ZWEITE KLAUSUR IM FACH DEUTSCH IIIB: Erörterung von Sachtexten mit Bezug auf einen literarischen Text LK Bod | 18.11.2015 FAUST HEUTE Nicolas Bellm 1 5 10 15 20 25 30 35 Der erste Teil der Tragödie Faust von Johann Wolfgang von Goethe zeigt Fausts Lebenskrise, die zu einem Pakt mit Mephisto und zu der daraus resultierenden Gretchentragödie führt. Schon im Prolog im Himmel weiß Mephisto über Fausts Probleme genau Bescheid: Nichts kann dessen tiefbewegte Brust befriedigen. Nach abgebrochenem Selbstmordversuch und Osterspaziergang dringt Mephisto in Fausts Studierzimmer ein, doch die ersten Versuche der Verführung schlagen fehl. Erst als er sich nach Verjüngung und Einnahme des Liebestranks in Gretchen verliebt, geht es Faust wirklich besser. Am Ende entscheidet er sich freiwillig gegen Gott und für Mephistopheles. Nicht nur Faust befindet sich in solch einer Lebenskrise. Auch heute gibt es immer mehr Menschen, die wie Faust mit ihrem Leben einfach nicht zufrieden sind. Durch die Medien und die Werbung bekommen die Menschen vorgegaukelt, was sie alles brauchen, wie sie sein und was sie tun müssen. Die Menschen streben auch heute noch irgendwelchen Idealbildern nach, die sie niemals erreichen können. Auch die emotionale Kälte in der heutigen kapitalistischen Ellenbogengesellschaft lässt viele Menschen verzweifeln. Die Bedingungen am Arbeitsplatz sind härter geworden, wer den Anforderungen nicht genügt, fliegt raus. Aus diesen Verzweiflungen heraus unternehmen auch heute noch viele Menschen genau wie Faust unterschiedlichste Fluchtversuche - sie schließen sich in ihren "Studierzimmern" z.B. vor dem PC ein und kapseln sich vor der restlichen Gesellschaft ab. Aber auch in den Bereich der Esoterik fliehen die Menschen - Nostradamus, Wahrsagerei und Astrologie sind heute so aktuell wie damals. Gerade unter Jugendlichen ist die Selbstmordrate steigend, außerdem sind immer mehr alkohol- und drogenabhängig. Durch den Konsum versuchen sie den Problemen des Alltags zu entkommen oder wollen einfach wie Faust etwas Neues erleben oder ausprobieren. Auch Mephistopheles ist eine sehr moderne Figur. Er wird gebraucht als Gegengewicht zum Streben der Menschen: Ohne das Böse hätte das Gute überhaupt keinen Grund zu existieren. Mephistopheles glaubt allerdings wirklich, dass er irgendwie zu Faust geschickt wurde, um seine Aufgabe als Teufel zu vollbringen. Die Wahrheit, von der Seite Gottes aus gesehen, ist natürlich genau umgekehrt: Mephistopheles braucht das Gute, um überhaupt eine Ahnung des Bösen zu haben, und er schafft dadurch unfreiwillig das Gegenteil von dem, was er zu schaffen glaubt. Mephistopheles hat also paradoxerweise selbst kein höheres Ziel, als Gott zu dienen. Er erkennt das alles sicherlich nicht, aber es ist immer noch ein Teil seiner Wirkung, denn seine Unwissenheit und seine Naivität erlauben es ihm, die Menschen noch weiter herauszufordern und zu verführen und dabei nur Werkzeug Gottes zu sein. Auch moderne Staaten benötigen allgemeine Feindbilder wie das des Islamisten, um die eigene Existenz zu 40 45 rechtfertigen. Und die Attentäter und Schlächter sind trotzdem der Meinung, allein ihrer Sache zu dienen. Goethes Faust ist nicht irgendein altes bedeutungsleeres Buch, wie viele Schüler meinen, sondern ein Werk, das auch heute noch eine große Bedeutung hat. Die Autoren der Klassik wollten sich mit ihren Werken von den zufälligen Gegebenheiten des Alltags lösen. In ihnen sollte vielmehr das Typische, Gesetzmäßige, modellhaft Vorbildliche gestaltet werden. So ist auch ihr Menschenbild auf Ausgleich angelegt; ausgewogen und harmonisch sollen sich die Kräfte der Menschen entfalten. Und aus dem Kontrast mit der eigenen Gegenwart, mit dem eigenen Menschsein ergibt sich der Auftrag an die Leser. AUFGABE Erörtern Sie – ausgehend von dem vorliegenden Beitrag – in einem strukturierten zusammenhängenden Text, wie die Aktualität des Faust zu bewerten ist. Gehen Sie dabei folgendermaßen vor: - Arbeiten Sie die wichtigsten Argumente des Autors heraus, - Überprüfen Sie die Stichhaltigkeit der vorgestellten Position und der Argumentation. - Stellen Sie begründet Ihren Standpunkt zu der Fragestellung dar, ob Faust heute noch zur Schullektüre gehören sollte.