Frau Justitia in Verlegenheit Seht, da steht das Ungeheuer Namens Jakob Niedermeyer! Der, nachdem er anfangs Schreiber, Später Mörder ward und Räuber. Als dies aber aufgekommen, Hat man ihn in Haft genommen; Und man faßte den Beschluß, Daß man Jakob köpfen muß. Man vergaß jedoch hierbei, Daß der Jakob bucklig sei; Und sieh da, am Hochgericht – Ach herrje! – da ging es nicht. WILHELM BUSCH Überblick Buchtipp Menschenwürde HORST HEINRICH JAKOBS RAINER MARIA KIESOW Inzest WALTER GRASNICK Te r r o r DIETER SIMON Neo-Deismus Rezension servus poenae Vö l k i s c h e s Alptraum Zwischenruf Gemeinschaftsrecht Jubiläum Lebensabschnitt Sprachwechsel Brauchtum Briefpartnerschaft RePrise Anzeigen RAINER MARIA KIESOW DIETER SIMON AGLAIA McCLINTOCK BENJAMIN LAHUSEN NATAŠA HADŽIMANOVIĆ WALTER LAUFENBERG MATTHIAS MAHLMANN BENJAMIN LAHUSEN DIETER SIMON GÜNTER GRASS BENJAMIN LAHUSEN BERND RÜTHERS Das Lied einer Juristin 4 Deutsche Sprüche des Professors aus Heidelberg 9 Mehrheitsmoralapostel 13 Sicherheit versus Freiheit 17 Willenlos 22 Lebenslügen 26 Die dunkle Seite der Staatsbürgerschaft 32 Staatsbürgerrechtliches Addendum 40 Homo homini ~ 42 45 Gleichbehandlung und Familienstand 46 Prof. Savigny 51 Mein 1968 53 1968 61 FS Festschrift 64 Überlebende und überlebte Vergangenheiten 67 78 79 Das Lied einer Juristin * Von wohl jeder auf ein Fach bezogenen Literatur gibt es, bei einiger Kultur, zwei Arten: Die meisten Erzeugnisse, seien es Bücher, Aufsätze oder Rezensionen, sollen für die tägliche Arbeit eine Hilfe leisten, und manche sind für den Feierabend. Für jene ist, um mit Horaz zu reden, allein das prodesse und für diese nur das delectare das leitende Prinzip. Das hier bekannt zu machende Büchlein (es ist seines materiellen Gewichts wegen so zu nennen) scheint zu der zweiten Art zu gehören. Schon der Titel lässt daran kaum einen Zweifel: Ein Lied ist ein Stück Musik – und die ist für den Juristen doch gewiss für den Feierabend. Niemand wird auch in Hinsicht auf das Gesetz das Wort »Lied«, wie es sich bei den anderen literarischen Erzeugnissen gehört, so richtig ernst nehmen. Die Grundlage eines Liedes sind – Mendelssohns »Lieder ohne Worte« in allen Ehren – Worte und Noten. Ein Gesetz, zu dem Noten gehören, gibt es nicht und hat es wohl, außer vielleicht bei den alten Griechen, auch noch nie gegeben. Der Autorin (im Folgenden: Verf.) ist der Einfall, in Hinsicht auf das Gesetz als juristisches Phänomen von einem Lied zu sprechen, durch Cicero (den als Advokat, Politiker und der Philosophie ergebenen Schriftsteller namhaften alten Römer) gekommen. Dieser hat de legibus: eben über die Gesetze ein Buch geschrieben. Darin kommt auch das uralte XII-Tafel-Gesetz vor, das die Römer später offenbar für die Quelle all ihres öffentlichen und privaten Rechts gehalten haben: fons omnis publici privatique iuris hat Livius, der Geschichtsschreiber, es genannt. Und von diesem Gesetz1 sagt Cicero, er habe es (wie Verf. seine Worte wiedergibt) »einst als Schuljunge auswendig gelernt, und zwar als ein carmen necessarium – als ›unentbehrliches Lied‹«. Verf. fragt (S. 54 in dem Abschnitt, der des Büchleins Mitte ist) mit vollem Recht, ob Cicero damit etwa habe sagen wollen, dass er die Worte dieses Gesetzes in der Schule »gesungen« habe. Sie kennt Ciceros Opera recht gut und zeigt sich sehr beeindruckt von dem, 4 HORST HEINRICH JAKOBS myops 4 /2008 was an diesem Mann allen Juristen, die mehr den ›legal point of view‹ haben, namentlich Theodor Mommsen,2 anstößig gewesen ist: dass dieser Cicero ein Rhetor war und es mit der Wahrheit, wie es Rhetorenart ist, nicht so genau nahm. War’s ihm nützlich: pro domo sua, vermochte er selbst (wie Verf. meint) einen XII-Tafel-Satz zu erfinden (und er wird, wie hinzugesetzt werden darf, bei seiner Erfindung spekuliert haben auf die Erinnerungslücken seiner doch wohl auch bei Gericht in der einen oder anderen Weise tätigen Mitschüler). Das XII-Tafel-Gesetz – so deutet Verf. hier mehr an, als dass sie dies, wie schon anderweit geschehen,3 ausführt – ist überhaupt eine Erfindung. Es ist eine Erfindung von sozusagen jesuitischer Art: Sie diente dem guten Zweck, »das Chaos zu vermeiden«. Des Geschichtsschreibers Livius fons omnis etc. also ist bloße Einbildung gewesen; es waren »trügerische Gesetze«, die der »pfiffige Sänger des carmen der römischen und romanistischen Welt … schenkte« (S. 131). Wer nach Feierabend das Feuilleton seiner Zeitung beiseite gelegt hat und noch Spaß daran findet, sich in historisch-philologischer Art etwas vormachen zu lassen, wird von Verf. gerade auch auf diesem von ihr sogenannten »dürren Land der Quellenkritik« auf das Beste bedient. Es geschieht das umso besser für den, der das alles nicht so recht ernst zu nehmen versteht, weil ihm bewusst ist: Es wird doch, wem das Rhetorische gefällt, sich wohl auch selbst darin versuchen. Der Satz bei Cicero, aus dem Verf. den Einfall hat, in Hinsicht auf das Gesetz von »Lied« zu sprechen und darüber dann dieses Büchlein zu schreiben, lautet: Discebamus enim pueri [leges/m] XII [tabularum] ut carmen necessarium, quas iam nemo discit. Der Leser hat es bei der Verf. mit einer versierten Lateinerin zu tun. Das zeigt sie hier und hat sie auch schon in ihren früheren Arbeiten zu einigen Themen der antiken römischen Geschichte unter Beweis gestellt.4 Sie weiß daher durchaus, dass carmen nicht notwendig mit ›Lied‹ zu übersetzen ist. cantus ist sicher ›Lied‹, aber carmen kann auch ›Vers‹ heißen (zumal versus nicht unser Vers, sondern linea ist): carmen necessarium bei Cicero wird also, wie in unserer Übersetzungsliteratur auch zu finden ist, eher heißen: ›Merkvers eines Lehrers‹. Und so redet dann Verf., die das, da sie selbst es anführt, auch weiß, rhetorisch geschickt so, als sei Vers und Lied dasselbe, lässt selbst Nachtigallen ›Lieder‹ singen, was zu sagen – siehe Mendelssohn – ja auch nicht so ganz bodenlos, vielmehr die Freiheit ist, die auch dem Dichter zusteht. Derart mit der zweifachen Bedeutung eines Wortes zu spielen, myops 4 /2008 Buchtipp 5