Frau Justitia in Verlegenheit Seht, da steht das Ungeheuer Namens

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Frau Justitia in Verlegenheit
Seht, da steht das Ungeheuer
Namens Jakob Niedermeyer!
Der, nachdem er anfangs Schreiber,
Später Mörder ward und Räuber.
Als dies aber aufgekommen,
Hat man ihn in Haft genommen;
Und man faßte den Beschluß,
Daß man Jakob köpfen muß.
Man vergaß jedoch hierbei,
Daß der Jakob bucklig sei;
Und sieh da, am Hochgericht –
Ach herrje! – da ging es nicht.
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53
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61
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64
Überlebende und überlebte Vergangenheiten
67
78
79
Das Lied einer Juristin *
Von wohl jeder auf ein Fach bezogenen Literatur gibt es, bei einiger
Kultur, zwei Arten: Die meisten Erzeugnisse, seien es Bücher, Aufsätze oder Rezensionen, sollen für die tägliche Arbeit eine Hilfe leisten, und manche sind für den Feierabend. Für jene ist, um mit
Horaz zu reden, allein das prodesse und für diese nur das delectare
das leitende Prinzip. Das hier bekannt zu machende Büchlein (es ist
seines materiellen Gewichts wegen so zu nennen) scheint zu der
zweiten Art zu gehören. Schon der Titel lässt daran kaum einen
Zweifel: Ein Lied ist ein Stück Musik – und die ist für den Juristen
doch gewiss für den Feierabend. Niemand wird auch in Hinsicht auf
das Gesetz das Wort »Lied«, wie es sich bei den anderen literarischen
Erzeugnissen gehört, so richtig ernst nehmen. Die Grundlage eines
Liedes sind – Mendelssohns »Lieder ohne Worte« in allen Ehren –
Worte und Noten. Ein Gesetz, zu dem Noten gehören, gibt es nicht
und hat es wohl, außer vielleicht bei den alten Griechen, auch noch
nie gegeben. Der Autorin (im Folgenden: Verf.) ist der Einfall, in Hinsicht auf das Gesetz als juristisches Phänomen von einem Lied zu
sprechen, durch Cicero (den als Advokat, Politiker und der Philosophie ergebenen Schriftsteller namhaften alten Römer) gekommen.
Dieser hat de legibus: eben über die Gesetze ein Buch geschrieben.
Darin kommt auch das uralte XII-Tafel-Gesetz vor, das die Römer
später offenbar für die Quelle all ihres öffentlichen und privaten
Rechts gehalten haben: fons omnis publici privatique iuris hat Livius,
der Geschichtsschreiber, es genannt. Und von diesem Gesetz1 sagt
Cicero, er habe es (wie Verf. seine Worte wiedergibt) »einst als Schuljunge auswendig gelernt, und zwar als ein carmen necessarium – als
›unentbehrliches Lied‹«.
Verf. fragt (S. 54 in dem Abschnitt, der des Büchleins Mitte ist)
mit vollem Recht, ob Cicero damit etwa habe sagen wollen, dass er
die Worte dieses Gesetzes in der Schule »gesungen« habe. Sie kennt
Ciceros Opera recht gut und zeigt sich sehr beeindruckt von dem,
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was an diesem Mann allen Juristen, die mehr den ›legal point of
view‹ haben, namentlich Theodor Mommsen,2 anstößig gewesen ist:
dass dieser Cicero ein Rhetor war und es mit der Wahrheit, wie es
Rhetorenart ist, nicht so genau nahm. War’s ihm nützlich: pro domo
sua, vermochte er selbst (wie Verf. meint) einen XII-Tafel-Satz zu erfinden (und er wird, wie hinzugesetzt werden darf, bei seiner Erfindung spekuliert haben auf die Erinnerungslücken seiner doch wohl
auch bei Gericht in der einen oder anderen Weise tätigen Mitschüler). Das XII-Tafel-Gesetz – so deutet Verf. hier mehr an, als dass
sie dies, wie schon anderweit geschehen,3 ausführt – ist überhaupt
eine Erfindung. Es ist eine Erfindung von sozusagen jesuitischer Art:
Sie diente dem guten Zweck, »das Chaos zu vermeiden«. Des Geschichtsschreibers Livius fons omnis etc. also ist bloße Einbildung
gewesen; es waren »trügerische Gesetze«, die der »pfiffige Sänger
des carmen der römischen und romanistischen Welt … schenkte«
(S. 131).
Wer nach Feierabend das Feuilleton seiner Zeitung beiseite gelegt
hat und noch Spaß daran findet, sich in historisch-philologischer Art
etwas vormachen zu lassen, wird von Verf. gerade auch auf diesem
von ihr sogenannten »dürren Land der Quellenkritik« auf das Beste
bedient. Es geschieht das umso besser für den, der das alles nicht so
recht ernst zu nehmen versteht, weil ihm bewusst ist: Es wird doch,
wem das Rhetorische gefällt, sich wohl auch selbst darin versuchen.
Der Satz bei Cicero, aus dem Verf. den Einfall hat, in Hinsicht auf
das Gesetz von »Lied« zu sprechen und darüber dann dieses Büchlein zu schreiben, lautet: Discebamus enim pueri [leges/m] XII [tabularum] ut carmen necessarium, quas iam nemo discit. Der Leser hat es
bei der Verf. mit einer versierten Lateinerin zu tun. Das zeigt sie hier
und hat sie auch schon in ihren früheren Arbeiten zu einigen Themen der antiken römischen Geschichte unter Beweis gestellt.4 Sie
weiß daher durchaus, dass carmen nicht notwendig mit ›Lied‹ zu
übersetzen ist. cantus ist sicher ›Lied‹, aber carmen kann auch ›Vers‹
heißen (zumal versus nicht unser Vers, sondern linea ist): carmen necessarium bei Cicero wird also, wie in unserer Übersetzungsliteratur
auch zu finden ist, eher heißen: ›Merkvers eines Lehrers‹. Und so redet dann Verf., die das, da sie selbst es anführt, auch weiß, rhetorisch
geschickt so, als sei Vers und Lied dasselbe, lässt selbst Nachtigallen
›Lieder‹ singen, was zu sagen – siehe Mendelssohn – ja auch nicht so
ganz bodenlos, vielmehr die Freiheit ist, die auch dem Dichter zusteht. Derart mit der zweifachen Bedeutung eines Wortes zu spielen,
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Buchtipp
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