Fachspezifische Psychosomatik - Institute of Behavioural Sciences

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Fachspezifische Psychosomatik
von Studenten für Studenten geschrieben
2013-2014
Hrsg. Dr. med. Andor Harrach
mit Einleitung und Nachwort
Semmelweiss Universität Budapest
Institut für Verhaltenswissenschaften
Leiter Prof. Dr. med. Ferenc Túry
1
Inhaltsverzeichnis
Namensliste der teilnehmenden Studentinnen und Studenten
4
Danksagung
5
Fachliteratur
6
Einleitung und didaktische Überlegungen
9
Fachspezifische Psychosomatik – was ist das?
12
1.Psychosomatik und chronische Erkrankungen
17
2. Essstörungen
22
3. Psychoonkologie
30
4.
37
Frauenheilkunde in der psychosomatischen Medizin
5. Psychosomatik in der Schwangerschaft
40
6. Psychosomatik in der Kinder- und Jugendheilkunde
44
7. Sexualstörungen beim Mann
49
8. Sexualstörungen bei der Frau
53
9. Psychokardiologie
57
10. Psychosomatik in der Gastroenterologie
61
11. Orthopädie in der (und) Psychosomatik
65
12. Psychosomatik in der Chirurgie
73
13. Psychosomatik in der Neurologie
77
2
14. Belastungsstörungen
88
15. Der Allgemeinarzt als Psychosomatiker
94
Nachwort
99
3
Namensliste der teilnehmenden Studentinnen und Studenten
1. Füger, Miriam
2. Gehlen, Liseth
3. Gereke, Benedikt
4. Hess, Matthias
5. Hofman, Jan
6. Hoojier, Valentin
7. Ihle, Ulrike
8. Jones, Elena
9. Kettenhofer,Sophie
10. Kijevsky, Janik Robin
11. Krinninger, Anna
12. Kuld, Noemi
13. Kunz,Annika
14. Kustra, Thomas
15. Levin, Olivia
16. Mühlnikel, Jan
17. Polat, Gözde
18. Ramisch, Antonia
19. Scheidt, von,Susanne
20. Schuh, Thomas
21. Schulz, Steffen
22. Simon, Hannah
4
Danksagung
Dr. Birkás, Emma - Fachorganisation
Dr. Hajnal, Ágnes – Fachorganisation
Fonyó, Magdolna - studentisches Sekretariat
Jónás, Zsolt – Systembetreuer
5
Fachliteratur
Literatur im Vorlesungsverzeichnis für den Kurs WS
Janssen, P., P. Joraschky, W. Tress (Hrsg.): Leitfaden Psychosomatische Medizin und
Psychotherapie. 2006, Deutscher Ärzteverlag, Köln,
Klußman,R., M. Nickel: Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Ein Kompendium
für alle medizinischen Fachgebiete, 6., erweiterte und korrigierte Auflage, 2009, Springer,
Berlin
Herzog,W., M.E. Beutel, J. Kruse: Psychosomatische Medizin und Psychotherapie heute. Zur
Lage des Fachgebietes in Deutschland. 2013, Schattauer, Stuttgart
Literaturliste im Vorlesungsverzeichnis für das Praktikum SS:
Balint, Michael: The Doctor, his Patient and the Illnes, London, 1957. in Deutsch: Der Arzt,
der Patient und die Krankheit, 1957 und w. Auflagen, Klett-Kotta, Stuttgart
Rosin, U.: Transkription einer Balint-Gruppensitzung. in: Schriftenreihe Die Balint Gruppe in
Klinik und Praxis, Band 5., 1988., Springer
Stubbe, M. und E. R. Petzold: Beziehungserlebnisse im Medizinstudium. Studentische BalintArbeit, 1995, Schattauer, Stuttgart
Morgan W. L. und G. L. Engel: Der klinische Zugang zum Patienten. Anamnese und
Körperuntersuchung, (1969), deutsch 1977, Huber, Bern
Zimmermann-Vieloff, E. : Der Arzt als Placebo, in Balint-Journal, 2010. 11. 39-41. Thieme
Harrach, A. : Frühe Quellen der Balint-Gruppen-Arbeit in Ungarn. Scriftenreihe Die BalintArbeit in Klinik und Praxis, Bd. 5. 1988, Springer
Hafner, S.: Die Balintgruppe. Didaktische Anleitung für Teilnehmer. Im Auftrag der
Deutschen Balintgesellschaft. 2007. Deutsche Ärzteverlag, Köln
Otten, H. : Professionelle Beziehungen. Theorie und Praxis der Balintgruppen. 2012, Springer
6
Literaturliste E-Buch Projekt:
Uexküll, Th. von, (Hrsg.): Psychosomatische Medizin, 6. Auflage, 2003, 1564 Seiten, Urban
–Fischer Verlag. Ein Klassiker, etwas schwerfaellig und schwergewichtig, umfassend,
teiweise veraltet, immer noch wichtig für die fachbezogenen Aspekte!
Möller, H.-J.G. Laux, H.-P. Kapfhammer: Psychiatrie, Psychosomatik, Psychotherapie. 2 Bd.
Springer, 2011, 4. Auflage. isges. 2906 Seiten. Ein Mammutbuch, gut integrierte
Psychosomatik von Kapfhammer mit mehr als 300 Seiten (Graz).
Senf, W., M. Broda (Hrsg.): Praxis der Psychotherapie. Ein integratives Lehrbuch. Thieme, 5.
Auflage, 2012. 812 Seiten. Gut integrierte Psychotherapie mit Psychosomatik, eher im Sinne
der Psychotherapie bei psychosomatischen Krankheitbildern, keine allgemeine
Psychosomatik, aber Grundbuch für Psychotherapie.
Haenel, J., A. Enders, S. Davis: Psychosomatik und Psychotherapie – BASICS-Buch. UrbanFischer, 2008, 115 Seiten. Geschrieben von einem starken Team: Studenten und erfahrenen
Ärzten! Das Wesentliche in leicht verständlicher Form! Eher mit Beispielen als sytematisch,
auch mit Fallbeispielen.
Fritzsche, K., Geigges, W.,D. Richter, M. Wirsching: Psychosomatische Grundversorgung.
Springer, 2003, 415 Seiten. Für Ärzte, die Ärzte bleiben aber die Psychosomatik in ihre
Tätigkeit integrieren wollen – als Kurs Pflicht für alle Mediziner, die sich in Deutschland frei
niederlassen wollen.
Moser, Gabriele: Psychosomatik in der Gastroenterologie. Springer, 2007
Neises, M, S. Ditz: Psychosomatische Grundversorgung in der Frauenheilkunde. Thieme,
2000.
Hoffmann, Hochapfel,: Neurotische Störungen und Psychosomatische Medizin. Mit einer
Einführung in Psychodiagnostik und Psychtherapie. 2004, Schattauer, Stuttgart
Bräutigam, M.,P. Christian, M. von Rad: Psychosomatische Medizin. Taschenbuch.
Lehrbuch, 1992, 5. Auflage, Thieme, Stuttgart. Ein Klassiker seit 1972!
Henningsen, P., H.,Gündel, A., Ceballos-Baumann. Neuropsychosomatik. Grundlagen und
Klinik neurologische Psychosomatik. 2006, Schattauer
Veit, Iris: Psychosomatische Grundversorgung. Kohlhammer. 2010
Niemeier, V., U. Stangier, U. Gieler (Hrsg.): Hauterkrankungen. Psychologische Grundlagen
und Behandlung. Hogrefe, 2009
Adler, R. : Einführung in die biopsychosoziale Medizin. Schattauer, 2005
7
Heigl-Evers, A. u. U. Rosin (Hrsg.): Psychotherapie in der ärztlichen Praxis. 1989.
Vandenhoeck, Verlag für Medizinische Psychologie, Göttingen
Auswahl von Artikeln-Büchern zum Referieren:
Novack, H. Dennis, at all.: Psychosomatic Medicine: The Scientific Foundation of the
Biopsychosocial Model. Academic Psychiatry, 31:5, September-October 2007, 388-401. (Ein
Grundartikel zum Thema)
Morgan, Willam, L., George L. Engel (1969): Der klinische Zugang zum Patienten.
Anamnese und Körperuntersuchung. Eine Anleitung für Studenten und Ärzte. Vorwort von
PD Dr. med Rolf Adler. 1977, Huber, Bern
Vegetatives Nervensystem – aus den: Physiologie Lehrbüchern 1. „Silbernagel” (Thieme, 6.
Auflage, 2010 und 2. Schmidt-Lang-Heckmann, Springer) 31. Auflage, 2010
Müller, N. : Die biopsychosoziale Medizn. Die Anamnesegruppe an der Medizinischen
Universitaet Graz. Eine qualitative Evaluation der Lehrveranstaltung. Diplomarbeit Zur
Erlangung des Akademischen Grades „Doktorin der gesamten Heilkunde” (Dr.-in med. univ.)
Graz, November 2010
„Die Supersysteme und chronische Krankheit”, aus: Lehrbuch der klinischen
Pathophysiologie komplexer chronischer Erkrankungen, 3 Bänder. - Bd. 1. Vernetztes
Denken in der biomeizinische Forschung, 1-77. S. Hrsg. Rainer Straub, Regensburg, 2006,
Vandenhoeck-Verlag für Medizinische Psychologie, Göttingen
8
Einleitung und didaktische Überlegungen
Andor Harrach
Diese studentischen Texte sind im Zuge des frei wählbaren Kurses Psychosomatik an der
Medizinischen Universität Budapest im Studienjahr 2013/14 entstanden. Im Wintersemester
standen Vorlesungen und Referate, im Sommersemester praktische Übungen, Diskussionen
und Gruppenarbeit im Vordergrund.
Überwiegend Studentinnen und Studenten aus dem III. Studienjahr waren die Teilnehmer. In
beiden Semestern haben sich etwa 30 Teilnehmer angemeldet - die hohe Zahl hat uns
eigentlich überrascht. Allerdings war der Kurs unter den Studenten schon bekannt, weil der
Kurs des Wintersemesters schon seit 2007 angeboten wurde und lief regelmäßig mit ähnlicher
Teilnehmerzahl. Tatsächlich haben davon in diesem Jahr 20 das Witersemester und 23 das
Sommersemester zu Ende gemacht. Jeweis konnten einige aus Gründen des Wochenplanes
garnicht erst anfangen, andere sind in der Anfangsphase des Semesters nach Deutschland
gewechselt, nachdem sie dort einen Studienplatz bekommen haben – generell sind viele
Studentinnen und Studenten bestrebt, ab dem 3. Studienjahr das Studium in Deutschland
fortzusetzen. Im Studienjahr 2013-14 haben wir zum ersten mal auch im SS den Kurs als
„Psychosomatische Praxis und Junior Balint-Gruppen” ausgeschrieben.
Warum-wieso Psychosomatik gleich am Anfang des klinischen Teils im Medizinstudium
einzuführen?
Die Idee, Psychosomatik im 3. Studienjahr anzubieten, stammte zunächst aus dem Bestreben,
den psychologischen Strang des Studiums nach den Fächern „Ärztliche Kommunikation” im
ersten Jahr und „Medizinische Psychologie und Soziologie” im zweiten Jahr fortzuführen,
nicht abebben zu lassen. Dies nennt man in den USA (Novack, 2007) longitudinalen
Unterricht der Psychosomatik in der gesmaten Zeit des Studiums.
Wir ahnten, daß auch die im Jahr davor absolvierte Fach Physiologie hierzu günstige
Grundlagen bietet. Diese Annahme hat sich mehr als bewahrheitet, denn wir haben ständig
erlebt, daß die Physiologie eine hervorragende Brücke zur Psychosomatik darstellt, ja es
scheint dringend notwendig zu sein, sich in psychosomatischen Fragestellungen auf die
Physiologie zu beziehen. Psychosomatische, d.h. dsyfunktionale körperliche Abläufe sind im
3. Studienjahr daher sehr leicht zu verstehen bzw. zu vermitteln.
Drittens machten uns die Erfahrungen im Unterricht der Medizinischen Psychologie und
Soziologie im 2. Studienjahr darauf aufmerksam, daß die Studenten sehr dankbar dafür sind,
wenn der Dozent den Unterricht mit seinen Erfahrungen aus seiner jahrzehntelangen ärztlichpsychosomatischen Tätigkeit in Deutschland bereichert. Dies scheint gerade in den psycho9
sozialen Fächern von Wichtigkeit zu sein, aber auch dadurch, dass in Deutschland das
Fachgebiet Psychosomatik einen ganz anderen Stellenwert als in Ungarn genießt.
Die Bedeutung der „sprechenden Medizin” gleich zu Beginn des klinischen Studiums zu
unterstreichen ist von eminenter Wichtigkeit. Die praktische sprachliche Kompetenz zu
fördern, z. B. durch Fallberichte seitens des Dozenten, durch Fallbesprechungen mit der
Methode der „Themenzentrierten Interaktion”, durch die „Bálint-Gruppe”, durch allgemeine
Diskussionen untereinander, ist eine wichtige Lehre und eine Freude in diesem Kurs.
Das Gruppenverhalten mit eigenen Regeln in den Diskussionen im Stuhlkreis ist ein wichtiger
Lehr- und Lernstoff der ärztlich-beruflichen Sozialisation. Gerade dies hat sich im Kurs
gelegentlich auch als problematische Angelegenheit erwiesen. Ähnlich ist es übrigens auch im
Unterricht im Fach Medizinische Psychologie und Soziologie.
Kooperatives Verhalten in einer Arbeitsgruppe, (wie Ko-Autorenschaft bei der Herstellung
der Texte), wie sich der Kurs ebenfalls verstand, dient vermutlich ebenfalls als Muster und
Grunderfahrung für die weitere berufliche Sozialisation und für die Tätigkeit.
Das selbstständig-kreative Arbeiten der Studierenden war im WS das mündliche Referat mit
Projektion, im SS die schriftliche Darstellung der Psychosomatik in den einzelnen
medizinischen Fächern nach freier Wahl (jeweils Teile aus der fachspezifischen
Psychosomatik).
Die Darstellungsweise nach medizinischen Fächern will vermitteln, dass Psychosomatik nicht
nur ein Fach unter anderen ist, sondern gleichzeitig ist die Psychosomatik in allen Fächern als
Querverbindung in der der gesamten Medizin gegenwärtig.
Methodische Ansätze zum Herstellen von Texten, wie z.B. die Informationssammlung, die
Strukturierung der Texte, die Abwägung des Zitierens der Quellen zum Text waren weitere
Aufgaben, die den komplexen Lernprozess bereichert haben.
Diese schriftliche Arbeit ist mit eine der Grundlagen der Benotung im Kurs im
Sommersemester.
Die Empfehlung für die schriftliche Darstellung war, sich eher auf die Phänomenologie und
auf eine anfängliche Diagnostik zu beschränken. Dies reicht erstmal als theoretische
Grundlage, ja zum Teil auch für eine eingeschränkte minimale ärztliche Tätigkeit in welchem
Fach auch immer. Eine vertiefte Beschäftigung damit in den Fächern Psychotherapie bzw.
Psychiatrie soll es dann ergänzen. Eine maximalistische Beschäftigung mit dem Thema, aber
auch eine abstrakte Sprach könnte eher zu einer Überforderung und ablehnenden Haltung
führen. Dieses selektive Denken sollte-konnte auch in den Texten erscheinen.
Die Universität bildet Allgemeinärzte, und nicht Fachärzte aus. Aus diesen Gründen haben
wir bei der Beschreibung der Krankheitbilder auf die Denkweise Wert gelegt und auf die
detallierte, meist künstliche ICD-Kategorisierung der Krankheitsbilder verzichtet, obwohl
dieser Aspekt in den Diskussionen zur Sprache kam.
10
Als eine wesentliche Schwierigkeit ist von den Teilnehmern formuliert worden, die
Sprachform und die Schriftform in psycho-sozialen Themen zu finden. Viele von Ihnen sind
im Studium noch nie mit vergleichbarer Aufgabe konfrontiert gewesen – eine Schwierigkeit
auch im späteren ärztlichen Berufsleben!
Es war sehr deutlich, der Anschluß an die psycho-soziale Denkweise für diejeneigen
Studenten, die vor dem Studium im irgendeinen Bereich der Medizin bereits tätig gewesen
sind, sehr viel leichter ist (z.B. Pflege, Rettungsdienst).
Viele Studenten haben auch bei vorhandenem Interesse am Fach Psychosomatik die
Schwierigkeit des „Umschaltens” von der rein biologischen Denkweise her kommend auf
psycho-soziale Aspekte, wie Beziehungsgestaltung, Empathie, das Gespräch, die
Wahrnehmung eigener Gefühle, die Sensibilität für Patientensorgen und Patientenverhalten,
den Einfluß von Umgebungsfaktoren im Versorgungssystem und in Ausbildungssystemen des
Gesundheitswesens verbalisiert.
Das stufenweise, aber konsequente
Heranführen auf diese Arbeitsweise, auf die
„psychosomatische Haltung”, soll der Kurs aufmerksam machen, auch darauf, daß
psychosomatischer Arbeit Zeit braucht.
Diese Textsammlung als freie Auswahl aus den Krankheitsbildern ist eigentlich die
Fortführung des Kurses mit anderen Mitteln. Es ist eine Zusammenfassung für uns alle im
Kurs. Vom Kursleiter her soll es auch eine Art didaktische Auswertung des Kurses sein. (Mit
Heranrücken der Prüfungszeit gegen Ende des Semesters fokussiert sich allerdings die
Aufmerksamkeit der Studierenden eher auf die Prüfungsfächer und weniger auf dieses
„Walfach” in den späten Nachmittagstunden.)
Die Texte können nur eine Auswahl der Krankheitsbilder innerhalb der Fächer, aber auch in
der Auswahl der Fächer überhaupt darstellen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Wichtige
Fächer, z.B. Dermatologie, Augenheilkunde, fehlen hier leider. Das Auswählen der Themen
erfolgte von Seiten der Studenten übrigens auch frei, dies sollte Ihnen die Möglichkeit geben,
eigene Interessen, Vorlieben auszukundschaften, um in späteren Studienjahren und zu Anfang
der beruflichen Tätigkeit mit als Orientierung zur endgültigen Beufswahl zu dienen.
Die schriftliche Fixierung der Inhalte, der Erfahrungen und Erlebnisse in der Gruppe können
die Gruppenarbeit selbst ein Stück fortführen. So ist zumindest unsere Hoffnung, denn
psychosomatische Medizin ist auch ein Fach der Emotionen, in dem der Mensch – Patient und
Behandler - nicht als „biologische Maschine” verstanden wird. Die Arzt-Patienten-Beziehung
ist auch eine zwischenmenschliche Beziehung, eine Begegnung, auch mit vielen unbewußten
Anteilen, die als eine eigenständige Dimension der Diagnostik und des Therapieprozesses
selbst verstanden und professionell verwertet wird.
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Fachspezifische Psychosomatik – was ist das?
Andor Harrach
Die Themenwahl „fachspezifische Psychosomatik” als eine Teildimension der
Psychosomatik und die Bezeichnung will didaktisch vermitteln, daß Psychosomatik in der
ganzen Medizin gegenwärtig ist. Psychosomatik ist ein Brückenfach, da sie in gewisser
Hinsicht alle Fächer verbindet und den „psycho-sozialen Ansatz” insgesamt verwirklicht (s.
auch weiter unten). Psychosomatik wird demgegenüber häufig reduktiv als „ein Fach” unter
anderen verstanden und nicht, in dem sie gleichzeitig auch eine integrierte bzw.
integrierende Dimension aller Fächer ist.
Die Konzeption „bio-psycho-soziale Medizin” gilt als ein Gesamtzusammenhang für die
Medizin überhaupt. Die konkrete klinische Psychosomatik ist ein konkordanter Teil davon,
tätigkeitsorintiert und praxisnah, vertreten in allen Fächern und gleichzeitig ein relativ
selbstständiges klinisches Fach als eigenständige Einrichtung.
Klassifizierung der Krankheitsbilder in der Psychosomatik
Eine richtig konsequente Klassifizierung der Krankheitsbilder ist offensichtlich garnicht
möglich, es liegt an der Vielzahl der möglichen Aspekten, die herangezogen werden können.
In der fachbezogenen Psychosomatik ist der Leitgedanke die Aufteilung der Fächer in der
praktischen klinischen Medizin. Nun kann gerade diese Einteilung selbst auch sehr
unterschiedlich ausfallen und sich aus verschiedensten Gründen auch rasch verändern.
Gebiete, Teilgebiete, Subdisziplinen, Einrichtungen und Organisationseinheiten,
Forschungsgebiete usw. stellen sich institutionsbedingt sehr unterschiedlich dar.
Hier schließt sich das andere Prinzip, die Einteilung nach Organen bzw. Organsystemen an.
Zusammenhänge der Physiologie bzw. der funktionellen Anatomie ist hier der Leitgedanke.
Gleichzeitig sind funktionelle Systeme, wie z.B. Endokrinologie und Immunologie so eng
verflochten, daß es hier noch ein übergeordnetes Prinzip für die Einteilung notwendig wäre.
Das Beispiel „Neuro-psycho-endokrino-vegeto-immunologie” zeigt es: als „Staat im Staate”
hat dieser Komplex eigene Gesetze und wirft Verständnisfragen auf. Das übergeornete
Prinzip könnte also heißen: es handelt sich hier um ein Kommunikatiossystem der
Supersysteme im Sinne von Straub (2006-2007) und Forschungsgruppe an der Universität
Regensburg.
Weitere komplexe Funktionen, die zwar grundsätzlich multiorgan-gebunden sind, wie
Nahrungsaufnahme, Schlaf, Sexualität, Schwangerschaft, Schmerz, sind in Bezug auf die
psychosomatische Praxis gut definierbar und zählen darin sogar zu den klassischen Gebieten.
Einen hochwichtigen Themenkreis muß man hier noch ausführen, das Thema der komplexchronischen Erkrankungen. Hier sind praktisch alle Gebiete der praktischen Medizin
12
betroffen. Es gibt keine „offizielle Liste” dieser Erkrankungen, aber jeder Arzt kennt sie. Im
Ansatz kennen die meisten Laien auch diese Krankheiten. Die gelten als unheilbar, im Verlauf
sind sie chronisch und sehr wechselhaft, unberechenbar. Oft sind sie mit weiteren und
vielfältigen Komplikationen assoziiert. Sie verursachen viel Leid, bedeuten hochen
Behandlungsbedarf, führen zu starker Einschränkung der Lebensqualität und der
Leistungsfähigkeit, oft stellen Todesursachen mit dar. Sie sind ein volkswirtschaftlicher
Faktor, aus diesem Grund starteten z.B. die Krankassen in Deutschland ein Forschungsprojekt
für die Handhabung bei einem Teil dieser Krankheiten (Diabetes, Hypertonie, Brustkrebs,
Depression). In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zählten diese Krankheiten zu einer
Form der psychosomatischen Erkrankungen, zu den sog. „Psychosomatosen”, d.h. zu den
schweren Erkarankungen mit somatischen und psychischen Anteilen: Asthma bronchiale,
essentielle Hypertonie, Ulkuskrankheiten, Rheuma, Ekzem, Diabetes, usw, (die sog. „sieben
heiligen Krankheiten”nach Alexander, 1950). Auf Grund der Kritik an dieser Auffassung
(Überpsychologisierung) verschwand das Thema. Heute sieht man in diesen Krankheiten eine
multiaetiologische Veursachung, darin einen Stressfaktor, ebenso in der physiologischen und
pathogenetischen Steuerung der entsprechenden Verlaufssprozesse. Mit dem Thema Stress
kehrt die Bedeutung der Umweltfaktoren zurück, darin auch die neuro-psycho-immunoendokrinologischen Zusammenhänge. Der genetische Einfluß wird auch im Zusammenhang
mit den umweltbezogenen, epigenetischen Erkenntnissen mit erklärt. Die Formulierungen
über den Charakter dieser Einflüsse fallen in der Fachliteratur unterschiedlich aus:
Ursachenwirkung, Auslöser, Verlauf modifizierend, psychoreaktiv auftretend auf die
Krankheit. Patienten benutzen ähnliche Formulierungen. Ein Thema wird auf jeden Fall
immer sichtbarer: emotionale Faktoren, gesteuert durch das limbische System und den
präfrontalen Cortex nehmen Einfluß über Hypothalamus, Endokrin- und Immunsystem,
Vegetativum auf diese Erkrankungen. Der Kennzeichnung dieses Sachverhaltes im Klinikum
wäre genüge getan, wenn im ICD-System zu der somatischen Diagnose zusätzlich für die
Kodierung der psycho-sozialen Einflüsse der Kode F54 hizugefügt würde. Die meisten Ärzte
kennen nichtmal diese Kodierungsmölichkeit, dabei wäre es eigentlich eine dringende
Notwendigkeit.
In der Klassifizierung der Krankheiten sind die „offiziellen” Systeme in der Einhaltung der
goforderten Kriterien (z.B. keine Aetiologie, nur Phänomenologie!) nicht konsequent genug,
die sind auch umstritten und werden immer wieder fortgeschrieben, korrigiert. In der
Anwendung dieser Systeme ist auch nicht gewollt, leichtere Störungen, die nicht „von
Krankheitswert” sind, als Diagnosen mit hineinzunehmen, denn das würde Konsequenzen für
die Finanzierung der Therapie nach sich ziehen. Gleichzeitg können diese Störungen in der
Langzeitauswirkung
doch
weitreichende
Folgen
haben,
(z.B.
„Stress”,
„Beziehungsstörungen”, usw.). Prävention wird wohl hier gezielt ausgeklammert – es ist mehr
als problematisch!
Die ausgeführten Problemstellungen führen zu der Frage der Kenntnisse der Fachleute über
diese Grundsätze der Psychosomatik bzw. zu der Anerkennung der Wichtigkeit dieses
Problemkomplexes für die Medizin. Ausgehend von der Komplexität der Zusammenhänge
gelingt man zwangsläufig zu der Formulierung: jeder kann nur Halbwissen besizten, die
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andere Hälfte kann durch Kooperation, Koordination und Kollegialität wirksam werden und
zur Geltung gebracht werden.
Die Lehrbücher der Psychosomatik, Psychotherapie und Psychiatrie, die dieses Thema
behandeln, bieten sehr unterschiedliche und in der Regel eine mehrdimensionale und
reduzierte Auswahl der Störungsbilder. Hier vermischen sich verschiedene Aspekte, wie:
1. Die Aufteilung nach medizinischen Fächern (z.B. Psychosomatik in der
Dermatologie).
2. Die Art der Mechanismen der Entstehung von Krankheiten, z.B. bei den sog.
Somatisierungsstörungen. Diese Diagnose stellt übrigens die größte Gruppe dar,
einerseits weil es häufig ist, denn es kann alle Organe betreffen. Die Symptomatik ist
wechselhaft, gleichzeitig mehrere Organe können diese Erscheinungen zeigen, die
dem Patienten und dem Arzt viel „Kopfzerbrechen” bereiten können. Hier muß man
auch die Konversion als Pathomechanismus erwähnen, bei dem die Funktionen des
Nervensystems betroffen sind. In beiden Gruppen gilt die Störung „funktionell”, der
Organ ist anatomisch „gesund”, die Krankheit ist „ärztlich nicht erklärbar”, nichts ist
messbar. Diese letzte Auffassung ist übrigens heute vermutlich obsolet, denn die
modernen Untersuchungsmöglichkeiten können schon organische, molekuläre,
genetische Defekte und Veränderungen zeigen, die die Symptome mit verursachen.
3. Es erscheinen in der Aufzählung einfach Einzelkrankheiten (z.B. Hypertonie).
4. Eine Störungsgruppe wird mit Verhaltensaspekten des Patienten definiert
(Eßstörungen, sexuelle Störungen, nicht organische Schlafstörungen).
5. Es gibt Beispiele einer gemischten Aufzählung z.B. in einem übergeordneten Kapitel
„Klinik”.
6. Integrativ als gleichrangig aufgebaute
Konzeption von psychosozialen und
somatischen Komponenten bei bestimmten Störungsbildern, Beispiele sind dafür
„Sexualmedizin”, „Schlafmedizin”.
7. Auf einzelne Organe bezogene Beschreibung, z.B. bei Herzerkrankungen die
„Psychocardiologie”.
8. Auf somatische Therapieverfahren bezogene Kapitel (z.B. Psychosomatik in der
Transplantationsmedizin).
9. Altersbezogene Psychosomatik ( Kinder-und Jugendliche, bzw. Alter)
10. Merkmale sozialer Bezogenheit (Sexualstraftäter)
11. Auf Steuerungsfunktionen (Straub und Forschungsgruppe, 2006-07) bezogene
Psychosomatik: Psycho-neuro-endokrino-immunologie. Ein anderes Beispiel ist
„Neuropsychosomatik” - nicht identisch mit neurologischer Psychosomatik!
12. Überlappung der somatisch-funktionellen Symptome mit überwiegend psychischer
Krankheiten (Angst, Depression, Zwang – früher Neurosen genannt): die beiden
Bereiche werden in der Regel ohne weitere Reflexion z.T. gemischt dargestellt. Hier
überlappt sich das Thema auch mit dem Fachgebiet der Psychiatrie. Als Dilemma
zeigt sich hier die Frage einer Schwerpunktsetzung im Versorgungssystem: welche
Einrichtungen und welche Fachleue sich mit welchen Krankheiten befassen. Früher
fasste man diese Überlappungen als „kleine Psychiatrie” zusammen, es ist der Bereich
14
der nicht-psychotischen, nicht schweren mentalen Störungen. Diese werden in der
Regel nicht in „gemischten” Einrichtungen oder Praxen versorgt. Es ist auch eine Art
Streitfrage unter den Fachgebieten Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie.
Hauptcharakteristikum der Psychosomatik dabei ist die grundsätzliche Verflächtung
mit der somatischen Medizin, und in erster Linie mit der hausärztlichen
Grundversorgung.
13. Psychosomatische bzw. psychiatrische Psychotherapie unterscheiden sich ebenfalls
den Krankheitsbildern entsprechend und beide finden im geteiltem Rahmen statt. Die
Überlappungbereiche einerseits, und die relative Selbstständigkeit dieser Fächer ist
ein Zankapfel, der in Deutschland durch die Verselbstständugung der Psychsomatik
in dem Sinne kaum mehr existiert.
Die umfassendste Darstellung der psychosomatischen Krankeitsbildern, strukturiert nach
medizinischen Fächern, findet sich bei Klußmann und Nickel (Psychosomatische Medizin und
Psychotherapie, 2009), es werden etwa 200 Diagnosen beschrieben, die einen
psychosomatischen Anteil haben. Die Aufzählung differenziert nich zwischen Somatisierung
bzw. organisch mitbegründeten komplex-chronischen Erkrankungen („Psychosomatosen”).
Die schulische Auffassung des Buches orientiert sich weitgehend an der Tiefenpsychologie.
Eine systematische Darstellung der psychosozialen Faktoren findet sich im DSM-IV
(Diagnostische Kriterien des Diagnostischen Manuals Psychischer Störungen DSM-IV,
American Psychiatric Association, 1994, Deutsche Bearbeitung H. Saß, H.-U. Wittchen, M.
Zaudig, I. Houben, Hogräfe, 1998).
Die Liste dieser Problembereiche sei hier aus DSM IV abgekürzt nach Hauptkategorien
dargestellt. Die Einbeziehung dieser Themen in die alltägliche medizinische Praxis ist ein
Hauptanliegen der psychosomatischen Denkweise. Die DSM IV erweist sich damit als sehr
hilfreich, um das Anliegen der bio-psycho-sozialen Medizin auf einfacher Weise zu
verwirklichen:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
Probleme mit der Hauptbezugsgruppe (Familie, Partnerschaft)
Probleme im sozialen Umfeld
Ausbildungsprobleme
Berufliche Probleme
Wohnungsprobleme
Wirtschtliche Probleme
Probleme beim Zugang zur Krankenversorgung
Probleme im Umgang mit dem Rechtssystem
Andere psychosoziale und Umgebugsbedingte Probleme.
Ganz ähnlich stellt sich die Lage bei der ICD-Kategorisierung dar: Psychosoziale und
umgebeungsbedingte Probleme, die man in der ICD-Kategorisierung zu den somatischen
Diagnosen ebenfalls als zweiten Kode hinfügen kann, bekommen den Kode F54psychologische Faktoren oder Verhaltensfaktoren.
15
Das bio-psycho-soziale Modell der Medizin
Den Grundgedanken diese Konzeptes formulierte G.L.Engel: The need for a new medical
model: a challenge for biomedicine (Science,1977; 196:129-136). Er fordert die radikale
Änderung des medizinischen Denkens und der Praxis. Ausschließliche biologische Medizin
kann garnicht sein, da der Mensch auch nach psycho-sozialen Gesetzen existiert. Die Ebene
der Molekularbiologie setzt er auf eine Ebene mit dem System der Psyche und der
Gesellschaft. Dies bedeutet auch, daß das medizinische Versorgungssystem ebenso nach
diesen Gesetzen funktioniert und den Heilungsvorgang mitprägt: das Fachpersonal, die
Institutionen, die Behandlungen, die Wirtschaftsfaktoren, das soziale Umfeld des Patienten,
die Systeme der Bildung, die Kultur, die Gesundheitspolitik.
Novack, D.H. at all. (2007) skizziert in einem hervorragenden Artikel die praktische
Umsetzung dieser Vorstellung: Psychosomatic medicine: The scientific Foundation of the
Biopsychosocial Model. Academic Psychatriy, 31:5, 388-401, Sept.-oct. 2007.
Kapfhammer, H.-P.(2010) aus Graz, betont, daß…”eine kategoriale Unterscheidung in sog.
„psychosomatische Erkrankungen” und „nichpsychosomatische Erkrankungen” ist als obsolet
anzusehen…”. (Seite 1284, Bd. 2. in: Psychiatrie, Psychosomatik Psychotherapie, Hrsg.
Möller, Laux, Kapfhammer, Springer, 4. Aufl.2010, 2 Bd. 2906 Seiten). Er beschreibt
gleichzeitig die Psychosomatik etwa in 300 Seiten ausführlich und plädiert für eine
einheitliche Betrachtung.
In dieser Betrachungsweise formulierte Uexküll bzw. seine psychosomatische Schule die
Grundsätze der „integrativen Medizin”: Psychosomatische Medizin. Modelle ärztlichen
Denkens und Handels. Hrsg. Thure von Uexküll uns Mitarbeiter. Urban-Fischer, 6. Auflage,
2003. 1564 Seiten. Integrative Medizin bedeutet hier: die Psychosomatik als bio-psychosoziales Geschehen ist in der gesamten Medizin vorhanden, die Aufgabe ist es, sie tatsächlich
zu integrieren.
Die relatíve Selbsständigkeit der Psychosomatik als Fach löst ein dringendes
Versorgungsproblem, und ist nicht etwas, was in ihren Grundsätzen von der Psychiatrie oder
in der Psychotherapie abhebt. Die 3 Themebereiche zeigen Überlappungen, aber auch eigene
grundlegende Spezifika in der Praxis.
16
1.Psychosomatik und chronische Erkrankungen
Thomas Schuh und Jannik Robin Kijevsky
1. Bedeutung der Psychosomatik in der Krankheitsentstehung
Der Prozess der Entstehung einer chronischen Krankheit steht in einem bio-psycho-sozialen
Zusammenhang. Soma und Psyche sind als Einheit zu verstehen, die sich gegenseitig
beeinflussen. Folglich haben Ärzte die Möglichkeit den Prozess der Entstehung und den
Verlauf einer chr. Krankheit an mehreren Punkten zu beeinflussen. Ein zentrales Element der
ärztlichen Hilfestellungen ist die Präsentation von Krankheitsverarbeitungsmodellen. Es gilt
einer zusätzlichen psychischen Erkrankung wie Depression vorzubeugen da diese den
weiteren Krankheitsverlauf negativ beeinflusst sowie die objektive und subjektive
Lebensqualität des Patienten signifikant verschlechtern. Als weitere Komplikation tritt häufig
eine verringerte Compliance auf.
2. Psychische Ursachen und somatische Erkrankung
Depressionen sind ein starker Multiplikator für somatische Erkrankungen. Auszuschliessen
gilt es Nebenwirkungen von Arzneimitteln (IFN) oder Krankheitserregern (HCV) die auf das
Nervensystem wirken können und somit Depressionen oder depressive Episoden verursachen.
Krankheiten werden von betroffenen als massiver Einschnitt in das bisherige Leben, das
Selbstwertgefühl und dem Bedürfnis nach Selbstkontrolle wahrgenommen. Aus der LifeEvent-Forschung ist hervorgegangen dass zum Beispiel Patienten die Armut erfahren eine
geringere Lebenserwartung haben.
Patienten in psychosozialen Belastungssituationen sind anfälliger für Asthma bronchiale.
Weiter ergab diese Forschung, dass Kinder aus niedrigeren sozialen Schichten
schwerwiegendere Asthmaanfälle haben als vergleichbare Kinder. Ähnliche Ergebnisse gibt
es für den Verlauf von Autoimmunerkrankungen wie MS oder rheumatoide Arthritis.
Auch ein Zusammenhang zwischen psychischen Traumata in den ersten Lebensjahren wie
Scheidung, Tod eines Elternteils, Gewalt gegen die Mutter und der Entstehung von Diabetes
mellitus, ist durch Studien bestätigt worden. Wer einen Herzinfarkt erleidet und infolgedessen
depressiv wird hat ein hohes Risiko einen weiteren Herzinfarkt zu erleiden, der dann mit
hoher Wahrscheinlichkeit tödlich ausgeht. Hatte ein Patient einen Herzinfarkt und entwickelt
eine Depression hat er ein 17-fach höheres Risiko an Diabetes Melitus zu erkranken, was
Mortalitätsrate 4,9fach erhöht.
17
Chronische negative Affekte und sozialer Druck durch eine somatische Erkrankung
hervorgerufen führen verstärkt zu Depressionen, welche ihrerseits die Prognose und die
Risikofaktoren somatischer Erkrankungen verschlechtern. Psychische Traumata haben
denselben Effekt.
3. Immun und Stresssystem als Mediatoren zwischen Psyche und Soma
Dauerhafte Stresssituationen und traumatische Belastungen führen zu psycho-neuroimmunologischen Wechselwirkungen. Effektoren sind: Die HPA-Achse, die zu einem
Anstieg des Cortisolspiegels führt und das vegetative Nervensystem, was zu verstärkter
Katecholamin Ausschüttung führt. Gemeinsam bewirken sie eine Dysregulation der zellulären
und humoralen Immunantwort weiterhin haben sie metabolische Auswirkungen wie zum
Beispiel Insulinresistenz.
Entzündungesprozesse führen zu einem erhöhten pro-inflamatorischen Zytokinspiegel wie
TNF alpha. Durch chronische Belastungen sinkt der Cortisonwert wodurch die hemmende
Wirkung auf pro-inflamatorische Zytokine wegfällt, es kommt also zu Entzündungen.
4. Beispiel Chronische Virus Hepatitis
Im folgenden soll das Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren der Genese einer
chronischen Krankheit veranschaulicht werden. Patienten mit einer Virus-Hepatitis werden
mit Symptomen wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Leistungsverlust beim Arzt vorstellig.
Diese Symptome sind auch in Depressionen anzutreffen. Es ist also leicht möglich dass der
Patient neben der Virus-Hepatitis eine Depression entwickelt. Im Gehirn werden serotonerge
Synapsen erregt was auf eine Tätigkeit des Viruses auch im Gehirn nahe legt.
Neben diesen somatischen Beschwerden sind auch psychosoziale Faktoren an der Genese der
Depression beteiligt. Frühkindliche Belastungen und negative Bindungserfarhungen führen zu
einer verminderten Immunabwehr was der Ausbreitung des Virus fördert. Die frühkindlichen
Erfahrungen
können
zu
einem
riskanten
Lebensstil
führen
was
die
Expositionswahrscheinlichkeit erhöht.
Durch die Diagnose der Krankheit stigmatisieren sich die Patienten und grenzen sich sozial ab
weil sie sich selber sexuelle Ausschweifungen, Drogenabusus oder Untreue vorwerfen. Dies
resultiert in einem verheimlichenden Verhalten um nicht in Erklärungsnöte zu kommen. Vor
allem in Partnerschaften wo auch das Thema Übertragung medizinisch relevant ist kann das
18
zu Problemen führen. Das Resultat ist dass die Lebensqualität der Patienten stärker
beeinträchtigt ist als die anderer chronisch Erkrankter. Gibt man dem Patienten Medikamente
die die Depression verstärken können (z.B. IFN) kann die Compliance des Patienten sich
verschlechtern und Medikamente werden nicht mehr wie verordnet eingenommen.
Es gilt also dem vor Depressionen zu schützen und gegeben falls dagegen zu intervenieren.
Weiters muss er vor der Einnahme von Depression verstärkenden Medikamenten auf die
verstärkende Wirkung hingewiesen werden. Mehr Beratung und Aufklärung führen zu einem
zufriedeneren und potentiell gesünderen Patienten der folglich auch den Arzt weniger häufig
aufsuchen muss bei gleichem oder gesteigertem Therapieerfolg.
5. Bewältigung chronischer Krankheiten
5.1 Individuelle Bewältigungsstrategien
Das zentrale Problem, welches dem Patienten gegenüber steht, ist ein Einschnitt in sein
bisheriges Leben: sein Leben so wie er oder sie es gewöhnt war,ist nun vorbei, etwaige
schmerzhafte Zeiten stehen dem Erkrankten in Aussicht. Der Einschnitt bedeutet somit
zweierlei: Zum einen muss der Patient Abschied von seinem einstigen Leben nehmen, also
einen Schlußstrich ziehen und zum anderen muss er sich auf die neuen Gegebenheiten
einstellen, die die Erkrankung sicherlich mit sich bringen wird, hier befindet er sich also noch
ganz am Anfang. Dieser Dualismus einer Handlung oder Sache ist, wie ich finde, eines der
zentralen Paradigmen einer Erkrankung bzw. der Medizin im allgemeinen, viellecht sogar des
Lebens! Nicht nur die Krankheit selbst, als gemeinsamer Schaden von Soma und Psyche
folgt diesem Dualismus sondern auch deren (Differenzial-)Diagnose, bei der (meist) wieder
zwischen 2 Eventualitäten differenziert werden muss.
Im nun folgenden Text sollen einige Möglichkeiten gezeigt werden, wie unser Patient besser
mit seiner Krankheit umgehen kann, ohne seinem „alten Leben“ nachzutrauern.
5.1.1 Einen Schlußstrich ziehen
Viele chronische Erkrankungen gehen mit Enschränkungen einher. Das kann sich auf vielerlei
Aktivitäten des persönlichen Lebens auswirken, wie zum Beispiel bei einem Läufer, der
seinen Sport nun komplett aufhören muss aufgrund von chronischen Gelenkbeschwerden.
Zuerst muss sich der Leidtragende klar machen, dass die neue Situation so „ist wie sie ist“
19
und es wird sich in absehbarer Zeit auch nichts daran ändern. Mit anderen Worten: Er muss
seine Krankkeit mit all ihren Folgen akzeptieren. Wie kann man nun als Arzt hier helfen?
Ganz einfach: Man stellt (geeignete) Alternativen in Aussicht, hilft seinem Patienten dabei
seine Krankheit nicht als Einschränkung sonder als Herausforderung oder als Chance
anzusehen.
Natürlich lässt sich das nicht von heute auf morgen bewerkstelligen. Es braucht viel Zeit und
Geduld sowie jede Menge neuer Ideen um dem Patienten eine optimale Anpassung an sein
„neues Schicksaal“ zu ermöglichen. Um insbesondere Frustation präventiv entgegen zu
wirken, sollten die neuen Ziele nicht zu hoch gesteckt werden.
5.1.2 Auf „zu neuen Ufern“
Zur Kolonialzeit segelten viele Matrosen und Kapitäne zu meist ins Ungewisse; Kolumbus
wollte einen neuen Seeweg nach Indien ausprobieren und fand Amerika. Auf seinem Weg
hatte er mit zahlreichen Problemen zu kämpfen: Eine meuternde Mannschaft (=soziales
Umfeld), Unter-bzw.Mangelernährung (= eine nicht anschlagende Therapie) und natürlich
war Poseidon’s Wut in der Form von Seestürmen unverkennbar (=Erkrankung). Trotz dieser
Widrigkeiten segelte er weiter, mit einem klaren Ziel vor Augen. Nun mag dies sicherlich
Auslegungssache sein bzw. reichlich Diskussionsstoff liefern, aber viele (alle?) Menschen
benötigen ein Ziel in ihrem Leben, für das es sich lohnt zu arbeiten. Jeder Mensch möchte
einem (seinem?) gewissen Zeck dienlich sein. Hauptaufgabe des Arztes ist es gemeinsam mit
dem Patienten ein neues Ziel zu erarbeiten, was nicht notwendigerweise vom alten Ziel
abweichen muss!
5.2 Frühe Bindungserfahrungen
5.2.1 Kindliche Traumata
Erfahrungen aus unserer Kindheit, wie wir seit Freud wissen, prägen uns unserer Leben lang.
In welchen Ausmaß ist nicht nur individuell unterschiedlich, sondern wird auch kollektiv
beeinflußt. Besonders wichtig ist hier die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Kann der Patient
überhaupt verstehen in welcher Lage er sich jetzt befindet? Wenn ja, besitzt er dann die
Fähigkeit zur Selbstfürsorge? Negiert der Patient diese Fragen, sei es unbewusst oder
bewusst, besteht die Gefahr des autoagressiven Verhaltens, was dem Heilungsprozess
sicherlich nicht förderlich ist. Hier verlangt also die Heilung einer chronischen Erkankung
eine interdisziplinäre Herangehensweise: Um eventuell vorhandene jetztige, akut vorhandene
20
Bewältigungsprobleme mit der gegenwärtigen Situation, die ursächlich auf erlebte
Kindheitstraumata zurückzuführen sind, erfolgreich zu therapieren, ist die zusätzliche
Konsultation eines Psychologen oder Pyschotherapeuten von Nöten.
5.2.2 Das soziokulturelle Umfeld
Hier gilt es besonders zu achten auf:






ursrüngliche Herkunft (Migranten!)
Religion
Lebensweise (Vegan etc.)
Geschlecht
Alter
gesellschaftliche „Klasse“ oder Schicht
An einem Beispiel kann man die Wichtigkeit der oben genannten Faktoren erläutern.
A.I.D.S. ist eine sogenannte Pandemie der heutigen Zeit, die Übertragung dieser schweren
chronischen Erkrankung ist meist auf sexuellen Kontakte mit infizierten Personen
zurückzuführen. Wie aber geht eine streng gläubige Familie damit um, wenn ihre Tochter an
AIDS leidet? Welchen sozialen Status hat die Krankheit im kulturellen Umfeld? Und noch
viel wichtiger: Kann der Betroffene sein Leid überhaupt seinen Eltern oder nächste
Verwandten offenbaren ohne von diesen aus der „Sippe“ verstoßen zu werden? Auf diese
Fragen gilt es zu achten, ansonsten wird der Arzt seinen Patienten höchstwahrscheinlich
vergebens behandeln. Denn insbesondere bei schweren chronischen Erkrankungen bedarf es
ausgiebiger Unterstützung von Seiten der Famile.
21
2. Essstörungen
Valentin Hooijer und Thomas Kustra
Anorexia nervosa
Definition:
Als Anorexia nervosa wird ein extremes, selbstherbei geführtes Untergewicht bezeichnet.
Nach ICD-10 Klassifikation muss das Körpergewicht mindesten 15% unter dem zu erwartendem
Körpergewicht liegen (Alters-, Geschlecht- und Körpergrößenabhängig), oder ein BMI unter 17,5
kg/m² vorliegen. Die Gewichtsabnahme wird durch eine stark kalorienreduzierte Diät erreicht. Häufig
kommt es bei den Patienten, wenn sie die Diät nicht einhalten, zu Ekelgefühlen und deswegen zur
Selbstbestrafung.
Beispielsweise kann es nach Heißhungerattacken zu erzwungenen Erbrechen kommen, um diese
Gefühle zu mindern.
Als weitere Gründe für das Untergewicht kommen in Frage: übertriebene körperliche Aktivität,
Laxanzien-Missbrauch, Verwendung von Appetitzüglern und Diuretika.
Die Patienten haben trotz des offensichtlichen Untergewichts eine verzerrte Wahrnehmung ihres
eigenen Körpers. Viele fühlen sich immer noch zu dick oder haben Angst vor dem Dick werden.
Durch eine striktere Einhaltung ihres Kalorienplans versuchen sie diesen Ängsten oder Gefühlen
auszuweichen.
Psychische Auffälligkeiten der Patienten sind Depressionen, Ängste und Zwangssymptome. Eine
gestörte Wahrnehmung der eigenen Figur und ihres Körpergewichts ist typisch. Das eigene
Körpergewicht nimmt eine zentrale Stellung in dem Alltag der Betroffenen ein. Selbstbewertung und
Selbstvertrauen hängen von dem Körpergewicht ab. Außerdem ist bei den Patienten charakteristischer
Weise eine Leugnung, des häufig schon gefährlichen Untergewichts, anzutreffen.
Epidemiologie:
In Deutschland sind etwa 0,3% der Bevölkerung, vor allem junge Erwachsene im Alter zwischen 15
bis 25 Jahren betroffen. Dabei ist die Anorexia nervosa bei Frauen 20mal häufiger als bei Männern.
Äetiologie
Folgende Gründe werden als Auslöser der Anorexie diskutiert:
 Hereditäre Prädisposition: In Zwillingsstudien wurde eine familiäre Häufung der Krankheit
festgestellt.
 Einfluss der Familienstruktur:
Die meisten Anorexie Patienten kommen typischerweise aus wohlbehüteten, kleinbürgerlichen
Familien. Dabei lassen die Eltern den Kindern wenig Raum für Selbstentscheidungen und
Selbstständigkeit. Deswegen kommt es vor allem mit Beginn der Pubertät bei den Kindern zu
Autonomie-Bestrebungen. Diese wird dann durch die Kontrolle und Selbstbestimmung über
das eigene Körpergewicht erreicht.
In manchen Fällen ist auch sexueller Missbrauch innerhalb der Familien als Auslöser der
Erkrankung möglich.
22

Soziokulturelle:
In den Westlichen Nationen wird ein Schönheitsideal vertreten, dass besonderen Wert auf das
Schlanksein und Aussehen legt und damit verbunden ist beruflicher und sozialer Erfolg.
Dieses Schönheits- und Schlankheitsideal wird vor allem durch die Medien transportiert.
Besonders Frauen versuchen diesem zu entsprechen, weil sie mehr als Männer, von der
Gesellschaft gezwungen werden Schlank zu sein.
Durch ständiges Vergleichen der eigenen Körperfigur mit der von Anderen, aber auch durch
Kritik, durch Eltern oder der Peergroups, kann es zu einer gestörten Wahrnehmung des
Körpers kommen.
Auf der anderen Seite sind Lob und Anerkennung, z.B. nach erfolgreichen Diäten, positive
Verstärker für das Selbstvertrauen. Das heißt, dass das Selbstwertgefühl vom Aussehen, dem
Körpergewicht und dem Feedback der Gesellschaft abhängig gemacht wird.

Lerntheoretische:
Wie bereits oben angedeutet, wird bei Essgestörten Patient das Körpergewicht mit dem
Selbstwertgefühl verknüpft.
Die betroffenen Personen können durch individuelle Maßnahmen, z.B. durch
Essensverweigerung oder selbsterzwungenes Erbrechen, ihr eigenes Gewicht kontrollieren. Ihr
schlankes Äußeres wird dann von der Gesellschaft durch positives Feedback belohnt.

Individuelle:
Die Pubertät oder Adoleszenz ist bei den jungen Erwachsenen mit dem Streben nach
Autonomie verbunden. Manche erfahren diese Autonomie durch die Manipulation ihres
Körpergewichts.
Bei anderen Patienten stellt die Bestimmung über das Körpergewicht ein Ventil für nicht
verarbeitete Konflikte dar, z.B. bei Problemen in zwischenmenschlichen Beziehungen, bei
Depressionen, sexuellen Konflikten usw.
Komorbidität
a) Psychische Komorbidität:
Anorexia
nervosa
Patienten
zeigen
häufig
Anzeichen
einer
Depression,
Persönlichkeitsstörungen, z.B. die oben bereits genannte Körperschemastörung, bei der sich
die Patienten, obwohl sie bereits krankhaft Abgemagert sind, sich immer noch zu dick fühlen.
Außerdem kann die Erkrankung mit Angststörungen oder Suchterkrankungen assoziiert sein.
b) Somatische Komorbidität:

Störungen des Elektrolythaushalts durch selbstinduziertes Erbrechen, Laxanzien- und
Diuretika-Abusus. Eine schwerwiegende Folge ist die entstehende Hypokaliaemie mit daraus
resultierenden Herzrhythmusstörungen.
23

Störungen des Hormonhaushalts:
Bei Frauen kommt es zu Östrogen-, LH-, FSH- Mangel. Dadurch kommt es zum Ausbleiben
des Brustwachstums, zur Amenorrhö und Unfruchtbarkeit.
Bei Männern kommt es durch den Mangel an Sexualhormonen zur Impotenz und Verlust der
Libido.

Herz:
Die Herzaktivität ist bei Anorexie Patienten reduziert. Z.B. kommt es zur Verlangsamung des
Herzschlags, folglich entsteht eine Hypotonie. Elektrolytstörungen führen zu
Herzrhythmusstörungen, die in einem plötzlichen Herztod resultieren können.

Verdauungsorganergane:
Es können Darmträgheit, mit chronischer Obstipation, Magenkrämpfe, Übelkeit auftreten
Niereninsuffizienz kann entstehen

Knochen:
Der Östrogenmangel führt zur Osteoporose mit gehäuft auftretenden Knochenbrüchen.
Bulimia nervosa
Definition:
Bulimia nervosa ist eine Essstörung, die durch Heißhungerattacken mit übertriebener
Nahrungsaufnahme und Kontrollverlust gekennzeichnet ist.
Die Betroffenen reagieren auf diese Affekthandlungen mit gewichtsreduzierenden
Maßnahmen, meist mit Erbrechen. Aber auch Laxanzien- oder Diuretika-Abusus, Diäten und
übertriebene körperliche Aktivität kommen vor.
Die eigene Figur und das eigene Körpergewicht stehen im Mittelpunkt der Gedanken des
Patienten. Außerdem findet sich eine ständige Angst dick zu werden oder nicht dem
Schönheitsideal der Gesellschaft zu entsprechen.
Eine frühere Phase mit Anorexia nervosa ist möglich. Beide Krankheiten, Bulimie und
Anorexie können ineinander übergehen.
Meist sind Bulimie-Patienten normal gewichtig, Unter- oder Übergewicht kann aber auch
vorkommen.
24
Epidemiologie:
Etwas unter 1 % der Bevölkerung, v.a. Mädchen und junge Frauen im Alter von 15 bis 35
Jahren sind betroffen. Die Erstmanifestation der Krankheit häuft sich um das 17. Lebensjahr
und tritt damit etwas später als die Anorexia nervosa auf. Betroffen sind vor allem Personen
deren Aussehen und geringes Körpergewicht wichtig für ihren Beruf ist. Z.B. Models, Tänzer,
Skispringer. Ein gleichzeitiges Auftreten von Bulimie und Persönlichkeitsstörungen findet
sich in etwa 20% der Fälle.
Ätiologie und Pathogenese
Wie bei der Anorexie stehen im Hintergrund der Erkrankung, Persönlichkeitsstörungen, z.B.
die schon erwähnte Körperschemastörung, Ängste, die zentrale Rolle des eigenen Aussehens
und des Körpergewichts und häufig auch ein niedriges Selbstwertgefühl. Dabei hängt das
Selbstbewusstsein von der Bestätigung der Gesellschaft ab. Die Bestätigung erfahren die
Betroffenen wenn sie mit ihrem Körpergewicht dem propagierten Schönheitsideal
entsprechen.
Ein Unterschied zur Anorexie ist der Mangel an Triebkontrolle und der Kontrollverlust bei
den Heißhungerattacken. Diese resultieren in Schamgefühle und Ekel. Ein Ventil für die
Minderung der Gefühle stellt das auf die Fressattacken folgende Erbrechen dar.
Komorbidität
a) Psychatrische und soziale Probleme

Missbrauch von Alkohol, Drogen und Medikamenten

autoaggressives Verhalten

mangelnde Selbstkontrolle, nicht nur in Bezug auf das Essverhalten, sondern auch
unkontrolliertes Mode-und Konsumverhalten

Depressionen, diffuse und phobische Ängste, Minderwertigkeitsgefühle, sexuelle Konflikte
b) somatische Probleme
25

Folgen des häufigen Erbrechens sind:

wegen der aggressiven Magensäure kommt es zur Zerstörung des
Zahnschmelzes, zur akuten Ösophagitis und Gastritis

Elektrolytstörungen, v.a. Hypokaliämie, die zu Herzrhythmusstörungen und
plötzlichem Herztod führen können. Die Störungen des Elektrolyt-Haushalts
können außerdem noch eine Niereninsuffizienz auslösen.

metabolische Alkalose

Magenwand und Speiseröhrenruptur, wegen dem entstehenden hohen Druck
beim Erbrechen

Entzündungen der Speicheldrüsen. Labordiagnostisch ist dann eine
Hyperamylasämie feststellbar.
Binge eating
Definition
Bei der Binge-Eating-Störung handelt es sich um eine psychisch bedingte Essstörung, bei der es zu
periodischen Heißhungeranfällen mit Verlust der bewussten Kontrolle über das Essverhalten kommt.
Charakteristisch ist, dass anders als bei der Bulimie das Konsumierte nicht im Anschluss erbrochen
wird, wodurch hierbei längerfristig meist Übergewicht die Konsequenz ist. Bislang wurde die BES
noch nicht als eigenständige Diagnose zugelassen. Im ICD-10 wird die BES deshalb unter „Nicht
näher bezeichnete Essstörung“ (F50.9) klassifiziert. Diese Definition der Essstörung war längere Zeit
umstritten, doch die Kriterien werden von Ernährungswissenschaftlern und Medizinern jedoch
zunehmend akzeptiert und die Behandlungsbedürftigkeit dieser Störung wird auch in Europa
mittlerweile überwiegend anerkannt. Die Behandlung entspricht größtenteils der Behandlung der
Bulimie.
26
Epidemiologie
Zur Häufigkeit der Binge Eating-Disorder gibt es unterschiedliche Angaben, welche meist auf
Schätzungen beruhen. Ungefähr 2-5% der Allgemeinbevölkerung sind von einer BES betroffen. In
Deutschland wird die Anzahl zwischen 800.000 und 2,4 Millionen Menschen geschätzt, und ist somit
höher als die Zahl der Bulimiker. Typischerweise manifestiert sie sich zwischen dem 20. und 35.
Lebensjahr. Bei der BES kann im Alter zwischen 45 und 54 Jahren auch eine zweite Häufung der
Erstmanifestation statistisch nachgewiesen werden. Frauen leiden 1,5-mal häufiger an dieser
Essstörung. Ein großer Teil der Binge Eater ist übergewichtig, allerdings leidet umgekehrt nur etwa
ein Drittel der Adipositas-Patienten an Heißhungerattacken. Besonders übergewichtige Personen
erkranken mit einer Prävalenz von 4-9% deutlich häufiger. Die meisten Übergewichtigen nehmen
jedoch kontinuierlich mehr Kalorien auf als sie verbrauchen, nicht anfallsweise. Die an BES
Leidenden lassen sich darüber hinaus in zwei Gruppen unterteilen:
1.) Die diet-first-Gruppe führt vor ihrer ersten Fressattacke eine Diät durch und weist im
Durchschnittsalter von 26 Jahren eine erste Essattacke auf.
2.) Bei der binge-first-Gruppe werden Personen beschrieben, welche einen Essanfall erleben,
bevor sie je eine Diäterfahrung gemacht haben. Sie zeigen das Störungsbild bereits im Alter
von 12 Jahren.
Ätiologie
Die Ätiologie der BES ist größtenteils noch ungeklärt. Es wird von einem Zusammenhang zwischen
biologischen, persönlichkeitsbezogenen und soziokulturellen Faktoren ausgegangen. Es lässt sich eine
Verbindung zwischen den depressiven Verstimmungen, den psychosozialen Belastungen, der
Häufigkeit der Essanfälle, dem Schweregrad der Adipositas mit dem Therapieerfolg nachweisen.
Daher gelten als prädisponierende Faktoren eine Adipositas und psychische Störungen begünstigend
für die Entwicklung und Aufrechterhaltung einer BES.
Diagnose und Symptome
Die diagnostischen Kriterien für Binge Eating wurden in den 1990er Jahren von der American
Psychiatric Association (APA) aufgestellt:
27

mindestens zwei Essanfälle pro Woche über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten

Kontrollverlust während der Nahrungsaufnahme mit Verlust des Sättigungsgefühls

sehr hohe Kalorienzufuhr bei einem Essanfall

extrem hastiges Essen („schlingen“)

Essen bis zu einem starken Völlegefühl

der Essanfall wird nicht durch starken Hunger ausgelöst

nach dem Essanfall treten Schuld- und Schamgefühle auf, teilweise bis zur Depression

die Betroffenen leiden unter den Essanfällen

Die Essanfälle gehen nicht mit dem Einsatz von unangemessenen kompensatorischen
Verhaltensweisen einher, wie:


Fasten

Medikamentöser Missbrauch (Laxanzien oder Diuretika)

Exzessives Sporttreiben
Sie treten ebenfalls nicht ausschließlich auf im Verlauf von:

Anorexia nervosa

Bulimia nervosa
Anders als die Bulimiker oder Magersüchtigen ergreifen Binge Eater nach dem Essen keine
Maßnahmen wie Erbrechen oder exzessives sportliches Training, um eine Gewichtszunahme durch die
überhöhte Kalorienzufuhr zu verhindern.
Ähnlich wie Bulimiker verschweigen Binge Eater in der Regel anderen ihr gestörtes Essverhalten.
Befragungen von Betroffenen legen den Schluss nahe, dass die überwiegend durch negative Gefühle,
Stress oder Langeweile ausgelöst werden. Psychologen gehen davon aus, dass unangenehme
Empfindungen während des Essvorgangs unterdrückt werden. Daher handelt es sich bei Binge Eating
um eine Form von Vermeidungsverhalten. Wie auch bei anderen Essstörungen gibt es zur Entstehung
und Funktion dieses Essverhaltens jedoch unterschiedliche Theorien. In der Ernährungspsychologie
gibt es die Theorie, dass so genanntes „gezügeltes Essverhalten“ ein Risikofaktor für das Entstehen
von Essstörungen ist, vor allem für Bulimie und Binge Eating.
Therapie
In der Therapie wird eine Normalisierung des Essverhaltens angestrebt, wobei auch die auslösenden
psychischen Probleme behandelt werden. Ziel ist in erster Linie das Zurückerlangen der Kontrolle
über das Essverlagnen. Unterstützend
kann eine Therapie mit Antidepressiva wie SSRI
Reduktion der Frequenz eingesetzt werden.
28
zur
Esssucht
Adipositas ist als die sozialmedizinisch bedeutsamste Form der Essstörung anzusehen. Man
diagnostiziert sie ab einem Body-Mass-Index von über 30. Es wird davon ausgegangen, dass etwa
jeder 3. erwachsene Bundesbürger deutlich übergewichtig ist und aus medizinischen Gründen Gewicht
abnehmen sollte. Dies hat zur Folge, dass 5 – 10 % der Krankheitskosten in Deutschland und anderen
Industrieländern der Adipositas bzw. ihren Folgeerkrankungen zuzurechnen sind. Traditionell wird die
Adipositas jedoch nicht als (primär) psychische Störung angesehen, obwohl sowohl eine Vielzahl von
ursächlichen Faktoren als auch Folgeproblemen psychiatrische Relevanz haben. Auch in den
modernen psychiatrischen Klassifikationssystemen wird das Übergewicht nicht als eigenständige
Störung klassifiziert. Es gibt aber ernst zu nehmende Hinweise darauf, dass der psychische Prozess,
der das Entstehen von Adipositas begünstigt, dem psychischen Prozess bei den typischen
Essstörungen, also der Anorexie und der Bulimie, zumindest ähnlich ist.
Betroffene der sogenannten Ess-Sucht leiden unter den ständigen Gedanken an Essen. Es besteht eine
Art "psychische Abhängigkeit" von Nahrung. Die betroffenen Menschen haben die Kontrolle über ihr
Eßverhalten verloren und sind durch die sie überkommenden Eßanfälle sowie den Jojo-Effekt von
Schnell-Diäten meist leicht bis stark übergewichtig - ein Zustand, unter dem sie stark leiden. Diese
Störung betrifft alle Altersgruppen und beide Geschlechter. Auch hier finden sich in der Regel
psychosoziale Missstände in familiärem Umfeld, Beziehung, Beruf oder ähnlichem. Therapeutisch
haben
sich
vor
allem
systemische
(familientherapeutische),
verhaltenstherapeutische,
gestalttherapeutische und psychoanalytische Verfahren bewährt, und zwar in Form von Gruppen- oder
Einzeltherapien.
29
3. Psychoonkologie
Antonia Ramisch und Gözde Polat
Psychoonkologie (aus Psychologie und Onkologie) befasst sich mit der psychologischen
Betreuung von Patienten die an Krebs leiden.
Folgende Themen werden hier behandelt:
1.
2.
3.
4.
Die „Krebspersönlichkeit”
Die Diagnose Krebs
Der Patient als Familienmitglied
Probleme in der Arzt-Patienten-Beziehung
1.Die Krebspersönlichkeit
1.1. Typus C (cancer-prone) nach Lydia Temoshok
In den 1970er-Jahren begann zunächst man mit der Untersuchung von psychosozialen
Faktoren, die für die Entstehung einer Krebserkrankungen mitverantwortlich sein sollten
(Psychoimmunologie).
Die amerikanische Virologin Lydia Temoshok entwickelte in den achtziger Jahren ein
mögliches Modell: den Typus C (cancer-prone). Dieses Modell baute sich auf möglichen
krebsdisponierenden psychologischen Persönlichkeitsmerkmalen auf.
Nach Temoshok wies eine Krebspersönlcihkeit, ein Typ C Mensch also, folgende
Eigenschaften vor:




emotional eingeschlossener Typus
Tendenz zu Hilf- und Hoffnungslosigkeit
kooperativ, geduldig, rational
Alexitymie und Unfähigkeit, Ärger auszudrücken
Darunter fällt auch u.a. auch die Hypothese der depressiven Persönlichkeit. Viele dieser
Eigenschaften beschreiben den Umgang mit Stresssituationen. Typ C zeigt sich hier öfters
überfordert und kommt nicht so gut zu recht. Die Auswirkungen seien dann neuro-endokrine
Faktoren (spezifische Hormonlage und damit beeinflusste Immunabwehr), die die
Krebsabwehr erschwerten.
Mittlerweile verwirft die Wissenschaft das Konstrukt der „Krebspersönlichkeit“ weitgehend.
30
Andererseits ist jedoch bekannt, dass unsere Psyche die Lebensgewohnheiten beeinflusst und
daher auch unsere Bereitschaft zu krebsförderndem oder -hemmendem Verhalten. Ein
Mensch, der sich leicht „aufregt“ raucht und trinkt (bekannter krebsfördernder Faktor)
vielleicht mehr. Ein solcher Lebensstil kann durchaus zur Tumorentstehung beitragen und
natürlich den Krankheitsverlauf beeinflussen.
Klar ist auch, dass negative Erfahrungen sich auf die Lebensweise auswirken können. Die
Betroffenen sind ohne Antriebbewgen sich weniger, die Ernährung ändert sich und sie gehen
generell unbewusst schlechter mit ihrem Körper und ihrer Gesundheit um. So ein verhalten
kann sich auch wieder auf die Krebserkrankung auswirken.
Dennoch ist man der Meinung das die Krebserkrankung einen multifaktoriellen
Entstehungsmechanismus hat. Und somit ist eine depressive Persönlichkeit nicht die Ursache
einer Krebserkrankung. Diese Betrachtungsweise wäre monokausal und zu einfach.
„Fazit :
Psychische Faktoren haben auf die Entstehung von Krankheit einen Einfluss, aber ein
Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsstruktur und der Entstehung einer Krebserkrankung
ist nicht belegt.“1
Bei vielen Menschen ist dieser Glaube an die Krebspersönlichkeit aber noch tief verwurzelt
und im Alltagsdenken erfreut sich dieses Konzept noch immer einer recht großen Popularität.
„40% der Australier glauben, dass Stress Krebs auslöse, und 38% der Kanadierinnen glauben,
dass Stress die Ursache von Brustkrebs sei. “2 Für viele Krebspatienten in der Hinsicht auch
die Alternativmedizin und andere Konzepte in der Therapie eine große Rolle.
1.2. Folgen einer Krebserkrankung
Seit den 1990er Jahren beschäftigt sich die Psychoonkologie vor allem mit der schweren
psychischen Belastungen, die nach der Diagnose Krebs den Patienten erwarten. „Einige
Autoren gehen davon aus, dass bei etwa einem Drittel aller Krebspatienten infolge der
schweren psychischen Belastung durch die Grundkrankheit auch eine psychische Störung im
Sinne einer Komorbidität (Begleiterkrannkung einer Grunderkrannkung) auftritt.“3
2. Die Diagnose Krebs
„Viele Patienten erleben die Diagnose Krebs zunächst als einen Sturz aus der Wirklichkeit.
Plötzlich wirkt es, als stünde man neben sich und die Konfrontation mit der Erkrankung fühlt
sich an wie ein Alptraum, aus dem man am liebsten wieder aufwachen möchte. Das Vertrauen
in das eigene Leben und den eigenen Körper werden erschüttert. Gefühle wie Verständnisund Hilfslosigkeit dominieren die Gefühlswelt ebenso wie Wut, Verzweiflung und Angst.
1
http://www.sonnenberg-klinik.de/krebspersoenlichkeit.html
Drs. Sicco Henk van der Mei,
Leiter der Abteilung für Psychoonkologie, Psychologe und Psychotherapeut, Bewegungswissenschaftler
(Medizin), Physiotherapeut
2
http://www.psiram.com/ge/index.php/Krebspers%C3%B6nlichkeit
3
http://de.wikipedia.org/wiki/Psychoonkologie
31
„Krebs“ – trotz stetig verbesserter Therapiemöglichkeiten und guter Heilungschancen für
bestimmte Erkrankungen steht das Wort noch immer als Synonym für Schmerzen, lange
Behandlungsphasen oder sogar für das Lebensende. Es ist völlig normal, dass man diese
Diagnose zunächst nicht wahrhaben möchte und ein gesunder Mechanismus der Seele, sich zu
schützen und zunächst zu verdrängen. Einige Betroffene stellen das ganze Leben auf den
Prüfstand und hinterfragen Dinge, die sonst als gegeben hingenommen werden. In vielen
Fällen steht die Frage nach dem „Warum?“ im Mittelpunkt. Diese kann jedoch niemand
beantworten. Wichtiger ist es, das „Warum?“ in ein „Wozu?“ umzuwandeln. „Wozu ist die
Krankheit vielleicht hilfreich? Wozu kann sie genutzt werden?"“4
Diagnose
Schock, Chaos, Absturz
Abwehr
Rückzug, Betäubung
Angst, Derpression, Wut, Ärger
Auseinandersetzung
Durcharbeiten
relativer Abschluss
Abb. 1.5
Es ist wichtig, dass sowohl Ärzte und Pflegepersonal, als auch Angehörige sich bewusst sind
darüber, das die meisten Krebspatienten nicht an einer primären psychischen Krankheit
leiden, sondern das es sich bei Ärger, Depression, Angst und Wut um eine psychische
Reaktion auf die Diagnose Krebs handelt.
Die Patienten haben zum Beispiel oft Angst (Meerwein 1991):






vor sozialer Isolation,
vor verstümmelnden chirurgischen Eingriffen,
vor Verlust von Autonomie und Lebensqualität,
vor Neid und Eifersucht auf die Gesunden,
vor Schmerz,
vor Rückfall und Unheilbarkeit.
2.1.Die Diagnosemitteilung
Bei der Diagnosemitteilung gelten die allgemeinen Regeln:
 Die Informationen in der Sprache des Patienten weidergeben,
 eine thematische Gliederung durchziehen,
 und sich rückverscihern, ob der Patient den Inhalt auch verstanden hat.
4
http://www.vivantes.de/krebserkrankungen/fuer-patienten-und-angehoerige/diagnose-krebs-wie-geht-esweiter/leben-mit-der-diagnose/umgang-mit-der-diagnose-krebs/
5
Grob Übernommen von Psychosomatische Grundversorgung; Fritzsche, Geigges, Richter & Wirsching
32
Als Arzt sollte man sich für so ein Gespräch genügend vorbereitetet haben und sich auch ein
Zeitfenster lassen. Es muss für eine ruhige Gesprächsatmosphäre gesorgt werden (in einem
separaten Raum, ohne Störung). Im Gespäch sollte man immer Hoffnung offen lassen, jedoch
keine Illusionen nähren.
2.2.Krankheitsverarbeitung-coping
Unter Coping versteht man jedes Verhalten des Patienten , um eine krankheitsbedingte
Belastung zu überwinden. Man unterscheidet zwischen bewussten und unbewussten
Copingstrategien (Abwehrmechanismen)
Zu den bewussten Copingstrategien gehört etwa die Verarbeitung durch Handlungen, z.B.
zupacken, sich ablenken. Die Verleugnung ist die wichtigste Abwehrform. Sie ist ein
Mechanismus bei der die Erkrankung und die dadurch resultierenden Folgen ausgeblendet
werden. Durch diese Verleugnung kann der Patient eine sonst nicht erträgliche Situation
erträglich machen. „Verleugnung kann übermäßige Angst, Hoffnungslosigkeit, Depression,
und auch regressives Verhalten reduzieren und zurückdrängen.“6
Weitere Abwehrmechanismen: Projektion, kontraphobische Abwehr, Rationalisierung und
Verschiebung, Verkehrung ins Gegenteil, Verleugnung und Projektion im rahmen der
Partnerschaft.
Verarbeitungsstrategien die sich im Bezug auf Lebensqualität und Überlebenszeit als
günstig erwiesen haben:
aktives, problemorientiertes Coping
kämpferische Einstellung gegenüber der
Krankheit
aktive Verleugnung
soziale Unterstützung
ungünstig erwiesen haben:
Unterdrückung von Gefühlen
sozialer Rückzug, Isolation
passive Hinnahme, Resignation, Grübeln
Depression, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit
Abb. 2. 7
3. Probleme in der Arzt Patienten Beziehung
Ärztinnen und Ärzte sind in der Behandlung krebskranker Patienten einer starken psychischen
und emotionalen Belastung ausgesetzt. Für den Patienten ist der Arzt sowohl eine kompetente
Fachperson, als auch ein wichtiger Ansprechpartner im Laufe seines Krankheitsprozesses.
Deshalb ist es sehr wichtig, das zwischen Arzt und Patient ein gegenseitiges Vertrauen
herrscht, in dem der Patient seine Sorgen, Bedenken und Fragen jederzeit äussern kann.
6
7
Psychosomatische Grundversorgung; Fritzsche, Geigges, Richter & Wirsching
Psychosomatische Grundversorgung; Fritzsche, Geigges, Richter & Wirsching
33
Jedoch kann es aus der Sicht des Arztes zu Abgrenzungsproblemen kommen. Durch die
ständige Konfrontation mit Krebskranken kann der Arzt sich durch das Leid des Patienten
emotional betroffen fühlen, z. B. im Rahmen des Aufklärungsgespräches oder aufgrund eines
langen Krankheitsprozesses.
Identifikation und Mitgefühl ist im Arztberuf zwar unerlässlich, aber kann auch zu
Schwierigkeiten führen, wenn die Trennung zwischen beruflicher Haltung und persönlicher
Betroffenheit nicht mehr funktioniert. Dies ist vor allem bei Patienten der Fall, die uns an
unsere eigene Familie und Freunde erinnern und mit denen man vielleicht die selben
Interessen hat und einen engen Kontakt aufbaut, wodurch die emotionale Distanzierung sehr
schwierig wird.
Es ist beispielsweise eine Herausforderung einer Mutter von kleinen Kindern die Diagnose
Krebs mitzuteilen wenn man selbst Mutter ist und Kinder hat.
Es ist auch sehr wichtig, die Gefühle nicht zu verleugnen, sondern zuzulassen und die Gefühle
des Patienten von den eigenen unterscheiden zu können, und sie nicht auf sich zu übertragen.
Wenn dies nicht funktioniert, dann kommt es zu Abwehrmechanismen wie zum Beispiel die
Vermeidung eines Gesprächs oder kürzere Verweildauer am Krankenbett.
Weitere Belastungen die bei Ärzten auftreten können sind das Gefühl der Hilflosigkeit
gegenüber unheilbar Kranken, sowie der Tod mehrerer Patienten, was zu Schuldgefühlen und
zur Enttäuschung des professionellen Selbstbildes führen kann.
Im Rahmen der psychosomatischen Fortbildung kann der Arzt mit der Zeit sowohl eine
emotionale Nähe als auch eine notwendige Distanz gegenüber dem Patienten erlernen und
aufrechterhalten.
Der Arzt kann sich aber auch in Umgang mit den Patienten überfordert fühlen, wenn diese
beispielsweise verschlossen, anklammernd oder weinerlich sind.
Dies kann beim Arzt Resignation, Rückzug, aber auch Aggression auslösen und die weitere
Zusammenarbeit schwer beeinträchtigen.
Der Arzt muss sich aber in den Patienten hineinversetzen können, denn für den Patienten ist
es eine komplett neue Lebenssituation, und das Ungewisse was nun jetzt mit ihm passieren
wird angsteinflößend.
Es ist wichtig, dass sich der Erkrankte bei seinem Arzt wohlfühlt und ihm vertrauen kann.
Der Arzt muss in der Lage sein, sich auf den Patienten einzustellen, so dass er sich verstanden
fühlt.
Dadurch wird er sich nicht einsam und isoliert fühlen und wird nach dem ersten Gespräch
schon sichtlich erleichtert sein.
Es sollte eine Atmosphäre geschaffen werden, indem der Patient seine Gedanken und Gefühle
ohne Scham mitteilen kann.
34
4. Der Patient als Familienmitglied
Wenn jemand in der Familie an Krebs erkrankt, stellt dies nicht nur eine grosse Belastung für
den Betroffenen dar, sondern auch für sein Umfeld.
Die gesamte Lebensplanung der Familie wird aus der Bahn geworfen und häufig kommt es
auch zu einer Störung der Partner- und Familiensituation.
Es ist eine Diagnose die zweifelsohne Angst macht, die von Trauer, Einsamkeit und
Hilflosigkeit begleitet wird. Nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für die
Familie.
Die Angehörigen wissen oftmals nicht wie sie mit der Situation umgehen sollen und sind
überfordert und unsicher im Umgang mit dem Krebspatienten.
Sie stehen plötzlich vor der Situation, neben Berufstätigkeit, Familie und gesellschaftlichem
Leben auch die Krankheit eines geliebten Menschen bewältigen zu müssen.
Deshalb ist es wichtig, das sich die Familie über die Krankheit und die
Behandlungsmöglichkeiten informiert um so die Angst vor einer veränderten Lebenssituation
zu vermindern.
Anfangs fällt es den Angehörigen oft schwer ihre Sorgen und Ängste zu vermitteln, da sie den
Betroffenen nicht noch mehr unnötig belasten wollen. Aber es ist wichtig, von Anfang an
ehrlich, offen und vertrauensvoll miteinander zu sein um eine positive Atmosphäre zu
schaffen.
Oft werden die eigenen Probleme verglichen mit dem des Kranken als herabstufend gesehen
und nicht mitgeteilt.
Aber der Erkrankte möchte nicht die ganze zeit bemitleidet werden sondern eine Normalität
erleben. Er braucht zwar das Gefühl Hilfe und Unterstützung zu bekommen, aber er möchte
nicht das man sich ununterbrochen mit seiner Krankheit beschäftigt und ihn bemitleidet.
Es ist wichtig, das der Krebskranke positive Gedanken bekommt und nicht die Hoffnung
verliert die Krankheit zu besiegen.
Wenn aber Angehörige mit der ganzen Situation überfordert sind und nur noch darüber reden
wie schlimm alles sei und bei jeder gegebenen Gelegenheit anfangen zu weinen, wird das den
Erkrankten nicht ermutigen zu kämpfen, sondern wird ihn darin bestätigen, dass alles
hoffnungslos ist.
Die Krankheit darf aber auch nicht völlig ignoriert werden, indem so getan wird, dass alles in
Ordnung sei und alles so wie früher wird.
Dies kann nämlich dazu führen, das sich der Patient nicht ernst genommen fühlt.
Der Krebs stellt häufig auch eine Bedrohung der Partnerschaft dar. Auch hier muss zunächst
ein Weg geschaffen werden, um über Ängste und Sorgen reden zu können.
35
Nicht nur der Erkrankte hat Angst, sondern auch der Partner hat Angst um den anderen und
Angst davor was auf ihn zukommen wird, ob er überhaupt der Situation gewachsen ist.
Viele Partnerschaften zerbrechen leider an dieser Belastung, aber einige wiederum finden
noch mehr zu einander und bekräftigen und unterstützen sich gegenseitig.
Quellen
Psychosomatische Grundversorgung; Fritzsche, Geigges, Richter & Wirsching
http://www.sonnenberg-klinik.de/krebspersoenlichkeit.html
Drs. Sicco Henk van der Mei,
Leiter der Abteilung für Psychoonkologie, Psychologe und Psychotherapeut, Bewegungswissenschaftler
(Medizin), Physiotherapeut
http://www.psiram.com/ge/index.php/Krebspers%C3%B6nlichkeit
http://de.wikipedia.org/wiki/Psychoonkologie
http://www.vivantes.de/krebserkrankungen/fuer-patienten-und-angehoerige/diagnose-krebs-wie-gehtes-weiter/leben-mit-der-diagnose/umgang-mit-der-diagnose-krebs/
36
4. Frauenheilkunde in der psychosomatischen Medizin
Miriam Füger
Psychosomatische Erkrankungen in der Frauenheilkunde manifestieren sich an den
weiblichen
Geschlechtsorganen,
die
mit
Sexualität,
Reproduktion und
weiblicher
Identifikation assoziiert sind. Durch physische, psychische und sozialen Veränderungen in
geschlechtsspezifischen Lebensphasen wie Pubertät, Schwangerschaft, Wochenbett oder
Klimakterium können sich psychosomatische Krankheitsbilder entwickeln.
Hier werden 2 Beispiele aus dem Bereich kurz dargestellt.
Klimakterium
Klimakterium ist hauptsächlich durch den Begriff Wechseljahre bekannt und wird als ein
„kritischer Zeitpunkt im Leben“ bezeichnet. Dieser Begriff umfasst einen über mehrere Jahre
andauernden Prozess von der Fruchtbarkeit der Frau bis zum Versiegen der ovariellen
Hormonproduktion und somit zur definitiven biologischen Infertilität. Dieser natürliche
Prozess findet meist zwischen dem 45. und 55. Lebensjahr statt. Gekennzeichnet ist das
Klimakterium durch Veränderungen im Hormonhaushalt und einen Abfall des Östrogen- und
Progesteronspiegels, welche mit Zyklusstörungen einhergehen und eine charakteristische
Symptomatik hervorrufen. Im Zentrum der Wechseljahre einer Frau steht die Menopause,
welche der letzte natürlich auftretenden Regelblutung im Zyklus einer Frau entspricht. Die
Zeitspanne der Wechseljahre in denen die Veränderungen im Zyklus auftreten ist die
Prämenopause. Die Postmenopause entspricht dem Zeitpunkt nach einem Jahr der letzten
Regelblutung.
Häufig auftretende vasmotorische Beschwerden des Klimakteriums sind Hitzewallungen,
Schweißausbrüche, verstärkte sowie abgeschwächte Blutungen, Schlafstörungen, Schwindel
und Kopfschmerzen. Eine weitere spezifische Symptomatik wie Haarausfall, innere
37
Unruhezustände,
Atemnot,
Schlafstörungen,
Kribbeln,
Konzentrationsstörungen,
Gelenkbeschwerden,
Müdigkeit,
Knochenschmerzen,
Muskelschmerzen kann dominieren. Im weiteren Verlauf
Herzklopfen,
Harninkontinenz
und
kann der Östrogenmangel die
Entstehung von Spätfolgen wie Osteoporose und kardiovaskuläre Erkrankungen begünstigen.
Der Östrogenmangel bedingt außerdem eine Reihe von genitalen Veränderungen wie
Scheidentrockenheit und die Atrophie der Scheidenhaut. Somit kann das Klimakterium auch
die Sexualität der Frau beeinflussen. Häufig kommt es zu Schmerzen während dem
Geschlechtsverkehr
(Dyspareunie)
und
einem
abnehmendem
sexuellen
Interesse
(Libidoreduktion), welches die Beziehung zum Partner erheblich beeinflussen und emotional
sehr belastend für die Frau sein kann.
Das Klimakterium kann ebenso Auswirkungen auf die Stimmungen haben. Viele Frauen
unterliegen depressiven
Verstimmungen,
Antriebslosigkeit, Stimmungsschwankungen,
plötzlich eintretende Weinkrämpfe und Niedergeschlagenheit. Häufig zeigt sich in dieser
Phase ein eingeschränktes Selbstwertgefühl, viele Frauen sind von Angstgefühlen geplagt und
es werden gesteigerte Irritabilität und Nervosität beobachtet. Zusätzlich kann die
Symptomatik von äußeren Lebensumständen wie berufliche Erfolge, soziale Beziehungen,
Auszug der Kinder oder die eigene Pensionierung maßgeblich beeinflusst werden.
Pelvipathie-Syndrom
Das Pelvipathie-Syndrom, auch chronisches Beckenschmerzsyndrom, chronic pelvic pain
syndrom (CPPS) oder Pelvipathie nervosa, vegetativa genannt sind chronische oder
rezidivierende Unterbauchschmerzen bei Frauen, welche über einen Zeitraum von bis zu 6
Monaten anhaltend auftreten und unabhängig von Zyklus oder Geschlechtsverkehr sind. Meist
sind Frauen im Alter zwischen 25. und 40. Lebensjahr am häufigsten betroffen. Die
Schmerzen können bis in die Leistenregion ausstrahlen und treten neben Bauch- und
Beckenbodensymptomatik häufig in Kombination mit Dysmenorrhoe, Kopfschmerzen,
urogenitalen Beschwerden (Pollakisurie, Schmerzen beim Wasserlassen, Reizblase), anale
Beschwerden (Juckreiz, Krämpfe und Schmerzen bei der Darmentleerung), prämenstruelle
Schmerzen, nicht-organischer Flour vaginales, Juckreiz in der Vaginalgegend und
Depressionen. Es gibt verschiedene Ursachen, die in Frage kommen. Somatisch bedingt treten
38
am häufisten Endometriose, Myoma und Adhäsionen auf. Häufiger kann das PelvipathieSyndrom jedoch durch psychische Auslöser hervortreten. Beispiele dafür sind sexuelle
Störungen, unbewältigte Konflikte in der Partnerschaft, einem vorgefallenen Missbrauch,
traumatische Ereignisse in der Kindheit oder eine ausgeprägten Persönlichkeitsstörung. Durch
den erhöhten psychischen Druck kann es bei wiederholtem Erleben des Konfliktes zu einer
Anspannung des Unterleibs kommen und dauerhafte Schmerzen auslösen. Dadurch wird die
Lebensqualität der Betroffenen erheblich einschränkt.
Literatur:
Neises, M., Ditz, S., Spranz-Fogasy, T., Hrsg. (2005) Psychosomatische
Gesprächsführung in der Frauenheilkunde. Ein interdisziplinärer Ansatz zur verbalen
Intervention. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
Klußmann Nickel (2009) : Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Springer
Wien New York, S. 455.
39
5. Psychosomatik in der Schwangerschaft
Ulrike Ihle
Eine gesunde Schwangerschaft und die darauf folgende Geburt ist wohl eines der schönsten
Erlebnisse eines jeden Paares. Kommt es in dieser erwartungsfrohen Zeit zu Komplikationen,
ist dies mit schweren psychischen Belastungen verbunden.
Bei der Verarbeitung der vielen möglichen Komplikationen spielt die Psychosomatik eine
wesentliche Rolle.
Der kommende Abschnitt beschäftigt sich mit den am häufigsten auftretenden Problemen und
deren Bewältigung.
Hyperemis gravidarum
8
Dieses Syndrom ist die übersteigerte Form der Emis gravidarum, der bekannten
Morgenübelkeit, zum Beginn der Schwangerschaft.
Betroffen sind vor allem Erstgebärende und Frauen mit Mehrlingsgeburten.
Es kommt zum mehrmaligen täglichen Erbrechen, welches verschiedene Symptome zur Folge
hat wie:
-
Trockene Zunge , Durstgefühl und gerötete Schleimhäute als Zeichen der
Dehydration, sowie
-
Stoffwechselstörungen, wie Hypoglykämie und fruchtartiger Mundgeruch.
Für den Fetus besteht die Gefahr der Mangelernährung und Elektrolytstörungen.
Dies stellt natürlich neben den klinischen Folgen auch eine hohe psychische Belastung für
beide werdende Elternteile dar.
Meist ist eine stationäre Aufnahme mit Flüssigkeitsbilanzierung und parenteraler Ernährung
unabdingbar. Auch die fürsorgliche Zuwendung von Geburtshelfer und Partner sind wichtig
bei der Therapie, um eine Befriedigende Symbiose zwischen Mutter und Kind zu
gewährleisten.
Habitueller Abort
8
9
http://flexikon.doccheck.com/de/Emesis_gravidarum, 03.05.2014
Klußmann Nickel: Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. SpringerWienNewYork, 2009,S.455
40
Unter habituellen Abort versteht man das aufeinanderfolgen von drei oder mehr spontanen
Fehlgeburten. Grundsätzlich kann man die allgemeine Abortrate mit 20% ansetzen. Die
Ursachen können vielfältig sein.
Möglichkeiten welche man in Betracht ziehen kann sind:
-
Antiphospholipid Syndrom
-
Diabetes mellitus der Mutter
-
Blutgruppenunverträglichkeit
-
Thrombophilie
-
Genetische Ursachen ( Chromosomenaberrationen)
-
Chronische Infektionen
Auch psychische Faktoren können hierbei eine Rolle spielen. Dazu gehören Stress oder
Trennung und ambivalente Einstellung zum Fetus, gerade bei jungen Müttern, welche sich der
bevorstehenden Aufgabe nicht gewachsen fühlen.
Es macht natürlich einen Unterschied, ob der Abort am Anfang der Schwangerschaft, oder in
der 35. Schwangerschaftswoche vonstatten geht.
Grundsätzlich sollte man jedoch beide Traumata nicht unterschätzen. Vor allem dank den
heutigen technischen Möglichkeiten findet die „Personifizierung des Embryos“ viel früher
statt als noch vor 20 Jahren. Dadurch entwickeln Frauen schon viel eher eine intensive
Bindung zum erwarteten Kind, welche durch den Abort ein abruptes Ende nimmt. Versagensund Schuldgefühle bis hin zu Kränkung des positiven Selbstwertes sind die Folge.
Offene Gespräche und eine gute soziale Unterstützung sind wichtig bei der Bewältigung des
Traumas. Auch der Partner sollte mit einbezogen werden, da auch er Trauer erlebt.
Ärzte und Pflegepersonal sind dazu angehalten, den Betroffenen die Zeit zum trauern
einzuräumen.
Angst-Spasmus-Syndrom 10
Die Angst vor Wehen vor allem bei Erstgebärenden oder bei Frauen mit negativen
Geburtserlebnis kann zu einem Angst-Spasmus-Syndrom führen.
9
http://flexikon.doccheck.com/de/Habitueller_Abort
Klußmann Nickel: Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. SpringerWienNewYork, 2009,S.456
10
Klußmann Nickel: Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. SpringerWienNewYork, 2009,S.457
41
Dies führt bei der Geburt zu einem Regelkreis.
Mit den einsetzenden Wehen kommt es zur Verkrampfung psychischer, vegetativer und
muskulärer Art. Dadurch steigt die Überempfindlichkeit und der Wiederstand gegen die
zervikale Öffnung, was folglich zu einem stärkeren Schmerz und daraus resultierender Furcht
und noch größerer Verkrampfung führt.
Das Ergebnis ist eine verlängerte Geburt und folgendes negatives Geburtserlebnis.
Um dieses Problem zu vermeiden ist ein besonders einfühlender Umgang seitens des
Pflegepersonals zu empfehlen. Während der Arzt Akzente der Sicherheit setzt besteht vor
allem die Aufgabe der Hebamme in der Zuwendung und Beruhigung der gebärenden Mütter.
Die Anwesenheit des Partners als Vertraute Bezugsperson gewinnt an immer größerer
Bedeutung bei der Verarbeitung der Wehen.
Weiterhin wird durch frühes Anlegen des Neugeborenen der sofortige Kontakt zwischen
Mutter und Kind gefördert, wodurch das Erlebnis der Geburt viel schneller verarbeitet wird.
Schwangerschaftsabbruch 11
Es gibt vielerlei Gründe einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen.
Rechtlich erlaubt ist er ohne medizinische Indikation bis Ende der 12.
Schwangerschaftswoche, wobei in Deutschland eine ärztliche Beratung Voraussetzung dafür
ist.
Ein Abbruch ist immer eine schwierige Entscheidung. Die psychische Belastung ist vor dem
Eingriff meist am größten, aber auch danach leiden Frauen unter Reue und Traurigkeit.
Es gibt verschiedene Methoden mit dieser schmerzlichen Erfahrung umzugehen, wobei dem
Umfeld auch eine große Bedeutung zukommt.
Eine Art ist die Verleumdung, in der die Betroffenen versuchen die Gedanken an die
Abtreibung zu verdrängen und sich abzulenken.
Auch die Schuld auf andere zu schieben stellt eine Möglichkeit dar, um sich von
Schuldgefühlen zu befreien.
Eine weitere Methode ist die Konfrontation und ständige Rekapitulierung des Geschehenen
zur schnelleren Verarbeitung und Stärkung des Ichs.
11
http://www.svss-uspda.ch/de/facts/psychisch.htm
Klußmann Nickel: Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. SpringerWienNewYork,
42
2009,S.458
Je nach Grund der Abtreibung und in welchem Trimenon diese stattgefunden hat, kann es
auch zu Spätfolgen wie Angst und Depression kommen.
Vor allem Frauen, welche auf Grund fötaler Missbildungen in einem späteren Trimester den
Abbruch vornehmen, zeigen ähnliche psychologische Reaktionen, wie Frauen mit Tot - oder
Fehlgeburt.
Diese Situationen bedeuten die Notwendigkeit einer Schwangerschaftskonfliktberatung oder
einer geeigneten Therapie dar.
43
6. Psychosomatik in der Kinder- und Jugendheilkunde
Olivia Levin
In der Kinder- und Jugendheilkunde ist das Thema Psychosomatik besonders wichtig. Kinder
reagieren auf emotionale Schwierigkeiten sehr oft mit Organbeschwerden und daher ist es
wichtig schon die ersten Zeichen einer Erkrankung zu entdecken, um weitere Folgen zu
verhindern.
Grundstein für die gesunde Entwicklung eines Kindes ist die Mutter-Kind-Beziehung. Da die
Bindung schon als Säugling beginnt, wird das Kind auch durch die Körpersprache und die
Gefühle der Mutter beeinflusst.
In der Kinderheilkunde gibt es sehr viele Psychosomatische Störungen, ich werde hier auf die
sieben wichtigsten Eingehen.
1. Kopfschmerz
Es gibt organische (z. B. Hirntumor), vaskuläre und psychogen bedingte Kopfschmerzen.
Um eine Diagnose zu stellen, ist in erster Linie eine exakte Anamnese erforderlich. Hierbei
gilt es zuerst die Qualität des Kopfschmerzes zu erkennen und zu analysieren. Dadurch kann
dann zwischen organischen und psychischen Ursachen unterschieden und die entsprechende
Behandlung eingeleitet werden.
Die unterschiedlichen Stellen des Kopfschmerzen, verraten viel über die Ursache des
Schmerzens:
Wie zum Beispiel
Schmerzen an der/den…
- …Schläfe beidseits, sprechen für Spannungsschmerz
- …Stirn steht für Flüssigkeitsmangel
- …einseitiger Schmerz sprich für Migräne
- …Hinterkopf ist das Zeichen für Überlastung oder Verspannung
Die Ursachen können sehr unterschiedlich sein und reichen von Schulangst, über
Überforderung, über „Zickenkriege“ unter Freundinnen bis hin zu familiären Problemen. Der
Leistungsdruck kann einerseits von der Schule andererseits von den Eltern ausgeübt werden.
Die Kinder können dann so belastet sein, dass es ihnen gar nicht mehr gelingt, sich zu
entspannen, sie vermeiden Treffen und können nicht mehr kindgerecht spielen.
Sehr wichtig ist es dabei in der Anamnese zu erfragen, wann der Kopfschmerz am stärksten
ist und ob vor Auftreten der Schmerzen wesentliche Änderung im Leben des Kindes
passierten.
44
Bei der Therapie ist es auch sehr wichtig, dass in erster Linie zur Behebung der Ursachen,
auch Gespräche und Zuwendung durch Bezugspersonen unterstütz werden.
2.Bauchschmerz
Um bei einem Kind herauszufinden, ob es sich um einen organischen oder psychosomatischen
Bauchschmerz handelt, ist das Erfragen der Umstände sehr wichtig, dabei ist es sehr hilfreich
verschiedene Schmerzqualitäten , wie Pochen, Stechen, Drücken anzuführen und
Herauszufinden welche Position oder Handlung am ehesten Erleichterung bringt.
Kinder mit organischen Bauchschmerzen zeigen meist Beschwerden, wie Blässe, Schweiß,
einen geblähten Bauch und lokale Schmerzen, sie wollen sich hinlegen , sind appetitlos und
sind wortkarg.
Kinder mit psychosomatischen Problemen neigen oft dazu, theatralisch zu berichten und zu
zeigen, „wann es wo-wie“ wehtut, es kommt beim Hinlegen zu keiner wesentlichen
Besserung, der Schmerze wird oft abends beim Zubettgehen wieder sehr stark, je nachdem
welche Probleme vorliegen.
Wenn man die Kinder auffordert zu springen und sie dann schnell fragt wo es „weh tut“,
wissen sie es nicht.
Mögliche Ursachen von funktionellen Bauchschmerzen:
1. Sexueller Missbrauch:
Bei Sexuellen Missbrauch ist der Schmerz meist um den Nabel lokalisiert. Eine
Unterbauchuntersuchung ist nicht möglich, die Kinder wehren sich heftig, halten die Hose
fest und erzählen über schlimme Träume.
2. Mangelnde Zuwendung:
Die Kinder wissen, dass sich bei Bauchschmerzen die Mutter – oder die vertraute
Bezugsperson - zu ihnen setzt, den Bauch massiert und etwas Besonderes kocht – es
bekommt Einzelzuwendung und fühlt sich ernst genommen.
3. Bettnässen /Enuresis
Definition: unwillkürliches Urinieren nach dem 3. / 4. Lebensjahr, ohne dass eine körperliche
Ursache vorliegt.
Bettnässen ist ab dem 5. Lebensjahr ein Krankheitszeichen, tritt bei Jungen doppelt so häufig
auf wie bei Mädchen und ist sehr oft familiär. Es handlt sich dabei um eine
Reifungsverzögerung der Blasenfunktion. Die Hauptproblematik liegt am Druck, der auf die
Kinder ausgeübt wird, denn 80% der Kinder werden bis zum 7. Lebensjahr ohnehin trocken.
Es gibt zwei Formen des Bettnässens:
1. Enuresis nocturna prima: Bettnässen kommt immer vor und ist situationsunabhängig,
das Kind war nachts nie sauber.
45
2. Enuresis nocturna secundaria: Bettnässen kommt nur in speziellen Situationen vor z.
B. Belastung, das Kind war schon einmal trocken.
Spätestens mit fünf Jahren soll eine organische Untersuchung mit genauer Anamnese und
Ultraschaluntersuchung der Nieren durchgeführt werden.
Das Bettnässen zeigt meist Schwierigkeiten in der Familie auf.
Es gibt verschiedene Verhaltensweisen von Enuresiskindern:
1. den ängstlichen, unsicheren leistungsbemühten,
2. den phlegmatischen und
3. den überkompensierten forschen Typ.
Direkt beim Einnässen empfindet das Kind zuerst ein angenehmes Empfinden von Wärme
durch den warmen Urin, jedoch unbewusst ist es ein aggressiver Akt gegen eine
Bezugsperson, sehr oft die Mutter.
4.Enkopresis/Einkoten
Definition: unbemerkter, unwillkürlicher Kotabgang.
Im Hintergrund steht häufig die unbewusste Verknüpfung der Defäkation mit der Vorstellung,
etwas Eigenes herzugeben, also ein „Loslassproblem“
Meist entwickelt sich die Problematik durch Verstopfung, die Kinder haben dann Schmerzen
beim Stuhlen und halten zurück, wodurch es zu einer Erweiterung des Rektums kommt. In der
Folge gewöhnt sich das Kind an das Gefühl des vollen Enddarms und verliert das Gefühl für
die Stuhlregulierung. Da der Stuhl zulange im Rektum ist, entstehen Stuhlsteine, der flüssige
Stuhl rinnt an den Stuhlsteinen vorbei und es kommt zum sogenannten „Stuhlschmieren“.
Die Therapie ist sehr schwierig weil es meist schon organische Veränderungen gibt, daher ist
es ganz wichtig schon beim ersten Auftreten von erschwertem Stuhlgang geeignete
Maßnahmen zu treffen.
5. Erbrechen
Das Erbrechen eines Kindes kann einerseits organische Ursachen haben (z. B. Pylorusstenose,
Infekte, Hirndruck) andererseits situationsbedingt sein.
Es ist sehr wichtig durch genaues Befragen zu erfahren, wann und wodurch das Erbrechen
ausgelöst wurde.
46
Sehr oft liegt die Ursache in Bestehungsängsten oder generelle Angst vor Situationen. Häufig
kommt es auch durch zu hohe Anforderungen, die das Kind nicht bewältigen kann.
Es gibt verschiedene Arten von Erbrechen
Habituelles Erbrechen: es kommt häufig bei Säuglingen vor
Rezidivierendes Erbrechen: meist bei Kleinkindern. Es tritt episodisch auf und kann
für mehrere Tage anhalten.
- Morgendliches Erbrechen: Es kommt bei Schulkindern vor, die meist unter schulischer
Belastung oder Angst leiden.
Meist ist es eine Ereigniskoppelung zwischen eines Sinnesreizes und Erlebnissen.
-
6. Schreikinder
Definition:
-
Säuglinge, die an unstillbaren, dauerhaften Schrei- und Unruheattacken leiden oder
-
Säuglinge, die bis zu 10 Stunden pro Tag schreien und sich durch trinken und
Liebkosungen nicht beruhigen lassen
Die Ursache ist oft eine Interaktionsstörung zwischen Mutter und Kind. Es können aber auch
generell Probleme in der Familie sein (Geschwister, Vater, Großeltern, usw.)
Wodurch kann die Interaktionsstörung ausgelöst werden?
1. Dramatische Geburt
2. Ängstlich Mutter: die Mutter hat Angst, dass sie etwas falsch macht und überträgt die
Angst an den Säugling
3. Ungewünschte Kinder
Therapie
Oft ist es wichtig eine Mutter-Kind-Videoaufnahme zu machen und diese der Mutter zu
zeigen und ihr dadurch aufzuzeigen, was sie verbessern kann. Dadurch wird das
Selbstvertrauen der Mutter gestärkt und die Angst, etwas falsch zumachen gelindert.
Oftmals wird auch eine externe beratende Fachperson für einen Tag in die Familie gebracht.
Sie beobachtet den Familienalltag und gibt bei dem nächsten Gespräch der Familie Tipps und
Ratschläge wie sie die Situationen verbessern konnten.
7. Asthma bronchiale
Definition:
chronische,
entzündliche
Erkrankung
der Atemwege,
die
durch
bronchiale Hyperreaktivität und eine variable Atemwegsobstruktion gekennzeichnet ist.
Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass neben rein körpermedizinischen Anteilen auch die
psychosoziale Komponente eine wichtige Rolle spielt.
47
Es gibt mehrere Ursachen für Asthma bronchiale: Allergische, entzündliche und genetische
sowie psycho-soziale Ursachen.
Es handelt sich um eine schubweise auftretende Erkrankung. Im symptomfreien Zeitraum ist
die Lungenfunktion des Asthmatikers so gut wie normal.
Psychologische Einflussfaktoren spielen bei fast allen Formen eine wichtige Rolle. Asthma
mit ausschließlich psychologischen Auslösefaktoren ist ebenfalls bekannt.
Die Asthmatherapie gliedert sich in eine hochdifferenzierte internistische Komponente und
eine ebenso bedeutsame psychotherapeutische Komponente. Es werden háufig
Selbstständigkeits-/Abhängigkeitskonflikte beobachtet. Die Problematik kreist in der Regel
um eine ungelöste ambivalente Mutterbindung.
Verschiedene Theorien (z. B. von Alexander) vermuten einen tiefen Wunsch des
Asthmapatienten nach beschützt werden. Sowohl die zurückweisende Mutterbindungen in der
Kindheit, als auch die überbeschützende und einengende Mutter sind in der Literatur
wiederholt beschrieben worden. Beide Extreme der für Kinder sehr bedeutenden
Mutterbeziehungen können als Ambivalenzkonflikt eine hohe innere Anspannung erzeugen,
aus dem Wunsch sich ganz anzuvertrauen bei gleichzeitiger großer Angst verschlungen zu
werden.
Quellenangabe:
http://www.schreikinder.com/
http://flexikon.doccheck.com/de/Asthma_bronchiale
http://www.onmeda.de/krankheiten/asthma.html
http://www.netdoktor.at/krankheit/enuresis-nocturna-7858
http://www.kinderarzt.at/de/lexikon/subject/einkoten-enkopresis/
Buch: Psychosomatische Medizin und Psychotherapie; Klußmann & Nickel, 2009, 6.
Erweiterte und korrigierte Auflage
48
7. Sexualstörungen beim Mann
Susanne von Scheidt
Lustlosigkeit:
Besonders ausgeprägt sind die Angst zu versagen bzw. schon erlebte Ereignisse in diese
Richtung, welche dann zur Vermeidung führen. Ebenso frühere Erfahrungen, welche
unlustvoll oder wenig befriedigend empfunden wurden, reduzieren die Lust. Zusätzlich halten
seelische Sorgen und Kummer den Mann davon ab sich zu entspannen und den Sex zu
genießen. Häufig ist in Ehen kaum Zeit füreinander, da man sich um die Kinder kümmern
soll, nebenher im Beruf Erfolg haben sollte. Auch das Gefühl, dass man seinen Ehepartner
sowieso immer hat, vermindert den Drang sich umeinander liebevoll zu kümmern, den
anderen wahrzunehmen und ihm die Wertschätzung zu geben. Andere Männer glauben, dass
sie unattraktiv auf die Partnerin wirken, da sie keinen Sport treiben, ungesund essen und
Rauchen, Alkohol oder andere spezielle Makel an sich beklagen.
Obwohl sich unsere Gesellschaft für sexuell offen hält, wird der Mann doch in ein gewisses
Schema gesteckt, welches er zu erfüllen hat.
Er muss immer können, er muss stark sein, er darf keine Probleme haben, er darf keine
Gefühle zeigen. Diese Muster setzten Männer erheblich unter Leistungsdruck, weswegen sie
häufig nicht über ihre sexuellen Probleme sprechen und unbehandelt bleiben. Wenige suchen
doch heimlich und voller Scharm Hilfe. Vielen fällt es schwer über Probleme zu sprechen,
weshalb der Behandler besonders einfühlsam dem Patienten einen angenehmen Raum
eröffnen sollte. Öffnet sich der Mann, sind die häufigsten Problemen Lustlosigkeit, Impotenz,
Erektionsstörung, erektile Dysfunktion, Ejakulations-, Orgasmusstörungen und Sexsucht, auf
die nun im Folgenden genauer eingegangen wird.
Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Beziehung zur Frau. Wie gibt sich diese, ist sie zu
passiv, kränkelnd, ihn entwertend, zu aktiv, zu fordernd oder bemängelt sie sich ständig selber
und verlangt von ihrem Mann, dass er sie befriedigt, wodurch der Druck auf den Mann steigt
und so auch Ängste vor Untreue und Trennung aufkommen. Somit kann die Ursache nicht
zwangsläufig beim Mann liegen, was in einer Behandlung berücksichtigt werden muss!
49
Impotenz, Erektionsstörung, erektile Dysfunktion
Wegen diesen Erkrankungen gehen die meisten Männer am häufigsten zum Arzt oder
Psychotherapeuten. Ursachen dieser Erkrankungen lassen sich auf die Problematik, des nicht
steif werdenden Penis und somit das unmögliche Eindringen in die Scheide zurückführen.
Bei der Impotenz untergliedert man in drei Kategorien. Die primäre Impotenz bei welcher
der Mann noch nicht fähig war intimen sexuellen Kontakt zu haben. Der situativen Impotenz
liegt ein bestimmter Umstand auch eine bestimmte Partnerin zu Grunde. Die sekundäre
Impotenz ist eine erworbene Impotenz aufgrund von bedeutsamen Erfahrungen, wie z. B.
Trennung, Tod der Partnerin, berufliche Krisen, Kinderwunsch der Lebenspartnerin.
Bei der Erektionsstörung sind etwa 70% organisch bedingt. Bluthochdruck, Arteriosklerose,
koronare Herzkrankheiten, Diabetes, bestimmte Medikamente und Testosteronmangel sind
wohl die wichtigsten Gründe für ein organisches Erektionsproblem.
Ejakulations- und Orgasmusstörung
Unter Ejakulatio praecox versteht man den vorzeitigen Samenerguss unmittelbar nach dem
Eindringen in die Scheide, wobei der Orgasmus schwach und unbefriedigend oder stark und
lustvoll empfunden werden kann.
Die Ejaculatio retarda entspricht einem verzögerten Orgasmus, welcher oft gering
empfunden wird. Jedoch ist meistens Petting / Selbstbefriedigung ohne Schwierigkeit.
Der schmerzhaften Ejakulation liegt oft eine Prostataerkrankung vor, welche teilweise
durch eine Behandlung beseitigt werden kann.
Seltene Funktionsstörungen
Zu diesen zählt die Ejaculatio retardata, welche durch Diabetes mellitus, Androgenmangel,
häufig durch Drogen/Alkohol, Psychopharmaka ausgelöst wird. Bei manchen wird der
Samenerguss mit Risiko gleichgesetzt oder Frauen werden als Bedrohung wahrgenommen.
Ferner kann der Orgasmus als eine gefürchtete aggressive Handlung gesehen werden, jedoch
gibt es auch spezifische Selbstbezogene Probleme.
50
Autonomen Polyneuropathien, wie z. B. Diabetes Mellitus, können Retrograde
Ejaculationen hervorrufen, bei welchen massenhaft Spermien im Urin nachweisbar sind.
Sehr selten ist der trockene Orgasmus dessen Ursachen entweder organischer Natur sind, auf
Partnerkonflikte hinweisen oder Nebenwirkungen von Medikamenten sind.
„Pseudo-Lösungen“ für beide
In einigen Beziehungen werden Arrangement über Stillschweigen getroffen oder Wege der
Umgehung des Geschlechtsverkehrs.
Bei der Delegation versucht der gesunde Partner die Störung des betroffenen Partners
aufrecht zu erhalten.
Wendung gegen den Partner ist keine Seltenheit und wird vor allem durch Aggression und/
oder Entwertung durchgeführt.
Bei ausgeprägten Näheängsten oder bei der Angst um die Gefährdung der Autonomie spricht
man von Ambivalenzmanagement. Dies ist typisch nach der Geburt eines Kindes, wenn die
Frau sich aus dem Beruf zurückzieht.
Behandlungsformen
Zuerst wird der Patient nach einer gründlichen Anamnese körperlich untersucht.
Findet sich hierbei eine behandelbare Störung, so sollte diese soweit diese möglich, behoben
werden. Mit einer Sexualbehandlung/-therapie kann dem Patienten weitergeholfen werden.
Bei psychischen Blockaden kann mithilfe eines Psychodiagnostisches Gespräch Klarheit
erworben werden. Zusätzlich ist eine Psychotherapie und/ oder eine Paartherapie
empfehlenswert.
Diese Behandlungsformen sollten dem Patienten entsprechend angewendet werden.
Therapiemöglichkeiten
Beim Sensualitätstraining nach Masters und Johnson ist das Ziel die Erwartungsängste
abzubauen, welches vorallem Personen mit Angst und Leistungsdruck hilft. Herbei können
51
Libido-, sexuelle Erregungs-, Orgasmusstörungen und psychisch bedingte Schmerzsymptome
behandelt werden.
Die Konfliktzentrierte Gesprächspsychotherapie ergründet die partnerschaftlichen
Probleme, welche ausgesprochen werden, wodurch die Patienten Selbstbewusstsein aufbauen
können.
Therapie der Libidostörung kann, wenn sie aufgrund von Stress hervorgerufen wurde,
zunächst einmal mit mehr qualitative verbrachter Zeit mit dem Partner/in oder im extremen
Fall mit Medikamenten, wie Dopamin behandelt werden.
Findet sich eine Erregungsstörung bei der Frau, wegen genitaler Durchblutungsstörung,
mangelnder Feuchtigkeitsproduktion oder Östrogenmangel, kann diese durch Gleitcremes
oder lokale Östrogentherapie, Creme/ Zäpfchen behoben werden.
Durch Beratung und Aufklärung kann die Unerfahrenheit der Frau und die daraus
resultierende Orgasmusstörung behandelt werden. Dem Vaginismus liegt meistens eine
starker unbewusster Abwehrreflex zu Grunde, welcher durch gynäkologische Untersuchungen
bestätigt werden kann und durch Gespräche und langsames Dehnen der Vagina therapiert
wird.
quellen
•
•
•
http://www.onmeda.de/krankheiten/sexualstoerungen_der_frau-definition-1536-2.html
(22.01.2013)
http://www.aerzteblatt.de/archiv/67052/Sexualstoerungen-des-Mannes-Diagnostik-undTherapie-aus-sexualmedizinisch-interdisziplinaerer-Sicht 2009
http://www.psychosomatik.unigoettingen.de/download/32%20Vorlesung%20Maennliche%20Sexualstoerungen.pdf (2004)
52
8. Sexualstörungen bei der Frau
Anna Krinninger
1. Einleitung
Sexualität umfasst immer körperliche und seelische Vorgänge. Doch gibt es kaum ein Gebiet
auf dem sich Physiologie und Psychologie so stark auseinanderentwickelt haben wie bei der
Behandlung sexueller Störungen. Männer werden zum Urologen geschickt, für Frauen, bei
denen die Trennung der Funktion vom Subjekt gänzlich inadäquat ist, fühlt sich keine
medizinische Fachrichtung so richtig zuständig.
Ab wann eine Sexualstörung vorliegt, lässt sich nicht ohne weiteres sagen. Vor allem bei
Frauen führen Anspannung, Stress, Müdigkeit, Erkrankungen oder Probleme in der
Partnerschaft zu Störungen.
Dabei sind sexuelle Störungen bei Frauen noch wenig erforscht , obwohl statistisch bei etwa
43% der Frauen zumindest vorübergehend Funktionsstörungen auftreten.
2. Definition
Mir sexuellen Funktionsstörungen werden alle Beeinträchtigungen der Sexualität bezeichnet,
die gekennzeichnet sind durch Beeinträchtigung und Störungen des sexuellen Verlangens,
physiologische Beeinträchtigungen, Schmerzen oder Behinderung bei sexuellen Interaktionen.
IDC-10-Definition: Sex. Funktionsstörungen verhindern die von der betroffenen Person
gewünschte sexuelle Beziehung. Die sexuellen Reaktionen sind psychosomatische Prozesse.
DSM-IV Definition: Störungen sind gekennzeichnet durch eine Auffälligkeit der sex.
Verlangens und der psychophysiologischen Veränderungen, die deutliches Leiden und
zwischenmenschliche Schwierigkeiten verursachen.
3.Sexuelle Störungen der Frau
a) Lustlosigkeit, Inappetenz, Frigidität
Diese Störung ist bei Frauen erheblich häufiger als bei Männern und ein Hauptgrund
professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dabei hängt es von der subjektiven Bewertung
der Frau ab, ob sie ihre Lustlosigkeit als Störung empfindet. Die Bandbreite der Gefühle geht
von Gleichgültigkeit über Belästigung, Widerwillen bis hin zu Ekel.
53
Die Ursachen sind vielfältig: Verweigerung gegenüber der Sexualität des Partners, ungelöste
Partnerkonflikte, unbewusste Konflikte oder neurotische Störungen. Einbezogen werden
sollte auch die individuelle psychische Bedeutung bestimmter Lebensphasen, wie
Schwangerschaft, Kindererziehung und Menopause.
Weitere Ursachen: Erziehungsfaktoren, traumatische Erfahrungen, Informationsmangel,
Erkrankungen und biologische Faktoren, Medikamente.
Neben individuellen Konflikten auf allen Stufen der psychischen Entwicklung stehen aber
auch Probleme mit der Annahme des eigenen Geschlechts im Vordergrund.
Patientengeschichte:
39-jährige Frau, verheiratet ,1 Sohn
Problem: keine Lust auf Sexualität mit dem Ehemann, der mit Trennung droht.
Lebensgeschichte: Starke Orientierung am Vater, schwache Mutter, leistungsorientiert um
Vater zu beeindrucken. Sohn und Mann werden als „auffressend“ erlebt. Beim Paargespräch
äußert die Patientin den Wunsch nach mehr Aufmerksamkeit und Versorgung durch den
Ehemann
In vorliegenden Fall ist die Verbindung von individueller Neurose und Partnerproblematik
deutlich. Es liegt eine Identifizierungsstörung mit der Mutter vor, die sie nicht am sexuellen
Erleben hindert, solange der Mann sich „vaterähnlich“ verhält. Mit zunehmender Regression
des Mannes wird sie mit ihren abgewehrten Versorgungswünschen konfrontiert, was zu einer
verstärkten zwanghaften Abwehr bis hin zur sexuellen Erlebnisunfähigkeit führt.
b) Vaginismus, Koitusphobie, Dyspareunie
Unter Vaginismus versteht man die Verengung des Scheideneingangs durch unwillkürliche
Spasmen der Beckenmuskulatur und des äußeren Drittels des Scheideneingangs als Reaktion
auf den realen oder vorgestellten Versuch, etwas in die Scheide einzuführen.
In der Praxis wird auch unter Vaginismus die Koitusphobie (große Angst vor dem Koitus)
ohne Scheidenkrampf verstanden.
In beiden Fällen handelt es sich um ein psychisches Problem. Die betroffenen Frauen sind
erlebnis.-und orgasmusfähig, wenn der Koitus nicht versucht wird. Körperliche Traumen im
Genitalbereich (schwere Geburt, Operationen) können ätiologisch eine Rolle spielen
Unter Dyspareunie versteht man den schmerzhaften Koitus meist in Folge mangelnder
Lubrikation. Organische Störungen sind auszuschließen.
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Klinisch ist die D. oft schwer von Vaginismus und Koitusphobie zu unterscheiden. Die
Störung ist aber viel seltener partner.-und situationsabhängig, sondern hat eher neurotische
Ursachen.
c) Orgasmusstörungen, Anorgasmie
Eine Orgasmusstörung liegt vor, wenn bei vorhandener Lust und Erregbarkeit eine allgemeine
oder nur bestimmte sex. Praktiken betreffende Hemmung des Orgasmus vorliegen.
Ob eine echte Störung vorliegt, bedarf großer diagnostischer Sorgfalt. Gesellschaftlicher
Leistungsdruck muß berücksichtigt werden. Entscheidend ist, ob die Frau generell keinen
Orgasmus erlebt und es sich um eine allgemeine Angst handelt, oder um objektbezogene
Ängste vor Abhängigkeit, Überwältigung und Auflösen des Selbst.
4. Diagnostik
Zur Diagnostik sex. Störungen gehören
-
genaue Erfasssung der Symptome und deren Auswirkungen
-
psychologisches Gespräch
-
Sexualanamnese
5. Therapie
Sexualtherapie besteht zum Großteil aus Informationsvermittlung über Sexualität im
Allgemeinen und der Verbesserung der Kommunikation zwischen den Partnern.
Grundlage hierfür ist die Bereitschaft beider Partner trotz bestehender Probleme die
Beziehung fortzuführen und an den Schwierigkeiten zu arbeiten.
Die Sexualtherapie hat folgende Ziele:
Abbau von Leistungsdruck, Angst.- und Schamgefühlen, Verbesserung der
Körperwahrnehmung und der eigenen Bedürfnisse, Verbesserung der Partnerkommunikation
in der Sexualität.
Therapiemöglichkeiten:
Sensualitätstraining nach Masters und Johnson (Abbau von Erwartungsängsten)
Konfliktzentrierte Gesprächspsychotherapie(Ergründung partnerschaftlicher Konflikte)
55
Quellen:
Buch: Gromus, Beatrix: Sexualstörungen der Frau, Hogrefe Verlag (2002)
Internet: www.fraueraerzte-im-netz.de
56
9. Psychokardiologie
Jan Mühlnikel und Benedict Gereke
Einleitung
Die Psychokardiologie sollte man nicht halbherzig als unwichtig einstufen. Sie nimmt eine
wichtige, den Patienten zum Teil sehr stark beeinflussende Position ein, weshalb man sich das
Gebiet der Psychosomatik in der Kardiologie besonders zu Herzen nehmen sollte. Jeder kennt
unbarmherzige oder auch herzzerreißende Situationen, bei denen die Psyche einen sehr
großen Effekt auf das Herz- Kreislaufsystem hat. Manchmal wundert man sich, wie intensiv
ein Herzklopfen sein kann.
Der aufmerksame Leser hat vielleicht bemerkt, dass das Wort „Herz“ im obigen Absatz sechs
Mal verwendet wurde und auch im übertragenen Sinn oft verwendet wird. Dies zeigt welchen
Stellenwert das Herz als Organ und Wort in der heutigen Gesellschaft hat.
In der Psychokardiologie wird der Zusammenhang zwischen Psyche und Herzerkrankungen
(mit stetig zunehmender Prävalenz) beleuchtet.
Die Effekte der Psyche auf das Herz- Kreislaufsystem
Hypertonie, koronare Herzkrankheit, Angina pectoris, Herzinfarkt, Herzrhythmusstörungen
und –insuffizienz sind kardiovaskuläre Krankheitsbilder mit relevanter psychosozialer
Beteiligung.
Immer mehr Menschen leiden an Depression und psychischen Dysbilanzen.
Depressionen werden zu den Risikofaktoren einer koronaren Herzkrankheit gezählt.
Es besteht ein relatives Risiko von 1,6 – 1,9 % laut Metaanalysen aus bevölkerungsbasierten
Studien.
Damit stehen medizinisch gesehen, psychiatrische Erkrankungen und Diabetes mellitus,
Rauchen, Hypercholesterinämie und Hypertonie auf einer Ebene.
Übergewichtige und zugleich depressive Patienten haben ein dreifach erhöhtes Risiko an einer
koronaren Herzkrankheit zu erleiden, als Patienten ohne psychische Vorerkrankung in der
Anamnese.
Wichtig ist auch zu beachten, dass Patienten mit einer koronaren Herzkrankheit häufig
psychische Krankheitsbilder entwickeln, welche sich eventuell nochmals negativ auf die
Herzerkrankung auswirken.
57
Einerseits haben psychisch erkrankte Patienten meistens nicht die Kraft und Motivation
präventiv einer Herzkrankheit entgegenzuwirken, andererseits begünstigt der veränderte
Hormonspiegel (insbesondere Cortisol und Noradrenalin) eine entstehende Herzerkrankung.
Ein niedriger sozialer und ökonomischer Status mit damit eventuell verbundenen
gesundheitsschädlichen Verhaltensweisen (z.B. Nikotin- und Alkoholabusus, Fehlernährung)
haben langfristig einen hohen Stellenwert an denen durch psychosoziale Faktoren
verursachten Herzerkrankungen.
Menschen, welche ständig unter Stress stehen, haben ebenfalls durch veränderte
Hormonspiegel eine Prädisposition für Herzerkrankungen. In akuten Situationen sind
Herzrhythmusstörungen und auch Symptome der Angina pectoris hervorzuheben.
An dieser Stelle ist die sogenannte Stress-Kardiomyophathie (Synonyme: Broken-HeartSyndrom, Tako-Tsubo-Kardiomyopathie) welche gehäuft bei älteren Frauen (möglicherweise
durch postmenopausalen Östrogenmangel) anzutreffen ist, erwähnenswert. Symptome treten
meistens nach einer emotionalen, körperlichen Stressbelastung und damit verbundener
Aktivierung des autonomen Nervensystems auf und gleichen denen eines Herzinfarkts. Auch
hier stehen Stresshormone (insbesondere Katecholamine) im Mittelpunkt des Geschehens.
Diese können zu einem Koronarspasmus mit entsprechender Symptomatik wie retrosternalem
(Vernichtungs-) Schmerz, Dyspnoe, Kaltschweißigkeit und Übelkeit führen.
Mögliche Auffälligkeiten bei der Diagnostik:
 erhöhte Leberenzyme
 paradoxe Bewegung der linken Kammer (apical ballooning), Akinesie/Dyskinesie der
Herzspitze(Tako-Tsubo erinnert an eine Tintenfischfalle, welche einen engen Hals
sowie einen bauchigen Körper besitzt und an die sonographische Form des Herzens
mit der ballonartigen Herzspitze erinnert.)
 Lungenödem durch Herzinsuffizienz
Erst durch eine Herzkatheteruntersuchung kann ein Herzinfarkt ausgeschlossen werden. Die
Komplikationsgefahr in den ersten Stunden der Stress-Kardiomyopathie ist hoch.
Nach einem für viele Menschen einschneidenden Ereignis wie Naturkatastrophen oder
Terroranschlägen beobachteten Kardiologen eine erhöhte Anzahl von Patienten mit einer
Stress-Kardiomyopathie.
Herz- Kreislauf-Erkrankungen sind die häufigste Todesursache in Industrieländern. Deshalb
ist die frühzeitige Erkennung und Therapie der psychisch verursachten Herz-KreislaufErkrankungen sehr wichtig.
Die zweiseitige Betrachtung der Psychokardiologie
Da in den letzten Jahren eine zunehmende Häufigkeit psychisch bedingter Berentungen und
Krankheitstage zu beobachten ist, muss auch die Zweischneidigkeit der Psychokardiologie
58
betrachtet werden. Erstaunlicherweise wirkt nicht nur das Nervensystem, über Sympathikus
und Parasympathikus auf die autonome Herztätigkeit. Umgekehrt führen auch Erkrankungen
und Störungen des kardiovaskulären Systems psychosoziale Folgen mit sich. Depressive
Syndrome, posttraumatische Belastungs-, sexuelle Funktions- und sekundäre Angststörungen
(z.B.: Agarophobie) können als Erweiterung der somatischen Probleme von Herz und
Kreislauf betrachtet werden.
Henne oder Ei - Herz oder Psyche?
Die Frage nach der Henne und dem Ei stellt sich, im übertragenen Sinne, auch in dieser
Thematik. Die Relevanz zeigt sich vor allem bei Erkrankungen, die statistisch häufig
miteinander auftreten. Dies ist zum Beispiel bei einigen psychoaktiven Herzmedikamenten,
wie Amiodaron der Fall. Weiterhin wird das enge Zusammenspiel, zwischen Herz und Hirn
besonders in extremen Momenten spürbar. Situationsabhängig kommt es sogar zur
unterschiedlichen Wahrnehmung gleicher somatischer Aspekte. Das Herzklopfen, zusammen
mit Schmetterlingen im Bauch, gilt im Gegensatz zu Palpitation in einer Stresssituation, als
etwas durchaus Angenehmes.
Die Geschwister Psychologie und Internie
Dem Patienten ist es oft unangenehm, wenn ihre somatischen Probleme unter
psychologischem Licht betrachtet werden. Erst recht, wenn man vom Kardiologen zu dem
Kollegen, mit dem unschönen Spitznamen "Irrenarzt" geschickt wird. Die Voraussetzungen
für die Lösung des Problems, sind so, aufgrund der Vorurteile, denkbar schlecht. Um eine
gute Diagnose gewährleisten zu können, ist eine Doppelqualifikation äußerst vorteilhaft. Dem
Patienten wird so ein weiterer Gang zum neuen Arzt und die soziale Schmach, beim Doktor
für Gemütskrankheiten vorstellig gewesen zu sein, erspart. Eine einfache diagnostische
Möglichkeit ist ein Fragebogen, welcher grundlegende Informationen zu Risikofaktoren,
psychosozialen
Belastungen,
Angstverhalten,
Depressionen
und
sexuellen
Funktionsstörungen ermittelt. Des Weiteren zählt die Inspektion des Patienten nicht nur zu
den Grundlagen der körperlichen Untersuchung zu Beginn eines Arztbesuches. Ihr obliegt
gerade in der Kardiologie auch eine besondere Bedeutung, im Laufe der Behandlung. Dies
zeigt die häufige Entwicklung von Panikstörungen nach einer Schrittmacherimplantation.
Außerdem darf auch die Belastung des sozialen Umfeldes nicht unbeachtet bleiben.
Kardiologische Probleme führen nicht selten zu Einschränkungen im alltäglichen Leben.
Kompensiert wird dieser Umstand häufig durch Angehörige, welche dadurch unter einer
zusätzlichen Belastung leiden.
Da die ineinander greifenden Arme der Geschwister Internie und Kardiologie nicht
voneinander getrennt werden können und dürfen und eine Doppelqualifikation nicht
59
hundertprozentig realisierbar ist, sollte eine grundlegende Ausbildung des Kardiologen im
Fachbereich der Psychosomatik garantiert werden. Mit Hilfe von Weiterbildungen,
Fallbesprechungen oder Seminaren kann dies umgesetzt werden: diesem Ziel dient in
Deutschland das System der psychosomatischen Grundausbildung und der
psychosomatischen Grundversorgung.
60
10. Psychosomatik in der Gastroenterologie
Matthias Hess
Einleitung:
Um die psychosomatischen Aspekte der Gastroenterologie genauer zu analysieren, sollten erst
einmal die am häufigsten zu untersuchenden Darmerkrankungen in Betracht gezogen werden,
die mit psychosomatischen Fällen vim Zusammenhang stehen. Hierzu gehören die chronischentzündlichen
Darmerkrankungen
(CED),
das
peptische
Ulkusleiden
und
die
gastroösophageale Ulkuskrankheit (GERD). Im folgenden Abschnitt werde ich diese
Grundleiden genauer erläutern und auf die jeweilige Therapien eingehen.
1. Psychosomatische Aspekte der CED (Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen)
Meistens gibt es sehr komplexe Zusammenhänge zwischen chronisch-entzündlichen
Darmerkrankungen und der Psychosomatik. Oftmals spielen mehr als ein Faktor im sozialen
Leben eine Rolle. Oftmals kommt es bei dieser Erkrankung auch zu Missverständnissen
zwischen Ärzten und Betroffenen. Zu den Einflussfaktoren gehören vor allem Depressionen
und Angst, aber auch chronischer Stress und psychische Störungen. Deshalb ist hier eine sehr
spezifische Therapie mit der Gewährleistung einer großen Unterstützung und optimales
PatientInnen-Management. Wie weiter oben schon erwähnt, sind die psychosozialen Aspekte
dieser Krankheit sehr komplex und dementsprechend auch die Therapie. Da die
medikamentöse Therapie finanziell besser unterstützt wird als die Psychotherapie, gibt es
hierzu leider auch nur wenige Studien. Die erste Studie erschien im Jahr 1954, als Grace et al.
von einer niedrigeren Anzahl von Komplikationen bei PatientInnen mit Morbus CrohnOperation berichtete, die begleitend zur Krankheit in Psychotherapie waren. Allerdings war
die Personengruppe mit insgesamt 68 PatientInnen (34 mit Psychotherapie und 34 ohne
Psychotherapie) für eine wirkliche Studie viel zu klein, um einen entscheidenden Durchbruch
zu erzielen. 1987 erfolgte dann eine Studie durch Künsebeck et al. Diese sagt aus, dass
61
PatientInnen mit einer begleitenden Psychotherapie in einer internistischen Station raschere
Abklingen der Krankheitssymptome und bessere Bewältigungstrategien verfolgten, als
PatientInnen ohne Psychotherapie. 1991 berichteten Schwarz und Blanchard in einer Studie,
dass Entspannungstechniken mit kognitiven Krankheitsbewältigungsstrategien positive
Auswirkungen auf CED-Symptome zeigten. Die deutsche Multicenterstudie konnte einen
signifikanten Einfluss der Psychotherapie auf Morbus Crohn-PatientInnen nicht belegen.
Allerdings berichtete sie von einem Trend, der zu weniger operativen Eingriffen führte, wenn
PatientInnen zehn Sitzungen Autogenes Training absolviert hatten. Daraus kann man den
Schluss ziehen, dass das subjektive Wohlbefinden durch Psychotherapie jedoch entscheidend
positiv beeinflusst wird, was sich auch durch weniger Krankenhausaufenthalte und
Krankentage bemerkbar macht. Entscheiden nicht nachweisbar war jedoch bis jetzt das
objektive Gesundheitsempfinden. Bislang kam es noch zu keinem Beleg, dass Psychotherapie
einen positiven Einfluss auf die biologische Entzündung im Darm hat. Abschließend muss
hier aber gesagt werden, dass noch viele weitere Studien erforderlich sein müssen, um in
diesem Bereich einen wünschenswerten Durchbruch mit der Psychotherapie zu finden.
Derzeit wird keine Psychotherapie bei CED empfohlen.
2. Psychosomale Aspekte des Peptischen Ulkusleidens
In den meisten Fällen entsteht ein peptischer Ulkus durch die Infektion mit dem Helicobakter
pylori. Jedoch gibt es in bis zu 20% der Fälle auch andere, unbekannte Pathogeneseformen.
Deshalb mögen auch hier psychosoziale Aspekte eine gewisse Rolle spielen. In neueren
Studien ist vor allem von Stress als entscheidender Faktor für die Entstehung eines Ulkus von
bedeutender Ursache. Hier muss v.a. bei der Therapie der Ulkuskrankheit beachten, dass eine
medikamentöse Verabreichung allein nicht ausreicht. Jedoch gibt es hierzu noch zu wenige
Studien darüber. Wie weiter oben schon erwähnt spielen hier aber psychosoziale Faktoren zur
Pathogenese des Ulkusleidens keine kleine Rolle. Wissenschaftler und Psychologen ziehen
hier das biopsychosoziale Modell heran, die alles erklärbar machen soll. Hier spielen nämlich
Interaktionen zwischen sozialen, psychologischen, immunologischen und endokrinologischen
Faktoren eine entscheidende Rolle. 2004 gab es hierzu eine Studie in Dänemark (Rosenstock
et al.). Über 2.400 dänische PatientInnen wurden 11 Jahre lang zur Inzidenz des peptischen
Ulkus im Zusammenhang mit psychosozialen und genetischen Aspekten untersucht. Die
62
Inzidenz lag bei ca. 3%. Davon hatten etwas weniger als die Hälfte einen Ulkus ventriculi und
eine knappe Mehrheit einen Ulkus duodeni. Dabei konnte entscheidend gezeigt werden, dass
ein niedrigerer sozioökonomischer Lebensstandard eine höhere Wahrscheinlichkeit aufzeigt,
an einem Ulkus zu erkranken. Eine weitere Studie zeigte auf, dass neben Stress auch noch
schwerere körperliche Arbeit, Angstzustände und Neurotizismus mit einer höheren
Wahrscheinlichkeit zu einem Ulkus führen. Das v.a. Stress als entscheidender ätiologischer
Faktor für die Entstehung des peptischen Ulkus eine Rolle spielt, belegt auch eine japanische
Studie aus dem Jahr 1998. Hierbei war ein Erdbeben besonders hilfreich. Nach diesem
Ereignis zeigten v.a. Ältere, die Bedrohungsängste hatten, eine erhöhe Inzidenz für die
Ulkusentstehung. Demnach wurden ca. 16.000 gastroendoskopische Befunde aus dem Jahr
1995, in der das Erdbeben stattfand, mit den Daten von ca. 10.000 PatientInnen vom Vorjahr
verglichen. Hierbei stellte sich neben einer Verhältnisverschiebung zugunsten der Ulcera
Ventriculi auch eine erhöhte Anzahl von Blutungen im Ulkus heraus. Eine Studie von 1986
(Feldman et al.) fand noch heraus, dass Männer mit Stresssymptomen auch ein deutlich
höheres subjektives Krankheitsempfinden empfanden als Patienten, die mit Nephrolithiasis
und Cholizystolithiasis behandelt wurden. Also kann gesagt werden, dass subjektiv belastende
Stresssituationen ein wesentliches Risiko für die Entstehung eines peptischen Ulkus darstellt.
Ein weiterer Faktor, der mit Stress einhergeht, ist natürlich der Konsum von Alkohol und
Zigaretten, die ebenfalls entscheidende Verstärkerrollen der Pathogenese sind, wodurch sich
auch hier ganz klar das biopsychosoziale Modell belegen lässt. Offen bleibt hier deshalb die
Frage, ob die psychosozialen Problem allein (also der Stressfaktor, Angstfaktor) oder durch
den infolge des Stresses eingeleiteten Drogenabusus zur Entstehung eine Rolle spielt. In der
Therapie reicht deshalb die medikamentöse Bekämpfung durch PPIs allein nicht aus, um
langfristigen Erfolg beim Patienten zu erzielen. Dennoch gibt es auch hier kaum Studien dazu.
Bisher hat die Studie Beloborodova et al. (2002) aufgezeigt, dass der Einfluss von
Psychopharmaka und Psychotherapie den Heilungsprozess reduzieren und eine Rezidive
verhindern.
3.Psychosomatische Aspekte der gastroösophagealen Refluxkrankheit
In der EU ist die gastroösophageale Refluxkrankheit die häufigste Erkrankung des oberen
Gastrointestinaltrakts (¼ der Bevölkerung hat Sodbrennen). Natürlich spielt neben Ernährung
63
und Lebensstil sicherlich auch hier Stress als psychosomatischer Faktor eine Rolle. Auch hier
gibt es mit psychosomatischen Behandlungsmöglichkeiten Erfolge in der Therapie. Hierbei
muss eingegangen werden, dass chirurgische Maßnahmen oftmals die Symptome nicht
gebessert haben. Deshalb sollten Chirurgen bei Ösophaguseingriffen heutzutage auch
besonders auf die psychosozialen Aspekte eingehen. Hier spielt in der Psychotherapie v.a. die
Muskelentspannung nach Jacobsen eine wichtige Rolle. Diese Therapie führt neben der
subjektiven Empfindungsbesserung beim Patienten sogar noch zu einer objektiven
Verbesserung der Symptome. Neben dieser Therapie führt nachweislich auch die Hypnose
mit
Tiefentspannung
zu
einer
erkennbaren
Reduktion
der
Magensäuresekretion.
4. Psychosoziale Aspekte bei Zöliaki
Zöliaki ist ebenfalls eine relativ häufige Gastrointestinalerkrankung, die mit einer
Glutenunverträglichkeit einhergeht. Ätiologisch spielen bei dieser Erkrankung psychosoziale
Ursachen sicher keine Rolle. Jedoch sind die psychischen Folgen der in unseren westlichen
Gefilden konsequenten glutenfreien Diät sicherlich folgenreich. Deshalb sollten InternistInnen
bei Zöliaki auch auf die psychologischen Folgen der betroffenen PatientInnen hinweisen. Hier
bieten sich vor allem gute Selbsthilfeversorgungseinrichtungen, sowie ein Screening der
jeweiligen psychischen Belastungen an. Auch hier gibt es Studien darüber, dass psychische
Betreuung die Therapie dieser Patientengruppe deutlich verbessern kann. Die Reduktion des
Disstresses spielt hierbei eine wichtige Rolle.
64
11. Orthopädie in der (und) Psychosomatik
Anika Kunz und Steffen Schulz
Mens sana in corpore sano „ein gesunder Geist in einem gesunden Körper“ – diese Aussage
zeigt deutlich den Zusammenhang zwischen Körper und Geist .
Tritt eine Beeinträchtigung einer Körperfunktion ein, die psychisch ausgelöst ist, so spricht
man von einer Konversionsstörung: unbewältigte starke Ereignisse oder Erlebnisse werden in
körperliche Symptome umgewandelt. Patienten klagen über Krankheiten oder körperliche
Symptome, obwohl kein medizinischer bzw. organischer Befund vorliegt. Sie glauben nicht
der Versicherung mehrere Ärzte, dass sie körperlich gesund sind. Dem Versuch, ihre
Schwierigkeiten psychisch zu erklären, sind sie nicht aufgeschlossen. Sie sind der
Überzeugung, die körperliche Ursache noch nicht gefunden zu haben.
(Ausschnitt aus dem Buch
„Psychologie Hrsg:Hobmair“)
In fast jeder medizinischen Disziplin ist das Zusammenspiel von Körper und Geist von
essenzieller Bedeutung für die Heilung des Patienten. Häufig steht das Problem „Schmerz“ im
Vordergrund und weniger der Mensch an sich. Mehr und mehr gerät die psychische
Betreuung für den Facharzt in den Hintergrund, und man versteift sich auf das eigene
Fachgebiet.
Dabei macht die Empathie des Therapeuten gegenüber seinem Patienten einen Großteil des
Behandlungserfolgs aus. Die Interaktion zwischen Arzt und Patient, die Art, wie der Arzt sich
mit dem Patienten unterhält, wie er ihn annimmt und aufklärt, kann eine große Auswirkung
auf den Erfolg einer Behandlung oder einer Medikation haben. Ärztinnen und Ärzte, müssen
wissen wie man während eines ärztlichen Gespräches die Kommunikation gestaltet, wie man
die Akzeptanz und das Verständnis bei den Patienten erhöht, dass man ihn nicht in anderthalb
Minuten Gespräch abfertigt und ihm anschließend eine Packung Schmerzmittel über den
Tisch schiebt.
Der Großteil der Patienten nimmt die Behandlungsmethode „der einfachen Pille“ gerne an,
schafft man es doch so seinen Problemen und Gefühlen, die ursprünglich Verantwortlich für
65
das ganze sind, aus dem Weg zu gehen. Man maskiert das Problem durch Tabletten und zu
schnelle invasive Maßnahmen.
Überflüssige Behandlungen bilden die dunkle Seite der Medizin. Und sie sind erstaunlicher
Weise sehr häufig. Man neigt rasch dazu einen operativen Eingriff zu empfehlen.
Werden hier jedoch nicht alle Konfliktbereiche berücksichtigt, so kann es schnell zu einer
Chronifizierung des Krankheitsbildes kommen.
Kranke Menschen begeben sich in die Obhut der modernen Heilkunde. Sie sehen die
blütenweißen Kittel, die bunten Pillen und die blitzenden Bestecke.
Was jedoch erhalten sie im Austausch für ihr Vertrauen?
20 bis 40 Prozent aller Patienten, heißt es in der renommierten Medizinzeitschrift "New
England Journal of Medicine", werden medizinischen Prozeduren ausgesetzt, die ihnen
keinen oder keinen nennenswerten Nutzen bringen.(Webseite des Deutschen Kolloquiums für psychosomatische
Medizin. www.dkpm.de/cms/dkpm/arbeitsgruppen/dkpm-arbeitsgruppe-psychoneuroimmunologie-pni.)
Die echte Wirkung eines Scheinmedikaments ist seit Hippokrates bekannt. Über die Jahrhunderte hinweg griffen Ärzte zu diesem Mittel, wenn sie einem Patienten keine »echte«
Behandlung angedeihen lassen konnten. In den vergangenen Jahren ist der Placebo-Effekt
zum Thema eines eigenen Forschungszweigs an der Schnittstelle zwischen Medizin und
Psychologie aufgestiegen.
Der Placebo - Effekt kann grundsätzlich bei jeder Form der therapeutischen Intervention
auftreten. Sei es bei Schein-Injektionen, -Operationen oder -Akupunktur oder sogar in der
Psychotherapie. Der renommierte Placebo-Forscher Professor Dr. Manfred Schedlowski vom
Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensimmunbiologie der Uni-Klinik Essen
schätzt, dass bis zu 70 Prozent der Wirkung einer »echten« Therapie auf einem PlaceboEffekt beruhen kann. (Interviews
mit Professores Dr. Manfred Schedlowski, Dr. Paul Enck und Dr. Dr. Christian Schubert.)
Eine bekannte Studie zu Schein-Operationen ist die des amerikanischen Chirurgen Bruce
Moseley
(Moseley, J. B., et al., A Controlled Trial of Arthroscopic Surgery for Osteoarthritis of the Knee. N. Engl. J. Med. 347 (2002) 81-88.)
http://www.schmerztherapeut-zuerich.ch/meniskus/23-uncategorised/72-ueberfluessige-knieoperationen.html
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Als Spezialist für Gelenkerkrankungen hatte er zahlreiche ältere Menschen mit Knie-Arthrose
unter seinen Patienten, und Arthroskopien gehörten zu seiner Routine. Irgendwann wollte er
wissen, ob nicht ein Teil des Behandlungserfolgs auf einem Placebo-Effekt beruht.
Er inszenierte ganz normale Operationen mit den üblichen Präliminarien wie Aufnahme ins
Krankenhaus, Beruhigungsspritze, Narkose und den typischen Geräuschen eines OP-Saals,
operierte aber tatsächlich nur die Hälfte der Patienten. Den anderen ritzte er während der
Narkose nur die Haut ein, damit das Knie etwas blutete, und verpasste ihnen eine dicke Naht.
Um die Täuschung zu perfektionieren, konnten die „Schein-Operierten“ ebenso wie alle
anderen auf einem Monitor eine echte Operation verfolgen, nur dass es bei ihnen gar nicht
ihre eigene war.
Das Ergebnis war, dass die zum Schein operierten Menschen nach der Heilungsphase ebenso
zufrieden waren mit der Behandlung wie die tatsächlich Operierten. Moseley betrachtete das
als Nachweis für einen Placebo-Effekt. Gleichzeitig zeigte es aber auch, dass eine
Kniegelenks-Operation in vielen Fällen nutzlos oder überflüssig ist, weil die Beschwerden
auch von selbst oder mit einer weniger invasiven Therapie verschwinden. Inzwischen gilt
dieser Eingriff tatsächlich nicht mehr als Mittel der Wahl bei Kniegelenksverschleiß, sondern
wird nur noch bei bestimmten, eng eingegrenzten Krankheitsbildern empfohlen
Eine vorgetäuschte Knieoperation kann ebenso gute Erfolge erzielen wie eine echte
Operation, zeigte eine Studie.
Die Psychosoziale Belastung eines Patienten sollte einen hohen Stellenwert in der
Behandlung einnehmen.
Die
häufigsten
psychosomatischen
Symptome
sind
folgende:
Rückenschmerzen,
Nackenverspannungen, Schulterschmerzen, Kopfschmerzen, Schwindel, Ohrgeräusche,
chronische
Müdigkeit,
Magen-Darmbeschwerden,
Bluthochdruck,
Herz-Rhythmus-
Beschwerden, Herzrasen, Schweißausbrüche, Schlafstörungen, Depression und Ängste. Oft
treten diese auch nicht nur einzeln, sondern auch kombiniert auf.
Allgemeinärzte schreiben aus Erfahrung mindestens 20-30% der Beschwerden ihrer Patienten
einen psychosomatischen Ursprung zu. Dadurch sind Redewendungen wie “mir schlägt das
67
auf den Magen”, “das bereitet mir Kopfschmerzen”, “das liegt mir wie ein Stein auf der
Brust”, “eine große Last auf den Schultern tragen” oder auch “davon habe ich einen Kloß im
Hals”, entstanden.
Gesundheit und Krankheit werden entscheidend durch psychische Prozesse beeinflusst.
Schwierige
Arbeitsbedingungen,
familiäre
Probleme
oder
auch
einschneidende
Lebensereignisse können schwerwiegende Folgen haben.
Hohe Beanspruchungen aufgrund individueller, situationsbezogener Gegebenheiten mit der
Gefahr der Überschreitung der Anpassungsfähigkeit können sich einstellen und langfristig zu
gesundheitlichen Störungen und Erkrankungen oder gar zu chronischen Leiden führen.
In diesem Zusammenhang sind oft Bereiche des muskulo-skelettalen Systems und dabei
insbesondere der Rücken betroffen.
Seelische und körperliche Fehlhaltungen führen zu Anspannungen in der Rückenmuskulatur
und letztendlich zu Schädigungen am Organsystem Rücken.
Schulterschmerzen haben oft den Ursprung in emotionalen Blockaden, wenn der Patient das
Gefühl hat eine zu große Last tragen zu müssen.
Auch Mentale Blockaden können hier ihre Ursache finden. Die Schulterschmerzen sollen dem
Patienten zeigen, dass er sich unnötige Aufgaben auferlegt. Er möchte zu viel für die anderen
tun, er legt sich Lasten auf, die gar nicht seine sind.
Funktionen des Haltungs- und Bewegungsapparat
Er ist ein wichtiges Kommunikationsorgan. Durch Gestik manifestieren wir unsere
Persönlichkeit und leihen unseren Worten den nötigen Nachdruck. Man kann somit sowohl
Aggressionen wie auch Schüchternheit ausdrücken. Der Ausdruck „die Schultern hängen
lassen“ zeigt die enorme Wichtigkeit unseres Bewegungsapparats auf so verleiht ein äußeres
Erscheinungsbild Selbstvertrauen und Ansehen.
Ebenso kann es jedoch auch das Gegenteil bewirken. Ist diese Symptomatik nun jedoch auf
ein orthopädisches Problem zurückzuführen, so kann es schnell zu einer unterbewussten
psychischen Manifestation kommen.
68
Handelt es sich Grundlegend jedoch um ein psychosoziales Problem, so kann sich daraus
auch ein orthopädisches Problem manifestieren.
Somatopsychische Reaktionen sind zu erwarten bei: - Störung der Körperform- Störung der
Körperfunktion- lang dauernden Schmerzzuständen- Tragen von orthopädischen Apparaten
Mögliche Psychosomatische Anteile bei Erkrankungen der Bewegungsorgane
(aus Feiereis 1983)I
ndikationenen für Psychotherapeutische Mitbehandlung. Nicht Entzündliche
Erkrankungen,
Myalgien,
Osteochondrose,
Osteoporose,
Arthrose,
Spondylose,
Missbildungen des Bewegungsapparats, Lähmungen. Genrell sollte bei jeder Erkrankungen
die die Gefahr der Chronifizierung mit sich bringt über eine psychotherapeutische
Mitbehandlung nachgedacht werden.
(https://www.google.hu/search?q=m%C3%B6gliche+Psychosomatische+Anteile+bei+Erkrankung+des+Bewegungsapparates&client=firef
oxa&hs=Oez&rls=org.mozilla:de:official&channel=sb&source=lnms&tbm=isch&sa=X&ei=S31hU8yiGsjsswbcqoHIAg&ved=0CAgQ_AUo
AQ&biw=1525&bih=744&dpr=0.9#facrc=_&imgdii=_&imgrc=AlI_IW9-c94g0M%253A%3BOM1ILTeWrufUM%3Bhttp%253A%252F%252Farbmed.med.unirostock.de%252Flehrbrief%252Fgif%252FBK_21.jpg%3Bhttp%253A%252F%252Farbmed.med.unirostock.de%252Flehrbrief%252Farbphys.htm%3B743%3B474
Morbus Scheuermann: Eine im Jugendalter erworbene Verknöcherungsstörung der
Wirbelsäule. Vor allem der mittleren und unteren Brustwirblesäule. Da die Krankheit am
häufigsten zwischen dem 8. und 14. Lebensjahr auftritt ist die Gefahr einer psychologischen
Auswirkung groß. „die Patienten müssen mit einem schwachen Rücken durchs Leben gehen“.
Therapie und Diagnose sind mit dem heutigen Behandlungsmöglichkeiten jedoch gut.
Körperbehinderte
Eine Körperliche „Minderwertigkeit“ hat häufig psychische Folgen. Ein gesteigertes
Geltungsbedürfnis, oder das Imponierverhalten bei Kleinwüchsigen. Ebenso ist hier der
Napoleon- Komplex anzumerken. Viele Verschiedene Szenarien sind hier denkbar. So ist es
typisch, dass es zu einer Überkompensation der Beminderung kommt. Dies kann sich durch
Vergleiche in Sport oder anderen Wettkämpfen mit offensichtlich Schwächeren äußern.
Erpressung von Schwächeren. Oder auch der Unterdrückung des vermeintlich „schwächeren
69
Geschlechts“.
Der Patient kann sich jedoch auch in die Isolation flüchten. Hierfür ist häufig ein negatives
„selbst-Bild“ und ein falsches, vom Umfeld des betroffenen Patienten, projezierte Ideal
verantwortlich.
Lähmungen
„Unter einer Lähmung versteht man den anteiligen oder kompletten Funktionsverlust eines
Körperteils
oder
Organsystems.
In
der
Neurologie
bezeichnet
Lähmung
die
Funktionsminderung von Nerven, mit daraus folgenden motorischen oder sensiblen Ausfällen.
Im übertragenen Sinn kann es sich auch um eine subjektive Lähmungsempfindung trotz
intakter Funktion handeln.“(http://de.wikipedia.org/wiki/L%C3%A4hmung) Der Patient signalisiert durch
äußeres Erscheinungsbild Hilfsbereitschaft. Durch die offensichtliche Erkrankung und die
Symptomatische Behandlung werden tieferliegende psychische Probleme maskiert und
missachtet.
Psychogene Muskelschmerzen
Die Schmerzen des Patienten beruhen auf einem psychischen Konflikt. Oftmals ist es ein
Konflikt den der Patient alleine nicht verarbeiten kann. Es können aber auch ganz alltägliche
Dinge wie z.B. Stress bei Arbeit oder in der Familie sein, welche dazu führen das sich ein
Psychogener Schmerz manifestiert. Erhält der Patient nun im zweiten Schritt auch noch mehr
Aufmerksamkeit für den Schmerz, ist es möglich, das sich der psychogene Schmerz in einem
sekundären Schritt manifestiert.
Typisch ist hier das der Schmerz weder in der
Entspannungsphase noch in der Stressphase unterschiedliche Stärkegrade aufzeigt.
Eine
Behandlung mit Analgetikern ist hier Kontrainiziert und zeigt auch keinerlei Wirkung. Hier
sollte das ein psychiatrisches Konsil im Vordergrund der Behandlung stehen, sobald sicher
ausgeschlossen ist das es sich um eine physische Erkrankung handelt.
70
Skoliose und Kyphose
Unter einer Skoliose versteht man eine Seitabweichung der Wirbelsäule von der Längsachse
mit Rotation der Wirbelkörper um die Längsachse und Torsion der Wirbelkörper
(Verschieben der Deck- und Grundplatten gegeneinander) - begleitet von strukturellen
Verformungen der Wirbelkörper.
(http://flexikon.doccheck.com/de/Skoliose)
Als Kyphose bezeichnet man
eine nach dorsal konvex verlaufende Krümmung der Wirbelsäule in der Sagittalebene. Sie ist
das Gegenteil der Lordose. (http://flexikon.doccheck.com/de/Kyphose)
Eine psychotherapeutische Zusatzbehandlung wird empfohlen bei Skoliosen über 20-35° die
nach einsetzen der Menarche diagnostiziert werden und bei Kyphosen unabhängig von der
schwere und Verdünnung.
Bei der Skoliose sind deutlich häufiger Mädchen betroffen. Es handelt sich in 90% um eine
idiopathische Skoliose. Eine Behandlung ist nur in der Wachstumsphase möglich. Bei
schweren Fällen ist das Korsett eines der häufigsten Behandlungsmittel. Die Gefahren bei
einer Operation sind hier enorm hoch, sodass in den seltensten Fällen überschnell gehandelt
wird. Jedoch handelt es sich bei den Patienten größtenteils um junge Patienten/innen, mit
starken Herz / Lungen Kapazitäten, was sie zu gern gesehenen Patienten in jedem OP
machen.
(http://www.klinik-hohenfreudenstadt.de/medizin/psychosomatik/psychosomatik-und-orthopaedie.php
Häufig sind es die ungelösten Konflikte welche nicht ausreichend verarbeitet werden und zu
anhaltenden Belastungen führen. Dies führt zu einer Abnahme der Widerstandskraft, die
subjektive Belastung und das Krankheitsgefühl nimmt zu. Es kommt zu Fehlhaltungen,
Beschwerden
und
Schmerzen.
Bei
solchen
Patienten
sind
die
üblichen
Behandlungsmöglichkeiten wie etwa, Physiotherapie oder auch Medikamente schnell
ausgeschöpft. Das Behandlungskonzept muss hier ziel-, ressourcen- und lösungsorientiert
sein.
Eine Steigerung der psychischen Kompetenz und des Wohlbefindens der Patienten sind
unerlässlich.
71
Ein wichtiges Fundament für die Therapie bildet die Information und die Aufklärung über
psychosomatische Zusammenhänge und den transaktionalen Charakter von Stress und
Stressbewältigung sowie Schmerz und Schmerzbewältigung.
Die Behandlungsmethoden müssen körperliche und geistige Aspekt mit einbeziehen. Hier ein
Beispiel der Behandlungsmethode des Klinikum in Hohenfreudenstadt:

Rückenschule

Ergonomieberatung

das Erlernen von Entspannungstechniken

Stressbewältigungstraining

therapeutisches Flugballspiel

bei Bedarf Psychotherapie

Gymnastik und Wassergymnastik nach Indikation (auch Atemgymnastik)

Ausdauertraining (Nordic Walking)

Medizinische Trainingstherapie nach Indikation

Ergotherapie nach Indikation

balneophysikalische Maßnahmen

medikamentöse Therapie

Psychopharmaka nur bei dringendem Bedarf
Im Sinne der „Hilfe zur Selbsthilfe“ wird ein Repertoire an Bewältigungsstrategien mit dem
Ziel, nicht nur gegenwärtige, sondern auch künftige Stresssituationen bewältigen zu können,
vermittelt und aufgebaut. Über begleitende Maßnahmen der medizinischen-therapeutischen
Abteilungen
werden
mit
Hilfe
allgemeiner
Entspannung
und
Kräftigung
eine
Effektivitätssteigerung und eine bessere Verankerung der psychosomatischen Interventionen
bewirkt.
(http://www.klinik-hohenfreudenstadt.de/medizin/psychosomatik/psychosomatik-und-orthopaedie.php)
72
12. Psychosomatik in der Chirurgie
Hannah Simon
Ein jeder hat seine ganz eigenen Assoziationen und Erfahrungen mit der Chirurgie. Dennoch
oder vielleicht gerade deswegen sollte man „chirurgische Krankheiten“ definieren.
Was sind also „chirurgische Krankheiten“?
Dies zu erläutern soll als Einstieg dienen, um sich anschließend mit der Psychosomatik in der
Chirurgie beschäftigen zu können.
Man wird zum chirurgischen Patienten, wenn man eine Krankheit durchläuft, in der eine
operative Behandlung eine entscheidende Therapie darstellt oder zumindest in Frage kommt.
Chirurgischer Patient ist man in der Regel immer nur auf Zeit.
Für die gleiche chirurgische Krankheit gibt es eine Vielzahl von möglichen Ursachen.
Nehmen wir zur Verdeutlichung die chirurgische Krankheit „Oberschenkelfraktur“: Es gibt
unzählige Möglichkeiten eine solche Fraktur herbeizuführen: ein Fahrradsturz, ein
Verkehrsunfall, ein Sturz vom Baum, um nur einige zu nennen. Hinter jeder dieser
Möglichkeiten können tiefere Konflikte stehen, die es für den Arzt zu erkennen gilt. Ist das
Kind vielleicht vom Fahrrad gestürzt, weil es schnell wegfahren wollte von zu Hause, weg
von familiären Problemen?
Zu beachten ist, dass die Schwere der Verletzung nichts mit der Schwere des Konflikts zu tun
hat!
Doch wie kann man den Menschen beschreiben, der eine solche chirurgische Krankheit hat,
wer ist der chirurgische Patient?
Angst ist sicherlich eine häufige Gefühlswahrnehmung bei chirurgischen Patienten. Jede
Operation birgt ein Risiko. Die Angst kann viele Ursachen haben: das Ausgeliefertsein,
73
Verstümmelungsangst oder auch Todesangst. Diese Befürchtungen bestimmen die Interaktion
zwischen Krankem und Chirurg, auch wenn dieser Umstand nicht immer beiden bewusst ist.
Die Persönlichkeit des Chirurgen spielt eine erhebliche Rolle bei seiner Entscheidung, ob es
sich um einen chirurgischen Patienten handelt oder nicht. Junge männliche Chirurgen weisen
eine erhöhte Affinität zu jungen Patientinnen auf. Desto höher die Affinität, desto relativer die
Indikation zum operativen Eingriff.
Im Hintergrund von akuten abdominellen Schmerzen und deren operativer Behandlung stehen
nicht selten die seelischen Konflikte der chirurgischen Patienten.
Krankheiten können im Leben eines Menschen große Erschütterungen auslösen, doch genau
so können auch Erschütterungen Krankheiten verursachen.
Wie sollte also das chirurgische Handeln organisiert sein, um diesem Wissen gerecht zu
werden?
Der erste Teil der chirurgischen Tätigkeit: Entscheiden, ob und wann ein Patient operiert
werden soll. Es gilt zu entscheiden, ob eine absolute Operationsindikation vorliegt, das heißt
eine Operation sofort stattfinden soll, oder ob es sich um eine relative Operationsindikation
handelt.
(Absolute Operationsindikation: zwei Chirurgen – eine Entscheidung;
Relative Operationsindikation: zwei Chirurgen – viele Meinungen)
Der zweite Teil des chirurgischen Handelns besteht im Durchführen der Operation. In diesem
zweiten Teil der chirurgischen Tätigkeit lässt sich auf den ersten Blick keine Arzt-PatientenBeziehung erkennen, dennoch ist diese auch hier vorhanden.
Der dritte Teil der chirurgischen Tätigkeit: Die postoperative Behandlung. Hier muss der
Chirurg, wie schon im ersten Teil seiner Arbeit, große psychosoziale Fähigkeiten beweisen.
Der Arzt ist nicht nur eine Maschine, die einen bestimmten Input liefert und einen bestimmten
Output erzielt. Der Arzt ist gleichzeitig auch eine Art Seelsorger für den Patienten. Versteht er
das nicht, wird er trotz guter technischer Fähigkeiten scheitern. Ein solches Scheitern kann
74
sich in postoperativen Komplikationen zeigen, beispielweise Wundheilungsstörungen oder
Chronifizierungen.
Die Phase des chirurgischen Handelns kann sehr kurz sein (z.B. bei Unfallopfern), dennoch
werden hier die Weichen für den ganzen weitern Verlauf gestellt.
Empathie ist ein wichtiges Handwerkszeug für die Arbeit eines Chirurgen. Der Patient sollte
Erfahren, was für ihn wichtig ist und was er erfahren möchte, doch muss darauf Acht gegeben
werden, nicht mit zu vielen Informationen Traumen bei dem Kranken auszulösen. Nur mit
Empathie wird es dem Arzt gelingen hier das richtige Maß für jeden Patienten zu finden.
Allerdings sollte nicht nur die Angst des Patienten in den Fokus gerückt werden. Besonders
im zweiten Teil der chirurgischen Tätigkeit ist eine Angst auf Seiten des Chirurgen möglich;
Angst vor Versagen oder vor zu hohen Patientenerwartungen können als Beispiele genannt
werden.
Der Chirurg muss also in der Lage sein während der Operation seine Emotionen unter
Kontrolle zu halten. Zur Kontrolle der eigenen Emotionen gehört auch, die vielleicht negative
Sympathie, die der Patient beim Arzt hervorgerufen hat, zu unterdrücken. Präoperative
Konflikte, Probleme im Umgang mit körperlich oder charakterlich abstoßenden Patienten
oder auch intraoperative technische Probleme wegen beispielweise Adipositas können
intraoperative Entscheidungen negativ beeinflussen.
Die Schlussfolgerung:
In der Chirurgie, wie auch in allen anderen medizinischen Fachgebieten, darf keine
Schematisierung der Krankheiten stattfinden. Die Voraussetzung hierfür ist eine „sprechende“
Chirurgie!
Die Arzt-Patienten-Beziehung ist mindestens im gleichen Maße wichtig wie die technisch
handwerklichen Fähigkeiten eines Chirurgen. Dies wird deutlich, wenn man sich vor Augen
führt, in welchen Bereichen die gesundheitsbezogene Lebensqualität gemessen werden sollte:
75
-
Eine psychische Komponente (Funktionsfähigkeit im Alltag)
-
Eine psychologische Komponente (psychisches Befinden, Emotionen)
-
Eine soziale Komponente (soziale Beziehungen)
-
Eine symptombeschreibende Komponente (körperliche Verfassung)
76
13. Psychosomatik in der Neurologie
Jan Hofman
1. Definition Psychosomatik
2. Einführung
3. Neurologische Erkrankungen und psychische Sekundärsymptome
4. Therapie
1. Definition Psychosomatik
Die Lehre der Psychosomatik bezieht sich ganz allgemein auf den Zusammenhang zwischen
somatischen (körperlichen) Störungen, Symptomen oder Krankheitsbildern und der Psyche.
Da
viele
körperliche
Erkrankungen
sehr
komplex
sind,
geht
man
heute
von
Wechselwirkungen aus, die auf einem multifaktoriellen Geschehen basieren. So beeinflussen
sich Körper, Psyche und Umwelt wechselseitig.
Für
das
Verständnis
dieser
Wechselwirkungen
benötigt
man
ein
ganzheitliches
Krankheitsverständnis, das alle biologischen, psychologischen und sozialen Ebenen
berücksichtigt. So kann zum Beispiel jeder Mensch unter psychischen und psychosozialen
Extrembelastungen
körperlich
erkranken.
Dieselben
Belastungsfaktoren
können
zu
unterschiedlichen Erkrankungen führen. Verschiedenartige Stresssituationen wiederum
können zur gleichen Krankheit führen. Bestimmte Menschen erkranken eher als andere, weil
sie über unzureichende Bewältigungsstrategien verfügen und ihre Lebenssituation ungünstiger
ist. Beispielsweise können Anspannung, Stress und anhaltende Probleme im beruflichen und
privaten Leben zu schwerwiegenden Erkrankungen führen. Als eine der mittlerweile
bekanntesten psychosomatischen Erkrankungen zählt das „Burnout-Syndrom“.
Von Psychosomatischen Krankheiten spricht man also, wenn eine krankhafte Form von
Körper-Seele-Beziehung besteht, d.h. körperliche und seelische Faktoren zusammenwirken,
77
die zum Entstehen und zum Verlauf einer Krankheit beitragen oder sie sogar auslösen. Die
Psychosomatik bietet die Grundlage für Diagnostik, Verständnis und die Behandlung solcher
kombinierter Störungsmuster.
2. Einführung
Seelische Erkrankungen können sich körperlich manifestieren und körperliche Beschwerden
und Schmerzen verursachen. Zu den häufig auftretenden psychosomatischen Beschwerden
gehören
zum
Beispiel
Schlaflosigkeit,
Magen-/Darmbeschwerden,
Bluthochdruck,
Rückenschmerzen, Schwindel und Kopfschmerzen. Es kann auch zu „pseudoneurologischen“
(dissoziierten) Störungsbildern kommen wie
zum Beispiel Lähmungen, ohne dass eine
organische Ursache nachweisbar ist.
Andererseits kann es auch bei bereits bestehenden neurologischen Erkrankungen zu
psychosomatischen Begleitsymptomen kommen, die den Krankheitsverlauf und die Prognose
beeinflussen.
Neurologische
Erkrankungen
erfordern
nach
der
akut-
und
intensivmedizinischen Primärversorgung nicht selten einen langwierigen Prozess der
Rehabilitation. Bei solchen chronischen Krankheitsverläufen kommt es relativ häufig zu
psychischen und psychosozialen Begleitsymptomen. Diese können sich in Angst, Depression,
Erschöpfungszuständen, Resignation, gestörter Krankheitsbewältigung und in Fragstellung
von Selbstwert und Lebenssinn äußern. Entstehen dadurch zusätzlich persönliche Konflikte in
Partnerschaft und Familie, können die Betroffenen solchen Konfliktsituationen nicht
dauerhaft standhalten. Sie entwickeln weitere körperliche Symptome.
In beiden Fällen entstehen schwere Einschränkungen körperlicher Funktionen und
Fähigkeiten, die sich auch auf den Krankheitsverlauf und die soziale Integration auswirken.
Oft ist dann eine zusätzliche medizinisch (psycho-)therapeutische Versorgung erforderlich.
78
Im Folgenden werden einige wichtige neurologische Störungsbilder und die bei ihnen
auftretenden sekundären psychosomatischen Begleitsymptome dargestellt, da auch für die
erfolgreiche Rehabilitation der oftmals chronisch verlaufenden neurologischen Störungen die
Mitbehandlung solcher Sekundärsymptome immer wichtiger wird.
3. Neurologische Erkrankungen und psychische Sekundärsymptome
Zu den häufig vorkommenden neurologischen Erkrankungen gehören insbesondere der
Hirninfarkt bzw. Hirnblutung, Multiple Sklerose, Morbus Parkinson, Polyneuropathien,
chronische Schmerzen und das Cervical- und Lumbalsyndrom.
3.1 Cerebrovaskuläre Störungen
Unter cerebrovaskulären Störungen versteht man Erkrankungen, die durch Veränderungen der
Blutgefäße im Gehirn entstehen. Ursache ist meist eine arteriosklerotische Veränderung.
Der Schlaganfall (Ischämie oder Hirnblutung) gehört hierbei zu der häufigsten Untergruppe
(200/100 000 Einwohner pro Jahr) – Die Hirnläsion kann vielfältige Symptome verursachen
wie z. B. eine Hemiparese, eine Sensibilitätsstörung, eine Aphasie (Sprachstörung), eine
Dysarthrie (Sprechstörung) oder eine Dysphagie (Schluckstörung). Auch kognitive
Störungen, Z.B. eine Störung des Gedächtnisses oder der Aufmerksamkeit können die Folge
sein.
Patienten erfahren nicht nur eine vollständige Veränderung ihres Lebens von einer Minute zur
anderen, sie müssen auch mit den Folgen, mit den sozialen und beruflichen Auswirkungen
ihrer Erkrankung zurechtkommen. Nach einem Schlaganfall kommt es neben anderen
psychischen Störungen auch häufig zu einer Depression (ca. 30 – 50 %). Diese kann durch
Veränderung des Hirnstoffwechsels entstehen, aber auch sekundär durch
Reaktionen auf die körperlichen und kognitiven Beeinträchtigungen
79
psychische
(sog. post stroke depression). Patienten, die an einer Aphasie leiden und dadurch in ihrer
gesamten Kommunikation beeinträchtigt sind, sind davon besonders häufig betroffen. Aber
auch bei Patienten, die sich nicht normal ernähren können, weil das Schlucken nicht richtig
funktioniert, oder die vielleicht nur über eine Magensonde ernährt werden können, kann es zu
einer Depression kommen. Die Patienten ziehen sich dann zurück, können von Therapien
nicht gut profitieren, lernen schlechter und werden immer unzufriedener. Dies wiederum
belastet die Familie zuhause stark, so dass es auch hier zur Dekompensation von
Familienmitgliedern kommen kann.
3.2 Multiple Sklerose
Die Multiple Sklerose (MS), auch als Encephalomyelitis disseminata (ED) bezeichnet, ist eine
chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Sie ist neben der Epilepsie
die häufigste neurologische Krankheit bei jungen Erwachsenen und von erheblicher
sozialmedizinischer Bedeutung, da sie unbehandelt häufig zu Invalidität führt.
Die Patienten haben oft große Probleme, die Krankheit zu akzeptieren. Dadurch treten
begleitend oft Resignation und Depression auf.
Bei der Multiplen Sklerose entstehen in der weißen Substanz von Gehirn und Rückenmark
verstreut vielfache entzündliche Entmarkungsherde, die vermutlich durch den Angriff
körpereigener Abwehrzellen auf die Myelinscheiden der Nervenzellfortsätze verursacht
werden. (B + T-Lymphozyten). Es kommt auch zur axonalen Degeneration.
Typische Symptome der Multiplen Sklerose sind Sehstörungen bei Optikusneuritis
(Retrobulbärneuritis) als Erstmanifestation bei ca. 30 % der Patienten, allgemeine Schwäche,
schnelle Ermüdbarkeit, Kribbeln, Spastiken, Lähmungen, Sensibilitäts-störungen, Ataxie,
kognitive Störungen, Sprech- und Schluckstörungen.
80
Die MS kann – in Abhängigkeit von der Therapie – auch in den Zeiten ohne sichtbare
Symptome aktiv sein („Die MS schläft nie“). Bei einem Schub behindern die aktiven
Entzündungsherde (Läsionen) die Weiterleitung von Nervenimpulsen in den betroffenen
Nervenfasern und lösen so neurologische Ausfallerscheinungen aus.
Am Anfang der Erkrankung sind die Patientin jedoch trotz starker neurologischer Symptome
oft noch euphorisch, häufiger jedoch sind sie schon depressiv verstimmt. Aus Angst vor
einem erneuten Schub können Schmerzen und Missempfindungen ausgelöst werden. Die
Patienten reagieren auf Stress im Alltag viel empfindlicher und sind dadurch schneller
erschöpft. Sie haben oft das Gefühl, dass sie nichts mehr leisten können. Von anderen
Menschen werden sie aber oft als faul und träge eingestuft. So haben viele Patienten große
Probleme, die Krankheit zu akzeptieren und im Alltag damit klarzukommen. Dadurch treten
begleitend Resignation und Depression auf.
3.3 Morbus Parkinson
Die Parkinson-Erkrankung tritt mit einer Häufigkeit von 20 Erkrankungsfällen pro 100 000
Einwohner und Jahr auf. Sie ist die häufigste fortschreitende Erkrankung des Nervensystems.
Sie macht sich im hohen Alter (zwischen 55 und 65 Jahren) bemerkbar, kann aber auch schon
in jüngeren Jahren auftreten.
Patienten bemerken in erster Linie eine Verlangsamung und Verminderung von spontanen
und willkürlichen Bewegungen (Bradykinese/Akinese), eine Steifigkeit der Muskulatur
(Rigor) oder ein Zittern (Tremor) der Arme und Beine in Ruhe.
Akinese, Rigor und Tremor sowie posturale Instabilität sind die Hauptsymptome der
Erkrankung. Sie sind auch die Ursache für Störungen der Stimmfunktion, des Sprechens/der
Artikulation, der Atmung, des Schluckens und der Mimik (Hypomimie).
81
Zusätzlich können sogenannte vegetative Beschwerden wie Kreislaufstörungen, vermehrtes
Schwitzen, Magen-Darm-Beschwerden, Blasenfunktionsstörungen auftreten. Auch Geruchsund Geschmacksstörungen sowie Störungen des REM-Schlafes können schon frühe
Anzeichen der Erkrankung sein.
Die Parkinson-Erkrankung ist eine langsam fortschreitende Erkrankung, bei der eine kleine
Gruppe von NZ in der Substantia nigra in den Basalganglien des Gehirns zugrunde geht. Die
genaue Ursache ist noch nicht geklärt. Die Erkrankung tritt in der Regel sporadisch auf, kann
aber auch bei einzelnen Familien durch bestimmte Veränderungen des Erbmaterials
verursacht werden. Durch die Schädigung in der Substantia nigra kommt es zu einer Störung
des Dopaminstoffwechsels. Es wird vermutet, dass dadurch Parkinson-Patienten eine
Veranlagung zur Depression haben. Im Verlauf der Erkrankung kann bei ca. 1/3 der Patienten
eine Demenz entstehen. Viele leiden nach Erkrankung an s. g. mci-Störungen (minimal
cognitive impairment), die das Leben im Alltag oder im Beruf erschweren. Auch das leise
Sprechen, das oft streng oder gelangweilt aussehende
Gesicht und der Speichel, der Pateinten aus dem Mund heraus laufen kann, sorgen im Alltag für große
Probleme. Viele Patienten ziehen sich vom sozialen Leben zurück.
Bedingt durch die Einnahme von dopaminergen Medikamenten, kann es sekundär auch zu
Wahnstörungen (Halluzinationen), Störungen der Impulskontrolle, in Form einer Spiel- oder
Kaufsucht, eines gesteigerten Essverhaltens oder zur Hypersexualität kommen, wodurch in der
Beziehung zum Partner und in der Familie weitere Probleme entstehen, die Patient und
Familienangehörige zusätzlich psychisch stark belasten, so dass zusätzlich zur medikamentösen
Therapie psychotherapeutische Hilfe notwendig ist.
3.4. Polyneuropathie
82
Die Polyneuropathie zählt zu den Erkrankungen des peripheren Nervensystems. Sie betrifft Nerven,
die außerhalb vom Gehirn und Rückenmark – dem zentralen Nervensystem – liegen.
Die Folge sind Empfindungs- und Funktionsstörungen in der Körperregion, die von den geschädigten
Nerven
versorgt
werden.
Daraus
können
motorische,
sensible
oder
autonome
Funktionseinschränkungen entstehen. Eine Polyneuropathie ist kein eigenständiges Leiden, sondern
Folge
oder
Symptom anderer
Erkrankungen,
z. B.
Infektionen
(Diphterie,
Borreliose),
Autoimmunerkrankungen (z. B. Guillain-Barre-Syndrom), Giften (Schwermetalle), Medikamenten (z.
B.
Chemotherapeutika),
Tumoren,
Diabetes
mellitus,
übermäßiger
Alkoholgenuss
oder
Ernährungsdefiziten u. a..
Oft treten Symptome an den Füßen oder Beinen auf, später an den Händen. Es kann zu
Missempfindungen, Kribbeln und Taubheit, zu brennenden Schmerzen oder übersteigerter
Schmerzempfindlichkeit kommen.
Die Behandlung der Polyneuropathie bezieht sich in erster Linie auf die Ursache. Wenn Patienten
unter dauerhaften Schmerzen und Missempfindungen leiden, können auch Antidepressiva eingesetzt
werden oder eine Schmerztherapie durchgeführt werden.
Die Patienten leiden durch die ständigen Schmerzen und sind dadurch häufig depressiv.
3.5 Chronische Schmerzen
Ca. 3,5 Millionen Menschen in Deutschland leiden an chronischen, meist neuropathischen
Schmerzsyndromen, die auf Läsionen im ZNS oder PNS zurückzuführen sind. Nur bei einem geringen
Teil der Patienten ist eine erfolgreiche medikamentöse Behandlung möglich. Wenn die
medikamentösen und konservativen Maßnahmen fehlschlagen, muss man auf invasive Eingriffe
zurückgreifen wie z. B. eine epidurale Rückenmarkstimulation als Therapie des komplexen regionalen
Schmerz-Syndroms (CRPS).
Am häufigsten tritt der Kopfschmerz vom Spannungstyp auf, der mit Depressionen ver-bunden sein
kann. Ein Therapieansatz ist die Gabe von Antidepressiva. Da die Patienten im Beruf und in ihrem
83
Alltag oft eingeschränkt oder immer wieder krank sind, entstehen oft weitere zusätzliche psychische
Belastungen bei der Arbeit oder in der Familie.
3.6 Cervical- und Lumbalsyndrom
Das Cervical- und Lumbalsyndrom ist auch bekannt unter dem HWS-Syndrom, Cervikalgie,
Nackenschmerzen, Kreuzschmerzen, Lumbalgie, Lumbago. Oft sind Menschen im Alter über 40 Jahre
betroffen.
Dieses Syndrom ist definiert, als akut auftretende Schmerzen im Bereich des Nackens und des
Rückens, die nicht innerhalb der ersten sieben Tage wieder verschwinden, sondern sich chronisch
manifestieren. Oft entstehen die Schmerzen an den Hauptbelastungspunkten der Wirbelsäule, selten im
cervicalen und thorakalen Bereich.
Ca. 200.000 – 300.000 Menschen leiden pro Jahr in Deutschland an dem HWS-syndrom. Das
männliche Geschlecht überwiegt und jeder zweite Patient mit einer Spondylose weist
psychosomatische Beschwerden auf wie Aufmerksamkeitsstörungen, hypochondrische Befürchtungen,
dysphorische und depressive Verstimmungen mit Vitalstörungen, V. a. Schlaflosigkeit und
Inappetenz, die wiederum ihren Alltag und das Leben in der Familie beeinflussen.
Insgesamt leidet jeder Zehnte in Deutschland unter Lumbalgien, wovon die Hälfte chronifiziert.
Bei der Psychogenese ist vor allem der unbewusste schmerzhafte Affekt ausschlaggebend, da ein
anhaltender Körperschmerz entstehen kann, auch wenn anatomisch gesehen, keine körperliche
Schädigung vorliegt. Je nach Schmerzstärke, Intensität und Schmerzdauer kann man sich besser oder
schlechter daran erinnern. Ein Kreuzschmerz kann z. B. in die Cervicalregion aufsteigen und somit
entwickelt sich aus einem Hexenschuss ein Ganzkörperrückenschmerz.
Als Therapie sind hier Entspannungstherapie, Physiotherapie, Bewegung und Psycho-therapie
anzuwenden.
84
4. Therapie
4.1 Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung & Gesundheit
Die ICF beschreibt den Zustand eines Menschen in standardisierter Form in seiner Lebensgesamtheit,
vor allem auch soziale Aspekte und entwickelt daraus Behandlungsziele, -verläufe und
Weiterbehandlungsbedarf
in
einer
allgemein
verbindlichen
Sprache
mit
dem
Ziel
der
Wiedereingliederung und Teilhabe.
Sie wurde 2011 im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelt und verabschiedet.
Die ICF stellt damit einen theoretischen Rahmen für die moderne (Neuro-)Rehabilitation zur
Verfügung. Sie erweitert die medizinische, Symptom orientierte Perspektive der Rehabilitation um die
soziale Perspektive. Damit rückt die Teilhabe behinderter Menschen an den für sie wichtigen
Lebensbereichen in den Mittelpunkt der medizinischen und therapeutischen Behandlung. Auf der
Basis dieses Krankheitsmodells ist es möglich, Aussagen zu treffen, mit welchen Schwierigkeiten der
Betroffene im Alltag aufgrund seiner Behinderung zu kämpfen hat und welche sozialen Auswirkungen
seine Erkrankung für ihn hat. Auch kann man darüber herausfinden über welche Ressourcen und
Hilfen der Betroffene verfügt, um mit seinen Beeinträchtigungen besser zurechtzukommen. Erstmals
wird auch der gesamte Hintergrund einer erkrankten Person betrachtet. Dazu gehören, z. B. soziale
Beziehungen (wie lebt der Patient, welche Freizeitaktivitäten und
Hobbies hatte er) und die Umwelt (z. B. in welchem Stock wohnt der Betroffene, gibt es einen
Aufzug, wie ist die Verkehrsanbindung).
Am Beispiel eines Patienten mit Schlaganfall soll das ICF-Schema verdeutlicht werden:
85
Dieses bio-psycho-soziale Krankheitsmodell bietet eine gute Grundlage für die Behandlung
kombinierter psychosomatischer Störungsmuster wie die oben beschriebenen Erkrankungen, mit ihren
begleitenden psychischen und sozialen Folgen. Die psychosomatischen Beschwerden der Patienten
müssen genauso ernst genommen werden wie die vorhandenen Grunderkrankungen. Für die
Behandlung betroffener Patienten ist eine Mischung aus der körperlichen Behandlung der Symptome
und einer Psychotherapie zur Behandlung der psychischen Ursachen notwendig.
86
Quellen:
1) http://www.med.de/lexikon/psychosomatisch.html
2) http://flexikon.doccheck.com/de/Psychosomatik
3) http://www.klinik-am-osterbach.de/neurologie-mit-neurologischer ...
4) Gehirn, Psyche und Körper – Neurobiologie von Psychosomatik und Psychotherapie
Johann Caspar Rüegg (5. Auflage)
5) ISF – Praxisleitfaden 2
Trägerübergreifende Informationen und Anregungen für die praktische Nutzung der
Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF)
87
14. Belastungsstörungen
Noemi Kuld und Elena Jones
Einleitung:
Unter dem Sammelbegriff Belastungsstörungen versteht man verschiedene Reaktionen
auf belastende Lebensereignisse von Patienten die sich als Akute
Belastungsstörungen,
Posttraumatische
Belastungsstörungen
oder
Anpassungsstörungen zeigen können.
Folgende Krankeitsbilder werden in diesem Kapitel dargestellet:
F.43.0 Akute Belastungstörung
F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung(PTSB: Posttraumatic Stress Disorder)
F43.2 Anpassungsstörung
Die akute Belastungsstörung, die Posttraumatische Belastungsstörung, sowie die komplexe
Posttraumatische Belastungsstörung, die allerdings derzeit erst als langfristige Folge
traumatischer Erfahrungen im Kindes- und Jugendalter diskutiert wird, sind spezifische
Reaktionen auf traumatische Erfahrungen. Dagegen treten Anpassungsstörungen nach
kritischen Lebensereignissen wie Scheidung, Arbeitsplatzverlust oder Verlust eines
Angehörigen auf. Der Unterschied zwischen einer traumatischen Erfahrung und einem
kritischen Lebenereignis ist die Plötzlichkeit und das Ausmaß der Erfahrung sowie das
Überwältigtwerden von Hilflosigkeit.
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(Flatten, Leitfaden Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, S.465)
Spezifische Traumafolgen
Definition Trauma:
Als psychisches Trauma verstehen wir eine Reaktion auf eine Situation von katastrophalem
Ausmaß, welche bei der betroffenen Person ein Erleben von Hilflosigkeit oder
Ausgeliefertsein hervorruft.
Nicht entscheidend ist dabei das objektive Ausmaß der Verletzung, sondern das subjektive
Erleben von Lebensbedrohung, Hilflosigkeit, Ohnmacht und Kontrollverlust, ob als
Betroffener oder als Zeuge der Situation. Dabei kommt es oft zu einer Erschütterung des
Selbst- und Weltverständnisses. (Flatten et al. 2004, S.3 ff)
Die
traumatische
Erfahrung
ist
eine
Hochstresssituation,
welche
die
Informationsverarbeitungsfähigkeit der Psyche in diesem Moment überfordert. Dadurch
kommt es zu einer strukturellen Dissoziation von gespeichertem Wissen über die Situation
(Hippocampus und Frontalhirn) und gespeicherten nonverbalem Erleben der Situation
(Amygdala). Dadurch entstehen:
Drei Hauptsymptombereiche:
Diese sind das Wiedererleben, die Vermeidung und die Übererregung (das Angstäquivalent).
Das Wiedererleben (Intrusion) ist die zurück Versetzung in die Situation in Form von
Erinnerungen als Flashbacks (bildliche Erinnerung) oder Intrusionen. Die Vermeidung kann
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Orte, Menschen, Gerüche, Aktivitäten, Hobbies und weiteres betreffen, welches den Betroffen
an das Traumatische Ereignis erinnern könnte. Die Verdrängung kann bis zur Amnesie
führen.Die Übererregung (Hyperarousal,Angstäquivalent) zeichnet sich durch Reizbarkeit,
Schlaflosigkeit, Wutausbrüche, Hypervigilanz und Schreckhaftigkeit aus (Saß et al. 2003).
Übererregung und Wiederleben sind durch Amygdalaaktivierung
vermieden duch eine Unterdrückung der Amygdalaaktivierung.
bedingt. Dies wird
Nach der akuten Erfahrung tritt diese Symptomatik als akute Belastungsreaktion auf, wenn
diese nicht von selbst ausheilt oder behandelt wird, sprechen wir nach einem Monat von einer
Posttraumatischen Belastungsstörung.
Die akute Belastungsreaktion ist eine normale Reaktion auf ein katastrophales Ereignis,
welche meist selbst ausheilt, die PTBS eine Folgeerkrankung, die in der Regel der
Behandlung bedarf.
Interaktionsmodel Posttraumatischer Prozesse
modifiziert nach Maercker 1997
Schutzfaktoren
• Kohärenzsinn
• soziale Unterstützung
• medizinisches Behandlungsmanagment
• Ressourcenorientierte Stabilisierung
Ereignisfaktoren
• Traumaschwere
• Unerwartetheit
• Unkontrollierbarkeit
Posttraumatischer Prozess
Traumafolgen
Intrusion
• Dissoziatve Störungen
• Angst
• Depression
• Somatisierung
• Sucht
Hyperarousal
Vermeidung
Dissoziation
Risikofaktoren
• Alter bei Traumatisierung
• Sensibilisierung durch Vortraumatisierung
• Prämorbide psychische Störungen
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• PTSD
Die höchste Signifikanz als Schutzfaktor vor PTBS kommt dabei der sozialen Unterstützung
nach dem Ereignis zu, Unverständnis durch Erstversorger oder unzureichende
Schmerzversorgung erhöhen das Risiko später eine PTBS zu entwickeln.
Trauma- Typen:
Typ 1, gekennzeichnet durch eine einmalige Situation von kurzer Dauer z.B. Unfälle und
Überfälle.
Typ 2 folgt dagegen längeren und häufigeren Situationen, hier für sind Folter oder auch
wiederholte Vergewaltigungen Beispiele.
Diagnose PTBS:
Es müssen diagnostische Kriterien A-F vorhanden sein, diese sind nach DSM-IV klassifiziert.
A. Es muss ein traumatisierendes Ereignis stattgefunden haben.
1. Die betroffene Person muss Lebensbedrohung oder Todesangst und ernsthafte
Verletzungen entweder eines Selbst oder einer anderen Person erlebt haben.
2. Die Reaktion der betroffenen Person beinhaltet das Gefühl von Kontrollverlust,
intensiver Angst und Fassungslosigkeit.
B. Es kommt zum Wiedererleben des Traumas bei der betroffenen Person in Form (1 von 3
müssen erfüllt sein)
1. Wiederkehrende und eindringliche belastende Erinnerungen
2. Wiederkehrende belastende Träume von dem Ereignis
3. Handeln oder Fühlen, als ob das traumatische Ereignis wiederkehrt
C. Anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind, oder eine
Abflachung der allgemeinen Reagibilität. (3 von 7 müssen erfüllt sein)
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Bewusstes Vermeiden von Gedanken, Gefühlen oder Gesprächen
Bewusstes Vermeiden von Aktivitäten, Orten und Menschen
Unfähigkeit, einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern
Deutlich vermindertes Interesse oder verminderte Teilnahme an wichtigen Aktivitäten
Gefühl der Losgelöstheit oder Entfremdung von anderen
Eingeschränkte Bandbreite des Affekts
Gefühl einer eingeschränkten Zukunft
D. Anhaltende Symptome von Übererregung (2 von 5 müssen erfüllt sein)
1.
2.
3.
4.
5.
Schwierigkeiten ein- oder durchzuschlafen
Reizbarkeit oder Wutausbrüche
Konzentrationsschwierigkeiten
Übermäßige Wachsamkeit
Übertriebene Schreckreaktion
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E. Die Symptome halten länger als einen Monat an.
F. Der Betroffene leidet unter den Symptomen und es kommt zu Beeinträchtigungen in
sozialen, beruflichen und anderen wichtigen Lebensaspekten. (nach Flatten et al. 2001)
Prävalenz:
Liegt nach:
Vergewaltigung bei ca. 50 %
Gewaltverbrechen bei ca. 25 %
Kriegsereignissen bei ca. 20 %
schweren Unfallereignissen bei ca. 15%
schweren Organerkrankungen bei ca. 15-25%.
(Tabelle 1, Nach G.Flatten, Leitfaden Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, S.464)
F.43.2 Anpassungsstörungen:
Definition:
Anpassungsstörungen entstehen in Folge einer entscheidenden Lebensveränderung. Es gibt
die Allgemeine Anpassungsstörung z.B. Veränderung des sozialen Umfeldes (Tod einer
geliebten Person etc.) oder bei Migration (Kulturschock). Zudem gibt es auch die
Anpassungsstörung bei somatischen Erkrankungen sowie die Amputation eines Beines oder
Krebs-Diagnose. Im Gegensatz zur Posttraumatischen Belastungsstörung stehen bei
Anpassungsstörungen Ängste und Depressionen im Vordergrund. Die Betroffenen kommen
selbst in Alltagssituationen nicht mehr zurecht und hinzu kommen oftmals Alkohol und
Nikotin Missbrauch.
Einteilung nach Symptomatik:
F.43.20
F.43.21
F.43.22
F.43.23
F.43.24
kurze depressive Reaktion
längere depressive Reaktion
Angst und depressive Reaktion gemischt
mit vorwiegender Beeinträchtigung von anderen Gefühlen
mit vorwiegender Störung des Sozialverhaltens
Literatur:
 P.L. Janssen, P. Joaschky, Leitfaden Psychosomatische Medizin und Psychotherapie,
Deutscher Ärzte Verlag, 2009
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 Iris Veit, Praxis der Psychosomatischen Grundversorgung, W. Kohlhammer, 2010
 Prof. Dr. S.O. Hoffmann, Dr. G. Hochapfel, Einführung in die Neurosenlehre und
Psychosomatische Medizin, F.K. Schattauer, 1991
 T. von Uexküll, Psychosomatische Medizin, Urban und Fischer, 2003
 http://www.psychosomatik.unigoettingen.de/download/51%20Vorlesung%20Anpassungsstoerungen.pdf
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15. Der Allgemeinarzt als Psychosomatiker
Liseth Gehlen und Sophia Kettenhofen
Untersuchungen haben ergeben, dass ein Mensch in seinem Leben circa 600 Gesundheitsstörungen
durchlebt. Im Schnitt sucht er 160 mal einen Allgemeinarzt und 20 mal einen Facharzt auf. Bei
steigendem Ärztemangel bedeutet das für den Allgemeinarzt, dass er bis zu 100 Patienten pro Tag
behandelt, wovon circa 20 Neuzugänge sind. Durchschnittlich hat er also nur etwa 3,5 Minuten Zeit
für Diagnose und Therapie.
Der Allgemeinarzt hat gegenüber den meisten anderen Fachrichtungen die Besonderheit, dass er den
entscheidenden Erstkontakt zwischen Arzt und Patient herstellt. Im günstigsten Fall kommt es zu
einem relativ engen Arzt-Patienten-Verhältnis, welches häufig, ganz im Sinne des klassischen
Familienarztes, generationenübergreifend wird. Dann ist es üblich, dass er seine Patienten über einen
längeren Zeitraum beobachtet und betreut, wobei Ihm aber nur wenig technische Hilfsmittel zur
Verfügung stehen und auch fachärztlicher Rat ist schwerer zu erreichen. In seinem breitgefächerten
Tätigkeitsfeld muss er sich dementsprechend auf das Wesentliche beschränken und die Fähigkeit
besitzen durch seine genauen Beobachtungen gute und sichere Entscheidungen zu treffen. Hierbei
bildet der diagnostisch-therapeutische-Zirkel eine Einheit.
Für die Früherkennung von somatischen, psychosomatischen und neurotischen Erkrankungen ist die
Einschätzung des Allgemeinarztes besonders wichtig um Chronifizierungen zu verhindern und
prophylaktische Behandlung anzusetzen.
Genau hier zeigen sich bis heute Probleme: Viele Ärzte werden nur somatisch orientiert ausgebildet.
Der alltägliche Zeitdruck in den Arztpraxen erschwert die Arbeit zusätzlich und Krankheiten, die sich
auf psychosoziale Aspekte beziehen, werden häufig nicht von den Krankenversicherungen
übernommen.
Gesellschaft, Ärzte und Patienten begegnen diesem Behandlungsansatz häufig mit Widerstand. Der
Arzt, der sich mit den emotionalen Problemen des Patienten auseinander setzt Muss sich dann auch
mit seinen eigenen Emotionen beschäftigen. Auch wollen die Patienten häufig, dass sich ihr Arzt nur
mit den möglicherweise vorgeschobenen körperlichen Symptomen beschäftigt und nicht mit den
wahren Hintergründen. Und schließlich ist unser Gesundheitssystem auf körperbezogene Leistungen
ausgerichtet, wobei der Psychosomatik nur wenig Bedeutung zukommt oder sie gar Ablehnung
erfährt.
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1957 beschrieb Bálint den Erstkontakt als einen „unorganisierten Krankheitsprozess, der sich
allmählich um ein Symptom herum organisiert“. Im Erstkontakt besteht die einmalige Chance, dass
Krankheitsgeschehen des Patienten richtig zu verstehen und zu bewerten. Fehlgedeutete oder nicht
erkannte psychosomatische Befunde können zu weiteren somatischen Erkrankungen führen. Zufällig
entdeckte Nebenbefunde können die psychosomatischen Hauptbefunde verdecken.
Häufig folgen dann unnötige, belastende und teure Tests. Gerade für den Patienten kann das fatale
Auswirkungen haben und auch die Krankenkassen werden unnötig finanziell belastet.
Einige Fallbeispiele belegen diese These:
Fallbeispiel 1
Eine junge Frau erkrankt in Abwesenheit ihres Ehemanns an nächtlichen Herz- und
Angstbeschwerden.
Szenario 1: Beim Erstkontakt wird der Ehemann nicht erwähnt. Sie wird als herzkrank diagnostiziert
und zum Kardiologen weitergeleitet.
Szenario 2: Der Ehemann wird erwähnt. Der Arzt erkennt einen Zusammenhang zwischen der
Symptomatik und den Beziehungsproblemen. Um nichts zu übersehen kommt es auch zu einer
Herzuntersuchung aber die psychotherapeutische Beratung steht im Vordergrund.
Fallbeispiel 2:
Ein 29 jähriger Metzgermeister hat folgende Beschwerden: Magenschmerzen, Völlegefühl, Blässe,
nächtliche Koliken, Schlafstörungen und gestörte Tagesvigilanz sowie Gewichtsverlust. Er erwähnt,
dass Bier den Schmerz „betäubt“.
Erfolglos konsultiert er zahlreiche Ärzte, die unter anderem Gastritis, nervöse Magenbeschwerden,
Subazidität,
Ulkusverdacht,
Erkrankungen
des
Pankreas,
Leber-
und
Gallenerkrankungen
diagnostizieren.
Es folgen verschiedene Heilkuren mit nur kurzfristigen Erfolgen. Wegen der Misserfolge verzweifelt
der Patient immer mehr und die Symptome verschlimmern sich.
Schließlich erfasst man in 12 Sitzungen sein psychodynamisches Profil:
Der Vater des vom Land stammenden Metzgers war kränklich, streng und jähzornig. Die Mutter ist
die gute Seele der Familie, die sich um die 8 Kinder kümmert. Während seiner Lehrzeit hatte er großes
Heimweh, aber aus Angst vor dem Vater wollte er nicht nach Hause gehen. Nach vollendeter Lehrzeit
kam es zu einem großen Streit und Zerwürfnis mit dem Vater.
Anschließend wurde er Geselle bei einem Metzger, der ihn wie einen Sohn behandelte. Während
dieser Zeit sammelt er seine ersten sexuellen Erfahrungen mit einer Witwe, was zu Schuldgefühlen
führte.
Als der Vater an Magenkrebs stirbt, beginnen seine Beschwerden.
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Noch schwerere Schuldgefühle kommen auf, nachdem er eine Affäre mit Ehefrau des Meisters
beginnt.
Inzwischen ist er verheiratet und hat eine eigene Metzgerei. Er hat Eifersuchtsängste, dass seine Frau
fremdgeht.
Die Kliniker rieten ihm, sein Geschäft aufzugeben und in einem festen Angestelltenverhältnis zu
arbeiten, aber der erhoffte Erfolg blieb aus.
Die Diagnose der Psychosomatiker lautet wie folgt: Ödipustrauma, Angst und Schuld, wobei die
Magenbeschwerden als konversionsneurotische Identifikation mit dem Vater zu verstehen sind.
Das Fallbeispiel verdeutlicht die Relevanz des Erstgesprächs: Durch die Reduktion auf organischchemische und physikalische Beschwerden wurden wichtige pathogenetische Faktoren übersehen. Die
Chance eine sich anbahnende neurotische Entwicklung im Entstehen therapeutisch abzufangen wurde
verpasst.
Eine große Rolle in der Beziehung zwischen Arzt und Patienten spielt das gegenseitige Vertrauen,
welches durch verschiedene Faktoren unterstützt wird. Zum Einen berühren sich häufig der Wohnund Arbeitsbereich. Das bedeutet, dass sich Arzt und Patient nicht nur in der Praxis begegnen sondern
eventuell auch im Supermarkt oder auf der Straße. Darüber hinaus ist der Hausarzt oft auch
behandelnder Arzt der ganzen Familie und erlangt so Kenntnisse über das familiäre Milieu und den
Hintergrund.
Diese Faktoren führen dazu, dass der Hausarzt nicht nur die Krankengeschichten seiner Patienten
kennt, sondern auch ihr Umfeld und mögliche Verhaltensweisen und mit diesen Informationen seine
Diagnosen unterfüttern kann.
Fallbeispiel 3:
Im folgenden Fallbeispiel wird verdeutlicht welche Rolle ein intaktes Vertrauensverhältnis und die
jahrelange Begleitung eines Patienten in der Aufstellung einer Diagnose spielen.
Zum Patienten: Der Patient ist 44 Jahre alt, mit einer zwei Jahre jüngeren Frau verheiratet aber
kinderlos. Vor geraumer Zeit ist er mit seinem Unternehmen insolvent gegangen, es gelang ihm aber
eine neue Existenz mit seiner Frau aufzubauen.
Krankengeschichte: Vor zehn Jahren beklagte sich der Patient über wiederkehrende depressive
Verstimmungen und Oberbauchbeschwerden. Die Oberbauchbeschwerden wurden als Ulcus duodeni
diagnostiziert und erfolgreich therapiert. In den letzten Jahren kam der Patient nur noch in die
Arztpraxis um Bescheinigungen für Finanzamt oder Gericht zu bekommen, die er aufgrund mehrerer
Unfälle benötigte.
Bei einer Routine Laboruntersuchung fiel dem Arzt auf, dass der Patient
alkoholische Leberschäden aufweist. Allerdings lässt er sich nicht auf eine Behandlung ein. Eines
Tages erscheint die verzweifelte Ehefrau in der Arztpraxis und berichtet, dass der Ehemann aufgrund
eines erneuten Autounfalls zum 3. Mal den Führerschein entzogen bekommt. Des weiteren berichtet
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sie über deliriumartige Zustände ihres Ehemanns, die zu einer Gefährdung des florierenden Geschäfts
führen.
Die Rolle des Arztes: Wichtig für den Arzt ist nun heraus zu finden, in welchem engeren
Zusammenhang die einzelnen Grunderkrankungen des Patienten stehen um ihn erfolgreich behandeln
zu können. Z. B. stellt sich die Frage ob die Depressionen Ursprung des Alkoholkonsums, des
Ulkusleidens und der familiären Probleme sind oder ob familiäre Probleme zu Depressionen und
Alkoholkonsum führten?
Im Alltag gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen den Rollen von Kliniker und Allgemeinarzt in
der Patientenbetreuung.
Die Rolle des Klinikers ist häufig von sehr begrenztem Charakter, da er für diagnostische Abklärung
und therapeutische Maßnahmen oft auf einen sehr kurzen Zeitraum beschränkt ist und die Diagnostik
meist auf verschiedene Fachärzte verteilt wird.
Im Gegensatz dazu hat der Allgemeinarzt eher einen betreuenden Charakter. Er begleitet den Patienten
über einen langen Zeitraum und übernimmt die meiste Diagnostik und Therapie selber.
Für den Allgemeinarzt ist es wichtig bereits den Erwerb von psychosomatischen Erkrankungen zu
verhindern beziehungsweise durch Prophylaxe einen Ausbruch der Erkrankung zu vermeiden.
Die Bereitschaft mit psychoneurotischen und psychosomatischen Erkrankungen zu reagieren wird
bereits in den ersten Lebensjahren erworben. Die Auslösung und Aufrechterhaltung dieses
Krankheitsgeschehens hängt aber vor allem von den jeweiligen Belastungssituationen ab.
Die Prophylaxe von psychosomatischen Erkrankungen lässt sich in drei Stadien einteilen.
Primär ist es natürlich am wichtigsten eine Krankheitsbereitschaft gar nicht erst entstehen zu lassen.
Hier spielt es auch eine wichtige Rolle, Eltern in Bezug auf richtiges Verhalten bei der Erziehung zu
beraten. Sekundär sollte verhindert werden, dass es zum Aufbrechen bereits manifester Erkrankungen
kommt und tertiär muss eine Chronifizierung vermieden werden.
Zu den Patientengruppen die eine Sekundär- und Tertiärprophylaxe in Anspruch nehmen gehören
Patienten, die unter ihrer akuten Erkrankung leiden und sich eine
Abklärung und Beseitigung
wünschen, Patienten, die ihr chronisches Leiden behandeln lassen wollen oder Patienten, die sich noch
nicht als krank empfinden, die aber aufgrund der Vorbeugung und Gesundheitsberatung den Arzt
aufsuchen.
Die Verantwortung des Arztes ist gegenüber der ersten Patientengruppe am umfangreichsten und
folgeschwersten, da diese Patienten sich in einer Akutsituation befinden.
Bei der Versorgung der chronisch Kranken der zweiten Patientengruppe lassen sich häufig Rezidive
vermeiden, wenn der Arzt in die Psychodynamik des Krankheitsgeschehens eingreift. Z. B. bei einem
an KHK leidenden Patienten der viel unter Stress steht, ist es wichtig, dass es dem Arzt gelingt, den
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zwanghaft an Leistung gebundenen Lebensstil seines Patienten zu ändern und so einem Infarkt
vorzubeugen.
Reine Neurosen nehmen 1/3 aller Erkrankungen ein und gehen häufig mit organbezogenen
Beschwerden wie Herzklopfen, Zittern und Schweißausbrüchen einher. Daher ist meist die erste
Anlaufstelle der Betroffenen der Allgemeinarzt und nicht ein Psychotherapeut. Aufgrund von
Zeitmangel und Unterbesetzung wird häufig kein ausreichendes Erstinterview geführt und es kommt
zum „Facharzt-Hopping“. Trotz der so entstehenden vielseitigen klinischen Diagnosen kommt es nicht
zur Aufklärung der Krankheit sondern zu deren Chronifizierung. Somit kann man sagen, dass die bei
Neurosen durchgeführten Organuntersuchungen psychotoxisch wirken.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass durch ein ausführliches Erstgespräch bei dem auch
psychodynamische Determinanten bestimmt werden, Facharzt-Hopping vermieden und mit einer
sinnvollen Vorsorge viel Leid, Chronifizierung von Krankheiten und Kosten erspart werden können.
Quelle:
Wesiack, W.: Der Allgemeinarzt als Psychsomatiker, in: Heigl-Evers, A. U. Rosin (Hrsg.), 1989:
Psychotherapie in der ärztlichen Praxis, Verlag für Medizinische Psychologie-Vandenhoeck,
Götingen, S. 126-141.
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Nachwort
Andor Harrach
Der Kurs Psychosomatik setzt sich zum Ziel, möglichst vielen Studentinnen und Studenten
eine erste Annäherung an die komplexe Thematik zu ermöglichen. Im weitgehend somatisch
orientierten Unterrichtsalltag wird das Thema überwiegend ausgeklammert. Im klinischen
Studiensequenz soll die bio-psycho-soziale Denkweise einerseits longitudinal (fortlaufend bis
zum Ende des Studiums), zum anderen horizontal-querschittsmässig als in allen Fächern
gegenwärtiges Thema zur Darstellung kommen.
Das bio-psycho-soziales Modell beinhaltet einerseits die in Erkrankungen wirksamen
psychischen, soziokulturellen, ökologischen und ökonomische Kräfte, andererseits auch die
wirkungsvolle Präsenz dieser Kräfte im medizinischen Versorgungssystem und in den
Bildungs-, Weiterbildungs- und Fortbildunssystemen selbst. Diese Betrachtung garantiert,
dass Humanmedizin auch eine humane Medizin wird.
Die hier vorgelegten studentischen Arbeiten werfen vielerlei wohltuende Blitzlichter auf diese
Themen. Die Arbeiten sind durch individuelle Impulse der Studenten entstanden, sie spiegeln
deren Wissensstand, ihre keimenden Interesse an einer humanistischen Medizin, und zwar
ganz von Anfang an hoffentlich dauerhaft ihre berufliche Sozialisation prägend. Es sind keine
Arbeiten mit letztem wissenschaflichem Anspruch, sondern Flugversuche, Annäherungen,
ehrliche Auseinadersetzungen mit ihrer Umwelt und mit sich selber, mit der eigenen
Emotionalität und Lebensplanung, mit der Methodik des Schreibens, mit den modernen
Methoden der Literatursammlung (da Bücher wälzen und in Zeitschriften zu blättern eine
immer kleinere Rolle spielt). Ihrer eigenen Kreativität in der Gestaltung sollte viel Spielraum
gelassen werden.
Diese Beiträge sollten in ihrer Gesamtheit betrachtet werden, denn so entfalten die Inhalte
ihre Wirkung in Richtung der psychosomatischen Haltung, was vielleicht das Hauptanliegen
des Kurses ist. Wir glauben, dass diese frühe Prägung von grundsätzlicher Bedeutung ist.
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