PDF-Datei - Elmar Fulda

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Abschied von der Einheitssoße
>Die verkaufte Braut< als Opéra-comique
Veröffentlicht in Programmheft >Die verkaufte Braut<, Staatstheater Braunschweig 2002
Erfolg durch Folklore?
Bedrich Smetanas „Verkaufte Braut“ ist heute ein Erfolgsstück: Wie kein anderes
Bühnenwerk steht die Oper für tschechisches Nationalkolorit, für Volkstümlichkeit, für
farbenfrohe Kostüme und böhmische Kitsch-Romantik. Doch die Entstehungsgeschichte des
Werkes zeigt: Diese ‚nationale‘ Seite der „Verkauften Braut“ ist ein Ergebnis langwieriger
Umarbeitungen und der späteren Rezeption. Als sich am 30. Mai 1866 in Prag der Vorhang
zur Uraufführung hob, erlebte das Publikum die „Verkaufte Braut“ nicht wie heute als große
Oper mit Rezitativen zwischen den Gesangsnummern, sondern als Singspiel (Opéracomique) mit Dialogen. Smetana musste einen Misserfolg hinnehmen und versuchte, dem
mit der Einfügung neuer Tanzszenen und Stimmungsmusiken wie dem Trinkchor
gegenzusteuern. 1870 ergab sich durch Vermittlung eines befreundeten Sängers die
Möglichkeit, die Oper in St. Petersburg auf die Bühne zu bringen. Der Komponist
verwandelte dafür die Dialoge in orchesterbegleitete Rezitative, um das Drama den
stilistischen Ansprüchen einer ‚großen Oper‘ anzupassen.
Auch in dieser neuen Form blieb es bei vereinzelten Aufführungen. Die eigentliche
Erfolgsgeschichte der „Braut“ begann mehr als zehn Jahre später, nach Smetanas Tod im
Jahre 1884, als sich der Publikumsgeschmack wandelte. Erst das Interesse des Verismo am
Bäuerlichen und die Besinnung auf nationale Traditionen verschaffte der Oper den großen
Zuspruch, verpasste ihr aber auch bald ein Kleid von Folklore und Volkstümelei. In diesem
erscheint sie auch heute oft noch als niedlich, harmlos, nett entschärft – und bedient so die
Landsmann-Sehnsucht des städtischen Opernbesuchers und seinen letztlich
chauvinistischen Blick auf das ‚einfache Bauernvolk‘.
Zugeständnisse an den Zeitgeschmack!
Mit der Ergänzung der Rezitative unternahm Smetana eine ästhetische Umorientierung mit
dem Ziel, das Werk für den Opernbetrieb zu retten. Er fügte – fast mit Gewalt - zusammen,
was aus ganz unterschiedlichen musikalischen Stilebenen und Musiziertraditionen stammt:
Volkstanz, Volksliedmelodik, romantische Emphase und deren harmonische und
rhythmische Finesse in der Seelenschau der großen Arien und Ensembles. Damit reagierte
er nicht nur auf die Anforderungen aus St. Petersburg, sondern auch auf den Vorwurf der
Kritiker, er habe seine Kunstmittel am ungeeigneten, weil zu bauernhaften Milieu erprobt. Die
Rezitativ-Version war somit auch eine Flucht nach vorne: Smetana versuchte, die Gefühle
seiner Figuren zu ‚adeln‘, indem er sie operntauglich machte.
Aber: Die Rezitative bringen einen überhöhten, gespreizten Tonfall in die ursprünglich
lakonische Dorf-Atmosphäre. Sie formen einen kontinuierlichen musikalischen Fluss – aber
diese klangliche Einheitssoße verklebt die Ohren für die spezifische Qualität des Werkes:
seine stilistische Vielgestaltigkeit in der jeweiligen Nähe oder Ferne zum Volkston und zur
Melodik mit Schlager-Qualität, durch die Smetana seine Figuren individualisiert und die
dramatische Situation charakterisiert.
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Rückbesinnung auf den Ursprung als Opéra-comique
Die Braunschweiger Inszenierung macht das Werk wieder in der Form zugänglich, in der es
Smetana ursprünglich konzipiert hatte. Die Rückbesinnung auf die Herkunft des Werkes aus
der Opéra-comique schärft die Wahrnehmung für die Musik, indem sie erst Stille, dann
Sprechen zwischen die Musik setzt. Sie gibt so der Musik ihre ureigenste Qualität und
Funktion zurück: Das Individuell-Verborgene im dramatischen Kontext hörbar zu machen.
Der Wechsel von Singen und Sprechen schärft die Spannung zwischen der Prosaik und
Härte der beschriebenen sozialen Situation und der Poesie, zu der der Alltag im Erleben der
Figuren gesteigert wird.
Die Rückbesinnung auf die Dialoge verdeutlicht das dramaturgische Prinzip der
Diskontinuität. Seine inhaltliche Entsprechung liegt im Tastend-Suchenden, Abbrechenden
und Überschlagenden der Erzählweise des Werkes. Dieses Prinzip zeigt sich auch in den
merkwürdigen Diskrepanzen zwischen der einfachen, ans Schematische grenzenden
Handlungskonstellation (Verlorener Sohn kehrt heim und erobert sich sein Mädchen zurück)
und der tatsächlichen Vielzahl der Interessenkonflikte, sowie auf der Personenebene
zwischen der behaupteten Selbstsicherheit aller Figuren und ihrer individuellen Verlorenheit.
Volksstück statt Rührstück
Die neue Sicht der „Verkauften Braut“ im Sinne eines wahrhaftigen, unverbrämten
„Volksstücks“ hat inzwischen eine eigene Inszenierungstradition. So hat schon Walter
Felsenstein die Figuren und ihre Konflikte nicht als Schwank aufgefasst, sondern ernst
genommen und dem Postkarten-Kitsch entrissen – nach Brechts Wort: „Das Volk ist nicht
tümlich“.
Im Zentrum des Werks steht ein Generationen-Konflikt: Was für die Alten immer so galt,
wollen die Jungen nicht mehr. Sie bestehen darauf, selbst zu bestimmen – vor allem bei der
Wahl ihres Lebenspartners. Der Heiratsvermittler hat das Nachsehen und wird das erste
Opfer der neuen Zeit. Doch die Entrüstung der Altvorderen, dass früher alles anders (das
heißt: besser) war, verschleiert, was damals ‚gute Sitte‘ sich nannte. Der eigentliche Verkauf
der Braut fand nämlich schon in der Elterngeneration statt, als Kruschina von Micha einen
Kredit erhält, den er mit der Verheiratung seiner Tochter an dessen Sohn zu begleichen
vereinbart.
Dass Geld über Liebe regiert, akzeptieren die Jungen nicht mehr – auf sehr individuelle
Weise: Marie als Totalverweigerin, Wenzel in seinem Interesse für das fahrende Volk als
Aussteiger – und Hans, indem er das Denkmuster der Alten für seine Ziele instrumentalisiert.
Wenn er dabei seine Beziehung zu Marie fast zu Tode rettet, wird klar, dass auch er die
Liebe anderem untergeordnet hat: seiner Selbstbestätigung.
Am Ende bekommt Hans als Michas Sohn aus erster Ehe Kruschinas Tochter Marie. Ironie
der Geschichte: Die Jungen erkämpfen sich genau das, was die Alten für sie vorgesehen
hatten. Landet jede Revolution am Ende in der Konvention?
So wird „Die verkaufte Braut“ zur Parabel einer Identitätsfindung zwischen Traditionsbindung
und -überwindung. Ich reflektiere ‚Heimat‘ in der Dialektik von Schutz und der Enge, die sie
für den Einzelnen bedeuten kann – und ich erzähle diese Geschichte auf Grund eigener
Erfahrungen in einem Dorf, dessen Gemeinschaft in den 1970-er Jahren ihre normative, aber
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auch integrative Kraft verliert.
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