KONGRESS 2017 zum Tag der Pflegenden Who cares? Personalnot in der Pflege begegnen Herzlich Willkommen Mittwoch, 10. Mai 2017 Sophiensaal im Bayerischen Landesamt für Steuern, München Ethische Konflikte von Subjektive Belastung Pflegenden aufgrund von ethischen und Dilemma-Situationen subjektive Belastungen Bernhard Bleyer OTH Amberg-Weiden Universität Regensburg „Ethical distress occurs when the decision-maker knows what should be done to uphold his or her personal moral values, as well as to support the patient’s and society’s values and goals, but external constraints keep him or her from accomplishing this. The constraints may come from scarce resources, policies, laws, or other sources. Scarce health care resources (e.g., personnel, equipment, time, space, money) are common reasons for such distress“. (Nelson/Elliot, 2012) www.dbfk.de 3 2012: Empfehlungen der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) 2010: Standards für Ethikberatung Akademie für Ethik in der Medizin (AEM) Ethikkomitee (EK) Schwerpunkt I: Fortbildungen Schwerpunkt II: Ethikberatung auf Station Schwerpunkt III: Leitlinienentwicklung Ich habe im letzten Jahr ethische Konflikte erlebt … (in %) eher täglich 90 eher wöchentlich 91,8 eher monatlich 93,1 seltener 79 19,2 22,4 24,9 23,4 26 30 27,7 30,7 16,7 17,7 19,6 9,9 7,7 22,2 25,1 Gesamt Ärzte Pflegende 30,7 Andere Neitzke, Ethische Konflikte im Klinikalltag – Ergebnisse einer empirischen Studie. Bochum 2007. Befragung MA (3094 Personen) der Med. Hochschule Hannover (Rücklauf 20,15 %) Die ethischen Konflikte haben mich belastet … (in %) eher täglich 34,5 eher wöchentlich 33,4 eher monatlich seltener 30,8 48,1 28,1 20,6 10,2 Gesamt 29,8 20,4 9,4 Ärzte 27,1 24 12,5 Pflegende 25,4 11,3 7,1 Andere Neitzke, Ethische Konflikte im Klinikalltag – Ergebnisse einer empirischen Studie. Bochum 2007. Befragung MA (3094 Personen) der Med. Hochschule Hannover (Rücklauf 20,15 %) Hurst, et al., Ethical difficulties in clinical practice: experiences of European doctors, in: J Med Ethics (2007) 33: 51-57. • 1600 klin. Ärzte in 4 Ländern (UK, Nor, Ital, Switz), ∅ 25 Jahre im Beruf (Rücklaufquote: 43 %) • Nur 17,6 % haben Zugang zu Ethikberatung „Cultural differences may indeed influence how doctors perceive ethical difficulties. The type of help needed, however, did not vary markedly.“ Hurst SA et al. (2007) J Med Eth 33(1):51 Studie „Ethische Konflikte und klinische Ethikberatung“ • Geografisch: von der Mosel übers Allgäu bis Dresden (34 Kliniken) • Dateneingabe (n=2676) • Unterschiedlichste Kliniktypen (Uniklinik, Gerontopsychiatrische Fachklinik, Kinderklinik, …) C. Rester, C. Grebe, E. Bauermann, R. Pankofer, B. Bleyer, Klinische Ethikberatung und subjektive Belastungen von Mitarbeitern in der unmittelbaren Patientenversorgung, in: HeilberufeSCIENCE 8 (2017) 1, 3-9. Der Fragebogen - 4 Seiten - 15 Hauptfragen - Nur die Bereiche Onkologie und Intensiv (Kinder und Erwachsene), Geriatrie, Palliativ - Befragte Berufsgruppen: Ärzte, Pflegende, Psychologen, Seelsorger, Sozialdienst, Physiotherapeuten - Zeitraum der Befragung vor Ort: 15. März bis 31. Mai 2012 Was wir alles aus dem Innenleben von Krankenhäusern erfahren haben … - Ein Arzt macht sich die Mühe alle 15 Fragen samt Rubriken zu kommentieren - Die Leitung einer Klinik sortiert alle Bögen aus, die nicht konform oder formal schlampig ausgefüllt sind - Der Vorstand einer Klinik zensiert den Fragebogen und ordnet Änderungen an - … Gesamt, N=2676 Pflegende Ärzte Psychologe Seelsorger Physio-LogoErgotherapie Sozialarbeiter Tätig in … Intensiv 48% Geriatrie 18% Onkologie 26% Palliativ 8% Verteilungshäufigkeit nach Prozenten in Häufigkeit und Schwerpunkt Alle beteiligten Kliniken, N=2676 Sonstige Angaben zu Ethischen Konflikten aller Befragten; in Ausschnitten • • • • • • • • • • Mißverständnisse, Konflikte im Ärzte-Pflegeteam OPs an Pat. die inoperabel waren und dann verstorben sind am Leben erhaltende Maßnahmen bei Frühgeborenen mit schlechter Prognose (Schwerste Behinderung!); Annehmen eines behinderten Kindes Sterben geht häufig würdelos, Therapie bis zuletzt, Sterben im Abstell- oder Dreibettzimmer Konflikte mit anderen Abteilungen bezüglich Pat.Willen; Angst vor juristischen Konsequenzen! Auch weitere Versorgung des Patienten, z.B. Unterbringung im Altenheim usw. Angehörige erwarten zu viel, Nichtakzeptanz der Erkrankung meist wird nicht die Frage gestellt, welche Lebensqualität der Pat hatte/haben wird bez. Lebensverlängerung "Kapitäne an Land": punktuelle Einmischung von MA, die den Prozess nicht verantworten müssen völlig unzureichende personelle Ausstattung ohne jegliche Reserve Bereiche Ethischer Konflikte Mittelwert Belastung Konflikte durch medizinische Forschung 1,47 Häufigkeit Konflikte mit Transplantation (Organspende/Organvergabe) 1,49 Häufigkeit Konflikte durch medizinische Forschung 1,54 Belastung Konflikt mit Transplantation 1,55 Belastung Konflikt Schweigepflicht? 1,57 Häufigkeit Konflikt Schweigepflicht? 1,63 Belastung Konflikte mit Apparatemedizin 1,92 Belastung Konflikte mit Aufteilung knapper Mittel 1,93 Häufigkeit Konflikte mit Apparatemedizin 2,00 Häufigkeit Konflikte mit Aufteilung knapper Mittel 2,00 Belastung Konflikt Patientenaufklärung 2,00 Belastung Patientenumgang 2,04 Häufigkeit Konflikte mit Qualität medizinischer Versorgung (z.B. Behandlungsfehler) 2,05 Häufigkeit Konflikt alltäglicher Patientenumgang? 2,05 Belastung pflegeethische Probleme 2,06 Belastung Konflikt Angehörigenaufklärung 2,09 Häufigkeit Konflikt Patientenaufklärung 2,11 Häufigkeit Pflegeethische Probleme 2,13 Belastung Konflikte mit Qualität medizinsicher Versorgung 2,14 Belastung Konflikte im Umgang mit psychisch kranken Menschen 2,19 HäufigkeitKonflikt Angehörigenaufklärung 2,24 Häufigkeit Konflikte im Umgang mit psychisch kranken Menschen 2,24 Belastung Konflikte im Umgang mit verwirrten Menschen 2,25 Belastung Konflikt unklarer Patientenwille 2,28 Belastung Konflikte mit Menschenwürde 2,28 Häufigkeit Konflikt Wahrung der Menschenwürde 2,28 Häufigkeit Konflikt unklarer Patientenwille 2,37 Häufigkeit Konflikt Leben künstlich verlängern 2,37 Häufigkeit Konflikte im Umgang mit verwirrten Menschen 2,41 Häufigkeit Nichtakzeptieren eines Sterbeprozesses 2,41 Belastung Konflikt Leben künstlich verlängern 2,41 Belastung Nichtakzeptieren eines Sterbeprozesses 2,44 Gültige Werte (Listenweise) Bereiche ethischer Konflikte Von 1 (nie) bis 3 (häufiges Konflikterleben), sowie von 1 (geringe) bis 3 (starke Konfliktbelastung). Alle: N= 2676 Welche inhaltlichen Bereiche führen in Ihrem Arbeitsbereich zu ethischen Konflikten? N Konflikte mit Transplantation (Organspende/Organvergabe) Konflikte durch medizinische Forschung Konflikt Schweigepflicht? Konflikte mit Apparatemedizin Konflikte mit Aufteilung knapper Mittel Konflikte mit Qualität medizinischer Versorgung (z.B. Behandlungsfehler) Konflikt alltäglicher Patientenumgang? Konflikt Patientenaufklärung Pflegeethische Probleme Konflikte im Umgang mit psychisch kranken Menschen Konflikt Angehörigenaufklärung Konflikt Wahrung der Menschenwürde Konflikt unklarer Patientenwille Konflikt Leben künstlich verlängern Konflikte im Umgang mit verwirrten Menschen Nichtakzeptieren eines Sterbeprozesses 1539 1561 1612 1572 1561 1584 1604 1628 1592 1606 1620 1620 1587 1621 1615 1624 Mittelwert 1,53 1,61 1,68 2,02 2,05 2,08 2,10 2,18 2,28 2,32 2,32 2,36 2,43 2,48 2,49 2,51 Bereiche ethischer Konflikte Von 1 (nie) bis 3 (häufiges Konflikterleben), Nur Pflegende (n=1659) Gesamt, N = 282 Pflegende, N(P) = 168 Ärzte, N(Ä) = 111 Sauer, EthikMed (2014) www.dbfk.de 18 Hauptsächliche Belastungsbereiche: • Nicht-Akzeptieren eines Sterbeprozesses, künstlich Leben verlängern • Umgang mit verwirrten Menschen, unkalkulierbares Verhalten Im Zentrum der Studie: der ALLTÄGLICHE Umgang! Pflegende versus sehr stark belastete Gruppe der Pflegenden Wie stark belasten Sie ethische Konflikte persönlich auf einer Skala von 0 bis 10? Wie stark belasten Sie ethische Konflikte? N Gültig Fehlend 1433 226 Mittelwert 5,48 Median 5,00 Standardabweichung Pflegende N = 1659 2,044 Wie stark belasten Sie ethische Konflikte? N Gültig Fehlend Mittelwert Median Standardabweichung 299 20 6,07 6,00 2,036 Pflegende weiblich – Lebensalter > 40 – Schwerpunkt Intensiv N = 319 Beispiel eines Uniklinikums Pflegende auf Intensivstation sind enorm belastet: Median aller Befragten bei 5 (Psychologen-Median: 2), aber bei Intensivpflegenden bei 7! Allgemein: Der Belastungswert hängt signifikant mit der Berufsgruppe zusammen (und mit den Berufsjahren und mit dem Fachbereich). Pflegende versus sehr stark belastete Gruppe der Pflegenden Haben Sie schon einmal an einer ethischen Fallberatung teilgenommen? Ethische Fallberatung bereits selbst teilgenommen? N 1627 Mittelwert 1,85 N Ethische Fallberatung bereits selbst teilgenommen? 316 Standardabweichung ,357 Mittelwert 1,80 Standardabweichung ,398 Pflegende N = 1659 Pflegende weiblich – Lebensalter > 40 – Schwerpunkt Intensiv N = 319 Pflegende versus sehr stark belastete Gruppe der Pflegenden Ist Ihnen die Möglichkeit einer Ethischen Fallberatung bekannt? Pflegende N = 1659 Pflegende weiblich – Lebensalter > 40 – Schwerpunkt Intensiv N = 319 500 450 400 350 300 Vorgesetzte Familie/Freunde 250 Fachleute (z.B. Seelsorge, Psych.) 200 Kollegen d. Berufsgr. Kollegen im Team 150 100 50 0 keine Angabe täglich wöchentlich monatlich seltener nie Ethische Fallberatung: Alle Befragten versus Pflegende versus weiblich Pflegende auf Intensivstationen > 40 Jahre mit Belastungen (2 Gruppen wurden zusammengefasst) N= 304 1. Die Gruppe der stark belastenden älteren Intensivschwestern nimmt noch weniger Beratung/Supervision in Anspruch als Ihre Vergleichsgruppen 2. Von der stark belasteten Gruppe nehmen 84,41% nie Beratung und Supervision in Anspruch 3. Keine signifikanten Unterschiede im Gesprächsverhalten zu TeamkollegInnen Zusammenfassung • Weibliche Pflegende (> 40 Jahre) im Intensivbereich geben die stärksten Belastungen aufgrund ethischer Konflikte an, kennen besser die Möglichkeit von Ethikberatung, nehmen sie aber weniger wahr • Ethische Konflikte werden überwiegend unsystematisch im beruflichen Nahbereich besprochen • Der Umgang mit verwirrten Menschen ist eine Quelle ethischer Konflikte wird jedoch von der klinischen Ethikberatung kaum aufgefangen • Weitere Studien (Corley, NursEth, 2005) zeigen, dass die Auswirkungen knapper Personalsituationen in der Pflege die deutlichsten Auswirkungen auf „moral distress“ nach sich ziehen. „Organizational practices that support raising and discussing difficult patient care issues and problems with ethical implications contribute to perceptions of ethical climate.” “Moral distress differs from other forms of emotional distress. It is important precisely because it is so powerful and so destructive to the moral agency and integrity of healthcare providers. (…) Over time, these compromises can have negative and longlasting effects that can lead healthcare providers to become desensitized to the moral dimensions of their work or even to leave their profession.” (Hamric, HEC, 2012) 27