Museum für Kommunikation Frankfurt: Berührt – Verführt

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Museum für Kommunikation Frankfurt:
Berührt – Verführt. Werbekampagnen, die
Geschichte machten
Sprechende Affen machen den Toyota-Slogan „Nichts ist unmöglich" zu einem
der beliebtesten Werbesprüche zu Beginn der 1990er-Jahre.
Der Spruch hat sich so fest in unser Bewusstsein verankert, dass es Bill Clinton, als er diesen
Satz bei einem Deutschlandbesuch in Berlin fallen ließ, aus dem Publikum entgegenschallte:
"Tooyoootaaa".
Das Volk bestimmt, was Allgemeingut ist, was geflüstert
oder gegrölt, zitiert und ironisiert wird. Haben Slogans
sprichwörtliche Schlagkraft, können sie über Generationen
hinweg leben und sich in unser kollektives Gedächtnis als
Redensart einnisten. Wer erinnert sich von der jüngeren
Generation noch daran, dass „Mach mal Pause" ein Slogan
von Coca-Cola für die emsige Nachkriegsgeneration war
oder die Parole des Bundeskanzlers Konrad Adenauer
„Keine Experimente!" die Grundstimmung der
Wählerschaft zur Politik erfasste? Einst fanden Wendungen
berühmter Dichter den Weg in die Alltagssprache – "Der
Worte sind genug gewechselt" und "des Pudels Kern" aus
Goethes Faust etwa –, heute sind es eher Slogans, die zu
Sprüchen werden. Zu Selbstläufern werden
Werbebotschaften, wenn sie einen Gedanken besonders
griffig beschreiben („Die Freiheit nehm ich mir"), einen
Ausdruck prägen, den es vorher nicht gab („Wer wird denn
gleich in die Luft gehen ...") oder mit Wortspielen
denjenigen reizen, der sie gerne adaptiert („Wohnst du
noch, oder lebst du schon?"). Alliterationen („Das einzig
wahre Warsteiner") und Vieldeutigkeit („Nicht immer, aber
immer öfter") können Slogans ebenso zum
durchschlagenden Erfolg verhelfen. Ihre Durchsetzung
hängt trivialerweise neben der kommunikativen
Überzeugungskraft auch vom Werbedruck und der
Laufzeit ab.
In der aktuellen Ausstellung "Berührt – Verführt. Werbekampagnen, die Geschichte machten"
zeichnet das Museum für Kommunikation Frankfurt kaleidoskopartig und retrospektiv die
populärsten und erfolgreichsten Werbekampagnen von der Nachkriegszeit bis in die Gegenwart
nach. Schauplatz ist die Bundesrepublik Deutschland mit Einblicken in die Werbung der
ehemaligen DDR. Gezeigt werden rund 50 Kampagnen, von der Wiedereinführung bekannter
Marken wie Persil mit dem Slogan "Es gibt wieder" im Jahr 1950 über die Kult gewordene
"Sexy-mini-super-flower-pop-op-Cola – alles ist in Afri-Cola"-Werbung von 1968, den
umstrittenen Motiven, mit denen Benetton ab 1992 polarisierte bis hin zur neuesten
Social-Media-Kampagne von Edeka.
Über 350 Plakate, Anzeigen, Objekte, Filme und
Interviews machen das Zeitgefühl der jeweiligen
Epoche spürbar und verdeutlichen die Wirkkräfte
von Gesellschaft, Politik und Kultur auf die
Werbung – und umgekehrt. Denn Werbung ist
sowohl ein schonungsloser Spiegel als auch ein
Gestaltungsfaktor, ein Abbild wie auch ein Vorbild
einer bestimmten Zeit. Politische Parodien von
populären Kampagnen, die ein amüsant-bissiges
Zeugnis davon abgeben, welche kommunikative
Bedeutung das einst für kommerzielle Zwecke
entwickelte Original haben kann, ergänzen die
Werbekampagnen. Sie verfremden Werbung in
einem bewussten Akt. Die Auseinandersetzung mit
Werbung war auch ein wichtiger Anstoß für die
Plakatgestalter der 68er-Bewegung.
Um an das Bewusstsein der Menschen heranzukommen, haben sie sich entweder der Methoden
der modernen Warenwerbung bedient oder den schönen Schein der Werbebilder mit anderen
visuellen Mitteln zerstört. In der Ausstellung wird beispielsweise ein Plakat der Jungsozialisten
(Jusos) von 1972 zur Stadtratswahl in Nürnberg präsentiert. Sie haben das Bildmotiv und
Slogan der Camel-Werbung "Ich geh meilenweit für Camel Filter" ironisch abgewandelt mit
"Wir gehen meilenweit für den Sozialismus". Es ist die Zeit um 1967, in der man sich auf dem
proklamierten langen Marsch durch die Institutionen befindet. Mit dem spielerischen Verweis
auf eine der populärsten zeitgenössische Kampagnen nutzen sie einen Wiedererkennungseffekt,
der ursprünglich zur Vermarktung eines Produkts etabliert wurde.
Im Wettkampf um die Aufmerksamkeit der
Konsumenten kommunizieren Unternehmen
am Puls der Zeit. Werbeagenturen spüren
das Lebensgefühl ganzer Generationen auf,
um die Menschen zu berühren und zum
Kauf zu verführen. Werbung ist ein
Erzeugnis der Massenproduktion. Wer in
einem Überangebot von austauschbaren
Produkten überleben will, muss auf sich
aufmerksam machen. Marketingfachleute
entwickeln neben Preis- und
Produktvorteilen prägnante Markenimages,
um den Konsumenten die Wahl zu
erleichtern. Verbraucher kennen wie nie
zuvor den Zusammenhang von
Werbebotschaft und eigenem Kaufverhalten.
Die Strategien der Verführung sind bekannt
und dennoch nehmen viele Menschen
überteuerte Preise, unwürdige
Produktionsbedingungen oder Umweltverschmutzung in Kauf angesichts positiv aufgeladener
Imagewelten. Unternehmen stellen Produkte her, aber Verbraucher kaufen Marken.
Die Ausstellung führt hinter die Kulissen und
offenbart die zugrunde liegenden Konzepte und
Strategien der Macher. In Interviews erfahren
Besucher und Besucherinnen, wie der Fiat zur
„tollen Kiste" wurde und warum die Milka-Kuh lila
ist. Sie können über ein Voting-Tool ihre
Lieblingskampagnen wählen sowie an einer
Eye-Tracking und Emo-Scan-Station testen, wie
sie auf Werbung reagieren. Einen Einblick in den
internationalen Werbefilm gibt das Kino, in dem
die Cannes-Highlights der letzten Jahre
präsentiert werden.
In einem chronologischen Rundgang führt die Ausstellung in sieben Epochen durch 70 Jahre
deutscher Werbe- und Zeitgeschichte und gibt schließlich einen Ausblick auf die Zukunft der
Werbung. Was haben wir zu erwarten? Werbung wird heute individuell auf das Nutzerverhalten
angepasst und erreicht den Konsumenten mobil über sein Smartphone. Ob Massenmedien wie
Zeitungen und Fernsehen weiter an Aufmerksamkeit verlieren werden, bleibt abzuwarten.
Katja Weber
Kuratorin der Ausstellung
und wissenschaftliche Mitarbeiterin
Museum für Kommunikation Frankfurt
Berührt – Verführt. Werbekampagnen, die Geschichte machten
Museum für Kommunikation Frankfurt
Sonderausstellung, bis 28. August 2016
AsKI KULTUR lebendig 1/2016
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