Universitätsklinikum Ulm Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. Horst Kächele Einstellung von Psychotherapeuten zu Therapieleitlinien und manualisierter Therapie bei Anorexia nervosa und Bulimia nervosa Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm Vorgelegt von Philipp Lang aus Füssen 2009 II Amtierender Dekan: Prof. Dr. Klaus-Michael Debatin Erster Berichterstatter: Prof. Dr. Jörn von Wietersheim Zweiter Berichterstatter: PD G. Müller Tag der Promotion: 21.01.2010 III Meinen lieben Eltern IV Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis IV Abkürzungsverzeichnis VI 1. 1 Einleitung, Grundlagen 1.1. 1.1.1. 1.1.2. 1.2. 1.3. 1.4. 1.5. 1.6. 1.6.1. 1.6.2. 1.6.3. 1.7. 1.7.1. 1.7.2. 1.7.3. 1.7.4. 1.8. Krankheitsbild Anorexia nervosa/ Bulimia nervosa Beschreibung des Störungsbildes Anorexia nervosa Beschreibung des Störungsbildes Bulimia nervosa Epidemiologie Komorbiditäten Ätiologie Verlauf und Prognose Therapieformen zur Behandlung von Essstörungen Therapieverfahren zur Behandlung körperlicher Symptome Medikamentöse Therapie Psychotherapie Evidenz-basierte Medizin, Therapieforschung, Manuale und Leitlinien Evidenz-basierte Medizin Therapieforschung Manualisierte Therapieformen Leitlinien in der Psychotherapie Fragestellungen und Hypothesen 2. Methodik 2.1. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.3. 2.4. 2.5. 14 14 15 20 20 22 23 24 27 29 Studienpopulation Ein- und Ausschlusskriterien Einschlusskriterien Ausschlusskriterien Studienablauf Statistische Verfahren Rücklauf 3. Ergebnisse 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5. 3 3 4 5 7 9 11 14 Studium Therapeutischer Ansatz Erfahrung mit essgestörten Patientinnen Therapiedauer bei Anorexia nervosa und Bulimia nervosa Therapeutische Vorgehensweise 29 29 29 29 30 34 34 35 35 35 36 38 42 V Inhaltsverzeichnis 3.6. 3.7. 3.8. 3.9. 3.10. 3.11. 3.12. 3.13. 3.14. 3.15. Kenntnis von Therapiemanualen Verwendung von Therapiemanualen Orientierung an Leitlinien zu Anorexia nervosa und Bulimia nervosa Bereitschaft mit Therapiemanualen zu arbeiten Kriterien die ein Manual erfüllen sollte Verwendung von Manualen Schwächen von Manualen Stärken von Manualen Warum nicht nutzen Welche Fragen sollen Therapieleitlinien beantworten 4. Diskussion 4.1. 4.1.1. 4.1.2. 4.2. 4.3. 4.3.1. 4.3.2. 4.3.3. 4.3.4. 4.4. Diskussion der Methodik Anschreiben Fragebogen Diskussion der Stichprobe Diskussion der Fragestellungen Diskussion der Behandlungsdauer Diskussion manualisierte Therapieformen Diskussion Therapieforschung, Leitlinientherapie und evidenz-basierte Medizin Richtlinienverfahren und Leitlinien Schlussfolgerungen 43 46 49 51 51 53 53 54 55 56 58 58 58 58 59 60 60 63 64 68 71 5. Zusammenfassung 72 6. Literaturverzeichnis 74 7. Anhang 93 8. Danksagung 99 VI Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis AHCRP Agency for Health-Care Research and Policy AN Anorexia nervosa APA American Psychiatric Association AWMF Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften BÄK Bundesärztekammer BN Bulimia nervosa Bvvpsw Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten Süd Württemberg CBT Cognitive behavioral therapy Cochrane Cochrane Collaboration DGKJP Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie DGP Deutsche Gesellschaft für Psychologie DGPM Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie DGPPN Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde DKV Deutsche Krankenversichrung DSM III Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders 3. Edition DSM III R Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders 3. Edition Revised DSM IV Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders 4. Edition ICD- 10 International Classification of Disease, 10. Revision VII Abkürzungsverzeichnis EST Empirically Validated/Supported Treatment IGeL Individuelle Gesundheits-Eigenleistungen IPT Interpersonal Psychotherapy KBV Kassenärztliche Bundesvereinigung KV Kassenärztliche Vereinigung KVBW Kassenärztliche Vereinigung Baden Württemberg NICE National Institute fort he Clinical Excellence OPD Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik PD Psychodynamisch RCT Randomized Controlled Trial SD Standardabweichung SPSS Statistical Package for the Social Sciences SSRI Selective Serotonin Reuptake Inhibitor TRANS-OP Transparenz und Ergebnisorientierung zur Optimierung der psychotherapeutischen Versorgung VT Verhaltenstherapie ZUMA Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen Einleitung 1 1. Einleitung, Grundlagen Aktuelle Ergebnisse epidemiologischer Studien zeigen, dass immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene an Essstörungen leiden und gleichzeitig das Eintrittsalter in die Erkrankung sinkt (Brunner 2006). Essstörungen, wie die Anorexia nervosa und die Bulimia nervosa, sind psychosomatische Erkrankungen vorwiegend junger Frauen und Mädchen, die häufig vorkommen und bis heute Therapeuten vor vielfältige Behandlungsschwierigkeiten stellen. Vor allem die Anorexia nervosa war bisher häufig behandlungsresistent und hat oft eine schlechte Prognose. So endet einer von zehn AnorexieFällen mit dem Tod (Fichter u. Quadflieg et al. 2006) durch Verhungern, Selbstmord oder medizinischen Komplikationen wie Herzinfarkt oder Nierenversagen (APA 1998). Der klinische Verlauf dieser Erkrankungen hängt letztlich auch mit der hohen Inzidenz psychiatrischer und somatischer Komorbiditäten zusammen. Spontanremissionen sind bei diesen Erkrankungen eher selten und somatische Therapieverfahren bringen langfristig keine wesentliche Verbesserung der Symptomatik oder Änderung des Essverhaltens. So scheint die Psychotherapie die effektivste Therapieform zu sein (Csef 1997). In Studien wurde bisher die kognitive Verhaltenstherapie, die interpersonelle Psychotherapie und die psychodynamische Psychotherapie als wirksame therapeutische Verfahren zur Behandlung der Bulimie (Fairburn et al. 1986, 1993, 1995; Garner et al. 1993) und zur Behandlung der Anorexie nachgewiesen (Dare et al. 2001). Die in klinischen Studien am stärksten beforschte Therapieform in der psychotherapeutischen Behandlung der Bulimia nervosa war in den vergangenen Jahren die kognitive Verhaltenstherapie, die in den USA bei der Behandlung der Bulimie als Therapieform der Wahl gilt (Wilson 2007). Zur Überprüfung der Wirksamkeit von Therapieverfahren gilt es als notwendig diese Therapieverfahren zu manualisieren. Manualisierte Therapieformen werden in (RCT – Randomized Einleitung 2 Contolled Trial) kontrollierten klinischen Studien wissenschaftlich beforscht und bieten die Grundlage zur Erstellung von Therapieleitlinien. Die leitliniengerechte, manualisierte kognitive Verhaltenstherapie erscheint derzeit die effektivste Behandlung der Bulimia nervosa zu sein. In England werden Leitlinien vom NICE, dem „National Institute for Health and Clinical Excellence“ herausgegeben. In Deutschland wird seit 1995 in vielen medizinischen Bereichen, die Entwicklung von Leitlinien von der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften) koordiniert und veröffentlicht. Um die Kosten für Behandlungen, auch von psychosomatischen Störungen zu kontrollieren, sind für die Kostenträger besonders solche Therapieverfahren interessant, die aufgrund wissenschaftlicher Überprüfung eine nachweisliche Wirksamkeit zur Heilung oder Verbesserung der Symptome einer Erkrankung haben (Evidenzbasierte Medizin). Die Wirksamkeit einer Therapie wird vor allem in randomisierten, klinischen Studien (RCT) nachgewiesen. Dennoch wird in einigen Studien berichtet, dass die Verwendung solcher empirisch gestützter Therapieformen in der Praxis nicht unproblematisch (ThompsonBrenner u. Westen 2005) und die Effizienz der manualisierten Therapieform beschränkt ist. So erleiden zwei Drittel der ambulant mit kognitiver Verhaltenstherapie behandelten Bulimie-Patientinnen nach Therapieende einem Rückfall oder brechen zuvor die Therapie ab (Thompson-Brenner 2005). Einige Therapeuten bemängeln, dass diese auf Manualen basierenden Therapieleitlinien in vielen Bereichen und in vielerlei Hinsicht von der psychotherapeutischen Versorgungswirklichkeit abweichen (Seligman 1995; Roth u. Parry 1997; Beutler 1998; Henry 1998; Westen et al. 2004). Strategien zur Verbesserung der derzeit in den USA und Großbritannien verwendeten manualisierten kognitiven Verhaltenstherapie werden diskutiert. Dies be- Einleitung 3 inhaltet die Behandlung mit kognitiver Verhaltenstherapie in Verbindung mit antidepressiver Medikation und eine Eweiterung des Umfangs und der Flexibilität der manualisierten kognitiven Verhaltenstherapie (Wilson 2005). Seit längerem wird das Thema der evidenzbasierten Medizin, deren Entwicklung, sowie die Nutzung von Psychotherapieleitlinien und ihrer Praxisrelevanz auch in Deutschland kontrovers diskutiert und hinterfragt (vgl Psychotherapeut Ausgabe 6 2008). Aus der Befürchtung heraus, leitlinienorientierte Therapien könnten wie in Großbritannien auch in Deutschland von den Kostenträgern zur Bedingung gemacht werden, beschlossen die Teilnehmer des Symposiums „das Unbehagen in der Psychotherapie-Kultur“ im März 2006 die „Bonner Erklärung“. Hierin sprechen die Autoren Ihre Sorge darüber aus, dass nach Leitlinien behandelte Patientinnen auf ihre Symptome reduziert werden. Es sollte, so die Meinung der Autoren, im Gegenteil eine „umfassende Orientierung an der Begleitung von Menschen zur Vorbeugung, Heilung und Rehabilitation psychischer Erkrankungen“ erfolgen (Kächele 2006; Helle 2006). Auch befürchten die Therapeuten durch Vorgaben, wie zum Beispiel Leitlinien, in ihren Therapiemöglichkeiten eingeschränkt zu werden, was unter anderem auch finanzielle Auswirkungen hätte. 1.1. Krankheitsbild Anorexia nervosa/ Bulimia nervosa 1.1.1. Beschreibung des Störungsbildes Anorexia nervosa (ICD-10 F50.0) Obwohl die Magersucht schon seit langer Zeit bekannt ist, wurde die Anorexie nervosa erst 1972 mit zuverlässigen Kriterien zur Diagnostik durch Feighner et al. beschrieben. Bei dieser psychosomatischen Erkrankung handelt es sich um eine Form der Essstörung, die sich durch ein restriktives Essverhalten, willentliches Fasten und Hungern sowie einen erheblichen Gewichtsverlust bei den Patientinnen auszeichnet. Verstärkt wird der Gewichtsverlust häufig durch Missbrauch von Abführmitteln und Diuretika sowie exzessives Ausdauertraining und in vielen Fäl- Grundlagen 4 len selbstinduziertes Erbrechen. Es kommt zu einem teilweise massiven Untergewicht. Trotz Abmagerungen empfinden die Patientinnen große Angst dick zu werden. Anorektische Patientinnen erleben ihren oft kachektischen Körper als zu fett. Diese Missempfindung hält die Symptomatik aufrecht und kann zu körperlichen Mangel-zuständen und Unterernährung führen. Besonders Bauch, Hüften und Oberschenkel werden von Patientinnen verzerrt wahrgenommen (Herzog 2004). Bei der Anorexia nervosa handelt es sich ausserdem um eine Erkrankung mit hoher Morbidität und signifikanter Mortalität. Diese Erkrankung betrifft vor allem junge Frauen mit steigender Inzidenz (Hay 2007). Häufig findet man bei Patientinnen mit Anorexie auch ein herabgesetztes Selbstwertgefühl oder eine narzistische Störung. Die Anorexia nervosa unterscheidet sich merklich von anderen psychogenen Essstörungen (Herzog 2006). Das Zusammenspiel von Persönlichkeit und Symptomatik ist noch nicht ausreichend beforscht (Swift u. Wonderlich 1994), dennoch ist bekannt, dass die Persönlichkeit bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung von Essstörungen zwar eine wichtige Rolle zu spielen scheint, aber nicht als monokausale Ursache für die Ätiologie gesehen werden kann. Vielmehr geht man heute von multikausalen Modellen aus, zum Beispiel dem Biopsychosozialen Modell (siehe Abb. 2, Seite 10). Dieses Modell erklärt die Entstehung von Anorexie auf Basis dreier Faktoren, der Biologie, der Psyche und soziokultureller Ereignisse. 1.1.2. Beschreibung des Störungsbildes Bulimia nervosa (ICD-10 F50.2) Die Bulimia nervosa wurde erstmals 1979 in der Fachliteratur von Russell als eigenständiges Krankheitsbild beschrieben und ein Jahr später in das DSM-III aufgenommen. Diese Erkrankung ist gekennzeichnet durch Episoden von Fressanfällen („binge-eating“). Das Krankheitsbild wird meist bei jungen Frauen entdeckt, jedoch liegt das Erkrankungsalter meist höher als das von Anorektikerinnen. Die Patientinnen klagen über ein Gefühl von Kontrollverlust während ihrer Grundlagen 5 Essattacken. Die Häufigkeit und Dauer der Essanfälle schwanken. Die Hälfte der Bulimiekranken geben jedoch an, täglich eine solche Essattacke zu haben (Davis et al. 1988). Während dieser Essanfälle, die meist versteckt stattfinden, nehmen die Bulimiker vor allem hochkalorische Lebensmittel zu sich. Als kompensatorisches Verhalten, vor allem aus Furcht vor Gewichtszunahme, kommt es zu selbstinduziertem Erbrechen, Laxantienmissbrauch, Fasten und exzessivem Ausdauertraining. Beim Erbrechen geben viele der Patientinnen ein Gefühl der Erleichterung an, wohingegen nach den Ess-Brechattacken Schuldgefühle und Hoffnungslosigkeit die Patientinnen beherrschen. Der Krankheitsverlauf der Bulimie tendiert zur Chronifizierung (Fairburn et al. 2000). Bei etwa 32% der Bulimikerinnen hält die Erkrankung über 10 Jahre an (Paul et al. 1987). Jacobi et al. (2008) gehen bei 40% der Bulimikerinnen von einem chronischen oder intermittierenden Verlauf aus. Anorexie und Bulimia nervosa haben bezüglich ihrer Psychopathologie und Psychodynamik große Gemeinsamkeiten und können deshalb auch im Krankheitsverlauf ineinander übergehen (Fichter 1991 a), dennoch liegen auch grundlegende Unterschiede zwischen den Erkrankungen vor. Während bei Patientinnen mit Anorexie verstärkt ein Kontrollzwang vorliegt, findet man bei Patientinnen mit Bulimie häufig eine verminderte Impulskontrolle. Die Therapiebereitschaft ist ein weiteres Merkmal, in dem sich die Erkrankungen maßgeblich unterscheiden, während bei Patientinnen mit Anorexie ein eher geringer Leidensdruck und eine niedrige Therapiemotivation erkennbar sind, findet sich bei Patientinnen mit Bulimie ein sehr viel höherer Leidensdruck sowie eine vergleichbar größere Therapiebereitschaft. 1.2. Epidemiologie Laut einer Untersuchung des Deutschen Institutes für Ernährungsmedizin kann davon ausgegangen werden, dass in Deutschland etwa 100.000 Menschen an Grundlagen 6 Anorexie leiden und etwa 600.000 an Bulimie erkrankt sind. Eine genaue Angabe der Inzidenz wird durch die Tatsache erschwert, dass die Betroffenen versuchen die Erkrankung zu verheimlichen und häufig keine Einsicht in eine therapeutische Behandlung haben. Man geht heute bei Bulimikern immer noch von einem Verhältnis zwischen 10:1 und 20:1 von weiblicher zu männlicher Erkrankter aus, das liegt (Mehler 2003; Woodside 2001). Auch wenn vermutet wird, dass die Dunkelziffer der männlichen Betroffenen durchaus höher liegen könnte. Der Eintritt in die Bulimie beginnt meist während der Pubertät mit einem Erkrankungsgipfel um das 18. Lebensjahr (Lewisohnu 2000) und hat eine Lebenszeitprävalenz von 3% (Kreipe 2000). Die Lebenszeitprävalenz für Frauen an einer Anorexie zu erkranken liegt zwischen 0,3 und 1%. Männer haben ein zehnfach niedrigeres Erkrankungsrisiko für eine Anorexie (Sullivan 1995). Laut einer Untersuchung von Hoek und van Hoeken (2003) in der Studien zu Inzidenzen und Prävalenzen von Bulimie miteinander verglichen werden, zeigen sich eine Prävalenz von 1% für Frauen und 0,1% für Männer. Die Neuerkrankungsrate für eine Bulimie liegt laut dieser Untersuchung bei 12 Fällen pro 100.000 Einwohner und Jahr (Herpertz 2008). Die Prävalenzrate für eine Anorexie liegt laut Herpertz (2008) in der Altersgruppe zwischen 14 und 18 Jährigen zwischen 0,3-1%. Die Inzidenz für eine Anorexie ist in dieser Altersgruppe am höchsten und liegt zwischen 50-70 pro 100.000 Einwohner. Eine sehr hohe Inzidenz für Anorexia nervosa beschreiben Keski-Rahkonen (2007). Die Inzidenz in dieser, aus einem Zwillingsregister bestehenden Untersuchungsgruppe liegt bei 270 pro 100.000 Einwohner. Es wird vermutet, dass Grundlagen 7 dieser hohe Wert mit Individuationsproblemen von eineiigen Zwillingen zusammen hängt. 1.3. Komorbiditäten Anorexia nervosa und Bulimia nervosa gehören zwar beide zu den Essstörungen, sie unterscheiden sich aber in vielerlei Hinsicht. Dennoch haben sie die Gemeinsamkeit sowohl somatische als auch psychiatrische Komorbiditäten aufzuweisen (Fichter 1991b). Dabei ist nicht geklärt, ob das Vorhandensein einer Essstörung die Vulnerabilität für eine komorbide psychische oder psychiatrische Erkrankung darstellt, oder ob eine bereits bestehende psychische Erkrankung das Risiko erhöht an einer Essstörung zu erkranken. Jugendliche Anorektikerinnen tendieren zu introvertiertem Verhalten, dabei berichten einige Patientinnen über eine Aufhellung ihrer häufig depressiven Stimmungslage zu Beginn der Erkrankung. Interessanterweise erfüllen ein Drittel aller erwachsenen Deutschen im Laufe eines Jahres die Kriterien zur Diagnose einer psychischen Störung (Wittchen u. Jacobi 2001). Bemerkenswert ist darüber hinaus die hohe Komorbidität: 48% der Betroffenen leiden nämlich unter mehr als einer psychischen Störung. Depressive Störungen stellen dabei die häufigste (Punktprävalenz 4-13%) psychische Erkrankung dar (Schulz 2006) Zu den häufigsten Komorbiditäten von Essstörungen zählen Angststörungen, affektive Störungen und Substanzmissbrauch (Braun et al. 1994; Herzog et al. 1996). In einer Studie (Godart et al. 2002) mit 271 Patientinnen mit Essstörung wurde nachgewiesen, dass 71% der Patientinnen mindestens einmal im Leben an einer Angststörung erkrankten. In einer Vergleichsstudie lag das Lebenszeitrisiko von Essstörungs-Patientinnen niedriger, nämlich bei 64% (Kaye et al. 2004). In einer groß angelegten Untersuchung stationär behandelter Patientinnen mit Grundlagen 8 Essstörungen wurde bei 94% der Patientinnen eine komorbide affektive Störung diagnostiziert, 56% der Patientinnen entwickelten neben der Essstörung eine zusätzliche Angststörung (Blinder et al. 2006). In Studien mit ambulant behandelten Patientinnen wurde bei Bulimikerinnen eine höhere Komorbidität bezüglich generalisierter Angst- und Panikstörungen sowie sozialer Phobien gefunden als bei Anorektikerinnen (Wonderlich et al. 1997; Bulik et al. 2002). Die Komorbiditätsraten bei essgestörten Patientinnen differierten auch für die Ausprägung sozialer Phobien; die Werte lagen bei der Untersuchung zwischen 15% und 59%. Für das Risiko an einer Zwangsstörung zu erkranken lagen sie zwischen 0% und 41%. Anorektikerinnen haben laut Forschung ein 45,6% Risiko an einer generalisierten Angststörung zu erkranken, bei Bulimikerinnen liegt das Risiko laut dieser Studie demnach bei 31,4%. Die Gefahr einer Komorbidität mit Agoraphobie lag zwischen 0% und 17%, für eine Panikstörung zwischen 0% und 15%, für eine spezifische Phobie zwischen 10% und 37% und für eine posttraumatische Belastungsstörung zwischen 3% und 30% (Godart et al. 2002). Aus den vorliegenden Untersuchungen (Thompson-Brenner 2005) lässt sich vermuten, dass Komorbiditäten in Form psychischer Störungen sowohl die Schwere einer Essstörung sowie deren Therapieverlauf im negativen Sinn beeinflussen und die Therapieresistenz erhöhen (Blinder et al., 1988; Bulik et al., 2002). Patientinnen mit Essstörungen die eine Begleiterkrankung aufweisen, benötigen deshalb eine zusätzliche erweiterte Behandlung (Herzog et al. 1996). Das Auftreten von komorbiden Störungsbildern bei Essgestörten wird in der Literatur als Ausdruck eines „nicht aufgeben wollens des gestörten Essverhaltens“, und somit Aufrechterhaltung der Essstörung in Verbindung gebracht (Blocks et al. 2004; Westen u. Harnden-Fischer 2001). Grundlagen 9 Neben den psychiatrischen Komorbiditäten manifestieren sich gerade bei jungen Anorektikerinnen auch somatische Folgen, wie vermindertes Längenwachstum und Osteoporose als Ausdruck einer Mangelernährung. 1.4. Ätiologie Seit Beginn der Forschung zu Essstörungen wurde immer wieder auch nach somatischen Ursachen gesucht. Zwillingsstudien zeigten bei zweieiigen Zwillingen eine Konkordanz bei Anorexie von lediglich 5% im Vergleich zu 50% bei eineiigen Zwillingen (Schepank 1991). Die Erblichkeit lag in den Studien von Wade et al (2000) sogar zwischen 33% und 84%. Ein ähnliches Bild zeigte sich bei Untersuchungen der Bulimie (Bulik 2000). Dennnoch gibt es bis heute keine genetischen Marker, die beweisend für eine Essstörung sind. Für die Ätiologie und Pathogenese von Essstörungen gibt es kein einheitliches Modell, das sich mit gesicherten Daten belegen lässt. Deshalb geht man heute von einer multifaktoriellen Genese (biologisch, soziokulturell, familiär, individuell, kognitiv) der Erkrankungen aus, die durch Konflikte auf verschiedenen Ebenen (Ideale, Identität, Werte) gefördert wird. Abbildung 1 zeigt die Faktoren, die nach dem Modell von Legebauer und Vocks für die Entstehung einer Bulimie verantwortlich gemacht werden; die Kräfte, die die Erkrankung bei Patientinnen aufrecht erhalten, sowie deren Interaktionen mit den Kernsymptomen. 10 Grundlagen Abbildung 1 Multifaktorielles Modell der Bulimie (nach Legenbauer & Vocks 2006, S. 30; modifiziert nach Fairburn et al. 2003, S. 516) Zu den auslösenden Faktoren für eine Essstörung zählen sogenannte „life events“, also kritische Lebensereignisse. Neben den ursächlichen und den auslösenden Faktoren spielen Faktoren zur Aufrechterhaltung der Erkrankung und Risikofaktoren eine entscheidende Rolle in der Ätiologie der Essstörungen sowie für die Schwere und Dauer des Verlaufs. Thiels (2004) erkannte bei essgestörten Patientinnen verstärkt eine gesteigerte Erwartungshaltung der Eltern und eine niedrige Selbstbeurteilung als spezifische Risikofaktoren. Zu den prädisponierenden Faktoren zählt auch der Druck auf junge Frauen durch ein Schlankheitsideal in der Gesellschaft (Fairburn 2003). Abbildung 2 zeigt die prädisponierenden Faktoren, die zur Entwicklung einer Anorexie führen sowie die den Krankheitsverlauf bestimmenden Einflüsse. 11 Grundlagen Abbildung 2 Biopsychosoziales Modell der Anorexia nervosa (nach H. Csef, Psychotherapeut 42: 1997, S. 383) 1.5. Verlauf und Prognose Es ist schwierig, die Ergebnisse aus Studien zu Verlauf und Prognose von Essstörungen miteinander zu vergleichen. Die Gründe hierfür liegen in der Inkonsistenz der über die Zeit veränderten diagnostischen Kriterien (DSM III vs. DSM IIIR vs. DSM IV), der unterschiedlichen Dauer der Verlaufsbeobachtung sowie dem Mangel an Kriterien zur Bestimmung der Qualität eines Behandlungsergebnisses. Orientiert man sich an somatischen Variablen wie z. B. Körpergewicht, Menstruationsstatus und Symptomen wie Erbrechen, Laxantienmissbrauch und bulimi- Grundlagen 12 schem Essverhalten, so lässt sich bei psychotherapeutisch behandelten Patientinnen in 70% bis 80% der Fälle ein gutes Langzeitergebnis feststellen (Herzog et al. 1996). Der Verlauf der Erkrankung und Therapieerfolg werden durch die wesentliche Komplexität der Erkrankung erschwert (Pike 1998). Zu den prognostisch ungünstigen Faktoren zählen Komorbiditäten sowie eine ausgeprägte Symptomatik und eine familiäre Vorbelastung. In einer 10-Jahres-Katamnese lag die Rückfallquote bei Anorexie Patientinnen im ersten Jahr nach der Behandlung bei 42% (Eckert 1995). Eine Studie von Steinhausen (2002) zeigte, dass unter Jugendlichen Anorektikerinnen sich etwa 50% bis 70% komplett erholten, bei 20% verbesserte sich die Symptomatik und 10%-20% entwickelten eine chronische Form der Anorexie. In der Literatur gibt es bezüglich der Langzeit-Therapie und der Prognose bei Bulimie nur wenig Aussagen und nur eingeschränkt Ergebnisse (APA 2005). Zu den prognostisch günstigen Faktoren rechnet man intakte familiäre Strukturen und Beziehungen sowie einen hohen sozialen Status, einen frühen Erkrankungsbeginn, eine frühe Diagnose der Erkrankung und die Therapieeinsicht (Herzog et al. 1996). Nach fünf bis zehn Jahren sind etwa 50% der Patientinnen in Remission, 30% in Teilremission und etwa 20% zeigen einen chronischen Krankheitsverlauf auf (Zeeck 2006). Dennoch ist bekannt, dass eine frühe Diagnose und Behandlung eine entscheidende Rolle in der Verlaufsprognose der Essstörungen spielt (Bjornelv 2004). In der Abbildung 3 ist dargestellt welche Faktoren eine direkte bzw. indirekte Wirkung in einer psychotherapeutischen Behandlung auf den Patienten haben. 13 Grundlagen Abbildung 3 Prozentualer Anteil der Ergebnisvarianz in der Psychotherapie als Funktion unterschiedlicher Wirkfaktoren. (Nach Lambert u. Barley 2002; Wampold 2001; Lambert u. Olges 2004). Abbildung 4 zeigt die in der TRANS-OP Studie untersuchten Besserungsraten von ambulanten Psychotherapien in Abhängigkeit vom gewählten Verfahren. Abbildung 4 Besserungsraten der Beschwerden während einer ambulanten Psychotherapie, in Abhängigkeit vom angewandten Verfahren. TRANS OP Studie nach Kordy et al. (2003) Grundlagen 14 1.6. Therapieformen zur Behandlung von Essstörungen Zur Behandlung von Patientinnen mit Essstörungen stehen unterschiedliche Therapiekonzepte zur Verfügung. Abhängig von der Ätiologie der Erkrankung sowie der Verlaufsdynamik und Komorbiditäten werden zur Behandlung von essgestörten Patientinnen vorwiegend folgende Therapieansätze genutzt. 1. Therapieverfahren zur Behandlung körperlicher Symptome 2. Medikamentöse Therapie 3. Behandlung von Körperbildstörungen 4. Psychotherapie Diese können einzeln oder auch in Kombination zum Einsatz kommen. „Essstörungen sind Erkrankungen sowohl von Körper und Psyche. Eine früh einsetzende Behandlung fokussiert insbesondere auf den Ernährungszustand und die somatische Gesundheit. (Ebeling 2003)“ 1.6.1. Therapieverfahren zur Behandlung körperlicher Symptome Die somatische Therapie stellt die internistische Therapiekomponente zur Behandlung einer Essstörung dar, zum Beispiel den Ausgleich einer Elektrolytstörung, die durch häufiges Erbrechen hervorgerufen werden kann. Diese Behandlungsform steht vor allem in lebensbedrohlichen Situationen bei Essstörungen im Vordergrund, zur Substitutionstherapie und Kompensation bei Mangelzuständen (Fichter u. Goebel 1991, Herzog et al. 1996). 1.6.2. Medikamentöse Therapie Vor allem psychische Begleiterkrankungen, insbesondere Angststörungen und Depressionen stellen die Indikation für eine medikamentöse Therapie dar (Zwaan 1996). In diesem Zusammenhang wurden Antidepressiva erstmals bei bulimischen Patientinnen eingesetzt, bei denen Komorbiditäten in Form von affektiven Störungen auftraten. Man ging davon aus, dass eine Stimmmungsstabilisierung es den Patientinnen ermöglichen könnte, ihr Essverhalten besser zu kontrollieren. Die Forschung hat gezeigt, dass diese Medikamente eine antibu- Grundlagen 15 limische Wirkung haben und zwar unabhängig davon, ob die bulimische Patientin eine komorbide Depression aufweist. Laut aktueller Studienlage erscheinen unter den Antidepressiva vor allem die SSRIs und hierunter insbesonders Fluoxetin als Medikament der Wahl (NICE 2004) Bei adoleszenten Anorexie-Patientinnen hat sich jedoch gezeigt, dass weder SSRI noch die Gabe von Antipsychotika eine signifikante Verbesserung der Symptomatik bringt. Nur die Verabreichung von atypischen Antipsychotika wie Olanzapin, Risperidon und Quetiapin zeigt bei einigen Patientinnen einen positiven Effekt (Brambilla 2007). Die britischen NICE Guidelines, die auf aktuellen Studienergebnissen basieren, sehen den Einsatz von pharmakologischen Behandlungskonzepten bei Anorexia nervosa kritisch. Von alleiniger Pharmakotherapie bei Anorexie wird komplett abgeraten. 1.6.3. Psychotherapie Durch Psychotherapie zeigt sich bei 30-50% der Bulimie-Erkrankten nach 6-12 Monaten eine Remission. Dennoch wird eine echte Verbesserung der Symptomatik erst mit einer langandauernden Therapie erziehlt. So wird eine stabile Symptombesserung bei Bulimikerinnen erst nach 5-6 Jahren erreicht. Bei vielen Patientinnen findet man auch nach Beendigung der Therapie ein essgestörtes Verhalten. Die Rückfallquoten in eine Bulimie sinken mit der Zeit. So erleiden nur noch 20% 6-9 Jahre nach Beendigung der Therapie einen Rückfall in die Bulimie. Nach 12 Jahren sinkt die Zahl auf 10-15% (Herpertz 2008). Auch frühere Studien belegen die Effektivität insbesonders der kognitiven Verhaltenstherapie (Garfinkel u. Garner 1982, 1987). Die Psychotherapie von Essstörungen findet in den USA und Großbritannien vorwiegend im ambulanten und halbstationären Setting statt (Hay 2007). Nur in schweren Fällen, bei Selbstgefährdung durch Abmagerung unter das kritische Gewicht und Persönlichkeitsstörungen, werden Patientinnen auch stationär be- Grundlagen 16 handelt. Diese Arbeit beschränkt sich auf die ambulante Behandlung von Essstörungen. In der psychotherapeutischen Behandlung von Essstörungen kommen vorwiegend folgende Ansätze zum Einsatz. 1. Kognitive Verhaltenstherapie 2. Psychodynamische Therapieansätze 3. Gruppentherapien 4. Familientherapeutische Verfahren 1.6.3.1. Die kognitive Verhaltenstherapie Eine Vielzahl an theoretischen Modellen versucht Essstörungen in Ihrer Entstehung zu erklären. Jedoch sind diese nicht einheitlich und keines kann empirisch die Pathogenese oder das Aufrechterhalten der Essstörungen belegen. Das verhaltenstherapeutische Konzept geht von einem multifaktoriellen Modell aus (Siehe Abbildungen 1 und 2). Für die Behandlung von Essstörungen, insbesondere der Bulimia nervosa hat sich die kognitive Verhaltenstherapie durch die vergleichbar besseren kurzfristigen Erfolge bewährt (APA, 2006). Diese gilt ausserdem als die am besten beforschte Therapieform zur Behandlung von Essstörungen. Das von Fairburn (1985) entwickelte kognitiv-verhaltenstherapeutische Vorgehen gilt heute als Grundlage sämtlicher in Studien durchgeführter Therapien und wird durch Forschungsergebnisse in Ihrer Form weiterentwickelt (Fairburn et al. 1993, Fairburn et al. 2003. Die Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie ist wissenschaftlich belegt und wird in einer weiterentwickelten Form in den Therapieleitlinien (NICE 2004; APA 2006) als Therapieform der Wahl empfohlen. Neben den beschriebenen Leitlinen wurde die Wirksamkeit auch in den Cochrane-Reviews beforscht. Zu den deutschsprachigen Manualen zur verhaltenstherapeutischen Behandlung von Essstörungen zählen Jacobi et al (2008), Legenbauer und Vocks (2006). Die Behandlung einer Essstörung nach verhaltenstherapeutischen Verfahren beinhaltet folgende Punkte (Csef 1997; Fichter 1992): Grundlagen 17 - Selbstbeobachtung des Essverhaltens - Informationsvermittlung - Stimuluskontrolle - Aufbau von Alternativverhalten - Selbstsicherheitstraining - Erlernen von Problemlösungsstrategien - Exposition von „verbotenen Nahrungsmitteln“ - kognitives Umstrukturieren, vor allem die Angst vor Gewichtszunahme - Rückfallprophylaxe 1.6.3.2. Psychodynamische Therapien Zu den psychodynamischen Psychotherapien zählen die tiefenpsychologische sowie die psychoanalytische Therapie. Der Begriff „tiefenpsychologische Therapie“ wurde von Theodor Winkler geprägt, setzte sich international jedoch nie durch (Rüger 2002). Der Schwerpunkt der Behandlung nach psychodynamischem Therapieansatz liegt, anders als in der symptombezogenen Verhaltenstherapie, in der Bearbeitung der Symptomatik zugrunde liegenden Konflikte. Fokus der Therapie sollte demnach ein unbewusster Konflikt, der basierend auf der psychoanalytischen Neurosenlehre aus der Kindheit und frühen Jugend stammt und durch Trigger wieder re-aktualisiert wird. Neben einer Verbesserung auf der Symptomebene wird in der psychodynamischen Therapie stets auch eine Persönlichkeitsänderung angestrebt. Da Essstörungen gehäuft im jungen Erwachsenenalter auftreten, kommt es verstärkt zu Interaktionen mit den auch in diesem Lebensabschnitt auftretenden Autonomie-Abhängigkeits-Konflikten. Swift und Stern (1982) beschreiben dies als Defizit in der Separation und Individuation, die das Resultat einer Störung der Eltern-Kind-Interaktion darstellen und den psychodynamischen Kernkonflikt bei einem Großteil Ihrer Patientinnen ausmacht. 18 Grundlagen Sie unterscheiden in 1. Borderline Anorektikerin 2. Leere, unstrukturierte Anorektikerin 3. Emotional-konflikthafte, identitätsgestöret Anorektikerin Auch Thomä (1961) erklärte, dass es hinsichtlich der Charakterstrukturen bei Anorexia nervosa kein homogenes Bild gäbe. Bei der psychodynamischen Behandlung von essgestörten Patientinnen gibt es auch spezielle Behandlungsformen wie das Kurzpsychotherapie-Programm über 25 Wochenstunden von Herzog und Sandholz (1997), das auf die Behandlung der Bulimie abzielt. Grundlegend für psychodynamische Therapieformen ist der Aufbau einer stützenden therapeutischen Beziehung in Form eines emotional-resonanten Vorgehens. Folgende Ziele sollen bei Patientinnen mittels psychodynamischen Therapieansätzen erreicht werden. 1. Stabilisierung des Essverhaltens (auch in psychodynamisch basierten Therapieformen werden gerade in den Therapie-Anfangsphasen verhaltensorientierende und psychoedukative Elemente in die Therapie integriert (Benninghoven u. Liebeck 2001; Fairburn et al. 1993; Legenbauer u. Vocks 2006; Reich 2001a; Reich 2001b; Wise 1994). 2. Es soll ereicht werden, dass von der Patientin abgelehnte und abgewehrte Selbstanteile akzeptiert werden, um somit ein zu- sammenhängendes Beziehungserleben anzunehmen und als Teil ihres selbst anzuerkennen. 3. Die Verbindung zur ausgeprägten Symptomatik zu erkennen um letztendlich. 4. Das eigene Erleben der Patientin sowie das Essverhalten langfristig zu verändern. 5. Behandlung intrapersoneller und interpersoneller Konflikte. Grundlagen 19 Die strukturiert aufgebaute psychodynamische Therapie zur Behandlung von Ess-Störungen beinhaltet 4 Schritte 1. Störungsorientierte Diagnosestellung und Beginn der Psychotherapie 2. Stabilisieren des Essverhaltens 3. Bearbeiten der psychodynamisch relevanten Faktoren 4. Abschließen der Therapie 1.6.3.3. Gruppentherapie In Deutschland findet diese Form der Therapie fast ausschließlich im stationären Setting statt und dort vielerorts als Schwerpunkt-Therapie (Verband Deutscher Rentenversicherungsträger 2000). Da sich diese Arbeit ausschließlich mit Therapieformen niedergelassener Psychotherapeuten auseinandersetzt, wird in dieser Arbeit nicht näher auf Gruppentherapien eingegangen. 1.6.3.4. Familientherapie Der zentrale Ansatz der Familientherapie ist der interpersonelle Konflikt der Patientin. Besonders bei der Anorexie geht man von einer Störung der Familienund Paarbeziehung als Mitauslöser der Erkrankung aus. Man brachte deshalb schon früh diese Form der Essstörung mit familiärer Beziehung in Zusammenhang. Im Gegenzug haben Essstörungen einen wesentlichen Einfluss auf die familiäre Beziehung sowie der zum Partner. Vor allem steht bei den Patientinnen ein Konflikt zu ihren Müttern im Vordergrund, aber auch der zu deren Vätern und Geschwistern. So erscheint die Essstörung als Lösungsansatz zur Bewältigung eines interpersonellen Konfliktes. Die Entwicklung einer Essstörung wird in der Familientherapie somit als Systemprozess betrachtet und dementsprechend auch behandelt. Das Ziel der Familientherapie besteht in einer Verbesserung des interpersonellen Konflikts. Faktoren, die für die Aufrechterhaltung einer Essstörung verantwortlich gemacht werden, wie Störungen der familiären Interaktion sollen minimiert werden. Damit soll die Essstörung als Lösungsansatz bestehender Konflik- Grundlagen 20 te abgelöst werden. Dies soll somit zu einer Verbesserung der interpersonellen Beziehung werden. Man unterscheidet verschiedene Formen der Familientherapien: 1. Psychodynamische Familientherapie 2. Strukturelle Familientherapie 3. Systemische Familientherapie 1.7. Evidenz-basierte Medizin, Therapieforschung, Manuale und Leitlinien 1.7.1 Evidenz-basierte Medizin Der Begriff „evidence based medicine“ wurde Anfang der 90er Jahre in Großbritannien und den USA geprägt. In den USA werden diese EST, Empirically Validated /Supported Treatments auch als Behandlungsempfehlungen für unterschiedliche Störungsbilder definiert. Von der evidenz-basierten Medizin erwartet man durch Anwenden des aktuellen, empirisch gestützen Wissens eine Verbesserung der Patientenversorgung mit möglichst gleichzeitiger finanzieller Einsparung seitens der Kostenträger. Unter evidenz-basierter Medizin versteht man also die Behandlung eines Patienten gemäß der besten zur Verfügung stehenden externen Evidenz. Diese umfasst sämtliches objektives Fachwissen, das hierfür zur Verfügung steht. Abzugrenzen von der externen Evidenz versteht man unter dem Begriff der internen Evidenz das individuelle, gelernte Wissen und Können, das ein Therapeut aus Ausbildung und Berufserfahrung schöpft. „Das Verfahren zur Definition evidenz-basierter therapeutischer Maßnahmen umfasst die Suche der relevanten Literatur für ein konkretes klinisches Problem, den Einsatz einfacher wissenschaftlich abgeleiteter Regeln zur kritischen Beurteilung der Validität der Studie und der Größe des beobachteten Effekts sowie die Anwendung dieser Evidenz auf den konkreten Patienten mit Hilfe der klinischen Erfahrung“ (Fydrich 2007, S.57). 21 Grundlagen In der Psychotherapie sowie in vielen anderen Bereichen der Medizin wird die Forderung nach evidenz-basierten Verfahren seitens der Kostenträger immer lauter um die Kosten im Gesundheitssystem zu reduzieren. Es „ ...gilt, die wissenschaftlichen Grundlagen für effiziente Therapien zu verbessern und so eine rationale Grundlage für den Einsatz knapper Mittel zu schaffen“ (Kächele 1999, S. 102). In der Tabelle 1 werden die von der AWMF festgelegten Evidenzstufen und die zur Erlangung nötigen Evidenztypen beschrieben. Tabelle 1 Stufe Ia Evidenzklassen nach AWMF Evidenztyp Wenigstens ein systematischer Review auf Basis methodisch hochwertiger kontrollierter, randomisierter Studien (RCTs) – A Evidenz Ib Wenigstens ein ausreichend großer, methodisch hochwertiger RCT IIa Wenigstens eine hochwertige Studie ohne Randomisierung – B Evidenz IIb Wenigstens eine hochwertige Studie eines anderen Typs quasiexperimenteller Studie III Mehr als eine methodisch hochwertige nichtexperimentelle Studie IV Meinungen und Überzeugungen von angesehenen Autoritäten (aus klinischer Erfahrung); Expertenkommisionen; beschreibende Studien – C Evidenz RCT: Randomized Controlled Trial (=randomisierte klinische Studie); AWMF: Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften Einer der Väter der evidenz-basierten Medizin (Sackett) drückt es wie folgt aus: „Evidenz-basierte Medizin ist der gewissenhafte, ausdrückliche und vernünftige Gebrauch der gegenwärtig besten externen, wissenschaftlichen Evidenz für Entscheidungen in der medizinischen Versorgung individueller Patienten“ (Sackett, 1996, S.71). Dennoch gibt Sackett zu bedenken: „Ohne klinische Erfahrung riskiert die ärztliche Praxis durch den bloßen Rückgriff auf die Evidenz, „tyrannisiert“ zu werden, da selbst exzellente Forschungsergebnisse für den individuellen Patienten nicht anwendbar oder unpassend sein können“ (Sackett 1996 S. 71, S.72). Grundlagen 22 1.7.2. Therapieforschung Die Aufgabe der Therapieforschung bei Essstörungen ist die Dokumentation des Krankheitsbildes und die Verbesserung der therapeutischen Verfahren (Csef 1997). Bisher hatte man in der Therapieforschung bei Essgestörten versucht, neben Studien zur Wirksamkeit, Prädiktoren zu erkennen, die den Therapieverlauf beeinflussen. Die Wissenschaftlichkeit der Psychotherapie stützt sich auf zwei Fundamente. 1. Die Validität des therapeutischen Verfahrens erfasst die Gültigkeit der Therapietheorie. Eine hohe Validität bedeutet, dass durch die Therapie das beeinflusst wird was beeinflusst werden soll. 2. Die Effektivität bezieht sich auf die erwiesene Wirksamkeit der Therapie. Sie spielt bei der Entwicklung evidenz-basierter Therapieverfahren eine große Rolle (Buchkremer u. Klingberg 2001). Im Bereich der Wirksamkeitsforschung wird unterschieden in „Efficacy“ und „Effectiveness“. Analoge deutsche Begriffe existieren nicht. Unter „Efficacy“ versteht man die Wirksamkeit unter kontrollierten Bedingungen. Seligmann (1995) beschreibt eine enge Beziehung zwischen der „Efficacy“ und randomisierten klinischen Studien (RCT’s-Randomized Controlled Trials), die vor allem die internale Validität zum Ausdruck bringen. Es handelt sich bei den RCT’s um standardisierte Verfahren, die als bestes Studiendesign gelten. Das hat zur Folge, dass eine Randomisierung der Patienten in die Behandlungsgruppen sowie eine doppelte Verblindung (bei pharmakologischen Studien) zur Bedingung werden. Das bedeutet, dass: 1. der Behandler selbst nicht die Zuordnung zu einer Studiengruppe kennt und somit keinen Einfluss auf das Ergebnis hat. 2. eine gleichmäßige Verteilung der einflussnehmenden Faktoren vorliegt um Störfaktoren zu minimieren. Deshalb ist es stets von Relevanz, dass die zu untersuchende Gruppe groß genug ist. 23 Grundlagen Die „Effectiveness“ beschreibt die Wirksamkeit eines Verfahrens unter klinischen Alltagsbedingungen. Die „Costeffectiveness“ (Kosteneffektivität) eines Verfahrens, beschreibt das wirtschaftliche Minimalprinzip, also das Verfahren, das bei gleichem Erfolg am kostengünstigsten ist. Beschränkte Ressourcen spielen sowohl für die „Efficacy“ als auch die „Effectiveness“ keine Rolle, die „Costeffetiveness“ jedoch schon. Die Kostenträger bevorzugen solche Therapieverfahren, von denen nicht nur der Patient sondern auch sie profitieren (Yates 1997). Es gibt kaum vergleichende Studien von Langzeit verhaltenstherapeutischen und psychodynamischen Verfahren bei Essstörungen. Aus der Literatur waren Vergleiche von Kurzzeittherapien bei Essgestörten zu finden (siehe Tabelle 2). Tabelle 2 Vergleichsstudien Verhaltenstherapeutische vs. psychodynamische Psychotherapie bei Essstörungen 1.7.3. Manualisierte Therapieformen Die Manualisierung einer Therapie hat Ihre Wurzeln in den USA in den 60er Jahren. Erste Ansätze zu manualisierten Psychotherapie gab es in den 80er Jahren mit dem 1984 von Strupp und Binder verfassten „Psychotherapy in a new key: A Guideline to time-limited Psychotherapy“. Grundlagen 24 Die Aufgabe und das Ziel von Therapiemanualen ist es, Therapien zu standardisieren und damit den Therapieeffekt zu sichern. Die Vorteile manualisierter Therapieformen liegen in der besseren Reproduzierbarkeit, daher werden in Therapiestudien meist manualisierte Therapien eingesetzt (Wilson 2007). Da die für RCT’s verwendeten Therapiemanuale sich vor allem auf Therapieverfahren stützen, die eine Symptomverbesserung anstreben, werden Therapieeffekte von Verfahren, die dem Krankheitssymptom zugrunde liegende Ursachen behandeln, weitestgehend ausgeschlossen. Bein et. al. (2000) zeigten in der Vanderbilt-II-Studie, dass Manuale die Kompetenz der Therapeuten durchaus steigern können und dass „der Gebrauch eines Manuals wichtig und hilfreich für den Anfänger sein kann“. Schon damals erkannte man aber auch, dass Therapiemanuale für den erfahrenen Therapeuten eher eine Einschränkung seiner gewachsenen Flexibilität darstellen“(Kächele 2007, S.153). 1.7.4. Leitlinien in der Psychotherapie 1.7.4.1. Leitlinien allgemein Für den niedergelassenen Psychotherapeuten ist es schwierig, ständig den neuesten Stand der Psychotherapieforschung sowie die Vielzahl an Entwicklungen in seinem Fachbereich mitzuverfolgen. Um dem Therapeuten Hilfe zu leisten und ihm evidenz-basierte Empfehlungen aus der Therapieforschung für seine Therapie zu vermitteln, fasst die Cochrane Collaboration Forschungsergebnisse zusammen. Auch Leitlinien der APA - American Psychiatric Association (USA, 2006) und die NICE-Guidelines (Großbritannien, 2004) sollen dem Praktiker die beste Evidenz der Forschung vermitteln. Diese Leitlinien sind systematisch entwickelte, mögliche evidenz-basierende Empfehlungen (z.B. zu Essstörungen). Diese sollen den Behandlern für als Unterstützung in ihren therapeutischen Entscheidungen dienen und stellen einen wichtigen Bestandteil des Qualitätsmanagements im Gesundheitswesen dar. (AWMF 2003; Rudolf u. Eich 2002) „Die ›Leitlinien‹ der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften sind 25 Grundlagen systematisch entwickelte Hilfen für Ärzte zur Entscheidungsfindung in spezifischen Situationen. Sie beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und in der Praxis bewährten Verfahren und sorgen für mehr Sicherheit in der Medizin, sollen aber auch ökonomische Aspekte berücksichtigen. Die ›Leitlinien‹ sind für Ärzte rechtlich nicht bindend und haben daher weder haftungsbegründende noch haftungsbefreiende Wirkung“ (www.awmf-online.de, 2005). In Deutschland ist die Arbeitsgemeinschaft für medizinische Fachgesellschaften (AWMF) seit 1992 das Forum für medizinische Leitlinien. Gegründet wurde die AWMF zur Verbesserung der Qualität in der klinischen Forschung und Praxis. Leitlinien, die von der AWMF entwickelt werden, durchlaufen definitionsgemäß drei Entwicklungsstufen. Stufe 1 Checklisten durch Expertengruppen Stufe 2 Konstrukte von systematischen Konsensusprozessen Stufe 3 Leitlinien mit allen Elementen der systematischen Entwicklung (Logik/klinische Algorithmen, Konsensus, Evidence-based Medicine, Entscheidungsanalyse) Da kontrollierte Studien mit guter Methodik und manualisierter Therapie überwiegend zu kognitiver Verhaltenstherapie vorliegen, findet sich diese Therapieform schwerpunktmäßig in den Leitlinien wieder. Im Rahmen der fächerübergreifenden Erstellung von Therapieleitlinien in der Medizin wurde im März 2005 die Entwicklung einer Psychotherapie-Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Essstörungen bei der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) angemeldet. Die federführenden Fachgesellschaften sind hierbei die - Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, DGKJP - Deutsche Gesellschaft für Psychologie, Fachgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie, DGP - Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Psychothe- Grundlagen 26 rapie, DGPM - Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, DGPPN Inwiefern Leitlinien zur Verbesserung der Versorgung beitragen können, wurde jedoch bisher nicht hinreichend empirisch geprüft. Es stellt sich die Frage ob psychotherapeutische Verfahren überhaupt die Grundvoraussetzung zur Forschung erfüllen, nämlich Randomisierung und Verblindung. Deshalb werden derzeit vornehmlich Studien der Evidenzgrade 1b bis 3b (entsprechend der Evidenzgrade nach dem Oxford Centre of Evidence Based Medicine (2001) berücksichtigt (AWMF, sieheTabelle 1). Viele Studien entsprechen einer niedrigen Evidenz, es werden in den bestehenden Leitlinien daher nur Vorschläge gegeben. 1.7.4.2. Leitlinien Essstörungen Ausgehend von den im Frühjahr 2004 erschienenen englischen Leitlinien (National Institute of Clinical Excellence – NICE Guidelines) für Essstörungen, entstehen deutsche Leitlinien, die um die Studien nach 2003 erweitert werden. Die in den „NICE Guidelines“ empfohlenen psychotherapeutischen Behandlungen der Anorexia nervosa beinhalten die kognitiv analytische Therapie, die kognitive Verhaltenstherapie, die tiefenpsychologische Psychotherapie, die fokale psychodynamische Psychotherapie sowie Familientherapie. Im Januar 2004 wurden die „NICE Guidelines“ zur Behandlung von Essstörungen publiziert. Sie bestehen aus einer Reihe von Empfehlungen, die in interdisziplinären Arbeitsgruppen entwickelt wurden. Die Therapieempfehlungen beruhen auf Grad A (stark empirisch gestützten, gut untersuchten randomisierten Versuchen) bis Grad C (Expertenmeinungen ohne starke empirische Datenlage). Darin werden über hundert Empfehlungen ausgesprochen. Die meisten davon mit Evidenzgrad C. Kognitive Verhaltenstherapie für Bulimie wurde mit Evidenz Grad Grundlagen 27 A ausgezeichnet. Es wurde eine Überlegenheit von kognitiver Verhaltenstherapie gegenüber anderen psychologischen und pharmakologischen Therapieverfahren formuliert. Antidepressive Pharmakotherapie wurde mit Evidenzgrad B bewertet. Insbesondere bei der Anorexia nervosa geben die britischen Leitlinien sehr viele Empfehlungen auf der Basis von Expertenmeinungen und daher mit geringer Evidenz (Evidenzgrad C). 1.8. Fragestellungen und Hypothesen In dieser Arbeit soll mit Hilfe eines Fragebogens untersucht werden, welche Einstellung niedergelassene Psychotherapeuten bezüglich manualisierter Therapieformen und Therapieleitlinien haben. Insbesondere sind folgende Fragen für uns von Interesse: 1. Welche Therapieverfahren nutzen niedergelassene Psychotherapeuten? Welchen Einfluss hat die Entscheidung für ein Therapieverfahren auf die Therapiedauer? Wie stehen niedergelassene Therapeuten Therapieleitlinien gegenüber? Welche Fragen sollten Therapieleitlinien beantworten? 2. Für wie wichtig betrachten niedergelassene Psychotherapeuten Ausbildung oder Weiterbildung für ihre therapeutischen Entscheidungen. Worauf baut die Therapie niedergelassener Psychotherapeuten auf? 3. Kennen und nutzen Praktiker manualisierte Therapieformen? Wie sehen Psychotherapeuten den Nutzen von manualisierten Therapieformen? Welche Einstellung haben Therapeuten zu manualisierten Therapien? Welche Gefahren sehen niedergelassene Therapeuten in manualisierten Therapien? Grundlagen 28 Folgende Hypothesen können aufgrund der Literatur aufgestellt werden. 1. Die Dauer der Psychotherapie in der Praxis des niedergelassenen Therapeuten unterscheidet sich erheblich von der Dauer der Therapie in den Therapiestudien. Dies zeigt ein Vergleich der TRANS-OP Studie mit den Veröffentlichungen der NICE-Guidelines. 2. Niedergelassene Psychotherapeuten stehen manualisierten Therapien und Therapieleitlinien kritisch gegenüber (Bonner Erklärung). 3. Ärztliche und psychologische Psychotherapeuten unterscheiden sich hinsichtlich der von ihnen eingesetzten Therapieverfahren (vgl. Grunddaten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, 2008). Methodik 29 2. Methodik 2.1. Studienpopulation Der Fragebogen wurde am 18.04.06 an 132 niedergelassene Psychotherapeuten mit kassenärztlicher Zulassung aus Ulm und Umgebung versandt. Die Angeschriebenen teilten sich nach Ihrer Ausbildung wie folgt auf: 64 Mediziner, 53 Psychologen, 15 machten keine näheren Angaben, besitzen keinen Titel, oder gaben diesen nicht an. Der Fragebogen wurde nicht personalisiert und in Form eines Direktmailings mit einem Anschreiben an die Therapeuten versand. 2.2. Ein- und Ausschlusskriterien 2.2.1. Einschlusskriterien Es wurden sowohl verhaltenstherapeutisch tätige Psychotherapeuten, als auch Psychotherapeuten mit psychodynamischen Therapieansätzen (Psychoanalyse und Tiefenpsychologie) angeschrieben. Ausgewählt wurden Mediziner mit psychotherapeutischer Zusatzausbildung sowie psychotherapeutisch tätige Psychologen oder sonstige von der KV anerkannte Ausbildungen. Die Adressdaten für die Aussendung stammten aus dem Adressverzeichnis der Abteilung Psychosomatische Tagesklinik der Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universität Ulm und wurden mit den Daten der KVBW (Kassenärztliche Vereinigung Baden Württemberg, Ausgabe 2005) abgeglichen. 2.2.2. Ausschlusskriterien Es wurden keine Ärzte angeschrieben, die Psychotherapie in Form von IGeL – Individuelle Gesundheits- Eigenleistungen - anbieten. Weiterhin wurden keine 30 Methodik ausschließlich im Krankenhaus tätigen Psychotherapeuten oder Psychotherapeuten ohne kassenärztliche Zulassung angeschrieben. 2.3. Studienablauf Die 132 Psychotherapeuten erhielten einen dreiseitigen Fragebogen sowie ein Anschreiben, zusammen in Form eines Direktmailings. Absender der Aussendung war die Abteilung Psychosomatische Tagesklinik, Professor von Wietersheim, der Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Ulm. Die Therapeuten waren angehalten den Fragebogen auszufüllen und an die Abteilung Psychosomatik zurückzusenden. Entwicklung des Fragebogens Der Fragebogen (Anhang) umfasste 21 sowohl dichotome, teils größenbezogene sowie offene Fragen. 1. Zur Ausbildung: Hierunter hatten die Therapeuten die Auswahlmöglichkeit, ihr vorangegangenes Studium anzukreuzen. Es bestand eine Mehrfach- Auswahlmöglichkeit für Medizin, Psychologie und als anhängende Freitextfrage eines oder mehrere weitere Studien anzugeben. 2. Zum Therapieverfahren: Unter diesem Abschnitt wurde der Therapeut aufgefordert in Mehrfachauswahl seine praktizierte Therapieform anzugeben. 1. Verhaltenstherapie 2. Tiefenpsychologie 3. Psychoanalyse Methodik 31 3. Spezialisierung Der Therapeut wurde gebeten anzugeben, ob er auf ein Fachgebiet spezialisiert ist. Wenn er die Frage mit „ja“ beantwortete, wurde er gebeten dies in einer Freitextfrage zu spezifizieren. 4. Erfahrung mit essgestörten Patientinnen Hier hatte der Therapeut die Möglichkeit in einer „ja/nein“-Antwortmöglichkeit seine Erfahrung zu bestätigen und in einer weiteren Frage die Möglichkeit anzukreuzen, ob er diese Erfahrung mit Anorexie oder Bulimie oder beiden Formen der Essstörungen gemacht hat. 5. Einschätzung der jeweiligen Therapiedauer Eine Einschätzung über die benötigte Therapiedauer (in Therapiestunden) wurde unter diesem Punkt abgefragt. Der Therapeut wurde aufgefordert eine Schätzung für Mindesttherapiedauer, maximale Therapiedauer und durchschnittliche Therapiedauer, basierend auf seiner Erfahrung einzutragen. Die Frage war unterteilt in Therapiedauern für die Behandlung von Anorexia nervosa und der Therapie der Bulimia nervosa. 6. Bedeutung von Ausbildung und Erfahrung für die therapeutische Vorgehensweise. Beurteilung der therapeutischen Vorgehensweise in Form einer Ratingskala von 1 bis 5. Wobei 1 für nicht zutreffend und 5 für voll zutreffend steht. Abgefragt wurden: 1. Studium 2. Klinikerfahrung 3. Psychotherapeutenausbildung 4. Zusatzausbildung 5. Literatur, Zeitschriften 6. Sonstiges Methodik 32 7. Kenntnis über Therapiemanuale Hier wurde in Form einer dichotomen Ja/ Nein Fragestellung abgefragt ob Therapiemanuale bekannt sind oder nicht. 8. Kenntnis über genutzte Therapiemanuale Eine Spezifizierung unter Angabe von Autoren oder einer Beschreibung der bekannten Therapiemanuale wurde hier abgefragt. 9. Nutzung von Therapiemanualen Die Therapeuten wurden gebeten eine Nutzung von Therapiemanualen zu bestätigen und im Falle einer Nutzung diese Manuale zu benennen. 10. Art der Nutzung Unter diesem Abschnitt wurden die Therapeuten nach der Art und Weise der Nutzung befragt, es gab die Möglichkeit eine auszugsweise Nutzung oder eine vollständige Nutzung zu benennen. 11. Situationen zur Nutzung von Therapiemanualen In dieser offenen Fragestellung wurden die Therapeuten aufgefordert Situationen zu benennen, in denen sie Therapiemanuale nutzen oder auf diese zurückgreifen. 12. Erfahrung mit Therapiemanualen Die persönliche Erfahrung als Therapeut im Umgang mit Therapiemanualen wurde unter diesem Punkt abgefragt. 13. Stärken von Therapiemanualen Die Therapeuten wurden aufgefordert die Stärken der von ihnen unter Punkt 8 genannten Therapiemanuale zu benennen. Methodik 33 14. Schwächen von Therapiemanualen Wie unter Punkt 13, nur sollten die Therapeuten hier die Schwächen benennen. 15. Gründe mit Therapiemanualen nicht zu arbeiten Die Therapeuten wurden aufgefordert ihre persönlichen Gründe für das Nicht-nutzen von Therapiemanualen zu nennen. 16. Vorstellen mit Therapiemanualen zu arbeiten In dieser ja/nein Frage konnten die Therapeuten angeben ob sie sich vorstellen könnten mit Therapiemanualen zu arbeiten, wenn diese bestimmte Kriterien erfüllten. 17. Kriterien, die ein Manual erfüllen sollte Therapeuten sollten die Kriterien für eine Nutzung von Therapiemanualen nennen, wenn sie die vorgehende Frage mit „ja“ beantwortet hatten. 18. Orientierung an Therapieleitlinien Die befragten Psychotherapeuten sollten ankreuzen „ja/nein“, ob sie sich an Leitlinien zu Anorexia nervosa und/oder Bulimia nervosa orientieren würden. 19. Interesse an Leitlinien Therapeuten konnten ihr Interesse am Mitwirken der Entwicklung von Therapieleitlinien für Anorexia nervosa und Bulimia nervosa bestätigen. Methodik 34 20. Fragen, die in den Leitlinien beantwortet werden sollten Unter dieser Fragestellung hatten die Therapeuten die Möglichkeit die Fragen zu nennen, die sie für wichtig erachten, um in den Leitlinien zu Anorexia nervosa und Bulimia nervosa beantwortet zu werden. 21. Berufserfahrung mit essgestörten Patientinnen Die befragten Therapeuten konnten hier Ihre Berufserfahrung (in Jahren) mit essgestörten Patientinnen nennen. Die Antwortmöglichkeiten waren: 1 bis 5 Jahre; 6 bis 10 Jahre; 11 bis 15 Jahre; 16 Jahre und mehr. 2.4. Statistische Verfahren Zur statistischen Erhebung wurden zunächst die zurück erhaltenen Fragebögen auf Vollständigkeit und korrekte Bearbeitung überprüft. Zur Auswertung der Daten wurden die Angaben der Therapeuten zunächst in eine Microsoft Exceltabelle eingepflegt und darauffolgend mit dem Statistikprogramm SPSS ausgewertet. Zur statistischen Auswertung wurden Häufigkeiten, Standardabweichungen und Mittelwerte ermittelt. Zur Überprüfung der stochastischen Unabhängig wurde in Kreuztabellen der exakte Fisher-Test oder der Chi-Quadrat-Test zu Hilfe gezogen. Bei Vergleich von unterschiedlichen Gruppen wurden H-Test (mit anschließendem U-Test) oder Varianzanalyse gerechnet. Das Signifikanzniveau wurde mit p=0,05 festgelegt. Antworten aus Freitextfragen wurden zur Auswertung zunächst einzelnen Kategorien zugeordnet. 2.5. Rücklauf Von den 132 ausgesandten Fragebögen erhielten wir 51 zurück. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 38,6%. Es wird angemerkt, dass nicht alle Fragen von allen Therapeuten beantwortet wurden. Ergebnisse 35 3. Ergebnisse 3.1. Studium Von den 51 zurückgesandten, gültigen Fragebögen stammten 26 also 51% von Psychotherapeuten, die ausschließlich Medizin studiert haben. 21 der Fragebögen also 41,2% wurden von Psychotherapeuten ausgefüllt, die nur Psychologie studiert haben. Einer der Psychotherapeuten(2%) hatte sowohl Medizin als auch Psychologie studiert, ein weiterer (2%) hatte sowohl Medizin als auch Sozialwissenschaften studiert, sowie einer (2%), der Psychologie mit Literatur, Sprache, Politik, Soziologie, Philosophie und Pädagogik studiert hatte. 3.2. Therapeutischer Ansatz In 13 der insgesamt 51 beantworteten Fragebögen gaben die Psychotherapeuten an, sie würden nach rein verhaltenstherapeutischem Ansatz behandeln (25,5%). 35 (68,6%) gaben an nach ausschließlich psychodynamischem Ansatz zu behandeln, davon 23 rein tiefenpsychologisch (45,1%), 3 (5,9%) rein psychoanalytisch sowie 9 (17,6%) sowohl tiefenpsychologisch als auch psychoanalytisch. Drei Therapeuten gaben an sowohl verhaltenstherapeutische Verfahren als auch psychodynamische Verfahren zu nutzen. Die untersuchten Fragebögen ergaben, dass eine rein verhaltenstherapeutische Therapie ausschließlich Therapeuten mit rein psychologischem Studium (13) anbieten. Fast genauso viele, nämlich 10 der Therapeuten mit Psychologiestudium, verwenden bevorzugen eine psychodynamische Vorgehensweise. Therapeuten mit medizinischem Studium (28) boten in ihrer Therapie immer eine psychodynamische Vorgehensweise mit an. Drei darunter boten zusätzlich auch verhaltens-therapeutische Maßnahmen an. Die Auswertung durch Chi-Quadrat nach Pearson ergab einen hochsignifikanten Wert von 19,38 (p<0,0001). In der Abbildung 5 wird verglichen inwieweit das genutzte Therapieverfahren vom Studium des Therapeuten abhängt. Somit kann Hypothese 3 als bestätigt gelten. Ergebnisse 36 Abbildung 5 Studium und Therapieverfahren VT=Verhaltenstherapie; PD=psychodynamisches Therapieverfahren Angewendetes Therapieverfahren in Abhängigkeit des absolvierten Studiums der Psychotherapeuten 3.3. Erfahrung mit essgestörten Patientinnen Die Frage nach der Erfahrung mit essgestörten Patienten und Patientinnen beantworteten alle der 51 Psychotherapeuten. Positiv, also mit ja antworteten 46 also 90,2% der Psychotherapeuten, darunter waren sechs die angaben, lediglich Erfahrung mit der Behandlung bulimischer Patientinnen haben. Einer gab an lediglich Erfahrung mit anorektischen Patientinnen zu haben und 45 bestätigten Kenntnis sowohl in der Behandlung der Anorexia nervosa als auch der Bulimia nervosa zu haben. Zwei Psychotherapeuten geben an auf die Behandlung von Essstörungen spezialisiert zu sein. Mit nein, also keine Kenntnis im Bereich der Behandlung von Essstörungen zu haben antworteten lediglich 5 (9,8%). Ein Psychotherapeut gab zwar an, Erfah- 37 Ergebnisse rung im Bereich der Behandlung von Essstörungen zu haben, machte aber keine weiteren Angaben zu welchen Bereichen und wurde daher nicht mit ausgewertet. 3.3.1. Therapieerfahrung in Jahren Über die Dauer der Erfahrung mit essgestörten Patientinnen machten die Therapeuten folgende Angaben. Insgesamt beantworteten 48 Therapeuten diese Frage. Abbildung 6 zeigt die Verteilung der Psychotherapeuten nach ihrer Erfahrung mit essgestörten Patientinnen. Abbildung 6 Therapieerfahrung der Psychotherapeuten mit essgestörten Patientinnen machten ( Anzahl der Psychotherapeuten 48). Ergebnisse 38 3.4. Therapiedauer bei Anorexia nervosa und Bulimia nervosa Die befragten Psychotherapeuten wurden aufgefordert eine Einschätzung aufgrund ihrer Erfahrung abzugeben über die minimale, maximale bzw. durchschnittliche Therapiedauer sowohl bei Anorexia nervosa als auch für die Behandlung der Bulimia nervosa. Zur Bewertung der Therapiedauer wurden die einzelnen Zeitangaben in Kategorien zusammengefasst und abhängig von der verwendeten Therapieform dargestellt. 3.4.1 .Therapiedauer von Verhaltenstherapien 8 Verhaltenstherapeuten beantworteten die Frage nach der Therapiedauer mit einer minimalen Therapiestundenzahl von 35 bei Anorexia nervosa und 25 bei Bulimia nervosa und maximal 100 Stunden bei Anorexia nervosa und 80 Stunden bei Bulimia nervosa. Zur Ermittlung des Mittelwertes wurde der Mittelwert aus den angegebenen Durchschnittswerten eines jeden Items genommen. Hier errechneten sich Werte von 62,5 Stunden bei Anorexie (SD=22,68) und 49,38 Stunden für die Bulimie (SD=19,17). 3.4.2. Therapiedauer von psychodynamischen Psychotherapien Für die Therapiedauer von psychodynamischen Therapien wurden mindestens 45 Stunden sowohl bei Anorexie (N=15) als auch bei Bulimie (N=16) angegeben, sowie maximal 160 Stunden für die Anorexie und 160 für die Bulimie. Im Durchschnitt ergab sich eine geschätzte Behandlungsdauer von 81,67 Stunden für die Anorexie (SD=26,44) sowie 72,81 Stunden für die Bulimie (SD=28,28). Ein Therapeut kommentierte diese Frage wie folgt: „Das zugrunde liegende Störungsbild ist so unterschiedlich, dass jeder Fall eine andere Prognose und Stundendauer hat.“ Ein weiterer gab die durchschnittliche Dauer mit „viele Jahre, abhängig von Komorbidität“ an sowie die maximale Therapiedauer mit „Große Streuung“. Nach Auswertung der Angaben kann die Hypothese 1 angenommen werden. Ergebnisse 39 3.4.3. Therapiedauer und therapeutische Erfahrung Im Folgenden wurde verglichen wie viele Therapiestunden Therapeuten bei der Behandlung einer Anorexie in Abhängigkeit ihrer Therapieerfahrung für nötig halten. Die Therapiedauer wurde in Kategorien zusammengefasst. Kategorie 1: bis 25 Therapiestunden Kategorie 2: 26 bis 44 Therapiestunden Kategorie 3: 45 bis 79 Therapiestunden Kategorie 4: 80 bis 100 Therapiestunden Kategorie 5: 101 bis 159 Therapiestunden Kategorie 6: über 159 Therapiestunden Die Kategorien wurden anhand der vom Leistungssträger anerkannten Leistungs- und Begrenzungsschemata erstellt. Hierin ist festgelegt, wieviel Therapiestunden in welchen Therapieverfahren abgerechnet werden dürfen. Die Kategorie 1 (bis zu 25 Therapiestunden) wurde von keinem der Therapeuten angegeben. 26-44 Therapiestunden hielten zwei Therapeuten für ausreichend, beide Therapeuten verfügen über 6-10 Jahre Therapieerfahrung mit essgestörten Patientinnen. Weitere zwei Therapeuten mit vergleichbarer Therapieerfahrung gaben 45-79 Stunden durchschnittliche Therapiedauer bei Anorexia nervosa an. 4 Therapeuten mit diesem Erfahrungshintergrund hielten 80-100 Stunden für ausreichend. Aus der Gruppe der Therapeuten mit Therapieerfahrung zwischen 11-15 Jahren (N=9) entschieden sich 5 dafür, dass 45-79 Stunden wohl ausreichend seien und 4 dafür 80-100 Stunden anzusetzen. Aus der Therapeutengruppe mit der meisten Erfahrung, mit über 15 Jahren Therapieerfahrung entschieden sich 6 (54,5%) für eine durchschnittliche Therapiedauer von 80-100 Stunden. Einer (9,1%) für eine Dauer von 101-159 Stunden und 4 für über 159 und mehr Stunden (36,4%). Auffällig ist der mit steigender Therapieerfahrung zunehmende Trend, dafür mehr Therapiestunden anzusetzen. Für die Therapiedauer der Bulimia nervosa zeigte sich ein annähernd ähnliches Bild. Es zeigt sich auch, dass die drei Therapieformen sich signifikant in der mittleren Ergebnisse 40 Behandlungsdauer der Patientinnen mit Anorexia nervosa (H-Test, p = 0,004) unterscheiden. Sich anschließende Vergleiche zwischen jeweils 2 Therapieformen (U-Tests) ergaben signifikante Unterschiede zwischen der Psychoanalyse und den anderen beiden Verfahren, kein signifikanter Unterschied zeigte sich zwischen der tiefenpsychologischen und der verhaltenstherapeutischen Therapie. Beim Vergleich der Behandlungsdauern der Patientinnen mit Bulimia nervosa zeigten sich ebenfalls signifikante Unterschiede (H-Test, p = =,002). Die sich anschließenden Vergleiche zwischen jeweils 2 Therapieformen (U-Tests) waren alle statistisch signifikant (Vergleich zwischen TP und VT: p = 0,045). In einer univariaten Varianzanalyse wurde der Einfluss der Therapieerfahrung der Therapeuten und Therapieverfahren als unabhängige Variablen auf die Therapiedauer (abhängige Variable) untersucht. Hier zeigten sich jedoch keine signifikanten Unterschiede. Dies dürfte an den kleinen Stichproben in den Untergruppen und der hohen Varianz liegen. Abbildung 7 zeigt die Einschätzung niedergelassener Psychotherapeuten über die Dauer der Behandlung einer Bulimie. Die durchschnittlichen Therapiedauern werden in Abhängigkeit des vom Therapeuten verwendeten Therapieverfahrens aufgezeigt. In der Abbildung 8 werden wie in Abbildung 7 die durchschnittlichen Therapiedauern aufgezeigt, allerdings für die Behandlung einer Anorexie. 41 Ergebnisse Abbildung 7 Durchschnittliche Therapiedauer zur Behandlung einer Bulimie abhängig vom verwendeten psychotherapeutischen Verfahren. Psychodynamische Therapieverfahren mit einer Standardabweichung von 28,28, verhaltenstherapeutische Therapieverfahren mit einer Standardabweichung von 19,17. Abbildung 8 Durchschnittliche Therapiedauer zur Behandlung einer Anorexie abhängig vom verwendeten psychotherapeutischen Verfahren Psychodynamische Therapieverfahren mit einer Standardabweichung von 26,44, verhaltenstherapeutische Therapieverfahren mit einer Standardabweichung von 22,68. 42 Ergebnisse 3.5. Therapeutische Vorgehensweise Unter Frage 6 des Fragebogens wurde abgefragt, auf welchen Komponenten sich die therapeutische Vorgehensweise stützt. Die Therapeuten wurden aufgefordert fünf Items ( 1= trifft nicht zu bis 5=trifft voll zu) zu beurteilen. Psychotherapeuten mit rein psychodynamischem Ansatz werteten an erster Stelle die Psychotherapeutenausbildung mit 3,94 Punkten im Mittelwert (N=34; SD=1,13); als zweitwichtigstes Instrument beurteilten sie Literatur und Zeitschriften mit 3,71 Punkten. Abbildungen 9 und 10 zeigen für wie hilfreich niedergelassene Psychotherapeuten ihre Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für ihre praktische Tätigkeit einschätzen. N= Anzahl der Therapeuten die hierzu Angaben machten. Angaben von 0=unwichtig bis 5=wichtig (Mittelwert und Standardabweichung) Abbildung 9 Grundlagen der therapeutischen Vorgehensweise von psychodynamisch tätigen Psychotherapeuten. 43 Ergebnisse Unter Verhaltenstherapeuten ergab sich mit einem Mittelwert von 3,73 Punkten ein Schwerpunkt auf der Zusatzausbildung (N=11; SD=1,42), gefolgt von Literatur und Zeitschriften die sie mit einem Mittelwert von 3,58 (N=12; SD=1,0) beurteilten. N= Anzahl der Therapeuten die hierzu Angaben machten. Angaben von 0=unwichtig bis 5=wichtig (Mittelwert und Standardabweichung) Abbildung 10 Grundlagen der therapeutische Vorgehensweise von niedergelassenen Verhaltenstherapeuten. Der Vergleich der Beurteilung von therapeutischen Vorgehensweisen zeigte keinen signifikanten Unterschied zwischen Verhaltenstherapeuten und psychodynamisch tätigen Psychotherapeuten. 3.6. Kenntnis von Therapiemanualen Diese Frage beantworteten 50 der Therapeuten. Es wurde in Abhängigkeit der Therapieform ausgewertet, inwieweit Therapeuten Kenntnis von Therapiema- rhaltensthe rapeuten 8 4 44 Ergebnisse nualen besitzen. Von insgesamt 12 Verhaltenstherapeuten gaben 8 (66,7%) an Kenntnis über Therapiemanuale zu besitzen, 4 (33,2%) verneinten die Frage. Psychodynamiker „ja, ich kenne 12 Unter Therapeuten mit rein psychodynamischem Ansatz (N=35) zeigte sich folTherapieman „Nein, kenne 23 uale“ keine Therapieman gendes Bild: 23 (65,7%) der insgesamt 35 Therapeuten gaben an Therapiemauale nuale nicht zu kennen, und lediglich 12 (34,3) bestätigten die Kenntnis von Therapiemanualen. 34% 33% 66% 67% „Ja, ich kenne Therapiemanuale“ „Nein, ich kenne keine Therapiemanuale“ „Ja, ich kenne Therapiemanuale“ „Nein, ich kenne keine Therapiemanuale“ Abbildung 11 Abbildung 11 Abbildung 12 Kenntnis über Therapiemanuale unter Verhaltenstherapeuten Abbildung 12 Kenntnis über Therapiemanuale unter psychodynamisch tätigen Psychotherapeuten Von den insgesamt 3 Therapeuten die sowohl psychodynamische Therapieansätze sowie verhaltenstherapeutische Therapien nutzen bestätigten 2 die Kenntnis, einer negierte die Frage. Folgende Titel gaben die Therapeuten als bekannte Manuale an. Allerdings handelt es sich bei einigen Schriften gar nicht um ein Manual. Ergebnisse 45 1. Silvia Schneider, Jürgen Margraf „Agoraphobie und Panikstörung“ (1998); 2. Stephan Hoyndorf, Marion Reinhold, Fred Christmann „Behandlung sexueller Störungen“ (1995); 3. Simone Munsch „Binge eating. Kognitive Verhaltenstherapie bei Essanfällen (Materialien für die klinische Praxis/ Praxismaterial)“ (2003); 4. Marsha M. Linehan „Dialektisch - Behaviorale Therapie der BorderlinePersönlichkeitsstörung“ (1996); 5. Wolfgang Herzog, Dietrich Munz, Horst Kächele „Essstörungen. Therapieführer und psychodynamische Behandlungskonzepte“ (2004); Hierbei handelt es sich um kein Manual. 6. Rüdiger Hinsch, Ulrich Pfingsten „Gruppentraining sozialer Kompetenzen (GSK). Grundlagen, Durchführung, Anwendungsbeispiele (Materialen für die klinische Praxis/ Praxismaterial)“ (2002); 7. Corinna Jacobi, Andreas Thiel, Thomas Paul „Kognitive Verhaltenstherapie bei Anorexia und Bulimia nervosa (Materialien für die psychosoziale Praxis)“ (2008); 8. Anne Boos „Kognitive Verhaltenstherapie nach chronischer Traumatisierung. Ein Therapiemanual“ (2005); Kognitive Verhaltenstherapie nach chronischer Traumatisierung. 9. Silja Vocks, Tanja Legenbauer „Körperbildtherapie bei Anorexia und Bulimia nervosa. Ein kognitivverhaltenstherapeutisches Behandlungsprogramm (Therapeutische Praxis)“ (2005); 10. Hans H. Strupp, Jeffrey L., Binder Jürgen, Peter Krause „Kurzpsychotherapie (Konzepte der Humanwissenschaften)“ (1993); Hierbei handelt es sich um kein Manual. 11. Jürgen Margraf „Lehrbuch der Verhaltenstherapie“ (2000); Behandlungsbereich: Anorexie/ Bulimie; Therapieansatz: VT; 12. OPD-Arbeitsgemeinschaft „Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik OPD-2. Das Manual für Diagnostik und Therapieplanung“ (2000); Therapieansatz: Psychodynamisch; Kein therapeutisches Manual, Diagnostik; Ergebnisse 46 13. Luise Reddemann „Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie. PITT – das Manual“ (2004/2007); 14. Dagmar Pauli, Hans-Christoph Steinhausen „Ratgeber Magersucht. Informationen für Betroffene, Eltern, Lehrer und Erzieher (Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie)“ (2005); Kein Manual; 15. Monika Gerlinghoff, Herbert Backmund „Therapie der Magersucht und Bulimie. Anleitung zu eigenverantwortlichem Handeln“ (1995); kein Manual; 16. Franz-Josef Feldhege, Günter Krauthahn „Verhaltenstrainingsprogramm zum Aufbau sozialer Kompetenz (VTP)“ (1979); Verhaltenstrainingsprogramm zum Aufbau sozialer Kompetenz; 17. Thomas Herzog, Angelika Sandholz „Störungsspezifische konflikt- und symptomzentrierte Kurzpsychotherapie der Bulimia nervosa. Ein Leitfaden für Therapeuten“ aus Psychotherapeut, Volume 42, Nummer 2/ März (1997) 3.7. Verwendung von Therapiemanualen Von den insgesamt 50 gültigen Antworten gaben lediglich 13 der Therapeuten an, Therapiemanuale zu nutzen, darunter 7 Verhaltenstherapeuten (=58,3% der Verhaltenstherapeuten) und 6 (=17,1%) Therapeuten mit psychodynamischem Ansatz. Unter den „Nichtnutzern“ von Therapiemanualen (insgesamt 37=74% aller Therapeuten) zeigte sich folgendes Bild: 5 waren Verhaltenstherapeuten (=41,7% der Verhaltenstherapeuten) und 29 waren Therapeuten mit psychodynamischem Ansatz (82,9% der rein psychodynamisch tätigen Therapeuten). Die drei Therapeuten, die angaben beide zuvor genannten Therapieformen zu nutzen berichteten zu 100%, Therapiemanuale nicht zu verwenden. Basierend auf den Angaben der niedergelassenen Psychotherapeuten kann die Hypothese 2 angenommen werden. Die Abbildungen 13 und 14 zeigen die Nutzung von Nutzung von Therapiemanualen in Abhängigkeit vom angewendeten Therapieverfahren. 47 Ergebnisse Abbildung 13 Abbildung 13 Abbildung 14 Verhältnis von Anwendern zu Nichtnutzern von Therapiemanualen unter Verhaltenstherapeuten. Abbildung 14 Verhältnis von Anwendern zu Nichtnutzern von Therapiemanualen unter psychodynamisch tätigen Psychotherapeuten. Unter den „Nichtnutzern“ (N=37) waren 28 (75,7%) die Therapiemanuale nicht kennen und 9 (24,3%), die Therapiemanuale zwar kennen, aber aus bestimmten Gründen nicht nutzen. 3.7.1. Verwendung von Therapiemanualen vs. Therapieerfahrung Die Gruppe der Therapeuten, die Erfahrungen mit essgestörten Patientinnen haben verteilt sich wie folgt. Ausgewertet wurden hierunter nur die Fragebögen, in denen die Angaben zu beiden Items gemacht wurden: 1. Verwendung von Therapiemanualen (Ja oder Nein) 2. Therapieerfahrung (in Jahren) gemacht hatten. In der Kategorie 1 mit der kürzesten Erfahrung (1-5 Jahre; N=2) gab einer der Therapeuten an, Therapiemanuale zu nutzen, ein weiterer nutzt sie nicht. In der Kategorie derer mit 6 bis 10 Jahren Erfahrung (N=14) waren 3 Nutzer (21,4%) und 48 Ergebnisse 11 „Nichtnutzer“ (78,6%). In der Kategorie der Therapeuten mit zwischen 11 und 15 Jahren Erfahrung (N=13) zeigten sich 4 Nutzer (30,8%) im Vergleich zu 9 „Nichtnutzern“ (69,2%). In der Kategorie mit der längsten Erfahrung (15+) in der Therapie von essgestörten Patientinnen gaben von den insgesamt 19 Therapeuten lediglich 5 an (26,3%) diese zu nutzen und 14 (73,7%) gaben an diese nicht zu nutzen. Der Signifikanztest ergab keinen Zusammenhang zwischen Therapieerfahrung und Verwendung von Therapiemanualen. Abbildung 15 zeigt den Zusammenhang zwischen Therapieerfahrung von niedergelassennen Psychotherapeuten und der Nutzung von Therapiemanualen. Abbildung 15 Vergleich Anzahl Therapiemanual Nutzer/nicht-Nutzer in Abhängigkeit von der therapeutischen Erfahrung mit essgestörten Patientinnen. 49 Ergebnisse Abbildung 16 stellt den Zusammenhang zwischen der vom Therapeuten geschätzten Therapiedauer in Therapiestunden und der Nutzung von Therapiemanualen dar. Abbildung 16 Anzahl der Nutzer/Nicht-Nutzer von Therapiemanualen in Abhängigkeit von der vom Therapeuten eingeschätzten Therapiedauer (in Therapiestunden). 3.8. Orientierung an Leitlinien zu Anorexia nervosa und Bulimia nervosa Auf die Frage, ob sich die Therapeuten wohl an der 2009 erscheinenden „Therapieleitlinie zur Behandlung von Anorexia nervosa und Bulimia nervosa“ orientieren würden, antworteten diese wie folgt: Wir erhielten 45 gültige Antworten zurück(=88,2%), 6 machten zu dieser Frage keine Aussage (11,8%). 32 der insgesamt 45 gültigen Angaben (71,1%) waren positiv, 12 gaben an, sich nicht daran zu orientieren (26,7%), einer war unschlüssig. 90,9% der Verhaltenstherapeuten bejahten eine zukünftige Orientierung an Leitlinien zu Anorexia nervosa. Ein Verhaltenstherapeut sprach sich gegen eine Orientierung an den Leitlinien aus. Unter psychodynamisch tätigen Psychotherapeuten zeigte 50 Ergebnisse sich das Bild etwas gespaltener 22 (71%) sprachen sich für die Nutzung, 8 (25,8%) dagegen und einer (3,2%) konnte sich weder für noch gegen eine Nutzung entscheiden. Therapeuten die sowohl verhaltenstherapeutische als auch psychodynamische Therapieformen nutzen (N=3) sprachen sich einstimmig gegen eine Nutzung aus. Bezüglich der Nutzung der Leitlinien in der Therapie der Bulimia nervosa zeigte sich Ähnliches, mit der Ausnahme, dass nur 44 gültige Angaben gemacht wurden. Ein Therapeut (psychodynamische Therapieform) beantwortete diese Frage nicht. Die Abbildungen 17 und 18 zeigen die Bereitschaft niedergelassener Therapeuten sich bei Essstörungen an Therapieleitlinien zu orientieren (in Abhängigkeit vom verwendeten psychotherapeutischen Verfahren). Abbildung 17 Abbildung 17 Abbildung 18 Bereitschaft unter Verhaltenstherapeuten sich an Therapieleitlinien zu Anorexie und Bulimie zu orientieren. Abbildung 18 Bereitschaft unter psychodynamisch tätigen Psychotherapeuten sich an Therapieleitlinien zu Anorexie und Bulimie zu orientieren. Ergebnisse 51 3.9. Bereitschaft mit Therapiemanualen zu arbeiten Auf diese Frage hin antworteten 46 der Therapeuten. Unter den 12 Verhaltenstherapeuten (1 fehlend) waren 10 (83,3% der Verhaltenstherapeuten) gewillt mit Therapiemanualen zu arbeiten und lediglich 2 nicht (entspricht 16,7% der Therapeuten mit verhaltenstherapeutischem Ansatz). Unter rein psychodynamisch tätigen Psychotherapeuten konnten sich 18 (=58,1%) vorstellen mit einem Therapiemanual zu arbeiten, wenn dieses bestimmte Vorgaben erfüllt. 13 der Therapeuten (41,9%) verneinten diese Frage. Alle drei Psychotherapeuten mit sowohl verhaltenstherapeutischem als auch tiefenpsychologischem Ansatz beurteilten diese Frage positiv (=100%), also mit „ja“. Von denjenigen, die keine Manuale verwenden (N=34), gaben 15 (44,1%) an, sich nicht vorstellen zu können, diese zukünftig zu nutzen. 19 (55,9%) waren positiv gegenüber einer zukünftigen Nutzung eingestellt. 3.10. Kriterien die ein Manual erfüllen sollte Folgende Kriterien würden sich die Therapeuten von einem Manual wünschen: 1. „Körperbild, systemische Aspekte zur Familienkonstellation. Selbst-/ Fremdwahrnehmung, Körperwahrnehmung, Ressourcenorientierung.“ 2. „Nicht symptomorientiert sondern Psychopathologie-orientiert.“ 3. „Es müsste eine erstklassige und durchsichtige Gliederung haben.“ 4. „Klar/ logisch/ evidenz-basiert/ erfolgreich.“ 5. „Es müsste qualitativ gut sein und Freiräume (in der Therapie) gestatten.“ 6. „Praxisbezogen, konkret.“ 7. „Es wäre hier höchstenfalls eine Anregung, bislang machte ich die Erfahrung, dass ein individuelles Eingehen auf die Problematik des Patienten am effektivsten ist.“ 8. „Modularer Aufbau, flexibel handhabbar.“ Ergebnisse 52 9. „Es müsste bei aller Allgemeingültigkeit und festem Behandlungsplan Raum lassen für individuelles therapeutisches Geschehen.“ 10. „Anregung, Spielraum geben innerhalb sinnvoller Grenzen (häufig - nicht häufig).“ 11. „Überschaubar, praxisbezogen, Empfehlungscharakter, evidenz-basiert bzw. wissenschaftlich begründet.“ 12. „Wesentliche Problembereiche sollten abgedeckt sein.“ 13. „Sehr freie Vorgaben, Vorschläge, zusätzlich psychoedukatives Material für Patienten.“ 14. „Kurz und klar.“ 15. „Es sollte leicht nachvollziehbar sein und keinen zu hohen zusätzlichen Arbeitsaufwand erfordern.“ 16. „Der therapeutischen Beziehung Raum lassen.“ 17. „Theoretisch fundiert: klinisch validiert.“ 18. „Reihenfolge und Anzahl der Module sollte flexibel sein.“ 19. „Theoriegeleitet und -erarbeitet von Praktikern, gute Lesbarkeit und Anwendbarkeit, methodische Offenheit.“ 20. „Sehr sehr schwere Frage (flexibel genug).“ 21. „Leichte Handhabung.“ 22. „Es sollte gut ausgereift sein und nicht zu krankheitsspezifisch.“ 23. „Wissenschaftlichkeit, Praktikabilität, strukturiert, VT-orientiert.“ 24. „Grobes Diagnose- und Vorgehensraster an Hand von typischen Symptomen und Ursachen.“ 25. „Es sollte nach dem Baukastenprinzip aufgebaut sein, dass einzelne Elemente, die passend erscheinen herausgenommen werden können.“ Ergebnisse 53 3.11. Verwendung von Manualen Unter dieser Frage wurden die Therapeuten gebeten anzugeben, wie sie die von ihnen genutzten Manuale verwenden. Ob als ganzes oder aber nur auszugsweise. Wir erhielten 14 gültige Antworten auf diese Frage, die ausschließlich eine auszugsweise und keine ganzheitliche Nutzung erklärten. 3.12. Schwächen von Manualen Die Therapeuten wurden gebeten Schwächen von Therapiemanualen aufzuzeigen. Zur Beurteilung der Aussagen in dieser offenen Fragestellung wurden Aussagen der Therapeuten analysiert und anschließend in 4 Kategorien gegliedert. 1. Keine Angabe, 2. Unflexibel/rigide, 3. nicht ganzheitlich, einseitig VT belastet und 4. keine Schwächen. Gewertet wurden nur die Aussagen der Therapeuten, die zuvor die Kenntnis über Manuale bestätigt hatten. Insgesamt ergaben sich somit 22 gültige Antworten. 7 (31,8%) machten keine Angabe, 10 (45,5%)beurteilten die Schwächen der Manuale als zu rigide und unflexibel, 4 (18,2%) sagten aus, diese seien nicht ganzheitlich und einer (4,5%) hatte keine Mängel auszusetzen. Abbildung 19 zeigt die von niedergelassenen Psychotherapeuten bemängelten Schwächen von Therapiemanualen. 54 Ergebnisse Abbildung 19 Schwächen von Psychotherapiemanualen nach Therapieverfahren. 3.13. Stärken von Manualen Unter diesem Punkt wurden die Therapeuten aufgefordert die Stärken die Therapiemanuale ihrer Meinung nach haben zu benennen. Die Aussagen der Therapeuten wurden in 6 Kategorien eingeteilt. 1. Keine Angabe, 2. der Therapie Struktur gebend, 3. bei Unerfahrenheit des Therapeuten Sicherheit gebend, 4. Vereinfachung und Motivationssteigerung des Patienten, 5. Stärkung der Introspektion, 6. Gute Integrationsmöglichkeit in die Therapie. Insgesamt konnten 22 gültige Angaben ausgewertet werden. 9 Therapeuten machten keine Angaben (40,9%), 7 Therapeuten (31,8%) lobten die Strukturierung der Manuale, 2 gaben an, diese bei Unerfahrenheit als Hilfe anzusehen (9,1%). Einer sprach von einer Vereinfachung der Therapie und Steigerung der Motivation für den Patienten (4,5%). Die Stärkung der Introspektion beurteilten 55 Ergebnisse 2 Therapeuten als positiv (9,1%). Von einer guten Integration in die Therapie sprach einer der Befragen (4,5%). In Abbildung 20 sind die von Therapeuten gelobten Stärken von Therapiemanualen aufgezeigt. Abbildung 20 Stärken von Therapiemanualen 3.14. Warum nicht nutzen Auf die Frage, weshalb Therapeuten Therapiemanuale nicht verwenden, äußerten sich die 37 „Nichtanwender“ wie folgt. Die Aussagen konnten in 5 Aussagebereiche untergliedert werden. 9 machten keinerlei Angaben hierzu(24,3%). Als zu rigide bezeichneten 3 Therapeuten (8,1%) die Therapiemanuale. Eine individuelle Vorgehensweise betrachteten immerhin 17 (45,9%) als effektiver. Keinen Bedarf zur Nutzung gaben 4 Therapeuten an (10,8%). 3 Therapeuten äußerten, es sei Ihnen nichts Gutes über Manuale bekannt (8,1%) und als zu theoretisch bezeichnete ein Therapeut die manualisierte Therapieform. 56 Ergebnisse In Abbildung 21 sind die Gründe für die Nichtnutzung von Manualen zusammengefasst. Abbildung 21 Gründe weshalb Psychotherapeuten Therapiemanuale nicht nutzen. 3.15. Welche Fragen sollen Therapieleitlinien beantworten In dieser Fragestellung konnten die Therapeuten Angaben darüber machen was sie sich von Therapieleitlinien zu Anorexia nervosa und Bulimia nervosa wünschen würden. 1. „Therapiemotivation, ergänzende Medikamente“ 2. „Welche Funktion hat das Symptom“ 3. „Ziel und Sinn?“ 4. „Wann ambulant - wann stationär. Einbeziehung d. Bezugspersonen /Kinder –Erwachsene“ 5. „Wie man Psychodynamik erforscht“ 6. „Am Ende meiner Berufslaufbahn nutze ich lieber meine erarbeiteten Stärken, als mich in neue einzuarbeiten!“ 7. „Derzeit keine“ Ergebnisse 57 8. „Wie ist der sinnvolle Umgang mit der oft rigiden, fast zwanghaften Seite, d.h. wie kann man hier therapeutisch hilfreich eingreifen, was viel mit Selbstbestimmung zu tun hat.“ 9. „Kritisches Gewicht, was tun bei Verleugnung?“ 10. „Wie kann die Therapeutin mit der Destruktivität umgehen, bzw. ihr Einhalt gebieten“ 11. „Wenn die Leitlinien auch Hinweise und Hilfestellungen für die Notwendigkeit um Familientherapien beihalteten wären diese sinnvoll.“ 12. „Welches unterschiedliche therapeutische Vorgehen ist nötig und hilfreich auf verschiedenen Strukturebenen?“ 13. „Wer führt Gewichtskontrollen durch?“ 14. „Wie stark auf tatsächliches Essverhalten und "objektive" Werte eingehen? Mit Sanktionen arbeiten?“ 15. „Rolle der Intelligenzentwicklung und Genese der Anorexia nervosa. Bedeutung der Rückfallwahrscheinlichkeit“ 16. „Einsetzbarkeit der Herkunftsfamilie/ Eltern- Geschwister, Systematische -familientherapeutische Ansätze und Psychodynamische Ansätze 17. „Ambulante vs. stationäre Therapie (Kombination), Symptomorientierung vs. Indirektes Vorgehen (Kombination) komorbide Störungen. Medizinisch vs. reine Verhaltenstherapie (Kombination)“ 18. „Auf dem Weg zu den Kern-Problemen der Person zu fokussieren (Abwehr/ Muster/Quelle)“ 19. „Gewichtskontrollen, Esspläne“ Diskussion 58 4. Diskussion 4.1. Diskussion der Methodik 4.1.1. Anschreiben Das Anschreiben und Mailing wurden nach Direktmailing-Verfahren gestaltet um eine hohe Rücklaufquote zu erzielen. Es wurde darauf geachtet, dass der Therapeut beim Lesen des Anschreibens einen schnellen Einstieg in die Thematik findet. Innerhalb der drei Abschnitte des Anschreibens sollte der Leser davon überzeugt werden, dass er auch bei negativer Einstellung gegenüber manualisierter Therapieformen bzw. Leitlinientherapien antworten solle. Zur weiteren Erhöhung des Rücklaufs wurden die Therapeuten darauf hingewiesen, dass das Verfahren nicht personalisiert ist und das gesamte Mailing anonym und vertraulich behandelt wird. Dennoch beschwerten sich einige Psychotherapeuten über die Anfrage und bezeichneten das Mailing als „... Zumutung, da Psychotherapeuten ohnehin im Papierkram ersticken“. Andere äusserten, dass die Uni Forschung auf ihre Kosten mache und sie täglich von Anfragen überrannt werden. 4.1.2. Fragebogen Der Fragebogen wurde bewusst kurz gehalten und umfasste nur 21 Fragen. Aus dem Direktmarketing ist bekannt, dass eine negative Korrelation zwischen der Länge (Seitenzahl/ Fragenanzahl) eines Fragebogens und dessen Rücklaufquote besteht. Eine Studie von Probst (2007), in der Chefärzte angeschrieben und befragt wurden ergab eine Rücklaufquote von 38%. Laut Diekmann (1995) liegen Rücklaufquoten von Mailings mit Fragebögen selten über 20%. Untersuchungen der ZUMA (Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen), mit vergleichbaren Befragungen lagen mit 13,6% (Harkness 1998) bzw. 13,1% (Porst 1999) weit unter unserem Ergebnis. Diskussion 59 Laut Gajraj (1990) und Fox (1988) erhöhen finanzielle Anreize die Rücklaufquote. Für unsere Befragung standen keine Incentives oder sonstige Anreize zur Verfügung. Da die Aussendung anonymisiert war, konnte auch keine Nachfassaktion zur Steigerung der Rücklaufquote erfolgen. Die Rücklaufrate unserer Untersuchung war mit 38,6% somit zufrieden stellend. Dennoch muss man sich der Frage stellen, weshalb über 60% Therapeuten auf die Aussendung nicht antworteten. Dabei stellt sich die kritische Frage, ob eine postalische Aussendung ein geeignetes Kommunikationsmittel darstellt um Psychotherapeuten zu erreichen. Möglicherweise haben niedergelassene Psychotherapeuten kein Interesse an derartigen Studien teilzunehmen, oder erkennen keinen persönlichen Nutzen. Unter Umständen fühlen sich Therapeuten durch Fragebögen auch kontrolliert (z.B. Therapiedauer) oder sie sind nicht gewillt etwas über ihre therapeutische Vorgehensweise auszusagen. 4.2. Diskussion der Stichprobe Laut Jahresbericht 2008 (vom 31.12.2007) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) waren im Jahre 2007 12.388 (1.347 in Baden-Württemberg) zugelassene psychologische Psychotherapeuten in Deutschland über die KBV gemeldet. Zusätzlich waren 4.496 (742 in Baden-Württemberg) angemeldete ärztliche Psychotherapeuten in diesem Zeitraum tätig. Hierbei rechneten psychologische Psychotherapeuten bundesweit zu 46% Verhaltenstherapie, zu 35% tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, zu 9% tiefenpsychologisch fundierte analytische Psychotherapie und zu rein 10% analytische Psychotherapie ab. Psychotherapeutisch tätige Ärzte (auf Deutschland bezogen) rechneten zu 59% tiefenpsychologische Psychotherapie, zu 16% tiefenpsychologisch fundierte Diskussion 60 und analytische Psychotherapie, zu 13% Verhaltenstherapie und zu 12% rein analytische Psychotherapie ab. Für Baden-Württemberg unterteilte sich laut Versorgungsbericht 2008 der KVBW das Therapieangebot wie folgt. 43% (45% in unserer Erhebung) tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, 29% (25,5% in unserer Erhebung) Verhaltenstherapie, 19% (17,6% in unserer Erhebung) tiefenpsychologisch fundierte analytische Psychotherapie und 9% (5,9% in unserer Erhebung) analytische Psychotherapie. Die Stichprobe unserer Erhebung erscheint hinsichtlich dieser Untersuchung als repräsentativ. Im Internationalen Vergleich mit den USA zeigte sich in einer Untersuchung von Tobin et al. (2007), dass gerade einmal 13% der befragten Psychotherapeuten angaben eine einzige Therapieform zu verfolgen, alle anderen Therapeuten verfolgen laut dieser Studie einen übergreifenden Ansatz. Die Therapeuten die nur einen Therapieansatz verfolgen unterteilten sich in 61% kognitive Verhaltenstherapeuten, 27% psychodynamisch tätige Therapeuten 5% Verhaltenstherapeuten 2% Familientherapeuten und 2% interpersonellen Therapeuten. Ursache für das Differieren der Angaben deutscher und US-amerikanischer Psychotherapeuten basiert auf dem hierzulande geltenden Psychotherapeuten-Gesetz mit den Psychotherapierichtlinien. 4.3. Diskussion der Fragestellungen 4.3.1. Diskussion der Behandlungsdauer Bei der Unterteilung der Therapiedauer gibt es international Unstimmigkeiten. So gelten in den USA Therapien, die mehr als 24 Therapiestunden in Anspruch nehmen oder über einen längeren Zeitraum als 6 Monate dauern gehen, als Langzeit-Therapie (Gabbard 2004) Diskussion 61 Obwohl ein Drittel aller bei der Kasse beantragten Verhaltenstherapien Langzeittherapien sind (zwischen 25-80 Therapiestunden), gibt es kaum Interesse an Untersuchungen von Langzeittherapien (Janssen et al. 1997; Nissen 2001). Unter niedergelassenen Psychotherapeuten herrscht laut Brockmann et al. (2006) Einstimmigkeit über die Notwendigkeit und Wirksamkeit von Langzeittherapien. Untermauert wird dies durch die TRANS-OP Studie (Puschner et al. 2004), die für die DKV Deutsche Krankenversicherung angelegt wurde. In dieser konnte die These vom „abnehmenden Grenznutzen“ widerlegt werden, was bedeutet, dass der Therapieeffekt mit der Dauer der Therapie nicht generell abnimmt. In der Verhaltenstherapieforschung liegt die Therapiedauer generell unter 20 Therapiestunden (Wittmann u. Matt 1986). Eine eindeutige Angabe zur Therapiedauer bei Essstörungen ist aus der Literatur nicht zuverlässig zu erfahren. Laut Literatur differiert die durchschnittliche Behandlungsdauer pro Patient zwischen den unterschiedlichen Behandlungsmethoden. Für eine Verhaltenstherapie gaben die Therapeuten durchschnittlich 44 Stunden an. Eine tiefenpsychologische Therapie würde nach Therapeutenmeinung auf 70 Stunden kommen. Die höchste Therapiestundenzahl wurde für die analytische Psychotherapie mit durchschnittlich 160 Stunden genannt. In einer Studie von Thompson-Brenner & Westen (2005) lag die mittlere Therapiedauer für kognitive Verhaltenstherapie einer Bulimie bei 69,3 Stunden. Die durchschnittliche Therapiedauer aller Therapieformen wurde hier bei gleicher Indikation mit 97,8 Stunden beschrieben. Ein nicht zu unterschätzender Faktor für die Behandlungsdauer und den Therapieausgang stellen die Komorbiditäten dar, deren Einfluss die Compliance in negativem Sinne gegenüber der Therapie beeinflussen (Schulz 2006). Auch laut unserer Untersuchung arbeiten Therapeuten bei Essstörungen vorzugsweise mit Langzeittherapien. Mit 72,8 Therapiestunden bei psychodynamischen Verfahren zur Behandlung einer Bulimie und 49,4 Stunden unter verhaltenstherapeutischen Anwendern, sowie 81,9 Therapiestunden, die von psycho- Diskussion 62 dynamisch basierenden Verfahren zur Behandlung von Anorexia nervosa angegeben wurden. Bei gleichem Krankheitsbild gaben Verhaltenstherapeuten eine durchschnittliche Therapiedauer von 62,5 Stunden an. Durch eine Varianzanalyse konnte die 1. Hypothese bestätigt werden. Diese zeigt die Diskrepanz von benötigten Therapiedauern bei niedergelassenen Therapeuten im Vergleich zu den in Studien angegebenen Therapiedauern. Gemäß Leistungs-/Begrenzungsschema erreichen Verhaltenstherapien im Ausnahmefall die maximale abrechenbare Therapiestundenzahl bei 80 Stunden. Tiefenpsychologen erreichen bei 100 Therapiestunden die Höchstgrenze im Regelfall. Psychoanalytisch tätige Therapeuten können bis zu 300 Therapiestunden abrechnen. Angesichts der Angaben unserer Erhebung ist zu erkennen, das Therapeuten meist die ihnen zu Verfügung stehenden Therapiestunden voll ausschöpfen. Dies mag am Gutachterverfahren liegen und den Bewilligungsmechanismen. Dem gegenüber steht der von Howard (1986) postulierte „abnehmende Grenznutzen“. Dieser konnte in der TRANS OP Studie jedoch nicht bestätigt werden. Allerdings wurde laut dieser Untersuchung gerade einmal in 17% der Fälle das vom Leistungsträger bewilligte Stundenkontingent vollständig genutzt. Es gibt kaum katamnestische Langzeituntersuchungen die über mehr als 2 Jahre hinausgehen (Fairburn 1986, Lacey 1983). Mitchell et al. (1985) beschrieb, dass die meisten Rückfälle bei bulimischen Patientinnen innerhalb der ersten sechs Monate nach Behandlung auftreten und somit die Untersuchung des ersten Jahres post Behandlung ausreichend sei. Der Kostenträger interessiert sich für die Verfahren, die bei zufriedenstellendem Ergebnis die niedrigsten Kosten verursachen. In einer aktuellen Studie von Puschner und Kraft (2008) wird gezeigt, dass es „keine nennenswerten Unter- Diskussion 63 schiede hinsichtlich der Kosteneffektivität zwischen den beiden Verfahren (VT/PD)“ gibt. Es ist zu befürchten, dass die dünne Studienlage zu Langzeittherapien sowohl bei psychodynamischen als auch für verhaltenstherapeutischen Therapieverfahren gegen diese und zugunsten von stärker beforschten Kurzpsychotherapien verwendet werden. 4.3.2 Diskussion manualisierte Therapieformen Manualisierte Therapieformen werden bisher von niederglassenen Psychotherapeuten eher kritisch gesehen. Während eher Verhaltenstherapeuten die Vorzüge einer manualisierten Therapieform schätzen, sehen psychodynamisch arbeitende Therapeuten sich in Ihrer Therapieform beschränkt bzw. ihre Therapieform bedroht. Bereits Mussell (1999) berichtete dass in den USA zwar Manual-basierte Therapie als Therapieform der Wahl gelte, dennoch habe diese Therapieform noch keine adäquate Verbreitung erreicht. Ähnliches zeigt unsere Befragung. 17 Therapeuten, die keine Manuale nutzen, sind davon überzeugt, dass eine individuelle Vorgehensweise effektiver ist. Weitere drei bezeichneten Therapiemanuale als zu rigide. Allerdings befürworteten Therapeuten in unserer Erhebung die Strukturierung durch Therapiemanualen zu Therapiebeginn und bei Unerfahrenheit. Außerdem begrüßte ein Therapeut die Möglichkeit Manuale in sein Therapiekonzept zu integrieren. Auch unter Nutzern von Therapiemanualen wird diese Form der Therapie kritisch betrachtet. Selbst unter den Psychotherapeuten die angaben diese Therapieform zu nutzen fand sich keiner der Manuale als ganzes nutzt, sondern lediglich auszugsweise. Auch die 2. Hypothese kann somit als bestätigt betrachtet werden. Diskussion 64 4.3.3. Diskussion Therapieforschung, Leitlinientherapie und evidenz-basierte Medizin Bislang wurden in Deutschland nur wenige naturalistische Wirksamkeitsstudien im ambulanten psychotherapeutischen Bereich durchgeführt, also Studien die in nicht unter Laborbedingungen entstanden. Die prospektive Studie von Brockmann et al. (2003) bezieht sich auf eine relativ kleine Stichprobe und ist auf eine spezifische Diagnosengruppe beschränkt. Des Weiteren wäre die TRANS-OP Studie von Kordy et al. (2003) zu benennen. Hier wurde an einer größeren Stichprobe unter naturalistischen Voraussetzungen untersucht, wie sich unter ambulanten Psychotherapien der Verlauf über 2 Jahre hinweg verändert. Auch wenn einige Studien zu Kurzzeittherapien mit verhaltenstherapeutischen oder psychodynamischen Ansätzen vorliegen (Orlinsky et al. 1994; Dare et al. 2001; Gowers et al. 1993; Fairburn 1986; Garner et al. 1993; Bachar et al. 1999), gibt es vor allem ein Defizit an prospektiven Studien zu Langzeittherapien sowohl für Verhaltenstherapien als auch für psychodynamisch orientierten Verfahren. Dementsprechend ist die Studienlage in Deutschland derzeit noch zu dünn um die Wirksamkeit ambulanter Langzeit-Behandlungen zu beurteilen und es besteht immer noch ein Bedarf an groß angelegten naturalistischen Vergleichsstudien im ambulanten Bereich (Schulz 2006). Die für dieses Ungleichgewicht an Studien verantwortlichen Ursachen liegen mitunter an wissenschaftstheoretischen Grundlagen (Zepf u. Hartmann, 2002). Der von Therapieforschern geforderte Wirksamkeitsnachweis (Buchkremer u. Klingberg, 2001) mithilfe von RCTStudien ist in Langzeittherapien aus methodischen Gründen nicht umsetzbar (Kontrollgruppen mit Wartelisten oder unbehandelte Patientengruppen) und ethisch häufig nicht vertretbar. In einer US amerikanischen Studie stellten Haas und Clopton et al. (2002) fest, dass Therapeuten in der klinischen Praxis empirisch nachgewiesene Therapieverfahren nicht nur aufgrund eines Mangels an klinischer Erfahrung nicht verwenden, sondern auch weil diese Verfahren kaum Hilfestellungen bei Essstö- Diskussion 65 rungen mit Komorbiditäten bieten. Die Studie ergab auch, dass zwar weniger als ein Drittel der Therapeuten Erfahrung mit Manualen hatten (in unserer Untersuchung gaben 58% der Therapeuten an keine Therapiemanuale zu kennen), die meisten aber bereit wären, mehr über empirically supported treatment Verfahren zu lernen. In unserer Studie waren 68% der Therapeuten bereit Therapiemanuale zu nutzen. Interessanterweise zeigt sich in einer Studie von Tobin et al. (2007), dass sich nur 6% der klinischen Psychotherapeuten in den USA eng an Therapiemanualen orientieren. Die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung beschreiben die Definition von Leitlinien wie folgt: „Leitlinien sind systematisch entwickelte Entscheidungshilfen über die angemessene Versorgungsweise bei speziellen gesundheitlichen Problemen. Leitlinien sind wissenschaftlich begründete und praxisorientierte Handlungsempfehlungen. Leitlinien sind Orientierungshilfen, von denen in begründeten Fällen abgewichen werden kann oder sogar muss“ (BÄK, KVB 1997). Zwar werden in den Leitlinien die Behandlungsmethoden nicht strikt festgelegt, dennoch ist klar, dass diese die Richtung weisen sollen. Es liegt also am gemeinsamen Bundesausschuss, bestehend aus den Vertretern der KBV, der Spitzenverbände der Krankenkassen sowie unparteiischen Mitgliedern, diese Leitlinien zur Mussvorschriften zu ernennen. Unter bestimmten Voraussetzungen müssten Therapieleitlinien aber keine Einschränkung für Psychotherapeuten darstellen, sondern könnten eine Hilfestellung für den praktizierenden Psychotherapeuten sein. Die Vorteile die Leitlinien in der Psychotherapie liegen sowohl in der Vergleichbarkeit der Wirkung von psychotherapeutischen und medizinischen Maßnahmen sowie in der Absicherung des Therapeuten durch eine einheitliche Strukturqualität der Therapie (Qualifikation, Weiterbildung). Ziel ist es die Prozessund Ergebnisqualität in der Diagnostik zu sichern. In einer Ausgabe der bvvpsw vom 12.06.08 fordert der Autor (Deister, 2008) bei Diskussion 66 der Entwicklung von Therapieleitlinien für Psychotherapeuten die Einzigartigkeit der Beziehung zwischen Patient und Therapeut zu berücksichtigen sowie die Individualität psychischer Erkrankungen zu würdigen. Er begründet seine Aussage mit den rechtlichen Folgen und Verpflichtungen. Diese Aussage spiegelt auch das Bild unserer Untersuchung wider. Mit der Einführung von Leitlinien wird außerdem versucht, einen höheren Grad an Professionalisierung zu erreichen, was letztendlich auch, so wird erwartet, zu einer größeren Akzeptanz der Psychotherapie in der Öffentlichkeit führt. Politisch betrachtet, wird den Therapeuten und allen Behandlern eine Bringschuld übertragen, in dem sie die Wirksamkeit ihres Therapieverfahrens belegen müssen. Seitens der Kostenträger erhofft man sich durch die Einführung von Therapieleitlinien eine kosteneffizientere Behandlung. Therapeuten stehen Leitlinien häufig kritisch gegenüber. Ihre Befürchtungen sind vielfältig. Vor allem aber fühlen Therapeuten sich verunsichert und befürchten die Abgabe ihrer therapeutischen Entscheidungsgewalt und die Beeinflussung des Patienten-/ Therapeutenverhältnisses. Vor allem psychodynamisch orientierte Psychotherapeuten in Deutschland sind eng an die von ihnen praktizierten Verfahren gebunden und haben Angst, dass ihre Therapieform nicht mehr abrechenbar wird, da keine „Level I“ und „Level II“ -Studien zu diesen Verfahren vorliegen. Was die Frage aufwirft, ob möglicherweise zukünftig RCTStudien als Grundvoraussetzung und somit die Evidenz-basierung zum Zulassungskriterium wird. Viele Therapeuten sehen deshalb durch die externe Evaluation ihre berufliche Identität bedroht und befürchten einen Wandel in der Psychotherapie, der ihr individuelles und intuitives Vorgehen verhindern und zu einem rational kalkulierbaren Prozedere machen (Tschuschke 2007). Dies bedeutet eine riesige Diskrepanz zwischen Forschung und Praxis. Evidenz-basierte Leitlinien sind limitiert durch die Qualität der vorliegenden Forschung. Die „NICE-Guidelines“ betonen den Mangel an hinreichender Evidenz Diskussion 67 zur Anleitung in mehreren wichtigen Bereichen, wie zum Bespiel im Bereich der atypischen Essstörungen (Essstörungen nicht weiter spezifiziert) mit häufigen Vorkommen. Diese empirischen Psychotherapiestudien müssen eine methodisch angemessene interne Validität aufweisen, ihre Ergebnisse sollen eine Relevanz für die klinische Praxis haben und nicht nur für Forscher (Wilson 2005), sondern auch für praktisch tätige Psychotherapeuten von Interesse und Bedeutung sein (Fydrich 2007). Da lediglich Therapieverfahren als evidenz-basiert (Evidenzgrad I) eingestuft werden, deren Wirksamkeit in randomisierten klinischen Studien (RCT, Randomized Controlled Trial) bei klar beschriebenen Patientengruppen nachgewiesen werden kann, werden in den Leitlinien auch vorwiegend diese Verfahren empfohlen. Die Therapie sollte idealerweise in einer manualisierten Beschreibung vorliegen (vgl. Jong-Meyer et al. 2005; Hautzinger; Kühner u. Schramm (2005) Die exklusive Stellung der manualgestützten RCTs als einzige Methode zum Wirksamkeitsnachweis eines Verfahrens ist somit auch der Hauptkritikpunkt bei der Entwicklung von Leitlinien. Das Hauptargument ist, dass es fraglich erscheint, ob Ergebnisse aus RCTs repräsentativ für die klinische Praxis sind (Seligman 1995; Roth u. Parry 1997; Beutler 1998; Henry 1998; Westen et al. 2004) Die Kritiker argumentieren, dass RCTs nicht geeignet seien um einen Wirksamkeitsnachweis zu erstellen, da sie nichts über die richtigen Wirkfaktoren aussagen (Tschuschke u. Kächele 1998). Aufgrund der starken Selektion von Patienten im Rahmen der Ein- und Ausschlusskriterien könne aus den RCTs keine Aussage über die klinische Praxis getroffen werden (Howard et al. 1994). Ausserdem sei die Methodik der RCT’s nicht anwendbar auf Jahre andauernde psychoanalytische Langzeittherapien (Seligmann 1995). Kächele et al. argumentieren „Die meissten Forschungsergebnisse fokussieren immer noch zu sehr und primär auf die generelle Wirksamkeit von Interventionen und zu wenig auf differenzielle (Prozessergebnis-) Zusammenhänge“ (Kächele et al. 2008 Psychotherapeut Ausgabe 53 S. 409). Diskussion 68 Einige argumentieren, dass die Wirksamkeit der Psychotherapie generell belegt sei und somit RCTs keine Priorität haben (Strauss u. Kächele 1998). Weiterhin bemängeln die Kritiker die Reduzierung von Psychotherapie auf den Gebrauch von störungsspezifischen Manualen, der in hohem Masse dem umfassenden klinischen Training von Therapeuten schade (Henry 1998). Letztendlich wird nach Ansicht vieler Kritiker die Therapeut-Patientenbeziehung in Manualen nicht ausreichend berücksichtigt (Garfield 1996). 4.3.4 Richtlinienverfahren und Leitlinien Historisch begründet gibt es in Deutschland die Psychotherapierichtlinien (vom 01.10.1967), das besonders im ambulanten Behandlungsbereich die zugelassenen Therapieverfahren therapieschulenspezifisch in tiefenpsychologische und psychoanalytische Therapieverfahren trennt (Rüger 2007). Später wurde zusätzlich noch das verhaltenstherapeutische Therapieverfahren zugelassen (Schulz 2004). Die Behandlung eines Patienten mit einer Kombination von oben genannten Therapieformen, sowie parallel laufende Therapieverfahren wird nach den Richtlinien ausgeschlossen. Mit der Entstehung der Richtlinien wurde das Gutachterverfahren zur Überprüfung der Indikation beim jeweiligen Patienten festgelegt. Trotz Tendenzen diese Strukturen aufzulösen und integrative schulenübergreifende Therapiemodelle zu entwickeln (Dahm 2008) hat sich die Behandlung in Deutschland nicht geändert (vgl. Kächele 2008). Angesichts der Verteilung der verwendeten Therapieverfahren ist zu erkennen, dass vor allem psychologische Psychotherapeuten Verhaltenstherapien (zu 46%) abrechnen (57% in unserer Untersuchung), wohingegen psychotherapeutisch tätige Ärzte lediglich zu 13% (7% in unserer Untersuchung) Verhaltenstherapien anbieten (KBV, 2008). Somit konnte auch die 3. Hypothese bestätigt werden. Der Vergleich verhaltenstherapeutischer und psychodynamischer Therapien anhand ihres Therapieerfolges erweist sich als schwierig. Es gibt kaum Literatur zur Therapieforschung ambulanter psychodynamischer Langzeittherapien (vgl. Tabelle 3) (Dare et al. 2001; Gowers et al. 1993; Fairburn et al. 1986; Garner et al. Diskussion 69 1993; Bachar et al. 1999). Der individuelle Verlauf bei Langzeittherapien macht einen Vergleich in RCTs vermutlich unmöglich (Bowe 2008). Auch erscheinen die Ansätze der Therapieformen zu unterschiedlich, um diese in RCTs zu vergleichen. Dennoch müssen sich auch psychodynamische Therapieformen der Frage nach ihrem Erfolg stellen. Die kognitive Verhaltenstherapie weist mit 62% Symptombesserung bis zur 6. Woche der Therapie einen vergleichsweise schnelleren Behandlungseffekt als die tiefenpsychologische Therapie auf (Wilson 2002). In einer Übersichtsstudie von Fonagy et al. (2005) wird berichtet, dass die psychodynamische Therapie der Bulimia nervosa der kognitiven Verhaltenstherapie dann ebenbürtig ist, wenn sie entsprechend der Patientenproblematik modifiziert wird und Techniken aus anderen Therapieansätzen integriert werden. Aus einer Studie von Thompson-Brenner (2005) ist zu erfahren, dass klinische Psychotherapeuten in den USA zu 98% sowohl verhaltenstherapeutische als auch psychodynamische Interventionen verfolgen. Aus dieser Untersuchung geht ausserdem hervor, dass bei Verhaltenstherapeuten (im Vergleich zu psychodynamischen Therapeuten) zwar zu einem höheren Anteil kognitive Verhaltenstherapie zum Einsatz kommt dennoch greifen die Verhaltenstherapeuten gerade bei Vorliegen von Komorbiditäten wie der Depression auch auf psychodynamische Strategien zurück. In der Fachzeitschrift „Psychotherapeut“ wurde ein Artikel (Reich 2006) veröffentlicht, der „neue“ Wege in der Behandlung der Bulimia nervosa durch eine Kombination von Therapiekonzepten aufzeigt. Reich (2007) berichtet in seinem Artikel „störungsorientierte psychodynamische Therapie der Bulimie“ das es insbesonders in der Anfangsphase sinnvoll sein kann verhaltensorientierte und psychoedukative Elemente in die Therapie einzubeziehen. Das belegt auch eine Untersuchung der APA (2005), die zeigt, dass eine kognitive Verhaltenstherapie zwar zu einer schnellen Remission der Patienten führt, aber die Kombination mit tiefenpsychologischen Verfahren ein besseres Gesamtergebnis erzielt. Laut dieser Untersuchungen profitieren gerade Pa- Diskussion 70 tienten mit Komorbiditäten von einer Langzeit-Therapie. Die vorliegende Datenlage und der Anspruch dem niedergelassenen Psychotherapeuten die neuesten wissenschaftlichen Ergebnisse in Form von Leitlinien zur Verfügung zu stellen widerspricht dem Richtlinienverfahren. Die vorliegende Literatur und die Ergebnisse unserer Untersuchung geben Grund zum Anlass das bestehende Richtlinienverfahren zu überdenken um Platz zumachen für Verfahren-übergreifende, integrativeTherapieleitlinien. Diskussion 71 4.4. Schlussfolgerungen In unserer Arbeit, in der wir die Einstellung niedergelassener Psychotherapeuten zu manualisierter Therapieform und zu Leitlinien anhand der Behandlung von Essstörungen untersucht haben und die Ergebnisse mit den Ergebnissen aus der psychotherapeutischen Forschung verglichen haben, ergaben sich folgende Schlussfolgerungen. 1. Psychotherapeutische Forschung und psychotherapeutische Praxis differieren erheblich. 2. Praktisch-therapeutische-wissenschaftliche und wirtschaftliche Interessen (vor allem der Kassen) stehen im Konflikt. 3. Obwohl in der Forschung RCTs als Goldstandard gelten, werden diese im Rahmen der Psychotherapieforschung sowohl von praktisch tätigen Therapeuten als auch von Forschern stark kritisiert. 4. Die in der Therapieforschung beforschten Kurztherapiekonzepte (unter 25 Therapiestunden) werden von Therapeuten meist nicht angewandt. 5. Es besteht Bedarf an weiteren Untersuchungen zu psychodynamischen und verhaltenstherapeutischen Langzeittherapien bei der Behandlung von Essstörungen, sowie katamnestischen Studien zu verhaltenstherapeutischen und psychodynamischen Verfahren. 6. Therapiemanuale sind bei Psychotherapeuten nur wenig bekannt und finden oft nur auszugsweise Anwendung in der psychotherapeutischen Praxis, wobei psychodynamische Therapeuten Therapiemanuale seltener verwenden als Verhaltenstherapeuten. 7. Es gibt offene Fragen, die Therapeuten gerne in Leitlinien beantwortet finden würden. 8. Leitlinien zu Essstörungen würden von einem Großteil der Therapeuten anerkannt, wenn diese nicht zur verbindlichen Vorgabe gemacht würden. 9. Es ist zu wünschen, dass praktisch tätige Psychotherapeuten an der Entwicklung von Leitlinien beteiligt werden, um Bedenken auszuräumen und eine größere Akzeptanz zu erreichen. Zusammenfassung 72 5. Zusammenfassung Richtlinienpsychotherapie, manualisierte Therapieformen und Therapieleitlinien sind aktuell Streitpunkte zwischen praktisch tätigen Therapeuten und Vertretern der aktuellen Psychotherapieforschung. Auf dem Hintergrund der derzeit entwickelten Leitlinien zur Behandlung von Essstörungen wurde in dieser Arbeit die Einstellung von niedergelassenen Psychotherapeuten zu Therapieleitlinien und Therapiemanualen zur Behandlung der Anorexia nervosa und der Bulimia nervosa untersucht. Basierend auf der vorliegenden Literatur wurden die Fragestellungen für diese Arbeit entwickelt. So sollte erhoben werden, wie lange Psychotherapien in der Praxis des Niedergelassenen dauern und ob die Dauer der Behandlungen und die Akzeptanz von Therapieleitlinien abhängig ist vom eingesetzten Therapieverfahren. Weiter sollte erfasst werden, welche Einstellung niedergelassene Psychotherapeuten zu manualisierten Therapieformen haben. In Form einer schriftlichen Aussendung wurden hierfür 132 niedergelassene Psychotherapeuten im Kreis Ulm/Neu-Ulm zu diesem Thema befragt. 51 Therapeuten beantworteten den Fragebogen, das entspricht einer Rücklaufquote von 38,6%. Die durchschnittliche (geschätzte) Therapiedauer einer Bulimia nervosa lag mit 72,8 Therapiestunden bei psychodynamischer Therapie (einschließlich Psychoanalyse) über der für Verhaltenstherapie (49,4 Therapiestunden). Ein ähnliches Ergebnis zeigte der Vergleich der Therapiedauer zur Behandlung von Anorexie (psychodynamisches Verfahren 81,7 Therapiestunden, Verhaltenstherapie 62,5 Stunden). Diese Dauern sind wesentlich länger als die etwa 20 Stunden manualisierter Therapie, die in Therapiestudien üblich sind. Es zeigte sich, dass Therapiemanuale für einen Großteil der befragten Therapeuten, vor allem aber für psychodynamisch tätige Psychotherapeuten, fremd sind oder sie diese grundsätzlich ablehnen. Verhaltenstherapeuten kennen zum Großteil Therapiemanuale, nutzen diese aber nur auszugsweise. Viele Therapeuten sind davon überzeugt, dass ihre individuelle Herangehensweise nicht zuletzt aufgrund der ho- Zusammenfassung 73 hen Komorbiditätsraten bei der Therapie von Essstörungen effektiver ist als ein manualisiertes Verfahren. Vor allem psychodynamisch tätige Psychotherapeuten bezweifeln, dass die in randomisierten klinischen Studien genutzten Therapiemanuale ein geeignetes Mittel zur Beforschung der Psychotherapie darstellen. Zum Einsatz kommen die Manuale in der Praxis vor allem in der Anfangsphase der Therapie, zur Strukturierung der Therapie und bei Unerfahrenheit des Therapeuten. Hauptkritikpunkt an den manualisierten Therapien war laut der von uns befragten Therapeuten die Rigidität dieser Verfahren und die fehlenden Behandlungskonzepte bei Komorbiditäten. Dementsprechend wünschen sich niedergelassene Psychotherapeuten in unserer Befragung ein evidenzbasiertes, flexibel und modular aufgebautes Therapiemanual, das dem Therapeuten dennoch Freiräume in der Behandlung lässt. Unsere Untersuchung zeigte aber auch, dass niedergelassene Psychotherapeuten sehr wohl bereit wären sich an Therapieleitlinien zu Essstörungen zu orientieren (88,2%). Sie erhoffen sich von Therapieleitlinien auch die Beantwortung vieler offener Fragen und Therapieschulen übergreifender Empfehlungen. Dennoch fürchtet der Großteil der Therapeuten (vor allem psychodynamisch tätige Psychotherapeuten) Leitlinien als gesetzliche Vorgabe, die sie als Therapeut in ihrer praktischen Ausübung beschränken und unter Umständen Nachteile auch finanzieller Art für sie bedeuten könnten. Es ist zu überlegen ob die Entwicklung praxisnaher Leitlinien das bestehende Richtlinienverfahren ablösen könnte. Diese Leitlinien sollten allerdings nicht fernab von der Praxis unter laborähnlichen Bedingungen entstehen, sondern sich vielmehr aus naturalistischen Untersuchungen entwickeln, im Konsens mit den niedergelassenen Psychotherapeuten. Literaturverzeichnis 74 6. Literaturverzeichnis 1. APA, The American Psychological Association Practice: Eating Disorders: Psychotherapy’s Role in Effective Treatment. www.apa.org (1998; 2005; 2006) 2. Bachar E, Latzer Y, Kreitler S, Berry, EM: Empirical comparison of two psy- chological therapies. Journal Psychotherapeutic Practice and Research 8: 115– 28 (1999) 3. Blinder BJ, Chaitin BF: The eating disorders. In: Goldstein R (Hrsg) Medical and psychological bases of diagnosis and treatment, PMA Publications, New York, S. 101-107 (1988) 4. Blinder BJ, Cumella EJ, Sanathara VA: Psychiatric comorbidities of female inpatients with eating disorders. Psychosomatic Medicine 68: 454-462 (2006) 5. 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Sinnverstehende, einem humanistischen Menschenbild verpflichtete psychotherapeutische Traditionen haben in dieser Konzeption keinen Platz: Sie sollen inhaltlich, politisch und ökonomisch verdrängt und ausgegrenzt werden. Psychotherapeutische Verfahren sind nach unserem Verständnis nicht eine Sammlung von Behandlungstechniken, sondern ein System von anthropologischen Grundannahmen, Persönlichkeits- und Störungstheorien, Behandlungsund Techniktheorien und darauf beruhender Behandlungspraxis. Das schließt wissenschaftlich begründete Weiterentwicklung und den Austausch zwischen verschiedenen psychotherapeutischen Traditionen ausdrücklich ein. Wir wenden uns deshalb gegen die Zergliederung von Psychotherapieverfahren in Verfahren, Methoden und Techniken und gegen die ausschließende, diagnosebezogene Zuordnung von Psychotherapieverfahren. Der Reduzierung der Patienten auf Symptome liegt ein Psychotherapieverständnis zugrunde, das mit dem Selbstverständnis der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten und dem geltenden Psychotherapeutenrecht nicht zu vereinbaren ist. Für die ganzheitliche Sicht des Menschen, für eine verlässliche psychotherapeutische Beziehung und für die Entwicklungsmöglichkeiten der Patienten bliebe kein Raum. Psychotherapeuten behandeln nicht Symptome, sondern Menschen, die an Symptomen leiden! Eine Beschränkung von Psychotherapieverfahren auf bestimmte Symptombereiche und eine Zersplitterung der Psychotherapie in Teilbereiche ist auch aus der Psychotherapieforschung nicht abzuleiten. Die Vielzahl der Lebensentwürfe und die vielfältigen Zugänge zum Verständnis Anhang 98 menschlicher Existenz, die sich in unserer pluralen Wertekultur entfalten, finden ihre notwendige Entsprechung in den unterschiedlichen psychotherapeutischen Grundrichtungen. Den neuen Absichten des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) mit Eingriff in das Berufsrecht und das Selbstverständnis der überwiegenden Zahl der Psychotherapeuten setzen wir unseren Widerstand entgegen – im Interesse der Patienten, denen wir verpflichtet sind und im Interesse der Qualität der psychotherapeutischen Versorgung. Wir lehnen die Anerkennung und die Zulassung von psychotherapeutischen Verfahren ausschließlich auf der Grundlage von Wirksamkeitsmessungen an bestimmten ICD-10-Diagnosen ab. Das Vorgehen steht im Widerspruch zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse, es erfasst nur einen Bruchteil der Faktoren, die eine erfolgreiche Psychotherapie ermöglichen. Wir wenden uns deshalb nachdrücklich gegen die vom Gemeinsamen Bundesausschuss derzeit angestrebte Form der Neufassung der Psychotherapierichtlinien. Lebenslauf 0 Ich bedanke mich vielmals bei Herrn Prof. von Wietersheim für seine sehr gute Betreuung und Unterstützung bei dieser Arbeit. Ganz besonders bedanke ich mich bei meinen Eltern, die mich stets unterstützt haben und mir mein Studium erst ermöglichten. Ich danke meiner Freundin Annika Ullmann für ihr Verständnis und ihre Unterstützung. Ein besonderes Dankeschön gilt Frau Edit Rottler für ihre Unterstützung bei der statistischen Auswertung der Daten und dafür, dass sie mir bei Fragen immer mit Rat und Tat zur Seite stand. Ich danke meiner Großtante Ilse Nigro für ihre Unterstützung und ihre Hilfe beim Korrekturlesen. Ich danke Petra Kornschober für ihre Hilfe beim Korrekturlesen.