Die ideale Staatsform nach Jean-Jacques Rousseau Welche Freiheitsbegriffe unterscheidet Rousseau und welche Möglichkeiten gibt es, die Freiheit im Staat zu gewährleisten? Pilar Meier Binzenmatt 9 6314 Unterägeri E-Mail: [email protected] Hauptfach: Publizistik- und Kommunikationswissenschaft 1. Nebenfach (30 KP): Philosophie 2. Nebenfach (30 KP): Theorie und Geschichte der Fotografie Matrikelnummer: 08-702-250 Veranstaltung: Einführendes Seminar, FS 2012: Politische Freiheit Modulverantwortliche: Dr. Anna Goppel Arbeits- und Forschungsstelle für Ethik Ethik-Zentrum der Universität Zürich Zollikerstr. 117 8008 Zürich Unterägeri, 30. September 2012 Anzahl Zeichen: 27‘714 Bisher absolvierte Module im Nebenfach Philosophie: 160213 213 Einführung in die Geschichte der Philosophie. Vorlesung mit Lektürekurs: Was ist Philosophie?, 6 KP 6.00 4.00 160205 205 Einführung in die Theoretische Philosophie. Vorlesung mit Lektürekurs: Bedeutung und Verstehen, 6 KP 6.00 BEST Inhalt Inhalt........................................................................................................................................................ 1 1. Einleitung ........................................................................................................................................ 2 2. Definition der Freiheit nach Rousseau ............................................................................................ 3 3. 2.1. Natürliche Freiheit ................................................................................................................... 3 2.2. Bürgerliche Freiheit ................................................................................................................. 4 2.3. Sittliche Freiheit ...................................................................................................................... 5 Der „volonté générale“ .................................................................................................................... 6 3.1. Definition des Gemeinschaftswillen........................................................................................ 6 3.2. Entstehung des Gemeinschaftswillen ...................................................................................... 7 4. Der ideale und legitime Staat .......................................................................................................... 9 5. Fazit ............................................................................................................................................... 11 6. Literaturverzeichnis ....................................................................................................................... 12 1 1. Einleitung Jean-Jacques Rousseau gilt als einer der bedeutendsten politischen Philosophen überhaupt und hat gemeinsam mit anderen wichtigen politischen Philosophen der Neuzeit wie Thomas Hobbes, John Locke und Immanuel Kant den Grundstein für die uns heute bekannten Formen von politischen Systemen und insbesondere der Demokratie gelegt (Anzenbacher 2004: 283). Du Contrat Social ou Principes du Droit Politiques wird oft als eines von Rousseaus Hauptwerken aufgeführt und wird als besonders einflussreich für die Geschichte der Staatsphilosophie betrachtet. In dieser Schrift thematisierte Rousseau erstmals die Idee des Gesellschaftsvertrages. Rousseau hat in seinem Bemühen, die ideale Staatsform zu finden vor allem zwei Ziele formuliert: Dem Menschen soll die Sicherheit gewährt sein, nicht wie in einem unzivilisierten Ort durch Gewalt und Besitzlosigkeit gefährdet zu sein und ihm soll das Höchstmass an Freiheit und Mitbestimmung zukommen. Der Mensch soll also frei sein und zusätzlich von den Vorteilen eines regulierten Staates profitieren können. Genau dies soll dem Menschen dank des Gesellschaftsvertrages ermöglicht werden. In vorliegender Arbeit wird untersucht, welche Freiheitsbegriffe bei Rousseau zentral sind und inwiefern diese bei der Konstitution eines idealen Staates berücksichtigt werden müssen. Ferner sollen auch seine Überlegungen zur Umsetzung dieser Ziele thematisiert werden. Die in der Arbeit zu beantwortende Frage lautet somit: Wie sieht der ideale Staat nach Rousseau aus und welche Arten von Freiheiten können und müssen dem Menschen in dem beschriebenen Staat erhalten bleiben? Rousseau beschreibt gleich mehrere Arten von Freiheit, welche entweder schon vor Entstehen des Staates existieren oder erst in einem legitimen Staat hervortreten oder gewährt werden müssen. Diese Freiheitsbegriffe sind alle in Kapitel 2 thematisiert. In Kapitel 3 soll sodann der Gemeinschaftswille, bei Rousseau genannt „volonté générale“, behandelt werden. Dieser Gemeinschaftswille ist Grundlage des von Rousseau propagierten Gesellschaftsvertrages, welcher seiner Meinung nach einen legitimen Staat ermöglicht. Wie dieser Staat genau aussieht und geregelt werden muss, damit die Freiheit des Menschen garantiert ist, wird im darauffolgenden Kapitel 4 analysiert. Anschliessend wird in Kapitel 5 ein Fazit zu den untersuchten Überlegungen gezogen und es wird die Antwort auf die Fragestellung geliefert. 2 2. Definition der Freiheit nach Rousseau In Du Contrat Social ou Principes du Droit Politiques verwendet Rousseau mehrere Definitionen von Freiheit. Explizit werden sie in Buch 1, Kapitel 8 genannt und beschrieben, wobei der Begriff der natürlichen Freiheit im Naturzustand bereits zuvor immer wieder erwähnt wird. Rousseau unterscheidet zwischen natürlicher Freiheit, bürgerlicher Freiheit und sittlicher Freiheit. Diese drei Arten werden in diesem Kapitel einzeln betrachtet, da sie in Rousseaus politischer Philosophie jeweils verschieden eingesetzt und sie für ihn in jeweils einzelnen unterschiedlichen Teilbereiche des Lebens von unterschiedlicher Relevanz sind (Rousseau 2011: 22-23). 2.1. Natürliche Freiheit Den ersten Begriff der Freiheit, den Rousseau definiert ist jener der natürlichen Freiheit. Diese Art von Freiheit ist zugleich auch die ursprünglichste und die von Rousseau am häufigsten angesprochene Freiheit. Im zweiten Kapitel des ersten Buches erklärt Rousseau die Selbsterhaltung als oberstes Gesetz der Natur des Menschen. Somit ist der Mensch im Naturzustand grundsätzlich nur um sein eigenes Wohl und sein eigenes Überleben besorgt und die natürliche Freiheit bringt vor allem den Kampf um sein eigenes Dasein und sein eigenes Wohl mit sich und definiert sich durch diese instinktgeleitete Lebensform. Dies hat zur Folge, dass der Naturzustand ein Zustand des unfriedlichen Zusammenlebens ist, weil jeder sein eigenes Ziel verfolgt, welches darin besteht seine Existenz zu sichern und seinen Besitz zu verteidigen. Das resultiert in Kämpfen aus Neid und Existenzangst (Rousseau 2011: 6). Auch im vierten Kapitel des ersten Buches geht Rousseau auf den Begriff der natürlichen Freiheit ein. In jenem Kapitel geht es um die Sklaverei und die Veräusserung der eigenen natürlichen Freiheit. Hierzu sagt Rousseau, dass es nicht möglich ist, seine Freiheit freiwillig aufzugeben, weil dies bedeuten würde, auf seine Eigenschaften als Mensch zu verzichten, da die Freiheit Teil der Natur des Menschen ist. Aus dieser Argumentation folgt, dass sich ein Mensch dem Staat gegenüber nicht veräussern kann, weil er keine Gegenleistung erhält und somit alle Staatsformen, bei welchem das Volk einem Repräsentanten irgendeiner Art unterworfen ist, nie rechtmässig sein können, weil der Mensch so seine Freiheit abtritt, was gegen die Natur des Menschen ist (Rousseau 2011: 11-12). 3 Das Aufgeben des Naturzustandes, also jenes Zustandes, in welchem der Mensch natürliche Freiheit geniesst und nicht Teil eines politischen Staates ist, muss aber nicht zwingend mit dem Übergang zur Versklavung oder Unterwerfung einher gehen. Wenn die natürliche Freiheit zu Gunsten eines legitimen Staates aufgegeben wird, dann lässt sich der Mensch nicht unterjochen. Wenn der Mensch seine natürliche Freiheit gegen die von Rousseau beschriebene bürgerliche Freiheit eintauscht, dann hat er den Idealzustand der Freiheit erreicht (Rousseau 2011: 11, 17) In Kapitel 8 des ersten Buches umschreibt Rousseau die natürliche Freiheit desweiteren kurz als jene Freiheit, „die ihre Schranken nur in der Stärke des Individuums findet“ (Rousseau 2011: 23), was sie so deutlich von der nachfolgend ausführlicher beschriebenen bürgerlichen Freiheit differenziert. 2.2. Bürgerliche Freiheit Die bürgerliche Freiheit hebt sich von der natürlichen Freiheit in dem Sinn ab, dass sie nicht durch den Instinkt und die Lust definiert wird, sondern dem Menschen das Eigentum an allem, was er besitzt, erteilt (Rousseau 2011: 23). Um diese Aussage zu verstehen, bedingt es der Kenntnis über den Unterschied von Eigentum und Besitz. Nach altem römischen Recht ist der Besitz nur eine Sachherrschaft ohne rechtlichen Schutz, wobei das Eigentum sich durch die Rechtsherrschaft über eine Sache auszeichnet (Honsell 2006: 53, 57). Somit meint Rousseau, dass einem Individuum im Naturzustand nichts gehört, solange es nicht die Sachherrschaft über eine Sache innehat. Im Gegensatz dazu wird in einem Staat mit Gesetzen der Besitz zu Eigentum und somit das Hab und Gut eines jeden rechtlich geschützt. Ausserdem ist die bürgerliche Freiheit von dem Gemeinwillen und nicht wie die natürliche Freiheit nur durch die eigene Stärke beschränkt. Dies soll heissen, dass es in der natürlichen Freiheit keine Grenzen gibt ausser der eigenen körperlichen Stärke, also alles zugelassen ist, was physisch möglich ist. Dies resultiert oft in Gewalt und das Gesetz der Natur bestimmt, wer stärker ist und einen Kampf gewinnt. Somit gibt es im Naturzustand keine Gleichberechtigung, weil es immer von Natur aus Stärkere und Schwächere gibt. Nun folgt aus dieser Definition aber auch, dass es für den Menschen in der bürgerlichen Freiheit von aussen her errichtete Schranken gibt und der Mensch keine grenzenlose Freiheit mehr besitzt. Rousseau glaubt aber, dass genau diese Schranken dem Menschen neue Freiheit zusichern, weil sie ihm neue Freiheiten ermöglichen, ihm Sicherheit geben und sein Eigentum rechtlich schützen, was dem Menschen mehr Vor- als Nachteile verschafft (Rousseau 2011: 23). 4 2.3. Sittliche Freiheit Einen weiteren Begriff der Freiheit, welchen Rousseau anspricht, ist die sittliche oder moralische Freiheit. Auch sie ist Gegenstand des achten Kapitels des ersten Buches. Diese Art von Freiheit wird ebenfalls mit dem Aufgeben der natürlichen Freiheit und der Errichtung eines Staates erworben. Nach Rousseaus Auffassung kennt der Mensch im Naturzustand keine Moral oder Sittlichkeit, sondern ist geleitet von seinem Instinkt und Überlebenswille, weswegen moralische Grundsätze und Vernunft gar nie erst eine Rolle spielen. Erst bei dem geregelten Zusammenleben in einer politischen Gesellschaft werden moralische und sittliche Werte gesetzt und befolgt. Genauer sagt Rousseau, der Mensch werde durch den Erwerb der sittlichen Freiheit erst zum „wirklichen Herrn seiner Selbst“ (Rousseau 2011: 23). Seiner Meinung nach ist das Folgen des eigenen Triebes, wie es im Naturzustand der Fall ist, ein Zustand der Sklaverei und nur durch das Befolgen der durch den Gemeinschaftswillen erstellten Gesetze kann den Menschen tatsächlich frei werden. Er sagt sogar, der Gehorsam gegenüber den selbst gegebenen Gesetzen sei Freiheit. Tatsächlich kann man das Befolgen seiner eigenen Gesetze als Freiheit und Macht über sich selbst sehen, doch ist hier der kritische Aspekt, dass der Gemeinschaftswille ja eben nicht auf persönlichen Bedürfnissen beruht, weshalb die Aussage dass man durch Setzen von moralischen und sittlichen Grenzen seine Freiheit erlangt doch nicht ganz unantastbar ist. Der Gemeinschaftswille entsteht durch die vom Volk vertretene Mehrheitsmeinung, alle jene Auffassungen, die nicht eine Mehrheit erlangen, sind deswegen im Gemeinschaftswillen und in den dadurch gegebenen Gesetze nicht berücksichtigt. Rousseau führt diesen Punkt nicht weiter aus, doch würde er wahrscheinlich hier das Argument anbringen, dass der Gemeinschaftswille besser darüber entscheiden kann, was für den Menschen gut ist und der Mensch so zu seiner Freiheit gezwungen wird. Diese Ansicht ist im Kapitel 4 genauer erläutert. Deshalb kann es durchaus sein, dass moralische Werte erst in der Gesellschaft überhaupt bedeutend werden. Die Festlegung von Gesetzen, welche diese Werte schützen, ist somit sowohl logische Konsequenz als auch Voraussetzung dieser Art von Freiheit und ist für den Menschen von grösster Bedeutung um ihm seine höhere Lebensqualität zuzusichern (Rousseau 2011: 22-23). Damit der Übergang von natürlicher Freiheit zu bürgerlicher und sittlicher Freiheit legitim vollzogen werden kann, braucht es einen Staat, welcher dem Bürger diese Freiheiten gewähren kann. Dies kann nicht durch einen Despot geschehen, sondern das Volk selber muss die Gesetze bestimmen und durch Erstellen und Annehmen eines Gesellschaftsvertrags den Staat gründen und die politische Herrschaft übernehmen. Der Gesellschaftsvertrag muss 5 wiederum dadurch legitimiert werden, dass er nur Punkte, die dem Gemeinschaftswillen entspringen, beinhaltet. Wie dieser Gemeinschaftswille genau definiert und wie er entsteht ist im folgenden Kapitel erklärt. 3. Der „volonté générale“ Die zentrale Rolle des Staates ist es, die Freiheit für den Menschen langfristig zu sichern. Hierbei ist die Hauptaufgabe, den Menschen von der natürlichen Freiheit zur bürgerlichen Freiheit zu überführen und diese für ihn optimal zu gestalten. Laut Rousseau kann dieser Staat nur durch einen Gesellschaftsvertrag, welcher auf den Gemeinschaftswillen gründet, zu Stande kommen. Der Gemeinschaftswille, bei Rousseau „volonté générale“, ist nachfolgend genau definiert. Im darauffolgenden Unterkapitel ist erklärt, wie er entsteht und wie er so den Gesellschaftsvertrag legitimiert. 3.1. Definition des Gemeinschaftswillen Im zweiten Buch von Du Contrat Social ou Principes du Droit Politiques wird der Gemeinschaftswille genauer definiert und auf seine Fehlbarkeit geprüft. Im dritten Kapitel des zweiten Buches postuliert Rousseau, dass der Gemeinschaftwille stets das richtige Ziel verfolgt, jedoch keine Garantie besteht, dass die Beschlüsse des Volkes auch immer die richtigen sind. Dies liegt daran, dass jedes Individuum zwar das Beste für sich will, und somit auch bemüht ist, sein gesellschaftliches Leben optimal zu gestalten, jedoch keine Sicherheit besteht, dass das Volk das Richtige als solches auch erkennt. Es wird also versucht, die für das Gemeinwohl beste Entscheidung zu treffen, doch ist nicht garantiert, dass das Volk auch sieht, welche denn die richtige oder beste Option ist. Kein Individuum würde aber willentlich eine Entscheidung treffen, die ihm persönlich oder der Gemeinschaft als Ganzes schaden würde. Rousseau räumt jedoch ein, dass der Gemeinwille und der Gesamtwille nicht identisch sind. Den Gesamtwillen beschreibt er als eine Summe von Sonderwillen, welche nur immer das Beste für ein einzelnes Individuum selbst umfassen, also ein Wille, der nur das Privatinteresse eines Individuums abdeckt. Aus dieser Kumulation von Eigeninteressen kann der Gemeinschaftswille nicht bestehen, weil die Wünsche sich stark unterscheiden können. 6 Betrachtet man aber alle persönlichen Wünsche, trägt sie zusammen und bildet einen Willen, der die Abweichungen für alle minimiert, dann erhält man den Gemeinschaftswillen. Rousseau spricht sich aufgrund dieser Argumente zur Unterschiedlichkeit der Wünsche, die zusammen einen allgemeinen Willen ergeben sollen, auch gegen die Bildung von verschiedenen Fraktionen aus. Er sagt, dass die Parteibildung immer mehr Willen verschwinden lässt und der Gemeinschaftswillen so aus weniger Stimmen als Mitgliedern besteht, was sich negativ auf die Allgemeinheit des Gemeinschaftswillens auswirkt. Wenn es verschiedene Gruppierungen gibt, die alle innerhalb der Gruppe die gleiche Ansichten vertreten, dann sind die Unterschiede der Meinungen, die zur Bildung des Gemeinschaftswillen essentiell sind, weniger zahlreich und die Idee des Gemeinschaftswillen und des darauf basierenden Gesellschaftsvertrages verliert an Legitimität. Die Meinungsvielfalt ist deshalb ein prominenter Bestandteil des Gemeinschaftswillens, weil sie sicherstellt, dass alle Meinungen gleich viel Wert haben und sich nicht zwei oder mehrere einander entgegengesetzte Lager bilden, die sich aufgrund widersprechender Ansichten verfeinden oder gar bekriegen können. Ausserdem besteht die Möglichkeit, wenn sich Parteien bilden und eine dieser Parteien mehr Mitglieder hat und stärker ist als eine andere, eine einfältige Meinung überhandnimmt und die Minderheitsmeinung ganz unterdrückt. Dieses Argument wird auch von Rousseau explizit so formuliert. Dem Einwand, dass auch beim Gemeinschaftwillen immer die Mehrheit im Vorteil ist, beugt er vor, indem er sagt, dass die Aufteilung beim Gemeinschaftswillen fair bleibt, weil jeder Mensch eine Stimme hat und alle Stimmen gleich zählen. Aus der Differenz aller Meinungen kann sodann die Mehrheitsmeinung gegründet werden. Im Unterschied zum Gemeinschaftswille, der aus der Summe aller Meinungen aller Menschen besteht ist bei der durch Parteien vertretene Mehrheitsmeinung die faire Verteilungen nicht mehr gewährleistet, weil die Partei die Meinung seiner Mitglieder repräsentiert, die einzelnen Meinungen aber vermischt werden und nicht mehr einzeln zur Gesamtheit dazu zählen. Aus diesen Gründen spricht sich Rousseau klar gegen die Bildung von Teilgesellschaften aus. Falls eine Parteibildung dennoch zustande kommt, dann sei es wichtig, dass ihre Anzahl möglichst hoch sei, damit eine Meinungsvielfalt dennoch gewissermassen gegeben ist (Rousseau 2011: 31-33). 3.2. Entstehung des Gemeinschaftswillen Zum erfolgreichen Entstehen des funktionierenden Gemeinschaftswillens werden einige Faktoren benötigt. Der Gemeinschaftswille besteht nicht schon als solchen in den Köpfen der 7 Bürger, sondern er entwickelt sich aus den persönlichen Interessen und Wünschen, welche jedes Individuum hat. Dazu gehört auch, sich als Teil einer Gemeinschaft zu sehen, in welcher das Zusammenleben nicht in Konflikt gerät mit den eigenen Bedürfnissen. Zu den eigenen Bedürfnissen gehören meist der Wunsch nach Sicherheit, Schutz des Besitzes und das eigene Überleben. Befinden sich alle Menschen im Naturzustand, dann stehen die Chancen hoch, dass die Menschen sich gegenseitig bekämpfen, um sich diese Bedürfnisse für sich zu erfüllen. Erst wenn der Mensch sich in eine Gesellschaft integrieren möchte oder muss, kommen auch Bedürfnisse hinzu, die ein friedliches Zusammenleben anstreben. Wenn dieses Bewusstsein zu Stande gekommen ist, wird der Mensch auch bereit sein, seine egoistischen Interessen nicht mehr als einzige Interessen zu vertreten, sondern auch solche, die der Gemeinschaft und dem Gemeinwohl dienen, als Priorität zu sehen. Dieses Bedürfnis kommt im Wunsch nach Gesetzen, die dem Menschen diese Rechte gewähren, zum Ausdruck. Deswegen wird der Mensch bemüht sein, an der Errichtung eines Gesetzes, das der Allgemeinheit diese Vorteile verschafft, aktiv mitzuwirken. Wenn alle Mitglieder einer Gesellschaft dieses Ziel verfolgen und die für sie bestmöglichen Gesetze aufstellen möchten, dann ist es möglich, einen Gemeinschaftswillen herauszuarbeiten und anhand dieses Willens Gesetze und den Gesellschaftsvertrag zu legitimieren und durchzusetzen. Dies kann aber nur geschehen, wenn der Gemeinschaftswille die Wünsche der Allgemeinheit so berücksichtigt, dass sich alle damit identifizieren können und ihre Wünsche als berücksichtigt sehen. Rousseau gibt jedoch zu, dass die Umsetzung dieses Konzeptes nicht ganz so einfach ist, da auch da Möglichkeit besteht, dass die Menschen das für sie Beste gar nicht erkennen und ihre Wünsche nicht so artikulieren können, dass sie sich in der Gemeinschaft zum Allgemeinwillen bilden können und die Festsetzung optimaler Gesetze nach sich ziehen (Rousseau 2011: 16-19). Wie bereits erwähnt glaubt Rousseau auch, dass der Mensch nicht mit moralischen Grundprinzipien ausgestattet ist und diese erst durch den legitimen Staat überhaupt erst in Form der sittlichen Freiheit (siehe Kapitel 2.3.) zu Stande kommen. Dies erschwert das Zusammenstellen von Gesetzen, die auch moralisch als „gut“ bewertet werden können und stellt auch den Willen des Menschen, sich um das Gemeinwohl zu sorgen, in Frage. Wenn es moralische Grundsätze braucht, um legitime Gesetze herzustellen, dann widerspricht diese Ansicht jener, dass die Sittlichkeit erst mit Anschliessung an eine Gesellschaft an Wichtigkeit gewinnt (Rousseau 2011: 22-23). Dieses Problem schneidet Rousseau selbst jedoch nicht an und es bleibt unklar, wie er es lösen würde. 8 4. Der ideale und legitime Staat Die grösste politische und gesellschaftliche Herausforderung, die auftaucht ist die Errichtung eines Staats, welcher Autorität und Freiheit mit einander vereinbaren kann. Wie bringt man ein Volk dazu, eine Autorität zu akzeptieren, wenn deren Anerkennung den Verlust der natürlichen Freiheit zur Folge hat? Rousseau glaubt, dass die Menschen zu ihrer Freiheit „gezwungen“ werden müssen, indem sie forciert werden, den Gesellschaftsvertrag zu anerkennen (Rousseau 2011: 22). Diese Ansicht ist allein deshalb schon interessant, weil es paradox klingt, Freiheit und Zwang in einem miteinander zu vereinbaren. Tatsächlich ist Rousseaus Begriff der Freiheit so konzipiert, dass der freie Mensch als Bürger die Verantwortung trägt, aktiv zu werden und seinen Willen in der Gesellschaft zu vertreten, was einem positiven und aktiven Freiheitsbegriff gleichkommt. Das heisst, die Freiheit ist nach Rousseau die Möglichkeit, das zu tun, was man tun will und dies auch umzusetzen (Rousseau 2011: 19). Durch diese Restriktion, dass er gezwungen werden muss, eine Autorität zu akzeptieren, ist dieses Kriterium bereits schon nicht mehr erfüllt. Rousseau verteidigt diese Aussage so, dass er sagt, bei der Gründung eines Staates dürfe für den Menschen kein Nettoverlust von Freiheit entstehen. Bei der Anerkennung des Gesellschaftsvertrages resultiere kein Verlust von Freiheit, der Mensch werde somit lediglich gezwungen, seine neue Freiheit anzunehmen (Rousseau 2011: 22). Diese Aussage ist aber kritisch zu betrachten, weil ja bereits gezeigt wurde, dass laut Rousseau die natürliche und die durch Akzeptieren des Gesellschaftsvertrags entstehende bürgerliche Freiheit nicht identisch sind. Somit bestehen klare Unterschiede zwischen den beiden Konzeptionen und es ist in der Tat so, dass der Mensch auf einen Teil seiner Freiheit verzichten muss. Rousseau hält diesen Verlust an natürlicher Freiheit anscheinen für unbedeutend und verweist stattdessen auf die Vorteile, die durch den Gesellschaftsvertrag entstehen. Ein freier Bürger profitiert von Sicherheit und Ordnung weil die in der natürlichen Freiheit bestehende Gewalt und Unsicherheit vermindert werden (Rousseau 2011: 18). Da der Mensch jedoch nur durch Schaffen von Gesetzen und einer politischen Gesellschaft rechtlichen Schutz erfährt und dieser ihm bürgerliche Freiheit ermöglicht, ist die Erstellung des Gesellschaftsvertrages die einzige Zusicherung dieser Freiheiten für den Menschen und sie ist somit auch Grundlage einer legitimen Staatsform (Rousseau 2011: 23). Im vierten Kapitel des ersten Buches sagt Rousseau, dass Vereinbarungen immer der Ausgangspunkt für eine legitime Herrschaft sind. Dies ist deshalb so, weil es im Naturzustand 9 keine Gesetze und somit auch kein Recht gibt. Nur wenn ein Vertrag unter dem Volk beschlossen wird, kann auch Rechtmässigkeit entstehen. Rousseau spricht sich ganz klar gegen den Despotismus oder die Alleinherrschaft durch einen Repräsentanten des Volkes aus. Seiner Meinung nach kann es nie rechtmässig sein, sich als Volk einem einzelnen Herrscher zu unterwerfen, weil dies bedeuten würde, seine Freiheit aufzugeben und sich einem anderen Menschen herzugeben, ohne dass man hierbei von der Sicherheit und Rechtmässigkeit profitiert, die in einem politischen Gebilde oberstes Ziel sein sollen (Rousseau 2011: 10-11). Auch im fünften Kapitel des ersten Buches geht Rousseau auf die Problematik der Alleinherrschaft ein und sagt, dass das Verhältnis eines Einzelherrschers zum Volk immer jenes eines Herrn zu seinen Sklaven sei und die Menschen nicht zum Volk werden sondern nur eine zusammenhangslose Masse sind, die einem Einzelnen unterjocht sind. (Rousseau 2011: 15-16). Stattdessen schlägt Rousseau vor, dass die Kräfte aller Individuen vereint werden müssen und eine Einheit bilden sollen, die in einer Vereinbarung festgehalten wird. Wortwörtlich schildert er die Problematik wie folgt: „Finde eine Form des Zusammenschlusses, die mit ihrer ganzen gemeinsamen Kraft die Person und das Vermögen jedes einzelnen Mitgliedes verteidigt und schützt und durch die doch jeder, indem er sich mit allen vereinigt, nur sich selbst gehorcht und genauso frei bleibt wie zuvor“ (Rousseau 2011: 17). In diesem Zitat wird nochmals klar, was das Ziel eines Staates sein muss und weshalb der Gesellschaftsvertrag die Lösung für das Problem ist. Dadurch, dass nicht ein Einzelner regiert sondern alle zusammen als Einheit die Herrschaft innehaben, geniesst jedes Mitglied Verteidigung, Schutz, Mitspracherecht und Freiheit, weil er nicht fremdregiert wird sondern Teil eines Gebildes ist, welches das Gleiche Ziel verfolgt wie jeder Einzelne für sich selbst. Rousseau glaubt auch, dass der Gesellschaftsvertrag insofern unantastbar bleibt, als dass er niemals durch einen allein abgeändert werden kann sondern nur auf Wunsch aller wieder aufgelöst werden kann. Im Gegensatz zur Auflösung einer Herrschaft hinterlässt der Gesellschaftsvertrag dann aber nicht ein Chaos, sondern die Menschen erlangen wieder ihre natürliche Freiheit. Voraussetzung für den Gesellschaftsvertrag ist die Entäusserung aller Mitglieder, indem jeder all seine Rechte an das Gemeinwesen als Ganzes abtritt und so gewährt, dass sich niemand, und vor allem auch keine kleinen Teilgruppen, gegen den Gesellschaftsvertrag auflehnen und diesen gefährden (Rousseau 2011: 16-17). Rousseau definiert den Inhalt des Gesellschaftsvertrags wie folgt: „Gemeinsam stellen wir alle, jeder von uns seine Person und seine ganze Kraft unter die oberste Richtschnur des Gemeinwillens; und wir nehmen, als Körper, jedes Glied als untrennbaren Teil des Ganzen auf“ (Rousseau 2011: 18). Auch mit dieser Aussage bestätigt 10 Rousseau nochmals, wie wichtig es ist, dass alle sich dem Gesellschaftsvertrag ganz hergeben und den Vertrag als oberste Autorität anerkennen. Keines der Mitglieder kann sich zu irgendetwas verpflichten, was gegen den Gesellschaftvertrag verstösst, weil jeder einen Vertrag nicht nur mit der Gemeinschaft sondern mit sich selber geschlossen hat und sich diesen aus freien Stücken auferlegt hat, weil sonst die Körperschaft als Ganzes angegriffen wird, was dem Sinn des Vertrages, zuwider läuft. Das Volk tritt als Souverän auf und besteht als solches eben weil alle sich selbst und der Gemeinschaft verpflichtet haben und sich als Einheit sehen, was es verhindert, dass ein Einzelner irgendeinen Vorteil zieht aus dem Verlassen der Gesellschaft oder durch das Verletzen des Vertrages (Rousseau 2011: 20-21). All diese Eigenschaften garantieren, dass der Gesellschaftsvertrag von allen Mitgliedern der Gesellschaft angenommen wird und stabil bleibt. Er gewährt den Menschen das, was sie brauchen, um als starke Einheit nach aussen bestehen zu können, so wie er auch ihre privaten Interessen und bürgerlichen Rechte schützt, weswegen der Gesellschaftsvertrag nach Rousseau die ideale Staatsform bildet. 5. Fazit Die Analyse von Jean-Jacques Rousseaus politischer Philosophie in „Vom Gesellschaftsvertrag“ sollte Erkenntnisse darüber bringen, wie seiner Meinung nach der ideale Staat aussieht und wie der Staat dafür sorgen kann, dass die Freiheit eines jeden Einzelnen gesichert bleibt. Rousseau glaubt, dass dieser Staat, in welchem alle Menschen frei sind, nur unter der Etablierung eines Gesellschaftsvertrages, welcher den Gemeinschaftswillen aller Bürger festhält, entstehen kann. Bei diesem Prozess bleibt jedoch nicht die ursprüngliche, natürliche Freiheit erhalten, sondern es werden die bürgerliche und die sittliche Freiheit erworben und es wird die natürliche Freiheit ohne Netto-Verlust gegen sie eingetauscht. Der Gesellschaftsvertrag ist Ausgangspunkt des idealen Staats und ist bezeichnend dafür, wie der Staat geführt sein muss. Nicht ein Despot oder ein Adliger kann die Herrschaft über ein Volk haben, sondern das Volk selbst muss über sich bestimmen. Der Gesellschaftsvertrag ist legitimiert dadurch, dass er anhand des Gemeinschaftswillens zusammengestellt wird und der Gemeinschaftswille nie irren kann. Dies ist dadurch sichergestellt, dass jeder Mensch für sich nur das Beste will und er für sich nur das Beste erlangen kann, wenn er in der Gemeinschaft Sicherheit, Freiheit und Rechtsschutz erfährt. Somit ist sein Wille darauf ausgerichtet, Teil eines optimalen Staates und einer friedlichen Gesellschaft zu sein und er wird darum bemüht 11 sein, durch den Gesellschaftsvertrag ideale Bedingungen für sich selbst und die ganze Gesellschaft zu schaffen. Dieser Entwurf von Rousseau zum Gesellschaftsvertrag und der Volksherrschaft war Ausgang für das Zustandekommen der Demokratie. Rousseaus Ideen wurden zwar für ihre auch in dieser Arbeit angesprochenen Widersprüchlichkeiten kritisiert, doch haben seine Ideen und Argumente sicherlich wesentlich dazu beigetragen die Demokratie als bevorzugte Staatsform einzuführen, Auch wenn der Einfluss von Rousseau unumstritten ist, gibt es dennoch Punkte die unklar erscheinen und deren Analyse bestimmt Anlass für weitere Auseinandersetzungen liefert. Im Rahmen dieser kleineren Arbeit war es zum Beispiel nicht möglich auf Details zu Rousseaus Verständnis von Sklaverei und Tyrannei einzugehen. Ausserdem werden immer wieder Bezüge geschaffen zur Philosophie von Thomas Hobbes (auch wenn diese oft unerwähnt bleiben) und ein Vergleich dieser zwei Philosophen wäre höchst interessant. Die Definitionen von Freiheit, welche Rousseau in Du Contrat Social ou Principes du Droit Politique verwendet, wurden lediglich vorgestellt und für die Argumentation so verwendet, wie sie von Rousseau dargestellt wurden. Es wäre aber sicherlich auch interessant, diese Freiheitsbegriffe mit anderen Definitionen von natürlicher und bürgerlicher Freiheit zu vergleichen und genauer zu analysieren. 6. Literaturverzeichnis Rousseau, Jean-Jacques (2011): Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts. (Im Original: Du Contrat Social; Ou Principes du Droit Politique, 1762). Stuttgart. Reclam. Weitere verwendete Literatur: Anzenbacher, Arno (2004): Einführung in die Philosophie. 10. Auflage. Freiburg im Breisgau. Herder. Honsell, Heinrich (2006): Römisches Recht. 6. Auflage. Berlin Heidelberg. Springer. 12