade geschilderten Fall auf Unterlassung verklagt. Das
zuständige Landgericht Bremen hat die Klage abgewiesen. Wir haben gegen dieses uns
nicht überzeugende Urteil Berufung eingelegt.
Die Werbeindustrie setzt gerne auf das Leitbild des mündigen Verbraucher, der selbst
entscheiden könne, wie viel Einfluss er der Werbung auf seine Kaufentscheidungen
einräumt. Ich frage Sie: Kennen Sie mündige Sechsjährige? Mündigkeit ist das Ergebnis
eines Entwicklungsprozesses, bei dem Schulen eine zentrale Verantwortung tragen.
Das Leitbild des mündigen Verbrauchers wird gerade in Bezug auf Werbung häufig
missbraucht und überstrapaziert. Natürlich können Verbraucher in vielen Fällen übertriebene
Werbeaussagen von sachlicher Information unterscheiden. Aber darum geht es nicht. Es
geht darum, dass Werbeaussagen häufig Informationen transportieren, die falsch sind.
Solche Werbeaussagen sind bewusst darauf angelegt, Verbraucher irrezuführen und
vorhandene Informationsasymmetrien zwischen Anbieter und Verbraucher zu verstärken.
Nicht der Schutz vor Fehlinformation entmündigt den Verbraucher. Wir entmündigen den
Verbraucher vielmehr dann, wenn wir ihn der Fehlinformation und Täuschung – auch durch
Werbung – schutzlos ausliefern. Der Gesetzgeber handelt deshalb im Interesse aller
Marktbeteiligten, wenn er die Informationsvermittlung durch Werbung dort reguliert, wo
Täuschung und Fehlinformation Wettbewerb behindern.
Ich komme zum Schluss.
Werbung hat eine wichtige Informationsfunktion. Sie hilft den Verbrauchern, neue
Entwicklungen am Markt zu entdecken, und sie hilft den Unternehmen, ihre Produkte im
Wettbewerb zu platzieren. Damit dieser positive wirtschaftliche Effekt erzielt werden kann, ist
ein gewisses Vertrauen der Verbraucher in die Seriosität von Werbeaussagen notwendig.
Verbraucher, die Werbung lediglich als Belästigung und Täuschung empfinden, werden
zunehmend versuchen, sich von Werbung fernzuhalten oder diese schlicht zu ignorieren.
Damit wäre aber eine massive Fehlallokation von Mitteln vorprogrammiert. Gerade seriöse
Unternehmen, die auf gute Leistung und Qualität setzen, müssen daher mit uns an einem
wirksamen Verbraucherschutz in der Werbung interessiert sein.
Der Staat hat die Kontrolle der Einhaltung des Wettbewerbsrechts an Private delegiert. Auf
Seiten der anbietenden Wirtschaft sorgt die Wettbewerbszentrale für die Lauterkeit in der
Werbung. Auf Seiten der Verbraucher tun dies die Verbraucherzentralen und der vzbv. Sie
nehmen damit eine wichtige ordnungspolitische Funktion in unserer Marktwirtschaft wahr, die
über den Schutz des einzelnen Verbrauchers hinausgeht. Durch ihre Marktbeobachtung und
die Nutzung ihrer Klagerechte sorgen die Verbraucherzentralen vielmehr für einen
funktionierenden Wettbewerb, in dem gute Unternehmen belohnt und das
wirtschaftschädliche Verhalten der „schwarzen Schafe“ unterbunden wird. Ob dies in
dauerhafter Form gelingen kann, hängt entscheidend von den gesetzlichen
Sanktionsinstrumenten ab. Wir begrüßen deshalb den im neuen UWG verankerten Anspruch
zur Abschöpfung von Unrechtsgewinnen. Eigentlich hätten wir uns eine wirksamere
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Ausgestaltung gewünscht. Wir werden aber in Kürze dieses neue Rechtsinstrument testen.
Derzeit bereiten wir entsprechende Klagen gegen zwei Unternehmen vor und hoffen sehr,
dass wir vor den Gerichten erfolgreich sein werden. Unlautere Werbung darf sich für die
Unternehmen nicht länger lohnen. Erst wenn Unternehmen von irreführender Werbung nicht
mehr profitieren, werden sie ein Interesse haben, ihre Kreativität auf attraktive und
wahrhaftige Werbeformen zu lenken und nicht auf möglichst raffinierte Formen der
Verbrauchermanipulation und Verbrauchertäuschung
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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