Anspiel und Predigt zum Reformationstag, 31. 10. 2016, Kirche St. Georg zum Thema „Brot, von dem ich lebe…“ Von Pfarrerin Katharina Falkenhagen ANSPIEL Mann sitzt mit Tageszeitung in der Hand auf einem Sessel und brubbelt vor sich hin. Seine erwachsene Tochter kommt auf leisen Sohlen herein. Tochter: Du, Papa??! Ich wollte dich mal was fragen. Vater: Na dann frag doch. Blickt kurz auf und dann wieder in seine Zeitung. Tochter: Papa, stimmt es, dass ihr in zwei Monaten Silberhochzeit habt? Vater: Hmm. Jo. Tochter: Das ist schon was Besonderes, oder? Vater: Jo. Ist es. Tochter: Das hört sich von dir jetzt aber nicht so an als ob du das so spannend findest. Vater: Naja. Ist schon eine lange Zeit, fünfzig Jahre. Da ist auch manchmal einfach die Luft raus. Tochter: Aha. Vater: redet mit ein wenig mehr Begeisterung Ja, vor fünfzig Jahren, da war alles noch anders. Ha, da hättest du mal deine Mutter sehen müssen. Poah!!! Die war ein ganz schöner Kracher. Echt mal. Naja, und heute… Da sind wir immer noch knackig. Mal knackt es da und mal knackt es dort. Lacht in sich hinein. Die Tochter lacht etwas gezwungen. Die Mutter betritt die Szene, stöhnt ein wenig und hält sich den Rücken. Der Vater stößt die Tochter an und flüstert ihr ins Ohr. 1 Vater: Siehste. Hab ich doch recht, oder? Hinter der Mutter betritt die Nachbarin die Szene. Sie redet auf die Mutter ein. Nachbarin: aufgeregt Mach das doch!!! Da bestellste einfach in de Gaststätte und haste keene Mühe weiter. Mensch, Hauptsache die Teller sind voll und du hast jenuch zu trinken für die Männer. Und für die Frauen bestellste en Likörchen… Fertig ist die Feier. Vater: Halt mal die Luft an, Hildchen, was denn für ne Feier? Mutter: Ach, Alfred, nüscht weiter. Hildchen nervt mich schon die ganze Zeit. Ist doch Silberhochzeit bald. Sie meint, wir sollten das feiern. Tochter: Siehste, Papa, das meine ich auch. Mal alle einladen und schön essen gehen… Vater schaut Frau und Tochter unsicher bzw. fragend an. Mutter: Ja, ich weiß… ist noch nicht so lange her mit deiner OP. Nachbarin: wieder ganz aufgeregt Ja, meiner und icke, wir haben da auch die Familie eingeladen. Mehr als jutet Futter brauchste da nich… Vater: Jetzt hört doch mal auf!!!! Mutter: Mensch, Egon, ich könnte ja auch was backen. Die schöne KirschSahne-Torte. Die magst du doch so. Tochter: Und ich könnte mich um die Gaststätte kümmern. Da gibt’s drüben in Slubice so ein schönes Restaurant. Das wird euch gefallen. Große Portionen für wenig Geld. Da war ich schon mal mit den Kollegen. Vater: nachdenklich zu seiner Frau Ich weiß nicht so richtig. Wie wärs denn, wenn wir zwei beide mal wat unternehmen…. So wat mit Wellness und allem pipapo? Ick denk mir: hebt belehrend den Zeigefinger Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Det hat schon Jesus jesagt. Mutter und Tochter schauen den Vater verdutzt an. Nachbarin: Na, Egon, du bist ja nun wieder een janzer Schlauer. 2 PREDIGT Liebe Gemeinde, der Friede unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen. Hier liegt es vor mir: Ein Brot. Heute Morgen schon angeschnitten, lädt es ein, weiter daran herum zu knabbern, es zu kosten. Dieses Brot führt uns hin zu dem Thema, das heute über unserem Gottesdienst zum Reformationstag steht: Brot, von dem ich lebe… Es führt uns hin zu der Frage: Wovon lebt der Mensch? Als am 31. August 1928 im Theater am Schiffbauer Damm mitten im Arbeiterbezirk in der Nähe der Berliner Friedrichstraße die „Dreigroschenoper“ zur Uraufführung kam, begann damit eine anhaltende auch internationale Erfolgsgeschichte. In den Mittelpunkt seines modernen Musiktheaters stellte Berthold Brecht die Ballade über die Frage „Wovon lebt der Mensch?“ Man möchte meinen, ein ganzer Zug von verhärmten Gestalten mit erhobenen Fäusten stehe bedrohlich hinter dem Gaunerfürsten Macheath, wenn er - ganz auf Krawall gebürstet - singt: Ihr Herrn, die ihr uns lehrt, wie man brav leben, Und Sünd´ und Missetat vermeiden kann, Zuerst müsst ihr uns was zu fressen geben, Dann könnt ihr reden, damit fängt es an. Ihr, die ihr euren Wanst und unsre Bravheit liebt, Das eine wisset ein für alle Mal, Wie ihr es immer dreht, und wie ihr's immer schiebt, Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Erst muss es möglich sein auch armen Leuten, Vom grossen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden. Wovon lebt der Mensch? Ohne Frage: Der Mensch braucht zu essen! Er braucht ein Dach über dem Kopf, er braucht ein tägliches Auskommen, um sich und seine Kinder zu ernähren. Er muss eine Chance auf körperliche und seelische Unversehrtheit haben. Und erst dann ist ihm - so Macheath – den Luxus der Moral zuzumuten. 3 Ende der zwanziger Jahre waren Millionen von Menschen in Deutschland von bitterster Armut betroffen. Massenarbeitslosigkeit und großes Elend gehörten für zahlreiche Familien zum Alltag. In den Mietskasernen der Großstädte herrschten Gewalt, Kriminalität und Hunger. Die Zeichnungen von Heinrich Zille oder Anna Seghers sind uns vertraut. Trotz Armutsbericht und mancherlei Not muss in unserem Land niemand mehr hungern. Hunger nach Brot kennen wir von Bildern aus dem Fernsehen oder aus den Erzählungen der Groß- bzw. mittlerweile schon Urgroßeltern. Krieg und Vertreibung sind für uns zu Daten einer fernen Geschichte geworden. Doch weniger Menschen sind es im weltweiten Maßstab nicht geworden, die sich täglich der Frage stellen müssen: Wovon werde ich heute leben? Weil sie in ihrem eigenen Land keine Chance auf Leben bzw. ein Leben in Würde haben, gehen manche – so sie die Mittel dafür haben - die Risiken einer lebensgefährlichen Flucht ein. Wovon lebt der Mensch? Vor dem soeben beschriebenen Hintergrund denken wir heute darüber nach, was wir tatsächlich zum Leben nötig haben. Ist es - wie Macheath meint - eine Sache der einfachen Nachordnung: Erst das Fressen und dann die Moral; oder gar der nachgeordneten Bedingtheit: Erst wenn du genug zu essen hast, wirst du auch moralisch gut handeln können? Aufrichtige Kommunisten hatten die Vorstellung, dass Wohlstand für alle eine gute und gerechte Gesellschaft mit sich bringen würde. Wäre erst der Kommunismus errichtet, dann würde die Welt und jeder einzelne Mensch in Ordnung kommen. Allerdings lehrte uns die Erfahrung: So einfach ist es nicht. Wer genug zu essen hat, ist noch lange nicht gut. Und wer in Armut lebt, kann dennoch ein Leben führen, das von hoher Moral geprägt ist. Anhänger eines christlichen Utopismus wiederum hatten die Idee, dass nur alle Menschen zum Glauben kommen müssten und der Wohlstand für alle würde sich daraus ergeben. Auch diese Rechnung ging nicht auf. Wovon lebt der Mensch? 4 Heute sind wir hier im Gottesdienst zusammen, weil wir uns besinnen auf das, was Martin Luther und viele seiner Mitstreiter neu in den Blick gerückt haben: Die frohe Botschaft unseres Herrn Jesus Christus wie sie in den heiligen Schriften formuliert und weiter gegeben wurde und wird. Martin Luther gab durch die Übersetzung der Bibel seinen Zeitgenossen die Heilige Schrift als tägliche Speise für die Seele an die Hand. Die technischen Möglichkeiten des Buchdrucks taten dazu ihr Übriges. Heute ist die Bibel das meistgedruckte Buch der Welt und ist durch zahlreiche Übersetzungen Millionen Menschen zugänglich. Bibelgesellschaften haben es sich zur Aufgabe gemacht, Bibeln auch zu den Ärmsten der Armen selbst in die entferntesten Winkel der Erde zu bringen. Ist das, wie manche behaupten, der Versuch, Menschen unter ein religiös moralisches Joch zu drücken? Bedeutet die Verbreitung der Heiligen Schriften, bestehende Machtverhältnisse zu bewahren und den Hungrigen im Hunger zu belassen? Warum Bibeln, wo doch der Kampf gegen Ungerechtigkeit und Armut viel vorrangiger wäre? Wovon lebt der Mensch? Mein Mann Ullrich war in diesem Sommer mit einer Gruppe von Jugendlichen und Erwachsenen in den USA. Sie haben im Rahmen der Partnerbeziehungen zwischen unserer Kirche und der United Church of Christ verschiedene Gemeinde im Bundesstaat Pennsylvania besucht und dabei eine wichtige Erfahrung gemacht: Fast jede Gemeinde sieht sich in der Verantwortung für Arme, Kranke oder anderweitig benachteiligte Menschen ganz konkret da zu sein. Dieses Engagement ist jedoch verbunden mit einem deutlich missionarischen Anliegen. Menschen sollen sowohl von Jesus Christus erfahren als auch konkrete Hilfe zum Leben bekommen. Beide Anliegen greifen ganz und gar ineinander. Ich denke, solch ein Gemeinde- und Glaubensverständnis ist ganz im Sinne unseres Herrn Jesus Christus selbst. Zum einen wies er den Teufel in seine Schranken als der ihn verführen wollte, aus Steinen Brot zu machen, um alle Hungrigen mit einem Schlag zu ernähren. Jesus sagte: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort Gottes. Zum anderen sorgte Jesus selbst immer wieder dafür, dass Menschen, die sich an ihn wandten, zu essen bekamen oder geheilt wurden. Und er forderte auch seine Freunde dazu auf, so 5 zu handeln. Gebt ihr ihnen zu essen! Im Johannesevangelium vergleicht Jesus sich selbst mit dem Brot, das Leben in Fülle ermöglicht. Jesus Christus spricht – wir haben es in der Evangeliumslesung gehört: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. Diesen Worten Jesu geht die Geschichte von der Speisung von 5000 Menschen voraus. Der Evangelist Johannes verzahnt also Sorge um den Leib und um die Seele ganz eng miteinander. Beides ist Teil der Verkündigung Jesu: Dasein für Menschen in der konkreten Fürsorge und gleichzeitig die Ermutigung, über die Sorge um den Leib und das tägliche Auskommen nicht die Sorge um das Seelenheil zu vernachlässigen. Beides gehört im Sinne Jesu unauflöslich zusammen. Wenn die Seeräuberjenny in der Dreigroschenoper nun fragt: „Denn wovon lebt der Mensch?“ - was geben wir zur Antwort? Wir können antworten mit dem Hinweis auf die zweite Bitte des Vaterunsers: Unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, ... Ja, wir brauchen unser tägliches Brot, ein Dach über dem Kopf und die Sicherheit, an Leib und Leben keinen Schaden zu nehmen. Ohne dem allen kann hier und überall auf der Welt kein Leben in Würde möglich sein. Doch ebenso sehr brauchen wir ein gutes menschliches Miteinander. Wir brauchen neben dem täglichen Brot Liebe und tägliche Vergebung, Respekt und das Zugeständnis von Würde. Wir brauchen die Gewissheit, dass unser kleines Leben einen Mehrwert hat. Wir brauchen Nahrung für den Leib und Nahrung für die Seele. Darum ist es sinnvoll und richtig, wenn im Namen Jesu Christi Not gelindert und gleichzeitig dem ermutigenden Wort Gottes Raum gegeben wird. Gottes Wort darf an jeden Menschen reichlich ausgeteilt werden. Wir glauben: Gottes Wort schenkt Trost in Kummer und Not. Es schenkt Hoffnung. Ebenso ermutigt es zum Handeln. Es ist Brot, von dem wir leben. Jesus Christus spricht: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. 6