interjuli 01 i 2012 „this land is Your land” Kindliche und jugendliche umweltschützer in der Kinder- und jugendliteratur Jana Mikota Literatur wiederfindet und als Produkt kultureller Diskurse geführt wird. Seit den 1980er Jahren konnte sich in dem Kontext das Forschungsfeld des aus den USA stammenden interdisziplinären Ansatzes des Ecocriticism auch im deutschsprachigen Raum etablieren. Cheryll Glotfelty, die maßgebliche Forschungen im Bereich des Ecocriticism verfasst, plädiert dafür, „Natur“ als eine weitere Analysekategorie neben gender zu nehmen und diese nicht ausschließlich auf jene Texte, die man als ökologische Literatur begreifen könnte, anzuwenden: Die globalen Umweltkatastrophen, Klimaveränderungen und Umweltschutz sind zentrale Themen der politischen Debatten seit den 1980er Jahren und sind spätestens seit der Katastrophe in Fukushima im Frühjahr 2011 für einen kurzen Zeitraum in den Mittelpunkt der politischen Debatten gerückt. Auch die Kinder- und Jugendliteratur verschließt die Augen nicht vor solchen Themen und widmet sich auf unterschiedliche Weise der Klimakatastrophe sowie dem Zusammenhang zwischen Umwelt und Globalisierung. Oder anders gesagt: Die Kinder- und Jugendliteratur nimmt somit auch den öffentlichen Diskurs um Umweltschutz auf. Natur ist aber nicht erst seit den Debatten um Umweltschutz ein Thema der Literatur geworden, sondern war und ist eine Projektionsfläche kultureller Entwürfe. Bereits in Romanen des 19. Jahrhunderts wird ein Blick auf die dargestellte Natur geworfen, der sich bis heute in der Simply put, ecocriticism is the study of the relationship between literature and the physical environment. Just as feminist criticism examines language and literature from a gender-conscious perspective, and Marxist criticism brings an awareness of modes of production and economic class to its readings of texts, ecocriticism takes an earth-centered approach to literary studies. (zit. nach Starre 17) 6 MiKota Jugendliche uMweltschützer in der KJl Auch innerhalb der Kinder- und Jugendliteratur spielt Natur eine wichtige Rolle: Kinder agieren in der Umwelt (etwa durch Spiele im Wald), sie reagieren auf ihre Umwelt und erleben diese unterschiedlich. Ähnlich wie in der Allgemeinliteratur muss jedoch zwischen zwei Richtungen differenziert werden: (1) Natur als Analysekategorie der Kinder- und Jugendliteratur allgemein; (2) Natur als Analysekategorie der sog. ökologischen Kinder- und Jugendliteratur Der Ansatz des Ecocriticism wurde bislang nur in wenigen Forschungsarbeiten im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur verarbeitet. 1995 er- schien der Sammelband Naturkind – Landkind – Stadtkind von Ulrich Nassen, der Beiträge zu den Themen Natur und Zivilisation zusammenfasst und stark historisch orientiert ist, Dagmar Lindenpütz greift in ihren Arbeiten den Begriff der ökologischen Kinder- und Jugendliteratur auf und entwickelt eine Systematik: Texte zur ökologischen Aufklärung, Texte zur ethischen Fundierung sowie radikal skeptische Texte. 2011 folgt dann der Sammelband Die angekündigte Katastrophe oder: KJL und Umweltschutz, der sich ebenfalls mit der ökologischen Kinder- und Jugendliteratur auseinandersetzt. 2010 erschien zudem der Beitrag Blumenkinder. Kinder- und Jugendliteratur ökokritisch betrachtet von Julia Hoffmann, der die Theorien des Ecocriticism nicht ausschließlich auf ökologische Kinderund Jugendromane anwendet. Basierend auf diesen Gedanken wird im folgenden Beitrag jene Kinder- und Jugendliteratur untersucht, die man als ökologische Kinder- und Jugendliteratur bezeichnet. Der Begriff ökologische Kinder- und Jugendliteratur meint hier jene Texte, in denen Umwelt und die ökologische Krise thematisiert und problematisiert werden. Zugleich greifen die Texte Nachhaltigkeit und Verantwortung sowie den ökologischen Diskurs – Zerstörung ländlicher Räume, Treibhauseffekt – auf. Ähnlich wie die ökologische Allgemeinliteratur möchte auch die ökologische Kinder- und Jugendliteratur das Bewusstsein der Leser für die Umweltkrise sensibilisieren. Die hier untersuchte Literatur ist einerseits politisch, kann andererseits als eine moralische Warnliteratur gelesen werden. Die ökologische Kinderund Jugendliteratur lässt sich – vereinfacht formuliert – grob in zwei Richtungen einteilen: (1) Texte zur ökologischen Aufklärung (z.B. Eulen, Am Rande der Gefahr, Eingekreist. Cols Geschichte, Aktion Löwenzahn); 7 interjuli 01 i 2012 (2) Dystopien, in denen die Welt durch Umweltkatastrophen zerstört ist (z.B. Die Wolke, Die letzten Kinder von Schewenborn, Die Welt, wie wir sie kannten, Euer schönes Leben kotzt mich an, PanemTrilogie) Beide Richtungen gehen unterschiedlich mit Fragen aus der Umweltbewegung um: Während die Texte zur ökologischen Aufklärung den Leser für den Umweltschutz sensibilisieren möchten, zeigen die Dystopien, was passieren könnte, wenn man nicht (richtig) handelt. Die ökologische Kinder- und Jugendliteratur versteht sich nicht als verwissenschaftliche Kinder- und Jugendliteratur, die streng und möglichst genau den ökologischen Diskurs vorstellen möchte. Vielmehr greifen die Autoren die unterschiedlichen Weltbilder und Wertvorstellungen auf, die von den im Text auftretenden Protagonisten – Umweltschützer, Politiker, Vertreter der Massenmedien, Mitläufer – verkörpert werden. Der folgende Beitrag möchte anhand ausgewählter Romane, die exemplarisch die Bandbreite der ökologischen Kinder- und Jugendliteratur aufzeigen sollen, deren Wertvorstellungen und Leitbilder herausarbeiten. Damit zeigt die ökologische Kinder- und Jugendliteratur bewusst aus unterschiedlichen Blickwinkeln den Diskurs, um den Lesern nicht nur die Bandbreite der Thematik ‚Umweltschutz’ (z.B. die Rettung der Tiere vor der eigenen Haustür; Abholzung des Regenwaldes) zu demonstrieren, sondern ihnen auch unterschiedliche Lesarten anzubieten. Der Beitrag konzentriert sich dabei auf die Darstellung der kindlichen bzw. jugendlichen Protagonisten. Aufgenommen werden erzählende Texte, die seit den 1970er Jahren erschienen sind, ohne zwischen deutschsprachigen und Übersetzungen zu unterscheiden. Bei den Übersetzungen handelt es sich um solche aus dem englischsprachigen Raum, in denen durchaus deutlich wird, dass der ökologische Diskurs dem deutschen sehr ähnlich ist und mit ähnlichen Prämissen argumentiert: In den hier untersuchten Romanen herrscht der Wunsch vor, die Menschen der narrativen Welt, aber auch die Leser über die Gefahren einer ökologischen Krise aufzuklären. Hinzu kommt noch der Gedanke, die ökologische Krise mittels der aufklärerischen Tendenz abzuwenden. Zugleich zeigt sich eine Entwicklung innerhalb der ökologischen Kinder- und Jugendliteratur: Während die Texte der 1970er und 1980er Jahre die Umweltproblematik vor der eigenen Haustür thematisieren, mitunter auch zu Vereinfachungen greifen, so zeigt sich seit den 1990er 8 MiKota Jugendliche uMweltschützer in der KJl Jahren die Umweltkrise als ein globales Problem in den literarischen Texten. t exte zur ökologischen aufklärung Die Texte dieser Gruppierung dienen überwiegend der ökologischen Aufklärung und existieren seit den 1970er Jahren. Die ökologische Krise wird in den Texten mit einer Unaufgeklärtheit der Bevölkerung erläutert (vgl. Lindenpütz 55). Ziel ist es daher, fundiertes Wissen in literarischer Form zu verbreiten. Damit steht ein solcher Ansatz in der Tradition der aufklärerischen Kinder- und Jugendliteratur. Die ökologischen „Aufklärungserzählungen [betonen] die Abbild- und Vorbildfunktion des literarischen Textes“ (Lindenpütz 55, Hvh. i. T.) Romane wie Lasst den Uhu leben! (2003), Aktion Löwenzahn (1981), Das Findelkind vom Watt (1980) oder Conni rettet die Tiere (2011) bieten den Lesern Möglichkeiten, das Handeln der Protagonisten nachzuahmen. Doch nicht nur die narrative Ebene greift ein solches Vorgehen an, auch auf der paratextuellen Ebene erfolgt eine Positionierung und Aufklärung der Leser. Bereits in den Titeln wird der Kampf gegen die Zerstörung der Natur aufgenommen: Lasst den Uhu leben! oder Aktion Löwenzahn zeigen, dass es sich um engagierte Kinderund Jugendliteratur handelt. Abb. 1: Lasst den Uhu leben von Nina Rauprich Ein Teil der Kinder- und Jugendromane nimmt Vor- und Nachworte auf, die man als lenkend bezeichnen kann. Sie werden entweder vom Autor selbst oder von bekannten Umweltschützern verfasst. Dort wird auf die reale Situation hingewiesen und auf deren Folgen aufmerksam gemacht. So heißt es beispielsweise in Lasst den Uhu leben!: Meine lieben jungen Freunde, zu den vielen Tierarten, die im Laufe der Jahre immer seltener wurden und in manchen Gegenden schon ausgestorben waren, gehört der Uhu. Vor allem bei uns hat man diesem scheuen Nachtgreif viel Böses angetan. Aberglaube, Unwissenheit und blindwütige Jägerei haben zu seiner Ausrottung geführt. Doch tatkräftige Naturschützer haben sich dafür eingesetzt, dass der Uhu bei uns wieder heimisch 9 interjuli 01 i 2012 wurde. Wie sie dabei vorgingen, wie viel Arbeit und Schwierigkeiten damit verbunden waren, erzählt dieses Buch. Naturschutz ist jedoch nicht nur Aufgabe einiger weniger Idealisten. Wir alle müssen wieder lernen, dass die Natur eine wunderbare große Familie ist, in der jedes Geschöpf und jede Pflanze einen unersetzlichen Platz haben. Und wir müssen danach handeln. (Rauprich 7) hier vorgestellten Romanen in einem privaten oder einen schulischen Raum statt (vgl. hierzu etwa den Roman Eulen). Auch die Widmungen und Motti verweisen auf Akteure des Umweltschutzes und deuten die Lesart der Romane an. In Nachworten oder Erklärungen werden dann Fachbegriffe erläutert. Nachworte, Widmungen oder Erklärungen der Fachbegriffe heben den fiktiven Gehalt der Texte zum Teil auf und formulieren die Zielsetzungen – also die umweltpädagogischen Konzepte – der Autoren. Der Uhu muss geschützt werden, was sowohl der Titel Lasst den Uhu leben! als auch das Vorwort, das von Bernhard Grzimek verfasst wurde, deutlich machen. Zugleich spiegelt sich in einem solchen Vorgehen auch die Intention der Romane wider, denn die Lesart wird so vorgegeben. Die Romane möchten Leser für Umweltfragen sensibilisieren, was sich auch auf der paratextuellen Ebene zeigt. Für alternative Lesarten wird kein Raum gelassen. Das Vorwort benennt zudem auch die Problematik und appelliert an die Leser, dementsprechend zu handeln. Weitere Paratexte sind Werbehinweise auf Umweltschutzorganisationen wie NABU. Solche Werbetexte für Organisation fordern den Leser explizit auf, sich aktiv am Umweltschutz zu beteiligen. Obwohl die Begleittexte auf solche Organisationen verweisen, finden die meisten Aktionen in den a kteure der umweltbewegung: „deshalb nennen wir uns noComs“ Die Akteure in der ökologischen Kinder- und Jugendliteratur haben unterschiedliche Vorstellungen von der Umwelt, was sich auch in ihrer Haltung zu Umweltfragen widerspiegelt: Die einen sehen in ihr die Produktionsgrundlage, nutzen die Ressourcen der Natur, um Geld zu verdienen und machen sich so die Natur untertan. Solche Zugänge zur Natur, die man als rational sowie spirituell bezeichnen könnte, werden seit dem 18. Jahrhundert in der europäischen Literatur diskutiert, finden sich auch in der Kinder- und Jugendliteratur und zwar nicht ausschließlich in der ökologischen, 10 MiKota Jugendliche uMweltschützer in der KJl a kteure der Bewegung: die umweltschützer sondern auch in Texten wie Heidi wieder. Auch das Figurenarsenal zeigt ein breites Spektrum: Es sind einerseits Gegner der Umweltbewegung, andererseits auch jene, die explizit an der Zerstörung der Umwelt beteiligt sind. Andere dagegen möchten die Natur schützen und die Gesetze der Natur nicht zerstören, sondern im Einklang mit ihnen leben. Hinzu kommen jedoch auch Personen, die sich nicht der Umweltbewegung anschließen, oder jene, die von der Umweltzerstörung profitieren, ohne explizit an ihr beteiligt zu sein, und schließlich noch Desinteressierte. Die Kinder- und Jugendromane nehmen somit ein Gut-Böse-Schema auf: Gut sind, zumindest in den Texten der 1970er bis in die 1990er Jahre hinein, die Umweltschützer, böse die Gegner. In den 1990er Jahren und nach 2000 wandelt sich das Schema und differenziert sich aus: Die Gegner lassen sich nicht mehr auf einzelne Personen reduzieren, die Konzerne agieren global und damit wird Umweltschutz auch ein globales Thema. Hinzu kommen noch Fragen, die etwa im Roman Am Rande der Gefahr aufgenommen werden: Ist Umweltschutz ein Thema der weißen, westeuropäischen und nordamerikanischen Menschen? Die Akteure der Umweltschützer sind jene Gruppe, die die Natur schützen und mit ihr im Einklang leben möchte. Sie werden bereits in der Kinder- und Jugendliteratur der 1970er und 1980er Jahre als Menschen entworfen, die außerhalb der Gesellschaft stehen, eine gute, meist akademische, Ausbildung haben und sich schon/ auch äußerlich von der breiten Bevölkerungsmasse unterscheiden. In Lasst den Uhu leben! tritt mit dem Biologiestudenten Benno beispielsweise ein Tierschützer auf, der in einer Hütte im Wald lebt und sich um Uhus kümmert. Er erklärt den Kindern, die einen Uhu im Garten haben, dass er in der Stadt eine Existenz als Student führt, jedoch sein einsames Leben im Wald bevorzugt. Damit entspricht Benno einer Figur, Abb. 2: Hanni Schaafs Aktion Löwenzahn 11 interjuli 01 i 2012 müssen erst noch für die Fragen sensibilisiert werden und von Erwachsenen in die Problematik eingeführt werden. In Eingekreist: Cols Geschichte wird die Rodung von Wäldern in Australien kritisiert. Im Mittelpunkt steht der etwa 17-jährige Col, der in einer australischen Kleinstadt in ärmeren Verhältnissen aufgewachsen ist. Die Männer arbeiten überwiegend in der Holzwirtschaft, die seit einigen Jahren heftig kritisiert wird. Col ist sich der Problematik bewusst, liebt den Wald, sympathisiert mit der Umweltbewegung und fürchtet sie zugleich. Er gerät zwischen die Fronten. Auch hier prallen also Welten aufeinander: Während die Holzfäller und ihre Familien eher aus der Unterschicht stammen und nur eine geringe Schulbildung besitzen, sind es wiederum die Umweltschützer, die gebildet, wohlhabend die sich als Bild durch die ökologische Kinder- und Jugendliteratur zieht: Der einsame und verantwortungsbewusste Kämpfer für die Natur. Solche Helfer arbeiten freiwillig und ehrenamtlich. In den Texten der 1970er und 1980er Jahre wird nicht nur das Spektrum der Umweltbewegung noch deutlicher, auch die Unterschiede zu der bürgerlichen Bevölkerung werden hervorgehoben. In dem Roman Aktion Löwenzahn heißt es beispielsweise: Dann kam noch hinzu, daß wir uns in der Laubenkolonie ungeheuer einig waren. Das ist natürlich kein Wunder. Die Leute, die an der Trasse wohnen, werden ja nur durch den kommenden Verkehr belästigt. Wir aber werden dadurch bedroht. […] Und außerdem kam uns zugute, daß ein großer Teil, zumindest der jüngeren Kolonisten, überdurchschnittlich gut gebildet ist. Sie waren oder sind durchweg Studenten. Schauen Sie sich mal an, wie viele Lehrer da wohnen. Dann ein paar Volkswirtschaftler, die sich ganz gut im Gestrüpp der Gesetze auskennen und leichter einen Draht zu den richtigen Stellen finden. (Schaaf 83) Das Zitat macht klar: Die Umweltbewegung kann als eine Bewegung betrachtet werden, die von Intellektuellen sowie von Erwachsenen getragen wird. Jugendliche und Kinder Abb. 3: Eingekreist: Cols Geschichte von Nadia Wheatley 12 MiKota Jugendliche uMweltschützer in der KJl sind und zudem noch aus der Stadt kommen. Zugleich werden die Umweltschützer abfällig als „Ökos“ (Wheatly 25) bezeichnet und mit bestimmten Klischees versehen: Jugendliche von außen in die Umweltbewegung eingeführt. Sie tasten sich an unterschiedliche Aktionen – etwa das Verteilen von Flugblättern oder das Beobachten von Vögeln – heran und lernen so die unterschiedlichen Positionen und Strategien sowohl der Umweltschützer als auch der Gegner kennen. Mit der Einführung der ökologisch denkenden Protagonisten sollen die Leser zum Nachdenken angeregt werden. Die Akteure haben bereits einen solchen Lernprozess durchlebt, den nun auch die Leser nachvollziehen sollen. Die ersten Untersuchungen zeigen also, dass die kindlichen Protagonisten oftmals von außen motiviert werden, sich mit der Umweltproblematik auseinanderzusetzen. Der Zugang ändert sich in den 1990er Jahren, denn jetzt treten Kinder und Jugendliche stärker als Umwelt- Schickimickis aus der Stadt, dachte ich, die uns erzählen, was wir mit unserem Land machen sollen. Wenn es nach ihr ginge, wäre der Alte seinen Job los, ich würde nie einen kriegen, und ihr wäre das alles egal. […] Berufsdemonstranten, so nannte der Alte sie. Leben von der Arbeitslosenunterstützung, reisen im ganzen Land rum, verhindern, daß Arbeiter Arbeit haben. (Wheatly 11f.) Ein Miteinander der beiden Gruppierungen scheint unmöglich und beide Parteien kümmern sich kaum um ein friedliches Zusammenleben. Neben dem Konflikt zwischen Erwachsenen und Jugendlichen sowie Intellektuellen und Arbeitern wird zudem der Konflikt zwischen Stadtund Landmenschen diskutiert. Deutlich wird, dass die Stadtmenschen ein idealisiertes Bild von Natur besitzen, während die Arbeiter die Natur nutzen, um Geld zu verdienen. Damit bedrohen die „Ökos“ deren Einnahmequelle. In den drei ausgewählten Romanen – Lasst den Uhu leben!, Aktion Löwenzahn und Eingekreist: Cols Geschichte – werden die Kinder bzw. Abb. 4: Eulen von Carl Hiaasen (2002/ 2003) 13 interjuli 01 i 2012 schützer auf und engagieren sich. In Eulen (engl. 2002, dt. 2003) lässt Carl Hiaasen explizit den Prototyp eines jugendlichen Umweltschützers auftreten. Der Junge Roy bemerkt eines Tages, dass auf einem Baugrundstück eine seltene Eulenart ihre Nester gebaut brütet. Doch auf diesem Grundstück soll ein Fast-Food-Restaurant entstehen und erst nach mehreren Sabotageakten nehmen immer mehr Menschen an den Protesten teil und können so letztendlich den Bau des Fast-Food-Restaurants verhindern. Jugendliche stellen sich gemeinsam mit Erwachsenen gegen die Baumaschinen und singen das Lied „This Land is Your Land” von Woody Guthrie und machen deutlich, dass das Land auch den Jugendlichen gehört. Die Thematik in Eulen erinnert an Lasst den Uhu leben! und andere Texte. Der Unterschied findet sich jedoch in der Haltung der jugendlichen Protagonisten: Sie nehmen selbst die Fragen des Umweltschutzes auf, sind somit aktiv, kümmern sich, klären sich auch gegenseitig auf und verweisen die Erwachsenen in den Hintergrund. Roy recherchiert beispielsweise alleine im Internet, ohne dass ihm ein erwachsener Umweltaktivist alles erklären muss. Damit nehmen die Umweltromane wie Eulen ihre Leser ernst, trauen ihnen selbstständiges Handeln zu und verzichten auf langwierige wissenschaftliche Passagen. Romane wie Eulen zeigen zudem, dass Erwachsene, die sich nicht explizit in Umweltschutzorganisationen engagieren, auch ein Umweltbewusstsein entwickelt haben und ihre Kinder unterstützen. Eine solche Darstellung verdeutlicht, dass Umweltschutz in der breiten Bevölkerung wahrgenommen wird. Seit den 1990er Jahren erscheinen auch Kinder- und Jugendromane, die den globalen Charakter der ökologischen Krise herausarbeiten und nicht ausschließlich über bestimmte bedrohte Tierarten berichten. Auch der Handlungsort verändert sich: Die Umweltschützer agieren jetzt an unterschiedlichen Orten und sind oftmals miteinander vernetzt. Dennoch wird auch hier der Umweltschützer nicht als eine Figur entworfen, die akzeptiert wird. Stattdessen verkörpert der Umweltschützer in den Texten seit den 1990er Jahren nach wie vor einen Außenseiter: „Wir leben so, wie der Rest der Menschheit es eigentlich auch tun müsste, um die Erde nicht völlig zugrunde zu richten“, sagte Leah mit einer Mischung aus Stolz und Trotz. „Energie brauchen wir kaum. Wir verwerten alles wieder, nichts wird verschwendet. Wir verzichten auf Dinge, die uns sowieso nicht wichtig sind.“ 14 MiKota Jugendliche uMweltschützer in der KJl „Zum Beispiel?“ „Shoppingcenter, Einkäufe, die Berge von Plastikmüll verursachen. Wagenladungen von elektronischen Geräten in unserem Alltag.“ (Brandis 271f.) Mit solchen Worten wird eine Gruppe von Umweltaktivisten im Roman Ruf der Tiefe, der teilweise schon dystopische Züge trägt, eingeführt. Die Gruppe kämpft gegen die Zerstörung der Natur und lebt jedoch fernab der Zivilisation auf einer einsamen Insel. Von dort aus organisiert sie Aktionen. Die Gruppe versucht, mit neuen Energien zu leben, und argumentiert gegen die Wegwerfund Konsumgesellschaft. Ihr ist die „Dreiheit der Dinge“ (Brandis 274) wichtig: das Land, das Meer und der Himmel. Der Mensch soll genau diese Dreiheit schützen. In Aussagen wie dieser wird die Gaia-Hypothese aufgegriffen, die – vereinfacht gesagt – die Erde und die gesamte Biosphäre als ein Lebewesen betrachtet (vgl. u.a. Lovelock 1991). Tatsächlich stehen die Umweltschützer in dem Roman in der Tradition der Hippiebewegung. Technologische Erneuerungen bedeuten nur bedingt den Fortschritt. Leon, die Hauptfigur in dem Roman Ruf der Tiefe, argumentiert auch dagegen: Abb. 5: Katja Brandis/ Hans-Peter Ziemek: Ruf der Tiefe gerne so leben. Aber es gibt leider kein idyllisches Tal in ihrer Nähe, in dem das Essen auf den Bäumen wächst.“ Er schaute hoch zu einer Kokospalme, die sich über ihm erhob und ihm jeden Moment eine Nuss auf den Kopf donnern konnte. „Wir auf Big Island sind nur eine kleine Kolonie – aber es gibt immer mehr von uns, auch in den Städten.“ Leahs Augen blitzten kampfeslustig. „Wir beweisen an jedem einzelnen Tag, dass Menschen nicht nur zerstören und ausbeuten. Deshalb nennen wir uns NoComs. Von No Compromise – wir gehen keine faulen Kompromisse ein.“ (Brandis 272) Ähnlich wie in anderen ökologischen Texten tritt hier eine Gruppe von umweltbewussten Menschen auf, die sich zudem für ein Leben außerhalb der Gesellschaft und damit fast schon außerhalb der Zivilisation entschieden hat. Leon war nicht sicher, was er davon halten sollte. „Vielleicht würden andere Menschen auch 15 interjuli 01 i 2012 Betrachtet man das Bild der Akteure der Umweltbewegung von ihrem Erscheinungsbild seit den 1970er Jahren, so lässt sich festhalten, dass sie sich kaum verändert haben. Sie erinnern an Hippies und leben im Einklang mit der Natur. Es sind weitestgehend gut ausgebildete Menschen, die die Gefahren der Umweltzerstörung erkannt haben und die Natur weder ausbeuten noch zerstören möchten. Man kann also vorsichtig formulieren, dass ein bestimmtes Bild des Umweltschützers in der Kinder- und Jugendliteratur existiert. Dieses wird immer wieder aufgenommen. Was sich allerdings ändert, ist der Handlungsraum der Bewegung: Die Umweltbewegung agiert global und Menschen handeln nicht nur aus gemeinsamen Stadtteilen, sondern aus unterschiedlichen Ländern. In Ruf der Tiefe beispielsweise besteht die Gruppe NoCom aus Schweizern, Deutschen und Amerikanern, die sich für eine gemeinsame Idee engagieren. ihr Anliegen nicht verstehen. Während in der Literatur der 1970er bis 1990er Jahren die Umweltschützer noch mit Spaziergängern diskutieren, die beispielsweise die Nistplätze von Vögeln stören, so treten die Gegner in der späteren Literatur nach und nach als Konzerne auf, die weltweit agieren. Die Umweltfrage ist, das machen Romane wie Der Ruf der Tiefe seit den 1990er Jahren deutlich, ein globales Problem und auch die Gegner lassen sich nicht als Einzelpersonen diagnostizieren. Die Konzerne agieren weltweit und zerstören damit auch global die Natur. Ihre Argumente sind die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verbesserung der Lebensstandards. Oder anders gesagt: In den Augen der Konzerne bedrohen die Umweltschützer, so wird es bereits in Cols Geschichte betont, den Fortschritt und den Reichtum der Gesellschaft. Die Abholzung der Regenwälder dient beispielsweise in dem Roman Am Rande der Gefahr dem Tourismus, der der einheimischen Bevölkerung in Indonesien Arbeitsplätze sichern soll. Die Umweltschützer im Roman argumentieren jedoch, dass sich westeuropäische Konzerne bereichern wollen. Aber die Abholzung bedeutet in den Augen zahlreicher Indonesier Fortschritt. Umweltschutz hingegen wird als etwas „Weißes“, Westeuropäisches V erantwortliche für die umweltzerstörung In der hier behandelten Literatur ist Umweltschutz (noch) keine Alltäglichkeit und Selbstverständlichkeit. Immer wieder treffen in den Romanen umweltbewusste Akteure auf Gegner, die sich ihren Ideen widersetzen und 16 MiKota Jugendliche uMweltschützer in der KJl betrachtet, das von außen in die Länder getragen wird. So heißt es im Roman Am Rande der Gefahr: (1) Die Umwelt ist nach einer atomaren Katastrophe zerstört (z.B. Die Wolke, Die letzten Kinder von Schewenborn); (2) Die Umwelt ist durch eine Umweltkatastrophe zerstört (z.B. Die Welt, wie wir sie kannten, Euer schönes Leben kotzt mich an, Panem-Trilogie). Anders als in der Kinder- und Jugendliteratur zur ökologischen Aufklärung setzten sich die Dystopien weniger mit Umweltschützern auseinander, sondern zeigen, was passiert, wenn man die Bedrohung nicht ernst nimmt. Verantwortlich für die Zerstörung der Welt, und auch das machen sowohl aktuelle als auch frühere Romane klar, ist die Eltern- sowie Großelterngeneration. Aber wurde denn für den Safaripark nicht rücksichtslos gefällt? Ajip reagierte barsch auf diese Frage: „Ihr Europäer kommt hierher und wollt uns etwas über Umweltschutz erzählen? In ganz Europa gibt es keinen Urwald mehr. In Indonesien steht mehr Wald unter Naturschutz als in ganz Europa. Deutschland hat seine Wälder längst zerstört oder zu Nutzwäldern gemacht. Indonesien will sich auch entwickeln. Dafür muss es seine natürlichen Ressourcen nutzen. Alles andere ist eine neue Form von Kolonialismus.“ „Öko-Kolonialismus!“, ergänzte meine Mutter. (Chotjewitz 86) a tomare Katastrophen in der Kjl Natur wird hier also unterschiedlich wahrgenommen. Ein Teil der Menschen sieht Natur als Produktionsgrundlage, der andere als einen fast schon spirituellen Raum, den es zu schützen gilt. Antworten darauf, welche Ansicht richtig und welche falsch ist, liefert der Roman nur bedingt. Die bekanntesten Romane der ökologischen Kinder- und Jugendliteratur im deutschsprachigen Raum sind die Texte von Gudrun Pausewang. 1983 veröffentlicht Gudrun Pausewang den Roman Die letzten Kinder von Schewenborn oder … sieht so unsere Zukunft aus? und gestaltet die Auswirkungen eines fiktiven Atombombenangriffs auf Deutschland. d ie Folgen der umweltzerstörung: dystopien Die Kinder- und Jugendliteratur zum Umweltschutz kennt zwei unterschiedliche Arten der Dystopie, wobei jugendliterarische Texte dominieren: Es kam ganz plötzlich, so plötzlich, dass es viele Leute in Badehosen oder im Liegestuhl überrascht 17 interjuli 01 i 2012 hat. Es kam wie aus heiterem Himmel. (Pausewang 1997, 13). Nicht die konkreten Ursachen stehen im Mittelpunkt des Textes, sondern die Tage, Wochen und Jahre danach. Der Roman basiert auf Dokumenten über Hiroshima und Nagasaki. Roland, der zu Beginn der Handlung fast 13-jährige Ich-Erzähler, befindet sich mit seinen Eltern und seinen Geschwistern auf der Fahrt zu seinen Großeltern, als die Atombombe auf Deutschland fällt. Deutschland ist verwüstet und nach und nach mehren sich die Gerüchte, dass fast alle (west-)deutschen Großstädte zerstört wurden. Die Familie bleibt zunächst in Schewenborn, die Großeltern sind bei dem Angriff auf Fulda gestorben. Pausewang bietet den Lesern kein Happy End an. Verantwortung gegenüber einer besseren Zukunft möchte Roland seinen Schülern, die er nach Katastrophe unterrichtet, weitergeben. Roland fungiert offensichtlich als Sprachrohr für die Vorstellungen, die die Autorin ihren Lesern vermitteln möchte. Sie sieht in den Kindern Hoffnungsträger einer besseren Zukunft. Zugleich möchte sie an die Leser appellieren, etwas zu verändern und gegen die atomare Aufrüstung zu protestieren. Der Roman Die Wolke (1987) trägt als Mahnung den Untertitel Jetzt werden Abb. 6: Gudrun Pausewangs Die Wolke in der Auflage von 2009 wir nicht mehr sagen können, wir hätten von nichts gewusst, was die Intention der Autorin noch betonen soll: Der Roman kritisiert das Verschweigen der Gefahren, die von Kernkraftwerken ausgehen. Hintergrund des Romans ist der Reaktorunfall in Tschernobyl 1986. Doch der Untertitel ist noch mehr: Er stellt eine Verbindung zu dem Themenkomplex Nationalsozialismus her. Ähnlich wie in ihren Werken Überleben! oder Ein wunderbarer Vater geht es auch in der Wolke um das Wissen, Schweigen und angebliche Nichtwissen der Generation, die den Zweiten Weltkrieg er- und überlebt hat. Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht der 14-jährigen Janna-Berta, die alleine mit ihrem Bruder Ulli einen Reaktorunfall miterlebt und mit ihm aus Schlitz, Nordhessen, fliehen muss. Unterwegs stirbt Ulli, den Leichnam muss 18 MiKota Janna-Berta zurücklassen. Sie gerät in radioaktiven Regen und bricht an der Grenze zur DDR zusammen. Pausewang entwirft in beiden Romanen Mitläufer, Gegner, Befürworter und Opfer der Kernkraft. Sie zeigt, wie egoistisch und hilflos die Menschen auf das Schreckensszenarium reagieren. Janna-Bertas Großmutter Berta glaubt beispielsweise nicht an die Gefahren und hält Atomkraft noch immer für den Fortschritt. Mit Großmutter Jo, den Eltern und Tante Almut werden Gegner entworfen, die immer wieder vor den Gefahren gewarnt und öffentlich demonstriert haben. In beiden Romanen zeigt Pausewang, wie drastisch Menschen sich ändern, kritisiert nicht nur ihren Egoismus, sondern zeigt auch, dass sie nach solchen Katastrophen schweigen und vergessen möchten. Pausewangs Bücher möchten wachrütteln und lassen sich in den Kontext der Friedensbewegung einordnen. In beiden Romanen bricht Pausewang mit Tabus und mutet den Lesern extreme Situationen zu. Rolands Mutter beispielsweise ist bereits vor dem Angriff der Atombombe schwanger, ihre Tochter Jessica Marta kommt nach der Katastrophe auf die Welt: Ich erstarrte. Ich konnte nicht schreien. Ich saß ganz steif. Jugendliche uMweltschützer in der KJl Meine kleine Schwester Jessica Marta hatte keine Augen. Dort, wo sie hätten sein müssen, war nichts als Haut, gewöhnliche Haut. Nur eine Nase war da, und ein Mund, der an meiner Brust herumsuchte und saugen wollte. Mich lähmte ein solches Grausen, dass ich nicht einmal imstande war, das Kissen wieder zusammenzuraffen, als sich das Kind bloßstrampelte. Da lag es, nackt und blutig, und ich sah, dass es nur Stummelarme besaß. (Pausewang 1997, 171) Jessica Martha wird schließlich vom Vater getötet, da er ihr wenig Überlebenschancen gibt. Den Lesern bleibt es überlassen, den Akt der Sterbehilfe zu kommentieren und zu diskutieren. Die Wolke und Die letzten Kinder von Schewenborn sind engagierte Jugendromane, die kenntnisreich über mögliche Folgen von Kernenergie informieren und sich gegen eine bewahrpädagogische Verharmlosung wehren. Pausewang lässt die Schrecken einer Katastrophe, eines SuperGAUs nicht aus. Ihre literarischen Figuren Janna-Berta und Roland sind Hoffnungsträger einer besseren Zukunft. Beide kritisieren die Erwachsenen und es ist vor allem Janna-Berta, die mit der nationalsozialistischen Vergangenheit ihrer Großeltern hadert und ihr Schweigen bzw. Verharmlosen bereits vor der Katastrophe missbilligt. 19 interjuli 01 i 2012 Pausewangs Romane Die letzten Kinder von Schewenborn oder Die Wolke stehen für die so genannten negativen Utopien im Bereich der fantastischen Kinder- und Jugendliteratur der 1980er Jahre. Nickel-Bacon ordnet sie der „sozialen Fantasie“ (401) zu, Pausewang nutzt hier die Mittel der Subjektivierung und Emotionalisierung, um den Leser aufzuklären und aufzurütteln. Tatsächlich wird eine solche Literatur auch von anderen Autoren aufgegriffen und in den 1990er Jahren fortgesetzt. nach Antworten suchen müssen. Während in Romanen von Gudrun Pausewang der Schuldige benannt werden kann, lässt sich in den Romanen von Lloyd, Pfeffer oder Collins die Schuld nicht mehr explizit zuweisen. Vielmehr werden die Konsequenzen der Lebensführung gezeigt. Mit der zerstörten Welt verändern sich auch die Lebensweisen. In Euer schönes Leben kotzt mich an (2010, engl. 2009) von Saci Loyd wird die Verantwortung für die Umweltkatastrophe der Elterngeneration zugeschrieben. Die Hauptperson Laura fasst in einem Aufsatz zusammen: d ie Welt nach umweltkatastrophen Die Elterngeneration der 1970er Jahre war sehr egoistisch. So haben sie beispielsweise das Moodlight erfunden, statt wie unsere Großeltern die Socken unter einer 40Watt-Birne zu stopfen. Sie ließen sich vom Lifestyle-Magazinen wie der Daily Mail beeinflussen, was zu zügellosem Konsumverhalten führte. Meine Eltern sind Exhippies aus der Generation von 1970, ihr Hochzeitsfoto ist einfach superpeinlich. Alle beide haben darauf so viele Haare, als würden sie darum wetteifern, wer die meisten hat. Sie sehen aus wie Einwanderer aus Osteuropa, dabei kommt mein Vater aus Axminster in Devon und leitet den Fachbereich Reise und Tourismus in einem College und meine Mum kommt aus dem Norden des Staates New York In aktuellen Romanen wie Euer schönes Leben kotzt mich an (2010, engl. 2009) von Saci Lloyd, Die Welt, wie wir sie kannten (eng. 2006, dt. 2010) von Susan Beth Pfeffer, aber auch der Panem-Trilogie (engl. 2008-2010, dt. 2009-2011) von Suzanne Collins ist die Welt nach Umweltkatastrophen zerstört und die Menschen müssen sich in einer veränderten Welt zurechtfinden. Die Art der Katastrophe ist für die Romane zweitrangig, denn die Veränderungen dominieren die Handlungen: Der Egoismus der Menschen wird ebenso kritisiert wie die politische Lage nach der Katastrophe. Im Mittelpunkt stehen Kinder bzw. Jugendliche, die sich in der neuen Welt zurechtfinden und 20 MiKota Jugendliche uMweltschützer in der KJl und arbeitet in einem Verlag. Meiner Meinung nach gehören Exhippies zu der gefährlichsten Sorte von Leuten, weil sie ihr Leben tatsächlich für lebenswert halten. (Lloyd 32 f.) Die Elterngeneration hat, so zeigt es der Roman, Schwierigkeiten, sich der neuen Situation, u.a. dem Energiesparen, anzupassen und auf bestimmte Hobbies zu verzichten. Ähnlich wie in dem Roman Die Welt, wie wir sie kannten müssen sich die Erwachsenen erst zurechtfinden und ihre neue Rolle definieren. Während also die Texte zur ökologischen Aufklärung den Hippie als Paradebeispiel des Umweltschützers positiv besetzen, ihn immer wieder auftreten lassen und seine Haltung zur Natur hervorheben, so setzt sich Lloyd in Euer schönes Leben kotzt mich an kritisch mit der Hippiekultur auseinander und prangert eine mögliche Doppelmoral an. Hippies wie Lauras Eltern, haben die Jugendkultur eine Zeit lang genossen, eine alternative Lebensform ausprobiert und diese dann abgelegt. Nicht nur die Frisuren und Kleidung haben sich verändert, auch die Ideale sind nach und nach verschwunden. Während Romane wie Die Welt, wie wir sie kannten und Euer schönes Leben kotzt mich an die unmittelbaren Folgen der Umweltkatastrophe und die Veränderungen des menschlichen Abb. 7: Der erste Band von Suzanne Collins’ Panem-Trilogie Handelns schildern, so wählt die Panem-Trilogie einen anderen Zugang. Nordamerika ist bereits seit Jahrzehnten nach Kriegen und Umweltkatastrophen zerstört und wurde in unterschiedliche Distrikte unterteilt. Dabei bekommt jeder Distrikt eine eigene Rolle, ist u.a. für Landwirtschaft oder Kohleabbau zuständig und wird vom „Kapitol“ regiert und auch kontrolliert. Collins entwirft ein hierarchisch organisiertes Miteinander der Menschen, das ihnen nur wenige Freiheiten und Entfaltungsmöglichkeit aufzeigt. Alternative Lebensmodelle scheint es nicht zu geben und das Streben nach Macht bestimmt Regierende und Rebellen. Oder anders gesagt: Collins möchte ihre Leser weniger für die Fragen des Umweltschutzes sensibilisieren, sondern möchte Lebensmöglichkeiten nach der Katastrophe aufzeigen. Die Panem-Trilogie endet 21 interjuli 01 i 2012 hoffnungsvoll: Die Hauptfiguren Katniss und Peeta überleben die Hungerspiele sowie den Aufstand und planen, ein Buch über die Zeit der Hungerspiele zu schreiben. Gleichzeit werden diese Ereignisse schon im Schulunterricht behandelt und auch Denkmäler sind errichtet worden. Doch soll vor allem das Buch von Katniss und Peeta zu einer Aufklärung beitragen und damit soll auch indirekt die Romanreihe Panem zur Aufklärung der Leser beitragen. den Tieren aufzubauen als darum, Tiere zu retten. Das Retten von Kröten oder Uhus, die Zerstörung des Regenwaldes und der Tiefsee sowie die Umweltkatastrophe, die die Energiezufuhr zusammenbrechen lässt, sind nur eine kleine Auswahl von Themen, die sich im Bereich der ökologischen Kinder- und Jugendliteratur finden. Die Auswahl der Texte macht deutlich, dass auch die Kinder- und Jugendliteratur Bezüge zu zeitgenössischen Umweltdiskursen aufgreift und ein kursorischer Überblick deutet an, wie sich die Diskurse auch in der ökologischen Kinder- und Jugendliteratur verändert haben. In früheren Romanen agieren die kindlichen und jugendlichen Helden vor der eigenen Haustür und fungieren so als Vorbilder für die Leser und erst nach und nach wird die globale Idee des Umweltschutzes auch in der Kinder- und Jugendliteratur aufgenommen. Anders gesagt: Ein großer Teil der Texte deutet an, dass Umweltschutz heute beginnen muss und es sich um ein nachhaltiges Projekt handelt. Die Kinder in den hier vorgestellten Romanen kümmern sich um den Nachwuchs der Tiere, übernehmen die Elternrolle und sorgen so dafür, dass der Fortbestand der gefährdeten Tiere gewährleistet ist. Damit sind die kindlichen Figuren zugleich auch Trä- B ezüge zu zeitgenössischen umweltdiskursen Der wichtigste in der KJL genannte Grund für die Zerstörung der Umwelt ist die Geldgier der Menschen, die die Natur bis zum Schluss ausbeuten und nicht an die Zukunft denken. Weitere Gründe sind Gedankenlosigkeit und Egoismus1. Ein in den frühen ökologischen Kinder- und Jugendromanen häufig skizziertes Problem ist der Umgang mit den Wildtieren: Sie stehen im engen Kontakt mit den Menschen, was zu einer Domestizierung führen kann. Aber auch das ändert sich im Laufe der 1980er und 1990er Jahre. In Conni rettet die Tiere engagiert sich schließlich Conni im Naturschutzbund und rettet Kröten, indem sie sie über die Straße trägt. Es geht weniger darum, eine liebevolle Beziehung zu 22 MiKota Jugendliche uMweltschützer in der KJl in Gesprächen aufgezeigt, während die Texte, die als Dystopien entworfen werden, immer wieder andeuten, dass die Erwachsenen die Nachhaltigkeit nicht ernst genommen haben und die Welt zerstörten. Vor allem Suzanne Collins zeigt in der Panem-Trilogie, wie sich eine Zukunft gestalten könnte. Demokratie funktioniert nicht mehr, Egoismus und Machtstreben existieren sowohl auf Seiten der Regierenden als auch der Rebellen und somit verzichtet Collins auf ein Gut-BöseSchema. In den Dystopien für jugendliche Leser geht es jedoch nicht ausschließlich um die Frage, warum die Erde zerstört wurde – die Ursachen, auch das deuten die Dystopien an sind vielfältig und reichen von kosmischen Zusammenstößen über Umweltkatastrophen und Kriege. Vielmehr stellen sich die Autoren die Frage, wie Menschen nach einer solchen Katastrophe handeln. Collins, Pfeffer und Lloyd zeigen, wie sich neue Gemeinschaften herausbilden und wie die Figuren auch mit der Vergangenheit umgehen. Alle drei Autorinnen zeigen, dass die Protagonisten nach der Katastrophe nicht unbedingt zu besseren Menschen werden, sondern Egoismus und Machthunger dominieren und lediglich von den Hauptfiguren teilweise in Frage gestellt werden. Ähnlich wie die ger der Hoffnung, dass die Idee des Umweltschutzes fortgesetzt wird. Die ökologische Kinder- und Jugendliteratur zeigt nicht nur die Entwicklung der Kinder- und Jugendliteratur der letzten Jahre, sondern auch die veränderte Haltung gegenüber ökologischem Denken. In Romanen wie Aktion Löwenzahn (1981) geht die Initiative zum Umweltschutz noch von Erwachsenen aus, Umweltschutz prägt noch nicht den Alltag der Menschen und die ‚Ökos’ nehmen eine Außenseiterposition ein, werden jedoch klar positiv konnotiert und als Vorbilder betrachtet. Umweltschutz, auch das macht die Lektüre der frühen Texte klar, muss gelernt und die Menschen müssen erst auf die Problematik aufmerksam gemacht werden: ‚Natur’ und ‚Umwelt’ sind kulturell bedingte Konstrukte, an deren Konstituierung ‚schöne’ Literatur in der Vergangenheit wesentlichen Anteil gehabt hat und die sie heute noch beeinflussen kann. (Goodbody 25) Auch die ökologische Kinder- und Jugendliteratur kann als Speicher für kulturelle Deutungsmuster betrachtet werden, die Debatten um Umweltschutz aufgreifen und den Lesern unterschiedliche Lesarten anbieten. Die Notwendigkeit des nachhaltigen Handelns wird den Protagonisten 23 interjuli 01 i 2012 ökologische Kinder- und Jugendliteratur möchten auch die Dystopien ihre Leser wachrütteln und aufklären. Ein ökokritischer Ansatz fördert das Nachdenken und bewirkt, dass sich auch die Leser mit Umwelt und Umweltzerstörung auseinandersetzen. Insofern bildet das Feld des Ecocriticism spannende Aspekte für neue Lesarten der Kinder- und Jugendliteratur. Jana Mikota (*1973) arbeitet an der Universität Siegen in der Literaturdidaktik u.a. an ihrem Habilitationsprojekt zum Thema „Lektürekanones an höheren Mädchenschulen 1870-1933“. Ihre Forschungsschwerpunkte sind (Kinder- und Jugend-)Literatur der Weimarer Republik und des Exils, Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts, historische/ aktuelle Leseund Kanonforschung. 24 MiKota Jugendliche uMweltschützer in der KJl Anmerkungen 1 In Aktion Löwenzahn setzen sich beispielsweise Menschen dafür ein, eine Schnellstraße durch ein anderes Wohngebiet zu bauen, damit sie es selber ruhiger haben. LiterAturAngAben PRIMÄRLITERATUR Boehme, Julia. Conni rettet Tiere. Hamburg: Carlsen 2011. Brandis, Katja & Ziemek, Hans-Peter. Ruf der Tiefe. Weinheim: Beltz 2011. Chotjewitz, David. Am Rande der Gefahr. Hamburg: Carlsen 2009. Collins, Suzanne. Die Tribute von Panem: Tödliche Spiele. 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