Julius-Maximilians-Universität Würzburg Erste Staatsprüfung für ein Lehramt an Gymnasien, Herbst 2011 Schriftliche Hausarbeit Thema: "Die Transzendenz der Perioden gewisser elliptischer Funktionen“ eingereicht am: 24. März 2011 eingereicht von: Matrikelnummer: Fach: Dozent: Richard Vogel 1570199 Mathematik Prof. Dr. Jörn Steuding Institut für Mathematik Lehrstuhl für Mathematik IV Zulassungsarbeit § Für meinen Sohn Paul Leonhard Vogel ∗ 10.11.2010 2 Zulassungsarbeit § Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 5 2 Zahlenmengen 6 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 Die vertrauten Mengen N, Z, Q, R, C . . . . . . . . . . . . . Die algebraischen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigenschaften algebraischer Zahlen . . . . . . . . . . . . . . Transzendente Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der klassische Transzendenzbeweis . . . . . . . . . . . . . . Vorschau und Vorwegnahme einiger transzendenter Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Die Entdeckung transzendenter Zahlen 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 11 Liouvilles Approximationssatz . . . . . . . . . . . . . . Die Liouville-Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezialfälle von Liouville-Zahlen . . . . . . . . . . . . . Cantors Argument zur Existenz transzendenter Zahlen Die Liouville-Zahlen als Lebesgue-Nullmenge . . . . . Überabzählbarkeit der Liouville-Zahlen . . . . . . . . . Exkurs über überabzählbare Nullmengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Die Transzendenz der Zahl e 4.1 4.2 4.3 4.4 Geschichtliches zur Exponentialfunktion und der Eulerschen Zahl . Die Exponentialfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Eigenschaften und Zusammenhang zu anderen Funktionen Beweis der Transzendenz der Zahl e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 19 20 21 23 Geschichtliches zur Zahl π . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beweis der Transzendenz von π . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Elliptische Kurven und Funktionen 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 6.9 11 12 13 14 14 16 16 18 5 Transzendenz der Zahl π 5.1 5.2 6 7 7 8 8 8 23 24 27 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elliptische Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gitter und Gittervarianten . . . . . . . . . . . . . . . . Eisensteinreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elliptische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zum Residuum elliptischer Funktionen . . . . . . . . Die Weierstraßsche ℘-Funktion . . . . . . . . . . . . . Algebraische Differentialgleichungen der ℘-Funktion Über Nullstellen, Polstellen und Halbwerte . . . . . . 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 28 32 32 34 35 36 37 38 Zulassungsarbeit 6.10 6.11 6.12 6.13 § Inhaltsverzeichnis Das Additionstheorem von ℘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Additionstheorem von ℘0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Weierstraßsche ℘-Funktion als Gruppenhomomorphismus Exkurs: Die Weierstraßsche σ-Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Die Transzendenz der Perioden gewisser elliptischer Funktionen 7.1 7.2 47 Geschichtliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beweis des Satzes von Schneider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Die Gammafunktion 8.1 8.2 8.3 8.4 9.1 47 47 56 Geschichtliches . . . . . . . . . . . Definitionen der Gammafunktion Die Betafunktion . . . . . . . . . . Eigenschaften der Gammafunktion 9 Die Transzendenz von 40 42 44 46 Γ( 41 )2 √ π und . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Γ( 31 )3 π 63 Die ℘-Funktion als Inverse des elliptischen Integrals . . . . . . . . . . . . . . . Γ( 41 )2 √ π Γ( 13 )3 π 56 57 59 61 63 9.2 Die Transzendenz von . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 9.3 9.4 Die Transzendenz von . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Die Lemniskate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 65 10 Komplexe Multiplikation 67 10.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Gitter mit komplexer Multiplikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Die Transzendenz von Γ( 14 ) und Γ( 13 ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Oene Probleme und Schlusswort 67 67 69 71 11.1 Erzielte Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Weitere Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Offene Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A Anhang 71 72 73 74 A.1 Wichtige Sätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.2 Über Singularitäten und Diskriminanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.3 (Logarithmische) Konvexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 76 78 B Danksagung 82 C Eidesstattliche Erklärung 83 4 Zulassungsarbeit § 1 Einleitung § 1 Einleitung Diese Arbeit beschäftigt sich mit transzendenten Zahlen - komplexen Zahlen, die nie Nullstelle eines Polynoms (6≡ 0) mit rationalen Koeffizienten sein können. Thematisch fällt der Inhalt in das Gebiet der analytischen Zahlentheorie - eines Teilgebiets der Zahlentheorie, in dem analytische Methoden der Analysis und Funktionentheorie verwendet werden. Durch die Transzendenzbeweise einiger Zahlen - nämlich der Liouville-Zahlen, der Eulerschen Zahl e und der Kreiszahl π - wird die übliche Vorgehensweise bei Transzendenzbeweisen gezeigt. Im Zentrum der Arbeit steht der Beweis eines Satzes, der 1934 erstmalig von Theodor Schneider erbracht wurde. Dieser besagt, dass unter gewissen Voraussetzungen die Perioden elliptischer Funktionen transzendent sind. Hierfür werden die Grundlagen elliptischer Kurven und Funktionen erarbeitet. Durch einen Zusammenhang dieser beiden Konstrukte wird eine Brücke zwischen der Zahlentheorie und der Funktionentheorie geschaffen. Eine Variante des Beweises dieses zentralen Satzes wird für Spezialfälle in dem populärwissenschaftlichen Werk “Making transcendence transparent” von E. Burger und R. Tubbs (siehe [4]) skizziert. Eine Ausführung des allgemeinen Falles wird im Rahmen dieser Arbeit gegeben. Gegen Ende der Arbeit werden einige Konsequenzen aus diesem Satz gezogen. Hierbei werden explizit die Perioden zweier elliptischer Funktionen berechnet, die den Voraussetzungen des Satzes genügen. Durch Angabe eines weiteren Satzes, den Gregory Chudnovsky in den 1970ern bewies, werden die erzielten Ergebnisse noch weiter verfeinert. Der Inhalt der Arbeit wird größtenteils historisch chronologisch präsentiert, so dass der Leser einen Eindruck von der Entwicklung der Theorie der transzendenten Zahlen bekommt. Selbstverständlich wurde stets darauf geachtet, dass eine mathematisch korrekte Argumentation im Vordergrund steht. Durch interessante Exkurse, Kurzbiographien betreffender Mathematiker und historische Hintergründe wird die Arbeit in ihrer historischen Dimension erfasst. 5 Zulassungsarbeit § 2 Zahlenmengen § 2 Zahlenmengen 2.1 Die vertrauten Mengen N, Z, Q, R, C “Die natürlichen Zahlen hat der liebe Gott gemacht, alles andere ist Menschenwerk” Dieses Zitat von Leopold Kronecker (1823-1891) verdeutlicht, dass die Mathematik ihren Ursprung in den natürlichen Zahlen hat, die durch N0 = {0, 1, 2, 3, ...} gegeben sind. Die natürlichen Zahlen bilden mit der Addition und Multiplikation einen kommutativen Halbring. Durch Einführung der Subtraktion erhält man die ganzen Zahlen Z = {0, ±1, ±2, ...}, so dass nun zu jeder Zahl ihr additiv Inverses existiert. Diese Eigenschaft gibt den ganzen Zahlen die Struktur eines Ringes bezüglich Addition und Multiplikation. Bei den rationalen Zahlen Q = { ba : a ∈ Z, b ∈ N} existiert nun zu jeder Zahl mit Ausnahme der 0 ihr multiplikativ Inverses, so dass die rationalen Zahlen einen Körper bilden. Die rekursive Folge (qn )n∈N0 mit q0 : = 1 qn 1 q n +1 : = + 2 qn besteht sämtlich aus rationalen Zahlen. Bei der Berechnung des Grenzwertes q = lim qn kommt man jedoch auf die Gleichung q2 = 2, welche von keiner rationalen Zahl gelöst werden kann. Eine dadurch motivierte Vervollständigung der rationalen Zahlen führt zu den reellen Zahlen. Betrachtet man nun die quadratische Gleichung x2 = −1, so stellt man fest, dass keine reelle Zahl diese Gleichung lösen kann. Leonhard Euler (1707-1783) führte die imaginäre Einheit i als eine Lösung obiger Gleichung ein. Die Körpererweiterung R(i ) bildet die Menge der komplexen Zahlen C. Jede komplexe Zahl lässt sich durch ein Element der Menge { a + ib : a, b ∈ R} (kartesische Form) oder {r · eiϕ : r ∈ R+ und 0 ≤ ϕ < 2π } ∪ {0} (Polarform∗ ) darstellen. Geometrisch kann man sich die komplexen Zahlen als zweidimensionale Ebene - die sogenannte Gaußsche Zahlenebene - vorstellen. ∗ Hierbei bezeichnet zu einer komplexen Zahl z der Betrag r = |z| die Norm und ϕ = arg z das Argument. 6 Zulassungsarbeit § 2 Zahlenmengen 2.2 Die algebraischen Zahlen (2.1) Definition (algebraische Zahl) Eine Zahl α ∈ C heißt algebraisch, wenn ein Polynom p ∈ Q[ x ] mit p( x ) 6≡ 0 existiert, so dass p(α) = 0 gilt. 2.3 Eigenschaften algebraischer Zahlen • Die Menge der algebraischen Zahlen { a ∈ C : ∃ p ∈ Q[ x ], p( x ) 6≡ 0, p( a) = 0} wird auch als Q bezeichnet. Diese Notation verdeutlicht, dass der algebraische Abschluss der rationalen Zahlen die algebraischen Zahlen bildet. • Zu einer algebraischen Zahl α existiert ein eindeutiges, normiertes rationales Polynom p 6= 0 minimalen Grades, welches von α annulliert wird - das sogenannte Minimalpolynom. • Multiplizieren wir das Minimalpolynom mit dem Hauptnenner seiner Koeffizienten, so erhalten wir stets zu einer algebraischen Zahl ein annullierendes Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten. Sind die Koeffizienten des Minimalpolynoms bereits ganzzahlig, so heißt die Zahl α ganzalgebraisch. • Besitzt das Minimalpolynom einen Grad größer 1, so besitzt es keine rationale Nullstelle. • Der Grad [Q(α) : Q] der Körpererweiterung Q(α)|Q ist im Falle eines algebraischen α stets endlich und entspricht genau dem Grad des Minimalpolynoms von α, welcher mit deg(α) als Grad von α bezeichnet wird. • Die Menge Q bildet einen Körper. Hierfür genügt zu zeigen, dass für algebraische α, β stets α + β, α · β, −α, α−1 ∈ Q gilt. Einen Beweis hierfür findet man in den Arbeiten [18] und [20]. • Nach dem Fundamentalsatz der Algebra besitzt jedes Polynom n-ten Grades genau n Nullstellen. Die Nullstellen α = α1 , ..., αn des Minimalpolynoms eines algebraischen α heißen Konjugierte von α. 7 Zulassungsarbeit § 2 Zahlenmengen 2.4 Transzendente Zahlen (2.2) Definition (transzendente Zahl) Eine Zahl τ ∈ C heißt transzendent, wenn sie nicht algebraisch ist. Das erste Problem sticht sofort durch die indirekte Definition ins Auge. Eine transzendente Zahl τ ist eine Zahl, zu der es kein Polynom 0 6= p ∈ Q[ x ] gibt, so dass p(τ ) = 0 gilt. Da es nicht möglich ist, alle Polynome direkt auf diese Eigenschaft zu testen, läuft ein Transzendenzbeweis im Endeffekt stets über einen Widerspruch. 2.5 Der klassische Transzendenzbeweis 1. Zuerst nehme man an, die (als transzendent vermutete) Zahl τ sei algebraisch. 2. Aus sämtlichen Eigenschaften dieser Zahl und ihres Minimalpolynoms konstruiere man sich eine geeignete ganze Zahl N . 3. Nun wird gezeigt, dass N 6= 0 ist. 4. Indem man zeigt, dass |N | < 1 ist, hat man nun eine ganze Zahl 0 < N < 1 gefunden, so dass – unter der Annahme einer fehlerfreien Beweisführung – die Grundannahme der Algebraizität von τ fehlerhaft war. 2.6 Vorschau und Vorwegnahme einiger transzendenter Zahlen Die Geschichte der Transzendenz fängt damit an, dass 1844 Joseph Liouville (1809-1882) nicht nur die Existenz solcher Zahlen zeigte, sondern auch gleich einige Beispiele lieferte. Einen weiteren Beweis der Existenz transzendenter Zahlen erbrachte 1874 Georg Cantor (1845-1918), der gleichzeitig zeigte, dass es im Vergleich zu den algebraischen viel mehr transzendente Zahlen gibt. Diese Themen werden in Kapitel 3 behandelt. Einige Jahre nach der Entdeckung der Liouville-Zahlen gelang es Charles Hermite (1822-1901) im Jahre 1873, die Transzendenz der Eulerschen Zahl e = 2, 71828183... nachzuweisen. 1882 zeigte Ferdinand Lindemann (1852-1939), dass genau diese Eigenschaft auch für die Kreiszahl (oder Ludolphsche Zahl) π = 3, 14159265... zutrifft, was gleichzeitig heißt, dass die so lang ersehnte Quadratur des Kreises unmöglich ist. Die Umformulierung der klassischen Konstruktionsprobleme in die Sprache der Algebra erbringt die Erkenntnis, dass alle konstruierbaren Zahlen algebraisch sind und zwangsläufig einen Grad 2n mit n ∈ N0 besitzen.∗ Beweise für die Transzendenz von e und π folgen in Kapitel 3 und 4. ∗ Die Umkehrung dieses Satzes gilt nicht. Mit Hilfe der Galoistheorie lassen sich Zahlen vom Grad 4 konstruieren, die nicht mit Zirkel und Lineal konstruierbar sind. 8 Zulassungsarbeit § 2 Zahlenmengen Hermite und Lindemann erbrachten ein weiteres Resultat, indem sie zeigten, dass die Exponentialfunktion an algebraischen Stellen α 6= 0 stets transzendente Werte annimmt. Eine sofortige Konsequenz hieraus ist unter anderem die Transzendenz von e und π ∗ . Der Satz von Lindemann-Weierstraß (1882 bzw. 1885) geht noch einen Schritt weiter und zeigt, dass für paarweise verschiedene algebraische αi mit i ∈ {1, ..., n} und algebraische Koeffizienten β i (nicht sämtlich 0) die Gleichung β 1 e α1 + · · · + β n e α n = 0 nicht erfüllt sein kann. Diese beiden mächtigen Sätze werden nicht im Rahmen dieser Arbeit behandelt, Interessierte können sie jedoch u.a. in [26] nachlesen. Als 1900 David Hilbert (1862-1943) dreiundzwanzig ungelöste mathematische Probleme veröffentlichte, dauerte es 34 Jahre, bis zuerst Alexander Ossipowitsch Gelfond (1906-1968) und ein Jahr später Theodor Schneider (1911-1988) unabhängig voneinander das siebte Problem lösten. Die Frage, ob für algebraische 0 6= α 6= 1 und algebraische, irrationale β die Zahl α β stets transzendent ist, verifizierten beide. Der Satz von Gelfond-Schneider 1934 hat die direkte Konsequenz, dass eπ transzendent ist, da eπ = (−1)−i nach der Eulerschen Formel gilt. Eine schöner Beweis ist in der Arbeit [4] nachzulesen. Nachdem bereits sogenannte elliptische Funktionen herangezogen worden sind, um Transzendenzresultate zu liefern, konnte Schneider 1934 die Transzendenz der von Carl Friedrich Gauß (1777-1855) eingeführten lemniskatischen Konstante v=2 Z1 0 √ dt 1 − t4 zeigen. Eine Einführung in elliptische Kurven und Funktionen, der Satz von Schneider und die daraus resultierenden Folgerungen bilden den Kern dieser Arbeit und werden in den Kapiteln 6 bis 9 genauer untersucht. Nach Vorarbeiten von Axel Thue (1863-1922) und Carl Ludwig Siegel (1896-1981) konnte Klaus Friedrich Roth (*1925) die Aussage von Liouville verschärfen. Der Satz von ThueSiegel-Roth besagt, dass es für eine irrationale algebraische Zahl α und ein beliebiges ε > 0 nur endlich viele ganze Zahlen p, q mit q > 0 gibt, so dass die Ungleichung α − p < 1 q q 2+ ε erfüllt ist. Der Beweis lässt sich in der Arbeit [22] einsehen. Eine direkte Anwendung dieses Satzes ist die Transzendenz der Zahl 0, 123456789101112131415..., welche durch die Aneinanderreihung der natürlichen Zahlen entsteht. ∗ Für e betrachte man den Exponenten 1. Wäre π algebraisch, dann auch iπ. Dann wäre aber eiπ = −1 transzendent, was offensichtlich nicht erfüllt ist. 9 Zulassungsarbeit § 2 Zahlenmengen 1966 erbrachte Alan Baker (*1939) mit dem Linearformensatz ein weiteres Resultat: Für αi , β i ∈ Q sei λ := β 1 log α1 + · · · + β n log αn . Dann gilt entweder λ = 0 oder λ ist transzendent. Näheres hierzu in der Arbeit [2]. In den siebziger Jahren arbeitete Gregory Chudnovsky (*1952) unter anderem an der algebraischen Unabhängigkeit, so dass er die Transzendenz gewisser Werte der Gammafunktion zeigen konnte. Darauf wird in Kapitel 10 eingegangen. Dieser kurze geschichtliche Abriss∗ stellt die Meilensteine aus 167 Jahren intensiven Nachdenkens über die Natur der Zahlen dar und soll den Appetit auf elegante Mathematik und technische Gleichungen und Formeln anregen. ∗ Einen ausführlicheren geschichten Abriss findet man in [6] 10 Zulassungsarbeit § 3 Die Entdeckung transzendenter Zahlen § 3 Liouville und die Entdeckung transzendenter Zahlen Abbildung 1: Joseph Liouville (∗ 24. März 1809 in Saint-Omer, †8. September 1882 in Paris) entdeckte mit den Liouville-Zahlen die transzendenten Zahlen. Obwohl Euler bereits Mitte des 18. Jahrhunderts von der Existenz “algebraisch schwer fassbarer Zahlen” überzeugt war, gelang es erstmals Liouville, durch ein konstruktives Verfahren nicht nur die Existenz transzendenter Zahlen zu beweisen, sondern gleichzeitig sogar für eine Menge von Beispielen zu sorgen. 3.1 Liouvilles Approximationssatz (3.1) Satz (Approximationssatz) Für eine algebraische Zahl α mit deg (α) = d existiert eine Konstante 0 < c = c (α), die p alleine von α abhängt, so dass für jede rationale Näherung q 6= α mit q > 0 die Ungleichung p c (1) ≤ α − q qd erfüllt ist. Beweis Falls α nicht reell ist, beträgt der Abstand zur reellen Achse offensichtlich | Im (α)|. Für jede p rationale Approximation q ∈ Q gilt somit α − p ≥ | Im (α) | ≥ | Im (α) | q qd und eine Konstante c ist mit c = | Im (α) | gefunden. p Für reelles α nehmen wir an, dass α − q ≥ 1 ist. Für diesen Fall ist als Konstante c = 1 zu wählen. 11 Zulassungsarbeit § 3 Die Entdeckung transzendenter Zahlen Für den Fall, dass der Abstand zu unserer algebraischen Zahl kleiner als 1 ist, betrachten wir das mit dem Hauptnenner multiplizierte Minimalpolynom f ∈ Z[ x ] von α mit d f (x) = ∑ ai xi , wobei f (α) = 0 und ad > 0 gilt. i =0 Da f keine rationale Nullstelle besitzt (Irreduzibilität), gilt i d p p 1 = ∑ ai = d 0 6= f q q q i =0 d N ∑ ai pi q d −i = q d , i =0 wobei wegen ai , p, q ∈ Z die Zahl N ∈ Z \ {0} ist. Eine Abschätzung Mittelwertsatz der Differentialrechnung zeigt nun die Existenz o dem n o n mit p p eines ξ ∈ min α, q , max α, q , so dass p p 1 | N | p 0 f = f α − f = | f ξ | α − ≤ = ( ) ( ) q q q qd qd gilt. Da wir nun eine Konstante gefunden haben, welche jedoch noch von wir nur noch das Maximum M der Menge 0 f (ξ ) : ξ ∈ [α − 1, α + 1] p q abhängt, müssen 1 wählen und davon das Reziproke M als die Konstante c(α) definieren. Die Existenz des Maximums dieser Menge ist dadurch gesichert, dass wir eine stetige Funktion auf einem abgeschlossenen Intervall betrachten. Die Möglichkeit der Kehrbruchbildung ist dadurch gesichert, dass das Minimalpolynom nicht konstant sein kann, und somit die Ableitung nicht auf ganz [α − 1, α + 1] verschwindet. Durch die Definition c := min 1, M−1 ist für den Fall eines reellen α nun eine Konstante gefunden und der Satz bewiesen. 3.2 Die Liouville-Zahlen (3.2) Satz (Liouville-Zahlen) Gibt es zu α ∈ R für jedes m ∈ N eine rationale Zahl α − p < 1 , q qm p q 6= α mit q > 1 und (2) so ist α transzendent. Genau diese Zahlen nennt man die Menge der Liouville-Zahlen L. 12 Zulassungsarbeit § 3 Die Entdeckung transzendenter Zahlen Beweis Fügt man diese Ungleichung mit (1) zusammen, so erhält man mit p 1 c ≤ α − < m d q q q die Ungleichung c < qd−m , welche für große m offensichtlich falsch ist. Zugegeben, diese ersten Beweise waren mathematisch nicht besonders anspruchsvoll, jedoch führen sie uns direkt zur Transzendenz einer expliziten Liouville-Zahl: (3.3) Korollar (Liouville-Zahl) Die Zahl ∞ λ := ∑ 10−n! n =1 ist transzendent. Beweis Wäre diese Zahl algebraisch, so hätte sie aufgrund ihrer offensichtlich nicht vorhandenen periodischen Dezimalbruchentwicklung einen Grad größer 1. Betrachten wir nun die Folge (qn )n∈N der Partialsummen von λ, also n qn = ∑ 10−i! . i =1 Jede Zahl qn ist wegen der Endlichkeit der Summation rational und besitzt den Nenner 10n! . Für den Abstand zu λ gilt nun ∞ −i! |λ − qn | = ∑ 10 . i = n +1 Ersetzen wir nun ab der (n + 1)!-ten Nachkommastelle alle Nullen durch Einsen und bilden wir den Grenzwert mittels der unvollständigen geometrischen Reihe, so erhalten wir ∞ ∑ 10 i = n +1 −i! ∞ < ∑ 10 i =(n+1)! −i 10 = 9 1 10 ( n +1) ! < 1 , 10n!·n woraus nach Satz 3.2 die Transzendenz von λ bewiesen wäre. 3.3 Spezialfälle von Liouville-Zahlen Die Menge ( L0 = ∞ ∑ ai 10−i! : ai ∈ 0, ..., 9 und unendlich viele ai 6= 0 i =1 13 ) (3) Zulassungsarbeit § 3 Die Entdeckung transzendenter Zahlen enthält nur transzendente Zahlen. Diese Menge ist in den Liouville-Zahlen enthalten, so dass es sich bei L0 und somit auch bei L um unendlich große Mengen handelt. Diese Aussagen lassen sich mit der selben Beweisidee wie in Korollar 3.3 zeigen∗ . Diese Überlegung hat eine sehr interessante Folgerung, auf die wir später noch zurückkommen werden. 3.4 Cantors Argument zur Existenz transzendenter Zahlen Einen anderen Beweis für die Existenz transzendenter Zahlen erbrachte 1874 Georg Cantor. Bekannt ist er für die Begründung der Mengenlehre und im Studium der Mathematik taucht sein Name spätestens zusammen mit dem Cantorschen Diskontinuum auf. Dementsprechend dürfte es nicht verwunderlich sein, dass er die Existenz transzendenter Zahlen nicht aus zahlentheoretischen Erkenntnissen folgerte, sondern mengentheoretisch argumentierte: (3.4) Satz Die Menge der algebraischen Zahlen ist abzählbar. Beweis Da es nur abzählbar viele rationale Zahlen gibt und jedes Polynom über den rationalen Zahlen endlich viele Koeffizienten in Q besitzt, gibt es dementsprechend nur abzählbar viele Polynome in Q. Jedes von ihnen besitzt nach dem Fundamentalsatz der Algebra endlich viele Nullstellen, so dass die Vereinigung all dieser Nullstellen wiederum eine abzählbare Menge bilden. Diese entspricht laut Definition genau der Menge der algebraischen Zahlen. Hieraus folgt schnell, dass das Komplement C \ Q überabzählbar und nicht leer ist. So ist nicht nur die Existenz transzendenter Zahlen gezeigt, sondern auch die Tatsache, dass “fast alle“ Zahlen genau diese Eigenschaft besitzen. Stochastisch gesehen beträgt also die Wahrscheinlichkeit, dass eine zufällig gewählte Zahl transzendent ist, 100%. 3.5 Die Liouville-Zahlen als Lebesgue-Nullmenge Da wir mit den Liouville-Zahlen eine unendlich große Menge transzendenter Zahlen gefunden haben, interessieren wir uns dafür, wie mächtig diese Menge nun sein mag. (3.5) Satz Die Menge der Liouville-Zahlen L bildet eine Nullmenge bezüglich des Lebesgue-Maßes† . ∗ Ausführlich † Definition in [4]. und Eigenschaften von Maßen finden sich beispielsweise in [8] 14 Zulassungsarbeit § 3 Die Entdeckung transzendenter Zahlen Beweis Der Standardbeweis geht über die in (2) erwähnte Eigenschaft der Liouville-Zahlen und über eine geeignete Überdeckung, welches das Lebesgue-Maß 0 besitzt. Für jedes n, q ∈ N sei Vn,q := [ 1 p 1 p − n, + n q q q q p ∈Z . Durchlaufen wir nun für jeden Nenner q > 1 alle Zähler und betrachten genau den Bereich, in welchem nach Satz 3.2 die Liouville-Zahlen liegen, so ist für jedes n ∈ N die Vereinigung L⊂ ∞ [ [ q =2 p ∈Z p 1 p 1 − n, + n q q q q eine geeignete Überdeckung der Liouville-Zahlen. Wir beschränken uns nun auf einen kleineren Bereich und betrachten nun den Schnitt mit dem offenen Intervall (−1, 1). Nun gilt für jedes n ∈ N L ∩ (−1, 1) ⊂ ∞ [ q ∞ [ [ Vn,q ∩ (−1, 1) ⊂ q=2 p=−q q =2 p 1 p 1 − n, + n q q q q . Da die Menge stets die Liouville-Zahlen überdeckt, gilt ab n ≥ 3 für das Lebesgue-Maß λ der Liouville-Zahlen im Bereich (−1, 1) q ∞ [ [ p 1 p 1 − n, + n q q q q q=2 p=−q q ∞ p 1 p 1 ≤ ∑ ∑ λ − n, + n q q q q q=2 p=−q λ (L ∩ (−1, 1)) ≤ λ ∞ = ∞ 2 2(2q + 1) = ∑ n q qn q=2 p=−q q =2 q ∑ ∑ ∞ ∞ 1 =4∑ n −1 q =2 q + 1 ∑ qn q =2 | {z } ≤4 ≤ 4 Z∞ |1 1 dq q n −1 {z } Betrachtung als Obersumme 15 = 4 n−2 Zulassungsarbeit § 3 Die Entdeckung transzendenter Zahlen Mit n → ∞ ergibt sich, dass die Überdeckung eine Nullmenge ist. Eine Translation auf die Intervalle (2m + 1, 2m + 3), m ∈ Z ergibt die Eigenschaft der Liouville-Zahlen als LebesgueNullmenge. 3.6 Überabzählbarkeit der Liouville-Zahlen Kommen wir nun auf die Menge L0 aus (3) zurück, so können wir mit dem Cantorschen Diagonoalverfahren folgenden Satz zeigen: (3.6) Satz Die Liouville-Zahlen L sind überabzählbar. Wir führen den Beweis komplett analog zu dem bekannten Beweis der Überabzählbarkeit der reellen Zahlen, nur dass wir hier als Spielraum nicht jede, sondern nur jede 10n! -te Nachkommastelle betrachten. Da die Zahlen aus (3) in L enthalten sind, reicht es, die Überabzählbarkeit dieser Teilmenge zu beweisen. Beweis Angenommen, es existiere eine Abzählung (ci )i∈N , die alle Zahlen der Menge L0 beinhaltet. Nun konstruieren wir durch Wahl geeigneter ai ∈ {0, ..., 9} eine Zahl c = ∑i∞=1 ai 10−i! ∈ L0 , die jedoch nicht in dieser Abzählung vorkommt: Ist die 10k! -te Nachkommastelle von ck ungleich 4, so definiere ak := 4, ansonsten ak := 5. Nun ist c wegen ihrer Darstellung als Grenzwert der Reihe selbst in der Menge L0 enthalten, jedoch nach Konstruktion von allen Zahlen der Abzählung (ci )i∈N verschieden - ein Widerspruch. 3.7 Exkurs über überabzählbare Nullmengen Abzählbarkeit und Überabzählbarkeit sind die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale, um die Größe von Mengen mit unendlicher Anzahl von Elementen einstufen zu können. Die rationalen Zahlen sind bekanntermaßen abzählbar - besitzen also die gleiche Mächtigkeit wie die natürlichen Zahlen. Mit Einführung des Lebesgue-Maßes lässt sich zu beinahe∗ jeder Teilmenge des Rn sein Inhalt zuweisen, wobei abzählbaren Mengen stets das Lebesgue-Maß 0 zugeordnet wird. Das Standardbeispiel einer überabzählbaren Lebesgue-Nullmenge ist das Cantorsche Diskontinuum. Nun sind wir mit den Liouville-Zahlen auf eine weitere Menge gestoßen, die diese Eigenschaft mit ihm teilt. ∗ Mit Hilfe des Auswahlaxioms lässt sich die Existenz nicht Lebesgue-messbarer Mengen zeigen. Das BanachTarski-Paradoxon baut auf diese Mengen auf. 16 Zulassungsarbeit § 3 Die Entdeckung transzendenter Zahlen Um die Beispielsammlung etwas aufzufüllen, werden hier noch ein paar weitere Mengen angegeben, bei denen der Beweis einer überabzählbaren Nullmenge als kleine Hausaufgabe aufgegeben wird. (3.7) Beispiel 1. Im Rn ist jede überabzählbare Teilmenge des Rn−1 eine überabzählbare LebesgueNullmenge. 2. Eine Zahl, in deren Dezimalbruchentwicklung jede endliche Ziffernfolge der Länge k ∈ N gleichwahrscheinlich vorkommt, heißt normal. Die Menge der „nicht-normalen Zahlen“ bildet eine überabzählbare Lebesgue-Nullmenge. 3. Die Menge aller reellen Zahlen, in deren Dezimalbruchentwicklung eine bestimmte Ziffer fehlt, bildet eine überabzählbare Lebesgue-Nullmenge. Dies gilt im Übrigen für beliebige Basen, nicht nur für das Dezimalsystem. Blicken wir kurz auf die Welt der normalen Zahlen, so stellten 2001 David H. Bailey und Richard E. Crandall in [1] eine interessante These auf. Sie vermuten, dass jede irrationale algebraische Zahl normal ist. Würde sich diese Vermutung als wahr herausstellen, so hätten wir sofort mit Beispiel 3.7(3) eine weitere überabzählbare Menge transzendenter Zahlen gefunden. Negation der Aussage von Bailey und Crandall und Einschränkung auf die reellen Zahlen liefert irrational ∧ algebraisch ⇒ normal rational ∨ transzendent ⇐ nicht normal. In Beispiel 3.7(3) wurde eine Menge angegeben, die überabzählbar viele nicht normale Zahlen besitzt. Nach Ausschluss der abzählbar vielen rationalen Zahlen erhalten wir somit eine überabzählbare Lebesgue-Nullmenge transzendenter Zahlen. 17 § 4 Die Transzendenz der Zahl e Zulassungsarbeit § 4 Die Transzendenz der Zahl e Abbildung 2: Charles Hermite (∗ 24. Dezember 1822 in Dieuze, †14. Januar 1901 in Paris) erbrachte sein berühmtestes Resultat mit der Transzendenz der Eulerschen Zahl. Lindemann besuchte Hermite kurz nach der Veröffentlichung des Beweises und zeigte neun Jahre später aufbauend auf Hermites Beweismethoden die Transzendenz der Kreiszahl π. 4.1 Geschichtliches zur Exponentialfunktion und der Eulerschen Zahl Kontoentwicklungen, Wachstum von Popularitäten, Ausbreitung von Krankheiten, Tonhöhen. In Natur und Technik gibt es eine Fülle von Beispielen, welche alle auf exponentielles Wachstum zurückzuführen ist. Da man von exponentiell wachsenden Prozessen meißtens den Zeitpunkt bestimmen wollte, an dem ein gewisser Wert angenommen wird, stand lange Zeit das Rechnen mit Logarithmen im Fokus. Nachdem es gewisse Vorstufen bereits im Altertum gab, gilt der schottische Mathematiker John Napiers zu den wichtigsten Wegbereitern der systematischen Rechnung mit Logarithmen. Leonhard Euler drehte den Spieß um und betonte, dass Logarithmen lediglich Hochzahlen sind und es im Prinzip auf die Basis ankommt. Die Herleitung der Zahl e - also die Basis des natürlichen Logarithmus’ - veröffentlichte er in seinem Werk “Introductio in Analysin Infinitorum”.∗ ∗ Diese und andere Informationen zur Geschichte der Eulerschen Zahl stehen im Buch [17] 18 § 4 Die Transzendenz der Zahl e Zulassungsarbeit 4.2 Die Exponentialfunktion (a) Re(exp(z)) (c) |exp(z)| (b) Im(exp(z)) Abbildung 3: Die Exponentialfunktion exp(z). Die Existenz der reinimaginären Periode 2πi lässt sich in den beiden linken Bildern erahnen. Der aus dem Reellen bekannte exponentielle Anstieg wird durch das rechte Bild visualisiert. (4.1) Definition (Exponentialfunktion) Bei der Einführung der Exponentialfunktion kann man sich verschiedenen Darstellungen bedienen. Die bekannteste ist wohl die Reihendarstellung exp : C → C mit exp( x ) := ∞ ∑ k =0 xk . k! (4) Alternative Definitionen der Exponentialfunktion können unter anderem als differenzierbare Funktion exp : C → C, die der Funktionalgleichung exp( x + y) = exp( x ) · exp(y) mit exp0 (0) = 1 genügt, in Form der Lösung der Differentialgleichung exp0 ( x ) = exp( x ) mit dem Anfangswertproblem exp(0) = 1, oder als Grenzwert der Folge x n exp( x ) = lim 1 + n→∞ n gegeben werden. Durch die Definition der allgemeinen Potenzfunktion a x := exp( x log a) und der Zahl e als Basis des natürlichen Logarithmus’ folgt exp( x ) = e x . 19 § 4 Die Transzendenz der Zahl e Zulassungsarbeit (4.2) Beweisskizze (Äquivalenz der Definitionen) Jeder dieser Ausdrücke hat seine Schwierigkeit für sich. Die Äquivalenz der Ausdrücke ergibt sich am einfachsten durch ex = ∑ x k 1. x+y x n 3. x 0 2. 4. ⇒e = e x · ey ⇒ e x = lim 1 + ⇒ (e ) = e x ⇒ e x = k! n ∑ xk . k! Im Schritt 1 benötigt man das Cauchyprodukt für Reihen, in 2 lediglich die Konvergenz der Folge, in 3 die gleichmäßige Konvergenz zur Vertauschung von Differentiation und Grenzwertbildung sowie Eindeutigkeitssätze aus dem Gebiet der Differentialgleichungen und der vierte Schritt verlangt nach der Kenntnis der Taylorschen Formel für die Entwicklung in eine Potenzreihe. 4.3 Weitere Eigenschaften und Zusammenhang zu anderen Funktionen Die Abbildung exp : R → R, x → exp( x ) • besitzt die Grenzwerte limx→−∞ exp( x ) = 0, limx→∞ exp( x ) = ∞, • nimmt nur positive Werte an (Beweis per Funktionalgleichung), • wächst streng monoton (Beweis per Differentialgleichung). Wertet man für x ∈ R die Exponentialfunktion an der Stelle ix = Ergebnis nach Real- und Imaginärteil auf, so erhält man mit eix = √ −1x aus und teilt das ∞ ∞ ∞ 2k (ix )k x2k+1 k x = (− 1 ) + i · (−1)k = cos x + i sin x ∑ k! ∑ ∑ (2k)! (2k + 1)! k =0 k =0 k =0 (5) die bekannte Eulersche Formel - einen wunderschönen Zusammenhang zwischen der Exponentialfunktion und den trigonometrischen Funktionen. Die Eulersche Identität eiπ + 1 = 0 (6) ist eine direkte Folgerung daraus und stellt eine der schönsten Formeln der Mathematik dar. Der natürliche reelle Logarithmus log wird als Umkehrfunktion der Exponentialfunktion definiert. Probleme gibt es hier jedoch bei der Fortsetzung des Logarithmus’ in die komplexe Zahlenebene. Wegen der 2πi-Periodizität der Exponentialfunktion ist die Bijektivität der Exponentialfunktion nicht mehr gegeben. So ist für jedes k ∈ Z zu einer Lösung a der Gleichung e x = b mit a0 = a + 2kiπ eine weitere Lösung gefunden. Eindeutigkeit erreicht man, indem man nur Lösungen a mit −π < Im a < π zulässt. Stellt man eine komplexe Zahl z in Polarkoordinaten dar, so erhält man mit x = log |b| + i (arg(b) + 2kπ ) alle Lösungen obiger Gleichung. Für k = 0 erhält man den Hauptzweig des Logarithmus’, welcher stets im Rahmen dieser Arbeit verwendet wird. 20 § 4 Die Transzendenz der Zahl e Zulassungsarbeit Zu einer komplexen Zahl z ist also der komplexe natürliche Logarithmus durch log(z) := logR (|z|) + i · arg(z) definiert, wobei logR den reellen natürlichen Logarithmus bezeichnet. 4.4 Beweis der Transzendenz der Zahl e Charles Hermite veröffentlichte 1873 den ersten Beweis, bevor David Hilbert zwanzig Jahre später eine wesentlich einfachere Variante erbrachte, der auf die Abschätzung von Integralen basiert und auch die Eulersche Gammafunktion verwendet. Adolf Hurwitz machte kurze Zeit später darauf aufmerksam, dass Hilbert seinen Beweis modifizierte und die Transzendenz nur noch mit Verwendung der Differentiation zeigen konnte. Diesen Beweis – verfügbar in [12] – wollen wir hier vorstellen, da er kurz gefasst ist und die Grundgedanken eines typischen Transzendenzbeweises beinhaltet. (4.3) Satz (Hermite 1873) Die Eulersche Zahl e ist transzendent. Beweis Wir starten mit der Annahme, dass e algebraisch ist, also ein Polynom p( x ) = ∑in=0 ai xi mit ganzzahligen ai ∈ Z, a0 > 0 existiert, so dass p(e) = 0 gilt. Wir betrachten ein Polynom f ( x ) m-ten Grades und definieren das Polynom F ( x ) m-ten Grades durch m F(x) = ∑ f (i ) ( x ). i =0 Nach der Produktregel ist nun e− x F ( x ) 0 =e−x ( F 0 ( x ) − F ( x )) =e− x =−e m m ∑ f (i ) ( x ) − ∑ f (i ) ( x ) i =1 −x ! i =0 f ( x ), so dass wir bei der Anwendung des Mittelwertsatzes der Differentialrechnung für ein ξ ∈ R mit 0 < ξ < 1 die Gleichungen e− x F ( x ) − e0 F (0) = − xe−ξx f (ξx ) bzw. F ( x ) − e x F (0) = − xe(1−ξ )x f (ξx ) (7) erhalten. Nehmen wir nun eine Primzahl p > max{ a0 , n} und betrachten das Polynom m := (n + 1) p − 1-ten Grades f (x) = x p −1 ( p − 1) ! 21 n ∏( x − i ) p , i =1 (8) § 4 Die Transzendenz der Zahl e Zulassungsarbeit so erhalten wir für k = 1, ..., n F ( k ) − e k F ( 0 ) = − k · e (1− ξ ) k (ξk) p−1 n (ξk − i ) p =: ζ k , ( p − 1) ! ∏ i =1 (9) wobei der rechte Ausdruck für wachsende p beliebig klein wird. Dies basiert darauf, dass die Fakultät schneller wächst als jede Potenz. Eine andere Sichtweise auf die Werte F (k ) erhalten wir, wenn wir nun m f (k + h) = ∑ i =0 f (i ) ( k ) i h, i! um den Entwicklungspunkt k entwickeln. Wir erhalten die Werte F (k ) dadurch, indem wir hi durch i! ersetzen. Da die Linearfaktoren ( x − 1), ..., ( x − n) von f in p-ter Potenz vorkommen, sind die Zahlen F (1), ..., F (n) durch p teilbare ganze Zahlen. F (0) ist zwar ganzzahlig, jedoch nicht durch p teilbar, was darauf zurückzuführen ist, dass x nur in ( p − 1)-ter Potenz vorkommt. Formen wir (9) um, so erhalten wir für k = 1, ..., n ek = F (k) − ζ k . F (0) Nun gilt 0 = p(e) = ⇔ n n k =0 n k =1 n k =1 k =0 ∑ ak ek = ∑ ak F (k) − ζ k + a0 , F (0) ∑ a k ζ k = ∑ a k F ( k ), wobei die rechte Seite wegen des Summanden a0 F (0) nicht durch p teilbar ist. Somit verschwindet n N := ∑ ak F (k ) k =0 nicht. Da ak , F (k ) ∈ Z ist, ist N eine ganze Zahl, für die für wachsende p n 0 < | N | = ∑ ak ζ k < 1. k =1 gilt. Ein Widerspruch. 22 Zulassungsarbeit § 5 Transzendenz der Zahl π § 5 Transzendenz der Zahl π Abbildung 4: Carl Louis Ferdinand von Lindemann (∗ 12. April 1852 in Hannover, †6. März 1939 in München) wurde in Würzburg habilitiert. Zu seiner Freiburger Zeit (1877-1883) löste er mit der Transzendenz der Kreiszahl π das über 2000 Jahre alte Problem der Unmöglichkeit der Quadratur des Kreises. 5.1 Geschichtliches zur Zahl π Im historischen Kontext werden die alten Ägypter als Erste erwähnt, die sich mit Schätzungen der Zahl π auseinandersetzten, gefolgt von den Babyloniern, Chinesen, Indern und der Bibel. Archimedes von Syrakus mit einer Kreisapproximation mittels eines 96-Ecks, Ludolph van Ceulen mit der gleichen Methode mittels eines 262-Ecks (daher auch „Ludolphsche Zahl“), Franciscus Vieta mit einem unendlichen Produkt, John Wallis mit dem wallisschen Produkt, Gottfried Wilhelm Leibniz mit seiner Reihendarstellung, Leonhard Euler mit berech2 neten Werten ζ (2) = π6 der Riemannschen ζ-Funktion und Johann Heinrich Lambert mit einem Kettenbruch waren einige der vielen berühmten Personen, die sich mit Berechnungen der Kreiszahl auseinandersetzten. Zwar wurde es schon lange vermutet, jedoch gelang Lambert erst in den 1770er Jahren der Irrationalitätsbeweis. Dennoch hörte die Jagd nach den Nachkommastellen von π nicht auf, so dass immer wieder neue Rekorde bezüglich der Anzahl der berechneten Nachkommastellen aufgestellt werden. 2010 stand der Rekord bei 5 Billionen Stellen, so dass der Rekord von 2009 nahezu verdoppelt wurde.∗ Man merkt anhand der vielen äußerst bekannten Namen, der vielen äußerst wichtigen Formeln, der Jahrtausenden langen Forschung und der Rekordjagd, dass π als eine der bedeutendsten Zahlen hervorgehoben wird. Wir stellen hier den Standardbeweis für die Transzendenz von π vor, der unter anderem in [2] durchgeführt wird. ∗ Einen tieferen Einblick in die Geschichte dieser Zahl bieten die Bücher [6] oder [3] 23 Zulassungsarbeit § 5 Transzendenz der Zahl π 5.2 Beweis der Transzendenz von π (5.1) Satz (Lindemann 1882) Die Kreiszahl π ist transzendent. Beweis Ist π algebraisch, dann auch iπ. Sei p ∈ Z[ x ] \ {0} derart, dass p(iπ ) = 0 gilt und r := deg p > 1 minimal ist. Der Leitkoeffizient von p wird mit b bezeichnet. So ist nach Satz A.1 (im Anhang) biπ eine ganzalgebraische Zahl. Nun gilt nach der Eulerschen Identität (6) und für {iπ = θ1 , ..., θr } als Menge der Konjugierten von iπ r ∏ 1 + eθk = 0. k =1 r Ausmultiplizieren des Ausdrucks ergibt 2r Terme der Form e∑k=1 ε j,k θk mit ε j,k ∈ {0, 1} und j = 1, ..., 2r . Die 2r Exponenten der Gestalt ∑rk=1 ε j,k θk definieren wir als φj mit j = 1, ..., 2r . Einige dieser Ausdrücke verschwinden (z.B. für die beiden Zahlen eiπ , e−iπ ), so dass n von den 2r Termen nicht verschwinden. Ohne Einschränkung ordnen wir die φj derart an, so dass φj 6= 0 für j = 1, ..., n und φj = 0 für j = n + 1, ..., 2r gilt. Nun ist also 0 = 2r − n + n ∑ eφ . (10) k k =1 Für eine große Primzahl p sei nun n f ( x ) := bnp x p−1 ∏ ( x − φk ) p = k =1 m ∑ ak x k , (11) k =0 wobei m := deg( f ) = ((n + 1) p − 1) den Grad des Polynoms bezeichnet und die Koeffizienten ak passend gewählt werden müssen. Für die Koeffizienten ak gilt∗ ak ≤ bnp max {|φk |}np . 1≤ k ≤ n (12) Da diese Funktion für eine große Primzahl p eine symmetrische Funktion in φ1 , ..., φ2r ist, gilt nach dem Satz über die elementarsymmetrischen Polynome f ∈ Z[ x ]. Definieren wir I (t) := Zt et−u f (u)du, 0 so gilt offensichtlich I (φj ) = 0 für j = n + 1, ..., 2r . Indem man eine m-fache partielle Integration durchführt, zeigt man, dass I (t) = et m ∑ f ( k ) (0) − k =0 m ∑ f (k) ( t ) (13) k =0 ∗ Die Voraussetzung hierfür ist, dass das Betragsmaximum der φk größer oder gleich 1 ist. Das ist jedoch wegen φk = iπ für ein k erfüllt. 24 Zulassungsarbeit § 5 Transzendenz der Zahl π gilt. Eine Abschätzung von I (t) liefert nun Zt t − u | I (t)| ≤ |e f (u)|du ≤ 0 Zt t − u max {|e |} max {| f (u)|}du 0≤ u ≤ t 0≤ u ≤ t 0 m (11) ≤ |t| max {|et−u |} max {| f (u)|} ≤ |t|e|t| ∑ ak tk . 0≤ u ≤ t 0≤ u ≤ t Sei nun 2r J := ∑ (14) k =0 n I (φk ) = k =1 ∑ I (φk ), k =1 so gilt nach (13) n J= m n m ∑ eφ ∑ f ( j) (0) − ∑ ∑ f ( j) (φk ) k k =1 j =0 k =1 j =0 m (10) m = ( n − 2r ) ∑ f ( j ) ( 0 ) − ∑ j =0 n ∑ f ( j) (φk ). j =0 k =1 Da mit biπ auch die bφk ganzalgebraisch sind, ist die Doppelsumme ein symmetrisches Polynom in φ1 , ..., φn und somit (da in der Definition von f der Faktor bnp enthalten ist) eine ganze Zahl. Da in der Definition von f die Faktoren ( x − φk ) in p-Potenz vorkommen, ist f ( j) (φk ) = 0 für j < p. Für j ≥ p entsteht in jedem Summanden ein Faktor p!, so dass p! die Doppelsumme teilt. In der linken Summe verschwinden die ersten p − 2 Summanden, da der Faktor x in ( p − 1)-ter Potenz vorkommt. Aus dem selben Grund wie oben sind die Summanden f ( j) (0) für j ≥ p durch p! teilbar. Es fehlt, den p − 1-ten Summanden zu betrachten. Da nun f ( p−1) (0) = bnp (−1)np ( p − 1)!(φ1 · ... · φn ) p gilt, das Produkt c := (φ1 · ... · φn ) konstant ist und p größer als max{|c|, b, 2r − n} gewählt werden kann, gilt für große Primzahlen p p - f ( p −1) (0 ). Somit ist zwar ( p − 1)! ein Teiler von J, jedoch p nicht, so dass J nicht verschwindet. Gleichzeitig gilt | J | ≥ ( p − 1)!. Bringen wir obige Abschätzung (14) ins Spiel, so erhalten wir n ( p − 1) ! ≤ | J | ≤ ∑ | I (φk )| ≤ k =1 n m ∑ ∑ |φk | j+1 e|φ | |a j |. k k =1 j =0 Bezeichne nun φmax := max1≤k≤n {|φk |} den Betrag des betragmäßig größten Konjugierten. 25 Zulassungsarbeit § 5 Transzendenz der Zahl π Da m als (n + 1) p − 1 definiert wurde, gilt nach (12) n ( p − 1) ! ≤ ∑ m ∑ |φk | j+1 e|φ | |a j | k k =1 j =0 n ≤∑ m m +1 φ e ∑ φmax max np bnp φmax k =1 j =0 m+1+np =n · (m + 1) · φmax (2n+1) p =n · (n + 1) p · φmax · bnp · eφmax · bn · b p · eφmax 2n+1 · b Den von p unabhängigen Faktor n · (n + 1) · bn · eφmax definieren wir als c1 . Die Zahl φmax p definieren wir als c2 . Für eine geeignete Konstante c3 gilt p ≤ c3 , so dass p p p ( p − 1) ! ≤ c1 · c2 · c3 ≤ c1 · c4 gilt. Egal wie groß die frei wählbaren Konstanten ck gewählt werden, die Fakultätsfunktion wächst schneller als jede Potenz, so dass wir für große Primzahlen p den Widerspruch erhalten. Die Abschätzung mit den frei wählbaren Konstanten ck wurde in diesem Beweis genau ausgeführt. Der Sinn dieser Konvention ist, sämtliche Faktoren so zusammen zu fassen, dass lediglich das Wachstumsverhalten in Abhängigkeit von (später stark wachsenden) Zahlen in den Vordergrund rückt. 26 Zulassungsarbeit § 6 Elliptische Kurven und Funktionen § 6 Elliptische Kurven und Funktionen Abbildung 5: Karl Theodor Wilhelm Weierstraß (∗ 31. Oktober 1815 in Ostenfelde, †19. Februar 1897 in Berlin) arbeitete lange als Gymnasiallehrer, war ab 1879 Professor an der Universität Berlin. Er erbrachte grundlegende Arbeiten im Bereich der Funktionentheorie. 6.1 Motivation Begeben wir uns für kurze Zeit in die Welt der Kegelschnitte - spezielle algebraische Kurven zweiten Grades - und konzentrieren wir uns auf die Ellipsen (und eventuell etwas auf die Hyperbeln). Ellipsen sind durch Ea,b = y2 x2 x + iy ∈ C : 2 + 2 = 1 a b und Hyperbeln durch Ha,b = x2 y2 x + iy ∈ C : 2 − 2 = 1 a b gegeben, wobei a, b jeweils nichtverschwindende reelle Zahlen bezeichnen. Parametrisieren wir nun diese Kurven, so stoßen wir für Ellipsen nach einer kurzen Suche auf die Funktionen ϕ Ea,b (t) = a cos t + ib sin t, für den Spezialfall des Kreises auf ϕ Ea,a (t) = aeit und für Hyperbeln auf ϕ Ha,b (t) = a cosh t + ib sinh t. Hierbei werden cosh t = et + e−t 2 und sinh t = et − e−t 2 27 hyperbolische Funktionen genannt. Zulassungsarbeit § 6 Elliptische Kurven und Funktionen Da die hyperbolischen Funktionen keine reelle Periodizität aufweisen, ist die Abbildung ϕ Ha,b sogar bijektiv. Dies gilt jedoch nicht für die Parametrisierung der Ellipse, da hier eine 2π-Periodizität vorliegt. All diese Zahlen aus 2πZ \ {0} sind transzendent. Nun lassen wir zwei linear unabhängige Perioden zu. Führt diese Grundüberlegung zu anderen interessanten algebraischen Kurven? Können wir ähnlich wie oben eine geeignete Parametrisierung finden? Lassen sich sogar mit dieser Funktion Transzendenzresultate erzielen? 6.2 Elliptische Kurven (6.1) Definition (Elliptische Kurve) Eine (affine) elliptische Kurve über einem Körper K ist die Menge E(K) := ( x, y) ∈ K2 : y2 + a1 xy + a3 y = x3 + a2 x2 + a4 x + a6 ∪ O mit a j ∈ K (15) wobei die durch die algebraische Gleichung definierte Kurve keine Singularitäten (Siehe Kapitel A.2 im Anhang) aufweisen darf. Zu O : Eine Homogenisierung des Polynoms P( x, y) = −y2 − a1 xy − a3 y + x3 + a2 x2 + a4 x + a6 geschieht durch Q( x, y, z) = z3 P x y . , z z Setzt man nun Q( x, y, z) = 0, führt die Äquivalenzrelation ( a, b, c) ∼ (λa, λb, λc), λ ∈ K ein und betrachtet die projektive Ebene P2 (K2 ), so erhält man schließlich den “unendlich fernen Punkt” O : Es gilt O = (0 : 1 : 0) in der projektiven, beziehungsweise O = (∞, ∞) in der affinen Ebene K2 .∗ Tatsächlich ist dieser Punkt der einzige, der nicht im affinen Raum liegt, so dass diese besondere Bezeichnung sinnvoll ist. Dieser Punkt wird später für die Gruppenstruktur der elliptischen Kurve unverzichtbar sein. Die kompliziert aussehende algebraische Gleichung, durch die unsere elliptische Kurve beschrieben wird, wollen wir in den nächsten Schritten in eine einfachere Gestalt mittels einer Transformation überführen. Außerdem verwenden wir ab sofort nur noch die Körper K = C und K = R. ∗ Genaueres hierfür siehe [25]. 28 Zulassungsarbeit § 6 Elliptische Kurven und Funktionen (6.2) Lemma √ Durch X = 3 4 x + a32 + elliptische Kurve durch a21 12 ,Y = y + a1 x 2 + a3 2 und mit passenden g2 , g3 ∈ K wird die E(K) = (X , Y ) ∈ K2 : Y 2 = 4X 3 − g2 X − g3 ∪ O beschrieben.∗ (16) Beweis Einsetzen und Ausrechnen führt zur Verifikation. Eine Rücksubstitution existiert auch, so dass diese Transformation umkehrbar ist. Im Folgenden werden wir immer davon ausgehen, dass eine elliptische Kurve in dieser Form (16) vorliegt. Der Koeffizient 4 wurde nicht ganz willkürlich gewählt - er wird später einige Zusammenhänge wesentlich einfacher gestalten. (6.3) Definition (Die Verknüpfung ⊕) Gegeben sei eine elliptische Kurve E(K) der Gestalt aus (16), wobei K ∈ {R, C}. Für zwei Punkte P1 = ( x1 , y1 ), P2 = ( x2 , y2 ) auf E(K) sei der Punkt ( x3 , y3 ) = P3 = P1 ⊕ P2 wie folgt definiert: • Für x1 6= x2 sei 1 x3 : = 4 y2 − y1 x2 − x1 2 y2 − y1 ( x1 − x3 ) − y1 . x2 − x1 − x2 − x1 , y3 : = x3 := ∞, y3 := ∞. (17) • Für x1 = x2 , y1 6= y2 sei (18) • Für P1 = P2 , y1 6= 0 sei 1 x3 : = 4 • Für P1 = P2 , 6x12 − y1 g2 2 !2 − 2x1 , y3 : = 6x12 − y1 g2 2 ( x1 − x3 ) − y1 . (19) y1 = 0 sei x3 := ∞, y3 := ∞. (20) • Für P1 = O (oder analog P2 = O ) sei P3 = P2 . ∗ Man (21) beachte, dass wegen der Division durch 2 und 3 diese Transformation für Körper mit Charakteristik 2 oder 3 nicht möglich ist. Wir haben uns jedoch auf K = R oder K = C eingeschränkt. 29 Zulassungsarbeit § 6 Elliptische Kurven und Funktionen Über R veranschaulicht legt man eine Gerade durch die Punkte P2 , P3 , welche sich stets mit der elliptischen Kurve in einem dritten (nicht unbedingt von Pi verschiedenen) Punkt schneidet. Diesen Punkt definiert man als −( P1 ⊕ P2 ). Durch Spiegelung an der x-Achse bekommt man einen neuen Punkt P1 ⊕ P2 . Diese relativ künstlich aussehende Verknüpfung hat die Eigenschaft, dass sie die elliptische Kurve zu einer abelschen Gruppe formt. (6.4) Satz (Gruppengesetz) h E(C), ⊕i ist eine abelsche Gruppe mit O als neutrales Element. Der Beweis der Gruppenaxiome wird vor allem durch die vielen Fallunterscheidungen im Beweis der Abgeschlossenheit und der Assoziativität erschwert. Beweis Existenz eines neutralen und inversen Elements sind leicht nachzuprüfen. Der nichttriviale Fall der Kommutativität in der y-Koordinate von (17) ergibt sich schnell aus y3 : = y2 − y1 y2 − y1 y2 − y1 ( x1 − x3 ) − y1 = ( x2 − x3 ) − y2 (( x1 − x2 ) + ( x2 − x3 )) − y1 = x2 − x1 x2 − x1 x2 − x1 Die Abgeschlossenheit P ⊕ Q ∈ E(C) für P, Q ∈ E(C) und die Assoziativität wird mit Angabe eines Mathematica-Codes für die beiden komplizierten Fälle (17) und (19) in Abbildung 6 und 7 belegt. Hierbei wird jeweils für den einen Fall angenommen, dass P1 , P2 , P3 , P1 ⊕ P2 , P2 ⊕ P3 verschiedene x-Koordinaten haben, für den zweiten Fall, dass P1 = P2 mit nichtverschwindender y-Koordinate ist, P3 , P2 ⊕ P3 jedoch in beiden Koordinaten von P1 verschieden sind. Mathematisch korrekte Beweise findet man in einigen Büchern wie z.B. [27]. 30 Zulassungsarbeit § 6 Elliptische Kurven und Funktionen (a) Abgeschlossenheit im Fall (17) (b) Abgeschlossenheit im Fall (19) Abbildung 6: Quellcode: Abgeschlossenheit von ⊕. (a) Assoziativität im Fall (17) (b) Assoziativität im Fall (19) Abbildung 7: Quellcode: Assoziativität von ⊕. 31 Zulassungsarbeit § 6 Elliptische Kurven und Funktionen 6.3 Gitter und Gittervarianten (6.5) Definition (Gitter) Seien ω1 , ω2 ∈ C zwei komplexe Zahlen, die keine rellen Vielfache voneinander sind (also ω1 / R). Dann nennen wir Ω := Zω1 + Zω2 ein Gitter. Die Abkürzung Ω0 bezeichnet ω2 ∈ Ω 0 = Ω \ {0}. Stellt man sich im R2 ganzzahlige Linearkombinationen zweier linear unabhängiger Vektoren vor, so ist klar, dass das daraus resultierende Gitter eine diskrete Untergruppe der additiven Gruppe hC, +i bildet. Einen Beweis hierfür findet man in [14]. (6.6) Definition (Fundamentalmasche eines Gitters) Die Menge FΩ := {λ1 ω1 + λ2 ω2 : 0 ≤ λi < 1} heißt Fundamentalmasche von Ω. Abbildung 8: Ein Gitter in C. Die grau hinterlegte Fläche ist die Fundamentalmasche, der gestrichelte Rand ist ausgeschlossen. 6.4 Eisensteinreihen Gotthold Max Eisenstein (1823-1852) war ein Berliner Mathematiker, der erstaunliche Beiträge zur Theorie der elliptischen Funktionen erbrachte. Seine Arbeiten wurden 1976 von Andrew Weil in dem Buch „Elliptic functions according to Eisenstein and Kronecker“ gewürdigt. Jedoch sind viele der heutigen Sätze nach Weierstraß benannt, der in seinen Vorlesungen ab 1862 über elliptische Funktionen lehrte. An keiner Stelle erwähnte er Eisensteins Arbeiten, so dass heutzutage (historisch unkorrekt) viele Sätze nicht nach beiden, sondern nur nach Weierstraß benannt sind. Mehr hierzu in [14]. 32 Zulassungsarbeit § 6 Elliptische Kurven und Funktionen (6.7) Satz Sei Ω ⊂ C ein Gitter. Dann konvergiert die Reihe 1 ∑ 0 ωs ω ∈Ω für 2 < s ∈ R absolut und gleichmäßig. Für alle anderen Werte für s ist diese Reihe nicht konvergent. Beweis Sei Ω = Zω1 + Zω2 ein Gitter. Für die Funktion f : R2 \ {(0, 0)} → R, f ( x, y) = | xω1 + yω2 |2 x 2 + y2 gilt f (λx, λy) = f ( x, y) mit λ ∈ R. Definiere nun für ( x0 , y0 ) 6= (0, 0) das reelle λ0 gemäß λ0 = |( x0 , y0 )|−1 . Nun gilt |(λ0 x0 , λ0 y0 )| = 1, was direkt zur Folge hat, dass das Bild der Funktion bereits auf dem Rand des Einheitskreises angenommen wird. Da der Rand des Einheitskreises kompakt ist, ist das Bild von f auch kompakt und somit wird das Minimum µ = min f ( x, y) : ( x, y) ∈ R2 \ {(0, 0)} angenommen. Da die Funktion nur positive Werte annimmt, gilt µ > 0. Multiplikation auf beiden Seiten mit x2 + y2 ergibt µ( x2 + y2 ) ≤ | xω1 + yω2 |2 , so dass für a = 2s die Abschätzung 1 ∑ 0 |ω |s ω ∈Ω = 1 1 ≤ µ− a ∑ s 2 | xω1 + yω2 | ( x + y2 ) a ( x,y)∈Z2 \{(0,0)} ( x,y)∈Z2 \{(0,0)} ∑ gilt. Die rechte Reihe konvergiert, wenn das uneigentliche Integral dxdy + y2 ) a Z x 2 + y2 ≥1 ( x2 konvergiert. Nun transformieren wir die Werte in Polarkoordinaten vermöge x = r cos ϕ und y = r sin ϕ und können nun die Transformationsformel (vgl. [8]) anwenden. Das Argument ϕ verläuft zwischen 0 und 2π, r nimmt alle Werte größer 1 an. Die Determinante der Jakobimatrix ist ! cos ϕ −r sin ϕ det = r. sin ϕ r cos ϕ Somit gilt Z x 2 + y2 ≥1 dxdy = ( x 2 + y2 ) a Z2π 0 dϕ · Z∞ 1 Das zweite Integral existiert genau dann, wenn a > 1 ist. 33 dr . r2a−1 Zulassungsarbeit § 6 Elliptische Kurven und Funktionen Aus diesem Satz folgt nun leicht die Konvergenz der Eisensteinreihen. (6.8) Definition (Eisensteinreihe) Eine Eisensteinreihe vom Gewicht k ≥ 3 nennt man die unendliche Reihe Gk := Gk (Ω) = 1 ∑ 0 ωk . ω ∈Ω (22) Da für ω ∈ Ω gleichzeitig −ω ∈ Ω gilt, verschwinden trivialerweise alle Eisensteinreihen von ungeradzahligem Gewicht. (6.9) Definition (Die Gitterinvarianten g2 , g3 ) Sei Ω ein Gitter. Die Vielfachen der zu Ω gehörigen Eisensteinreihen g2 := 60G4 und g3 := 140G6 nennen wir die Gitterinvarianten von Ω. 6.5 Elliptische Funktionen 2πiz Da wir zur ω ∈ C bereits die periodische Funktion e ω ausfindig gemacht haben, stellt sich nun die Frage, wie eine zu Ω = Zω1 + Zω2 periodische Funktion aussehen mag. (6.10) Definition (Elliptische Funktion) Eine doppeltperiodische (elliptische) Funktion f zum Gitter Ω = Zω1 + Zω2 ist eine meromorphe Funktion mit der Eigenschaft f (z + ω1 ) = f (z) = f (z + ω2 ) für alle z ∈ C. (23) Eine erste Eigenschaft dieser elliptischen Funktionen ist, dass alle Werte der Funktion bereits durch die Werte auf der Fundamentalmasche FΩ festgelegt sind. Zur Analyse des allgemeinen Verhaltens beliebiger elliptischer Funktionen erinnern wir an einen Satz von Liouville, der aus der Funktionentheorie bekannt ist. (6.11) Satz (1. Satz von Liouville) Jede in C beschränkte ganze Funktion ist konstant. Beweis Einen Beweis hierfür findet man in [14]. Angenommen, wir hätten nun eine ganze elliptische Funktion gefunden, so ist die Menge M = { f (z) : z ∈ FΩ } wegen der Kompaktheit von FΩ kompakt, besitzt also ein Betragsmaximum µ. Wegen der doppelten Periodizität gilt nun | f (z)| ≤ µ für alle z ∈ C, was zur Folge hat, dass die Funktion auf ganz C beschränkt ist und somit nach Liouville zwangsläufig konstant sein muss. Dies rechtfertigt, dass wir uns in der Definition von elliptischen Funktionen auf meromorphe Funktionen stützen. 34 Zulassungsarbeit § 6 Elliptische Kurven und Funktionen 6.6 Zum Residuum elliptischer Funktionen Betrachten wir nun den Weg entlang des Randes der Fundamentalmasche ∂FΩ . Verschieben wir diesen um ε := − ω1 +2 ω2 , so liegt auf dem Weg ∂FΩ + ε kein Gitterpunkt und im Inneren des Weges befindet sich mit der 0 genau einer. Da die Windungszahl bei einmaligem Ablaufen des Weges genau 1 beträgt, können wir das Residuum einer Laurententwicklung um den Ursprung durch Z 1 Res f = f (ξ )dξ 2πi ∂FΩ +ε angeben (Integrationsweg siehe Abbildung 9). Da die jeweils gegenüberliegenden Seiten des Integrationsparallelogramms gleiche Werte besitzen, jedoch in verschiedene Richtungen durchlaufen werden, verschwindet der Integralwert und somit gilt Res f = 0. Abbildung 9: Integration entlang FΩ + ε Zusammenfassend wissen wir nun, dass eine nichtkonstante elliptische Funktion in der Fundamentalmasche nicht genau einen Pol erster Ordnung besitzen kann. Das - für genau einen Pol zweiter Ordnung in allen Gitterpunkten - naheliegende Konstrukt f (z) = 1 ( z − ω )2 ω ∈Ω ∑ konvergiert leider nicht, sehr wohl jedoch die Reihe f (z) = 1 , ( z − ω )3 ω ∈Ω ∑ was direkt aus Satz 6.7 hervorgeht. Diese Konstruktion macht deswegen Sinn, da für ω 0 = kω1 + jω2 mit k, j ∈ Z stets f (z + ω 0 ) = f (z) gilt, was aus einer einfachen Umordnung der Summation hervorgeht. Unsere erste elliptische Funktion ist gefunden. 35 Zulassungsarbeit § 6 Elliptische Kurven und Funktionen Bilden wir nun die Stammfunktion von f , so erhalten wir Z 1 1 f (z)dz = − ∑ − c(ω ) , 2 ω ∈ Ω ( z − ω )2 wobei c(ω ) die Integrationskonstanten bezeichnen soll. Wählen wir nun c(0) = 0 und c(ω ) = ω12 , so erzeugen die Summanden c(ω ) die Konvergenz der Reihe und unsere Stammfunktion zu f (z) existiert. 6.7 Die Weierstraÿsche ℘-Funktion (a) Re(℘(z)) (c) |℘(z)| (b) Im(℘(z)) Abbildung 10: Die Weierstraßsche ℘-Funktion. Eine gewisse Periodizität lässt sich erahnen. (6.12) Satz Die Reihe ∑ ω ∈Ω0 1 1 − 2 2 (z − ω ) ω konvergiert absolut und gleichmäßig für alle z ∈ C \ Ω. Beweis Sei eine Kreisscheibe um den Ursprung mit Radius r gegeben, so gilt für alle |z| < r mit z∈ / Ω und alle ω > 2r 1 1 z2 − 2zω r (z − ω )2 − ω 2 = ω 2 (z − ω )2 ≤ 12 |ω |3 . Somit konvergiert obige Reihe nach Satz 6.7. (6.13) Definition (Weierstraßsche ℘-Funktion) Die Funktion ℘ : C → C ∪ {∞} zum Gitter Ω mit 1 1 1 ℘(z) := ℘(Ω, z) := 2 + ∑ − für z ∈ /Ω z ( z − ω )2 ω 2 ω ∈Ω0 und ℘(z) = ∞ für z ∈ Ω 36 (24) Zulassungsarbeit § 6 Elliptische Kurven und Funktionen heißt Weierstraßsche ℘-Funktion zum Gitter Ω. (6.14) Satz (Laurententwicklung der ℘-Funktion) Die Funktion ℘(z) ist meromorph auf ganz C und analytisch außerhalb von Ω. Sie ist eine gerade Funktion und hat als Laurententwicklung um 0 ℘(z) = ∞ 1 + (2n + 1) G2(n+1) z2n . z2 n∑ =1 (25) Beweis Die Funktion ℘ ist nach Konstruktion bereits meromorph mit Polen zweiter Ordnung genau in ω ∈ Ω. Summiert man über −Ω, so macht man sich schnell klar, dass diese Funktion auch gerade ist. Also besitzt ℘ in der Laurententwicklung um 0 keine ungeraden Potenzen. Betrachten wir die Hilfsfunktion f (z) = ℘(z + ω ) − ℘(z), so gilt hier f 0 (z) ≡ 0, also ist f (z) konstant. Aus f − ω2 = ℘ ω2 − ℘ − ω2 = 0 folgt letztendlich die doppelte Periodizität der Weierstraßschen ℘-Funktion. Da die rechte Seite von 1 1 1 − ℘(z) − 2 = ∑ z ( z − ω )2 ω 2 ω ∈Ω0 in z = 0 verschwindet, verschwindet in der Laurententwicklung der konstante Term. Bestimmung der Koeffizienten der Laurententwicklung um den Nullpunkt Betrachten wir die Funktion f (z) = ℘(z) − z12 , so kann man leicht per Induktion zeigen, dass f (n) (z) = (−1)n (n + 1)! 1 ∑ 0 ( z − ω ) n +2 ω ∈Ω gilt. Aus der Formel zur Taylorentwicklung um 0 folgt nun für den n-ten geradzahligen Koeffizienten der Potenzreihe von f (2n + 1)! 1 · ∑ 2( n +1) . (2n)! ω ω ∈Ω0 Da die hintere Summe genau der Eisensteinreihe G2(n+1) entspricht, folgt obige Laurententwicklung. 6.8 Algebraische Dierentialgleichungen der ℘-Funktion (6.15) Satz (erste Differentialgleichung) Die Weierstraßsche ℘-Funktion löst die Differentialgleichung ℘0 (z)2 = 4℘(z)3 − g2 ℘(z) − g3 , wobei die Koeffizienten g2 , g3 die Gitterinvarianten zu Ω sind. 37 (26) Zulassungsarbeit § 6 Elliptische Kurven und Funktionen Beweis Den Beweis führen wir leicht durch Nachrechnen. Hierfür bestimmen wir erst die ersten Glieder der Laurententwicklung von ℘, ℘2 , ℘3 , ℘0 , ℘02 . Die folgende Notation O(zn ) beschreibt k höhere Terme. Hier gilt stets O(zn ) = ∑∞ k =n ak z . Die jeweiligen Laurententwicklungen ergeben sich zu ℘(z) = ℘(z)2 = ℘(z)3 = ℘0 (z) = ℘ 0 ( z )2 = 1 + 3G4 z2 + 5G6 z4 + O(z6 ), z2 1 ℘(z) · ℘(z) = 4 + 6G4 + 10G6 z2 + O(z4 ), z 1 1 2 ℘(z) · ℘(z) = 6 + 9G4 2 + 15G6 + O(z2 ), z z 1 −2 3 + 6G4 z + 20G6 z3 + O(z5 ), z 1 1 0 ℘ (z) · ℘0 (z) = 4 6 − 24G4 2 − 80G6 + O(z2 ). z z Berechnen wir nun ℘0 (z)2 − 4℘(z)3 + 60G4 ℘(z) = 140G6 + O(z2 ), so folgt aus der Periodizität der linken Seite, dass die rechte Seite konstant sein, also der Konstanten 140G6 entprechen muss. (6.16) Lemma (zweite Differentialgleichung) Die Weierstraßsche ℘-Funktion löst die Differentialgleichung ℘00 (z) = 6℘(z)2 − g2 , 2 (27) wobei g2 wie in Satz 6.15 gewählt werden muss. Beweis Die Differentialgleichung geht direkt aus der Differentiation von (26) hervor. 6.9 Über Nullstellen, Polstellen und Halbwerte (6.17) Lemma Sei Ω = Zω1 + Zω2 ein Gitter und ℘ die dazugehörige ℘-Funktion. Dann besitzt ℘0 in der Fundamentalmasche genau in ω21 , ω22 , ω1 +2 ω2 =: ω23 jeweils eine einfache Nullstelle. Beweis Halten wir uns die Differentialgleichung (26) vor Augen, so fällt einem bereits auf, dass die Ableitung der ℘- Funktion mindestens drei Nullstellen besitzen muss. 38 Zulassungsarbeit § 6 Elliptische Kurven und Funktionen Da ℘(z) eine gerade Funktion ist, ist ℘0 (z) eine ungerade Funktion, so dass für ω ω ω ω i i i ℘0 − ωi = ℘0 − i = −℘0 = ℘0 2 2 2 2 ωi 2 gilt. Also verschwindet ℘0 ( ω2i ) für i ∈ {1, 2, 3}. ∈ /Ω Faktorisiert man die Differentialgleichung (26), so erhält man für geeignete ei ℘0 (z)2 = 4(℘(z) − e1 )(℘(z) − e2 )(℘(z) − e3 ). Da ℘0 in ω2i verschwindet, nimmt die ℘-Funktion die Werte ei an den Stellen Werte ei nennen wir ab sofort Halbwerte der ℘-Funktion. (28) ωi 2 an. Diese Eine gewisse Verallgemeinerung des vorhergehenden Lemmas stellt der zweite Satz von Liouville dar. (6.18) Satz (2. Satz von Liouville) Ist f eine nicht konstante elliptische Funktion bezüglich des Gitters Ω, so gilt für alle z ∈ C ∑ ordω ( f − z) = 0, (29) ω ∈ FΩ also mit Berücksichtigung der entsprechenden Vielfachheiten gilt in der Fundamentalmasche stets ] Polstellen = ]z − Stellen = ] Nullstellen. Beweis Einen Beweis hierzu findet man in [14]. (6.19) Lemma Bezüglich der Nullstellen gilt in der Fundamentalmasche FΩ 1. f (z) := ℘(z) − ek besitzt nur in ωk 2 genau eine doppelte Nullstelle, ω1 ω2 ω3 2. g(z) := ℘(z) − a besitzt für a ∈ / 2 , 2 , 2 genau zwei einfache Nullstellen. Beweis Zu 1.: Die Nullstelle in ω2k geht direkt aus der Definition von ek hervor. Läge bei f (z) in ω2k nur eine Nullstelle erster Ordnung vor, so hätte f 0 (z) = ℘0 (z) keine Nullstelle mehr in ω2k . Läge bei f (z) in ω2k eine Nullstelle dritter oder höherer Ordnung vor, so widerspräche dies der Verschiedenheit der Halbwerte. Die Eindeutigkeit der Nullstellen ergibt sich aus Satz 6.18. Zu 2.: Die Anzahl der Nullstellen ergibt sich direkt aus Satz 6.18. Wäre eine Nullstelle doppelt vorhanden, so wäre sie auch eine Nullstelle der Ableitung und würde in der Differentialgleichung mit einem der Faktoren ℘(z) − a = ℘(z) − ek übereinstimmen. 39 Zulassungsarbeit § 6 Elliptische Kurven und Funktionen 6.10 Das Additionstheorem von ℘ Das Additionstheorem lässt sich auf vielen eleganten Wegen zeigen. Die in der angegebenen Literatur am meisten verwendeten sind eine geometrische Lösung, welche die ℘-Funktion bereits als Parametrisierung einer elliptischen Kurve ansieht und die Punktaddition auf die ℘-Funktion anwendet, und eine algebraische Lösung, die jedoch ein wenig mehr Vorarbeit wie die Einführung des Abelschen Theorems - benötigt, dafür umso eleganter wirkt∗ . Wir werden das Additionstheorem über direktes Nachrechnen beweisen. (6.20) Satz (Additionstheorem) Sei Ω ein Gitter und ℘ die dazugehörige ℘-Funktion. Für alle x, y ∈ C, mit x, y, x ± y ∈ / Ω gilt 2 1 ℘0 ( x ) − ℘0 (y) − ℘( x ) − ℘(y). (30) ℘( x + y) = 4 ℘( x ) − ℘(y) Bemerkung: Man sieht eine gewisse Parallelität zur Addition auf einer elliptischen Kurve, wie sie in Definition 6.3 eingeführt wurde. Beweis Fixiere y ∈ / 21 Ω und betrachte die elliptische Funktion f ( x ) := 1 ℘0 ( x ) − ℘0 (y) · . 2 ℘( x ) − ℘(y) Da in ω ∈ Ω die ℘-Funktion einen Pol zweiter und ℘0 einen Pol dritter Ordnung besitzt, hat f einen Pol erster Ordnung in ω ∈ Ω. Für ω ∈ −y + Ω verschwindet der Nenner, der Zähler jedoch nicht, da ℘0 eine ungerade Funktion ist. So liegen - wegen der Einschränkung y ∈ / 21 Ω bei f in ω ∈ −y + Ω Pole erster Ordnung vor. Wir bestimmen nun die Laurententwicklung von f um x = 0: Einsetzen der Laurentreihe von ℘( x ) liefert 1 ℘0 ( x ) − ℘0 (y) 1 −2x −3 + O( x ) − f (x) = · = · 2 ℘( x ) − ℘(y) 2 x −2 + O( x2 ) − ℘(y) ℘0 (y) ℘( x ) − ℘(y) | {z } . analytisch um 0,∈O( x2 ) Hieraus ergibt sich nach Erweiterung des ersten Bruches mit x3 , dass in 0 ein Pol erster Ordnung mit Residuum −1 vorliegt. Der analytische Teil der Laurententwicklung ergibt sich direkt aus ∗ Siehe hierfür beispielsweise [27] 40 Zulassungsarbeit g( x ) := f ( x ) + § 6 Elliptische Kurven und Funktionen 1 1 ℘0 ( x ) − ℘0 (y) 1 = · + x 2 ℘( x ) − ℘(y) x 1 −2x −3 + O( x ) 1 = · −2 + + O( x2 ) 2 x + O( x2 ) − ℘(y) x −1 + O( x4 ) 1 = + + O( x2 ) 4 2 x (1 + O( x ) − ℘(y) x ) x | {z } Erweiterung mit x3 = O( x3 ) − ℘(y) x O( x4 ) − ℘(y) x2 2 + O( x ) = + O( x2 ). x (1 + O( x2 )) 1 + O( x2 ) Hier gilt nun g(0) = 0 und nach kurzer Rechnung g0 (0) = −℘(y), so dass sich die Laurententwicklung zu 1 f ( x ) = − − x ℘(y) + O( x2 ) (31) x ergibt. Wir bestimmen nun die Laurententwicklung von f um x = −y: Da y ∈ / 21 Ω gilt, besitzt ℘( x ) − ℘(y) in x = −y eine einfache Nullstelle. Somit liegt bei f in x = −y ein Pol erster Ordnung vor, dessen Residuum sich zu 1 ergibt. Hieraus erhält man um x = −y die Laurententwicklung f (x) = 1 + c(y) + O( x + y) x+y (32) mit einem noch zu bestimmenden Term c(y). Zusammenführung der Ergebnisse Betrachten wir nun die Funktion g( x ) := f ( x )2 − ℘( x ) − ℘(y) − ℘( x + y). (33) Um den Punkt x = 0 ist nun ℘( x ) = x12 + O( x2 ), ℘( x + y) = ℘(y) und f ( x ) wie in (31). Hieraus folgt 2 1 1 2 g( x ) = − − x ℘(y) + O( x ) − 2 − ℘(y) − ℘(y) + O( x ) x x 1 1 = 2 + 2℘(y) + O( x2 ) − 2℘(y) − 2 + O( x ) = O( x ). x x Somit ist g nach Satz 6.11 konstant und wegen g(0) = 0 verschwindet diese Funktion in einer Umgebung um x = 0. 41 Zulassungsarbeit § 6 Elliptische Kurven und Funktionen Für die Umgebung um x = −y ergibt sich durch Einsetzen der Laurentreihe aus (32) in (33) g( x ) = 1 2c(y) 2c(y) 1 + + O(1) = − + O(1). 2 2 ( x + y) x + y ( x + y) x+y Es gilt nun c(y) = 0, da ansonsten g eine elliptische Funktion mit Polen erster Ordnung genau in −y + Ω wäre, was gegen Satz 6.18 spräche. Also ist g( x ) konstant und wegen g(0) = 0 verschwindet g auf ganz C. Die bisher ausgeschlossenen Fälle y ∈ 21 Ω ergeben sich direkt aus der Grenzwertbildung ℘0 (y) − ℘0 ( x ) y−x lim · lim y→ x y→ x ℘( y ) − ℘( x ) y−x 00 2 1 ℘ (x) = − 2℘( x ). 4 ℘0 ( x ) 1 lim ℘(y + x ) = y→ x 4 2 − 2℘( x ) Hieraus folgt direkt die Verdopplungsformel der Weierstraßschen ℘-Funktion. (6.21) Lemma (Verdopplungsformel der ℘-Funktion) Für x ∈ / 21 Ω gilt 2 1 ℘00 ( x ) − 2℘( x ) ℘(2x ) = 4 ℘0 ( x ) (34) Bemerkung: Ersetzt man Zähler und Nenner aus (34) durch die Differentialgleichungen (26) und (27), so lässt sich die Funktion ℘(2x ) als rationale Funktion von ℘( x ) schreiben. 6.11 Das Additionstheorem von ℘0 Um die Aufgabe zu meistern, einen Gruppenhomomorphismus von hK, +i auf h E(K), ⊕i zu konstruieren, müssen wir noch ℘0 ( x + y) geeignet ausdrücken können. Im Wesentlichen reicht eine ähnliche Vorgehensweise wie beim Beweis des Additionstheorems der ℘-Funktion, weshalb dieser Beweis nicht bis ins letzte Detail ausgeführt werden soll. (6.22) Satz Es sei Ω ein Gitter und ℘ die zu Ω gehörige ℘-Funktion. Für alle x, y ∈ C mit x, y, x ± y ∈ /Ω gilt ℘0 ( x ) − ℘0 (y) (℘( x ) − ℘( x + y)) − ℘0 ( x ). (35) ℘0 ( x + y) = ℘( x ) − ℘(y) 42 Zulassungsarbeit § 6 Elliptische Kurven und Funktionen Beweis Unsere Ausgangslage ist die in Satz 30 gewonnene Gleichung 1 ℘( x + y) + ℘( x ) + ℘(y) = 4 ℘0 ( x ) − ℘0 (y) ℘( x ) − ℘(y) 2 ℘0 ( x ) + ℘0 (y) ℘( x ) − ℘(y) 2 . (36) . (37) Ersetzen wir nun in (36) y durch −y, so erhalten wir 1 ℘( x − y) + ℘( x ) + ℘(y) = 4 Die Subtraktion (36)−(37) ergibt 1 (℘0 ( x ) − ℘0 (y))2 − (℘0 ( x ) + ℘0 (y))2 ℘( x + y) − ℘( x − y) = · 4 (℘( x ) − ℘(y))2 ℘0 ( x )℘0 (y) . =− (℘( x ) − ℘(y))2 Eine etwas längere Rechnung (mit Verwendung von (38)) führt zur Identität d 1 ℘0 ( x ) − ℘0 (y) · = ℘( x ) − ℘( x + y). dx 2 ℘( x ) − ℘(y) Differenzieren wir nun Gleichung (36) nach x, so folgt mit (39) die Behauptung. ℘0 ( x ) − ℘0 (y) d 1 ℘0 ( x ) − ℘0 (y) ℘0 ( x + y) = · · − ℘0 ( x ) ℘( x ) − ℘(y) dx 2 ℘( x ) − ℘(y) ℘0 ( x ) − ℘0 (y) (℘( x ) − ℘( x + y)) − ℘0 ( x ). = ℘( x ) − ℘(y) (38) (39) (6.23) Bemerkung Was haben wir nun gewonnen? Blicken wir zurück auf die Definition der auf einer elliptischen Kurve lebenden Verknüpfung ⊕. Für x1 6= x2 war die neue x-Koordinate durch 1 x3 = 4 y2 − y1 x2 − x1 2 − x2 − x1 , und die dazugehörige y-Koordinate durch y3 = y2 − y1 ( x1 − x3 ) − y1 x2 − x1 43 Zulassungsarbeit § 6 Elliptische Kurven und Funktionen definiert. Setzen wir nun in beiden Gleichungen x1 =℘( x ), x2 =℘(y), y1 =℘0 ( x ), y2 =℘0 (y), x3 =℘( x + y) und y3 =℘0 ( x + y), so erhalten wir genau beide hergeleiteten Formeln der Additionstheoreme. 6.12 Die Weierstraÿsche ℘-Funktion als Parametrisierung einer elliptischen Kurve Der letzte Schritt, den wir in diesem Kapiten behandeln werden, ist der Beweis der Existenz eines Gruppenhomomorphismus’ ϕ : hC, +i → h E(C), ⊕i, der zu einer Bijektion wird, wenn wir die Faktorgruppe C/Ω betrachten. (6.24) Satz (Isomorphieeigenschaften) Sei Ω ein Gitter, E(C) bzw. ℘ die zu Ω gehörige elliptische Kurve bzw. Weierstraßsche ℘-Funktion. Die Abbildung ϕ : C/Ω → E(C), vermöge ϕ(z + Ω) = (℘(z), ℘0 (z)), definiert eine bijektive Abbildung, wobei ϕ(Ω) = O zu wählen ist. Beweis Die algebraische Gleichung, welche E(C) definiert, fasst man als Differentialgleichung auf. Diese wird - wie im Abschnitt 6.15 gezeigt - von der ℘-Funktion gelöst. Also ist das Bild von ϕ in der elliptischen Kurve E enthalten. Andererseits gibt es nach Satz 6.18 zu ( x, y) ∈ E(C) ein z ∈ C/Ω, so dass ℘(z) = x = ℘(−z). Mit y2 = 4x3 − g2 x − g3 = ℘(±z)3 − g2 ℘(±z) − g3 = ℘0 (±z)2 und geeigneter Wahl des Vorzeichens folgt ℘0 (z) = y und somit E(C) ⊂ ϕ(C/Ω). Hiermit ist letztendlich die Surjektivität der Abbildung ϕ gezeigt. Injektivität ist durch die Einfachheiten der z − Stellen in ℘(z) für z 6= ω2i , und die Einfachheit der Nullstellen der Ableitung in ω2i gegeben (siehe hierzu Abschnitt 6.9). Für die Homomorphieeigenschaft zeigen wir ϕ(z + y) = (℘(z + y), ℘0 (z + y)) = (℘(z), ℘0 (z)) ⊕ (℘(y), ℘0 (y)) = ϕ(z) ⊕ ϕ(y). 1. Fall: z, y, z ± y ∈ / Ω Dieser Fall folgt direkt aus Bemerkung 6.23. 44 Zulassungsarbeit § 6 Elliptische Kurven und Funktionen 2. Fall: z, y ∈ Ω (℘(z + y), ℘0 (z + y)) = O = O ⊕ O = (℘(z), ℘0 (z)) ⊕ (℘(y), ℘0 (y)) 3. Fall: z ∈ Ω, y ∈ /Ω (℘(z + y), ℘0 (z + y)) = (℘(y), ℘0 (y)) = O ⊕ (℘(y), ℘0 (y)) = (℘(z), ℘0 (z)) ⊕ (℘(y), ℘0 (y)) 4. Fall: z, y ∈ / Ω, aber z + y ∈ Ω und z 6= ℘0 (z) = −℘0 (y) 6= 0, ist nach (18) ωi 2 . Da ℘(z) = ℘(z − (z + y)) = ℘(y), aber (℘(z), ℘0 (z)) ⊕ (℘(y), ℘0 (y)) = O = (℘(z + y), ℘0 (z + y)). 5. Fall: z = y = ωi 2 Hier gilt direkt nach (20) (℘(z, ℘0 (z)) ⊕ (℘(y), ℘0 (y)) = O = (℘(z + y), ℘0 (z + y)). 6. Fall: z, y ∈ / Ω, aber z − y ∈ Ω und z 6= ω2i Da ℘(z) = ℘(z − (z − y)) = ℘(y) und ℘0 (z) = ℘0 (y) 6= 0 gilt 2 1 ℘0 (z) − ℘0 (y) (℘(z + y), ℘0 (z + y)) = lim − ℘(z) − ℘(y), y→z 4 ℘(z) − ℘(y) ℘0 (z) − ℘0 (y) 0 (℘(z) − ℘(z + y)) − ℘ (z) ℘(z) − ℘(y) ! 2 1 ℘00 (z) ℘00 (z) 0 = − 2℘(z), 0 (℘(z) − ℘(2z)) − ℘ (z) 4 2℘ 0 ( z ) ℘ (z) (19) = (℘(z), ℘0 (z)) ⊕ (℘(z), ℘0 (z)) =(℘(z), ℘0 (z)) ⊕ (℘(y), ℘0 (y)) Erinnern wir uns zurück an die Motivation zu Beginn dieses Kapitels. Die Exponentialfunktion eit ist als Gruppenhomomorphismus von R in den Einheitskreis auffassbar. Hieraus ergibt sich die Periodenmenge 2πZ, welche sämtlich (ausschließlich 0) aus transzendenten Zahlen besteht. Legen wir nun eine andere algebraische Struktur - nämlich eine elliptische Kurve E(C) - zugrunde. Die Weierstraßsche ℘-Funktion ist hier als Gruppenhomomorphismus von C in E(C) auffassbar. Sie besitzt ein Periodengitter, welches von zwei linear unabhängigen komplexen Zahlen aufgespannt wird. Und auch hier - wie im nächsten Kapitel gezeigt wird - besteht das Periodengitter unter gewissen Voraussetzungen sämtlich (6= 0) aus transzendenten Zahlen. 45 Zulassungsarbeit § 6 Elliptische Kurven und Funktionen 6.13 Exkurs: Die Weierstraÿsche σ-Funktion Zuvor führen wir die Weierstraßsche σ-Funktion ein, welche wir im nächsten Kapitel verwenden werden. (6.25) Definition Bezeichne Ω ein Gitter. Die Funktion σ(z) := z · ∏0 ω ∈Ω 1− z ωz + z22 e ω ω (40) heißt Weierstraßsche σ-Funktion. Die Konvergenz dieser Funktion soll hier nicht gezeigt werden. Interessant ist, dass genau in den Gitterpunkten ω ∈ Ω die Funktion σ eine einfache Nullstelle besitzt. Dadurch kann die Funktion dafür verwendet werden, die Pole der ℘-Funktion zu heben. Dies wird offensichtlich durch σ(z)2 · ℘(z) erreicht. Die Funktion σ2 ℘ ist somit holomorph, da sämtliche doppelten Pole von ℘ durch die Nullstellen von σ2 gehoben werden. 2+ ε Das Wachstumsverhalten von σ2 ℘ für betragsmäßig große z ∈ C ist durch ez beschränkt, wie durch Logarithmieren gemäß ! z z2 z + log σ(z)2 ℘(z) = log z · ∏ 1 − e ω ω2 + log (℘(z)) ω 0 ω ∈Ω ! 1 z 1 z2 1 z + + 2 + log 2 + ∑ − = log z + ∑ log 1 − ω ω ω z (z − ω 2 ) ω 2 ω ∈Ω0 ω ∈Ω0 2 gezeigt wird. Der dominierende Term in dieser Gleichung ist ωz 2 . Durch Erhöhen der Potenz auf 2 + ε für ein beliebiges ε > 0 und Beseitigen des Logarithmus’ ist die Behauptung gezeigt. 46 Zulassungsarbeit § 7 Die Transzendenz der Perioden gewisser elliptischer Funktionen § 7 Die Transzendenz der Perioden gewisser elliptischer Funktionen Abbildung 11: Theodor Schneider (∗ 7. Mai 1911 in Frankfurt am Main, †31. Oktober 1988 in Freiburg im Breisgau) promovierte in Frankfurt bei Carl Ludwig Siegel, indem er das siebte Hilbertsche Problem löste. Da eine Lösung des Problems auch Alexander Gelfond gelang, wurde der Satz von Gelfond-Schneider nach beiden benannt. 7.1 Geschichtliches Siegel konnte 1932 zeigen, dass bei einem Gitter mit algebraischen Gitterinvarianten g2 , g3 mindestens einer der Gitterpunkte transzendent ist. Besitzt das Gitter darüberhinaus komplexe Multiplikation (siehe Kapitel 10), trifft die Transzendenz auf alle Perioden (6= 0) zu. Siegels Doktorsohn Theodor Schneider konnte diesen Satz zwei Jahre später verallgemeinern. Der hier ausgeführte Beweis, dass bei algebraischen Gitterinvarianten alle Perioden (6= 0) transzendent sind, wird für Spezialfälle in dem Buch [4] skizziert. 7.2 Beweis des Satzes von Schneider (7.1) Satz (Schneider (1934)) Sei Ω ein Gitter. Sind die Gitterinvarianten g2 , g3 algebraisch, so sind die Gitterpunkte ω ∈ Ω0 sämtlich transzendent. Beweis Wir nehmen an, ein ω ∈ Ω0 sei algebraisch. Ohne Einschränkung können wir weiter an/ Ω ist∗ . ℘(z) bezeichne die Weierstraßsche ℘-Funktion bezüglich Ω. nehmen, dass ω2 ∈ ∗ Ansonsten betrachte man die Periode 2nω−1 ∈ Ω, wobei n so gewählt ist, dass solchen n ∈ N ist dadurch gegeben, dass Ω eine diskrete Menge ist. 47 ω 2n ∈ / Ω gilt. Die Existenz eines Zulassungsarbeit § 7 Die Transzendenz der Perioden gewisser elliptischer Funktionen Wir konstruieren eine Hilfsfunktion F (z) der Gestalt D1 −1 D2 −1 F (z) = ∑ ∑ amn zm ℘(z)n m =0 n =0 mit möglichst “kleinen“ ganzzahligen Koeffizienten amn , so dass für beliebige T, K ∈ N ω + kω = 0 für 0 ≤ t ≤ T, 1 ≤ k ≤ K F (t) 2 gilt. Die Summationsgrenzen D1 , D2 werden im Verlauf des Beweises noch genauer spezifiziert. Um die höheren Ableitungen der Funktion in den Griff zu bekommen, wollen wir mit den folgenden beiden Lemmata die höheren Ableitungen von ℘(z)n und zm ℘(z)n ausdrücken. (7.2) Lemma Es existiert ein Polynom Pn,t ∈ Z[ x, y, X, Y ], so dass für beliebige t, n ∈ N mit n ≤ t t g d 2 , g3 , ℘(z), ℘0 (z) (℘(z)n ) = Pn,t dz 2 gilt, die Grade des Polynoms durch degx Pn,t ≤t, degy Pn,t ≤t, degX Pn,t ≤n + 2t, degY Pn,t ≤1 und die Koeffizienten betragsmäßig durch 2n+5t (2t)! beschränkt sind. Beweis (per vollständiger Induktion nach t) Wir greifen auf die Differentialgleichungen ℘0 (z)2 = 4℘(z)3 − g2 ℘(z) − g3 aus (6.15) und ℘00 (z) = 6℘(z)2 − g22 aus (6.16) zurück. d Induktionsanfang: Die Fälle t = 0 und t = 1 entpuppen sich mit dz ℘(z)n = n℘(z)n−1 ℘0 (z) als trivial. Induktionsschritt: t → t + 1 t +1 t g d d d d 2 , g3 , ℘(z), ℘0 (z) (℘(z)n ) = (℘(z)n ) = Pn,t dz dz dz dz 2 Nun teilen wir dieses Polynom in die Teile mit und ohne ℘0 (z) ein und erhalten ! t t n+2t g2 i j d ∑ ∑ 2 g3 ℘(z)k aijk + dz i∑ =0 j =0 k =0 ! t t n+2t d g2 i j k 0 ∑ ∑ 2 g3 ℘(z) ℘ (z)bijk . dz i∑ =0 j =0 k =0 48 Zulassungsarbeit § 7 Die Transzendenz der Perioden gewisser elliptischer Funktionen Hierbei sind die Grade nach Induktionsannahme als Summenobergrenzen berücksichtigt worden. Die Koeffizienten aijk , bijk sind nach Induktionsannahme ganzzahlig und durch 2n+5t (2t)! beschränkt. Wendet man nun den Differentialoperator auf die Summanden an, so erhält man ! t t n+2t g2 i j ∑ ∑ ∑ 2 g3 k℘(z)k−1 ℘0 (z)aijk + i =0 j =0 k =0 ! t t n+2t g2 i j k −1 0 2 k 00 ∑ ∑ ∑ 2 g3 k℘(z) ℘ (z) + ℘(z) ℘ (z) bijk . i =0 j =0 k =0 Mit Hilfe der beiden Differentialgleichungen lässt sich dieser Ausdruck noch weiter vergrößern: t n+2t t ∑∑ ∑ i =0 j =0 k =0 t + g2 i j g3 k ℘(z)k−1 ℘0 (z) aijk 2 t n+2t ∑∑ ∑ i =0 j =0 k =0 ! g2 g2 i j bijk g3 k ℘(z)k−1 4℘(z)3 − g2 ℘(z) − g3 + ℘(z)k 6℘(z)2 + 2 2 ! . In der ersten Dreifachsumme bleibt das ℘0 (z) in erster Potenz erhalten. In der zweiten g Summe tauchen sowohl 22 als auch g3 in maximal (t + 1)-ter Potenz auf (Ausmultiplizieren des Ausdrucks). Sowohl durch ℘(z)k−1 · ℘(z)3 als auch durch ℘(z)k · ℘(z)2 erhöht sich der maximale Grad der ℘-Funktion auf n + 2(t + 1). Die Ganzzahligkeit der Koeffizienten bleibt offensichtlich bestehen. Wir bekommen die Ungleichungen 2n+5t (2t)!((n + 2t) + 24(n + 2t)) ≤ 2n+5t 25 (2t + 2)(2t + 1)(2t)! 25<25 ⇔ n + 2t ≤ (2t + 2)(2t + 1) ⇔ n ≤ 4t2 + t + 1, welche für t ≥ n erfüllt sind. Wir wollen uns bei der Abschätzung der Koeffizienten auf das Wachstumsverhalten beschränken. Für große n, t gibt es eine Konstante c1 mit n+t log t 2n+5t (2t)! < e(n+5t) log 2 (2t)2t = en log 2+5t log 2+2t log 2t < c1 49 . Zulassungsarbeit § 7 Die Transzendenz der Perioden gewisser elliptischer Funktionen (7.3) Lemma Für beliebige m, n, t ∈ N mit n ≤ t ≤ m existiert ein Polynom Qm,n,t ∈ Z[ X, Y, Z, A, B], so dass t s t d t d t−s m d m n (z ℘(z) ) = ∑ (z ) (℘(z)n ) (41) dz s dz dz s =0 g2 0 = Qm,n,t z, ℘(z), ℘ (z), , g3 2 gilt, wobei die Koeffizienten betragsmäßig durch n+t log m c3 (42) und die Grade durch degX Qm,n,t ≤m, degY Qm,n,t ≤n + 2t, degZ Qm,n,t ≤1, (43) deg A Qm,n,t ≤t, degB Qm,n,t ≤t beschränkt sind. Beweis (per vollständiger Indunktion über t) Betrachtet man die Summe aus (41) etwas genauer, so fällt einem eine gewisse Parallelität zur allgemeinen binomischen Formel auf. Den (etwas unübersichtlichen) Beweis findet man im Anhang unter Lemma A.6. Der maximale Grad von z ist hier offensichtlich m, welcher bei der Summation im Falle s = t zustande kommt. Die Abschätzung der Grade von ℘(z), ℘0 (z) ergeben sich analog zu Lemma 7.2. Der Binomialkoeffizient wird maximal t t t! = 2 < t 2 . t t 2 2 ! Durch die maximal t-te Ableitung von zm ergibt sich ein maximaler Vorfaktor von n+t log t m! < mt . Zusammen mit den maximalen Faktoren c1 ergibt sich durch (m−t)! t n+t log t t t2 · |{z} m t · c1 < c22 |{z} | {z } Binomial- koeffizient Ableitung log t+t log m+n+t log t n+t log m < c3 (44) maximaler Vorfaktor als obere Schranke. 50 Zulassungsarbeit § 7 Die Transzendenz der Perioden gewisser elliptischer Funktionen Da ℘(z) und ℘0 (z) periodisch bezüglich des Gitters Ω sind, gilt ℘0 ω2 + kω = ℘0 ω2 = 0 und ℘ ω2 + kω = e1 ∈ Q. Wegen der Algebraizität von ω, e1 , g2 , g3 folgt nun für alle t, k ∈ N F (t) D1 −1 D2 −1 ω ω g 1 2 + kω = ∑ ∑ amn Qm,n,t + k ω, ℘ , ℘0 , , g3 2 2 2 2 2 m =0 n =0 D1 −1 D2 −1 1 g2 g2 = ∑ ∑ amn Qm,n,t + k ω, e1 , 0, , g3 ∈ Q ω, e1 , , g3 = Q(θ ), 2 2 2 m =0 n =0 (45) ω wobei die Existenz eines solchen θ durch den Satz des primitiven Elements (Satz A.3 im Anhang) gesichert ist und der Grad von θ als δ bezeichnet wird. (7.4) Lemma Für 0 ≤ t < T und 1 ≤ k ≤ K existieren rationale A0 ...Aδ−1 , deren Zähler betragsmäßig δ( D + D2 +4T ) durch K D1 D1T c7 1 dass die Identität und deren Nenner betragsmäßig durch c8D1 beschränkt sind, so F (t) ω 2 + kω = δ ∑ A i θ i −1 i =1 (46) gilt. Beweis Da nach (45) die Zahl F (t) ω2 + kω in Q(θ ) liegt, ist diese Darstellung möglich. Nun zum Beweis der Abschätzung der Koeffizienten. Da ω, e1 , g2 2 , g3 in Q(θ ) liegen, setzen wir δ −1 ω= ∑ αω,i θ i , i =0 δ −1 e1 = ∑ αe ,i θ i , 1 i =0 δ −1 g2 = ∑ α g2 ,i θ i , 2 2 i =0 (47) δ −1 g3 = ∑ αg ,i θ i , 3 i =0 wobei die Koeffizienten αω,i , αe1 ,i , α g2 ,i , α g3 ,i konstant, also betragsmäßig kleiner als ein geeig2 netes c4 , sind. Zusammen mit (42) sind diese α x,y multipliziert mit den Koeffizienten von Qm,n,t durch D + T log D1 D + D + T log D1 c3 2 · c4D1 + D2 +2T +T +T < c5 1 2 (48) beschränkt. 51 Zulassungsarbeit Der Vorfaktor 1+2k 2 § 7 Die Transzendenz der Perioden gewisser elliptischer Funktionen m 1+2k durch K D1 beschränkt ist, und 2 D + D + T log D1 D log K + D2 + T log D1 c5 1 2 · K D1 < c6 1 tritt in m-ter Potenz auf, so dass somit für das Produkt mit (48) die obere Schranke gewählt werden kann. Durch die Darstellungen in (47) und die Abschätzung der Grade von Qm,n,t in (43) tritt θ in maximal ( D1 δ + ( D2 + 2T )δ + Tδ + Tδ)-ter Potenz auf, so dass sich aus Lemma A.5 (im Anhang) für die Zähler die Schranke ( D1 + D2 +4T )δ c6 ≤ (1 + H(θ ))( D1 + D2 +4T )δ ≤ c7 (49) und für die Nenner die Schranke c8D1 ergibt. Fügen wir die bisherigen Ergebnisse zusammen, δ( D1 + D2 +4T ) erhalten wir für den Zähler der Ai die Schranke K D1 D1T c7 c8D1 . Drücken wir nun Qm,n,t 1+2k 2 Qm,n,t ω, e1 , 0, 1 + 2k 2 g2 2 , g3 und für den Nenner gemäß g2 ω, e1 , 0, , g3 2 δ −1 = ∑ bm,n,t,k,j θ j (50) j =0 aus, und setzen die Ausdrücke (45) und (46) gleich, können wir einen Koeffizientenvergleich durchführen, so dass D1 −1 D2 −1 Aj = ∑ ∑ amn bm,n,t,k,j (51) m =0 n =0 gilt. Das Wachstumsverhalten der Schranken für Zähler und Nenner der A j überträgt sich auf bm,n,t,k,j . Da nun für alle t, k mit 0 ≤ t < T, 1 ≤ k ≤ K die F (t) ω2 + kω verschwinden sollen (man erinnere sich an die Forderung an die Funktion F am Anfang des Beweises) und die θ 0 , ..., θ δ−1 linear unabhängig sind, verschwinden die A j für 0 ≤ j ≤ δ − 1. Dadurch erhalten wir nun δKT Gleichungen (man durchlaufe alle t, k, j) mit den D1 D2 Unbekannten amn . Werden nun D1 und D2 derart gewählt, dass D1 D2 > δKT ist, so lässt sich Siegels Lemma (Lemma A.4 im Anhang) anwenden. Somit ist die Existenz der ganzzahligen - nicht sämtlich verschwindenden - amn gesichert, so dass die Funktion F die gewünschten Nullstellen besitzt. Weiterhin gilt die Abschätzung δKT 1 D2 −δKT (log( D1 D2 )+ D1 log K + T log D1 +δ( D1 + D2 +4T ))· D 0 < max{| amn |} ≤ c9 Um nun D1 D2 > δKT gewährleisten zu können, setzen wir √ D1 :=d δKT e, √ D2 :=d δK (1 + log T )e. Eine leichte Rechnung liefert die Abschätzung 1 δKT ≤ , D1 D2 − δKT log T 52 . (52) Zulassungsarbeit § 7 Die Transzendenz der Perioden gewisser elliptischer Funktionen so dass für große T 0 < max{| amn |} ≤ 1 log T log(KT log T )+√KT log K+T log(√KT )+δ(√KT +√K log T +4T ) √ <e c10 KT log K (53) (Einsetzen der Definition von D1 , D2 ) gilt. Bisher haben wir also die Hilfsfunktion F mit ganzzahligen und beschränkten Koeffizienten konstruiert. Um nun eine geeignete Zahl, die uns zum Widerspruch führen kann, zu finden, muss noch gezeigt werden, dass die Funktion F (z) nicht der Nullfunktion entspricht. Hierzu reicht es, die algebraische Unabhängigkeit von ℘(z) und z zu zeigen. (7.5) Lemma Es gibt kein Polynom 0 6= P ∈ Q[ X, Y ] mit P(℘(z), z) ≡ 0. Beweis Angenommen, ein solches Polynom 0 6= P ∈ Q[ X, Y ] existiere, so dass A(z) := P(℘(z), z) für alle z ∈ C verschwindet. Ohne Einschränkung nehmen wir an, P habe minimalen Grad. Da A(0) = 0 gilt, werden die Pole von ℘ in 0 gehoben. Somit ist A von der Gestalt n A(z) = ∑ ak ℘(z)k z2k+ε m k + k =1 ∑ bk zk ≡ 0. (54) k =0 Hierbei sind ak , bk ∈ Q und m, n, ε k ∈ N0 passend zu wählen. Bezeichne ab sofort ξ eine Nullstelle und ω 6= 0 eine Periode der Weierstraßschen ℘-Funktion. Aus (54) ergibt sich die Gleichung n ∑ ak ℘(z)k z2k+ε k = − k =1 m ∑ bk z k . (55) k =0 Da nun die linke Seite in allen ξ + Zω verschwindet, besitzt das Polynom auf der rechten Seite unendlich viele Nullstellen und ist somit das Nullpolynom. Da links jedes z in mindestens zweiter Potenz vorkommt, lässt sich eines ausklammern und wir erhalten n z· ∑ ak ℘(z)k z2k+ε −1 ≡ 0. k k =1 Für alle z 6= 0 verschwindet nun die Summe Q := ∑ ak ℘(z)k z2k+ε k −1 , was uns aus Stetigkeitsgründen zu einem Polynom Q ∈ Q[ X, Y ] führt, für das Q(℘(z), z) ≡ 0 gilt. Da Q nun einen kleineren Grad als P besitzt, ist der Widerspruch erreicht. Da nun die Funktion F (z) nicht in allen z ∈ C verschwindet, existiert ein minimales M, so dass ω F (t) + kω = 0 für 1 ≤ k ≤ K und 0 ≤ t < M, (56) 2 53 Zulassungsarbeit § 7 Die Transzendenz der Perioden gewisser elliptischer Funktionen und ein k0 ≤ K, so dass F ( M) ω 2 + k0 ω 6= 0 ist. Ansonsten würde der Identitätssatz die Funktion der Nullfunktion gleichsetzen. Um nun die volle Kraft der Funktionentheorie anwenden zu können, setzen wir die Funktion analytisch fort, indem wir die Pole von F (z) mit Hilfe der Weierstraßschen σ-Funktion (Abschnitt 6.13) heben und die „überflüssigen“ M − 1-fachen Nullstellen, die aus (56) resultieren, herauskürzen. G (z) = σ(z)2( D2 −1) F (z) M−1 ∏kK=1 z − ω2 + kω Nach Abschnitt 6.13 ist das Wachstumsverhalten von σ(z)2 ℘(z) für betragsmäßig große 2+ e z ∈ C durch ez beschränkt, so dass es für jedes e > 0 ein Re mit 2+ e max σ(z)2 ℘(z) < e|z| |z|= Re gibt. Somit lässt sich für große T (und somit für große M) das Maximumprinzip für das 1 Gebiet {z ∈ C : |z| ≤ R} mit R := M 4 und e = 41 anwenden und es gilt 9 max σ(z)2 ℘(z) < e R 4 . |z|= R Das Maximumprinzip auf die Funktion G (z) angewandt führt zur Abschätzung ) ( σ(z)2( D2 −1) F (z) max {| G (z)|} = max ≤ M − 1 K ω |z|= R |z|= R ∏ k =1 z − 2 + kω √ 9 log D1 D2 + T K log K + D1 log R+ D2 R 4 ≤ Summationsgrenzen Koeffizienten z √}| { z }| { 9 D1 D2 e T K log K R D1 e D2 R 4 K ( M −1) R − ω2 (K + 1) c11 1 KM log R 4 c12 √ √ 9 T K log K + T K log M +KM 4 log T c13 ≤ 1 4 KM log M c14 1 ≤ e− 8 KM log M , (57) wobei der letzte Schritt dadurch gewährleistet ist, dass M nach Konstruktion größer als T ist. 54 Zulassungsarbeit § 7 Die Transzendenz der Perioden gewisser elliptischer Funktionen Bringt man jetzt die M-te Ableitung von F (z) ins Spiel, so lässt sich Nenner von G (z) aus der Ableitung ω 2( D2 −1) z}|{ ω ( M) σ ≤ M! | G (z)| F + k ω + k ω 0 0 R 2 2 R z K ∏ {z > M! =e (57) { |(k0 − k)ω | M−1 k=1,k 6=k0 M log M − 18 KM log M < e| {z } e| }| }(K |ω |) KM M log M − 18 KM log M +KM log(K |ω |) abschätzen. Setzt man nun K als ein genügend großes Vielfaches von δ, so lässt sich die Ungleichung mittels 1 1 e M log M− 8 CδM log M+2CδM log Cδ < e M log M·(2− 8 Cδ) < e−2δM log M weiterführen. Für große T, M ist das Wachstumsverhalten von σ2( D2 −1) kleiner als eδM log M , da D2 nach Definition lediglich logarithmisch wächst. Hieraus folgt ( M) ω + k0 ω < e−δM log M . (58) F 2 R Analog zu den bisherigen Überlegungen kann man nun die Existenz von Ai ∈ Q, 1 ≤ i ≤ δ zeigen, so dass die Identität F ( M) ω 2 + k0 ω = δ ∑ A i θ i −1 , (59) i =1 erfüllt ist, wobei die Koeffizienten Ai betragsmäßig durch e M log T beschränkt sind. Der Satz über die elementarsymmetrischen Funktionen verrät uns nun, dass δ N := A i θ 0 i −1 ∈ Z ∏ ∑ 0 θ ∈ Θ i =1 ist, wobei hier Θ die Menge der Konjugierten von θ bezeichnet. Fügen wir die Abschätzungen zusammen, so erhalten wir für große M, T letztendlich den Widerspruch durch δ −1 δ δ log T < e− M log M < 1. 0 < |N | = ∑ Ai θ i−1 · ∏ ∑ Ai θ 0i−1 < e|−δM{zlog M} · e|M{z } i =1 θ 0 ∈Θ,θ 0 6=θ i=1 (58) (59) | {z } | {z } Abschätzung von θ Abschätzung der Konj. 55 Zulassungsarbeit § 8 Die Gammafunktion § 8 Die Gammafunktion (a) Re(Γ(z)) (b) Im(Γ(z)) (c) |Γ(z)| Abbildung 12: Die Gammafunktion. Man erahnt die Singularitäten in −N0 und den steilen Anstieg auf der positiven reellen Achse. Da sich diese Arbeit unter anderem auch mit der Transzendenz von gewissen Werten der Gammafunktion beschäftigt, sollen in diesem Kapitel verschiedene äquivalente Definitionen und zentrale Eigenschaften dieser interessanten Funktion gezeigt werden. 8.1 Geschichtliches Nachdem Euler der Einladung zur Akademie nach St. Petersburg gefolgt war und dort durch Daniel Bernoulli und Christian Goldbach auf das Problem der Interpolation der Fakultät aufmerksam gemacht worden war, gab er 1729 in einem Brief an Goldbach eine Darstellung der Lösung des Problems in Produktdarstellung an. Ein viertel Jahr später gab er einen weiteren Vorschlag in Form des Integrals Γ(z) = Z1 0 z−1 Z∞ 1 log dt = x z−1 e− x dx t (60) 0 an, welche heute die gängigste Definition der Gammafunktion ist. Durch einmalige partielle Integration Γ ( z + 1) = Z∞ z −t t e dt = ∞ − tz e−t 0 − Z∞ z · tz−1 −e−t dt = z · Γ(z) 0 0 (Funktionalgleichung der Gammafunktion) und die Tatsache Γ (1) = Z∞ ∞ e−t dt = −e−t 0 = 1 0 56 (61) Zulassungsarbeit § 8 Die Gammafunktion hat eine rekursive Anwendung der Funktionalgleichung Γ(n + 1) = n! für n ∈ N zur Folge. 8.2 Denitionen der Gammafunktion Mehrere berühmte Mathematiker, die sich mit der Gammafunktion beschäftigten, gaben unterschiedliche Definitionen an. (8.1) Definition (Gammafunktion) Die Gammafunktion Γ(z) : C \ (−N0 ) → C wird definiert durch Γ Euler (z) = Z∞ tz−1 e−t dt (62) 0 n!nz n → ∞ z ( z + 1) · · · ( z + n ) ! z −1 ∞ z ΓWeierstrass (z) = zeγz · ∏ 1 + e− k , k k =1 ΓGauss (z) = lim wobei in Weierstraß’ Definition γ = limn→∞ ∑nk=1 1 k (63) (64) − log n zu setzen ist. Beweis (Äquivalenz der Definitionen) Ohne auf die Konvergenz der jeweiligen Grenzwertprozesse einzugehen, soll die Gleichheit der alternativen Definitionen gezeigt werden. k Mit der bekannten Darstellung e x = limk→∞ 1 + xk lässt sich nun Γ Euler (z) = Z∞ Satz v.d. monotonen − t z −1 e t dt Konvergenz = lim Zn n→∞ 0 0 t n =τ = lim nz Z1 n→∞ t 1− n n tz−1 dt (1 − τ )n τ z−1 dτ 0 Z1 z 1 τz n τ = lim n (1 − τ ) · + |{z} n (1 − τ ) n −1 · dτ n→∞ z 0 z |{z} 2. 0 | {z } z 3. 1. schreiben. Die Idee der partiellen Integration lässt sich nun n-fach wiederholen. Der Term (1.) fällt stets weg. Die durch die Differentiation von (1 − τ )k entstehenden Faktoren (2.) sorgen für n!. Der Bruch (3.) sorgt für den Nenner der Gaußschen Darstellung nz n! = ΓGauss (z). n → ∞ z · ( z + 1) · . . . · ( z + n ) lim 57 Zulassungsarbeit § 8 Die Gammafunktion Modifiziert man nun diese Darstellung ein wenig, so erhält man nz 1·2·...·n = lim n→∞ n→∞ z (1 + z ) · (2 + z ) · . . . · ( n + z ) z ∏nj=1 1 + zj ! −1 −z n n 1 ez log n ∏nj=1 e j z − zj z log n−∑ j=1 j z = lim e = lim · z∏ 1+ e − n→∞ n → ∞ n z j j z ∏ j =1 1 + j e j =1 ! −1 ∞ z − zj γz = z· e ·∏ 1+ e = ΓWeierstrass (z), j j =1 ΓGauss (z) = lim nz · womit die Gleichheit der drei Definitionen (abgesehen von Grenzwertvertauschungen und 1 Konvergenzrechtfertigungen) gezeigt wäre. Die Existenz des Grenzwertes lim ∑ j − log n folgt aus der Tatsache, dass die Folge der n 1 γn := ∑ − log n = j j =1 n 1 ∑j− j =1 Zn 1 1 dx x monoton fällt und durch 0 nach unten beschränkt ist. Eine weitere Charakterisierung der Gammafunktion geht aus dem Satz von Bohr-Mollerup hervor: (8.2) Satz (Bohr-Mollerup 1922) Eine Funktion G : R+ → R+ mit 1. G (1) = 1, 2. G (z + 1) = z · G (z), 3. G ist logarithmisch konvex, entspricht auf diesem Bereich genau der Gammafunktion. Beweis Einen Beweis dieses Satzes findet man beispielsweise im Buch [15]. Da im Satz von Bohr-Mollerup logarithmische Konvexität gefordert wird, wird in Abschnitt A.3 im Anhang (logarithmische) Konvexität erklärt. 58 Zulassungsarbeit § 8 Die Gammafunktion 8.3 Die Betafunktion (8.3) Definition (Betafunktion) Die Funktion B : {( x, y) ∈ C2 : Re( x ), Re(y) > 0} → C mit B( x, y) = Z1 t x−1 (1 − t)y−1 dt (65) 0 heißt die (Eulersche) Betafunktion. (8.4) Lemma Für die Betafunktion gilt in ihrem Definitionsbereich B( x + 1, y) + B( x, y + 1) = B( x, y). (66) Beweis Durch Nachrechnen erhalten wir schnell B( x + 1, y) + B( x, y + 1) = Z1 x t (1 − t ) y −1 dt + 0 = Z1 Z1 t x−1 (1 − t)y dt 0 t x−1 (1 − t)y−1 (t + 1 − t)dt = B( x, y). 0 (8.5) Lemma Für die Betafunktion gilt in ihrem Definitionsbereich Γ( a)Γ(b) = B( a, b). Γ( a + b) (67) Beweis Wir fixieren b mit Re(b) > 0 und definieren eine Funktion G : { x ∈ C| Re( x ) > 0} → C mit G ( a) = B( a, b) · Γ( a + b) für alle a mit Re( a) > 0. Γ(b) Mit Hilfe des Satzes von Bohr-Mollerup versuchen wir, die Funktion G der Gammafunktion gleichzusetzen. 59 Zulassungsarbeit § 8 Die Gammafunktion 1. Normierung Durch direktes Nachrechnen erhalten wir G (1) = B(1, b) · Γ (1 + b ) = Γ(b) Z1 b · Γ(b) = 1. Γ(b) (1 − t)b−1 dt · 0 2. Funktionalgleichung Durch partielle Integration folgt die Gleicheit b · B( a + 1, b) = b · Z1 x a (1 − x )b−1 dx (68) 0 1 = b[− x a (1 − x )b ]10 + a b Z1 x a−1 (1 − x )b dx = aB( a, b + 1). 0 Diese Identität führt schnell auf die Funktionalgleichung der Funktion G Γ ( a + b + 1) Γ(b) Γ( a + b) = ( a + b) · B( a + 1, b) · Γ(b) G ( a + 1) = B( a + 1, b) · (68) = a ( B( a + 1, b) + B( a, b + 1)) · Γ( a + b) Γ(b) Γ( a + b) = a · G ( a ). Γ(b) (66) = a · B( a, b) · 3. Logarithmische Konvexität Aus der Definition der Betafunktion folgt B(λa + (1 − λ)b, c) = Z1 x λa+(1−λ)b−1 (1 − x )c−1 dx. 0 Setze nun v = 1 λ Z1 und w = x a b v + w −1 1 1− λ , dann gilt (1 − x ) c −1 dx = 0 Teilen wir den Integranden nun in x 1 v Z1 + x 1 w a −1 v = 1 und x b −1 w (1 − x ) c −1 w (1 − x ) c −1 v . 0 a −1 v (1 − x ) 60 c −1 v und x b −1 w (1 − x ) c −1 w auf und setzen Zulassungsarbeit § 8 Die Gammafunktion wir 0 < λ < 1, so gilt mit der Hölderschen Ungleichung (Siehe Satz A.2 im Anhang) Z1 x a −1 (1 − x ) c −1 λ x b −1 (1 − x ) c −1 1− λ dx ≤ 0 Z1 x a −1 (1 − x ) c −1 0 λ·v 1v dx · Z1 x b −1 (1 − x ) c −1 (1−λ)·w w1 dx 0 Z1 λ x a−1 (1 − x )c−1 dx · Z1 1− λ x b−1 (1 − x )c−1 dx = B ( a ) λ · B ( b )1− λ . 0 0 Durch Logarithmieren folgt nun die logarithmische Konvexität der Betafunktion mit log B(λa + (1 − λ)b, c) ≤ λ log B( a, c) + (1 − λ) log B(b, c). Aus dieser Eigenschaft, der logarithmischen Konvexität der Gammafunktion und der logarithmischen Konvexität von Produkten logarithmisch konvexer Funktionen folgt diese Eigenschaft nun auch für die Funktion G und die Identität G = Γ ist gezeigt. Hieraus folgt die Behauptung. 8.4 Eigenschaften der Gammafunktion Aus der Weierstraßschen Definition kann man - vorausgesetzt, man ist sich der Produkt∞ z2 entwicklung von sin(πz) = πz ∏k=1 1 − k2 bewusst - für C \ Z sofort Γ(z)Γ(1 − z) = Γ(z)Γ(−z)(−z) " ! !#−1 ∞ ∞ z z z −z − γz γz ·∏ 1− = z·e ·∏ 1+ · e k · (−z) · e · ek (−z) k k k =1 k =1 " # −1 ∞ z2 π 2 = (−z ) ∏ 1 − 2 (−z) = k sin πz k =1 herleiten. Hieraus folgt also für alle nicht ganzen Zahlen der Eulersche Ergänzungssatz (8.6) Lemma (Eulerscher Ergänzungssatz) Für alle z ∈ C \ Z gilt Γ ( z ) Γ (1 − z ) = 61 π . sin πz (69) Zulassungsarbeit Für z = 1 2 § 8 Die Gammafunktion folgt auch hier sofort √ 1 Γ = π. 2 (70) Eine letzte Eigenschaft der Gammafunktion, die wir verwenden werden, ist die Verdopplungsformel von Legendre. (8.7) Lemma (Verdopplungsformel von Legendre) Für z ∈ C \ − 12 N0 gilt 2z−1 1 2 · √ . Γ(2z) = Γ(z)Γ z + 2 π (71) Beweis Wir definieren eine Funktion G : C \ − 21 N0 → C mittels 2z−1 1 2 G (2z) = Γ(z)Γ z + · √ . 2 π Diese Funktion ist offensichtlich logarithmisch konvex∗ und für z = 1 G (2z + 1) = Γ z + 2 1 2 gilt G (1) = 1. Mit 2z−1 1 2 · 22z−1 2 = 2zΓ(z)Γ z + Γ ( z + 1) · √ · √ = 2zΓ(2z) 2 π π folgt also aus dem Satz von Bohr-Mollerup G (z) = Γ(z) und somit obige Verdopplungsformel. Im Übrigen: Die meisten bekannten Funktionen wie die Exponentialfunktion, trigonometrische Funktionen oder auch die ℘-Funktion können durch die Lösung einer Differentialgleichung beschrieben werden. Hölder veröffentlichte 1886 den Artikel [13], in welchem bewiesen wird, dass die Gammafunktion die Eigenschaft besitzt, keiner algebraischen Differentialgleichung zu genügen. Solche Funktionen nennt man hypertranszendent. ∗ Das folgt aus der logarithmischen Konvexität von Γ(z) und 2z . 62 Zulassungsarbeit § 9 Die Transzendenz von Γ( 14 )2 √ π § 9 Die Transzendenz von und Γ( 14 )2 √ π und Γ( 13 )3 π Γ( 13 )3 π Mit Hilfe des Satzes von Schneider (Kapitel 7) und den Erkenntnissen aus dem Kapitel über die Gammafunktion (Kapitel 8) können wir uns nun auf die Suche nach ersten expliziten Transzendenzresultaten von Perioden gewisser elliptischer Funktionen machen. 9.1 Die ℘-Funktion als Inverse des elliptischen Integrals Sei Ω ein Gitter, g2 , g3 die Gitterinvarianten und ℘ die Weierstraßsche ℘-Funktion bezüglich Ω. Führt man die Integralfunktion z : ( a, ∞) → R, wobei a die größte reelle Nullstelle von 4x3 − g2 x − g3 ist, mit z(ξ ) = Z∞ dx p ξ 4x3 − g2 x − g3 (72) ein und wendet man hierauf die Formel für die Ableitung der Umkehrfunktion an, so erhält man mit q dξ (z) = 4ξ (z)3 − g2 ξ (z) − g3 (73) dz die Identität ξ (z) = ℘(z + b) für eine gewisse Konstante b. Mit limξ →∞ z(ξ ) = 0 stellt man fest, dass b ein Pol von ℘(z) sein muss, also b ∈ Ω. Hieraus folgt ξ (z) = ℘(z), somit invertiert die ℘-Funktion obiges Integral und es gilt z= Z∞ dx p ℘(z) 4x3 − g2 x − g3 . (74) Γ( 41 )2 √ π 9.2 Die Transzendenz von Sei nun g2 = 4, g3 = 0. Die Nullstellenmenge von 4x3 − g2 x − g3 = 4x3 − 4x ist nun {−1, 0, 1}, so dass für ein ω ∈ Ω nun ℘( ω2 ) = 1 gilt (siehe (28)). Somit ist mit ω = 2 Z∞ √ ℘( ω2 ) dx 4x3 − 4x ein algebraisches Vielfaches der Periode gefunden. Mittels der Substitution x = √1 3 t und dx = − 12 · t− 2 dt gilt 63 (75) Zulassungsarbeit ω = 2 § 9 Die Transzendenz von Z∞ 1 dx 1 √ =− 3 4 4x − 4x Z0 3 t− 2 dt q 1 1 = 4 1 3 t− 2 − t− 2 Z1 3 Γ( 14 )2 √ π und Γ( 13 )3 π 1 t− 4 (1 − t)− 2 dt. 0 Mit dem Zusammenhang zwischen Beta- und Gammafunktion erhält man (67) 1 I = 4 (69) 1 = 4 Γ 1 4 Γ Γ 1 2 Erweiterung mit Γ( 14 ) = 3 4 √ 1 2 Γ 4 π π sin(π/4) √ 1 2 4 3 4 Γ 2 1 4 1Γ 4Γ π 1 4 1 Γ = √ √ . π 4 2 Durch die algebraische Abhängigkeit von ω und Γ( 14 )2 √ π und dem Resultat aus dem Satz von Schneider (Satz 7.1) erhalten wir die Transzendenz von Γ( 14 )2 √ . π (9.1) Bemerkung Starten wir die Integration bei den anderen Nullstellen, so erhalten wir ähnliche Ergebnisse. So gilt bei Integration ab 0 Z∞ 0 2 1 Γ 14 √ = (1 − i ) √ √ π 4 2 4x3 − 4x dx und bei Integration ab −1 Z∞ −1 2 1 Γ 14 √ = (2 − i ) √ √ . π 4 2 4x3 − 4x dx Γ( 13 )3 π 9.3 Die Transzendenz von Mit den Koeffizienten g2 = 0, g3 = 4 des Polynoms 4x3 − g2 x − g3 = 4x3 − 4 ergibt sich die 2πi 4πi Nullstellenmenge {1, e 3 , e 3 }. Eine analoge Vorgehensweise und die Anwendung der Verdopplungsformel von Lagrange liefert mit Verwendung der Nullstelle 1 und der Substitution x = t−1/3 , dx = − 13 t−4/3 dt die Identität ω = 2 Z∞ √ ℘( ω2 ) 1 = 6 Z1 0 t dx 4x3 − 4 − 56 (1 − t ) Substitution = 1 − 6 Z0 1 1 Γ 61 Γ 12 . = · 6 Γ 23 − 12 67 64 1 t− 3 dt √ t −1 − 1 Zulassungsarbeit § 9 Die Transzendenz von Γ( 14 )2 √ π und Γ( 13 )3 π Da wir jetzt einige Male die Verdopplungsformel anwenden werden, fassen wir ab sofort alle algebraischen Konstanten zu d1 , d2 , ... zusammen, um Übersichtlichkeit in der Rechnung gewährleisten zu können. Erweiterungen mit 1 trennen wir mit einem eigenen Faktor von dem bisherigen Bruch ab. √ Γ 61 π Γ 13 Γ 56 1 Γ 16 Γ 21 · = d1 · I= · 6 Γ 32 Γ 23 Γ 13 Γ 56 2 π 3 Γ 31 (71) Γ 61 Γ 23 Γ 31 (69) = d3 · = d2 · · πΓ 65 Γ 56 Γ 13 3 Γ 61 Γ 13 Γ 56 Γ 13 Γ 13 (69) Γ 13 (71) = d5 · = d4 · · π Γ 56 Γ 16 Γ 23 Γ 13 Γ( 13 )3 π Auch hier folgt nun die Transzendenz von Periode ω. aus der algebraischen Abhängigkeit zur 9.4 Exkurs: Die Lemniskate Die Entdeckung elliptischer Funktionen hat ihren Ursprung in den Untersuchungen der von Jakob Bernoulli eingeführten Lemniskate. Die Kurve - deren Aussehen dem Unendlichzeichen gleicht - wird in karthesischen Koordinaten durch die algebraische Gleichung ( x 2 + y2 )2 − 2( x 2 − y2 ) = 0 oder in Polarkoordinaten durch r2 = cos 2ϕ beschrieben. Aufbauend auf den Arbeiten Bernoullis und des italienischen Mathematikers Fagnano führte Gauß die lemniskatische Sinus- sl und Kosinusfunktion cl ein. Diese beiden Funktionen nehmen auf der Lemniskate die gleiche Rolle ein, wie die Sinus- und Kosinusfunktion auf dem Kreis. Bei einer Fortsetzung der Funktionen “fundamentalen Periodizitätsrelationen” ins Komplexe bewies Gauß die sl (s + 4v 0 ) = sl s, sl (s + 4v 0 i ) = sl s, wobei die Zahl 0 v := Z1 dp p 0 65 1 − p4 (76) Zulassungsarbeit § 9 Die Transzendenz von Γ( 14 )2 √ π und Γ( 13 )3 π als Länge des Halbbogens der Lemniskate definiert wird. Während der Sinus nur eine Periode besitzt, hat der lemniskatische eine reelle und eine rein imaginäre Periode. Historisch gesehen war diese Funktion die erste elliptische Funktion. Die Berechnung der Bogenlänge der Lemniskate geschieht durch Lösen des Integrals (76). Durch die Substitution p = √1u wird das Integral in die bereits bekannte Form 2 Z1 dp p 0 1− p4 =2 Z∞ 1 √ du 4u3 − 4u überführt. Aus den Ergebnissen dieses Kapitels wissen wir nun, dass die Lemniskate eine transzendente Bogenlänge besitzt. 66 Zulassungsarbeit § 10 Komplexe Multiplikation § 10 Komplexe Multiplikation 10.1 Motivation Für eine ganze Zahl c ∈ Z gilt offensichtlich für jeden Gitterpunkt ω ∈ Ω, dass auch c · ω im Gitter Ω liegt. Betrachten wir die Abbildung ϕc : Ω → Ω, ϕc (ω ) = cω, so induziert die Zahl c ∈ Z einen Endomorphismus - ein Homomorphismus, der Ω in sich selbst abbildet. Betrachten wir nun zu Ω die Menge aller komplexen Zahlen, die einen solchen Endomorphismus induzieren. Diese Menge MΩ = { ξ ∈ C : ξ · Ω ⊂ Ω } (77) enthält nun offensichtlich die ganzen Zahlen, und meistens∗ stimmt MΩ auch mit Z überein. Jedoch ist schnell mit Ωi = Z + iZ ein Beispiel für ein Gitter gefunden, bei welchem auch andere komplexe Zahlen in MΩi enthalten sind. So gilt für dieses Beispiel wegen iΩi = iZ + i2 Z = iZ − Z = Z + iZ = Ωi , dass i ∈ MΩi ist. Die Menge aller Endomorphismen auf einem Gitter Ω - welche durch die Zahlen der Menge MΩ induziert werden - bildet einen Ring und wird als Endomorphismenring End(Ω) bezeichnet. 10.2 Gitter mit komplexer Multiplikation (10.1) Definition (Gitter mit komplexer Multiplikation) Sei Ω ein Gitter und MΩ wie in (77). Gilt nun Z ( MΩ , so besitzt das Gitter Ω komplexe Multiplikation. Es gibt also bei einem Gitter Ω mit komplexer Multiplikation nicht ganzzahlige komplexe Zahlen ξ, für die ξΩ ⊂ Ω ∗ Wie wir in Lemma 10.2 sehen werden, ist dieses “meistens” mengentheoretisch zu verstehen. 67 Zulassungsarbeit § 10 Komplexe Multiplikation gilt. Im Folgenden wollen wir einige Eigenschaften von Gittern mit komplexer Multiplikation zeigen, anschließend zwei Beispiele angeben und mit diesen Beispielen weitere Transzendenzergebnisse erzielen. (10.2) Lemma Sei Ω ein Gitter und MΩ wie in (77). Gibt es ein ξ ∈ MΩ \ Z, dann ist ξ algebraisch vom Grad 2. Beweis ω1 ∈ / R. Zu beliebigem ξ ∈ MΩ gibt Für das Gitter Ω = Zω1 + Zω2 gilt laut Voraussetzung ω 2 es wegen ξΩ ⊂ Ω geeignete a, b, α, β ∈ Z, so dass ξω1 = aω1 + bω2 , ξω2 =αω1 + βω2 2 gilt. Die Umformung ξ = a + b ω / R ist. Auflösen beider Gleichungen nach ω1 zeigt, dass ξ ∈ ω1 ω2 und Gleichsetzen führt zu (ξ − β)(ξ − a) − bα = 0. Da ξ ∈ / R, ist das Polynom p( x ) = ( x − β)( x − a) − bα irreduzibel und besitzt rationale Koeffizienten. Somit ist ξ algebraisch vom Grad 2. Bei den folgenden Beispielen werden wir für explizite elliptische Kurven die Eigenschaft der komplexen Multiplikation nachweisen. Hierfür sei Ω ein Gitter, g2 , g3 die zu Ω gehörigen Gitterinvarianten, E(C) die durch die Gleichung y2 = 4x3 − g2 x − g3 definierte elliptische Kurve und MΩ wie in (77). (10.3) Beispiel Für g2 = 4, g3 = 0 ist i ∈ MΩ , da die Abbildung ϕ mit ϕ ( x, y) → (− x, iy) einen Endomorphismus der elliptischen Kurve beschreibt. Durch Einsetzen des Punktes (− x, iy) in die algebraische Gleichung −y2 = (iy)2 = 4(− x )3 − 4(− x ) = −(4x3 − 4x ) zeigt man, dass für ( x, y) ∈ E(C) auch (− x, iy) ∈ E(C) ist. (10.4) Beispiel 2iπ Für g2 = 0, g3 = 4 ist ζ 3 := e 3 ∈ MΩ , da die Abbildung ϕ mit ϕ ( x, y) → (ζ 3 x, −y) einen Endomorphismus der elliptischen Kurve beschreibt. Die Verifikation läuft analog zu vorherigem Beispiel: y2 = (−y)2 = (ζ 3 x )3 − 4 = x3 − 4. 68 Zulassungsarbeit § 10 Komplexe Multiplikation (10.5) Satz (Chudnovsky, 1976) Sei E(C) eine elliptische Kurve bezüglich des Gitters Ω. Sind nun die Gitterinvarianten g2 , g3 algebraisch und besitzt Ω komplexe Multiplikation, so ist jede Periode ω ∈ Ω0 von π algebraisch unabhängig. Beweis Einen Beweis findet man in [5]. 10.3 Die Transzendenz von Γ( 41 ) und Γ( 13 ) Aus der algebraischen Unabhängigkeit lassen sich nun die aus Kapitel 9 erzielten Ergebnisse noch “verfeinern”. (10.6) Korollar Γ 14 ist transzendent. Beweis 2 Γ( 1 ) Aus Abschnitt 9.2 ist bekannt, dass 2√42π eine Periode der elliptischen Kurve E(C) ist, welche durch die Gleichung y2 = 4x3 − 4x definiert wird. Das zugehörige Gitter Ω besitzt wegen Beispiel 10.3 komplexe Multiplikation. Wäre nun Γ 14 algebraisch, so wäre 4 1 − 8x2 y F ( x, y) = Γ 4 ein Polynom über den algebraischen Zahlen mit Nullstelle in 2 Γ( 41 ) √ 22π , π , was Satz 10.5 widerspricht. (10.7) Korollar Γ 13 ist transzendent. Beweis 3 Γ( 1 ) Die Zahl π3 ist algebraisches Vielfaches der Periode der elliptischen Kurve, die durch die Gleichung y2 = 4x3 − 4 definiert wird. Nach Beispiel 10.4 besitzt das zugehörige Gitter komplexe Multiplikation. Wäre nun Γ( 13 ) algebraisch, so würde das Polynom 3 1 F ( x, y) = Γ − xy 3 in Γ( 13 )3 π ,π verschwinden. Ein Widerspruch zu Satz 10.5. (10.8) Korollar Die Zahlen 1 1 1 1 2 3 5 ,Γ ,Γ ,Γ ,Γ ,Γ ,Γ Γ 2 3 4 6 3 4 6 sind sämtlich transzendent. 69 Zulassungsarbeit § 10 Komplexe Multiplikation Beweis √ Die Transzendenz von π = Γ 1 2 ,Γ 1 3 2 Γ = 3 Γ 3 Γ = 4 Γ ,Γ 1 4 wurde bereits gezeigt. Mit 2π π =√ π sin( 3 ) 3Γ 13 2π π =√ 1 π 2Γ 14 4 sin( 4 ) 1 3 und der algebraischen Unabhängigkeit der Gammawerte Γ zendenz dieser beiden Zahlen. 1 4 ,Γ 1 3 von π folgt die Trans- Mit Anwendung der Verdopplungs- und Ergänzungsformel ergibt sich 2 r 1 π −5 1 −1 1 2 1 1 Γ = √ 2 6Γ Γ Γ = 2 6Γ . 3 6 3 3 2 6 2π Hieraus folgt neben der Transzendenz von Γ 16 auch dessen algebraische Unabhängigkeit von π, so dass 5 π Γ = 1 6 Γ 6 sin( 5π 6 ) auch transzendent sind. 70 Zulassungsarbeit § 11 Offene Probleme und Schlusswort § 11 Offene Probleme und Schlusswort 11.1 Erzielte Ergebnisse In diesem letzten Kapitel stelle ich alle im Rahmen dieser Arbeit erzielten Ergebnisse zusammengefasst vor und zeige anschließend einige offene Probleme in der Theorie der transzendenten Zahlen auf. Betrachten wir die Ergebnisse aus mengentheoretischer Sicht, so erzielen wir das “größte“ Resultat bereits im Kapitel 3. Dort finden wir mit den Liouville-Zahlen eine Menge transzendenter Zahlen, die überabzählbar viele Elemente enthält. Durch Angabe einer Teilmenge könnten wir sogar beliebig viele solcher Zahlen explizit angeben. Die nächsten beiden Resultate sind die Transzendenzbeweise der Eulerschen Zahl e und der Kreiszahl π. Bei näherem Betrachten ähneln sich die Beweise stark. Nicht zuletzt liegt das wohl daran, dass Lindemann nach Paris fuhr, um mit Hermite einige Methoden des Beweises der Transzendenz von e zu diskutieren. Nachdem elliptische Kurven und Funktionen und ihre grundlegenden Eigenschaften gezeigt werden, führen wir einen Beweis des Satzes von Schneider. Dieser besagt, dass die Perioden (6= 0) eines Gitters mit algebraischen Gitterinvarianten transzendent sind. Durchlaufen wir hier alle algebraischen Zahlen, so erhalten wir mit den Perioden abzählbar viele transzendente Zahlen. Diese können wir leider im Allgemeinen nicht explizit ausrechnen. Lediglich für zwei Beispiele können wir das dazugehörige elliptische Integral lösen und somit die Transzendenz der Zahlen 3 2 Γ 13 Γ 14 √ und π π belegen. Durch Angabe eines Satzes von Chudnovsky erweitern wir diese Ergebnisse noch. Die Perioden von Gittern mit “komplexer Multiplikation” sind algebraisch unabhängig von π, so dass die Transzendenz von 1 1 Γ und Γ 4 3 ausgeführt wird. Weitere Rechnungen ergeben die Transzendenz von insgesamt sieben Werten der Gammafunktion. 71 Zulassungsarbeit § 11 Offene Probleme und Schlusswort 11.2 Weitere Ergebnisse in der Theorie der transzendenten Zahlen Es ist möglich, aus den Ergebnissen, die bisher gefunden wurden∗ ohne großen Aufwand neue zu konstruieren. Die Entdeckung der Liouville-Zahlen basiert auf einer gute Approximation gewisser transzendenter Zahlen durch rationale. So ließen sich neben der angegebenen Menge ∞ ∑ ai 10−i! i =0 weitere Teilmengen der Liouville-Zahlen angeben, indem man die Anzahl der Nullen in der Dezimalbruchentwicklung erhöht, wie z.B. bei den Mengen ∞ ∑ ai 10−(2i)! , i =0 ∞ ∑ ai 10−i , i usw... . i =0 Die Sätze von Hermite-Lindemann, Lindemann-Weierstraß und Gelfond-Schneider tragen zur Konstruktion weiterer Ergebnisse erheblich bei. Da nach Lindemann-Weierstraß für paarweise unterschiedliche algebraische α1 , ..., αn die Werte eα1 , ..., eαn algebraisch unabhängig sind, ist beispielsweise auch eiα − e−iα = sinα 2i transzendent für algebraisches α. Dies lässt sich natürlich auch auf weitere Funktionen wie auf den Kosinus oder die hyperbolischen Funktionen übertragen. Ein weiteres Resultat der Weierstraßschen ℘-Funktion haben wir bisher noch unberücksichtigt gelassen. Für algebraisches α ist der Wert ℘(α) transzendent. Dies stellt eine weitere Verbindung zur Exponentialfunktion dar, die nach Hermite-Lindemann ebenfalls für algebraische Argumente transzendente Werte annimmt. ∗ Siehe hierfür die kurze Zusammenstellung in Abschnitt 2.6 72 Zulassungsarbeit § 11 Offene Probleme und Schlusswort 11.3 Oene Probleme In der Literatur findet man oft Aussagen wie “e + π und e · π sind nicht beide algebraisch.00 Diese Aussage jedoch macht einem auch klar, dass über die Zahlen e und π noch vieles unbekannt ist, wie beispielsweise deren algebraische Abhängigkeit, also ob es ein Polynom 0 6= P ∈ Q[ X, Y ] gibt, für das P(e, π )=0 gilt. Und für πe oder e + π ist noch nicht einmal die Irrationalität gesichert. Über andere Zahlen, wie die Euler-Mascheroni-Konstante ! n 1 γ = lim ∑ − log n , n→∞ k k =1 ist in dieser Richtung auch kaum etwas bekannt. Hier lässt sich noch nicht einmal die Rationalität dieser Zahl ausschließen. Auch in Hinsicht auf die Riemannsche ζ-Funktion ∞ ζ (s) = 1 ns n =1 ∑ sind noch einige Fragen bezüglich Irrationalität und Transzendenz offen. Zwar weiß man von der Transzendenz der Zetafunktion in geradzahligen Argumenten ζ (2) = π2 , 6 ζ (4) = π4 , 90 ζ (6) = π6 , ..., 945 jedoch gibt es bei den Werten der Zetafunktion in ungeradzahligen Argumenten noch kaum Ergebnisse. Erst vor 32 Jahren wurde die Irrationalität von ζ (3) von Roger Apéry gelöst. Diese Beispiele zeigen uns, dass sich für die Mathematik noch weite Felder bezüglich ungeklärter Probleme mit transzendenten Zahlen auftun und es interessant sein wird, die Entwicklungen auf diesem Gebiet in der Zukunft zu beobachten. 73 Zulassungsarbeit § A Anhang § A Anhang A.1 Eine Sammlung wichtiger Sätze (A.1) Satz Sei α eine algebraische Zahl vom Grad n und bezeichne b den Hauptnenner der Koeffizienten des Minimalpolynoms p von α. Der Leitkoeffizient des Polynoms b · p(z) bezeichnen wir mit c. Dann ist cα eine ganzalgebraische Zahl. Beweis Betrachte das Polynom q(z) := p zc · b · cn−1 . Es gilt offensichtlich q(c · α) = 0, weiterhin hat es minimalen Grad. Das Polynom p(z) · b ist nach Wahl von b ganzzahlig und besitzt den Leitkoeffizienten c. So besitzt das Polynom p(z) · b · cn−1 den Leitkoeffizienten cn , so dass das Polynom p zc · b · cn−1 = q(z) den Leitkoeffizienten 1 besitzt. Da jeder andere Koeffizient den Faktor cn−1 besitzt, sind die Koeffizienten von q ganzzahlig. Ohne auf die Maß- und Integrationstheorie einzugehen, die hinter diesem Satz steht, geben wir den für uns wichtigen Spezialfall der Hölderschen Ungleichung an. Formulierung und Beweis des allgemein gehaltenen Satzes findet man beispielsweise in [9]. (A.2) Satz (Höldersche Ungleichung für Integrale) Für integrierbare Funktionen f , g und p, q > 1 mit 1p + 1 q = 1 gilt 1q 1p Zb Zb Zb f ( x ) g( x )dx ≤ | f ( x )| p dx · | g( x )|q dx . a a a (A.3) Satz (Satz vom primitiven Element) Sei L|K eine separable endliche Körpererweiterung, dann wird L von einem Element erzeugt, d.h. es existiert ein α ∈ L mit L = K (α). (Beweis in [18]) 74 Zulassungsarbeit § A Anhang (A.4) Lemma (Lemma von Siegel) Gegeben seien mit ak1 x1 + ... + akt xt = 0, 0 ≤ k ≤ N−1 N lineare Gleichungen mit ganzen Koeffizienten und t > N Variablen, wobei A mit 0 < A = max{| aij |} den betragsmäßig größten Koeffizienten bezeichne. Dann existiert eine nicht tiviale ganzzahlige Lösung x1 , ...., xt des Gleichungssystems, wobei für alle x j N | x j | < 1 + (tA) t− N gilt. (Beweis in [4]) (A.5) Satz Sei α algebraisch mit Minimalpolynom q. Bezeichne p( x ) = ∑id=0 ci xi ∈ Z[ x ] das mit dem Hauptnenner multiplizierte Minimalpolynom. Dann sind die Zahlen 1, α, ..., αd−1 linear unabhängig über Q. Außerdem lassen sich für n ≥ d αn = d −1 ∑ ci,n αi i =0 mit rationalen ci,n , für die max {|ci,n |} ≤ (1 − max{|c j |})n+1−d 0≤ i ≤ d −1 gilt, als Brüche ausdrücken, deren Nenner cdn+1−d entspricht. (Beweis in [4]) (A.6) Lemma Für beliebige m, n, t ∈ N existiert ein Polynom Qm,n,t ∈ Z[ X, Y, Z, A, B], so dass s t t t d t−s m d d m n (z ℘(z) ) = ∑ (z ) (℘(z)n ) dz dz dz s s =0 g2 = Qm,n,t z, ℘(z), ℘0 (z), , g3 2 gilt. Beweis Um Übersichtlichkeit zu erreichen, definieren wir folgende Abkürzungen: k d k D := dz und ℘ := ℘(z). 75 Zulassungsarbeit § A Anhang Induktionsannahme: Für t = 0 ist die Behauptung offensichtlich erfüllt. Induktionsschritt: t → t + 1: D t +1 ( z m ℘ n ) = D ( D t (zm ℘n )) ! t t I.A. t−s m s n = D ∑ D (z ) D (℘ ) s =0 s Summen− t t regel t t t − s +1 m s n = ∑ D (z ) D (℘ ) + ∑ D t−s (zm ) D s+1 (℘n ) s s s =0 s =0 t t = ℘ n D t +1 ( z m ) + ∑ D t−s+1 (zm ) D s (℘n ) s s =1 t −1 t +∑ D t−s (zm ) D s+1 (℘n ) + zm D t+1 (℘n ) s s =0 Index − t −1 t versch. n t+1 m = ℘ D (z ) + ∑ D t−s (zm ) D s+1 (℘n ) s + 1 s =0 t −1 t +∑ D t−s (zm ) D s+1 (℘n ) + zm D t+1 (℘n ) s s =0 Zusammen− t−1 f assung t t n t +1 m = ℘ D (z ) + ∑ + D t−s (zm ) D s+1 (℘n ) + zm D t+1 (℘n ) s + 1 s s =0 Index − t t+1 versch. n t+1 m = ℘ D (z ) + ∑ D t−s+1 (zm ) D s (℘n ) + zm D t+1 (℘n ) s s =1 t +1 t+1 =∑ D (t+1)−s (zm ) D s (℘n ) s s =0 A.2 Über Singularitäten und Diskriminanten Man stelle sich vor, man lege durch zwei Punkte P, Q einer affinen algebraischen Kurve dritten Grades eine Gerade. Im Falle P = Q sollte man P gegen Q laufen lassen und als Gerade die Tangente betrachten. Doch was passiert, wenn diese Tangente nicht mehr eindeutig ist, wie uns etwa die Neilsche Parabel N (R) := {( x, y) ∈ R2 : y2 = x3 } oder die Strophoide S(R) := {( x, y) ∈ R2 : y2 = x2 ( x + 1)} im Punkt ( x, y) = (0, 0) lehren (Siehe Abbildung 13)? Genau dies ist der Grund, weshalb in der Definition elliptischer Kurven Singularitäten ausgeschlossen werden. (A.7) Definition (singulär) Verschwindet bei einer Kurve E : P( x, y) = 0 der Gradient im Punkt ( x, y) ∈ E, so nennen wir ( x, y) singulär. Ist stets gradP( x, y) 6= 0, so liegen keine Singularitäten vor. 76 Zulassungsarbeit § A Anhang (a) Die Strophoide: Y 2 = X 3 + X 2 (b) Die Neilsche Parabel: Y 2 = X 3 Abbildung 13: Beispiele für algebraische Kurven mit Singularität im Nullpunkt Leicht rechnet man nach, dass die algebraischen Gleichungen der Strophoide und der Neilschen Parabel beide einen verschwindenden Gradienten im Ursprung besitzen. Die Singularität einer Kurve lässt sich auf verschiedene Weise untersuchen. In unserem Fall einer Kurve der Form (16) muss im Endeffekt ausgeschlossen werden, dass das Polynom p( x ) dritten Grades keine doppelte Nullstelle besitzt, also dass die Nullstellen von p( x ) nicht mit den Nullstellen von p0 ( x ) übereinstimmen. Hierfür hat sich die Betrachtung der Diskriminante als sinnvoll erwiesen. Hierfür berechnet man die Resultante, indem man die Koeffizienten unseres Polynoms und die seiner Ableitung auf spezielle Art und Weise in eine Matrix (Sylvestermatrix) steckt und daraus die Determinante bildet. (A.8) Beispiel und Definition Für das Polynom p( x ) = 4x3 − g2 x − g3 ist die Diskriminante also 0 − g2 − g3 4 0 − g2 − g3 ∆ := Res( p, p0 ) = det 12 0 − g2 = 1728g32 − 64g23 = 64(27g32 − g23 ). (78) 12 0 − g2 12 0 − g2 4 Durch das Vorzeichen der Diskriminante kann man außerdem schon vorher erkennen, ob die Kurve zusammenhängend ist, oder in zwei Teile zerfällt. Siehe hierfür Abbildung 14. 77 Zulassungsarbeit (a) ∆ = −512 § A Anhang 78 (b) ∆ = −178 125 13 (c) ∆ = 167 125 (d) ∆ = 368 Abbildung 14: Elliptische Kurven mit wachsender Diskriminante A.3 (Logarithmische) Konvexität (A.9) Definition (Konvexe Funktion) Eine Funktion f : ( a, b) → R, a, b ∈ R heißt konvex, wenn für alle x, y ∈ ( a, b), 0 < λ < 1 f (λx + (1 − λ)y) ≤ λ f ( x ) + (1 − λ) f (y) gilt. (A.10) Lemma (Eigenschaften konvexer Funktionen) 1. Konvexe Funktionen sind stetig. 2. Gilt im kompletten Definitionsbereich einer zweimal differenzierbaren Funktion f 00 ( x ) ≥ 0, so ist f konvex. 3. Summen konvexer Funktionen sind konvex.∗ (A.11) Definition (Logarithmische Konvexität) Eine reelle Funktion f : ( a, b) → R mit f > 0 heißt logarithmisch konvex, wenn die Abbildung x 7−→ log f ( x ) konvex ist. Offensichtlich gilt, dass für logarithmisch konvexe Funktionen f , g auch f · g logarithmisch konvex ist. ∗ Dies gilt im Allgemeinen nicht für Produkte! 78 Zulassungsarbeit § Literatur Literatur [1] Bailey, D. ; Crandall, R. : On the Random Character of Fundamental Constant Expansion. In: Experimental Mathematics 10 (2001), S. 175–190 [2] Baker, A. : Transcendental number theory. Cambridge : Cambridge Univ. Pr., 1979 [3] Berggren, L. ; Borwein, J. ; Borwein, P. : Pi: a source book. New York : Springer, 2004 [4] Burger, E. B. ; Tubbs, R. : Making transcendence transparent: An intuitive approach to classical transcendental number theory. New York : Springer, 2004 [5] Chudnovsky, G. : Algebraic independence of values of exponential and elliptic functions. In: Proceedings of the International Congress of Mathematicians (1978), S. 339–350 [6] Delahaye, J.-P. : Pi - die Story. 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Quelle: de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_Lindemann . . . . . . . . . . . . . Quelle: http://husserliana.narod.ru/foto1.html . . . . . . . . . . . . . . . . . Quelle: Selbsterstelltes Bildschrimfoto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quelle: Selbsterstelltes Bildschirmfoto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quelle: Erstellt mit “Microsoft Powerpoint“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quelle: Erstellt mit “Microsoft Powerpoint“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quelle: Erstellt mit ”Wolfram Mathematica” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quelle: de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Schneider, Urheber: Konrad Jacobs Quelle: Erstellt mit “Wolfram Mathematica“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quelle: Erstellt mit “Wolfram Mathematica“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quelle: Erstellt mit ”Wolfram Mathematica” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 . . . . . . . . . . . . . . 11 18 19 23 27 31 31 32 35 36 47 56 77 78 Zulassungsarbeit § B Danksagung § B Danksagung In erster Linie geht mein Dank an Prof. Jörn Steuding für die freundliche und sorgfältige Betreuung meiner Arbeit. Er war bei mathematischen Problemen jederzeit hilfsbereit und setzte mich nie unter Zeitdruck. Die vielen fachlichen Hinweise und auch die Kritik an einigen Vorabversionen trugen maßgeblich dazu bei, dass es nur selten zu großen mathematischen Problemen meinerseits kam. Besonders dankbar bin ich dafür, dass er mir ein Thema gab, welches mich sofort fesselte und begeisterte. Indem er mir darüber hinaus eine komplett freie Hand bei der Erstellung der Arbeit gab, machte das Schreiben zu (fast) jeder Zeit wirklich Spaß. Des Weiteren will ich einigen Kommilitonen danken, die ich wirklich oft wegen meiner mathematischen Probleme um Rat fragte. Gerade Philipp half mir in weiten Zügen, obwohl er selbst mit seiner Bachelorarbeit beschäftigt war. Und vor allem Georg wurde ständig von mir belästigt und hatte dennoch den Nerv, die Arbeit bis ins Detail gründlich zu prüfen. Ein großes Dankeschön geht auch an meine Eltern, die mir überhaupt das Studium der Mathematik ermöglichten. Sie halfen mir bei allen nicht mathematischen Problemen, die im letzten Jahr bei mir anstanden. 82 Zulassungsarbeit § C Eidesstattliche Erklärung § C Eidesstattliche Erklärung Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit in allen Teilen selbstständig gefertigt und keine anderen als die in der Arbeit angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Würzburg, den 24. März 2011 Richard Vogel 83