Grundlegende Begriffe und Konzepte 1 und 2

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Prof. Dr. Reinhold Kosfeld
Institut für Volkswirtschaftslehre
Universität Kassel
Grundlagen der Regionalökonomik
Gliederung
1. Grundlegende Begriffe und Konzepte
1.1 Struktur
1.2 Strukturwandel
1.3 Strukturpolitik
1.3.1 Begriff der Strukturpolitik
1.3.2 Notwendigkeit von Strukturpolitik in einem marktwirtschaftlichen
System
1.3.3 Instrumentarium der Strukturpolitik
1.3.4 Strukturpolitische Grundsatzpositionen
1.4 Regionalökonomik
1.4.1 Was ist Regionalökonomik?
1.4.2 Regionalökonomik als Teildisziplin der Volkswirtschaftslehre
2. Empirische Regionalforschung
2.1 Begriff der Region
2.2 Indikatoren zur Messung ökonomischer Aktivitäten im Raum
2.3 Ausgewählte Verfahren der empirischen Wirtschaftsforschung
2.3.1 Lokalisationsquotient
2.3.2 Shift-Share-Analyse
2.3.3 Input-Output-Analyse
2.3.4 Gravitationsmodell
3. Theorie der Regionalökonomik
3.1 Mikroökonomische Standorttheorien: Die Standortwahl von
Unternehmen
3.2 Makroökonomische Standorttheorien: Raumwirtschaftsmodelle
3.3 Regionale Wachstums- und Agglomerationsmodelle
4. Regionale Wirtschaftspolitik
4.1 Konzeptionen der regionalen Wirtschaftspolitik: Marktwirtschaftliche
versus interventionistische Variante
4.2 Ziele und Zielbeziehungen der regionalen Wirtschaftspolitik
4.3 Das Instrumentarium der regionalen Wirtschaftspolitik
4.4 Praxis der regionalen Wirtschaftspolitik
2
Literatur
Armstrong, H., Taylor, J. (2000), Regional Economics and Policy, 3rd ed., Oxford
University Press, Oxford.
Bröcker, J., Fritsch, M. (Hrsg.) (2012), Ökonomische Geographie, Vahlen, München.
Capello, R. (2006), Regional Economics, Routledge Chapman & Hall.
Eckey, H.-F. (2008), Regionalökonomie, Gabler, Wiesbaden.
Maier, G., Tödtling, F. (2012), Regional- und Stadtökonomik 1: Standorttheorie und
Raumstruktur, 5. Aufl., Springer, Wien.
Fahrhauer, O., Kröll, A. (2014), Standorttheorien. Regional- und Stadtökonomik in
Theorie und Praxis, 2. Aufl., Springer Gabler, Wiesbaden.
McCann, P., (2013), Modern Urban and Regional Economics, 2nd ed., Oxford
University Press, Oxford.
Peters, H.-R. (2000), Wirtschaftspolitik, 3. Aufl., Oldenbourg, München.
Schipper, R.A., Heijman, W.J.M. (2010), Space and Economics: An Introduction to
Regional Economics, Wageningen.
Störman, W. (2009), Regionalökonomik: Theorie und Politik, Oldenbourg, München.
Trippl, M., Maier, G., Tödtling, F. (2012), Regional- und Stadtökonomik 2: Regionalentwicklung und Regionalpolitik, 4. Aufl., Springer, Wien.
3
Praxis der Regionalpolitik
Europäische Union (2014), Regionalpolitik. Wettbewerbsfähigere Regionen und
Städte – für mehr Wachstum und Beschäftigung in der Union, Luxemburg,
https://europa.eu/european-union/topics/regional-policy_de
Untiedt, G., Karl, H., Rosche, J., Kersting, M., Alecke, B. (2016), Aufgaben, Struktur
und mögliche Ausgestaltung eines gesamtdeutschen Systems zur Förderung von
strukturschwachen Regionen ab 2020, GEFRA, RUFIS, Münster, Bochum,
https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Studien/gutachten-regionalpolitik2020.html
oder
Untiedt, G., Karl, H., Rosche, J., Kersting, M., Alecke, B. (2017), Aufgaben, Struktur
und mögliche Ausgestaltung eines gesamtdeutschen Systems zur Förderung von
strukturschwachen Regionen ab 2020, Rufis Nr. 1/2017, Universitätsverlag
Brockmeyer, Bochum.
4
1. Grundlegende Konzepte und Begriffe
1.1 Struktur
Struktur:
innerer Aufbau einer komplexen Einheit
Operationaler Begriff, wenn Klarheit besteht über
• Gesamtmenge, die unterteilt werden soll
• Kriterien zur Zerlegung der komplexen Einheit in Teilmengen
hier: relevante Bezugsbasis: gesamte Volkswirtschaft
Kriterien zur Unterscheidung (für Theorie und Politik relevant):
• Sektoren (Branchen)
• räumliche Einheiten (regionale Einheiten)
• Betriebsgrößenaspekt (im Folgenden nicht betrachtet)
Statistische Erfassung der Struktur einer Volkswirtschaft durch Gliederungszahlen mittels
• Variable zur Messung des Niveaus wirtschaftlicher Aktivitäten: x
• Anzahl der volkswirtschaftlichen Teilmengen: n
(1-1)
x = x1 + x 2 + ... + x n
(1-2)
x
x
x
100 = 1 .100 + 2 .100 + ... + n .100
x
x
x
(absolut)
(relativ)
5
Messung der Struktur eines Wirtschaftsraumes: Konkretisierung der Niveauvariablen x
Wert- oder Mengengrößen mit Bezug auf Input oder Output
• Wertgrößen (z.B. Wertschöpfung (Input) oder Umsatz (Output))
→ Vorteil der Homogenität (Geldeinheiten)
• Mengengrößen
→ Aggregationsproblem: unterschiedliche Dimensionen der Inputfaktoren (Arbeit,
Boden und Kapital): direkte Zusammenfassung unmöglich (daher Beschränkung auf
einen Produktionsfaktor)
Übersicht 1-1:
Mögliche Kriterien zur Messung der Strukturierung einer
Volkswirtschaft
Kriterium
Mengengröße
Wertgröße
Input
z.B. eingesetzte Arbeitskräfte A
z.B. Wertschöpfung Y
Output
z.B. erzeugte Gütereinheiten x
z.B. Umsatz px mit p = Preis
6
Fokussierung auf Anzahl der besetzten Arbeitsplätze
• regional und sektoral differenzierte Angaben vorhanden
• hoher Rang des Vollbeschäftigungsziels (Eingliederung Arbeitswilliger in
Produktionsprozess)
Kriterien nicht voneinander unabhängig
Beispiel:
Wertschöpfung Y und (zu deren Erstellung) benötigte Menge der Arbeitskräfte A sind
über Arbeitsproduktivität y verknüpft
Y  Y
A
Y
 A  Ay
A
A
oder
A  A
mit
y=
Y
Y
 Y:  Y:y
Y
A
Y
als Arbeitsproduktivität.
A
7
Tabelle 1-1:
Sektoralstruktur in Deutschland 2006
Erwerbstätige
(in 1000)
Anteil
(in %)
Land- und Forstwirtschaft,
Fischerei
849
2,17
20,09
Produzierendes Gewerbe
(ohne Baugewerbe)
7802
19,95
Baugewerbe
2156
Handel, Gaststätten und Verkehr
Finanzierung, Vermietung und
Unternehmensdienstleister
BruttowertAnteil
schöpfung
(in %)
(in Mrd. €)
Arbeitsproduktivität
(in 1000 €)
Durchschnitt
= 100
0,97
23,66
44,51
539,71
25,96
69,18
130,12
5,51
82,32
3,96
38,18
71,82
9786
25,02
38,41
18,30
38,87
73,12
6613
16,91
601,95
28,95
91,03
171,22
Öffentliche und private
Dienstleister
11900
30,43
454,52
21,86
38,19
71,84
Insgesamt
39106
100,00
2079
100,00
53,16
100,00
Sektor
Quelle:
Eigene Berechnungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes
8
Frage: Wie bildet sich eine Struktur innerhalb der Volkswirtschaft heraus?
vereinfachend: für zwei volkswirtschaftliche Teilmengen
Marktgleichgewicht (produzierte und abgesetzte Menge x) = Schnittpunkt von Angebotsund Nachfragefunktion
Angebotsfunktion abhängig von
• Wettbewerbssituation
• Kosten
Nachfragefunktion abhängig von
• Preis des Gutes
• Preis anderer Güter (komplementär, substitutiv)
• Einkommen
• Präferenzstruktur der Nachfrager
9
Abbildung 1-1:
p
Struktur einer Volkswirtschaft
p
Teilmenge 1
Teilmenge 2
p2
p1
x1
x2
x
x
Verbindung von Produktion und Arbeitseinsatz: Produktionsfunktion x = f(A)
Sie bestimmt auch die Arbeitsproduktivität (1/tan α = reale Arbeitsproduktivität)
Abbildung 1-2:
Zusammenhang zwischen Arbeitsmenge, Output und
Arbeitsproduktivität
A
A
A1
A2
a2
a1
x1
x
x2
x
10
1.2 Strukturwandel
Statischer Begriff: Struktur (bezogen auf Zeitpunkt)
Dynamischer Begriff: Strukturwandel (bezogen auf Zeitraum)
Strukturwandel:
Verschiebung der Anteile volkswirtschaftlicher Teilmengen an der Gesamtmenge im
Zeitablauf
x  x1  x 2  ...  x n
(1-1)
differenziert nach der Zeit:
(1-3)
dx dx1 dx 2
dx


 ...  n
dt
dt
dt
dt
x
x
Erweiterung mit 1  j  j  1 (mit j=1,2,…,n) führt zu
x xj x xj
1 dx x1 1 dx1 x 2 1 dx 2
x 1 dx

  
  
 ...  n   n
(1-4)
x dt x x1 dt
x x 2 dt
x x n dt
1 dx j

mit gxj =
als Wachstumsrate des Sektors j im betrachteten Zeitraum:
x j dt
(1-5)
gx 
x1
x
x
 g x1  2  g x 2  ...  n  g x n
x
x
x
Gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate gx:(mit Bedeutungsanteilen) gewichtetes
arithmetisches Mittel der Wachstumsraten der einzelnen Sektoren (Regionen)
11
Strukturwandel:
wenn sich mindestens zwei Wachstumsraten gxj voneinander unterscheiden
Tabelle 1-2: Sektoraler Strukturwandel in Deutschland 1999-2006
1999
2006
Veränderung 1999-2006
Erwerbstätige
(in 1000)
Anteil
(in %)
Erwerbstätige
(in 1000)
Land- und Forstwirtschaft,
Fischerei
946
2,46
949
849
2,17
-10,17
-10,25
-0,25
Produzierendes Gewerbe (ohne
Baugewerbe)
8491
22,10
7802
19,95
-8,11
-1,79
Baugewerbe
2859
7,44
2156
5,51
-24,59
-1,83
Handel, Gaststätten und Verkehr
9589
24,96
9786
25,02
2,05
0,51
Finanzierung, Vermietung und
Unternehmensdienstleister
5429
14,13
6613
16,91
21,81
3,08
Öffentliche und private
Dienstleister
11110
28,91
11900
30,43
7,11
2,06
Insgesamt
38424
100,00
39106
100
1,77
1,77
Sektor
Quelle:
Anteil 1999
Anteil WachstumsWachstums(in %) rate (in %)
rate (in %)
Eigene Berechnungen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes
12
Frage: Wie kommt es zu einem Strukturwandel (Änderung der Anzahl an Arbeitsplätzen eines
Sektors)?
•
Verschiebung der Nachfragefunktion durch
-
Veränderung des Einkommens Y und unterschiedlicher Einkommenselastizität
x,Y =
dx x
:
dY Y
absolut inferiore Güter: x,Y < 0
relativ inferiore Güter: 0 < x,Y < 1
superiore Güter: x,Y >1
-
Veränderung der Präferenzstruktur (Verschiebung der Indifferenzkurve)
-
Veränderung der Preise bei ausgeprägter Preiselastizität x,p =
dx x
:
dp p
•
Verschiebung der Angebotsfunktion durch Veränderung
der Wettbewerbssituation (Marktformwechsel, z.B. Polypol zu Monopol)
Kostenfunktion (Preise für Produktionsfaktoren)
•
Verschiebung Produktionsfunktion (insbes. technischer Fortschritt)
Verschiebungen nicht unabhängig und unterschiedliche Wirkungen auf Indikatoren der
Wirtschaftsstruktur
13
Technischer Fortschritt: Einfluss auf Produktionsfunktion und über Grenzkosten auf
Angebotsfunktion, Anstieg des mengenmäßigen Output aufgrund sinkender Preise;
Auswirkung auf BIP Y (Y = p↓ ∙ x↑) und Beschäftigung (A = x ↑ :
Abbildung 1-3:
p
x
↑) ungewiss
A
Auswirkungen eines monopolistischen Marktes auf die
Struktur einer Volkswirtschaft
Teilbereich 1
pt1
Angebot
pt0
Nachfrage
xt1
xt0
x
GE
Steigende Bedeutung von Gütern mit
• hoher Einkommenselastizität
• Präferenz der Bevölkerung
• geringer Substituierbarkeit
14
Hypothese zu sektoralem Strukturwandel (nach Fourastie):
• Unterscheidung von primärem, sekundärem und tertiärem Wirtschaftsbreich
• zunächst Wachstum von verarbeitendem Gewerbe und Dienstleistungsbereich
• bei bestimmten Entwicklungsstand Rückgang des sekundären Bereichs
Abbildung 1-4:
Entwicklung des primären, sekundären und tertiären Sektors im Zeitablauf
primärer Sektor
sekundärer Sektor
tertiärer Sektor
15
Tabelle 1-3:
Erwerbstätige im Inland nach Wirtschaftssektoren1 Deutschland2
Produzierendes
Gewerbe
(sekundärer Sektor)
Anteil in %
Übrige
Wirtschaftsbereiche,
Dienstleistungen
(tertiärer Sektor)
Anteil in %
Jahr
Insgesamt
1 000
Land- und Forstwirtschaft,
Fischerei
(primärer Sektor)
Anteil in %
2016
43.486
1,4
24,2
74,4
2015
43.057
1,5
24,4
74,1
2010
41.020
1,6
24,5
73,9
2005
39.326
1,7
25,7
72,6
2000
39.917
1,9
28,5
69,6
1995
37.958
2,3
32,0
65,7
1990
30.409
3,5
36,6
59,9
1985
27.608
4,4
38,1
57,5
1980
27.420
5,1
41,1
53,8
1975
26.248
6,6
42,4
51,0
1970
26.589
8,4
46,5
45,1
1965
26.755
10,7
49,2
40,1
1960
26.063
13,7
47,9
38,3
1955
22.500
18,5
47,1
34,4
1950
19.570
24,6
42,9
32,5
Quelle: Ergebnisse der Erwerbstätigenrechnung des Statistischen Bundesamtes in der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen
Gesamtrechnungen (VGR).
1 Zwischen 1950 und 1969 ohne Abgrenzung nach dem Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen
(ESVG), gegliedert nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 1979 (WZ1979). Ab 1970-1990: Ergebnisse nach
dem ESVG nach Revision 2005/2006, gegliedert nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2003 (WZ2003).
16
Ab 1991 Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2008 (WZ2008).
2 Bis 1990 früheres Bundesgebiet. 1950 bis 1959 ohne Berlin und Saarland.
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