ZIP

Werbung
Aus der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.
Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter
Direktor: Prof. Dr. med. Eberhard Schulz
Langzeitverlauf der adoleszenten Anorexia nervosa –
Heilungserfolg, psychiatrische Komorbidität,
Lebensqualität und Funktionsniveau
8 Jahre nach Krankheitsbeginn
INAUGURAL-DISSERTATION
zur Erlangung des Medizinischen Doktorgrades
der Medizinischen Fakultät
der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau
vorgelegt 2011
von Nicolas Felix Schultheiß
geboren in Tübingen
Dekan:
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. H. E. Blum
1. Gutachter:
Prof. Dr. med. E. Schulz
2. Gutachter:
Prof. Dr. med. A. Zeeck
Jahr der Promotion:
2012
Meinem Vater
Inhaltsverzeichnis
1! Einleitung
1!
1.1! Definition und Klassifikation
2!
1.2! Epidemiologie
5!
1.3! Ätiologie und Pathogenese
7!
1.4! Klinische Symptomatik
12!
1.5! Diagnostik und
Differentialdiagnose
15!
1.6! Therapie und Prävention
17!
1.7! Prognose und Langzeitverlauf der
adoleszenten Anorexia nervosa 20!
1.8! Lebensqualität und funktioneller
Gesundheitszustand
25!
1.9! Hypothesen der vorliegenden
Studie
28!
2! Patienten und Methodik
31!
2.1! Patientenbeschreibung
31!
2.2! Ablauf der Nachuntersuchung
32!
2.3! Angewandte
Untersuchungsinstrumente
34!
2.3.1! Strukturiertes Klinisches Interview für
DSM-IV
34!
2.3.2! Strukturiertes Inventar für Anorektische
und Bulimische Essstörungen
35!
2.3.3! Interview zum Langzeitverlauf der
Anorexia nervosa
36!
2.3.4! General Outcome Score und MorganRussel-Skala
36!
2.3.5! Internationale Klassifikation der
Funktionsfähigkeit, Behinderung und
Gesundheit (ICF)
2.3.6! WHO Fragebogen zur Lebensqualität
2.3.7! Eating Disorder Inventory
2.3.8! Symptom-Checkliste von Derogatis
2.3.9! Inventar zur Erfassung der
Lebensqualität bei Kindern und
Jugendlichen
2.3.10!Fragebögen zur Beurteilung der
Behandlung
37!
41!
41!
42!
42!
43!
3.2! Angewandte
Untersuchungsinstrumente
51!
3.2.1! Strukturiertes Klinisches Interview für
DSM-IV
51!
3.2.2! Strukturiertes Inventar für Anorektische
und Bulimische Essstörungen
53!
3.2.3! Interview zum Langzeitverlauf der
Anorexia nervosa
55!
3.2.4! General Outcome Score und MorganRussel-Skala
57!
3.2.5! Kurzes ICF Core Set für Anorexia
nervosa
59!
3.2.6! WHO Quality of Life Fragebogen
62!
3.2.7! Eating Disorder Inventory
64!
3.2.8! Symptom-Checkliste von Derogatis
65!
3.2.9! Inventar zur Erfassung der Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen
68!
3.2.10!Fragebogen zur Beurteilung der
Behandlung – Patientenversion
68!
3.2.11!Soziodemografische Situation
69!
3.3! Korrelationen
71!
3.4! Regressionsmodell
73!
4! Diskussion
76!
4.1! Interpretation der Ergebnisse im
Kontext vergleichbarer Studien 81!
4.2! Lebensqualität
90!
4.3! Funktionsfähigkeit, Partizipation/
Teilhabe und Umweltfaktoren 92!
4.4! Prädiktoren für einen chronischen
Verlauf
95!
4.5! Therapeutische Konsequenzen
97!
5! Zusammenfassung
102!
6! Abkürzungsverzeichnis
103!
7! Literaturverzeichnis
104!
8! Abbildungsverzeichnis
113!
9! Tabellenverzeichnis
114!
10! Tabellen
115!
2.4! Statistische Methoden
44!
11! Lebenslauf
120!
3! Ergebnisse
47!
12! Danksagung
121!
3.1! Stichprobenbeschreibung
47!
1
Einleitung
Anorexia nervosa, die Magersucht, ist eine psychiatrische Erkrankung, die durch einen absichtlich selbst herbeigeführten Gewichtsverlust oder das Aufrechterhalten eines zu niedrigen
Körpergewichts gekennzeichnet ist. Ihre wichtigsten psychologischen Merkmale sind ein extremes Streben nach Schlanksein und eine Störung der Selbstwahrnehmung in Bezug auf Figur und Körpergewicht (Herpertz-Dahlmann, 2008).
Der Begriff anorexia leitet sich vom griechischen !n"#$%&'( (griech. Appetitlosigkeit)
ab und wurde 1844 erstmals vom französischen Arzt Fleury Imbert verwendet. Als
Erstbeschreiber des Krankheitsbildes der Anorexia nervosa gelten Sir William Gull, ein englischer Arzt, und Charles Lasègue, ein französischer Internist und Psychiater, die beide innerhalb der Jahre 1873 und 1874 zwei fast identische Artikel zu Thema Anorexia nervosa veröffentlichten (Bartels, 1998).
Beinahe einhundert Jahre später, 1971, definierte Russel die Anorexia nervosa als eigenständiges Krankheitsbild, die bis dahin hauptsächlich als besondere Ausprägungsform der
Schizophrenie, der Zwangsstörung oder der Depression gesehen wurde (Russell, 1971).
Studien zum Langzeitverlauf der Magersucht sind von zentralem Interesse. Sie untersuchen den Heilungserfolg und die Prognose der Patienten mit Anorexia nervosa und sind aufgrund der oftmals langen Krankheitsdauer von großer Wichtigkeit. Die ersten systematischen
Übersichtsartikel stammen aus den Jahren 1980 und 1985 (Hsu, 1980; Theander, 1985). In
den letzten 20 Jahren stieg die Zahl der publizierten Artikel, die sich mit der Anorexia nervosa beschäftigen, stark an. Im Zentrum der Forschung standen auch hier immer wieder die Ermittlung des Heilungserfolgs und die Identifikation prognostischer Faktoren.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Untersuchung des Langzeitverlaufs der Anorexia
nervosa mit Krankheitsbeginn in der Adoleszenz. Die Nachuntersuchung wurde an einer vollständigen Inanspruchnahmepopulation von Patienten durchgeführt, die aufgrund einer Anorexia nervosa zwischen 1998 und 2001 in der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie der
Uniklinik Freiburg stationär behandelt wurden. Diese Abteilung repräsentiert die Pflichtversorgung für die drei Landkreise Stadt Freiburg, Landkreis Freiburg und Landkreis Emmendingen. Ausgangspunkt der Untersuchung des Langzeitverlaufs ist der Krankheitsbeginn, definiert als der Zeitpunkt, an dem die Kriterien für Anorexia nervosa zum ersten Mal erfüllt
waren. Einschlusskriterium neben der Diagnose war, dass der Zeitpunkt der IndexBehandlung, definiert als erster stationärer Aufenthalt in der Abteilung für Kinder- und Ju-
Einleitung
2
gendpsychiatrie der Uniklinik Freiburg, zwischen dem 20.10.1997 und dem 19.10.2001 lag.
Weitere Ziele der Studie waren die Identifikation von Risikofaktoren für einen chronischen Verlauf, die Ermittlung der psychiatrischen Komorbidität sowie die Beurteilung der
Lebensqualität und des psychosozialen Funktionsniveaus der Patienten zum Zeitpunkt der
Nachuntersuchung. Bei der Durchführung der Studie wurde auf die Einhaltung der von Hsu
geforderten Qualitätskriterien für Studien zum Langzeitverlauf der Anorexia nervosa geachtet
(Hsu, 1987):
•
explizite diagnostische Kriterien;
•
mindestens 25 Patienten;
•
minimaler Zeitraum der Nachuntersuchung: 4 Jahre seit Krankheitsbeginn;
•
mindestens 80 % nachverfolgte Patienten;
•
mindestens 50 % der Patienten wurden persönlich interviewt;
•
mehrere etablierte und validierte Outcome-Kriterien.
Durch die strukturierte Durchführung und die Anwendung standardisierter Untersuchungsinstrumente wurde eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu anderen Untersuchungen gewährleistet, die dieselben Instrumente verwendeten. Die Durchführung dieser Studie wurde von der
verantwortlichen Ethikkommission am Universitätsklinikum Freiburg genehmigt.
1.1
Definition und Klassifikation
Die diagnostischen Kriterien der 10. Revision der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) der World Health Organization (WHO, 1992) und die Kriterien der 4. Fassung des Diagnostischen und statistischen Manuals Psychischer Störungen (DSM-IV) der
American Psychiatric Association (APA, 1994) orientieren sich an den Hauptmerkmalen der
Anorexia nervosa:
•
Weigerung, das Minimum des für Alter und Größe normalen Körpergewichts zu
halten;
•
große Angst davor, zu dick zu werden oder ein starker Drang, Gewicht zu verlieren;
•
ständige Beschäftigung mit Figur und Gewicht;
•
Ausbleiben der Menstruation (primäre oder sekundäre Amenorrhö) bei Frauen.
Die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik
und Psychotherapie (DGKJP) orientiert sich an den Kriterien der WHO und definiert die Ano-
Einleitung
3
rexia nervosa als „Essstörung, bei der ein selbst verursachter bedeutsamer Gewichtsverlust,
Beibehaltung eines für das Alter zu niedrigen Körpergewichtes oder unzureichende altersentsprechende Gewichtszunahme, die mit der überwertigen Idee einhergeht, trotz Untergewicht
zu dick zu sein“ (DGKJP, 2007).
Klassifikation nach ICD-10
Die diagnostischen Kriterien der Anorexia nervosa nach ICD-10 (WHO, 1992, 2001a)
1. Tatsächliches Körpergewicht mindestens 15 % unter dem erwarteten Gewicht
(entweder durch Gewichtsverlust oder nie erreichtes Gewicht) oder QueteletsIndex von 17,5 oder weniger. Bei Patienten in der Vorpubertät kann die erwartete Gewichtszunahme während der Wachstumsperiode ausbleiben.
2. Der Gewichtsverlust ist selbst herbeigeführt durch:
a. Vermeidung von hochkalorischen Speisen sowie eine oder mehrere der
folgenden Verhaltensweisen:
b. selbst induziertes Erbrechen;
c. selbst induziertes Abführen;
d. übertriebene körperliche Aktivitäten;
e. Gebrauch von Appetitzüglern oder Diuretika.
3. Körperschemastörung in Form einer spezifischen psychischen Störung: die
Angst, zu dick zu werden, besteht als eine tief verwurzelte überwertige Idee;
die Betroffenen legen eine sehr niedrige Gewichtsschwelle für sich selbst fest.
4. Eine endokrine Störung auf der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse.
Sie manifestiert sich bei Frauen als Amenorrhö und bei Männern als Libidound Potenzverlust. (Eine Ausnahme ist das Persistieren vaginaler Blutungen
bei anorektischen Frauen mit einer Hormonsubstitutionsbehandlung zur Kontrazeption.) Erhöhte Wachstumshormon- und Kortisolspiegel, Änderung des
peripheren Metabolismus von Schilddrüsenhormonen und Störungen der Insulinsekretion können gleichfalls vorliegen.
5. Bei Beginn der Erkrankung vor der Pubertät ist die Abfolge der pubertären
Entwicklungsschritte verzögert oder gehemmt (Wachstumsstopp; fehlende
Brustentwicklung und primäre Amenorrhö bei Mädchen; bei Knaben bleiben
die Genitalien kindlich). Nach Remission wird die Pubertätsentwicklung häufig normal abgeschlossen, die Menarche tritt aber verspätet ein.
Quetelets-Index (Body Mass Index) = (Gewicht in kg) / (Körpergröße in m)!
Einleitung
4
Klassifikation nach DSM-IV
Diagnosekriterien für die Anorexia nervosa nach DSM-IV (APA, 1994, 2001)
A. Verweigerung, das Körpergewicht auf oder über einem, dem Alter und der
Größe entsprechenden, Normwert zu halten, d.h. ein Gewichtsverlust von 15 %
oder mehr unter dem zu erwartenden Gewicht bzw. Ausbleiben der zu erwartenden Gewichtszunahme mit der Folge eines Gewichtes von 15 % oder mehr
unter dem erwarteten Gewicht.
B. Starke Angst vor Gewichtszunahme oder Angst vor dem Dickwerden, obgleich
Untergewicht besteht.
C. Störung der eigenen Körperwahrnehmung hinsichtlich Gewicht, Größe oder
Form, übermäßiger Einfluss von Körpergewicht und Figur auf das Selbstwertgefühl, Leugnen der Bedrohlichkeit des gegenwärtigen Untergewichtes.
D. Bei Frauen Aussetzen von mindestens drei aufeinander folgenden Menstruationszyklen, deren Auftreten sonst zu erwarten gewesen wäre (primäre oder sekundäre Amenorrhö). (Bei Frauen liegt eine Amenorrhö vor, wenn die Menstruation nur bei Gabe von Hormonen, z.B. Östrogenen, eintritt).
Subtypen nach DSM-IV:
Restriktiver Typ: Während der aktuellen Episode der Anorexia nervosa hat die
Person keine regelmäßigen bulimischen Attacken oder zeigt nicht regelmäßig
selbst induziertes Erbrechen oder einen Missbrauch von Laxantien oder Diuretika, sog. „Purging“-Verhalten.
Binge-Eating/Purging Typ: Während der aktuellen Episode der Anorexia nervosa hat die Person regelmäßige bulimische Attacken oder zeigt regelmäßig
selbst induziertes Erbrechen oder einen Missbrauch von Diuretika oder Laxantien, sog. „Purging“-Verhalten.
Einleitung
1.2
5
Epidemiologie
Die jährliche Inzidenz der Anorexia nervosa wird in der Literatur sehr unterschiedlich angegeben. Die höchste für Alter und Geschlecht bereinigte Inzidenzrate liegt bei 8,3 pro 100 000
pro Jahr. Sie stammt aus Ronchester, MN, USA und bezieht sich auf den Zeitraum 1935-1989
(Lucas et al., 1999). Allerdings wurden bei der Studie von Lucas et al. auch wahrscheinliche
und mögliche Krankheitsfälle mit eingeschlossen. Die definitiven Fälle machten nur 39 % (82
von 208) aller identifizierten Fälle aus.
Currin et al. werteten die General Practice Research Database in Großbritannien aus und
fanden für das Jahr 2000 eine für Alter und Geschlecht bereinigte Jahresinzidenz von 4,7 pro
100 000 (Currin et al., 2005). Eine Studie an einer großen repräsentativen Stichprobe in der
niederländischen Primärversorgung ergab für den Zeitraum 1995–1999 eine bereinigte Inzidenz von 7,7 pro 100 000 Personen pro Jahr (van Son et al., 2006).
Die von Anorexia nervosa am häufigsten betroffene Bevölkerungsgruppe sind Mädchen
und junge Frauen im Alter von 10 bis 39 Jahren. Bei Currin et al. lag im Jahr 2000 die Inzidenz in dieser Populationsgruppe bei 20,1 pro 100 000 pro Jahr im Vergleich zu 4,7 pro
100 000 in der Allgemeinbevölkerung und lediglich 0,7 pro 100 000 für die männliche Gesamtbevölkerung. Insgesamt sind Männer von Anorexia nervosa zwölfmal seltener betroffen
als Frauen (das relative Risiko von Frauen zu Männern liegt bei 12:1) (Currin et al., 2005). In
der Altersgruppe der 10-19 jährigen häufte sich die Inzidenz auf 34,6 pro 100 000 an. Van
Son et al. fanden in ihrem Studienzeitraum 1995-1999 sogar eine jährliche Rate an Neuerkrankungen von 109,2 pro 100 000 unter den weiblichen 15-19 jährigen (van Son et al.,
2006).
Eine andauernde Diskussion wirft die Frage auf, ob die Inzidenz der Anorexia nervosa
zunimmt. Die Auffassung, dass in den letzten Jahrzehnten ein Anstieg in der Häufigkeit von
Neuerkrankungen stattgefunden hat, ist sowohl in der Allgemeinbevölkerung als auch unter
Fachleuten der Gesundheitsberufe weit verbreitet.
In einer Metaanalyse zur Inzidenzrate der Anorexia nervosa im psychiatrischen Bereich
des Gesundheitssystems wurden mehrere Studien aus Skandinavien und Mitteleuropa zusammengetragen (Hoek und van Hoeken, 2003): Schweden 1930-1959 (Theander, 1970),
Nord-Ost Schottland 1960-1969 (Kendell et al., 1973) und die Niederlande 1970-1999 (Hoek
et al., 1995; Hoek und van Hoeken, 2003). Aus Abbildung 1 auf Seite 6 geht hervor, dass es
1931-1970 einen kontinuierlichen Anstieg der erfassten Fälle in Europa gab. Seit 1970 blieb
die Inzidenz aber weitgehend stabil.
Einleitung
6
Abbildung 1 Jahresinzidenz von Anorexia nervosa in psychiatrischen Gesundheitssystemen
Nord- und Mitteleuropas im 20 Jahrhundert (Hoek und van Hoeken, 2003)
Zu dem gleichen Ergebnis kamen zwei weitere Studien (Currin et al., 2005; van Son et al.,
2006). Currin et al. eruierten einen äußerst stabilen Verlauf bezüglich aufgetretener Neuerkrankungen im zwölfjährigen Beobachtungszeitraum (18,5 pro 100 00 im Jahr 1988 bis 20,1
pro 100 000 im Jahr 2000 mit minimalen Schwankungen in den dazwischen liegenden Jahren). In den beiden untersuchten Zeiträumen über jeweils 5 Jahre blieb die Inzidenz der Anorexia nervosa auch bei der Studie von van Son et al. stabil (7,4 pro 100 000 in den Jahren
1985-1989 und 7,7 pro 100 000 in den Jahren 1995-1999).
Allerdings stellten die Autoren fest, dass es zu einem deutlichen Anstieg der Inzidenz in
der Gruppe der weiblichen 15-19 jährigen kam. In den Jahren 1985-1989 betrug die Anzahl
der Neuerkrankungen in dieser Gruppe 56,4 pro 100 000. Im Zeitraum 1995-1999 lag sie bei
109,2 pro 100 000, was einem Anstieg von 94 % entspricht. Andere Studien können diese
Tendenz eines starken Anstiegs in dieser Altersgruppe nicht (Currin et al., 2005) oder nur in
weitaus geringerer Ausprägung (Lucas et al., 1999) bestätigen.
Einleitung
1.3
7
Ätiologie und Pathogenese
Die Forschung um die Krankheitsursachen der Anorexia nervosa ist über die Jahrzehnte von
den wissenschaftlichen Strömungsrichtungen der jeweiligen Zeit stark beeinflusst worden
(Schmidt, 2003). Die Modelle reichten von den rein psychologischen bis zu rein biologischen
Erklärungsansätzen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts beispielsweise vermutete man eine Hypophysenunterfunktion als Ursache der Anorexia nervosa. In den dreißiger Jahren kam es zu
einer Neubewertung im Sinne einer psychogenen Störung. In den Sechzigern und Siebzigern
wurde hauptsächlich ein „Anorexia nervosa-auslösendes“ Familienumfeld als Hauptursache
verantwortlich gemacht. Traumata der Kindheit, insbesondere sexueller Missbrauch im Kindesalter, kamen in den achtziger und neunziger Jahren als mögliche Auslöser zur Diskussion
hinzu.
Seit dem Aufkommen neuer biotechnologischer und molekularbiologischer Methoden
gibt es beachtliche Bemühungen, genetische Faktoren als Ursache für die Entstehung und
Entwicklung der Anorexia nervosa zu identifizieren (Kaye et al., 2008).
Heute ist man der Auffassung, dass es sich bei der Ursache und Entstehung der Anorexia
nervosa um einen multifaktoriellen Prozess handelt, an dem äußere und innere Faktoren beteiligt sind. Bei der Entstehung der Krankheit handelt es sich also um ein Zusammentreffen von
biologischen, persönlichkeitsbedingten, soziokulturellen und familiären Faktoren, die entweder prädisponierend oder protektiv wirksam sind (Herpertz-Dahlmann, 2003).
Genetische Faktoren
Anorexia nervosa tritt in hohem Maße familiär gehäuft auf. Das relative Erkrankungsrisiko
für Familienmitglieder von Patienten ist 11,3 (Strober et al., 2000). Damit ist die Anorexia
nervosa bezüglich familiärer Häufung einer der Spitzenreiter unter den psychiatrischen Erkrankungen. Eine Untersuchung des schwedischen Zwillingsregisters, das 31 406 Zwillinge
erfasste, die zwischen 1935 und 1958 geboren wurden und deren Diagnose einer Anorexia
nervosa nach DSM-IV durch ein klinisches Interview, Krankenakten oder die Sterbeurkunde
bestätigt wurden, gab eine geschätzte Vererbbarkeit von 56 % (95 % CI 0,00–0,87) an (Bulik
et al., 2006).
Derzeit läuft eine groß angelegte internationale Studie, deren Ziel es ist, genetische Faktoren zu identifizieren, die das Risiko, an Anorexia nervosa zu erkranken, mitbestimmen
(Kaye et al., 2008).
Einleitung
8
Temperaments- und Persönlichkeitsfaktoren
Nach Untersuchungen der beiden Arbeitsgruppen um Klump und Wonderlich zeichnen sich
vor allem Patienten mit einer Anorexia nervosa vom restriktiven Subtyp durch ein charakteristisches Persönlichkeitsprofil aus. Sie werden als gehäuft zwanghaft, angepasst, rigide und
perfektionistisch beschreiben. Weiterhin wird ihnen oft Introvertiertheit und ein ausgeprägtes
Harmoniebedürfnis zugeschrieben (Klump et al., 2004; Wonderlich et al., 2005). Bei diesen
Persönlickeitseigenschaften wird vermutet, dass sie auch genetisch geprägt sind und mit dem
serotonergen System (s.u.) in Zusammenhang stehen (Herpertz-Dahlmann, 2003).
Familiäre Faktoren
Neben den genetischen Faktoren spielen auch familiäre (d.h. erziehungsbedingte) Faktoren
bei der Entstehung und Aufrechterhaltung eine Rolle. Hierzu zählen abnorme Einstellungen
gegenüber Essen, Nahrung und Gewicht, Störungen der intrafamiliären Interaktion und
Kommunikation
sowie
Belastung
mit
psychischen
und
körperlichen
Krankheiten
(Steinhausen, 2006). Mangelnde Autonomie, Perfektionismus, ausgeprägtes Harmoniebedürfnis und soziale Ängstlichkeit seitens des Kindes fördern möglicherweise einen behütenden
und einengenden Erziehungsstil auf der Seite der Eltern und umgekehrt (Herpertz-Dahlmann,
2005).
Auch wenn auf dem Gebiet der Ursachenforschung in den letzten Jahren die familiären
Faktoren zugunsten genetischer Erklärungsmodelle zunehmend in den Hintergrund gerückt
sind, haben sich familienberatende oder -therapeutische Maßnahmen bei der adoleszenten
Anorexia nervosa in der Therapie als effizient erwiesen (NICE, 2004; DGKJP, 2007).
Sexueller Missbrauch
Der Zusammenhang zwischen Anorexia nervosa und dem Erleiden eines sexuellen Missbrauchs in der Kindheit oder Jugend konnte trotz zahlreicher Studien nicht oder nicht eindeutig nachgewiesen werden (Smolak und Murnen, 2002; Wentz et al., 2005). Ein Zusammenhang besteht vor allem zwischen bulimischen Symptomen und sexuellem Missbrauch. Da
auch bei andern psychiatrischen Erkrankungen das Risiko erhöht ist, muss ein Missbrauch
eher als unspezifischer Risikofaktor für das Auftreten einer Essstörung angesehen werden
(Smolak und Murnen, 2002).
Einleitung
9
Soziokulturelle Faktoren
Die Frage nach dem Einfluss soziokultureller Faktoren auf die Prävalenz der Anorexia nervosa gibt immer wieder Anlass zur Diskussion. Eine Studie untersuchte die gesamte schwedische Population von 989 871 Individuen, die zwischen 1973 und 1982 geboren wurden
(Lindberg und Hjern, 2003). Mit Hilfe des nationalen Gesundheitsregisters wurden 1 122 Fälle von Anorexia nervosa identifiziert. Lindberg und Hjern kamen zu dem Ergebnis, dass die
Prävalenz der Anorexia nervosa in den Mittel- und Oberschichten deutlich höher ist als in den
Arbeiterschichten (1,9 bis 1,3 pro 100 000 im Vergleich zu 1,1 bis 0,9 pro 100 000). Weitere
wichtige soziokulturelle Risikofaktoren waren weibliches Geschlecht, Aufwachsen bei Pflegeeltern und wenigstens ein Elternteil mit einer psychischen Erkrankung, die stationär behandelt wurde. Individuen aus Familien südeuropäischer bzw. nicht-europäischer Herkunft waren
seltener von Anorexia nervosa betroffen. Auch eine in Großbritannien durchgeführte nationale Studie fand, dass über zwei Drittel (67,5 %) der Patienten mit einer schweren oder chronischen Anorexia nervosa aus den oberen sozialen Schichten stammen, die ihrerseits nur gut ein
Drittel (35,5 %) der Gesamtbevölkerung ausmachen (McClelland und Crisp, 2001). Daraus
ergibt sich laut McClelland und Crisp eine signifikant höhere Prävalenz der schweren oder
chronischen Magersucht in den höheren sozioökonomischen Schichten.
Gestörtes Essverhalten allgemein ist jedoch ein größeres Problem in den niedrigeren sozialen Schichten (Kleiser et al., 2009). In den im Folgenden besprochenen Studien wird gestörtes Essverhalten als ein positives Ergebnis im SCOFF-Fragebogen definiert (Morgan et
al., 1999). Das Ergebnis ist positiv, wenn mindestens 2 der 5 Fragen mit „Ja“ beantwortet
wurden:
•
Übergibst du dich, wenn du dich unangenehm voll fühlst?
•
Machst du dir Sorgen, weil du manchmal nicht mit dem Essen aufhören kannst?
•
Hast du in der letzten Zeit mehr als 6 kg in 3 Monaten abgenommen?
•
Findest du dich zu dick währen andere dich zu dünn finden?
•
Würdest du sagen, dass dein Essen dein Leben beeinflusst?
Die ersten Ergebnisse der noch laufenden Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) des Robert-Koch-Instituts zeigen, dass in der Altersgruppe der
11- bis 17-jährigen etwa ein Drittel der Mädchen und 15 % der Jungen ein gestörtes Essverhalten aufweisen, ohne dass hier Tendenzen im Bezug auf Über- oder Untergewicht unterschieden wurden. Tatsächlich findet sich gestörtes Essverhalten am häufigsten unter übergewichtigen Jugendlichen (Herpertz-Dahlmann et al., 2008).
Einleitung
10
Biologische Faktoren
Zahlreiche Studien belegen die pathophysiologische Relevanz neuroendokriner, neurochemischer und metabolischer Faktoren bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung der Magersucht. Es wird vermutet, dass von neurobiologischer Seite eine gestörte Serotoninfunktion im
Gehirn bei Anorexia nervosa zur Dysregulation von Appetit, Stimmung und Impulskontrolle
führt. Bei Individuen mit dieser Fehlregulation kann Hungern und Fasten zu einem starken
Anstieg der Serotoninspiegel im Gehirn führen. Dieser Anstieg wird dann als kurzzeitiger
Ausweg aus der dysphorischen Stimmung erlebt. So kann es zu einem circulus vitiosus kommen, in dem Verweigerung der Nahrungsaufnahme mit einem Nachlassen der schlechten
Stimmung belohnt wird. Der daraus resultierende Gewichtsverlust führt seinerseits allerdings
wieder zu Veränderungen in den Funktionen vieler Neuropeptide und Monoamine. Dies hat
vermutlich den physiologischen Sinn, den Energieverbrauch zu senken, führt aber gleichzeitig
zu dem Ergebnis, dass die dysphorische Stimmung dadurch weiter verstärkt wird. Letztendlich wird das Fasten weiter aufrecht erhalten mit dem Bestreben den dysphorischen Konsequenzen der Nahrungsaufnahme zu entgehen (Kaye, 2008).
Ähnlich wie bei anderen psychiatrischen Störungen weisen auch Patienten mit Anorexia
nervosa eine erhöhte Anzahl perinataler Risikofaktoren auf. Dazu gehören eine frühzeitige
Geburt in der 23. bis 32. Schwangerschaftswoche, ein Cephalohämatom und eine vorzeitige
Ruptur der Fruchtblase (Lindberg und Hjern, 2003).
Multifaktorielles Ätiologiemodell
Die oben genannten Faktoren zur Ätiologie lassen sich in ein multifaktorielles Modell integrieren, das von einer Vulnerabilität des serotonergen Neurotransmittersystems ausgeht
(Kaye, 2008). Diese scheint genetisch bedingt zu sein. Frühe Umwelteinflüsse (z.B. perinatale
Risikofaktoren) und frühe traumatisierende Erfahrungen (z.B. sexueller Missbrauch) können
im Sinne einer „biologischen Narbe“ in Verbindung mit einer genetischen Prädisposition das
Risiko der Krankheitsentstehung verstärken. Veränderungen im Neurotransmittersystem
könnten eine Erklärung dafür sein, warum Patienten mit Anorexia nervosa auch nach
Überwindung der Essstörung häufiger ängstliche und zwanghafte Verhaltensweisen zeigen
und häufig depressive Symptome aufweisen (Holtkamp et al., 2005b).
Biologisch determinierte ängstlich-angepasste und vermeidende Verhaltensweisen werden durch behütende und kontrollierende Erziehung gefördert. Andererseits kann ängstlichvermeidendes Verhalten einen behüteten Erziehungsstil auch mit induzieren. Flexibles oder
exploratives Verhalten wird in diesem Fall eher gehemmt, so dass auch Einflüsse der Umge-
Einleitung
11
bung die genetisch bedingten Temperaments- und Persönlichkeitsfaktoren verstärken können.
Hinzu kommen soziokulturelle Einflüsse und gesellschaftliche Normen, beispielsweise im
Sinne eines überzogenen Schlankheitsideals. Es liegt nahe, dass weibliche Jugendliche mit
einem niedrigen Selbstwertgefühl und rigiden Verhaltensweisen auf diese Anforderungen mit
noch mehr Anpassungsbereitschaft reagieren. Es wird vermutet, dass Diät und Fasten zu einer
„Entgleisung“ des ohnehin vulnerablen serotonergen Systems führen, die weitere Komplikationen (Körperschemastörung, depressive und zwanghafte Symptomatik und körperliche Hyperaktivität) nach sich ziehen (Herpertz-Dahlmann, 2003).
Abbildung 2 Multifaktorielles Ätiologiemodell der Essstörungen (Herpertz-Dahlmann, 2005)
Einleitung
1.4
12
Klinische Symptomatik
Die Krankheit beginnt oft schleichend mit Veränderungen im Essverhalten. Vom sozialen
Umfeld werden diese meist nicht als besorgniserregend wahrgenommen. Vielmehr werden
die zu Beginn auftretenden Verhaltensweisen wie das Durchführen einer Diät, die Vermeidung hochkalorischer Nahrungsmittel (z.B. Butter, Öl, fettige und fleischhaltige Speisen) und
eine gesteigerte körperliche Aktivität eher positiv bewertet.
Viele Patienten entwickeln zusätzlich ein ausgeprägtes Leistungsverhalten. Sie konzentrieren sich vermehrt auf die Schule, lernen und arbeiten sehr sorgfältig und erzielen so zum
Teil deutlich bessere Schulnoten als zuvor (Herpertz-Dahlmann, 2005). Gleichzeitig macht
sich ein sozialer Rückzug bemerkbar: Die Betroffenen entziehen sich zunehmend den altersentsprechenden Aktivitäten des sozialen Umfelds. Freizeitaktivitäten und Hobbys, die nicht
mit Leistungserbringung in Verbindung stehen, werden vernachlässigt; Freunde gehen verloren.
Dem gegenüber nimmt die Fixierung auf Figur und Körpergewicht sowie die Beschäftigung mit dem Kalorien- und Fettgehalt der Nahrung immer weiter zu. Im Zusammenspiel mit
der ich-syntonen (d.h. die Patienten erleben diese Idee als ihre eigene) überwertigen Idee, sich
zu dick zu fühlen (Gewichtsphobie), kommt es dazu, dass die Patienten ein extrem niedriges
Wunschgewicht festlegen und durch die rigide Einschränkung der Nahrungsaufnahme und
übersteigerte körperliche Aktivität rapide an Gewicht verlieren. Eine Minderheit der Patienten
setzt weitere Maßnahmen zur Gewichtsreduktion ein, die unter dem Begriff purgingVerhalten (to purge engl. abführen, entleeren, durchspülen) zusammengefasst werden. Dabei
handelt es sich um die missbräuchliche Anwendung von Laxantien, Diuretika oder Klistieren
oder bei Diabetikern der Verzicht auf die Insulingabe (NICE, 2004). Die mangelnde Einsicht
in die gesundheitlichen Gefahren und schädlichen Langzeitfolgen eines zu niedrigen Gewichtes (Krankheitsverleugnung) sind typische Bestandteile der Essstörung.
Mit dem Unterschreiten der Gewichtsschwelle der diagnostischen Kriterien der ICD-10
oder des DSM-IV und dem Ausbleiben der Menstruation sind alle Bedingungen zur Diagnosestellung einer Anorexia nervosa erfüllt. Häufig tritt mit zunehmendem Gewichtsverlust zusätzlich eine gedrückt-depressive Stimmungslage auf (Herpertz-Dahlmann, 2008).
Essverhalten
Der Übergang vom normalen Essverhalten (falls vorhanden) zu der bei der Anorexia nervosa
vorliegenden extremen Restriktion der Nahrungsaufnahme beginnt fast immer mit einer Diät.
Einleitung
13
Eine Minderheit von Patienten gelangt über purging-Verhalten ohne Einschränkung der Nahrungsaufnahme, eine Infektionskrankheit (z.B. Infektiöse Mononukleose, oder H.p.-Gastritis),
oder eine chronische Erkrankung wie Diabetes melitus oder Morbus Crohn in die Magersucht
(Stahl, 2003).
Das ungewöhnliche Essverhalten von Patienten mit Anorexia nervosa ist für die Krankheit charakteristisch: Die übermäßige Beschäftigung mit Nahrung und Essen führt häufig zu
einer zwanghaften Ritualisierung der Nahrungsaufnahme. Sie kann im Rahmen einer komorbiden Zwangsstörung, aber auch unabhängig davon auftreten (Kaye, 2009). Beispiele für auffälliges Essverhalten sind das Zerteilen der Nahrung in winzige Bestandteile, die zeitlich
übermäßige Ausdehnung der Nahrungsaufnahme, das Kombinieren unpassender Nahrungsmittel und Geschmacksrichtungen und die Einschränkung der Nahrungsvielfalt auf einige wenige Speisen. Viele Patienten ernähren sich vegetarisch und verzichten gänzlich auf Fette und
Kohlenhydrate.
Im Verlauf der Erkrankung entwickeln die Patienten oft eine Angst davor in Anwesenheit anderer Personen zu essen. In der Familie entstehen so ausgeprägte Konflikte, die häufig
mit einem hohen Leidensdruck verbunden sind (Herpertz-Dahlmann, 2005).
Körperliche Aktivität
Exzessive körperliche Betätigung (meist in Form von Gymnastik, Joggen oder Fitnesstraining) und motorische Unruhe sind unter Patienten mit Anorexia nervosa häufig (Shroff et al.,
2006). Im Zusammenhang mit der Nahrungseinschränkung führt dies oft zu einer sehr schnellen Gewichtsabnahme. Exzessives körperliches Training erweist sich bei der Therapie der
Anorexia nervosa als besonders behandlungsresistent (Halmi et al., 2005). Es wird vermutet,
dass der zum Teil zwanghafte Bewegungsdrang auch biologisch bedingt ist und nicht allein
als Ausdruck der Gewichtsphobie anzusehen ist (Holtkamp et al., 2003).
Körperliche Symptome
Die meisten körperlichen Veränderungen der Anorexia nervosa sind direkt Folgen einer ausgeprägten Kachexie oder akuten Unterernährung, in manchen Fällen auch Folge besonderer
Diätgewohnheiten oder magersuchttypischer Verhaltensweisen (z.B. selbst induziertes Erbrechen, Laxantienabusus). Bei zu schnellen Gewichtsschwankungen steigt in diesem Zustand
die Mortalität. Ein weiterer Risikofaktor für eine erhöhte Mortalität sind purging-Verhalten
und Substanzmissbrauch (Morris und Twaddle, 2007).
Einleitung
14
Bei der Inspektion finden sich häufig eine trockene, schuppige Epidermis, Lagunobehaarung (eine flaumartige Behaarung an Schulter, Rücken, Oberarmstreckseiten), Akrozyanose
(Blaufärbung der Hände und Füße mangels ausreichender Blutversorgung), Cutis marmorata
(„marmorierte“ Haut im Sinne einer netzförmigen Hautzyanose) und Haarausfall.
Eine ausgeprägte Karies, Parotitiden und Läsionen an Fingern und Handrücken können
bei regelmäßig selbstinduziertem Erbrechen auftreten. Bei jungen Patienten sind Minderwuchs und eine verzögerte Pubertätsentwicklung Folge der Unterernährung. Im Labor zeigen
sich regelmäßig Blutbildveränderungen, Elektrolytstörungen und in der Phase der Realimentation (Wiederaufnahme der Nahrungszufuhr) eine Hypophosphatämie. Weitere Laborbefunde sind Erhöhung der Leberenzyme und Nierenwerte und Veränderungen im Lipidstoffwechsel. Endokrinologisch findet sich eine Störung der Hypothalamus-Hypophysen-Achse mit
Auswirkungen auf die Spiegel der von Schilddrüse, Gonaden und Nebennierenrinde produzierten Hormone. Eine Erhöhung des Wachstumshormons und die Erniedrigung von Leptin
sind häufig vorhanden (DGKJP, 2007).
Zu den Langzeitfolgen, die häufiger bei chronischen Fällen der Anorexia nervosa auftreten, zählen Osteoporose, Infertilität, chronische Niereninsuffizienz und ein mangelhafter
Zahnstatus (Zipfel, 1998).
Einleitung
1.5
15
Diagnostik und Differentialdiagnose
Die Diagnose einer Magersucht ist im Allgemeinen leicht zu stellen, wenn Symptomatik, Lebensalter und Geschlecht typisch sind. Allerdings sollte die Anorexia nervosa von körperlichen Erkrankungen mit Gewichtsverlust differentialdiagnostisch abgegrenzt werden. Hierbei
helfen die psychiatrische Exploration und eine ausführliche internistische bzw. pädiatrische
Anamnese (NICE, 2004). Die von der DGKJP empfohlene apparative und laborchemische
Diagnostik, die in Tabelle 1 dargestellt ist, kann weitere Hinweise geben. Sie sollte insbesondere bei rapider und/oder ausgeprägter Gewichtsabnahme bzw. häufigem Erbrechen erfolgen.
Tabelle 1 Apparative und laborchemische Untersuchungen bei AN (DGKJP, 2007)
Laboruntersuchung
Apparative Diagnostik
Indikation
Blut
Blutbild, Blutzucker, Elektrolyte,
Nieren-, Leberwerte, Zink
Bei ausgeprägter Gewichtsabnahme
auch unter ambulanten Bedingungen
Endokrinologische Parameter
T3, T4, TSH, Cortisol, FSH, LH,
Östradiol
Fakultativ; bei diagnostischer Relevanz (z.B. V. a. Hypothyreose)
EKG
Sonographie Abdomen
CT, MRT
Bradykardie, Rhythmusstörungen,
Elektrolytveränderungen
Ausschluss von Malignomen
Bei Erstmanifestation; insbes. Bei
neurologischen Auffälligkeiten
Bestimmung des Ausprägungsgrades der Kackexiea
Leptin
Virusserologie
HIV, HCV
TbC
Ausschluss von Infektionen
EEG
DEXA (Knochendichtemessung)
Ausschluss hirnorganischer Ursachen, z.B. beim Konsum großer
Flüssigkeitsmengen
Bei längerer Erkrankungsdauer,
anhaltender Amenorrhö
Leptinspiegel < 2 mg/l signalisieren die Umstellung des Organismus auf die Semistarvation, < 0,5 mg/l bei erheblicher Kachexie.
AN, Anorexia nervosa.
a
Differentialdiagnostisch kommen sowohl körperliche als auch andere psychiatrische Erkrankungen in Betracht. Tabelle 2 auf Seite 16 gibt einen Überblick über die Differentialdiagnosen, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen.
Einleitung
16
Tabelle 2 Differentialdiagnose der AN bei Kindern und Jugendlichen (Herpertz-Dahlmann, 2008)
somatische Erkrankungen
psychiatrische Erkrankungen
pädiatrisch / internistisch
sonstige
Morbus Crohn
maligne Tumoren
Schizophrenie
Colitis ulcerosa
neurologische Erkrankungen
affektive Störungen
Zöliakie
Nebenwirkungen von Medikamenten
(z.B. Amphetamine)
Zwangsstörungen
Hypothyreose
Hypophysenvorderlappeninsuffizienz
Diabetes melitus
Morbus Addison
AN, Anorexia nervosa.
somatoforme Störungen
Einleitung
1.6
17
Therapie und Prävention
Die Behandlung der Anorexia nervosa beruht auf einem multimodalen Therapiekonzept, das
vier wesentliche Punkte beinhaltet (Herpertz-Dahlmann et al., 2008):
•
somatische Rehabilitation und Ernährungstherapie;
•
individuelle psychotherapeutische Behandlung;
•
Einbeziehung der Familie;
•
zusätzliche medikamentöse Therapie bei einem Teil der Patienten.
Die somatische Rehabilitation und die Ernährungstherapie dienen zunächst der Behandlung
körperlicher Komplikationen, die durch die Kachexie bzw. durch die Maßnahmen zur Gewichtsreduktion entstanden sind. Durch eine Verweigerung der Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr kommt es vielfach neben der Kachexie zu einer Dehydratation. Häufiges Erbrechen
und der Missbrauch von Abführmitteln können schwere Elektrolytverschiebungen zur Folge
haben, die stationär unter enger Kontrolle korrigiert werden müssen. Bei der Gewichtsrehabilitation im eigentlichen Sinn wird das Zielgewicht durch die 35. Perzentile in der altersentsprechenden Vergleichsgruppe definiert. Bei manchen Patientinnen reicht dieses Gewicht
nicht aus, um ein erneutes Eintreten der Menstruation zu erreichen. In diesem Fall orientiert
man sich an dem Gewicht, bei dem die Menstruation im Verlauf der Gewichtsabnahme ausblieb. Die Patienten sollten kontinuierlich um etwa 0,5 bis 1 kg pro Woche an Gewicht zunehmen. Eine zu schnelle Gewichtszunahme ist mit einer schlechteren Prognose verbunden
und kann bei kohlenhydratreicher Nahrung eine schwer therapierbare Hypophosphatämie auslösen (Fisher et al., 2000; Holtkamp et al., 2004). Ein weiterer wichtiger Punkt in der Behandlung ist die Normalisierung des Essverhaltens. Hierzu zählen die schrittweise Wiedereinführung von Mahlzeiten, das gemeinsame Erarbeiten eines Essensplans, Hilfestellungen beim
Essen (z.B. durch Betreuer), Ernährungsberatung und gemeinsames Einkaufen, Kochen und
Essen in der Gruppe (Fleischhaker, 2004).
Auf dem Gebiet der Psychotherapie von Essstörungen besteht großer Forschungsbedarf.
Eine vom amerikanischen „National Institute of Health (NIH)“ 2004 organisierte Expertenrunde empfahl, die Forschung zur Behandlung von Anorexia nervosa mit hoher Priorität zu
verfolgen (Agras et al., 2004). Bis heute basieren beispielsweise die Empfehlungen des britischen National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) zum größten Teil auf Expertenmeinungen und klinischen Erfahrungswerten, entsprechend dem Evidenzgrad C (NICE,
2004). Dennoch konnte in einigen kontrollierten Studien die Effizienz der kognitiven Verhal-
Einleitung
18
tenstherapie und der interpersonalen Therapie evaluiert werden (Fairburn et al., 2003;
McIntosh et al., 2005).
Im Rahmen der kognitiv-behavioralen Therapie werden typische mit der Magersucht
verbundene dysfunktionale Gedanken hinterfragt, die sich mit der zentralen Bedeutung von
Figur und Gewicht für das Selbsterleben und das Selbstwertgefühl der Betroffenen beschäftigen. Für die Behandlung der Anorexia nervosa liegt hierfür eine kontrollierte Studie vor
(McIntosh et al., 2005). Gegenstand der interpersonalen Therapie ist die Auseinandersetzung
mit der Störung und ihren Folgen für das interpersonale Bezugssystem. Ziel ist es, die Beziehungsfähigkeit der Patienten zu verbessern (McIntosh et al., 2000).
Derzeit führt der deutsche „Forschungsverbund zur Psychotherapie von Essstörungen
(EDNET)“ mehrere Projekte zur Evaluation der psychotherapeutischen Behandlung bei Magersucht durch (de Zwaan et al., 2009). Die Ergebnisse aus den einzelnen multizentrischen
und randomisierten Studien lagen zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Arbeit noch nicht vor.
Einbeziehung der Familie
Im Konzept zur Behandlung der adoleszenten Anorexia nervosa kommt dem Einbeziehen der
Familie ein besonderer Stellenwert zu. Kontrollierte und randomisierte Studien haben gezeigt,
dass gerade bei jugendlichen Patienten mit einer Erkrankungsdauer von weniger als 3 Jahren
familientherapeutische Interventionen wirksamer waren als Einzeltherapie (Eisler et al.,
1997). In den Leitlinien des NICE ist die Familienintervention die einzige Therapieoption, die
mit einem höheren Evidenzgrad (Grad B) versehen werden konnte (NICE, 2004).
Eine randomisierte kontrollierte Therapiestudie untersuchte den Verlauf der adoleszenten Anorexia nervosa in den Gruppen „gemeinsame Familientherapie“ und „einzelne Familientherapie“. In der einzelnen Familientherapie waren die Familienmitglieder mit jeweils einem Therapeuten alleine, in der gemeinsamen Familientherapie waren die Familienmitglieder
in der Sitzung gemeinsam anwesend. Das Ergebnis bestätigte die Effizienz der Familientherapie. Bedeutende Unterschiede zwischen den Therapieformen gab es lediglich in Familien, in
denen ein erhöhtes Maß an Feindseligkeit und emotionales Überengagement vorherrschten.
Hier schien die gemeinsame Familientherapie weniger geeignet (Eisler et al., 2007).
In einer weiteren kontrollierten Therapiestudie wurden ein kurzer (10 Sitzungen in 6
Monaten) und ein langer (20 Sitzungen in 12 Monaten) Behandlungszeitraum einer familienbasierten Therapie miteinander verglichen. Vier Jahre nach Therapie bestand kein nennenswerter Unterschied zwischen den Gruppen. Das Langzeitergebnis nach 4 Jahren war positiv
und dem von Studien mit Katamneseintervallen von 6–12 Jahren ähnlich (Lock et al., 2006).
Einleitung
19
Insgesamt ist in der Therapie der adoleszenten Anorexia nervosa die Einbeziehung der
Familie besonders wichtig. Anders als bei der Anorexia nervosa im Erwachsenenalter kann
der Familienrückhalt zu Beginn in der Adoleszenz den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen. Des Weiteren genießt diese Form der Therapie sowohl bei den Eltern als auch den Patienten eine breite Akzeptanz (le Grange et al., 2010).
Pharmakotherapie
Die medikamentöse Behandlung der Anorexia nervosa hat sich bis heute als äußerst schwierig
erwiesen (Halmi et al., 2005). Um eine Gewichtszunahme zu erleichtern und die mit dem Untergewicht im Zusammenhang stehenden depressiven Stimmungszustände zu beeinflussen,
wäre eine Beeinflussung der Kernsymptome Gewichtsphobie und Körperschemastörung wünschenswert. Pharmakologische Therapieversuche mit Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren
(SSRI) im Zustand der Kachexie haben sich allerdings als erfolglos erwiesen (Ferguson et al.,
1999). Psychopharmaka sollten jedoch für die Behandlung von psychiatrischen Begleiterkrankungen (z.B. Depression, Zwangsstörung) und bei krankheitsbedingten Problemen (z.B.
Schlafstörungen, Angstzustände) verwendet werden (NICE, 2004).
Auch bei Patienten, die nach dem Erreichen des Normalgewichts noch unter depressiven
Symptomen litten, zeigte sich keine signifikante Wirksamkeit der Behandlung mit SSRI gegenüber einer Vergleichsgruppe (Holtkamp et al., 2005a).
Prävention
Maßnahmen zur primären Prävention von Anorexia nervosa und anderen Essstörungen betreffen Aufklärungsarbeit an Schulen zu Gefahren restriktiver Diätmaßnahmen sowie eine Ernährungsberatung (Austin et al., 2007; Herpertz-Dahlmann, 2008). Vor dem Hintergrund der
komplexen Ätiologie und der starken genetischen Komponente ist es jedoch nicht verwunderlich, dass die Inzidenz der Magersucht durch derartige Maßnahmen bisher nicht beeinflusst
werden konnte (Austin et al., 2005).
Strategien, die sich bevorzugt an Risikogruppen wenden (z.B. Leistungssportler, Tänzerinnen, etc.) könnten sich möglicherweise als effizienter erweisen. Die Sekundärprävention
betrifft Maßnahmen, die bei bereits vorhandener Symptomatik die Entwicklung einer schwerwiegenden Essstörung verhindern. Da die Prognose der Anorexia nervosa eng mit dem Ausmaß des Gewichtsverlustes und der Erkrankungsdauer vor Behandlungsbeginn korreliert,
könnte eine rechtzeitige Diagnose die Chancen auf eine Heilung verbessern.
Einleitung
1.7
20
Prognose und Langzeitverlauf der adoleszenten Anorexia nervosa
Langzeitstudien, die den Verlauf und die Prognose der Anorexia nervosa untersuchen, sind
aufgrund der oftmals langen Krankheitsdauer von großer Wichtigkeit. Durch einen langen
Beobachtungszeitraum besteht die Möglichkeit, Aussagen über die krankheitsbezogene Mortalität zu treffen sowie Faktoren zu ermitteln, die von prognostischer Bedeutung sind. Bei Patienten mit Beginn der Magersucht in der Adoleszenz besteht ein zusätzliches Interesse darin,
die Auswirkungen der Krankheit auf das Erwachsenwerden abzuschätzen, d. h. auf Anforderungen wie eine Ausbildung aufzunehmen, einen Beruf auszuüben, einen Partner zu finden
und Kinder zu bekommen.
Mortalität
In einer umfassenden Metaanalyse von Verlaufsstudien betrug die Mortalität über alle Studien
(und damit alle Altersgruppen und Erhebungszeiträume) hinweg 5 % (Steinhausen, 2002).
Mit ansteigender Krankheitsdauer stieg auch die Mortalität. So ergab die Auswertung der
Studien mit einem Beobachtungszeitraum von mehr als zehn Jahren eine Mortalität von
9,4 %. Bemerkenswert ist der Unterschied in der Mortalität bei Studien, die ausschließlich
Patienten mit Anorexia nervosa nachuntersuchten, deren Erkrankungsbeginn in der Adoleszenz lag. Hier zeigte sich bei einem Beobachtungszeitraum von mehr als zehn Jahren kein
einziger Todesfall.
Eine weitere Übersichtsarbeit ermittelte anstatt der „rohen Mortalität“ (engl. crude mortality) die standardisierte Mortalitätsrate (Papadopoulos et al., 2009). Die standardisierte Mortalitätsrate (SMR) ist das Verhältnis der beobachteten Mortalität in der Untersuchungsgruppe
zur erwarteten Mortalität, gemessen an altersentsprechenden demografischen Daten aus der
Gesamtbevölkerung. Papadopoulos et al. kamen bei der Auswertung von 25 Langzeitstudien
von Patienten mit Anorexia nervosa auf eine SMR von 6,2. Unter den insgesamt 265 verzeichneten Todesfällen waren die häufigsten Todesursachen Suizid (31,7 %), Anorexia nervosa (14,7 %), Krebs (10,9 %), Respiratorische Erkrankungen (5,3 %) und der Missbrauch psychoaktiver Substanzen (4,9 %). Im Verhältnis zu den erwarteten Todesfällen in der Normalbevölkerung leiten sich daraus die höchsten SMR für Anorexia nervosa (650), den Missbrauch psychoaktiver Substanzen (18,9) und Suizid (13,6) ab. Auch hier gab es zwischen den
Untersuchungen beträchtliche Schwankungen mit standardisierten Mortalitätsraten von null
bis 17,8. Angaben über die Mortalität variierten sogar zwischen null und 25,5 %. Der Großteil
der Studien (82 %), die Patienten mit Erkrankungsbeginn in jedem Alter einschlossen, gab
Einleitung
21
jedoch eine Mortalität von 3,3–11,9 % an.
Im Vergleich zu diesen Zahlen ist die Mortalität bei Patienten mit Anorexia nervosa, deren Erkrankungsbeginn in der Adoleszenz liegt, deutlich niedriger. Vier Kohortenstudien
(Strober et al., 1997; Herpertz-Dahlmann et al., 2001; Halvorsen et al., 2004; Wentz et al.,
2009) mit einem Untersuchungszeitraum von wenigstens 10 Jahren seit Erkrankungsbeginn
konnten keinen einzigen Todesfall feststellen. Eine schwedische Registerstudie (Hjern et al.,
2006) untersuchte die Sterblichkeit bei 748 Patientinnen, die vor 9 bis 14 Jahren als Jugendliche aufgrund einer Magersucht stationär behandelt wurden, und fand eine Mortalität von
1,2 %. Trotz dieses verhältnismäßig günstigen Verlaufs sind Langzeituntersuchungen umso
wichtiger. Es wird vermutet, dass die Mortalität bei Patienten mit einem chronischen Krankheitsverlauf über die Jahre hinweg deutlich ansteigt (Herpertz-Dahlmann, 2008). Daher bleiben Langzeitergebnisse (20 Jahre oder mehr) abzuwarten.
Outcome
Neben der Mortalität gibt es noch weitere wichtige Parameter für den Langzeitverlauf. Von
zentraler Bedeutung sind Heilungserfolg (engl. outcome), die krankheitsspezifische Psychopathologie und die Frage nach dem Auftreten weiterer Essstörungen, insbesondere Bulimia nervosa und nicht näher bezeichnete Essstörungen (EDNOS).
Zur Abschätzung des Heilungserfolges im Langzeitverlauf haben sich neben der Diagnostik der Essstörungen (Anorexia nervosa, Bulimia nervosa und EDNOS) zwei weitere
Messinstrumente durchgesetzt, die bis heute breite Anwendung finden:
•
Der General Outcome Score (GOS) nach Morgan und Russel (Morgan und Russell,
1975) modifiziert nach Ratnasuriya (Ratnasuriya et al., 1991) teilt die Patienten, gemessen an Ernährungszustand, Menstruation und dem Vorhandensein der Symptome
Essanfälle und/oder selbst induziertes Erbrechen, in die Gruppen „guter“, „mittlerer“ oder „schlechter Heilungserfolg“ ein.
•
Die Morgan-Russel-Skala (MRS) (Morgan und Russell, 1975; Morgan und Hayward,
1988) ist eine Skala, die über die Bewertung der Bereiche Ernährungszustand, Menstruation, Psychopathologie und sozioökonomischem Status einen Durchschnittswert
errechnet, der zwischen 0 (schlechtestes Ergebnis) und 12 (bestes Ergebnis) liegen
kann.
Eine detaillierte Beschreibung der beiden Untersuchungsinstrumente findet sich im Methodenteil dieser Arbeit. Tabelle 3 auf Seite 22 liefert einen Überblick über die Ergebnisse der
wichtigsten Langzeitstudien von Patienten aus dem kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich, d.h. ausschließlich mit einem Erkrankungsbeginn in der Adoleszenz.
Tabelle 3 Übersicht über die wichtigsten Studiena zum Langzeitverlauf der adoleszenten AN
Studie
Strober et al.
(1997)
Anzahl der
Patienten
Zeitintervall der
Nachuntersuchung (Jahre)
Dauer der AN vor Beginn der Nachuntersuchungen (Jahre)
Diagnosen zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung n (%)
Heilungserfolg
Mortalität %
gut %
General Outcome
mittel %
schlecht %
Average Outcome
Ges:
w
m
95
85
10
10–15
2,4
AN:
BN:
EDNOS:
4 (4 %)
9 (10 %)
10 (11 %)
0,0
75,8
modif
10,5
13,7
—
HerpertzGes:
Dahlmann et al. w
(2001)
m
39
39
—
10
1,4 ± 1
AN:
BN:
EDNOS:
1 (3 %)
2 (5 %)
9 (23 %)
0,0
69,0
modif
23,0
8,0
9,3 ± 3
Nilsson et al.
(2005)
Ges:
w
m
68
68
—
16 (median)
(12–19)
0,5 (median)
(0,1–3,0)
AN:
BN:
EDNOS:
2 (3 %)
1 (1,5 %)
7 (10 %)
1,1
Halvorsen et al. Ges:
(2004)
w
m
51
51
—
8,8 ± 3,4
(3,5–14,5)
0,9 ± 0,6
(0,3–3,0)
AN:
BN:
EDNOS:
1 (2 %)
1 (2 %)
7 (14 %)
0,0
80,4
orig
15,8
3,9
—
Wentz et al.
(2009)
51
48
3
18
2
AN:
BN:
EDNOS:
3 (6 %)
—
3 (6 %)
0,0
84,0
orig
10,0
6,0
9,7 ± 2,1
(3,6–12,0)
Ges:
w
m
—
—
Bei mehreren Publikationen wurde die jeweils aktuellste berücksichtigt. AN, Anorexia nervosa. BN, Bulimia nervosa. EDNOS, Nicht näher bezeichnete Essstörung. Ges, Gesamt. w, weiblich. m, männlich. modif, modifizierte
Kriterien nach Ratnasuriya et al. (1991). orig, ursprüngliche Kriterien nach Morgan und Hayward (1975).
a
Einleitung
23
Prognostische Faktoren
In den bisher durchgeführten Studien zeigt sich eine Vielzahl von Faktoren, die von den Autoren als Einflussgröße für einen chronischen Verlauf in Betracht gezogen werden (sog. Prädiktoren).
Papadopoulos et al. (2009) nutzen die Daten von 6009 Patienten mit Anorexia nervosa,
um Prädiktoren für die Mortalität zu finden. Psychische und körperliche Komorbidität ließen
die Mortalität ansteigen, ein junges Alter bei Erkrankungsbeginn und ein langer stationärer
Aufenthalt senkten sie.
Eine weitere Studie analysiert unter der Verwendung des schwedischen Gesundheitsregisters die Daten von 748 Patienten mit Erkrankungsbeginn in der Adoleszenz auf prognostische Faktoren für einen schlechten Gesundheitszustand und spätere sozioökonomische Abhängigkeit. Psychiatrische Komorbiditäten und eine lange Dauer stationärer Krankenhausaufenthalte wurden von Hjern et al. als negative Prädiktoren identifiziert (Hjern et al., 2006).
In der Übersichtsarbeit von Steinhausen (2002) wurden die Daten von 5 590 Patienten
aus insgesamt 119 Studien zusammengefasst und auf das Vorliegen von Prädiktoren hin untersucht. Das Ergebnis ist, dass Erbrechen, Bulimia nervosa und abführende Maßnahmen
(z.B. der Missbrauch von Laxantien oder Diuretika) prognostische Faktoren für einen ungünstigen Verlauf sind. Ebenso zählen die Chronizität der Erkrankung selbst und eine zwanghafte
Persönlichkeit zu den negativen Prädiktoren. Die Ergebnisse dieser Arbeit sind sehr heterogen, nicht zuletzt weil in der Auswertung bezüglich Ersterkrankungsalter (EEA), also zwischen Krankheitsbeginn in der Adoleszenz oder im Erwachsenenalter, nicht unterschieden
wurde.
Bei den folgenden Nachuntersuchungen handelt es sich um Populationen, in denen das
EEA der Patienten ausschließlich in der Adoleszenz liegt: Wentz et al. (2009) konnten bei 51
Patienten 18 Jahre nach Krankheitsbeginn eine zwanghafte Persönlichkeit, autistische Charakterzüge und ein geringes Alter bei Erkrankungsbeginn als negative Prädiktoren identifizieren.
Das durchschnittliche EEA lag bei 14,3 Jahren.
Ein schlechtes Langzeitergebnis unter 68 Teilnehmern mit einem EEA von durchschnittlich 14 Jahren wurde in der Arbeit von Nilsson und Hägglöf (2005) durch somatische Beschwerden (z.B. kardiale Probleme, Leberfunktionsstörungen, Bedarf einer Elektrolytsubstitution, etc.) und den stationären Aufenthalt in einer pädiatrischen Abteilung vorausgesagt.
Die zwei Studien von Halvorsen et al. (2004) und Herpertz-Dahlmann et al. (2001)
konnten bei 51 bzw. 39 Patienten keine statistisch signifikanten, prognostischen Faktoren ermitteln. Das Ersterkrankungsalter lag im Durchschnitt bei 14,0 bzw. 14,9 Jahren.
Einleitung
24
Strober et al. (1997) identifizierten in ihrer Nachuntersuchung von 95 Patienten Verursacher eines chronischen Krankheitsverlaufes. Ein starker innerer Zwang, sich körperlich zu
betätigen, zum Zeitpunkt der Entlassung und eine schlechte soziale Bindung noch vor Auftreten der Magersucht waren die beiden stärksten Prädiktoren für Chronizität. Der starke innere
Bewegungsdrang wurde im Rahmen eines klinischen Interviews zum Zeitpunkt der Entlassung beurteilt. Die Qualität der sozialen Bindung vor Ausbruch der Magersucht wurde bei
Aufnahme retrospektiv durch die Einschätzung eines Experten erhoben.
Einleitung
1.8
25
Lebensqualität und funktioneller Gesundheitszustand
Bisher waren die meisten Studien zum Langzeitverlauf der Anorexia nervosa auf die Untersuchung der spezifischen Psychopathologie, der somatischen Komplikationen und der Mortalität
ausgerichtet. Relativ neu ist der zusätzliche Einschluss der Lebensqualität in die Analyse des
Langzeitverlaufes. Eine der ersten Studien zu diesem Thema bezeichnet die Untersuchung der
Lebensqualität bei Patienten als eine „fehlende Größe im Gesundheitswesen“ (Keilen et al.,
1994). Eine der Schwierigkeiten auf diesem Gebiet stellen die unterschiedlichen Definitionen
von Lebensqualität dar. Diese spiegeln sich in einer Vielzahl von Instrumenten (meistens in
Form von Fragebögen) wider. Mit der Veröffentlichung des WHOQOL-Fragebogens (WHO
Quality Of Life) hat die WHO einen international und interkulturell vergleichbares Testinstrument zur Erhebung der Lebensqualität entwickelt (WHO, 1998).
Mond et al. (2005) verwendeten die Kurzform des Fragebogens (WHOQOL-BREF) um
die Lebensqualität von Patienten mit einer Essstörung zu untersuchen, die sich derzeit in teilstationärer Behandlung befanden. Bei den insgesamt 74 Patienten mit einer Essstörung konnte
eine deutliche Beeinträchtigung der Lebensqualität im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe (n = 495) festgestellt werden. Allerdings zeigen die durch Selbsteinschätzung gewonnen Ergebnisse bei Patienten mit einer restriktiven Form der Anorexia nervosa deutlich bessere Werte in den Bereichen gesundheitsbezogene und subjektive Lebensqualität im Vergleich
zu Patienten mit anderen Formen einer Essstörung. Im Bereich der sozialen Beziehungen sind
Patienten mit einer Essstörung gegenüber den gesunden Kontrollen nicht beeinträchtigt. Die
Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Selbsteinschätzung der Lebensqualität bei Patienten mit einer Magersucht nur bedingt verlässlich sein kann und die Ergebnisse mit Vorsicht
interpretiert werden sollten. Eine der Begründungen ist, dass eine notwendige Gewichtszunahme subjektiv zu einer starken Beeinträchtigung der Lebensqualität führen kann, obwohl
sie objektiv eine Verbesserung darstellt.
Die Autoren plädieren daher für eine Beurteilung der Lebensqualität im Kontext. Sie regen hierfür die Entwicklung eines multidimensionalen Instruments an, das subjektive, professionell-objektive und familiäre Einschätzungen miteinander verbindet (Mond et al., 2005).
Ein Instrument, das diesem Wunsch nahe kommt, ist die ebenfalls von der WHO entwickelte
und 2006 in der deutschen Version veröffentlichte Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit, kurz ICF (WHO, 2001b, 2006).
Die ICF ist ein unfangreiches Instrument, das die Möglichkeit bietet, Gesundheit und das
menschliche Erleben von Funktionsfähigkeit und Behinderung zu beschreiben und zu quanti-
Einleitung
26
fizieren. Weiterhin haben es sich die Autoren der ICF zum Ziel gesetzt, äußere Einflussgrößen in der Klassifikation zu berücksichtigen. Daher ist die ICF in zwei Teile gegliedert: Der
eine Teil befasst sich mit Funktionsfähigkeit und Behinderung, während der andere Teil die
Kontextfaktoren umfasst. Jeder Teil hat zwei Komponenten:
1. Funktionsfähigkeit und Behinderung
a. Körperfunktionen und -strukturen
b. Aktivitäten und Partizipation [Teilhabe]
2. Kontextfaktoren
c. Umweltfaktoren
d. Personenbezogene Faktoren
Da die gesamte ICF 1424 Items auf 4 hierarchisch gegliederten Stufen erfasst, ist es für eine
praktikable Anwendung nötig, so genannte Core Sets (core set engl. „Kerngruppe“) zu erstellen. Bei den Core Sets handelt es sich um eine überschaubare Anzahl von Items, die für die
entsprechende Untersuchung als relevant erachtet werden. Von der WHO wurden für die Erstellung solcher Kerngruppen keine genauen Vorgaben gemacht. Es existieren in der Literatur
mehrere Ansätze zum Vorgehen. Cieza et al. erstellten ein Core Set für Depression mit Hilfe
eines Konsensverfahrens, das vorhergehende Studien, empirische Daten und Expertenwissen
mit einbezog (Cieza et al., 2004). Die Sammlung des Expertenwissens fand nach der DelphiMethode (engl. Delphi exercise) statt. Diese Methode wurde ausführlich beschrieben (Weigl
et al., 2004).
In den letzten Jahren wurde die Wichtigkeit der ICF im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie zur Bestimmung der Funktionsfähigkeit hervorgehoben (Bölte, 2009).
Ruuska et al. untersuchten das psychosoziale Funktionsniveau bei 34 Jugendlichen im frühen
Stadium einer Anorexia nervosa und fanden in 9 % eine schwere und in 71 % eine mittelgradige Beeinträchtigung (Ruuska et al., 2007). In der Studie von Bohn et al. wird die Entwicklung und Implementierung eines Fragebogens beschreiben, der die funktionelle Beeinträchtigung bei Essstörungen bestimmen soll, die durch die charakteristische Psychopathologie des
Krankheitsbildes hervorgerufen wird (Bohn et al., 2008).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es in den letzten Jahren zahlreiche Ansätze gab,
die Funktionsfähigkeit bei Patienten mit Anorexia nervosa zu erforschen, zu quantifizieren
und in einen multidisziplinären Zusammenhang bezüglich Krankheitsbild und Therapie zu
stellen. Die ICF ist ein geeignetes Instrument, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Sie
findet in der vorliegenden Studie auf diesem Gebiet erstmals Anwendung – zum Zeitpunkt
des Verfassens dieser Arbeit gab es keine Veröffentlichung, die eine Anwendung der ICF zur
Einleitung
27
Untersuchung des Langzeitverlaufs der Anorexia nervosa zum Thema hatte.
Eine am 23. April 2011 durchgeführte Medline-Suche unter Verwendung der Begriffe
„ICF“ und „Anorexia nervosa [MeSH]“ ergab keine Treffer.
Einleitung
1.9
28
Hypothesen und Fragestellungen der vorliegenden Studie
Die vorliegende katamnestische Nachuntersuchung wurde an Patienten durchgeführt, die in
der Adoleszenz an einer Anorexia nervosa erkrankt sind. Ziel der Studie ist die Überprüfung
der Hypothesen 1a, 1b und 1c, die sich aus den Ergebnissen vorhergehender Studien begründen (Herpertz-Dahlmann et al., 2001; Rastam et al., 2003; Nilsson und Hägglöf, 2005;
Halvorsen und Heyerdahl, 2006; Wentz et al., 2009). Die Ergebnisse aus Punkt 2 sollen klären, ob sich Hinweise auf Interventionsmöglichkeiten für die Kinder- und Jugendpsychiatrie
ergeben, die das Risiko eines chronischen Verlaufs der Anorexia nervosa minimieren. Die
Überprüfung dieser Hypothese erfordert die Entwicklung eines statistischen Modells:
1.
Langzeitergebnis
a. Zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung ist der Prozentsatz an Patienten mit einer Essstörung nach ICD-10 bzw. DSM-IV signifikant geringer als zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme.
b. Bei Patienten mit einer Essstörung zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung besteht eine höhere psychiatrische Komorbidität im Vergleich zu Patienten ohne
eine Essstörung.
c. Patienten mit einer Essstörung haben eine geringere Lebensqualität im Vergleich zu Patienten ohne Essstörung zum Untersuchungszeitpunkt.
2.
Prognostische Faktoren
Mithilfe eines Regressionsmodells sollen Faktoren ermittelt werden, die im Rahmen der Therapie erhoben wurden und das Risiko für einen ungünstigen Verlauf
der Anorexia nervosa beeinflussen.
Einleitung
29
Weiterhin sollen die Punkte 3–5 explorativ untersucht werden.
3.
Die Ergebnisse in Bezug auf Langzeitergebnis, Psychopathologie und psychiatrische Komorbidität sollen in einer explorativen Auswertung mit den entsprechenden
Werten der Studien von Herpertz-Dahlmann et al. (2001), Rastam et al. (2003),
Nilsson und Hägglöf (2005), Halvorsen und Heyer-dahl (2006) und Wentz et al.
(2009) verglichen und auf signifikante Abweichungen hin überprüft werden.
4.
Die Lebensqualität der Patienten zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung soll im
Vergleich zu den Normdaten des WHO Fragebogen zur Lebensqualität (WHO,
1998) auf Unterschiede überprüft werden.
5.
Das psychosoziale Funktionsniveau insgesamt, bestehend aus Funktionsfähigkeit
und Partizipation/Teilhabe im Sinne der ICF, soll bei den Patienten auf einen signifikanten Zusammenhang bezüglich allgemeiner Psychopathologie, EssstörungsPsychopathologie und Lebensqualität hin untersucht werden.
2
2.1
Patienten und Methodik
Patientenbeschreibung
In die vorliegende Untersuchung wurden alle Patientinnen und Patienten aufgenommen, die
im Zeitraum vom 20.10.1997 bis 19.10.2001 stationär in der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Freiburg (im Folgenden KJP) aufgrund der Diagnose einer Anorexia nervosa behandelt wurden. In der Basisdokumentation der Abteilung für
Kinder- und Jugendpsychiatrie erfüllten von einer in diesem Zeitraum behandelten Inanspruchnahmepopulation von 525 stationären Patienten eine Anzahl von 50 (9,5 %) die klinische Verdachtsdiagnose einer Anorexia nervosa.
Die Diagnose wurde anhand der vorliegenden Patientenakten mittels der ICD-10Kriterien von zwei erfahrenen, unabhängig voneinander arbeitenden Kinder- und Jugendpsychiatern überprüft und sorgfältig reevaluiert. Patientinnen, die zum Zeitpunkt der Aufnahme lediglich eine oder zwei ausgebliebene Monatsblutung gehabt hatten, aber das Zeitkriterium für eine sekundäre Amenorrhö (mind. 3 Monate Dauer) im Laufe des stationären Aufenthalts erfüllten, wurden ebenfalls in die Studie mit eingeschlossen. Von den ursprünglich 50
Patienten erfüllte eine Stichprobe von 47 Patienten die Kriterien für eine Anorexia nervosa
(F50.0 oder F50.01 nach ICD-10). Die verbleibenden drei Patienten wurden von der Nachuntersuchung ausgeschlossen, da zwar einige Symptome der Magersucht vorlagen, jedoch mindestens eines der Kriterien für die Stellung der Diagnose nach ICD- nicht erfüllt wurde. Bei
ihnen lag stattdessen die Diagnose einer atypischen Anorexia nervosa (F50.1 nach ICD-10)
vor. Die in die Untersuchung eingeschlossenen Patienten erfüllen folgende Kriterien:
•
Beim Auftreten der ersten Symptome der Anorexia nervosa waren sie jünger als
18 Jahre.
•
Sie wurden mit dem Verdacht einer Anorexia nervosa in einem Zeitraum von 4
Jahren (20.10.1997 – 19.10.2001) konsekutiv aufgenommen und in der Abteilung
für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Freiburg stationär
behandelt.
•
Bei dem als Index verwendeten Behandlungszeitraum handelt es sich um den ersten stationären Aufenthalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Freiburg.
Patienten und Methodik
2.2
32
Ablauf der Nachuntersuchung
Alle 47 Patienten konnten ausfindig gemacht werden und waren am Leben. Nach Ermittlung
der aktuellen Postadresse wurde den Patienten ein Schreiben der Abteilung zugeschickt, in
dem sie um die Erlaubnis zur Kontaktaufnahme gebeten wurden. Das Schreiben enthielt den
Grund für die Kontaktaufnahme und eine Postkarte für die Rückantwort der Patienten.
Von den 47 Patienten (2 männlich und 45 weiblich) gaben 35 (74 %) ihr schriftliches
Einverständnis für die Teilnahme und konnten unter Anwendung eines semistrukturierten Interviews nachuntersucht werden. Vierunddreißig (97 %) der 35 nachuntersuchten Patienten
füllten auch die Fragebögen zur Selbstbeurteilung aus, die ihnen vor dem Interview zugeschickt wurden. Zwölf (26 %) der insgesamt 47 Patienten verweigerten die Teilnahme an der
Nachuntersuchung komplett. Dies geschah entweder schriftlich über eine RückantwortPostkarte oder telefonisch nach Kontaktaufnahme und Erläuterung von Sinn und Inhalt der
Untersuchung.
Die Interviews fanden in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Freiburg oder bei den Patienten zu Hause statt. In einem Fall wurde das Interview in der stationären Abteilung einer
Psychiatrie durchgeführt. Alle Interviews fanden in einer ruhigen und ungestörten Umgebung
statt. Nach dem Interview wurden die Patienten gewogen und gemessen. Stand keine Möglichkeit zur Messung der Körpergröße zur Verfügung, wurde sie erfragt. Das Gewicht wurde
in jedem Fall gemessen.
Zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern konnten keine signifikanten Unterschiede bezüglich prämorbider Auffälligkeiten, prämorbidem Intelligenzniveau, familiärer Belastung und den Charakteristika der ersten Erkrankungsepisode festgestellt werden. Tabelle 19
auf Seite 117 enthält die Ergebnisse des Vergleichs der beiden Gruppen.
Abbildung 3 auf Seite 33 zeigt außerdem die Auswahl und Zusammensetzung der Studienpopulation.
Patienten und Methodik
Abbildung 3 Zusammensetzung und Auswahl der Studienteilnehmer (n = 35) der Katamnese
33
Patienten und Methodik
2.3
34
Angewandte Untersuchungsinstrumente
Im durchgeführten Interview kamen in dieser Studie folgende Untersuchungsinstrumente zur
Anwendung:
1.
Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV – Achse I: Psychische Störungen:
SKID-I (Wittchen et al., 1997)
2.
Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV – Achse II: Persönlichkeitsstörungen: SKID-II (Fydrich et al., 1997)
3.
Strukturiertes Inventar für Anorektische und Bulimische Essstörungen – Interview:
SIAB-EX (Fichter et al., 1998; Fichter und Quadflieg, 1999)
4.
Interview zum Langzeitverlauf der Anorexia nervosa (Wewetzer, 1990)
5.
Morgan-Russel-Skala: MRS (Morgan und Hayward, 1988) und General Outcome
Score: GOS (Morgan und Russell, 1975; Ratnasuriya et al., 1991)
6.
Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit:
ICF (WHO, 2005)
Folgende Fragebögen zur Selbsteinschätzung wurden den Patienten im Rahmen der Studie
vorgelegt:
1.
Strukturiertes Inventar für Anorektische und Bulimische Essstörungen – Fragebogen: SIAB-S (Fichter et al., 1998; Fichter und Quadflieg, 1999)
2.
Eating Disorder Inventory-2 – Deutsche Version: EDI-2 (Paul und Thiel, 2005)
3.
World Health Organization Quality of Life Fragebogen – Kurzversion auf deutsch:
WHOQOL-BREF (WHO, 1998)
4.
Die Symptom-Checkliste von Derogatis – Deutsche Version: SCL-90-R (Franke,
2002)
5.
Inventar zur Erfassung der Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen: ILK
(Mattejat et al., 1998)
6.
Fragebögen zur Beurteilung der Behandlung – Beurteilung durch den Patienten:
FBB-P (Mattejat und Remschmidt, 1998)
7.
Fragen zur soziodemografischen Situation der Patienten – Dieser Fragebogen wurde vom Autor der vorliegenden Arbeit erstellt und orientiert sich an der Basisdokumentation der KJP Freiburg. Der Fragebogen findet sich als Tabelle 20 auf Seite 118 im Anhang
2.3.1 Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV
Das Strukturierte Klinische Interview für DSM-IV ist ein semistrukturiertes klinisches Interview, um Symptome, Syndrome und ausgewählte DSM IV-Diagnosen auf Achse I „psychische Störungen“ (Wittchen et al., 1997) und Achse II „Persönlichkeitsstörungen“ (Fydrich et
al., 1997) abzuleiten. In der deutschen Version ist als Besonderheit zu beachten, dass die Ko-
Patienten und Methodik
35
dierung nach ICD-10 ebenfalls mit angegeben ist. Untersucht werden können ambulante wie
auch stationäre psychiatrische oder allgemeinmedizinische Patienten. Ferner ist es möglich,
das SKID im Rahmen von Studien einzusetzen.
Das SKID in seiner Vorläufer- und seiner endgültigen Form wurde in verschiedenen
amerikanischen und deutschen Studien ausführlich mit befriedigenden psychometrischen Befunden bezüglich Anwendbarkeit, Reliabilität und Effizienz untersucht (Williams et al., 1992;
First et al., 1995).
Die Struktur der Interviews ermöglicht eine relativ schnelle und valide Diagnosestellung
durch viele „Trennpunkt-Fakten“ und Sprungregeln. Im Zeitverlauf unterscheidet das SKID,
ob Symptome der Störung im letzten Monat bestanden (derzeitige Episode) oder irgendwann
einmal im Verlauf des Lebens aufgetreten sind (lifetime). Die Durchführungszeit beträgt bei
ambulanten Patienten im Durchschnitt ca. 70 Minuten.
2.3.2 Strukturiertes Inventar für Anorektische und Bulimische Essstörungen
Das Interview des Strukturierten Inventars für Anorektische und Bulimische Essstörungen
„SIAB-EX“ (Fichter et al., 1998; Fichter und Quadflieg, 1999) umfasst 87 Fragen, die auf
einer Schweregradskala von 0 bis 4 kodiert sind („Symptom/Problem nicht vorhanden“ bis
„Symptom/Problem sehr stark oder sehr häufig vorhanden“) und kann bei allen Personen
durchgeführt werden, bei denen der Verdacht auf eine Essstörung vorliegt. Die Fragen des
SIAB-EX erfassen zwei Zeiträume: Zum einen wird die Symptomausprägung in den letzten
drei Monaten (Jetzt-Zustand) kodiert, zum anderen die stärkste Ausprägung früher, in der Zeit
vor den letzten drei Monaten (früher). Das Interview ermöglicht das Diagnostizieren einer
Essstörung sowohl nach DSM-IV als auch nach ICD-10. Mit 82 % (jetzt) und 90 % (früher)
übereinstimmenden Diagnosen können beide Systeme als gut korrelierend bezeichnet werden.
Für die Ermittlung der Interrater-Reliabilität wurden 116 komplette InterviewEinschätzungen miteinander verglichen. Es ergab sich ein mittlerer Gesamt-Kappa von 0,64
für den Jetzt-Zeitpunkt und 0,63 für früher bei der Skalierung von 0 bis 4. Für die Einschätzung der klinischen Relevanz (0–1 = klinisch nicht relevant, 2–4 = klinisch bedeutsam) ergaben sich kappa-Werte von 0,81 (jetzt) und 0,85 (früher). Eine hohe Validität des SIAB-EX
konnte in einer Vergleichsstudie mit dem Experteninterview Eating Disorder Examination
(EDE) bestätigt werden.
Das SIAB als Fragebogen zur Selbsteinschätzung „SIAB-S“ (Fichter und Quadflieg,
1999) ist analog zum Interview SIAB-EX aufgebaut. Der Fragebogen ermöglicht entweder
eine ökonomische Erhebung von Daten bei Verdacht auf eine Essstörung oder kann als
Patienten und Methodik
36
Grundlage für die Vorbereitung des Erstinterviews dienen. Die Übereinstimmung zwischen
Experten- und Selbsteinschätzungsform des SIAB zeigen verhältnismäßig gute Korrelationen
zwischen 0,4 und 0,8.
2.3.3 Interview zum Langzeitverlauf der Anorexia nervosa
Das halbstrukturierte Interview zum Langzeitverlauf der Anorexia nervosa basiert auf einer
Fassung von Wewetzer (1990) und wurde in der vorliegenden Arbeit in der modifizierten
Form verwendet (Bartels, 1998). Es erfasst folgende Bereiche:
•
Art und Anzahl der durch die Essstörung bedingten stationären oder ambulanten
Behandlungen;
•
Zwischenanamnese psychischer und körperlicher Erkrankungen;
•
Familienanamnese bezüglich psychischer Erkrankungen oder einer Essstörung;
•
Aktuelle Essstörungssymptomatik (Gewicht, Menstruation, Nahrungsaufnahme,
Sorge um Figur und Gewicht);
•
Psychosoziale und sozioökonomische Situation;
•
Partnerschaft und Sexualität.
Das Interview enthält alle notwendigen Angaben zur Einschätzung des General Outcome Score „GOS“ (Morgan und Russell, 1975) und der Morgan-Russel-Skala „MRS“ (Morgan und
Hayward, 1988), die im Folgenden genauer erläutert werden.
2.3.4 General Outcome Score und Morgan-Russel-Skala
Der General Outcome Score wurde von Morgan und Russel beschrieben (Morgan und
Russell, 1975). Er dient der Beurteilung des Langzeitergebnisses bei Patienten mit Anorexia
nervosa und ist ein Standardverfahren in der Forschung. Das Outcome ergibt sich beim GOS
durch folgende Einteilung:
•
gutes Outcome: normales Gewicht (100±15 % des durchschnittlichen Körpergewichtes – AWB) und normale Menstruation;
•
mittleres Outcome: normales oder fast normales Gewicht (75-100 % AWB)
und/oder unregelmäßige Menstruation;
•
schlechtes Outcome: geringes Gewicht und sehr unregelmäßige oder keine Menstruation.
Patienten und Methodik
37
Ein zusätzliches Kriterium wurde von Ratnasuriya et al. (1991) eingeführt: Ungeachtet der
Körpergröße und des Gewichts haben Patienten ein schlechtes Outcome, die mindestens einmal wöchentlich Erbrechen induzieren oder einen Essanfall haben.
Bei der Morgan-Russel-Skala (MRS), auch Average Outcome Score genannt, handelt es
sich um einen Summenscore, durch den die Funktionsfähigkeit der Patienten in Bezug auf
Nahrungsaufnahme, Regelstatus, psychischem Status, psychosexuellem Status und sozialem
Status eingeschätzt wird (Morgan und Hayward, 1988). Es ergibt sich ein Durchschnittsscore,
der im Bereich von 0 bis 12 liegt, wobei ein Wert von 0 dem schlechtesten und ein Wert von
12 dem besten Ergebnis entspricht.
2.3.5 Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit
Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit „ICF“
(WHO, 2001b, 2005) bietet eine einheitliche Sprache und Bezugssystem für die Beschreibung
von Gesundheit und gesundheitsbezogener Zustände. Durch die ICF wird es möglich, Gesundheit und gesundheitsbezogene Probleme zu qualifizieren und zu quantifizieren. Die wesentlichen Komponenten der ICF sind: Körperfunktionen, Köperstrukturen, Aktivität und Partizipation/Teilhabe und Umweltfaktoren.
Die einzelnen Komponenten sind in Kapitel aufgeteilt und verzweigen sich hierarchisch.
Sie beschreiben bis in die dritte oder vierte Ebene immer detaillierter das betreffende Merkmal der übergeordneten Stufe. Tabelle 4 verdeutlicht anhand eines Beispiels aus der Komponente Körperfunktionen die hierarchische Kodierung.
Tabelle 4 Hierarchische Verzweigung der ICF am Beispiel des Farbsehvermögens (WHO, 2005)
Komponente
Kodierung
Kapitel 2
Sinnesfunktionen und Schmerz
b2
Zweite Ebene
Funktionen des Sehens
b210
Dritte Ebene
Qualität des Sehvermögens
b2102
Vierte Ebene
Farbsehvermögen (Farbsinn)
b21021
ICF, Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit.
Patienten und Methodik
38
Einzelne Items können auf einer hohen Ebene detailgenau und trennscharf kodiert werden.
Auf einer niedrigeren Ebene ist die kursorische und unscharfe Kodierung möglich. Die Kodierung der Items erfolgt nach der Einteilung:
•
0, Problem nicht vorhanden (ohne, kein, unerheblich ...), 0–4 % Einschränkung;
•
1, Problem leicht ausgeprägt (schwach, gering ...), 5–24 % Einschränkung;
•
2, Problem mäßig ausgeprägt (mittel, ziemlich ...), 25–49 % Einschränkung;
•
3, Problem erheblich ausgeprägt (hoch, äußerst ...), 50–95 % Einschränkung;
•
4, Problem voll ausgeprägt (komplett, total ...), 96–100 % Einschränkung;
•
8, nicht spezifiziert;
•
9, nicht anwendbar.
Insgesamt besteht die ICF aus 1424 Kategorien. Diese Zahl macht deutlich, dass es für die
Anwendbarkeit unbedingt notwendig ist, eine Auswahl an Kategorien und Detailgenauigkeit
zu treffen, die der zu beschreibenden Situation am ehesten gerecht wird.
Dies hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass eine Vielzahl so genannter Core Sets
für die Anwendung der ICF in den unterschiedlichsten Situationen und bei den unterschiedlichsten Gruppen von Menschen entwickelt wurden. Es existieren bereits eine ganze Reihe
von Core Sets für den somatischen Bereich der Medizin, aber auch der Psychiatrie – vorwiegend auf dem Gebiet der Rehabilitation (Cieza et al., 2004; Vieta et al., 2007). Bis zum Verfassen dieser Arbeit gab es noch keinen publizierten Versuch der Entwicklung eines krankheitsspezifischen Core Sets für die Anwendung bei Patienten mit Anorexia nervosa.
Die Entwicklung eines Core Sets für Anorexia nervosa
Die für die Entwicklung eines Core Sets veröffentlichte Methodik empfiehlt eine Vorgehensweise in drei Schritten (Weigl et al., 2004; Vieta et al., 2007):
•
Semistrukturierte Interviews mit Patienten, die von Anorexia nervosa betroffen
sind; qualitative und quantitative Auswertung der Ergebnisse und Zuordnung zu
den ICF-Kategorien;
•
Befragung eines internationalen Expertenkomitees nach der Delphi-Methode;
•
Durchführen einer Querschnittsstudie.
Da bei Anorexia nervosa für das Krankheitsbild und seine Symptomatik spezifische Instrumente, Literatur und Patientenberichte zur Verfügung stehen, wurde bei der Entwicklung des
Core Sets für die vorliegenden Studie eine weniger umfassende Vorgehensweise gewählt.
Patienten und Methodik
39
In einem ersten Schritt wurde eine Literatursuche in den Datenbanken MEDLINE und
PsycINFO durchgeführt. Die verwendeten Schlagworte waren anorexia nervosa, psychopathology, functioning und quality of life. In einem semistrukturierten Verfahren wurden inhaltliche Qualität, Relevanz und Aktualität der Suchergebnisse bewertet und die fünf wichtigsten Publikationen identifiziert (Mond et al., 2005; Abraham et al., 2006; Adair et al., 2007;
de la Rie et al., 2007; Bohn et al., 2008).
Im zweiten Schritt wurden die Studien auf Informationen hin ausgewertet, die für die Erstellung eines ICF Core Sets maßgeblich sein könnten. Der Auswahlprozess zielte darauf ab,
eine Vorauswahl an Items zusammenzustellen. Diese Vorauswahl sollte sowohl die für Anorexia nervosa spezifische „Kern-Psychopathologie“ (Fairburn, 2008) wie z.B. Gewichtsverlust, Körperschemastörung und Amenorrhö enthalten, als auch Aspekte der Funktionsfähigkeit (z.B. Faktoren der Persönlichkeit, psychische Stabilität oder Selbstvertrauen, Funktionen
des Schlafes, psychische Energie und Antrieb) mit berücksichtigen. Ein weiterer Schwerpunkt
wurde auf die Domänen interpersonelle Interaktionen, Beziehungen und Anforderungen des
Alltags gelegt, da diese Bereiche bei Patienten mit einer chronischen Essstörung stark beeinträchtigt sein können (Arkell und Robinson, 2008).
Es wurden 59 relevante Items ermittelt, die 29 Kategorien in der zweiten und 30 Kategorien in der dritten Stufe enthalten. Die 30 Begriffe der dritten Stufe bestehen aus der genaueren Ausführung von 9 Kategorien der zweiten Stufe. Eine Liste der 59 Kategorien findet sich
als Tabelle 18 auf Seite 115 im Anhang.
Als dritter und letzter Schritt ermittelte ein Expertenkomitee, bestehend aus zwei Ärzten, einer davon Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit weitreichender Erfahrung in
der Therapie von Essstörungen, die wichtigsten Items in einem formalen Prozess der Konsensfindung. Die Übereinstimmung beider wurde dazu verwendet zu entscheiden, welche
Items in das kurze Core Set mit aufgenommen werden sollten. Obwohl es keine Vorgabe einer maximalen Anzahl an Items gab, wurde das kurze ICF Core Set für Depression von Cieza
et al. als Richtlinie verwendet (Cieza et al., 2004).
Einstimmiger Konsens wurde über ein kurzes ICF Core Set von 31 Kategorien erreicht,
das 19 davon im Bereich Körperfunktionen und -strukturen, 6 in Aktivitäten und Partizipation/Teilhabe und weitere 6 in der Gruppe der Umweltfaktoren enthält. Das Set besteht aus 17
Kategorien auf der zweiten und 14 Kategorien auf der dritten Ebene der ICF, die eine genauere Aufteilung von 4 Kategorien auf der zweiten Ebene darstellen. Tabelle 5 auf Seite 40 zeigt
die Kategorien der zweiten und dritten Ebene, aus denen das kurze ICF Core Set für Anorexia
nervosa besteht.
Patienten und Methodik
40
Tabelle 5 Kategorien der ICF für das kurze Core Set für AN
ICF Kodierung
ICF Komponente
ICF Kategorie
2. Ebene
Körperfunktionen
3. Ebene
b126
Funktionen von Temperament und Persönlichkeit
b1260
Extraversion
b1261
Umgänglichkeit
b1262
Gewissenhaftigkeit
b1263
Psychische Stabilität
b1264
Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen
b1265
Optimismus
b1266
Selbstvertrauen
b1267
Zuverlässigkeit
b130
Funktionen der psychischen Energie und des Antriebs
b1300
Ausmaß der psychischen Energie
b1301
Motivation
b1302
Appetit
b1303
Drang nach Suchtmitteln
b1304
Impulskontrolle
b134
Funktionen des Schlafes
b152
Emotionale Funktionen
b180
Selbstwahrnehmung und Zeitwahrnehmung
b1801
Aktivitäten und Partizipation/
Teilhabe
b530
Aufrechterhaltung des Körpergewichts
b640
Sexuelle Funktionen
b650
Menstruationsfunktionen
d230
Die tägliche Routine durchführen
d240
Mit Stress und anderen psychischen Anforderungen
umgehen
d570
Auf seine Gesundheit achten
d5701
Umweltfaktoren
Körperschema
Ernährung und Fitness handhaben
d750
Informelle soziale Beziehungen
d760
Familienbeziehungen
d770
Intime Beziehungen
e310
Engster Familienkreis
e320
Freunde
Patienten und Methodik
41
ICF Kodierung
ICF Komponente
ICF Kategorie
2. Ebene
3. Ebene
e355
Fachleute der Gesundheitsberufe
e410
Individuelle Einstellungen des engsten Familienkreises
e420
Individuelle Einstellungen von Freunden
e450
Individuelle Einstellungen von Fachleuten der
Gesundheitsberufe
ICF, Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. AN, Anorexia nervosa.
2.3.6 WHO Fragebogen zur Lebensqualität
Der WHO Fragebogen zur Lebensqualität „WHOQOL-BREF“ (WHO, 1998) ist ein Instrument zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Es ist die Kurzversion des
WHOQOL-100 und umfasst 26 Items in Einzelfragen, deren Antworten auf einer Schweregrad-Skala von 1 bis 5 kodiert sind (“überhaupt nicht/sehr schlecht“ bis „völlig/sehr gut“).
Er eignet sich für den Einsatz in der klinischen Forschung und in epidemiologischen
Studien. In der klinischen Praxis findet er auch im psychiatrischen Bereich breite Anwendung
(Katschnig und Angermeyer, 1997; Lehman, 1997). Der WHOQOL-BREF bietet die Möglichkeit einer standardisierten Erfassung subjektiver Lebensqualität und seine Ergebnisse sind
interdisziplinär und interkulturell vergleichbar (WHO, 1998).
In einer Überprüfung der deutschen Version bei 359 Patienten lag der Reliabilitätskoeffizient für die interne Konsistenz in der Gesamtstichprobe in allen Bereichen deutlich über 0,7
(0,76–0,88). Der WHOQOL-BREF hat eine Bearbeitungsdauer von 5–10 Minuten.
2.3.7 Eating Disorder Inventory
Die deutschsprachige Version des Eating Disorder Inventory-2 „EDI-2“ (Paul und Thiel,
2005) dient der mehrdimensionalen Beschreibung der speziellen Psychopathologie von Patienten mit Anorexia und Bulimia nervosa. Der Fragebogen gilt seit vielen Jahren als eines der
Standardverfahren zur Untersuchung relevanter intrapsychischer und interpersoneller Faktoren wie Ineffektivität, Perfektionismus, Misstrauen, interozeptive Wahrnehmung, Angst vor
dem Erwachsenwerden und soziale Unsicherheit, die für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Essstörungen von großer Bedeutung sind.
In der langen Version besteht er aus 91 Items in 11 Skalen. Als standardisiertes und ob-
Patienten und Methodik
42
jektiviertes Testinstrument zur Selbsteinschätzung ist er für die Anwendung in klinischen
Studien geeignet; die interne Konsistenz der Skalen lag bei der Anwendung im Bereich zwischen 0,73 und 0,93 (Cronbachs !). Die Auswertung der Test-Retest-Reliabilität zeigte Ergebnisse, die für alle Skalen im Bereich von 0,81–0,89 lagen. Es bestanden eine hohe Kriteriumsvalidität und faktorielle Validität. Die Probanden benötigen in der Regel etwa 15 Minuten
für die Bearbeitung (Paul und Thiel, 2005).
2.3.8 Symptom-Checkliste von Derogatis
Die Symptom-Checkliste von Derogatis „SCL-90-R“ (Franke, 2002) misst die subjektiv empfundene Beeinträchtigung durch 90 vorgegebene körperliche und psychische Symptome der
Person in einem Zeitfenster von sieben Tagen und bietet eine mehrdimensionale Auswertungsstruktur. Ausgewertet bietet sie einen Überblick über die psychische Symptombelastung
der Person in Bezug auf neun Skalen: Somatisierung, Zwanghaftigkeit, Unsicherheit im Sozialkontakt, Depressivität, Ängstlichkeit, Aggressivität und Feindseligkeit, phobische Angst,
paranoides Denken und Psychotizismus.
Drei globale Kennwerte geben Auskunft über das Antwortverhalten bezüglich aller erfragten Items. Sie messen die grundsätzliche psychische Belastung, die Intensität der Antworten und die Anzahl der Symptome, bei denen eine Belastung vorliegt. Die Test-RetestReliabilität lag bei einer Untersuchungsstichprobe mit 80 Studienteilnehmern in einem guten
Bereich von 0,69–0,92. Eine gute interne Konsistenz von 0,77–0,9 wird in einer Studie mit
209 Teilnehmern beschrieben. Die Untersuchung der Validität bei 1002 Patienten führte zu
einem allgemein zufriedenstellenden Ergebnis mit einer hohen Schwankungsbreite zwischen
den Skalen (Franke, 1992).
2.3.9 Inventar zur Erfassung der Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen
Das Inventar zur Erfassung der Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen „ILK“ (Mattejat
et al., 1998) ist ein Screening-Instrument zur Erfassung der Lebensqualität bei gesunden sowie psychisch kranken Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Der ILK erfasst getrennt die Bereiche: Familie, soziale Kontakte zu Gleichaltrigen, Interessen und Freizeitgestaltung, körperliche und psychische Gesundheit. Es können Informationen von drei „Parteien“ (Patienten, Eltern, Ärzte) erhoben werden, wobei sich die Anwendung in der vorliegenden Studie auf die Erhebung der Patienten-Informationen beschränkt.
Die Reliabilität liegt bei den meisten Skalen im Bereich von 0,6 und wurde als konzeptkon-
Patienten und Methodik
43
form und zufriedenstellend interpretiert. Die Bearbeitungszeit beträgt für den in dieser Studie
verwendeten Umfang des Fragebogens etwa 5 Minuten (Mattejat et al., 1998).
2.3.10 Fragebögen zur Beurteilung der Behandlung
Die Fragebögen zur Beurteilung der Behandlung „FBB“ (Mattejat und Remschmidt, 1998)
sind ein Instrument zur Therapieevaluation und zur Qualitätssicherung bei psychotherapeutischen und psychiatrischen Behandlungen von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien.
Durch die Fragebögen werden grundlegende Aspekte der Qualität von psychiatrischen und
psychotherapeutischen Therapien mit Kindern, Jugendlichen und Familien erfasst. Es wird
untersucht, wie positiv bzw. negativ Behandlungsverlauf und Benhandlungserfolg von verschiedenen Beurteilern eingeschätzt werden und wie zufrieden die Beurteiler mit der Behandlung sind. Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde ausschließlich der Fragebogen zur Patienten-Evaluation (FBB-P) angewendet.
Die Test-Retest-Reliabilität betrug in einer Stichprobe von 58 Patienten bei einem
durchschnittlichen Testwiederholungszeitraum von 17 Monaten insgesamt 0,68. Die Interne
Konsistenz (Cronbachs !) erreichte 0,83 in der Gesamtauswertung der Daten von 89 Patienten (Mattejat und Remschmidt, 1993).
Patienten und Methodik
2.4
44
Statistische Methoden
Die im Folgenden genannten Häufigkeiten wurden sowohl in absoluten Zahlen als auch in
Prozentwerten angegeben. Alle Mittelwerte wurden in der Form Mittelwert ± Standardabweichung (Range: Minimum–Maximum) geschrieben. Medianwerte wurden in der Form Median ± Standardabweichung (1. Quartile–3. Quartile) angegeben. Zum Vergleich hinsichtlich
qualitativer Merkmale wurde der !!-Test verwendet. Für den Fall, dass die Zahlenhäufigkeit
der Felder zu gering war, wurde der exakte Test nach Fisher angewendet. Quantitative Merkmale wurden mit dem Mediantest oder dem t-Test berechnet. Zur Überprüfung der gerichteten
Hypothesen 1a und 1b wurde ein einseitiger t-Test (lineare Daten) bzw. der McNemar-Test
(nominale Daten) verwendet. Für die explorative Untersuchung der Mittelwerte wurde ein
zweiseitiger t-Test verwendet. Das Signifikanzniveau wurde generell mit einem Alphawert
von 0,05 festgelegt. Signifikanzen wurden angegeben mit * für p < 0,05, ** für p < 0,01 und
*** für p < 0,001. Aufgrund der sehr geringen Anzahl an männlichen Studienteilnehmern
(n = 2) wurde auf einen statistischen Vergleich zwischen Männern und Frauen verzichtet.
Ein ungünstiges Langzeitergebnis wurde definiert als Vorhandensein einer Essstörung
nach den ICD-10 Diagnosekriterien zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung. Im durchgeführten
Regressionsmodell wurde in Anlehnung an vorhergehende Studien der Durchschnittsscore der
Morgan-Russel-Skala als abhängige Variable verwendet (Morgan und Hayward, 1988; Wentz
et al., 2009). Zur Ermittlung von Prädiktoren des Langzeitergebnisses wurden nur solche Beobachtungen als unabhängige Variablen untersucht, die zum Zeitpunkt der stationären Behandlung erhoben wurden.
Für das logistische Regressionsmodell wurde ein ungünstiges Lanzeitergebnis definiert
als Vorhandensein einer Essstörung (nach ICD-10) zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung. Die
Berechnung des Modells erfolgte in der Methode „vorwärts: LR“ des Statistikprogramms
SPSS (Release 16.0.1). Diese Methode schließt nach einem progressiven Algorithmus alle
nicht signifikanten Variablen aus dem Modell aus und wurde unter Rücksprache mit dem Institut für medizinische Biometrie und medizinische Informatik in diesem Fall verwendet (Referenz: Dr. rer. nat. G. Rücker, Dipl.-Math.).
Um verschiedene Beziehungen zwischen intervallskalierten und normalverteilten Variablen darzustellen, wurde die Korrelation nach Pearson angewendet. Bei ordinalskalierten oder
nicht normalverteilten Variablen wurde nach Spearman korreliert. Der berechnete Korrelationskoeffizient diente als Maß für die Stärke eines monotonen Zusammenhangs. Alle statistischen Auswertungen wurden mit Hilfe der Statistikprogramme SAS (Release 9.1 TS Level
Patienten und Methodik
45
M3) und SPSS (Release 16.0.1) durchgeführt. Die Berechnung der p-Werte bei fehlenden
Einzelwerten erfolgte mit dem EffectSizeCalculator der KJP Freiburg.
Für die Berechnung der BMI-Perzentilen im Kindes- und Jugendalter wurden Referenzdaten von 17 147 Jungen und 17 275 Mädchen im Alter von 0–18 Jahren verwendet
(Kromeyer-Hauschild et al., 2001). Die Daten für die Berechnung der BMI-Perzentilen im
Erwachsenenalter stammen aus der Nationalen Verzehrstudie II mit 6 117 Männer und 7 090
Frauen im Alter von 18–80 Jahren (Hemmelmann et al., 2010).
3
Ergebnisse
In Abschnitt 3.1 wird die gesamte Stichprobe beschrieben. Es soll ein Überblick über Diagnosen und Heilungserfolg der Teilnehmer erfolgen. Eine detaillierte Beschreibung der Teilnehmer und der Ergebnisse der Untersuchungsinstrumente findet sich in Abschnitt 3.2.
3.1
Stichprobenbeschreibung
Es wurden 47 Patienten in die Studie eingeschlossen. Darunter waren 45 (96 %) weibliche
Patientinnen und 2 (4 %) männliche Patienten. Das durchschnittliche Alter bei Krankheitsbeginn betrug 14,0 ± 1,3 (11,5–17,0) Jahre. Zum Zeitpunkt der ersten stationären Aufnahme in
die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Freiburg (im Folgenden als
„KJP Freiburg“ abgekürzt) waren die Patienten im Durchschnitt 15,3 ± 1,4 (11,9-17,5) Jahre
alt. Der Zeitraum von Beginn der Magersucht zur ersten stationären Aufnahme betrug im Mittel 15,4 ± 9,7 (3–39) Monate.
Die erste stationäre Behandlung dauerte durchschnittlich 4,5 ± 2,1 (1,2–9,9) Monate. Für
85 % der Patienten war die erste Stationäre Behandlung auch die einzige in der KJP Freiburg.
Sieben (15 %) Patienten wurden dort ein zweites Mal stationär behandelt. Die mittlere Aufenthaltsdauer betrug beim zweiten Behandlungszeitraum 2,8 ± 1,5 (0,8–3,4) Monate. Zwei
(4 %) Patienten hatten einen dritten stationären Aufenthalt mit einer Dauer von 3,4 Monaten
bzw. 13 Tagen. Bei 23 (49 %) Patienten wurde vor Aufnahme in die KJP Freiburg eine ambulante kinder- und jugendpsychiatrische Vorbehandlung durchgeführt. Stationär kinder- und
jugendpsychiatrisch vorbehandelt waren 6 (13 %) Patienten bei Aufnahme. Einen stationären
Aufenthalt auf einer somatischen Station hatten 24 (51 %) Patienten hinter sich.
Abbildung 4 Alter und BMI bei Aufnahme zur stationären Behandlung in die KJP Freiburg
Ergebnisse
48
Zum Zeitpunkt der Aufnahme erfüllten alle Patienten die Kriterien für die Diagnose einer
Anorexia nervosa nach ICD-10 mit der Ausnahme von 4 (9 %) Patientinnen, die das Zeitkriterium für eine sekundäre Amenorrhö (das Ausbleiben von drei aufeinanderfolgenden Menstruationen) erst im Laufe ihres stationären Aufenthaltes erfüllten. In 37 (79 %) Fällen handelte es sich um Anorexia nervosa vom restriktiven Typ. Bei 10 (21 %) Patienten lag Anorexia
nervosa vom binge eating/purging-Typ vor. Der Durchschnittliche BMI bei Aufnahme betrug
14,8 ± 1,3 (12,3–17,4). Die Mittlere BMI-Perzentile bei Aufnahme betrug 1,6 ± 2,8 (0,01–
13,5). Der Median lag auf der 0,3. Perzentile (q1 = 0,1; q3 = 1,5).
Die Dauer der sekundären Amenorrhö betrug bei 33 (70 %) Patientinnen 11,6 ± 9,2 (4–
39) Monate. 4 Patientinnen hatten ein mittleres Ausbleiben der Menses von 1,6 ± 0,5 (1–2)
Monaten und erfüllten das Zeitkriterium (mind. 3 Monate) für eine sekundäre Amenorrhö im
Verlauf des stationären Aufenthaltes. Bei 8 (18 %) Patientinnen bestand eine primäre Amenorrhö.
Zum Zeitpunkt der Entlassung nach der ersten stationären Behandlung lag der BMI im
Mittel bei 17,7 ± 0,9 (15,1–19,4). Die Mittlere BMI-Perzentile bei Entlassung betrug
15,8 ± 9,1 (0,7–39,8). Der Median lag auf der 14,4. Perzentile (q1 = 8,1; q3 = 21,4). Achtundzwanzig (60 %) Patienten hatten ihr Zielgewicht erreicht. Bei den 19 (40 %) Patienten, die ihr
Zielgewicht nicht erreicht hatten, lag die Abweichung vom Zielgewicht im Durchschnitt bei
3,4 ± 2,8 (0,4–10,0) kg. Der Median der Abweichung vom Zielgewicht lag bei 2,3 kg. Obere
und untere Quartile betrugen 1,0 bzw. 6,0 kg.
Abbildung 5 BMI-Perzentilen aller Patienten (n = 47) bei Aufnahme zur stationären Behandlung
in die KJP Freiburg und zum Zeitpunkt der Entlassung nach der Therapie
Ergebnisse
49
Während der stationären Behandlung wurden 23 (49 %) Patienten zeitweise über eine Magensonde ernährt. Am Ende des stationären Aufenthalts fand eine Einschätzung der Symptomatik
und der Gesamtsituation nach den Kriterien der Basisdokumentation (BaDo) der KJP Freiburg statt. Die Symptomatik hatte sich in vier (9 %) Fällen völlig, bei 26 (55 %) Patienten
deutlich und in 14 (30 %) Fällen etwas gebessert. Bei drei (6 %) Patienten blieb die Symptomatik unverändert. Die Gesamtsituation hatte sich in einem (2 %) Fall völlig, bei 20 (43 %)
Patienten deutlich und in 15 (32 %) Fällen etwas gebessert. Bei 11 (23 %) Patienten war die
Gesamtsituation zum Ende der Therapie hin unverändert.
Im Rahmen der Katamnese konnte zu allen 47 Patienten Kontakt aufgenommen werden.
Zur Teilnahme am Interview waren 35 (74 %) Patienten bereit und 34 (72 %) füllten die zusätzlichen Fragebögen zur Selbstbeurteilung aus. Der Vergleich zwischen der Gruppe der
Teilnehmer und der Nicht-Teilnehmer zeigte keine signifikanten Unterschiede bezüglich Alter, Geschlecht, Alter bei Krankheitsbeginn und bei stationärer Aufnahme, Dauer der Erkrankung vor der ersten stationären Aufnahme, BMI bei Aufnahme, bei Entlassung und vor Erkrankungsbeginn, Dauer der Behandlung, Art der Beendigung der Behandlung und Behandlungsergebnis. Tabelle 19 auf Seite 117 enthält die Ergebnisse des Vergleichs der beiden
Gruppen.
Abbildung 6 BMI-Perzentilen der Teilnehmer (n = 35) bei Aufnahme (Aufn.), bei Entlassung
(Entl.) und zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung (Kat.)
Ergebnisse
50
Die Gruppe der Patienten (n = 35), die an der Katamnese teilgenommen haben, soll nun im
Folgenden genauer beschrieben werden. Von den 35 Patienten waren 33 (94 %) weiblich.
Zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung waren die Patienten im Durchschnitt 22,5 ± 1,6 (19–
25) Jahre alt. Das Katamneseintervall (vom Krankheitsbeginn bis zur Nachuntersuchung) betrug 8,5 ± 1,2 (6–11) Jahre. Vom Zeitpunkt der ersten stationären Aufnahme bis zur Nachuntersuchung waren es im Mittel 7,1 ± 0,9 (5–9) Jahre.
Im Rahmen der Nachuntersuchung wurden Körpergröße und Gewicht bestimmt. Sie lagen im Durchschnitt bei 166 ± 6,7 (154–182) cm und bei 58,8 ± 10,4 (43–101) kg. Der mittlere BMI lag bei 21,2 ± 3,1 (15,9–33,7). Die mittlere BMI-Perzentile zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung betrug 35,0 ± 24,0 (0,1–97). Der Median lag auf der 30,9. Perzentile (q1 = 18,4;
q3 = 57,9). Es gab 4 (11 %) Patienten, deren BMI unterhalb der 3. Perzentile lag. Zwei (6 %)
Patienten hatten einen BMI oberhalb der 75. Perzentile.
Zwölf (34 %) Patientinnen hatten zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung eine Essstörung.
Es handelte sich in drei (9 %) Fällen um Anorexia nervosa, drei Patientinnen hatten eine Bulimia nervosa und 5 (14 %) Patientinnen eine nicht näher bezeichnete Essstörung (engl. eating
disorder not otherwise specified; wird im Folgenden abgekürzt als EDNOS). Eine (3 %) Patientin erfüllte die Kriterien für eine EDNOS nach ICD-10 aber auch die Kriterien für eine Störung mit Essanfällen (engl. binge eating disorder; wird im Folgenden Abgekürzt als BED)
nach DSM-IV. Der Prozentsatz an Patienten mit einer Essstörung zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung (34 %; n = 12) im Vergleich mit dem zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme
(100 %; n = 35) war signifikant geringer (McNemar !2 = 22,0; d.f. = 1; p < ,0001***).
Die Einteilung nach dem General Outcome Score von Morgan und Russel (1975), modifiziert nach Ratnasuriya et al. (1991), ergab für 18 (51 %) Patienten ein gutes, für 9 (26 %) ein
mittleres und für 8 (23 %) ein schlechtes Outcome. Die Anwendung der Morgan-Russel-Skala
(MRS) ergab einen durchschnittlichen Punktwert von 9,5 ± 2,8 (2,9–12).
Ergebnisse
3.2
51
Angewandte Untersuchungsinstrumente
3.2.1 Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV
Bei der Durchführung des Strukturierten Klinischen Interviews für DSM-IV Achse I
„SKID I“ (Wittchen et al., 1997) wurde in sechs (17 %) Fällen eine derzeitige affektive Störung diagnostiziert, in weiteren sechs Fällen wurde die Diagnose einer derzeitigen Angststörung gestellt. Eine (3 %) Patientin erfüllte die Kriterien für eine Somatisierungsstörung, bei
drei (9 %) weiteren Patientinnen konnte ein derzeitiger Substanzmissbrauch festgestellt werden. Es handelte sich dabei um zwei Fälle (67 %) von Alkoholmissbrauch und in einem Fall
(33 %) um Missbrauch von Sedativa. Insgesamt hatten 12 (34 %) Patienten derzeit mindestens eine psychische Störung (Essstörungen nicht mit eingerechnet).
Die Verteilung der Häufigkeiten von Diagnosen in den Gruppen „Essstörung zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung“ (engl. eating disorder; im Folgenden wird diese Gruppe als
„ED“ abgekürzt) und „keine Essstörung zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung“ (im Folgenden „keine ED“) wurde statistisch untersucht. Die !2-Tests ergaben für die Verteilung aller
derzeitigen affektiven Störungen (X2 = 13,88; d.f. = 1; p < 0,001***) und aller derzeitigen
Achse I-Störungen insgesamt (X2 = 8,50; d.f. = 1; p = 0,004**) ein signifikantes Ergebnis zugunsten einer Häufung in der Gruppe „ED“. Die Verteilung aller derzeitigen Angststörungen
(X2 = 0,00; d.f. = 1; p = 0,957) war nicht signifikant.
Durch die zusätzliche Berücksichtigung aller früheren Episoden einer Psychischen Störung ergeben sich die lifetime-Diagnosen für Achse I. Insgesamt hatten 18 (51 %) Patienten
jemals eine affektive Störung in ihrem Leben. Eine Angststörung jetzt oder früher konnte bei
14 (40 %) Patienten diagnostiziert werden. Auf der Achse I hatten insgesamt 22 (63 %) Patienten eine lifetime-Diagnose (Essstörungen ausgenommen).
Die !2-Tests ergaben für die Verteilung der affektiven Störungen (X2 = 7,44; d.f. = 1;
p = 0,006**) ein signifikantes Ergebnis zugunsten einer Häufung in der Gruppe „ED“. Die
Verteilungen aller Angststörungen (X2 = 0,02; d.f. = 1; p = 0,884) und aller Achse IDiagnosen insgesamt (X2 = 3,28; d.f. = 1; p = 0,070) war nicht signifikant. Persönlichkeitsstörungen (Achse II) wurden als derzeitig bestehend bei 9 (26 %) Patienten diagnostiziert. Die
Verteilung war signifikant (X2 = 10,17; d.f. = 1; p = 0,001**) bezüglich einer Häufung in der
Gruppe „ED“ (58 % in der Gruppe „ED“ zu 9 % in der Gruppe „keine ED“). Tabelle 6 auf
Seite 52 bietet einen detaillierten Überblick über derzeitige und lifetime-Diagnosen auf den
Achsen I und II des DSM-IV.
Tabelle 6 Derzeitige und frühere Achse I und Achse II-Diagnosen nach DSM-IV der beiden Gruppena zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung
Diagnosen derzeitig n (%)
Psychische Störungen (Achse I)
Diagnosen derzeit und/oder früher (lifetime) n (%)
Gesamt (n = 35)
ED (n = 12)
Keine ED (n = 23)
p-Wert
Gesamt (n = 35)
ED (n = 12)
Keine ED (n = 23)
p-Wert
Depressive Episode (unipolar)
5 (14 %)
5 (42 %)
0
0,002**c
18 (51 %)
10 (83 %)
8 (35 %)
0,006**d
Dysthyme Störung
3 (9 %)
3 (25 %)
0
0,034*c
-
-
-
Alle affektiven Störungen
6 (17 %)
6 (50 %)
0
< 0,001***c
18 (51 %)
10 (83 %)
8 (35 %)
0,006**d
Panikstörung
2 (6 %)
1 (8 %)
1 (4 %)
n.s.
4 (11 %)
2 (17 %)
2 (9 %)
n.s.
Soziale Phobie
2 (6 %)
1 (8 %)
1 (4 %)
n.s.
3 (9 %)
1 (8 %)
2 (9 %)
n.s.
Spezifische Phobie
3 (9 %)
1 (8 %)
2 (9 %)
n.s.
3 (9 %)
1 (8 %)
2 (9 %)
n.s.
0
0
0
–
8 (23 %)
3 (25 %)
5 (22 %)
n.s.
Generalisierte Angststörung
1 (3 %)
1 (8 %)
0
n.s.
1 (3 %)
1 (8 %)
0
n.s.
Alle Angststörungen
6 (17 %)
2 (17 %)
4 (17 %)
n.s.
14 (40 %)
5 (42 %)
9 (39 %)
n.s.
Somatisierungsstörung
1 (3 %)
1 (8 %)
0
n.s.
1 (3 %)
1 (8 %)
0
n.s.
Substanzmissbrauch und -abhängigkeit
3 (9 %)
3 (25 %)
0
0,034*c
7 (20 %)
4 (33 %)
3 (13 %)
n.s.
12 (34 %)
8 (67 %)
4 (17 %)
0,005**c
22 (63 %)
10 (83 %)
12 (52 %)
n.s
Selbstunsichere
3 (9 %)
3 (25 %)
0
0,034*c
3 (9 %)
3 (25 %)
0
0,034*c
Dependente
2 (6 %)
1 (8 %)
1 (4 %)
n.s.
2 (6 %)
1 (8 %)
1 (4 %)
n.s.
Zwanghafte
2 (6 %)
2 (17 %)
0
n.s.
2 (6 %)
2 (17 %)
0
n.s.
Schizoide
2 (6 %)
1 (8 %)
1 (4 %)
n.s.
2 (6 %)
1 (8 %)
1 (4 %)
n.s.
Affektive Störungen
Angststörungen
Zwangsstörung
Alle Achse I-Störungenb
Persönlichkeitsstörungen (Achse II)
Borderline
Alle Achse II-Störungen
a
2 (6 %)
2 (17 %)
0
n.s.
3 (9 %)
2 (17 %)
1b
9 (26 %)
7 (58 %)
2 (9 %)
0,003**c
10 (29 %)
7 (58 %)
3 (13 %)
Definiert als Essstörung („ED“) oder keine Essstörung („Keine ED“) zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung. b Außer Essstörungen. c Exakter Test nach Fisher. d !2-Test
(4 %)
n.s.
0,008**c
Ergebnisse
53
3.2.2 Strukturiertes Inventar für Anorektische und Bulimische Essstörungen
Anhand des Interviews des Strukturierten Inventars für Anorektische und Bulimische Essstörungen „SIAB-EX“ (Fichter et al., 1998; Fichter und Quadflieg, 1999) konnte bei 12 (34 %)
Patienten eine derzeitige Essstörung diagnostiziert werden. Im Einzelnen handelte es sich um
drei (9 %) Patienten mit Anorexia nervosa, eine vom restriktiven und zwei vom binge eating/purging-Subtypus, drei Patienten mit Bulimia nervosa, fünf (14 %) Patienten mit einer
EDNOS und eine (3 %) Patientin mit einer BED.
Der Unterschied zwischen den erhobenen Zeiträumen „letzte 3 Monate“ und „stärkste
Ausprägung früher“ war für die Mittelwerte der Gesamtskala und aller Subskalen signifikant
im Sinne einer stärkeren Ausprägung der Symptomatik zu einem früheren Zeitraum. Tabelle 7
gibt die Mittelwerte und p-Werte wieder.
Die Gruppe „ED“ hatte für den Zeitraum „letzte 3 Monate“ auf der Gesamtskala und allen Subskalen, mit Ausnahme der Subskala „Sexualität und soziale Integration“, signifikant
höhere Werte im Vergleich zur Gruppe „keine ED“, was einer stärkeren Ausprägung der
Symptomatik in der Gruppe „ED“ entspricht. Für den Zeitraum „stärkste Ausprägung früher“
ergab sich nur für die Subskala „Bulimische Symptome“ ein signifikanter höherer Wert in der
Gruppe „ED“. Die beiden Gruppen wurden bezüglich Häufigkeit früher vorliegender Essstörungen – ausgenommen einer früheren AN – mittels !2-Test und dem exakten Test nach Fisher untersucht. Dabei ergab sich keine signifikante Verteilung der Diagnosen. Eine detaillierte Darstellung findet sich in Tabelle 8 auf Seite 54.
Tabelle 7 Ergebnisse des SIAB-EX als MW ± SD (Range); n = 35
Letzte 3 Monate
Stärkste Ausprägung
früher
p-Wertb
I. Körperschema und Schlankheitsideal
0,82 ± 0,65 (0–2,3)
2,85 ± 0,45 (1,0–3,6)
< ,0001***
II. Allgemeine Psychopathologie
0,62 ± 0,65 (0–2,8)
1,68 ± 0,76 (0,4–3,4)
< ,0001***
III. Sexualität und soziale Integration
1,18 ± 1,35 (0–4,0)
2,57 ± 0,73 (1,1–3,8)
< ,0001***
IV. Bulimische Symptome
0,67 ± 1,01 (0–3,0)
1,37 ± 1,27 (0–3,6)
< 0,001***
V. Gegensteuernde Maßnahmen, Fasten
0,22 ± 0,31 (0–1,3)
0,82 ± 0,38 (0,2–2,0)
< 0,001***
VI. Atypische Essanfälle
0,30 ± 0,58 (0–3,0)
0,47 ± 0,76 (0–3,0)
0,004**
0,64 ± 0,57 (0–2,3)
1,62 ± 0,47 (0,6–3,0)
< ,0001***
Durchschnittsscorea
Gesamtskala
a
b
Skala: 0 = „nicht vorhanden“, 1 = „leicht ausgeprägt, 2 = „deutlich ausgeprägt“, 3 = „stark ausgeprägt“, 4 = „sehr stark ausgeprägt“.
zweiseitiger t-Test. SIAB-EX, Strukturiertes Inventar für Anorektische und Bulimische Essstörungen – Experteninterview.
Tabelle 8 Ergebnisse beider Gruppena im SIAB-EX zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung
Letzte 3 Monate
Skalen und Diagnosen
Stärkste Ausprägung früher
ED (n = 12)
Keine ED (n = 23)
p-Wertb
ED (n = 12)
Keine ED (n = 23)
p-Wertb
1,41 ± 0,64 (0,4–2,3)
0,51 ± 0,39 (0–1,3)
< ,0001***
2,96 ± 0,34 (2,4–3,6)
2,79 ± 0,50 (1,0–3,4)
0,234
SIAB-EX Subskalen Mittelwert ± SD (Range)
I.
Körperschema und Schlankheitsideal
II.
Allgemeine Psychopathologie
1,13 ± 0,83 (0–2,8)
0,36 ± 0,30 (0–1,1)
< 0,001***
1,83 ± 0,89 (0,4–3,4)
1,60 ± 0,70 (0,6–3,3)
0,439
III.
Sexualität und soziale Integration
1,67 ± 1,56 (0–4,0)
0,93 ± 1,18 (0–3,7)
0,167
2,64 ± 0,85 (1,3–3,8)
2,53 ± 0,68 (1,1–3,4)
0,712
,0001***
1,98 ± 1,24 (0–3,6)
1,05 ± 1,18 (0–3,4)
0,045*
IV.
Bulimische Symptome
1,72 ± 1,10 (0–3,0)
0,12 ± 0,22 (0–0,9)
<
V.
Gegensteuernde Maßnahmen, Fasten
0,48 ± 0,41 (0–1,3)
0,09 ± 0,11 (0–0,3)
< 0,001***
0,95 ± 0,46 (0,4–2,0)
0,75 ± 0,32 (0,2–1,5)
0,194
VI.
Atypische Essanfälle
0,65 ± 0,86 (0–3,0)
0,11 ± 0,17 (0–0,5)
0,007**
0,58 ± 0,86 (0–3,0)
0,41 ± 0,72 (0–2,7)
0,563
1,18 ± 0,62 (0,1–2,3)
0,35 ± 0,24 (0–0,8)
< ,0001***
1,83 ± 0,56 (0,8–3,0)
1,52 ± 0,39 (0,6–2,3)
0,114
Gesamtskala
Essstörungen n (%)
Anorexia nervosa
p-Wert
3 (25 %)
12
–
Restriktiver Subtyp (%)
1 (33 %)
8 (67 %)
20 (87 %)
binge eating/purging-Subtyp (%)
2 (67 %)
4 (33 %)
3 (13%)
Bulimia nervosa
3 (25 %)
Binge Eating Disorder
EDNOS
Alle Essstörungen (außer AN früher)
—
—
0,163c
5 (42 %)
6 (26 %)
0,115d
1 (8 %)
1 (8 %)
–
–
5 (42 %)
–
1 (4 %)
–
12
6 (50 %)
7 (30 %)
0,256d
Definiert als vorhandene Essstörung („ED“) oder keine vorhandene Essstörung („Keine ED“) zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung. b einseitiger t-Test. c Exakter Test nach Fisher. d !2-Test.
SIAB-EX, Strukturiertes Inventar für Anorektische und Bulimische Essstörungen – Experteninterview. EDNOS, Nicht näher bezeichnete Essstörung. AN, Anorexia nervosa.
a
23
Ergebnisse
55
Der Vergleich der beiden Zeiträume in den einzelnen Gruppen (nicht in Tabelle 8 aufgeführt)
ergibt für den Zeitraum „stärkste Ausprägung früher“ in der Gruppe „ED“ eine signifikant
stärkere Ausprägung der Symptomatik auf allen Subskalen sowie auf der Gesamtskala. Gleiches gilt für die Gruppe „Keine ED“. Die Werte auf allen Subskalen und der Gesamtskala
waren signifikant höher im Zeitraum „stärkste Ausprägung früher“. Bei dieser Gruppe war
das Ergebnis so zu erwarten.
Abbildung 7 Vorliegen einer Essstörung und BMI-Perzentilen der Teilnehmer (n = 35) zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung. AN, Anorexia nervosa. BN, Bulimia nervosa. ED, Essstörung.
EDNOS, Nicht näher bezeichnete Essstörung
3.2.3 Interview zum Langzeitverlauf der Anorexia nervosa
Das Interview zum Langzeitverlauf der Anorexia nervosa (Wewetzer, 1990) ist ein semistrukturiertes Interview, das Informationen über den Zeitraum zwischen stationärer Therapie und
Nachuntersuchung erhebt. Zusätzlich werden die Patienten zu den Themen Beziehung zur
Familie, Sozialkontakte, Sexualität und Partnerschaft befragt. Die nachfolgenden Angaben
zur Häufigkeit werden primär in Prozent angegeben und beziehen sich immer auf die Gruppe
der Teilnehmer (n = 35).
Ergebnisse
56
Zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung hatten 34 % (n = 12) insgesamt eine stationäre
Behandlung wegen Magersucht absolviert. 26 % (n = 9) waren deswegen zweimal, 11 %
(n = 4) dreimal und 29 % (n = 10) viermal in weiterer stationärer Therapie. In folgenden Institutionen wurden die Therapien absolviert: Kinder- und Jugendpsychiatrie (100 %; n = 35),
Psychosomatische Kliniken (43 %; n = 15), Erwachsenenpsychiatrie (6 %; n = 2) und Innere
Medizin (20 %; n = 7). Körperliche Erkrankungen im Erhebungszeitraum wurden anamnestisch erhoben und kamen bei 14 % (n = 5) der Patienten vor. Es handelte sich um die Einzelnennungen Gastritis, Osteoporose, Herpes zoster, schwere Neurodermitis und die körperlichen Folgen eines Sprungs aus dem Fenster in suizidaler Absicht.
Die Befragung der Patienten zur Familienanamnese ergab, dass 9 % (n = 3) zwei Verwandte ersten Grades mit einer psychiatrischen Erkrankung hatten. Es hatten 17 % (n = 6)
einen Verwandten zweiten Grades und 11 % zwei oder mehr Verwandte zweiten Grades mit
einer psychiatrischen Erkrankung. Bei 17 % (n = 6) der Patienten gab es Verwandte ersten
und zweiten Grades mit einer psychiatrischen Erkrankung und 20 % (n = 7) hatten im ersten,
zweiten und dritten Grad Verwandte mit psychiatrischen Erkrankungen.
Einen Verwandten ersten Grades mit einer Essstörung hatten 17 % (n = 6) der Patienten
dieser Studie. Bei 6 % (n = 2) gab es einen Verwandten zweiten Grades mit einer Essstörung,
bei 11 % (n = 4) einen Verwandten dritten Grades mit dieser Diagnose. Einen Verwandten
ersten und zweiten Grades mit einer Essstörung hatten 6 % (n = 2).
In Bezug auf die Beziehung zur Familie beurteilen 80 % (n = 28) der Patienten das Verhältnis zu Eltern und Geschwistern als befriedigend, 17 % (n = 6) sind dem gegenüber gleichgültig und 3 % (n = 1) hat eine unbefriedigende Beziehung zur Familie. Für die Unabhängigkeit von der Familie sehen 63 % (n = 22) der Patienten keine Schwierigkeiten, 17 % (n = 6)
haben einige, aber überwindbare Schwierigkeiten. Bei 14 % (n = 5) gibt es zwar viele, aber zu
bewältigende Schwierigkeiten und 6 % (n = 2) geben an, keine Möglichkeit zu sehen, von der
Familie unabhängig zu werden.
Zur Frage nach der Qualität der Freundschaften zu Gleichaltrigen, geben 74 % (n = 26)
der Patienten an, sehr enge und vertrauensvolle Freundschaften zu besitzen, 6 % (n = 2) haben
enge Freundschaften, in denen Möglichkeit zu Gesprächen über Persönliches besteht, 14 %
(n = 5) haben weniger enge Freundschaften und 6 % (n = 2) der Patienten haben weder
freundschaftliche noch bekanntschaftliche Beziehungen zu Gleichaltrigen.
Die Häufigkeit von Kontakten mit Gleichaltrigen wurde im Durchschnitt für das letzte
halbe Jahr erfragt: 31 % (n = 11) gehen mehrmals pro Woche, 46 % (n = 16) ein– bis zweimal
pro Woche, 9 % (n = 3) einmal in zwei Wochen, 3 % (n = 1) etwa einmal im Monat und 11 %
Ergebnisse
57
(n = 4) seltener als einmal im Monat aus, um sich mit Freunden oder um sich mit Bekannten
zu treffen.
Die Frage nach Wohnsituation und Partnerschaft ergab, dass 6 % (n = 2) in der Herkunftsfamilie lebten und keinen Freund bzw. keine Freundin hatten, 9 % (n = 3) lebten in der
Herkunftsfamilie und hatten einen Freund bzw. eine Freundin. 43 % (n = 15) lebten allein und
hatten keinen Freund bzw. keine Freundin, 29 % (n = 10) lebten allein und hatten einen
Freund bzw. eine Freundin. 11 % (n = 4) der Patienten lebten mit dem Partner zusammen, und
eine (3 %) Patientin lebte schon seit zwei Jahren in einer psychiatrischen Klinik.
Sexuelle Intimität wurde von 11 % (n = 4) aktiv vermieden, bei 9 % (n = 3) bestand
diesbezüglich Desinteresse und 80 % (n = 28) fanden oder fänden Gefallen an sexueller Intimität. Es hatten 6 % (n = 2) das Ziel „Single“ zu bleiben, 20 % (n = 7) würden heiraten (oder
in einer festen Partnerschaft leben), aber keine Kinder bekommen, 74 % (n = 26) wollten eine
Partnerschaft mit Kindern haben. Die Frage, ob sie schon intimere Beziehungen zu einem
Partner bzw. einer Partnerin hatten, beantworteten 77 % (n = 27) mit der Angabe, eine sexuelle Beziehung einschließlich Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, 6 % (n = 2) hatten eine Beziehung gehabt, in der es nur zu Zärtlichkeiten gekommen war, 3 % (n = 1) hatte eine Partnerbeziehung ohne Körperkontakt und 14 % (n = 5) der Patienten gaben an, jegliche nähere
Beziehung zu einem Partner zu vermeiden.
3.2.4 General Outcome Score und Morgan-Russel-Skala
Die Einteilung nach dem General Outcome Score von Morgan und Russel (1975), modifiziert
nach Ratnasuriya et al. (1999), ergab für 18 (51 %) Patienten ein gutes, für 9 (26 %) Patientinnen ein mittleres und für 8 (23 %) Patientinnen ein schlechtes Outcome. Die Gruppe der
Patienten mit einem guten Outcome bestand aus zwei (13 %) Männern und 16 (87 %) Frauen.
Deren Regelstatus war in den letzten 6 Monaten in 15 (94 %) Fällen regelmäßig, in einem
(6 %) Fall bestanden Unregelmäßigkeiten, die jedoch keine Gewichtsproblematik oder Essstörung als Ursache hatten. Eine (6 %) Patientin hatte eine EDNOS. Der mittlere BMI in der
Gruppe betrug 21,5 ± 2,0 (18,4–26,6), die durchschnittliche BMI-Perzentile lag in dieser
Gruppe bei 37,7 ± 21,2 (6,7–84).
Patientinnen mit einem mittleren Outcome hatten einen durchschnittlichen BMI von
20,4 ± 1,8 (16,8–22,3) und eine BMI-Perzentile von 26,9 ± 17,6 (0,8–54). Der Regelstatus in
dieser Gruppe war in zwei (22 %) Fällen regelmäßig, bei sechs (67 %) Patientinnen zeigten
sich Unregelmäßigkeiten und eine (11 %) Patientin hatte nur gelegentlich Menstruationen. In
dieser Gruppe gab es drei (33 %) Patientinnen mit einer EDNOS.
Ergebnisse
58
Alle Patientinnen mit einem schlechten GOS (n = 8) hatten zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung eine Essstörung. Drei (37 %) hatten eine Anorexia nervosa, weitere drei eine Bulimia nervosa. Bei den beiden weiteren Fällen handelte es sich um je eine (13 %) Patientin mit
einer EDNOS und eine Patientin mit einer BED nach den Kriterien des DSM-IV bzw. einer
EDNOS nach den Kriterien der ICD-10. Der mittlere BMI in dieser Gruppe betrug 21,7 ± 5,6
(15,9–33,7) und der Median lag bei 21,5 (q1 = 17,3; q3 = 23,0). Die mittlere BMI-Perzentile
war 38,0 ± 35,1 (0,1–97,1). Die Menstruation war bei einer (13 %) Patientin regelmäßig, bei
zwei (25 %) Patientinnen unregelmäßig. Bei einer Patientin kam es nur gelegentlich zu Menstruationen, bei vier (50 %) Patientinnen blieb sie ganz aus. Die Einteilung in die Gruppe mit
schlechtem Outcome erfolgte in drei (38 %) Fällen aufgrund des niedrigen Gewichts und der
fehlenden Menstruation (Fälle mit AN). Bei den übrigen Patientinnen war das von Ratnasuriya et al. eingeführte Kriterium „induziertes Erbrechen oder Essanfälle mindestens einmal
wöchentlich“ (Ratnasuriya et al., 1991) ausschlaggebend für die Zuteilung.
Die drei Outcome-Gruppen (gut, mittel, schlecht) unterschieden sich bezüglich BMI
nicht signifikant voneinander (ANOVA, p = 0,661). Die Unterschiede in der Verteilung der
Essstörungsdiagnosen über die Gruppen dagegen waren signifikant mit einer Häufung in der
Gruppe mit mittlerem Outcome (33 %) im Vergleich zur Gruppe mit gutem Outcome (9 %)
sowie einer Häufung in der Gruppe mit schlechtem Outcome (100 %) im Vergleich zu den
beiden Gruppen mit mittlerem und gutem Outcome (exakter Test nach Fisher, p < ,0001***).
Tabelle 9 Ergebnisse beider Gruppena für die MRS als MW ± SD (Range)
Skala (0–12)
Gesamt (n = 35)
ED (n = 12)
Keine ED (n = 23)
p-Wertb
A. Nahrungsaufnahme
9,1 ± 3,6 (0–12)
5,5 ± 3,8 (0–12)
11,0 ± 1,1 (8,7–12)
< ,0001***
B. Regelstatus
9,0 ± 4,1 (0–12)
6,0 ± 5,0 (0–12)
10,7 ± 2,3 (4–12)
< 0,001***
C. Psychischer Status
9,7 ± 3,0 (4–12)
7,7 ± 3,2 (4–12)
10,8 ± 2,2 (4–12)
0,008**
D. Psychosexueller Status
9,2 ± 3,1 (0–12)
7,0 ± 3,2 (0–12)
10,3 ± 2,3 (4–12)
0,006**
10,3 ± 2,6 (2,4–12)
9,0 ± 3,2 (2,4–12)
10,9 ± 1,9 (4,8–12)
0,034*
9,5 ± 2,8 (2,9–12)
7,0 ± 3,3 (2,9–11,2)
10,7 ± 1,3 (7,0–12)
< ,0001***
E. Sozialer Status
Durchschnittsscore
a
Essstörung („ED“) oder keine Essstörung („Keine ED“) zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung. b t-Test. MRS, Morgan-Russel-Skala.
Ergebnisse
59
Die Anwendung der Morgan-Russel-Skala (MRS) ergab für alle nachuntersuchten Patienten
einen Durchschnittsscore von 9,5 ± 2,8 (2,9–12). Der Vergleich der Mittelwerte zwischen den
Gruppen „ED“ und „keine ED“ zeigte beim Durchschnittsscore und allen seinen Subskalen
eine signifikante Differenz. Dieses Ergebnis war aufgrund des Inhalts der Skalen zu erwarten.
Tabelle 9 auf Seite 57 zeigt die Werte im Einzelnen.
3.2.5 Kurzes ICF Core Set für Anorexia nervosa
Die Anwendung des Kurzen ICF Core Sets für Anorexia nervosa (für das komplette ICF Core
Set für Anorexia nervosa siehe Tabelle 18 auf Seite 115 im Anhang) ergab Werte, die aus
Tabelle 10 und Tabelle 11 auf Seite 61 hervorgehen. Die Mittelwerte aller Kategorien wurden
miteinander verglichen und jeweils eine Rangliste für Funktionsfähigkeit und eine Rangliste
für Umweltfaktoren gebildet. Der Rang gibt Auskunft darüber, in welchen Kategorien im Mittel die stärksten Beeinträchtigungen bestehen. Die größte Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit findet sich bei den Kategorien Körperschema, Selbstvertrauen, emotionale Funktionen
und sexuelle Funktionen (1.–4. Rang). Die geringste Beeinträchtigung hatten die Patienten im
Mittel in den Bereichen Zuverlässigkeit, Gewissenhaftigkeit, Drang nach Suchtmitteln und
beim Durchführen der täglichen Routine (22.–25. Rang).
Als positivster Umweltfaktor wird die Unterstützung des engsten Familienkreises gewertet (1. Rang). Der als am wenigsten unterstützend empfundene Umweltfaktor sind dagegen
die individuellen Einstellungen des engsten Familienkreises (6. Rang). Die kompletten Ranglisten mit Mittelwerten enthält Tabelle 10.
Tabelle 10 Ergebnisse für das kurze ICF Core Set für AN bei der Nachuntersuchung (n = 35)
ICF Kategorie und Kodierunga
MW ± SD (Range)
Rangb
b1260 Extraversion
0,91 ± 1,09 (0–4)
13.
b1261 Umgänglichkeit
0,74 ± 0,92 (0–3)
18.
b1262 Gewissenhaftigkeit
0,25 ± 0,70 (0–3)
23.
b1263 Psychische Stabilität
1,11 ± 1,05 (0–4)
6.
b1264 Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen
1,09 ± 1,12 (0–4)
8.
b1265 Optimismus
1,11 ± 1,13 (0–4)
6.
b1266 Selbstvertrauen
1,29 ± 1,18 (0–4)
2.
b1267 Zuverlässigkeit
0,26 ± 0,51 (0–2)
22.
Körperfunktionen
b126 Temperament und Persönlichkeit
Ergebnisse
ICF Kategorie und Kodierunga
60
MW ± SD (Range)
Rangb
b1300 Ausmaß der psychischen Energie
0,69 ± 0,99 (0–3)
20.
b1301 Motivation
1,00 ± 1,19 (0–4)
11.
b1302 Appetit
0,74 ± 1,04 (0–4)
18.
b1303 Drang nach Suchtmitteln
0,20 ± 0,53 (0–2)
25.
b1304 Impulskontrolle
0,89 ± 1,18 (0–4)
14.
b134 Funktionen des Schlafes
1,06 ± 1,08 (0–4)
9.
b152 Emotionale Funktionen
1,23 ± 1,29 (0–4)
3.
b130 Funktionen der psychischen Energie und des Antriebs
Mentale Funktionen Durchschnittsscore
0,96 ± 0,81 (0–2,87)
b180 Selbstwahrnehmung und Zeitwahrnehmung
b1801 Körperschema
1,31 ± 1,30 (0–4)
1.
b530 Aufrechterhaltung des Körpergewichts
1,00 ± 1,16 (0–4)
11.
b640 Sexuelle Funktionen
1,20 ± 1,32 (0–4)
4.
b650 Menstruationsfunktionen (n = 33)
1,12 ± 1,22 (0–4)
5.
Anorexia nervosa-spezifische Funktionen Durchschnittsscore
1,16 ± 1,00 (0–3,50)
Aktivitäten und Partizipation/Teilhabe
d230 Die tägliche Routine durchführen
0,23 ± 0,60 (0–2)
24.
d240 Mit Stress und anderen psychischen Anforderungen
umgehen
0,86 ± 1,09 (0–4)
15.
0,80 ± 0,94 (0–3)
16.
d750 Informelle soziale Beziehungen
0,80 ± 1,18 (0–4)
16.
d760 Familienbeziehungen
0,66 ± 0,84 (0–2)
21.
d770 Intime Beziehungen
1,06 ± 1,39 (0–4)
9.
d570 Auf seine Gesundheit achten
d5701 Ernährung und Fitness handhaben
Aktivitäten und Partizipation/Teilhabe Durchschnittsscore
0,72 ± 0,79 (0–2,87)
Umweltfaktoren
e310 Engster Familienkreis
2,83 ± 1,72 (-4 – +4)
1.
e320 Freunde (n = 33)
2,67 ± 1,43 (-1 – +4)
2.
e355 Fachleute der Gesundheitsberufe (n = 30)
2,13 ± 1,57 (-2 – +4)
3.
e410 Individuelle Einstellungen des engsten Familienkreises
0,37 ± 2,14 (-4 – +4)
6.
e420 Individuelle Einstellungen von Freunden (n = 33)
1,52 ± 1,73 (-2 – +4)
4.
e450 Individuelle Einstellungen von Fachleuten der
Gesundheitsberufe (n = 30)
1,23 ± 2,11 (-4 – +4)
5.
Umweltfaktoren Durchschnittsscore
1,81 ± 1,17 (-1,7 – +4,0)
Kodierung: 0 = “Problem nicht vorhanden”, 1 = “leicht ausgeprägt”, 2 = “mäßig ausgeprägt”, 3 = “erheblich ausgeprägt”, 4 = “voll ausgeprägt”; Umweltfaktoren: Barriere (-4 bis -1), Förderfaktor (+1 bis +4). b t-Test. ICF, Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit,
Behinderung und Gesundheit. AN, Anorexia nervosa.
a
Ergebnisse
61
Der Vergleich der Mittelwerte der Gruppen „ED“ und „keine ED“ ergab, dass es bei 20 von
31 Kategorien (65 %) einen signifikanten Unterschied zugunsten einer stärkeren Beeinträchtigung der Patienten mit einer Essstörung bei der Nachuntersuchung gab. Hochsignifikante Unterschiede (mit p < 0,001***) gab es in den Kategorien Umgänglichkeit, Ausmaß der psychischen Energie, Impulskontrolle, Schlaf, Körperschema, Aufrechterhaltung des Körpergewichts und bei der Handhabung von Ernährung und Fitness. Eine detaillierte Auflistung von
Mittelwerten und p-Werten findet sich in Tabelle 11.
Tabelle 11 Vergleich beider Gruppena für das kurze ICF Core Set für AN als MW ± SD (Range)
ICF Kategorie und Kodierungb
ED (n = 12)
Keine ED (n = 23)
p-Wertc
b1260 Extraversion
1,50 ± 1,17 (0–3)
0,61 ± 0,94 (0–4)
0,034*
b1261 Umgänglichkeit
1,50 ± 1,00 (0–3)
0,35 ± 0,57 (0–2)
< 0,001***
b1262 Gewissenhaftigkeit
0,42 ± 0,90 (0–3)
0,17 ± 0,58 (0–2)
0,409
b1263 Psychische Stabilität
1,92 ± 1,08 (0–4)
0,70 ± 0,76 (0–2)
0,003**
b1264 Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen
1,67 ± 0,98 (0–3)
0,78 ± 1,09 (0–4)
0,023*
b1265 Optimismus
1,83 ± 1,34 (0–4)
0,74 ± 0,81 (0–2)
0,005**
b1266 Selbstvertrauen
2,00 ± 1,35 (0–4)
0,91 ± 0,90 (0–3)
0,023*
b1267 Zuverlässigkeit
0,42 ± 0,67 (0–2)
0,17 ± 0,39 (0–1)
0,181
b1300 Ausmaß der psychischen Energie
1,58 ± 1,08 (0–3)
0,22 ± 0,52 (0–2)
< ,0001***
b1301 Motivation
1,92 ± 1,24 (0–4)
0,52 ± 0,85 (0–3)
0,003**
b1302 Appetit
1,25 ± 1,36 (0–4)
0,48 ± 0,73 (0–2)
0,035*
b1303 Drang nach Suchtmitteln
0,50 ± 0,80 (0–2)
0,04 ± 0,21 (0–1)
0,014*
b1304 Impulskontrolle
1,92 ± 1,38 (0–4)
0,35 ± 0,57 (0–2)
< ,0001***
b134 Funktionen des Schlafes
1,92 ± 1,31 (0–4)
0,61 ± 0,58 (0–2)
< 0,001***
b152 Emotionale Funktionen
1,92 ± 1,50 (0–4)
0,87 ± 1,01 (0–3)
0,045*
1,67 ± 0,90 (0,3–2,9)
0,59 ± 0,44 (0–1,5)
< ,0001***
2,50 ± 1,31 (0–4)
0,70 ± 0,76 (0–2)
< ,0001***
b530 Aufrechterhaltung des Körpergewichts
2,17 ± 1,11 (0–4)
0,39 ± 0,58 (0–2)
< ,0001***
b640 Sexuelle Funktionen
1,67 ± 1,56 (0–4)
0,96 ± 1,15 (0–4)
0,181
b650 Menstruationsfunktionen (n = 33)
1,75 ± 1,54 (0–4)
0,76 ± 0,83 (0–2)
0,023*
AN-spezifische Funktionen Durchschnittsscore
2,02 ± 1,08 (0,3–3,5)
0,71 ± 0,58 (0–2,0)
< ,0001***
Körperfunktionen
b126 Temperament und Persönlichkeit
b130 Psychische Energie und Antrieb
Mentale Funktionen Durchschnittsscore
b180 Selbstwahrnehmung und Zeitwahrnehmung
b1801 Körperschema
Ergebnisse
ICF Kategorie und Kodierungb
62
ED (n = 12)
Keine ED (n = 23)
p-Wertc
d230 Die tägliche Routine durchführen
0,42 ± 0,79 (0–2)
0,13 ± 0,46 (0–2)
0,183
d240 Mit Stress und anderen psychischen
Anforderungen umgehen
1,50 ± 1,17 (0–4)
0,52 ± 0,90 (0–3)
0,021*
1,75 ± 0,87 (1–3)
0,30 ± 0,56 (0–2)
< ,0001***
d750 Informelle soziale Beziehungen
1,42 ± 1,51 (0–4)
0,48 ± 0,85 (0–3)
0,024*
d760 Familienbeziehungen
1,00 ± 0,95 (0–2)
0,48 ± 0,73 (0–2)
0,115
d770 Intime Beziehungen
1,67 ± 1,61 (0–4)
0,74 ± 1,18 (0–4)
0,060
1,20 ± 0,94 (0–3,0)
0,47 ± 0,57 (0–2,2)
0,007**
2,42 ± 2,31 (-4 – +4)
3,04 ± 1,33 (-1 – +4)
0,314
2,09 ± 1,76 (0–4)
2,95 ± 1,17 (-1 – +4)
0,162
e355 Fachleute der Gesundheitsberufe (n = 30)
2,08 ± 1,78 (-2 – +4)
2,17 ± 1,47 (0–4)
0,894
e410 Individuelle Einstellungen des engsten
Familienkreises
-0,17 ± 2,55 (-4 – +3)
0,65 ± 1,90 (-3 – +4)
0,341
e420 Individuelle Einstellungen von Freunden (n = 33)
0,91 ± 1,87 (-2 – +3)
1,82 ± 1,62 (-2 – +4)
0,186
e450 Individuelle Einstellungen von Fachleuten der
Gesundheitsberufe (n = 30)
0,92 ± 2,23 (-4 – +4)
1,44 ± 2,06 (-2 – +4)
0,520
1,34 ± 1,5 (-1,7 – +3,2)
2,06 ± 0,9 (0,7–4,0)
0,085
Aktivitäten und Partizipation/Teilhabe
d570 Auf seine Gesundheit achten
d5701 Ernährung und Fitness handhaben
Aktivitäten und Partizipation/Teilhabe Durchschnittsscore
Umweltfaktoren
e310 Engster Familienkreis
e320 Freunde (n = 33)
Umweltfaktoren Durchschnittsscore
Essstörung („ED“) oder keine Essstörung („Keine ED“) zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung. b Kodierung: 0 = “Problem nicht vorhanden”, 1 = “leicht ausgeprägt”, 2 = “mäßig ausgeprägt”, 3 = “erheblich ausgeprägt”, 4 = “voll ausgeprägt”; Umweltfaktoren: Barriere (-4 bis 1), Förderfaktor (+1 bis +4). c t-Test. ICF, Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. AN, Anorexia
nervosa. MW, Mittelwert.
a
Die gebildeten Summenscores Mentale Funktionen (p < ,0001***), Anorexia nervosaspezifische Funktionen (p < ,0001***) und Aktivitäten und Partizipation/Teilhabe (p = 0,007**)
zeigten einen signifikanten Unterschied zwischen beiden Gruppen. Die Beeinträchtigung der
Patienten mit einer derzeitigen Essstörung war durchweg höher. Für den Score Umweltfaktoren (p = 0,085) waren die Unterschiede zwischen den Gruppen nicht signifikant.
3.2.6 WHO Quality of Life Fragebogen
Der WHO Quality of Life Fragebogen „WHOQOL-BREF“ (WHO, 1998) misst die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Patienten auf den Skalen „Physisch“ (z.B. Schmerz, Energie, Schlaf, Mobilität), „Psychisch“ (z.B. positive Gefühle, Lernen, Konzentration, Selbstvertrauen, Körperschema), „Soziale Beziehungen“ (persönliche Beziehungen, soziale Unterstüt-
Ergebnisse
63
zung, Sexualität) und „Umweltfaktoren“ (z.B. Sicherheit, häusliches Umfeld, Gesundheitspflege). Die Skala „Global“ ist eine allgemeine Selbsteinschätzung und errechnet sich nicht
aus den Einzelwerten. Aus den Daten der Tabelle 12 wird ersichtlich, dass die Patienten der
Gruppe „ED“ eine signifikant schlechtere Lebensqualität in den Bereichen „physisch“, psychisch“ und bei der globalen Selbsteinschätzung haben im Vergleich zu den Patienten der
Gruppe „Keine ED“.
Tabelle 12 Ergebnisse des WHOQOL-BREF für beide Gruppena als MW ± SD (Range)
Skala (0–100)
Gesamt (n = 34)
ED (n = 12)
Keine ED (n = 22)
p-Wertb
Physisch
73,8 ± 18,2 (18–96)
62,8 ± 22,8 (18–93)
79,9 ± 11,9 (57–96)
0,007**
Psychisch
57,2 ± 23,6 (4–96)
38,2 ± 26,4 (4–88)
67,6 ± 13,7 (46–96)
< 0,001***
Soziale Beziehungen
63,0 ± 24,7 (8–100)
50,7 ± 28,5 (8–100)
69,7 ± 20,0 (17–100)
0,056
Umwelt
68,8 ± 15,9 (38–94)
61,7 ± 16,3 (38–88)
72,6 ± 14,6 (44–94)
0,068
Durchschnittsscore
65,7 ± 18,0 (21–95)
53,4 ± 20,4 (21–90)
72,4 ± 12,5 (51–95)
0,010**
Global
64,3 ± 20,4 (13–100)
46,9 ± 18,6 (13–88)
73,9 ± 14,4 (38–100)
< 0,001***
a Essstörung („ED“) oder keine Essstörung („Keine ED“) zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung. b t-Test.
WHOQOL-BREF, WHO Quality Of Life Fragebogen – Kurzversion.
Abbildung 8 auf Seite 64 zeigt, dass die Lebensqualität der Patienten der vorliegenden Studie
zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung in allen Bereichen geringer ist als die der deutschen
Allgemeinbevölkerung (n = 2073). Signifikante Unterschiede ergeben sich auf den Skalen
„Psychisch“ (p < ,0001***) und „Soziale Beziehungen“ (p = 0,006**).
In den Bereichen „Psychisch“ und „Soziale Beziehungen“ ist die Lebensqualität der Patienten dieser Nachuntersuchung ebenfalls geringer als die stationärer somatischer Patienten
(n = 261). Die Lebensqualität stationärer psychiatrischer Patienten (n = 98) ist in allen Bereichen geringer als bei den Patienten der vorliegenden Studie.
Ergebnisse
64
Abbildung 8 Ergebnisse des WHOQOL-BREF der AN-Patienten (n = 34) im Vergleich zur deutschen Normalbevölkerung (n = 2073), stationären Patienten aus dem somatischen Bereich
(n = 261) und stationären Patienten aus dem psychiatrischen Bereich mit n = 98 (WHO, 1998)
3.2.7 Eating Disorder Inventory
Das Eating Disorder Inventory „EDI-2“ (Paul und Thiel, 2005) wurde von 34 Teilnehmern
ausgefüllt. Der Vergleich der Gruppen „ED“ und „keine ED“ zeigt wie zu erwarten signifikante Unterschiede in allen Bereichen (mit Ausnahme der Skala „Perfektionismus“). Tabelle
13 auf Seite 66 zeigt die detaillierten Ergebnisse und ordnet ihnen Perzentilenränge einer
Vergleichsstichprobe zu. Im Fall der Gruppe „ED“ handelt es sich um eine weibliche Vergleichspopulation mit Anorexia nervosa (n = 146). Die Patienten aus der Gruppe „keine ED“
wurden mit einer Population von weiblichen Personen ohne Essstörung (n = 186) verglichen.
Ergebnisse
65
3.2.8 Symptom-Checkliste von Derogatis
Die Symptom-Checkliste von Derogatis „SCL-90-R“ (Franke, 2002) misst die subjektiv empfundene Beeinträchtigung durch 90 vorgegebene körperliche und psychische Symptome. Die
Skalenwerte des SCL-90-R wurden unter Berücksichtigung von Geschlecht und Bildungsstand der Patienten in T-Werte umgeformt. Bei T-Werten entspricht 50 der 50. Perzentile der
Vergleichspopulation. Eine Abweichung des T-Wertes von 10 bedeutet einen Sprung von einer Standardabweichung im Prozentrang der Perzentilen.
Tabelle 14 auf Seite 67 zeigt die Werte im Einzelnen. Neben den signifikanten Unterschieden zwischen den Gruppen „ED“ und „keine ED“ auf allen Skalen (ausgenommen “Somatisierung“) wird durch die hohen T-Werte der Patienten der Gruppe „ED“ deutlich, dass
ihre Symptome in fast allen Bereichen zwischen ein und zwei Standardabweichungen über
dem Median der Vergleichspopulation liegen.
Tabelle 13 Ergebnisse des EDI-2 für beide Gruppena (nur weibliche Patienten) als MW ± SD (Range) und Perzentilen der Vergleichspopulationen
Gesamt (n = 34)
ED, weiblich (n = 12)
Perzentilec
Keine ED, weiblich
(n = 20)
Perzentiled
p-Werte
1. Schlankheitsstreben (SS)
3,16 ± 1.56 (1–6)
4,54 ± 1,41 (1–6)
65. – 70.
2,47 ± 1,10 (1–5)
55. – 60.
< ,0001***
2. Bulimie (B)
2,35 ± 1,36 (1–6)
3,65 ± 1,51 (1–6)
95. – 99.
1,71 ± 0,44 (1–2)
70. – 75.
< ,0001***
3. Unzufriedenheit mit dem Körper (UK)
3,73 ± 1,55 (1–6)
4,98 ± 1,43 (1–6)
85. – 90.
3,01 ± 1,20 (1–6)
45. – 50.
< 0,001***
4. Ineffektivität (I)
2,91 ± 1,24 (1–6)
3,96 ± 1,33 (1–6)
35. – 40.
2,25 ± 0,67 (1–3)
15. – 20.
< ,0001***
5. Perfektionismus (P)
3,22 ± 0,97 (2–6)
3,42 ± 1,22 (2–6)
40. – 50.
3,03 ± 0,67 (2–4)
65. – 70.
0,248
6. Misstrauen (M)
2,79 ± 1,07 (1–5)
3,46 ± 1,09 (1–5)
50. – 55.
2,29 ± 0,76 (1–4)
30. – 35.
< ,0001***
7. Interozeptive Wahrnehmung (IW)
2,56 ± 0,89 (1–4)
3,30 ± 0,90 (1–4)
55. – 60.
2,19 ± 0,59 (1–3)
45. – 50.
0,001**
8. Angst vor dem Erwachsenwerden (AE)
2,82 ± 1,03 (1–6)
3,35 ± 1,31 (2–6)
40. – 45.
2,51 ± 0,76 (1–4)
45. – 50.
0,003**
9. Askese (A)
2,36 ± 0,95 (1–6)
3,19 ± 0,96 (1–6)
60. – 65.
1,82 ± 0,53 (1–3)
35. – 40.
< ,0001***
10. Impulsregulation (IR)
2,30 ± 0,89 (1–4)
3,07 ± 0,95 (1–4)
75. – 80.
1,91 ± 0,50 (1–3)
40. – 45.
< ,0001***
11. Soziale Unsicherheit (SU)
2,95 ± 1,07 (1–6)
3,69 ± 1,13 (1–6)
50. – 55.
2,44 ± 0,75 (1–4)
30. – 35.
< 0,001***
31,2 ± 10,1 (15–56)
40,6 ± 10,0 (15–56)
70. – 75.
25,6 ± 5,4 (16–36)
30. – 35.
< ,0001***
Skalab
EDI-2 Gesamtskala
Essstörung („ED“) oder keine Essstörung („Keine ED“) zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung. b Kodierung: Summenwerte der einzelnen Items mit der Kodierung „Problem vorhanden?“: 1 = „nie“, 2 = „selten“, 3 = „manchmal“,
4 = „oft“, 5 = „normalerweise“, 6 = „immer“. c Vergleichspopulation: Anorexia nervosa, restriktiver Typ (n = 146). d Vergleichspopulation: weibliche Kontrollgruppe (n = 186) . e einseitiger t-Test. EDI-2, Eating Disorder Inventory-2.
a
Tabelle 14 Ergebnisse des SCL-90-R für beide Gruppena in T-Werten als MW ± SD (Range)
Skala
a
Gesamt (n = 34)
ED (n = 12)
Keine ED (n = 22)
p-Wertb
1. Somatisierung
55,4 ± 13,9 (29–80)
61,2 ± 16,1 (29–80)
52,3 ± 11,7 (29–77)
0,109
2. Zwanghaftigkeit
56,8 ± 13,0 (31–80)
64,4 ± 14,2 (31–80)
52,6 ± 10,4 (38–74)
0,021*
3. Unsicherheit im Sozialkontakt
59,3 ± 12,5 (35–80)
69,5 ± 9,5 (46–80)
53,8 ± 10,4 (35–69)
< 0,001***
4. Depressivität
57,5 ± 13,6 (29–80)
68,3 ± 14,5 (29–80)
51,6 ± 8,7 (37–68)
< 0,001***
5. Ängstlichkeit
54,4 ± 11,7 (35–80)
60,5 ± 9,2 (42–80)
51,0 ± 11,8 (35–69)
0,015**
6. Aggressivität/ Feindseligkeit
54,4 ± 11,9 (36–80)
61,3 ± 11,7 (45–80)
50,5 ± 10,3 (36–71)
0,015**
7. Phobische Angst
52,7 ± 11,0 (41–73)
59,4 ± 11,0 (41–73)
49,1 ± 9,4 (41–68)
0,012**
8. Paranoides Denken
55,3 ± 11,7 (38–80)
64,3 ± 9,3 (51–80)
50,3 ± 9,9 (38–72)
< 0,001***
9. Psychotizismus
55,1 ± 12,2 (39–80)
66,3 ± 10,1 (46–80)
49,0 ± 8,4 (39–65)
< ,0001***
Global Severity Index (GSI)
58,6 ± 13,6 (30–80)
69,8 ± 12,7 (35–80)
52,6 ± 10,0 (30–71)
< 0,001***
Positive Symptom Distress Index (PSDI)
60,0 ± 10,5 (39–80)
64,8 ± 11,2 (39–80)
57,3 ± 9,4 (39–80)
0,06
Positive Symptom Total (PST)
57,0 ± 13,9 (30–80)
68,5 ± 12,0 (36–80)
50,7 ± 10,5 (30–80)
< 0,001***
Essstörung („ED“) oder keine Essstörung („Keine ED“) zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung. b einseitiger t-Test. SCL-90-R, Symptom-Checkliste von Derogatis.
Ergebnisse
68
3.2.9 Inventar zur Erfassung der Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen
Das Inventar zur Erfassung der Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen „ILK“ (Mattejat
et al., 1998) in der hier verwendeten Form besteht aus Aussagen zur Lebensqualität auf den
Skalen „Körperliche Gesundheit“, „Seelischer Zustand“, „Alleine“ und „Andere Jugendliche“. Es handelt sich um Aussagen, die mit „Stimmt“ oder „Stimmt nicht“ beurteilt werden.
Die Ergebnisse der Subskalen geben den Prozentwert wieder, zu dem den Aussagen im positiven Sinne zugestimmt wurde. (Wer beispielsweise die Aussage „In der letzten Woche habe
ich auf mich und meine Gesundheit geachtet“ mit „Stimmt“ beantwortet, erhält einen Punkt.
Wer die Aussage „In der letzten Woche hatte ich häufig Schmerzen“ mit „Stimmt nicht“ beantwortet erhält ebenfalls einen Punkt, da das Item negativ gepolt ist.)
Aus Tabelle 15 ist ersichtlich, dass Patienten der Gruppe „ED“ signifikant weniger Lebensqualität in den Bereichen „Körperliche Gesundheit“ und „Alleine“ hatten.
Tabelle 15 Ergebnisse des ILK für beide Gruppena in Prozent als MW ± SD (Range)
Skala
Gesamt % (n = 34)
ED % (n = 12)
Keine ED % (n = 22)
p-Wertb
Körperliche Gesundheit
60,1 ± 21,7 (10–100)
45,6 ± 23,6 (10–90)
68,0 ± 16,3 (38–100)
0,010**
Seelischer Zustand
65,2 ± 22,7 (13–100)
55,3 ± 24,3 (13–91)
70,2 ± 20,8 (26–100)
0,101
Alleine
59,3 ± 14,1 (30–85)
47,9 ± 13,2 (30–70)
65,5 ± 10,5 (50–85)
< 0,001***
Andere Jugendliche
69,4 ± 16,7 (26–96)
61,6 ± 16,9 (26–87)
73,7 ± 15,4 (30–96)
0,052
Essstörung („ED“) oder keine Essstörung („Keine ED“) zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung.
Erfassung der Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen.
a
b
zweiseitiger t-Test. ILK, Inventar zur
3.2.10 Fragebogen zur Beurteilung der Behandlung – Patientenversion
Der Fragebogen zur Beurteilung der Behandlung in der Patientenversion „FBB-P“ (Mattejat
und Remschmidt, 1998) ermöglicht die Beurteilung der Behandlung aus Sicht der Patienten.
Die drei Skalen „Erfolg der Behandlung“, „Beziehung zum Therapeuten“ und „Rahmenbedingungen der Behandlung“ bilden den Gesamtwert (Mattejat und Remschmidt, 1998). In der
vorliegenden Arbeit wurde der FBB-P dazu verwendet, die stationäre Behandlung in der KJP
Freiburg zu beurteilen.
Ergebnisse
69
Die Werte aller Patienten wurde mit einer kinder- und jugendpsychiatrischen Stichprobe
(n = 284) verglichen (Mattejat et al., 2003). Für die Rahmenbedingungen der Behandlung ergab sich ein „durchschnittliches“ Ergebnis im Verhältnis zu den Perzentilenwerten der Vergleichsstichprobe. Für den Erfolg der Behandlung und die Beziehung zum Therapeuten fiel
die Beurteilung im Vergleich unterdurchschnittlich aus. Das Ergebnis der Gesamtskala war
ebenfalls unterdurchschnittlich.
Tabelle 16 zeigt, dass Patienten der Gruppe „ED“ den Erfolg, die Rahmenbedingungen
und die Behandlung insgesamt signifikant schlechter bewerten als Patienten der Gruppe „keine ED“.
Tabelle 16 Ergebnisse des FBB-P für beide Gruppena als MW ± SD (Range)
Skalab
Gesamt (n = 34)
Vergleichsperzentile
ED (n = 12)
Keine ED (n = 22)
p-Wertc
1. Erfolg der Behandlung
2,2 ± 1,0 (0–4)
11. – 25.d
1,6 ± 1,1 (0–3,6)
2,5 ± 0,7 (1,4–4)
0,004**
1.1 Erfolg selbst
2,1 ± 1,1 (0–4)
—
1,5 ± 1,2 (0–3,5)
2,5 ± 0,9 (1,3–4)
0,010**
—
2,0 ± 1,5 (0–4)
2,7 ± 1,2 (0–4)
0,151
11. – 25.
1,7 ± 1,1 (0–3,4)
2,5 ± 1,0 (0,7–4)
0,073
26. – 75.e
1,8 ± 0,6 (0,5–2,7)
2,4 ± 0,7 (0,9–3,9)
0,021*
11. – 25.
1,7 ± 0,9 (0,4–3,2)
2,5 ± 0,7 (1,3–3,4)
0,022*
1.2 Erfolg Familien2,5 ± 1,4 (0–4)
beziehungen
2. Beziehung zum
2,2 ± 1,1 (0–4)
Therapeuten
3. Rahmenbedingungen
2,2 ± 0,7 (0,5–3,9)
der Behandlung
Gesamtwert
2,1 ± 0,8 (0,4–3,4)
Essstörung („ED“) oder keine Essstörung („Keine ED“) zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung. b Summenwerte der einzelnen Items mit
der Kodierung „Die Feststellung stimmt“: 0 = „überhaupt nicht/niemals“, 1 = „kaum/selten“, 2 = „teilweise/manchmal“, 3 = „überwiegend/
meistens“, 4 = „ganz genau/immer“. c zweiseitiger t-Test. d 11. – 25. Perzentile = „unterdurchschnittlich“. e 26. – 75. Perzentile = „durchschnittlich“. FBB-P, Fragebogen zu Beurteilung der Behandlung – Patientenversion.
a
3.2.11 Soziodemografische Situation
Die Soziodemografische Situation wurde anhand eines Fragebogens erhoben, der vom Autor
dieser Arbeit in Anlehnung an die Basisdokumentation der Kinder- und Jugendpsychiatrie
Freiburg erstellt wurde. Der komplette Fragebogen findet sich als Tabelle 20 auf Seite 118 im
Anhang.
Zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung hatten alle 35 nachuntersuchten Patienten einen
Schulabschluss. Der höchste Abschluss war in 13 (37 %) Fällen der Realschulabschluss und
in 22 (63 %) Fällen das Abitur.
Ergebnisse
70
Es befanden sich 33 (94 %) Patienten zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung in der Ausbildung oder waren schon berufstätig. In einem (3 %) Fall bestand eine momentane Erwerbsunfähigkeit aufgrund der Schwere der Erkrankung (Anorexia nervosa), in einem weiteren Fall
war eine Förderung zur Erlangung der Berufsreife geplant, die aber aufgrund der Erkrankung
(schwere Borderline-Persönlichkeitsstörung, Depression, BED) derzeit ausgesetzt war. Von
den 33 Patienten, die erwerbstätig waren, befanden sich gegenwärtig 18 (55 %) in schulischer
bzw. akademischer Ausbildung. Im Einzelnen handelte es sich in 48 % um eine Fachhochschule oder Universität (n = 16) und in jeweils 3 % um eine Fach- oder Berufsschule (n = 1)
bzw. das Gymnasium (n = 1).
Die Wohnsituation der Patienten zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung stellte sich wie
folgt dar: 6 (17 %) lebten in ihrer Herkunftsfamilie, 14 (40 %) wohnten alleine, 9 (26 %) in
einer Wohngemeinschaft, 4 (11 %) lebten mit ihrem Partner/ Ehemann zusammen. Eine Patientin lebte in einer stationären Jugendhilfe (betreutes Wohnen) und eine Patientin war seit 2
Jahren in einer stationären Therapieeinrichtung untergebracht. Insgesamt lebten 28 (80 %)
Patienten derzeit nicht in einer Familie. Bei den 7 (20 %) Patienten, die derzeit in einer Familie lebten, gab es 3 (29 %) Familien mit einem Kind, 3 Familien mit 2 Kindern und eine
(14 %) Familie mit drei Kindern. Bei einer der Familien mit einem Kind handelte es sich um
das eigene Kind der Patientin. Sie war die einzige Patientin, die zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung ein eigenes Kind bzw. eigene Kinder hatte. Bei den übrigen Familien handelte es
sich um die Herkunftsfamilie der Patienten.
Ergebnisse
3.3
71
Korrelationen
Die Ergebnisse aus den Korrelationen der Gesamtskalen lieferten in den meisten Fällen einen
hohen bis sehr hohen Zusammenhang der Variablen. Im Einzelnen wurden folgende Skalen
miteinander verglichen:
1.
Morgan-Russel-Skala (MRS) – Durchschnittsscore (Morgan und Hayward, 1988)
2.
Strukturiertes Inventar für Anorektische und Bulimische Essstörungen, Interview
(SIAB-EX) – Gesamtskala (Fichter et al., 1998; Fichter und Quadflieg, 1999)
3.
Kurzes ICF Core Set für Anorexia nervosa – Gesamtskala (ohne Umweltfaktoren)
(WHO, 2005)
4.
WHO Fragebogen zur Lebensqualität (WHOQOL-BREF) – Durchschnittsscore der
Skalenwerte (WHO, 1998)
5.
Eating Disorder Inventory-2 (EDI-2) – Gesamtskala (Paul und Thiel, 2005)
6.
Die Symptom-Checkliste von Derogatis (SCL-90-R) – Global Severity Index
(Franke, 2002)
7.
Fragebogen zur Beurteilung der Behandlung, Patientenversion (FBB-P) – Gesamtwert (Mattejat und Remschmidt, 1998)
Sehr hohe Korrelationen ergaben sich für den Zusammenhang der Ergebnisse von MRS und
ICF mit r = -0,84 (p < ,0001***), SIAB-EX und ICF mit r = 0,88 (p < ,0001***), SIAB-EX und
EDI-2 mit r = 0,87 (p < ,0001***), WHOQOL-BREF und SCL-90-R mit r = -0,82
(p < ,0001***) sowie EDI-2 und SCL-90-R mit r = 0,86 (p < ,0001***).
Geringe bis mittlere Korrelationen fanden sich beim Vergleich des FBB-P („Behandlungszufriedenheit“) mit den übrigen Gesamtskalen MRS mit r = 0,56 (p < 0,001***), SIABEX mit r = -0,29 (p = 0,093), ICF mit r = -0,36 (p = 0,036*), WHOQOL-BREF mit r = -0,41
(p < 0,017*), EDI-2 mit r = -0,40 (p < 0,019*) und SCL-90-R mit r = -0,28 (p < 0,113).
Mit Ausnahme der Zusammenhänge von FBB-P und SIAB-EX (siehe oben) sowie
FBB-P und SCL-90-R (siehe oben) waren alle Korrelationen signifikant. Tabelle 17 auf Seite 72 bietet eine Übersicht der Ergebnisse.
Tabelle 17 Korrelationen der Gesamtskalen für die Instrumente der Nachuntersuchung mit Pearsons r, p-Wert und n.
Skala
1 MRS
Morgan-Russel-Skala – Durchschnittsscore
2 SIAB-EX
3 ICF
-0,756
-0,842
,0001***
,0001***
p<
2 SIAB-EX
Strukturiertes Interview für Anorektische und Bulimische
Essstörungen – Gesamtskala
3 ICF
Kurzes ICF Core Set für Anorexia nervosa – Gesamtskala (ohne Umweltfaktoren)
4 WHOQOL-BREF
WHO Fragebogen zur Lebensqualität – Durchschnittsscore der Skalenwerte
5 EDI-2
Eating Disorder Inventory-2 – Gesamtskala
6 SCL-90-R
Symptom-Checkliste von Derogatis – Global Severity
Index
FBB-P, Fragebogen zur Beurteilung der Behandlung – Patientenversion, Gesamtwert.
p<
4 WHOQOL-BREF
5 EDI-2
6 SCL-90-R
0,697
-0,737
-0,605
0,559
,0001***
,0001***
0,001***
n = 35
n = 34
n = 34
n = 34
p < 0,001***
n = 34
0,876
-0,765
0,871
0,767
-0,293
,0001***
,0001***
,0001***
,0001***
n = 35
p<
p<
p<
p<
n = 34
n = 34
n = 34
p = 0,093
n = 34
-0,694
0,762
0,639
-0,360
,0001***
,0001***
,0001***
n = 35
p<
n = 34
p<
p<
7 FBB-P
p<
p<
p<
n = 34
n = 34
p = 0,036*
n = 34
-0,779
-0,824
0,408
p < ,0001***
n = 34
p < ,0001***
n = 34
p = 0,017*
n = 34
0,859
-0,401
p < ,0001***
n = 34
p = 0,019*
n = 34
-0,277
p = 0,113
n = 34
Ergebnisse
3.4
73
Regressionsmodell
Für das Regressionsmodell zur Identifizierung von Prädiktoren, die den Langzeitverlauf der
Anorexia nervosa voraussagen, wurden als unabhängige Variablen ausschließlich solche Faktoren in Betracht gezogen, die vor dem Zeitpunkt der Nachuntersuchung erhoben wurden. Als
abhängige Variable des Modells wurde der MRS Durchschnittsscore verwendet.
Folgende binominalen Variablen wurden getestet: ambulante kinder- und jugendpsychiatrische Vorbehandlung (vor erster Aufnahme in die KJP), stationäre medizinische Vorbehandlung, stationäre psychiatrische Vorbehandlung, Vorhandensein psychischer Störungen vor
Beginn der Magersucht, Vorhandensein einer primären Amenorrhö, Aufnahmegewicht ! 3.
Perzentile, Diagnose der Anorexia nervosa vom binge eating/purging-Subtyp, Einsatz einer
Magensonde im Laufe des stationären Aufenthaltes, eine mindestens deutliche Besserung der
Symptomatik in der abschließenden Gesamtbeurteilung des ersten stationären Aufenthaltes,
eine mindestens deutliche Besserung der Gesamtsituation, eine mindesten mäßig gute Kooperationsbereitschaft der Eltern/Bezugspersonen, eine mindestens mäßig gute Kooperationsbereitschaft der Patienten, die reguläre Beendigung der Therapie (also nicht vorzeitig durch Patienten oder Eltern), die Empfehlung zur Durchführung einer stationären oder teilstationären
Therapie (im Gegensatz zur Empfehlung lediglich einer ambulanten Weiterbetreuung).
Die folgenden linearen Variablen wurden untersucht: Behandlungsdauer beim ersten stationären Aufenthalt in der KJP, Krankheitsdauer vor Aufnahme, BMI bei Aufnahme und Entlassung, BMI-Perzentilen bei Aufnahme und Entlassung, Differenz zwischen Gewicht bei
Entlassung und vorgegebenem Zielgewicht.
Die einzelnen Variablen wurden zunächst explorativ auf ihre Signifikanz hin überprüft
(vgl. Fichter et al. (2006) bezüglich Vorgehensweise). Signifikante Ergebnisse lieferten folgende Variablen: Eine mindestens deutliche Besserung der Symptomatik in der abschließenden Gesamtbeurteilung des ersten stationären Aufenthaltes (positiver Prädiktor; p = 0,030*),
eine mindestens deutliche Besserung der Gesamtsituation (positiver Prädiktor; p = 0,005**),
eine mindestens mäßig gute Kooperationsbereitschaft der Patienten (positiver Prädiktor;
p = 0,027*), die reguläre Beendigung der Therapie (positiver Prädiktor; p = 0,035*) und die
Empfehlung zur Durchführung einer weiteren stationären oder teilstationären Therapie (negativer Prädiktor; p = 0,010*). Eine mittlere Korrelation mit dem MRS Durchschnittsscore lieferte die Differenz zwischen Gewicht bei Entlassung und vorgegebenem Zielgewicht
(r = -0,44; p = 0,008**), wobei eine geringere Differenz zwischen Entlass- und Zielgewicht
ein besseres Outcome wahrscheinlicher machte.
Ergebnisse
74
Die schrittweise Analyse der Variablen in einem Regressionsmodell wurde unter der
Einschluss-Methode mit dem Ziel einer möglichst hohen Varianzaufklärung durchgeführt
(Bühl, 2008). Das beste Modell konnte mit dem Einschluss der beiden Variablen „Empfehlung zur Durchführung einer weiteren stationären oder teilstationären Therapie“ (T = -2,68;
p = 0,012*) und „Eine mindestens deutliche Besserung der Symptomatik in der abschließenden Gesamtbeurteilung des ersten stationären Aufenthaltes“ (T = 1,67; p = 0,107) erreicht
werden. Dabei waren das Vorhandensein des Merkmals „Empfehlung zur Durchführung einer
weiteren stationären oder teilstationären Therapie“ bzw. das Nicht-Vorhandensein des Merkmals „Eine mindestens deutliche Besserung der Symptomatik in der abschließenden Gesamtbeurteilung des ersten stationären Aufenthaltes“ Prädiktoren für einen schlechten Heilungserfolg bezüglich der Essstörungs-Symptomatik bei der Nachuntersuchung.
Zusammenfassend konnte das gebildete Regressionsmodell (ANOVA F = 9,06; d.f. = 2;
p = 0,001**; R2 = 0,361) zur Aufklärung von 36 % der Varianz beitragen.
Ein alternatives Modell, das sich mit den Daten der vorliegenden Arbeit berechnen ließ, war
ein logistisches Regressionsmodell, das als abhängige Variable das binäre Merkmal „Diagnose einer Essstörung bzw. keine Essstörung zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung“ hatte.
Die Variablen Alter bei Aufnahme, Behandlungsdauer, BMI bei Aufnahme, Katamnesedauer, binge eating/purging-Verhalten, Ernährung über eine Sonde, Beendigung der Therapie
gegen ärztlichen Rat, Besserung der Symptomatik, Besserung der Gesamtsituation, Empfehlung zur stationären bzw. teilstationären Weiterbehandlung und die Differenz des BMI bei
Entlassung zum Ziel-BMI wurde in ein logistisches Regressionsmodell aufgenommen
Mit der Methode „vorwärts: LR“ wurden alle nicht signifikanten Variablen aus dem
Modell ausgeschlossen. Die alleinige verbleibende Variable war die Beendigung der Therapie
gegen ärztlichen Rat. Mit der Unterscheidung „Beendigung der stationären Therapie in der
KJP im ärztlichen Einvernehmen“ bzw. „Beendigung der Therapie gegen ärztlichen Rat“
konnte ein Modell generiert werden, das bei einem Konfidenzintervall von 95 % signifikant
war. Mit diesem Modell wurde in 74,3 % der Fälle die Diagnose einer Essstörung korrekt vorhergesagt (Wald 5,02; d.f. = 1; B = 1,90; p = 0,025*).
4
Diskussion
Ziel der vorliegenden Arbeit war es, den Langzeitverlauf der adoleszenten Anorexia nervosa
zu untersuchen. Die Klassifikation der Anorexia nervosa zum Katamnesezeitpunkt erfolgte
nach einheitlichen diagnostischen Kriterien (ICD-10, DSM-IV), für die Beurteilung des Verlaufs wurden anhand zahlreicher Untersuchungsinstrumente definierte Kriterien angewandt:
Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV – Achse I: Psychische Störungen (Wittchen
et al., 1997), Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV – Achse II: Persönlichkeitsstörungen (Fydrich et al., 1997), Strukturiertes Inventar für Anorektische und Bulimische Essstörungen (Fichter et al., 1998; Fichter und Quadflieg, 1999), Interview zum Langzeitverlauf der
Anorexia nervosa (Wewetzer, 1990), Morgan-Russel-Skala (Morgan und Hayward, 1988) und
General Outcome Score (Morgan und Russell, 1975; Ratnasuriya et al., 1991), Internationale
Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (WHO, 2005), Eating
Disorder Inventory-2 – Deutsche Version (Paul und Thiel, 2005), World Health Organization
Quality of Life Fragebogen – Kurzversion (WHO, 1998), die Symptom-Checkliste von Derogatis (Franke, 2002), das Inventar zur Erfassung der Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen (Mattejat et al., 1998) und der Fragebogen zur Beurteilung der Behandlung – Beurteilung durch den Patienten (Mattejat und Remschmidt, 1998).
Den Schwerpunkt dieser Nachuntersuchung bildeten die Beurteilung des Langzeitverlaufes bezüglich Essstörungs-Symptomatik, die Entwicklung der Psychopathologie und psychiatrischen Komorbiditäten im Verlauf und zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung und die Untersuchung der Lebensqualität und Funktionsfähigkeit zum Katamnesezeitpunkt.
Von den in diese Studie aufgenommenen 47 Patienten konnten 100 % ausfindig gemacht
werden. Kein Patient war verstorben. Durch ein direktes Interview wurden 74 % der Patienten
nachuntersucht. Dies entspricht nach Hsu einer exzellenten Nachuntersuchungsrate (Hsu,
1987). Die Dauer der Erkrankung bis zum Zeitpunkt der Katamnese betrug im Mittel 8,5 Jahre. In einem Regressionsmodell konnten wichtige Prädiktoren für den Krankheitsverlauf evaluiert werden. Allerdings sollte auf einige Einschränkungen hingewiesen werden:
Bezüglich vorhergehender Therapien handelt es sich um eine heterogene Gruppe. Achtzehn (51 %) Patienten waren bereits anderweitig in kinder- und jugendpsychiatrischer ambulanter oder stationärer Therapie, bevor sie in die Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik
Freiburg aufgenommen wurden. Bei fünf (14 %) Patienten fand ein weiterer, bei zwei (6 %)
Patienten fanden zwei weitere stationäre Aufenthalte in der KJP Freiburg statt. Die Anzahl
Diskussion
77
der stationären Therapien insgesamt war sehr heterogen: Zwölf (34 %) Patienten hatten einen,
9 (26 %) Patienten hatten zwei, 4 (11 %) Patienten hatten drei und 10 (29 %) Patienten hatten
insgesamt vier oder mehr stationäre Behandlungen wegen Magersucht.
Eine weitere Einschränkung besteht darin, dass keine in Alter und Geschlecht entsprechende Vergleichsgruppe ohne Essstörung in der Vorgeschichte gebildet wurde. Für die vergleichende Auswertung der vorliegenden Studie wurden daher Querschnittsdaten anderer Untersuchungen und der Vergleich zu anderen Katamnesestudien verwendet.
Es handelt sich um eine relativ kleine Stichprobe von 35 Patienten. Somit ist nicht immer eine gute statistische Aussagekraft gewährleistet, insbesondere wenn ein Vergleich innerhalb der Stichprobe stattfinden soll. Eine Einordnung und Interpretation ist jedoch durch
die Vergleichbarkeit mit anderen Studien gewährleistet, die zum Teil größere Fallzahlen untersucht haben (z. B. n = 95 bei Strober et al. (1995), n = 68 bei Nilsson et al. (2005) und
n = 51 bei Wentz et al. (2009)).
Als Stärke der vorliegenden Untersuchung lassen sich folgende Punkte benennen: Der
Anteil der Patienten, die nachverfolgt werden konnten, ist mit 100 % ideal. Es lassen sich somit sichere Aussagen über die Mortalität in der Stichprobe treffen. Der Prozentsatz der Patienten, die durch ein direktes Interview nachuntersucht wurden, ist mit 74 % ausreichend hoch.
Er entspricht beispielsweise dem Prozentsatz von 75 % in der Studie von Nilsson et al.
(2005). Höhere Prozentsätze nachuntersuchter Patienten finden sich zum Beispiel bei Halvorsen et al. (2004) mit 85 % oder bei Herpertz-Dahlmann et al. (2001) mit 87 %.
Mit der vorliegenden Stichprobe ist ein statistisch valider Vergleich zu anderen Katamnesen bezüglich des Langzeitergebnisses möglich. Eine Aufteilung in Patienten mit und ohne
eine Essstörung zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung begründet sich zum einen durch die
Hypothesen der vorliegenden Arbeit, zum anderen findet diese Art von Aufteilung und statistischen Untersuchung der Stichproben breite Anwendung in der Literatur (HerpertzDahlmann et al., 2001; Rastam et al., 2003; Halvorsen et al., 2004; Wentz et al., 2009). Mit 12
Patienten, die zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung eine Essstörung hatten, im Vergleich zu
23 Patienten ohne Essstörung, ist das Gruppenverhältnis ausreichend, so dass die Ergebnisse
bezüglich der Unterschiede zwischen beiden Gruppen als repräsentativ betrachtet werden
können (Swinscow und Campbell, 2002).
Diskussion
78
Die in der vorliegenden Arbeit aufgestellten Hypothesen und Fragestellungen lassen sich zusammengefasst folgendermaßen beantworten:
1.
Langzeitergebnis
a. Zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung ist der Prozentsatz an Patienten mit einer
Essstörung nach ICD-10 bzw. DSM-IV signifikant geringer als zum Zeitpunkt
der stationären Aufnahme. – Die These hat sich als richtig erwiesen. Zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung hatten von den 35 Patienten nur noch zwölf
(34 %) eine derzeitige Essstörung (McNemar !2 = 22,0; d.f. = 1; p < ,0001***).
Drei (9 %) Patienten erfüllten die Kriterien für eine Anorexia nervosa, drei für
Bulimia nervosa, fünf (14 %) die Kriterien einer EDNOS und eine weitere Patientin (3 %) hatte eine EDNOS nach ICD-10 bzw. eine BED nach DSM-IV.
b. Bei Patienten mit einer Essstörung zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung besteht eine höhere psychiatrische Komorbidität im Vergleich zu Patienten ohne
eine Essstörung. – Die These hat sich als richtig erwiesen. Der Vergleich der
beiden Gruppen zeigt eine höhere psychiatrische Komorbidität in der Gruppe
„ED“ auf Achse I (psychische Störungen; p = 0,005**) und Achse II (Persönlichkeitsstörungen; p = 0,003**) des DSM-IV.
c. Patienten mit einer Essstörung haben eine geringere Lebensqualität im Vergleich zu Patienten ohne Essstörung zum Untersuchungszeitpunkt. – Die These
hat sich als richtig erwiesen. Zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung bestanden
in der Gruppe „ED“ eine geringere Lebensqualität (WHOQOL-BREF;
p = 0,010**) sowie eine allgemein höhere Beeinträchtigung durch körperliche
und psychische Symptome (SCL-90-R; p < 0,001***).
2.
Prognostische Faktoren
Mithilfe eines Regressionsmodells sollen Faktoren ermittelt werden, die im Rahmen der Therapie erhoben wurden und einen ungünstigen Verlauf der Anorexia
nervosa wahrscheinlicher machen. – Für das in dieser Studie durchgeführte Regressionsmodell zur Identifikation von Prädiktoren eines ungünstigen Langzeitergebnisses wurde der MRS Durchschnittsscore als abhängige Variable definiert. Im
Verlauf konnte ein Modell erstellt werden, das mit dem Vorhandensein des Merkmals „Empfehlung zur Durchführung einer weiterführenden stationären oder teilstationären Therapie“ bzw. dem Nicht-Vorhandensein des Merkmals „Eine mindestens deutliche Besserung der Symptomatik in der abschließenden Gesamtbeurtei-
Diskussion
79
lung des ersten stationären Aufenthaltes“ 36 % der Varianz aufklärte. Eine detaillierte Diskussion des Modells im Kontext anderer Studien findet sich in Abschnitt
4.4 auf Seite 95.
Weiterhin soll die Frage diskutiert werden, ob die Ergebnisse dieser Untersuchung
Hinweise auf Interventionsmöglichkeiten für die Kinder- und Jugendpsychiatrie
bieten, die das Risiko eines chronischen Verlaufs der Anorexia nervosa minimieren. – Diese Fragestellung konnte durch die vorliegende Studie nicht zufriedenstellend geklärt werden. Die prädiktiven Faktoren geben zwar Aufschluss, welche
Merkmale zum Zeitpunkt der Therapie ein schlechtes Langzeitergebnis vorhersagen, doch die identifizierten Faktoren sind Experteneinschätzungen, die sich wiederum aus einer Vielzahl von Beobachtungen und Einschätzungen zusammensetzen. Genaue Kriterien und Definitionen für die zum Entlasszeitpunkt gegebenen
Einschätzungen wären wünschenswert. Allerdings lassen die Daten folgenden
Schluss zu: Wenn sich die Gesamtsituation zum Zeitpunkt der Entlassung aus der
stationären Therapie nicht gebessert hat ist ein schlechtes Langzeitergebnis wahrscheinlicher. Daraus lassen sich zwei mögliche Konsequenzen ableiten: entweder
die stationäre Therapie sollte so lange fortgesetzt werden, bis sich eine Verbesserung der Gesamtsituation einstellt, oder – anders gedacht – es sollte eine Therapieform angewendet oder entwickelt werden, die das primäre Ziel hat, die Gesamtsituation der Patienten zu verbessern. Eine ausführliche Diskussion dieser Ergebnisse
enthält Abschnitt 4.5 auf Seite 97.
3.
Die Ergebnisse in Bezug auf Langzeitergebnis, Psychopathologie und psychiatrischer Komorbidität sollen in einer explorativen Auswertung mit den entsprechenden Werten der Studien von Herpertz-Dahlmann et al. (2001), Rastam et al. (2003),
Nilsson und Hägglöf (2005), Halvorsen und Heyer-dahl (2006) und Wentz et al.
(2009) verglichen auf signifikante Abweichungen hin überprüft werden. – Der
Vergleich zeigt: Zu großen Teilen stimmen die Ergebnisse der vorliegenden Studie
mit denen vergleichbarer klinischer Katamnesen zum Langzeitverlauf der adoleszenten Anorexia nervosa überein. In Bezug auf Mortalität, Langzeitergebnis,
psychiatrischer Komorbidität und spezifischer Psychopathologie bestehen keine signifikanten Unterschiede zu den Ergebnissen anderen Studien. Ein genauer Vergleich erfolgt in Abschnitt 4.1 auf Seite 81.
Diskussion
4.
80
Die Lebensqualität der Patienten zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung soll im
Vergleich zu den Normdaten des WHO Fragebogen zur Lebensqualität (WHO,
1998) und auf Unterschiede überprüft werden. – Das Ergebnis zeigt: Die Lebensqualität ist bei den Patienten der vorliegenden Studie in allen Bereichen geringer
als die der Allgemeinbevölkerung. Signifikante Unterschiede bestehen für die Bereiche „Physisch“ (p < ,0001***), „Psychisch“ (p < ,0001***), „Soziale Beziehungen“ (p < ,0001***) und für den Gesamtwert (p < 0,001***). Der Unterschied auf der
Skala „Umweltfaktoren“ ist nicht signifikant (p = 0,476). Es besteht ein weiterer
Unterschied zwischen den Patienten innerhalb der Studie. Die Patienten, die zum
Zeitpunkt der Nachuntersuchung eine Essstörung hatten, haben im Vergleich zu
den Patienten ohne eine Essstörung eine signifikant geringere psychische und physische Lebensqualität und einen geringeren Globalwert. Im Vergleich der jeweiligen Gruppen („ED“, „keine ED“) zur Normalbevölkerung besteht eine geringere
Ausprägung der Lebensqualität für die Bereiche „Physisch“ („ED“: p < 0,001***;
„keine ED“: p = 0,042*), „Psychisch“ („ED“: p < 0,001***; „keine ED“:
p = 0,004**) und „Soziale Beziehungen“ („ED“: p < 0,001***; „keine ED“:
p = 0,004**) Für den Gesamtwert („ED“: p < 0,001***; „keine ED“: p = 0,230) und
die Umweltfaktoren („ED“: p < 0,027*; „keine ED“: p = 0,827) bestehen lediglich
für die Gruppe „ED“ signifikant geringere Werte im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Eine genauere Betrachtung enthält der Abschnitt 4.2 auf Seite 90.
5. Das psychosoziale Funktionsniveau insgesamt, bestehend aus Funktionsfähigkeit
und Partizipation/Teilhabe im Sinne der ICF, soll bei den Patienten auf einen signifikanten Zusammenhang bezüglich allgemeiner Psychopathologie, EssstörungsPsychopathologie und Lebensqualität hin untersucht werden. – Voraussetzung für
das Ermitteln der Funktionsfähigkeit und Partizipation/Teilhabe im Sinne der ICF
war die Entwicklung eines Core Sets für Anorexia nervosa. Dies konnte im Rahmen
der vorliegenden Arbeit erstmals erfolgreich durchgeführt werden.
Zwischen Essstörungs-spezifischer Psychopathologie und psychosozialem Funktionsniveau im Sinne der ICF ergaben sich für MRS und ICF mit r = -0,84;
(p < ,0001***) und SIAB-EX und ICF mit r = 0,88 (p < ,0001***) in beiden Fällen
sehr hohe Korrelationen. Hohe Korrelationen ergaben sich ebenfalls bezüglich der
allgemeinen Psychopathologie für SCL-90-R und ICF mit r = 0,64; (p < ,0001***)
und im Bezug auf die Lebensqualität für WHOQOL-BREF mit ICF r = 0,69
Diskussion
81
(p < ,0001***). Eine detaillierte Interpretation der Daten der ICF und ein Vergleich
der Gruppen „ED“ und „keine ED“ finden sich in Abschnitt 4.3 auf Seite 92.
4.1
Interpretation der Ergebnisse im Kontext vergleichbarer Studien
Das Ergebnis der vorliegenden Studie bezüglich des Langzeitverlaufs lässt sich in die Resultate vergleichbarer Studien einordnen. Im Mittel 8,5 Jahre nach Krankheitsbeginn hatten noch
34 % der Patienten eine Essstörung. Die Mortalität lag bei 0 %. In der Katamnese von Herpertz-Dahlmann et al. (2001) hatten 7 Jahre nach Therapie 41 % der 39 Patienten eine Essstörung (Diese und alle im Abschnitt 4.1 folgenden Z- und p-Werte beziehen sich auf den Vergleich mit der vorliegenden Studie: Z = 0,38; p = 0,704), 10 Jahre nach Therapie waren es
noch 31 % (Z = 0,03; p = 0,976). Zu beiden Zeitpunkten war keine Mortalität vorhanden. In
der Arbeit von Nilsson et al. (2005) betrug die Mortalität bei 76 Patienten acht Jahre nach
Therapie 1 % (Z = -0,56; p = 0,576). Der Anteil der 76 Patienten mit einer Essstörung lag zu
diesem Zeitpunkt bei 32 % (Z = -0,01; p = 0,993). In der Untersuchung von Wentz et al.
(2009) fanden sich 6 bzw. 10 Jahre nach der Überprüfung einer Jahrgangsstichprobe unter den
51 ehemals diagnostizierten Fällen von Anorexia nervosa noch 39 bzw. 25 % mit einer Essstörung (Z = 0,24; p = 0,810 bzw. Z = 0,66; p = 0,509). Todesfälle gab es in dieser Stichprobe
keine.
Aus den oben genannten Ergebnissen ist ersichtlich, dass der Anteil der Patienten mit einer bleibenden Essstörung über die Zeit abnimmt. Die Prozentzahlen ergeben einen stetigen
Abfall der Prävalenz über die Jahre, der vom Patientenkollektiv unabhängig zu sein scheint.
Die vorliegende Arbeit liefert diesbezüglich ein Ergebnis, das im Vergleich zu den übrigen
Studien keine signifikanten Unterschiede aufweist.
Eine weitere Abnahme des Anteils der Patienten mit einer Essstörung kann in den längeren Katamneseintervallen von Nilsson et al. (2005) bzw. Wentz et. al. (2009) beobachtet werden. Sechzehn (Nilsson) bzw. 18 Jahre später (Wentz) haben noch 14 bzw. 12 % der Patienten
eine Essstörung (Z = 2,16; p = 0,031* bzw. Z = 2,19; p = 0,029*). Die Unterschiede im Vergleich zur vorliegenden 8-Jahres-Katamnese sind signifikant. Eine Nachuntersuchung der Patienten dieser Studie zu einem späteren Zeitpunkt wäre daher wünschenswert und aufschlussreich.
Psychiatrische Komorbidität
Betrachtet man die psychiatrische Komorbidität, so hatten zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung 34 % der Patienten eine psychische Störung (Achse I nach DSM-IV) und 26 % eine
Diskussion
82
Persönlichkeitsstörung (Achse II nach DSM-IV). Unter den Patienten mit einer aktuellen
Achse I-Diagnose gab es 17 % mit einer affektiven Störung und 17 % mit einer Angststörung.
Der Unterschied zwischen den Gruppen „ED“ und „keine ED“ war für alle affektiven Störungen, Substanzmissbrauchs- und -abhängigkeitsstörungen sowie alle Achse I- und Achse IIStörungen signifikant. Eine Häufung der Diagnosen fand sich dabei immer in der Patientengruppe, die zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung eine Essstörung hatte.
Zahlreiche Katamnesen verwendeten ebenfalls das SKID zur Diagnostik von psychischen Störungen und Persönlichkeitsstörungen, darunter Wentz et al. (2009), die in ihrer Studie an 51 Patienten 18 Jahre nach der initialen kinder- und jugendpsychiatrischen Therapie zu
einem ähnlichen Ergebnis kamen. Es wurde bei 39 % der Patienten eine Achse I-Diagnose
festgestellt (Z = 0,244; p = 0,807). Die Anteile der Patienten mit einer affektiven bzw. einer
Angststörung lagen mit 22 bzw. 27 % höher als bei der vorliegenden Studie (Z = 0,296;
p = 0,767 bzw. Z = 0,819; p = 0,413). Signifikant unterschieden sich auch innerhalb der Arbeit von Wentz et al. (2009) die Häufigkeiten in den Gruppen „ED“ und „keine ED“ für alle
affektiven Störungen, Zwangsstörungen und alle Achse I-Störungen. Auch hier kamen alle
genannten Diagnosen in der Patientengruppe mit einer Essstörung zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung häufiger vor.
Eine eingehende Untersuchung derselben Patientengruppe von 51 Individuen auf Persönlichkeitsstörungen fand in der Arbeit von Nilsson et al. (1999) statt. Hier zeigte sich 10
Jahre nach Behandlung bei 29 % aller Patienten eine Persönlichkeitsstörung. Dieses Ergebnis
ist dem der vorliegenden Arbeit (26 %) sehr ähnlich (Z = 0,06; p = 0,952). HerpertzDahlmann et al. (2001) fanden unter den 39 Patienten ihrer 10-Jahres-Katamnese einen Anteil
von 23 % mit einer Persönlichkeitsstörung (Z = 0,03; p = 0,976). Die Untersuchung auf psychische Störungen ergab in der Studie von Herpertz-Dahlmann et al. (2001) einen Anteil von
51 % mit einer aktuellen Achse I-Diagnose (Z = 1,24; p = 0,215), darunter 31 % Angststörungen bzw. 13 % affektive Störungen(Z = 1,13; p = 0,259 bzw. Z = 0,16; p = 0,873). Den höheren Anteil an Patienten mit einer Achse I-Diagnose erklären sich die Autoren dieser Studie
unter anderem durch einen hohen Prozentsatz von 21 % für Angststörungen und Substanzmissbrauch (Herpertz-Dahlmann et al., 2001).
Eine weitere Arbeit untersuchte die psychiatrische Komorbidität von Patienten mit Anorexia nervosa mit Krankheitsbeginn in der Adoleszenz. Halvorsen et al. (2004) fanden heraus,
dass zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung 22 % eine affektive Störung bzw. 25 % eine
Angststörung hatten (Z = 0,30; p = 0,674 bzw. Z = 0,61; p = 0,542). Insgesamt gab es unter
den 51 Patienten 41 % mit einer derzeitigen psychischen Störung (Z = 0,63; p = 0,667). Af-
Diskussion
83
fektive Störungen und Angststörungen kamen innerhalb der Studie bei Patienten mit einer
Essstörung zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung signifikant häufiger vor. Das Katamneseintervall dieser Studie betrug 9 Jahre.
Ein Trend zu höheren Prävalenzen für psychische Störungen findet sich bei Fichter et al.
(2006) in einer auf 12 Jahre angelegten Nachuntersuchung an Patienten mit Anorexia nervosa.
42 % der 103 Patienten hatten eine derzeitige Achse I-Diagnose (Z = 0,64; p = 0,522), darunter waren 29 % mit einer Angststörung bzw. 21 % mit einer affektiven Störung (Z = 1,17;
p = 0,242 bzw. Z = 0,27; p = 0,787). Die Auswahl der Patienten beinhaltete allerdings auch
Individuen, bei denen der Krankheitsbeginn nach der Adoleszenz stattgefunden hatte. Patienten mit Beginn der Anorexia nervosa im Erwachsenenalter haben im Allgemeinen ein
schlechteres Langzeitergebnis bezüglich Komorbidität und Mortalität (Steinhausen, 2002).
Der Zusammenhang zwischen Schwere der Essstörung und psychiatrischer Komorbidität
wurde an einer Gruppe von 277 Patientinnen mit Anorexia oder Bulimia nervosa untersucht
(Spindler und Milos, 2007). Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass ein Zusammenhang
zwischen der Schwere der Essstörungs-Symptomatik und der psychiatrischen Komorbidität
auf beiden Achsen besteht. Weiterhin besteht eine Assoziation zwischen spezifischen Symptomen der Essstörung und spezifische Formen der Komorbidität. (Es gab z.B. einen Zusammenhang zwischen binge-eating/purging-Verhalten und Angststörungen.) Aufgrund der zu
kleinen Fallzahlen konnte diese Hypothese in der vorliegenden Studie allerdings nicht überprüft werden.
Zusammenfassend sind die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit in Bezug auf psychiatrische Komorbidität und Persönlichkeitsstörungen mit den Resultaten entsprechender Studien
vergleichbar. Signifikante Unterschiede zu ähnlichen Studien bestehen nicht. Wie in den meisten Untersuchungen zeigte sich innerhalb der Studie auch hier eine signifikante Häufung der
Diagnosen bei den Patienten, die zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung noch eine Essstörung
hatten. Besonders hervorzuheben sind die Persönlichkeitsstörungen, die bis auf zwei Ausnahmen nur bei Patienten mit einer derzeitigen Essstörung vorkamen.
Eine hohe psychiatrische Komorbidität und das vermehrte Vorkommen von Persönlichkeitsstörungen sind allerdings nicht spezifisch für Patienten mit Anorexia nervosa (Müller et
al., 2001). Die Studie von Müller et al. (2001) verglich die Komorbiditäten von Patienten mit
Anorexia nervosa mit denen einer Gruppe von Individuen mit einer Zwangsstörung und kam
zu dem Ergebnis, dass beide Gruppen eine erhöhte Prävalenz an Angststörungen und Persönlichkeitsstörungen aus dem ängstlich-vermeidenden Formenkreis („Cluster C“) aufwiesen.
Diskussion
84
Essstörungs-spezifische Psychopathologie
Zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung hatten 34 % (n = 12) der Patienten eine Essstörung. Es
handelte sich dabei in 3 (25 %) Fällen um Anorexia nervosa, in weiteren 3 um Bulimia nervosa und in 6 (50 %) Fällen um eine EDNOS. Eine Patientin mit einer EDNOS erfüllte ebenfalls
die Kriterien einer BED nach DSM-IV. Die Vergleichbarkeit zu anderen Studien zum Langzeitverlauf der adoleszenten Anorexia nervosa ist gegeben. Die vorliegende Studie verwendete zur Diagnostik standardisierte und validierte Untersuchungsinstrumente. Nachuntersuchungen mit einem ähnlich langen Katamneseintervall kamen zu vergleichbaren Ergebnissen ohne
signifikante Unterschiede zur den Zahlen der vorliegenden Arbeit.
In der Patientengruppe der Studie von Herpertz-Dahlmann et al. (2001) hatten nach 7
Jahren noch 44 % der Patienten eine Essstörung. Nach 10 Jahren waren es noch 30 %. Auch
die Aufteilung in Patienten mit Anorexia nervosa, Bulimia nervosa und EDNOS ist mit den
Resultaten der vorliegenden Studie vergleichbar.
Nilsson et al. (1999) hatten nach einem Zeitraum von 10 Jahren unter ihren 51 Patienten
noch 27 % mit einer Essstörung, darunter 3 Fälle von Anorexia nervosa. Halvorsen et al.
(2004) fanden nach einem mittleren Katamnesezeitraum von 8 Jahren unter 51 Patienten noch
18 % mit einer Essstörung. Diese Prozentzahl ist im Vergleich zu anderen Studien niedrig.
Allerdings handelt es sich hier um eine heterogenere Patientengruppe, da sich das Katamneseintervall in einem Zeitraum von 4 bis 15 Jahren bewegt. Ein weiterer Grund für das positive
Ergebnis ist vermutlich die Auswahl tendenziell milderer Krankheitsverläufe, da es sich bei
dem Krankenhaus, aus dem die Patienten stammen, nicht um ein spezialisiertes Therapiezentrum für Anorexia nervosa hantelt (Halvorsen et al., 2004).
Insgesamt weichen die in dieser Studie erhobenen Prozentzahlen der Patienten mit einer
Essstörung zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung nicht wesentlich von den Resultaten vorheriger Untersuchungen ab. Eine gute Vergleichbarkeit bietet die Arbeit von HerpertzDahlmann et al. (2001), deren 7- und 10-Jahres-Katamnese genau den Zeitraum der vorliegenden Untersuchung 8 Jahre nach Therapiebeginn umschließt. Die Ergebnisse zeigen den
Anteil der Patienten, die noch eine Essstörung haben, mit 44 % nach 7 Jahren (HerpertzDahlmann), 34 % nach 8 Jahren (vorliegende Arbeit) und 30 % nach 10 Jahren (HerpertzDahlmann).
Für die globale Beurteilung des Langzeitergebnisses bei Anorexia nervosa ist der General
Outcome das am häufigsten eingesetzte Instrument für die Beurteilung des Heilungserfolges
(Steinhausen, 2002). In der vorliegenden Arbeit wurden die modifizierten Kriterien verwendet
Diskussion
85
(Ratnasuriya et al., 1991). Insgesamt hatten 51 % (n = 18) ein gutes, 26 % (n = 9) ein mittleres und 23 % (n = 8) ein schlechtes Outcome. Keiner der Patienten mit einem guten Outcome
hatte eine Essstörung. Eine Essstörung hatten 33 % (n = 3) derer mit einem mittleren Outcome und alle Patienten mit einem schlechten Outcome. Die Verteilung der Häufigkeiten war
signifikant (p < ,0001***).
In der Übersichtsarbeit von Steinhausen (2002) wurden aus zahlreichen Studien 784 Patienten mit adoleszenter Anorexia nervosa zusammengefasst. Das Langzeitergebnis der Studien, deren Katamneseintervall zwischen 4 und 10 Jahren lag, zeigte eine Heilung bei 56 % der
Patienten. Eine Verbesserung des Zustandes fand sich bei 27 %, eine Chronifizierung der Erkrankung bei 17 %. Die Mortalität lag bei 2 %. Diese Zahlen sind gut mit den Ergebnissen der
vorliegenden Arbeit vergleichbar. Auch hier lässt sich bei der Hälfte der Patienten eine Heilung im Sinne eines guten Outcome feststellen. Bei gut einem Viertel hat sich der Zustand
verbessert und bei einem knappen Viertel besteht eine chronische, mehr oder weniger stark
ausgeprägte Essstörung. Die Mortalität der Magersucht mit Krankheitsbeginn in der Adoleszenz ist deutlich geringer als bei Krankheitsbeginn in einem höheren Alter (Steinhausen,
2002). Auch hier sind die Ergebnisse dieser Arbeit repräsentativ. Zahlreiche Untersuchungen
mit einem Katamneseintervall, das deutlich über dem dieser Studie liegt, zeigen bis heute keine Mortalität (Herpertz-Dahlmann et al., 2001; Halvorsen et al., 2004; Wentz et al., 2009).
Ein weiteres Instrument zur Beurteilung des Langzeitverlaufes stellt die Morgan-Russel-Skala
(MRS) dar (Morgan und Hayward, 1988). Die MRS untersucht die spezifische Psychopathologie von Patienten mit Anorexia nervosa. Aus den MRS Subskalen kann ein Durchschnittsscore berechnet werden. Dieser wird – anders als der GOS – linear in einem Zahlenwert von 0
bis 12 beschreiben. (Je höher der Wert, desto besser ist das Langzeitergebnis.)
In der vorliegenden Studie ergab sich ein Durchschnittsscore von 9,5 für alle Patienten
zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung. Die MRS-Werte in den einzelnen GOS-Gruppen
(„gut“, „mittel“ und „schlecht“) unterschieden sich signifikant voneinander. Auch zwischen
den beiden Gruppen „ED“ und „keine ED“ bestand ein systematischer Unterschied der Mittelwerte. Dieses Ergebnis war zu erwarten, da es inhaltlich zwischen den einzelnen Instrumenten bzw. bezüglich der Diagnosekriterien starke Überschneidungen gibt.
Interessant ist auch hier der Vergleich zu ähnlichen Studien. Herpertz-Dahlmann et al.
(2001) ermittelten bei 39 Patienten nach 10 Jahren einen MRS Durchschnittsscore von 9,3 (im
Vergleich zur vorliegenden Arbeit: p = 0,764). Der Verlauf über die Jahre kann anhand der
Studien von Wentz und Gillberg exzellent nachverfolgt werden (Gillberg et al., 1995; Wentz
Diskussion
86
et al., 2001; Wentz et al., 2009). Sechs Jahre nach Krankheitsbeginn betrug der Durchschnittsscore 8,7 (p = 0,156). Nach 10 Jahren lag er bei 9,4 (p = 0,849) und nach 18 Jahren bei
9,7 (p = 0,704).
Insgesamt ist ersichtlich, dass die Patienten der vorliegenden Studie ein geringfügig besseres
Ergebnis erzielt haben als Patienten anderer Studien mit einem vergleichbaren Katamnesezeitraum. Die Ursachen dafür können vielfältig sein. Da die Unterschiede zwischen den Werten
nicht signifikant sind, kann ein Zufall ebenfalls nicht ausgeschlossen werden. Deutlich ist allerdings der Unterschied zu den Ergebnissen der Studie von Fichter et al. (2006). Hier lagen
die Werte für den Durchschnittsscore von 54 Patienten nach einem Zeitintervall von 2 Jahren
bei 5,9 (p < ,0001***), nach 6 Jahren bei 7,7 (p = 0,005**) und nach 12 Jahren nach 7,5
(p = 0,001**). Das signifikant schlechtere Ergebnis – selbst nach einem längeren Katamnesezeitraum – ist höchstwahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass diese Studie auch Teilnehmer mit Beginn der Magersucht im Erwachsenenalter mit einschließt. Diese Gruppe von Patienten hat ein signifikant schlechteres Langzeitergebnis (Steinhausen, 2002).
Anhand des SIAB kann die gesamte Psychopathologie der Essstörungen auf einer Gesamtskala erfasst werden. Die Anwendung ergab für den Zeitraum „letzte 3 Monate“ einen Durchschnittsscore von 0,64 auf der Gesamtskala. Die Untersuchung von Fichter et al. (2006) ermittelte bei 105 Patienten einen mittleren Wert von 0,80 (p = 0,067), was einer deutlichen Tendenz zur stärkeren Ausprägung der Psychopathologie entspricht. Wie oben bereits erwähnt,
handelt es sich bei der Patientengruppe von Fichter et al. um Individuen mit einem schwereren Krankheitsverlauf. Die in derselben Studie vorgestellte Kontrollgruppe von 202 gesunden
Probanden hatte einen Mittelwert von 0,3 auf der Gesamtskala (p < ,0001***).
Der Vergleich zur Erhebung der stärksten Ausprägung früher zeigt eine signifikante
Verbesserung der Gesamtsituation. Die „stärkste Ausprägung früher“ erreicht auf der Gesamtskala einen Wert von 1,62, was einer klinisch bedeutsamen Ausprägung der Symptomatik in allen Bereichen entspricht.
Zusammenfassend spiegelt sich der Verlauf der Symptomatik also in der SIABGesamtskala wider. Das durchschnittliche Ergebnis der Patienten dieser Studie zum Zeitpunkt
der Nachuntersuchung ist signifikant schlechter als das gesunder Kontrollen. Es ist aber besser als das Langzeitergebnis der Studie von Fichter et al. (2006), deren Patientengruppe auch
aus Individuen besteht, bei denen die Anorexia nervosa erst im Erwachsenenalter begonnen
hat. Gegenüber der früheren Situation besteht eine signifikante Verbesserung der Symptomatik (p < ,0001***).
Diskussion
87
Der EDI-2 enthält außer den Subskalen für die Kernsymptomatik der Magersucht (z.B.
Schlankheitsstreben, Bulimie, Unzufriedenheit mit dem Körper) noch weitere Skalen, die eine
weiter gefasste Psychopathologie untersuchen (z.B. Misstrauen, Impulsregulation, soziale
Unsicherheit). Für die Interpretation der Skalenwerte existieren Vergleichspopulationen, anhand derer die erhobenen Werte Perzentilen zugeordnet werden können. Auf der EDI-2Gesamtskala erzielten die Teilnehmer der vorliegenden Studie eine durchschnittliche Punktzahl von 31. Der mittlere Punktwert der Patienten der vorlegenden Studie, die zum Zeitpunkt
der Nachuntersuchung eine Essstörung hatten, liegt bei 41. Dieser Wert entspricht der 70.–75.
Perzentile einer klinischen Vergleichsgruppe von 146 Patienten mit Anorexia nervosa vom
restriktiven Typ (Paul und Thiel, 2005).
Der Vergleich der weiblichen Patienten ohne eine Essstörung zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung zu einer gesunden weiblichen Kontrollgruppe ergibt bei durchschnittlich 26
Punkten einen Platz auf der 30.–35. Perzentile. Dieses Ergebnis ist erstaunlich positiv, wenn
man sich vergegenwärtigt, dass demnach 65–70 % der Individuen, die niemals eine Essstörung hatten, ein gleichwertiges oder schlechteres Ergebnis erzielen im Vergleich zu den Patienten ohne eine Essstörung zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung.
Der Vergleich mit anderen Studien zeigt ein ähnliches Ergebnis. In der Nachuntersuchung von Nilsson et al. (2005) wurde der EDI nach einem Katamneseintervall von 8 und 16
Jahren angewendet. Nach 8 Jahren erreichten die 68 Patienten im Gesamtscore durchschnittlich 31 Punkte (p = 0,968). Nach 16 Jahren waren es 22 Punkte (p = 0,012*). Auch Halvorsen
et al. (2004) verwendeten den Fragebogen in ihrer Nachuntersuchung von 47 Patienten durchschnittlich 9 Jahre nach Behandlungsbeginn. Das mittlere Ergebnis aller Patienten auf der Gesamtskala war 38 (p = 0,131). Der Vergleich zwischen den Gruppen „ED“ und „keine ED“
ergab bei dieser Untersuchung einen Punktwert von 63 für die Patienten, die zum Zeitpunkt
der Nachuntersuchung eine Essstörung hatten. Die Patienten ohne aktuelle Essstörung hatten
im Mittel 31 Punkte auf der Gesamtskala des EDI.
Insgesamt zeigt die vorliegende Studie ähnliche Ergebnisse im Vergleich zu vorhergehenden Nachuntersuchungen mit einem gleich langen Katamnesezeitraum. Das Gesamtergebnis der Patienten mit einer Essstörung in der vorliegenden Studie ist in der Tendenz positiver,
verglichen mit der Nachuntersuchung von Halvorsen et al. Eine der möglichen Ursachen dafür könnte die große Heterogenität bezüglich des Katamnesezeitraums in der Studie von Halvorsen et al. sein.
Diskussion
88
Allgemeine Psychopathologie und körperliche Symptomatik
Die Symptom-Checkliste von Derogatis (SCL-90-R) ist ein Instrument zur Selbstbeurteilung
der allgemeinen Psychopathologie und subjektiv empfundenen körperlichen Symptomatik
(Franke, 2002). In der vorliegenden Studie wurden die Ergebnisse in T-Werte umgerechnet,
die sich an einer nach Geschlecht und Bildungsstand entsprechenden Vergleichspopulation
orientieren (Franke, 1992).
In der vorliegenden Studie lag der SCL-90 Gesamtwert bei 59, was der Entfernung von
fast einer Standardabweichung zur 50. Perzentile der Vergleichspopulation entspricht. Bei
einer normal verteilten Vergleichspopulation entspricht der T-Wert von 59 etwa der 62. Perzentile. Der Wert für die Patienten mit einer Essstörung zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung
liegt bei 70. Das entspricht – die Normalverteilung vorausgesetzt – der 95. Perzentile. Es besteht ein signifikanter Unterschied zu dem mittleren T-Wert der Patienten ohne aktuelle Essstörung. Dieser liegt mit einem Wert von 53 im mittleren Perzentilenbereich der Vergleichspopulation.
Der Vergleich zu der Nachuntersuchung von Nilsson und Hägglöf (2005) zeigt vergleichbare Werte. Acht Jahre nach stationärer Aufnahme haben die 68 Patientinnen der Nachuntersuchung einen mittleren T-Wert von 68 auf der Gesamtskala. Nach einem Katamneseintervall von 16 Jahren liegt der Wert noch bei 49. Zur Bildung der T-Werte wurde eine standardisierte und für Geschlecht und Bildungsstand angepasste Vergleichspopulation (n = 707)
herangezogen.
Der Mittelwert der Punktwerte der SCL-90 Subskalen wird in der Nachuntersuchung
von Fichter et al. (2006) angegeben. Der Wert der Patienten der vorliegenden Untersuchung
war 0,7. Bei Fichter et al. (2006) lagen die Werte bei 49 Patienten zum Zeitpunkt der 6Jahres-Nachuntersuchung bei 1,1 (p = 0,007**) und nach 12 Jahren bei 0,9 (p = 0,197).
Insgesamt zeigt sich bei den Patienten der vorliegenden Studie eine deutlich stärker ausgeprägte Psychopathologie zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung verglichen mit der in Alter
und Bildungsstand entsprechenden Vergleichsstichprobe aus der Publikation von Franke
(1992). Weiterhin liegt bei den Patienten, die aktuell eine Essstörung haben, eine deutlich höhere Belastung vor. Der Vergleich mit der 8-Jahres-Katamnese von Nilsson und Hägglöf zeigt
ähnliche Belastungswerte. Gegenüber der 6-Jahres-Nachuntersuchung von Fichter et al. sind
die Belastungswerte bei den Patienten der vorliegenden Arbeit signifikant geringer.
Diskussion
89
Beurteilung der Behandlung
Die Beurteilung der Behandlung durch die Patienten der vorliegenden Studie anhand des FBB
zeigte signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen „ED“ und „keine ED“. Die Bewertung fällt bei den Patienten mit einer Essstörung zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung
durchweg negativer aus – vor allem was den Erfolg („ED“ 1,6 vs. „keine ED“ 2,5;
p = 0,004**) und die Rahmenbedingungen („ED“ 1,8 vs. „keine ED“ 2,4; p = 0,021*) der Behandlung betrifft. Dieser Unterschied war auch im Gesamtergebnis signifikant („ED“ 1,7 vs.
„keine ED“ 2,5; p = 0,022*).
Betrachtet man die Beurteilung der Behandlung aus Sicht aller Patienten dieser Studie,
so ergab sich einen Gesamtwert von 2,1. Dieses Ergebnis wird anhand einer klinischen Vergleichspopulation (n = 284) von Patienten, die sich ebenfalls in kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung befunden hatten, als „unterdurchschnittlich“ bewertet und liegt zwischen
der 11. und 25. Perzentile (Mattejat und Remschmidt, 1993). Auch die Ergebnisse der Patienten dieser Studie auf den Skalen „Erfolg der Behandlung“ und „Beziehung zum Therapeuten“
lagen anhand der Vergleichspopulation auf der 11. – 25. Perzentile und waren damit „unterdurchschnittlich“ im Vergleich zu den Resultaten der Stichprobe von Mattejat und
Remschmidt (1993).
Ähnliche Werte, ohne einen signifikanten Unterschied zu denen der vorliegenden Arbeit,
lieferte die 20-Jahres-Katamnese der psychiatrischen Klinik „Haus Vogt“ (Fleischhaker et al.,
2008). Hier bewerteten 17 Patienten, die wegen einer Essstörung in stationärer Therapie gewesen waren, die Behandlung mit einem Gesamtwert von 2,4 im Vergleich zu 2,1 bei unserer
Nachuntersuchung (p = 0,215). Annähernd gleiche Werte ergeben sich auch für die Skalen
„Erfolg der Behandlung“ („Haus Vogt“ 2,2 vs. unsere Studie 2,2), „Beziehung zum Therapeuten“(„Haus Vogt“ 2,5 vs. unsere Studie 2,2) und „Rahmenbedingungen der Behandlung“
(„Haus Vogt“ 2,5 vs. unsere Studie 2,2).
Diskussion
4.2
90
Lebensqualität
Die Untersuchung der Lebensqualität stellte einen der zentralen Punkte der vorliegenden Arbeit dar. Die Anwendung des WHOQOL-BREF ergab, dass die Patienten auf der Skala von
0–100 folgende Werte erzielten: „Physisch“ 74, „Psychisch 57, „Soziale Beziehungen“ 63,
„Umwelt“ „69, Globale Einschätzung“ 64.
Die Ergebnisse konnten die Hypothese bestätigen, dass die Lebensqualität der Patienten
zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung geringer war als die der Allgemeinbevölkerung. Besonders deutlich war dies in den Domänen „Psychisch“ und „Soziale Beziehungen“. Signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen „ED“ und „keine ED“ bestanden für die Domänen
„Physisch“ und „Psychisch“ sowie für die globale Einschätzung der Lebensqualität. In allen
Bereichen schnitten die Patienten mit einer Essstörung zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung
schlechter ab.
Andere Studien zur Lebensqualität bestätigen dieses Ergebnis. Die Studie von Mond et
al. (2005) untersuchte beispielsweise 87 Patienten mit einer Essstörung, die sich in teilstationärer Behandlung befanden, und verglich sie mit einer normalen Kontrollgruppe (n = 495).
Das Ergebnis zeigte eine deutliche Beeinträchtigung der Lebensqualität, vor allem in den Bereichen „Psychisch“ und „Soziale Beziehungen“. Im Unterschied zur vorliegenden Arbeit
handelte es sich hier ausschließlich um Patienten, die aktuell eine Essstörung hatten.
Einen interessanten Vergleich bietet die Katamnese „Haus Vogt“, in der unter anderem
17 Patienten 20 Jahre nach der stationären Behandlung einer Essstörung nachuntersucht wurden (Fleischhaker et al., 2008). Die Patienten des „Haus Vogt“ zeigen in allen Bereichen
(„Physisch“, „Psychisch“, „Soziale Beziehungen“, „Umwelt“ und „Global“) ein besseres Ergebnis im Vergleich zu den Teilnehmern der vorliegenden Studie. Der Unterschied ist zum
Teil allerdings nur geringfügig. Die wichtigste Erklärung für die höhere Lebensqualität der
Stichprobe „Haus Vogt“ dürfte das längere Katamneseintervall sein. Andere Studien bestätigen, dass ein längeres Zurückliegen der Erkrankung mit einer verbesserten Lebensqualität
einhergeht (de la Rie et al., 2007).
In den letzten Jahren gab es zahlreiche Ansätze für die Entwicklung spezifischer Instrumente zur Erhebung der Lebensqualität bei Patienten mit einer Essstörung (Abraham et al.,
2006; Engel et al., 2006; Adair et al., 2007). Ein entscheidendes Argument, das für die Entwicklung eines neuen Instruments spricht, ist die charakteristische Psychopathologie der Essstörungen (Bohn et al., 2008). Allerdings liegt ein Vorteil bei der Anwendung eines allgemeingültigen Instruments, wie des WHOQOL-BREF, in der Vergleichbarkeit.
Diskussion
91
Einige Autoren sind der Ansicht, dass die Entwicklung eines Instruments für Patienten
mit Essstörungen, das sich auf die Erfassung der Lebensqualität beschränkt, nicht ausreichend
ist, um das gesamte Ausmaß der Beeinträchtigung durch die Krankheit zu erfassen. Das Ziel
der Arbeitsgruppe um Fairburn war es daher, sowohl die „Kernpunkte der Psychopathologie“
(Fairburn, 2008) als auch die gesamte sekundäre Beeinträchtigung durch die Erkrankung in
einem Fragebogen zur Selbstbeurteilung zu vereinigen (Bohn et al., 2008). Der Fragebogen
enthält 16 Items auf den drei Subskalen „Persönliche Beeinträchtigung“, „Soziale Beeinträchtigung“ und „Kognitive Beeinträchtigung“.
Allerdings ist es auch durch dieses Instrument schwierig, einen Vergleich zu anderen Patientengruppen zu ziehen. Das Fehlen von externalen Faktoren (z.B. Umweltfaktoren), die
Patienten ebenfalls in ihrer Lebensqualität und Funktionsfähigkeit beeinträchtigen können, ist
ein weiterer Schwachpunkt. Möglich werden sowohl die Vergleichbarkeit als auch das Einbeziehen von Umweltfaktoren durch die Anwendung der Internationalen Klassifikation der
Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (WHO, 2005). Die Autoren der vorliegenden Arbeit haben daher, wie bereits vorgeschlagen (Bölte, 2009), die Anwendung der ICF bei
Patienten mit adoleszenter Anorexia nervosa verwirklicht. Die Diskussion der Ergebnisse
hierzu findet sich im Abschnitt 4.3.
Der ILK war ein weiteres Instrument, das dazu beitrug, die Lebensqualität der Patienten einzuschätzen. Auf den verwendeten Skalen ergaben sich folgende Prozentwerte: „Körperliche
Gesundheit“ 60 %, „Seelischer Zustand“ 65 %, „Alleine“ 59 % und „Andere Jugendliche“
69 %. Der Unterschied zwischen den Gruppen „ED“ und „keine ED“ war auf den Skalen
„Körperliche Gesundheit“ und „Alleine“ signifikant im Sinne eines niedrigeren Prozentwertes
in der Gruppe „ED“.
Da in der Vorliegenden Arbeit nicht die globalen Einschätzungen des ILK, sondern die
dichotomen Fragen des Anhangs verwendet wurden, liegen derzeit keine Studien zum Vergleich der erhobenen Daten vor.
Diskussion
4.3
92
Funktionsfähigkeit, Partizipation/Teilhabe und Umweltfaktoren
Eines der zentralen Anliegen der vorliegenden Arbeit war die Anwendung der ICF, um die
Funktionsfähigkeit, Partizipation/Teilhabe und die Umweltfaktoren der Patienten zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung zu erheben und in einer einheitlichen Sprache zu quantifizieren
und vergleichbar zu machen. Da die ICF knapp 1500 Items enthält, war es nötig, eine sinnvolle Auswahl der Items zu treffen, die für die vorliegende Fragestellung am relevantesten sind.
Die Entwicklung eines Core Sets anhand der Vorgaben der Arbeitsgruppe um Cieza und
Stucki wurde in modifizierter Form als Leitlinie verwendet (Cieza et al., 2004; Weigl et al.,
2004). Das Ergebnis des mehrstufigen Prozesses war ein kurzes Core Set für Anorexia nervosa, das 31 Items enthält. Diese sind über die Hauptkomponenten „Körperfunktionen“ (19),
„Aktivitäten und Partizipation/Teilhabe“ (6) und „Umweltfaktoren“ (6) verteilt. Die ersten 3
der 4 Durchschnittsscores „Mentale Funktionen“, „Anorexia nervosa-spezifische Funktionen“
und „Aktivitäten und Partizipation“ lassen sich zu einem Gesamtscore addieren. Der vierte
Bereich „Umweltfaktoren“ muss aufgrund der anderen Kodierung getrennt beurteilt werden.
Die Anwendung des kurzen Core Sets ergab die Score-Werte „Mentale Funktionen“ 1,0,
„Anorexia nervosa-spezifische Funktionen“ 1,2 und „Aktivitäten und Partizipation/Teilhabe“
0,7. Ein Wert von 1 entspricht einem leicht ausgeprägten Problem. Im Durchschnitt bestanden
zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung also leicht ausgeprägte Beeinträchtigungen in den Bereichen „Mentale Funktionen“ und „Anorexia nervosa-spezifische Funktionen“. Geringer
ausgeprägt waren die Probleme im Bereich der Aktivitäten und Partizipation/Teilhabe. Die
Umweltfaktoren stellten bei den Patienten mit einem mittleren Wert von 1,8 einen mäßig ausgeprägten Förderfaktor dar.
Der Vergleich der Mittelwerte der einzelnen Items in einer Rangliste gab Aufschluss
darüber, in welchen Bereichen die größte und in welchen die geringste Beeinträchtigung bestand. Die Probleme waren am meisten ausgeprägt in den Bereichen Körperschema (1,3),
Selbstvertrauen (1,3), Emotionale Funktionen (1,2), Sexuelle Funktionen (1,2) und Menstruationsfunktionen (1,1). Die geringsten Probleme bestanden dabei, die tägliche Routine durchzuführen (0,2), in den Bereichen Gewissenhaftigkeit (0,3), Zuverlässigkeit (0,3) und in den
Familienbeziehungen (0,7). Der größte Förderfaktor bei den Umweltfaktoren war der engste
Familienkreis (2,8). Der geringste Förderfaktor waren gleichzeitig die individuellen Einstellungen des engsten Familienkreises (0,4).
Das kurze Core Set zeigte hohe bis sehr hohe Korrelationen zu anderen Untersuchungsinstrumenten, die bei der Katamnese verwendet wurden. Dieses Ergebnis war zu erwarten bei
Diskussion
93
den Instrumenten SIAB-EX, MRS und EDI-2, da auch sie die Psychopathologie der Essstörungen messen und in Bezug auf den Inhalt ein hohes Maß an Redundanz aufweisen. Eine
hohe Korrelation fand sich aber auch für die Ergebnisse des WHOQOL-BREF und der SCL90-R. Es kann also davon ausgegangen werden, dass eine durchschnittlich höhere Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit, Aktivität und Partizipation/Teilhabe mit einer geringeren Lebensqualität und einem erhöhten Maß an allgemeiner Psychopathologie einhergeht.
Diese Hypothese kann durch weitere Studien gefestigt werden. Bohn et al. (2008) sind
der Auffassung, dass durch die „Kernpunkte der Psychopathologie“ (Fairburn, 2008) bei Anorexia nervosa die gesundheitsbezogene Lebensqualität abnimmt, das tägliche Funktionsniveau
vermindert ist und die Familienbeziehungen ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen werden. In
einer qualitativen und quantitativen Untersuchung von 11 Patienten mit einem schweren
chronischen Verlauf der Magersucht konnte gezeigt werden, dass sowohl die Lebensqualität
als auch die Fähigkeit zur Bewältigung des Alltags schwer beeinträchtigt sind (Arkell und
Robinson, 2008).
Den Zusammenhang zwischen Lebensqualität und Funktionsniveau stellt die Arbeit von
Cieza und Stucki (2005) her, in der 6 Instrumente zur Untersuchung der Lebensqualität mit
den Items der ICF verknüpft wurden. Die Autoren sind der Ansicht, dass die Verknüpfung mit
der ICF dazu dienen kann, unterschiedliche Instrumente zur Untersuchung der Lebensqualität
miteinander zu vergleichen. Einen Vorteil der ICF sehen Cieza und Stucki darin, dass sie kontextuelle Faktoren und Umweltfaktoren (z.B. die individuellen Einstellungen der Familienmitglieder) enthält, die in den 6 ausgewählten Instrumenten nicht ausreichend vertreten sind.
Die Arbeiten von Eisler und Lock zeigen, dass bei der adoleszenten Anorexia nervosa
Einstellungen der Familie, insbesondere der Mutter, ein wichtiger prognostischer Faktor für
den Heilungserfolg sind (Lock et al., 2006; Eisler et al., 2007).
Aus Sicht der vorliegenden Arbeit wäre die Anwendung der ICF im Bereich der Interventions- und Verlaufsforschung der adoleszenten Anorexia nervosa empfehlenswert. Sie
dient zum einen der Quantifizierung der Funktionsfähigkeit, Aktivität und Partizipation/Teilhabe über den Bereich der spezifischen Psychopathologie hinaus. Sie ermöglicht die
Evaluation von Umweltfaktoren, die ebenfalls für den Heilungserfolg relevant sind. Die ICF
ermöglicht ein ressourcenorientiertes Vorgehen in den Bereichen Therapie und Rehabilitation.
Für einige Krankheitsbilder des psychiatrischen Spektrums existieren bereits Core Sets
(Cieza et al., 2004; Vieta et al., 2007). Im Bereich der Psychiatrischen Rehabilitation wird die
ICF als „Systematik zur patientenzentrierten Problemanalyse“ (Grundmann) verwendet und
dient auch hier – unter anderem durch eine einheitliche Sprachregelung – der Verbesserung
Diskussion
94
der Therapie (Grundmann et al., 2005). Die Relevanz der ICF für die Kinder- und Jugendpsychiatrie wurde in einem kürzlich erschienenen Editorial verdeutlicht (Bölte, 2009). Die
Nutzungsoptionen finden sich insbesondere im Rahmen der Status- und Prozessdiagnostik
sowie der Interventions- und Verlaufsforschung.
Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit bestätigen diese These und bestärken die Befürworter der Auffassung, dass die Anwendung der ICF bei Patienten mit adoleszenter Anorexia nervosa eine ergänzende Möglichkeit zur Diagnostik, Qualitätssicherung und Verbesserung der Therapie bietet.
Diskussion
4.4
95
Prädiktoren für einen chronischen Verlauf
Das Regressionsmodell der vorliegenden Arbeit hatte das Ziel, Prädiktoren für den Langzeitverlauf der Anorexia nervosa zu identifizieren. Als unabhängige Variable kamen daher ausschließlich Faktoren in Betracht, die vor dem Zeitpunkt der Nachuntersuchung erhoben wurden. Eine Aufzählung der untersuchten Faktoren findet sich in Abschnitt 3.4 auf Seite 73. Als
abhängige Variable wurde der Durchschnittsscore der Morgan-Russel-Skala festgelegt.
Das Ergebnis des mehrstufigen Prozesses war ein Modell, das mit 2 unabhängigen Variablen 36 % der Varianz aufklären konnte. Es handelte sich um das Vorhandensein des dichotomen Merkmals „Empfehlung zur Durchführung einer (weiterführenden) stationären oder
teilstationären Therapie“ zum Zeitpunkt der Entlassung bzw. um das Nicht-Vorhandensein
des dichotomen Merkmals „Eine mindestens deutliche Besserung der Symptomatik in der
abschließenden Gesamtbeurteilung“. Diese Einschätzungen waren für alle (n = 35) Patienten
durch den behandelnden Arzt zum Zeitpunkt der Entlassung aus der KJP erhoben und dokumentiert worden.
Das Modell liefert eine zufriedenstellende Varianzaufklärung und ist diesbezüglich mit
den Analysen vorhergehender Studien vergleichbar. Die Nachuntersuchung von Wentz et al.
(2009) lieferte ein Modell, das mit den Faktoren „prämorbide zwanghafte Persönlichkeitsstörung“ und „Vorhandensein einer Störung aus dem autistischen Spektrum vor Beginn der Anorexia nervosa“ 26 % der Varianz des MRS Durchschnittsscores aufklären konnte.
Eine Aufklärung von 45 % der Varianz erreichten Fichter et al. (2006) mit einer größeren Anzahl an Patienten (n = 103). Das endgültige Modell enthielt die 4 Prädiktoren „Hohes
Ausmaß sexueller Probleme“, „Impulsivität“, „Lange Dauer der stationären IndexBehandlung“ und „Langes Fortbestehen der Essstörung“. In ihrer Analyse sehen die Autoren
vor allem unterschiedliche sexuelle Probleme als stärksten Prädiktor für das Risiko, ein
schlechtes Outcome zu haben.
Eine schwedische Registerstudie suchte anhand der Daten von 748 weiblichen Patienten
mit Anorexia nervosa nach prognostischen Faktoren für dauerhafte psychiatrische Probleme
und finanzielle Abhängigkeit von der Solidargemeinschaft (Hjern et al., 2006). Die Analyse
ergab, dass die wichtigsten Risikofaktoren eine lange Dauer stationärer Behandlungen (> 180
Tage) und eine persistierende psychiatrische Komorbidität waren. Das relative Risiko für ein
schlechtes Langzeitergebnis bzw. finanzielle Abhängigkeit lag bei Patienten mit einem langen
stationären Behandlungszeitraum (> 180 Tage) bei 2,5 bzw. 4,6 gegenüber Patienten mit einem kurzen stationären Behandlungszeitraum (0–28 Tage).
Diskussion
96
Die Studie von Nilsson et al. (2005) konnte bei der Nachuntersuchung von 69 Patienten
keinen eindeutigen Prädiktor für ein schlechtes Langzeitergebnis identifizieren. Die Faktoren
„Somatische Probleme“ und „Pädiatrisch-stationäre Vorbehandlung“ verfehlten in der multivariaten Analyse nur knapp das Signifikanzniveau.
Mit der Frage, welche Faktoren einen Rückfall bei Patienten mit Essstörungen vorhersagen, beschäftigt sich eine weitere Studie (Keel et al., 2005). Über den Zeitraum von 9 Jahren
wurden 136 Patientinnen alle zwei Jahre interviewt. Das multivariate Modell enthält die unabhängigen Variablen „Psychosoziales Funktionsniveau“, „Körperschemastörung“ und
„Angst vor Gewichtszunahme“.
Aus den oben beschriebenen Studien ist ersichtlich, dass bereits eine kaum überschaubare Anzahl an prädiktiven Faktoren für einen negativen Langzeitverlauf oder die erhöhte
Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls identifiziert wurde. Die Prädiktoren der vorliegenden Arbeit zeigen statistisch gesehen eine zufriedenstellende Varianzaufklärung. Allerdings handelt
es sich dabei um sehr spezifische Variablen, die in einer anderen Arbeit kaum reproduzierbar
sein werden, es sei denn, auch in anderen Studien wurden ähnliche Einschätzungen zum Zeitpunkt der Entlassung vorgenommen. Aus Sicht der Autoren wären prädiktive Faktoren wünschenswert, die leichter zu objektivieren sind (z.B. eine Diagnose oder eine bestimmtes
Merkmal) als eine globale Einschätzung.
Ein weiterer Anhaltspunkt, der in einer Studie zu einem späteren Zeitpunkt überprüft
werden sollte, ist, ob sich die zum Zeitpunkt der vorliegenden Nachuntersuchung diagnostizierten Persönlichkeitsstörungen als Prädiktor für ein schlechtes Outcome erweisen. Es gibt
mehrere Studien, die eine Persönlichkeitsstörung als negativen Prädiktor bestätigen (van der
Ham et al., 1998; Godt, 2008). Es wäre sinnvoll, diese Hypothese in einer Nachuntersuchung
zu einem späteren Zeitpunkt zu überprüfen.
Diskussion
4.5
97
Therapeutische Konsequenzen
In Anbetracht der klinischen Ausrichtung dieser Arbeit stellt sich die Frage, welche therapeutischen Konsequenzen aus den Ergebnissen gezogen werden können. Zunächst lassen sich die
Ergebnisse der Studie in den meisten Punkten in die Resultate ähnlicher Arbeiten einreihen.
Morbidität, Mortalität, Langzeitverlauf, psychiatrische Komorbidität, Lebensqualität und psychosoziales Funktionsniveau der Patienten entsprechen den Werten vergleichbarer
Nachuntersuchungen (Strober et al., 1997; Herpertz-Dahlmann et al., 2001; Halvorsen et al.,
2004; Nilsson und Hägglöf, 2005; Wentz et al., 2009). Die Vergleichbarkeit der Studien ist
zum einen durch die Art der Patienten und die Katamnesedauer gegeben, zum anderen
wurden dieselben Kriterien in der Diagnostik verwendet (ICD-10 und DSM-IV sowie
zahlreiche standardisierte Untersuchungsinstrumente).
Einen neuen Ansatz in dieser Studie bietet die Entwicklung und erstmalige Anwendung
eines Core Sets für Anorexia nervosa anhand der ICF. Aus den Ergebnissen können für die
Therapie und Rehabilitation von Patienten mit Anorexia nervosa wichtige Schlussfolgerungen
gezogen werden.
Die Ergebnisse der ICF im Bereich Familienbeziehungen zeigen, dass zum Zeitpunkt der
Nachuntersuchung nur eine geringe Beeinträchtigung des familiären Umfeldes besteht. Die
Familienbeziehungen haben im Durchschnitt einen Wert von 0,66, was einem weniger als
leicht ausgeprägten Problem entspricht. Keiner der Patienten sieht seine Familienbeziehungen
„erheblich“ oder „vollständig“ beeinträchtigt (3–4). Gestaffelt nach der durchschnittlichen
Ausprägung der Probleme belegen die Familienbeziehungen Rang 21 unter den 25 Items. Das
bedeutet, dass es 20 andere Bereiche gibt, die vom kurzen ICF Core Set erfasst werden, bei
denen die Ausprägung der Probleme größer ist.
Bei der Untersuchung der Umweltfaktoren sehen die Patienten die größte Unterstützung
durch den engsten Familienkreis gegeben. Auf der anderen Seite sind die individuellen Einstellungen des engsten Familienkreises das, wodurch sie sich am wenigsten unterstützt fühlen.
Die Ergebnisse randomisierter kontrollierter Studien zeigen, dass die Familientherapie
vor allem bei adoleszenter Anorexia nervosa eine zentrale Therapieform darstellt (Lock et al.,
2006; Eisler et al., 2007; le Grange et al., 2010). Patienten, die gut auf die Familientherapie
ansprechen, haben insgesamt eine hohe Chance auf dauerhafte Heilung (Eisler et al., 2007).
Die Studie von Eisler et al. zeigt auch, dass ein kritisches Familienumfeld (insbesondere eine
kritische Mutter) ein signifikanter Prädiktor für ein schlechtes Langzeitergebnis darstellt.
Diskussion
98
Diese Ergebnisse machen deutlich, dass die Familie eine der wichtigsten Ressourcen
darstellt, wenn es um den Heilungsprozess der adoleszenten Magersucht geht. Daher sollte bei
der Erarbeitung von künftigen Therapiekonzepten ein Schwerpunkt auf dem Einbeziehen der
Familie liegen, um sich diesen wichtigen Einflussfaktor auf den Krankheitsverlauf zunutze zu
machen.
Die vier Bereiche, in denen für die Patienten dieser Studie zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung die größten Probleme bestehen, sind laut der ICF Körperschema, Selbstvertrauen,
Emotionen und Sexualität. Die Probleme bei jedem einzelnen dieser Faktoren korrelieren mittel bis sehr hoch mit einer geringen Lebensqualität der Patienten. Am stärksten ist der Zusammenhang für das Selbstvertrauen mit r = -0,84 (p < ,0001***).
Zum gleichen Ergebnis kam eine Studie, die den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit, Selbstbewusstsein und Lebenszufriedenheit bei 44 Patienten mit Anorexia nervosa 9 Jahre nach Therapiebeginn untersuchte (Halvorsen und Heyerdahl, 2006). Der deutlichste Zusammenhang war auch hier der zwischen Lebenszufriedenheit und Selbstbewusstsein.
Für die Therapie bedeutet das, dass es eines der Hauptanliegen sein sollte, im Verlauf
der Behandlung das Selbstvertrauen der Patienten zu stärken. Noch viele Jahre nach dem
Krankheitsbeginn ist eine Beeinträchtigung des Selbstvertrauens an ihren Auswirkungen auf
andere Lebensbereiche zu erkennen. Die Kausalität der Auswirkung auf die Lebensqualität
kann mit der vorliegenden Studie zwar nicht nachgewiesen werden, allerdings lässt der starke
Zusammenhang ein derartiges Ergebnis vermuten. Zur Bestätigung dieser These wären weitere Untersuchungen wünschenswert.
Die Betrachtung der beiden Gruppen „ED“ und „keine ED“ zeigt in Bezug auf die Ergebnisse
der ICF deutliche Unterschiede. Patienten mit einer Essstörung zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung hatten die größten Probleme in den drei Bereichen Köperschema, Körpergewicht,
Selbstvertrauen. An vierter Stelle standen im gleichen Ausmaß die Gebiete Emotionen,
Schlaf, psychische Stabilität und Impulskontrolle. Die Liste macht deutlich, dass bei diesen
Patienten nach wie vor die Aufrechterhaltung eines normalen Körpergewichts ein Problem
darstellt. Weiterhin ist die Wahrnehmung des Körperschemas gestört, das Selbstvertrauen ist
deutlich beeinträchtigt.
Der Vergleich der Item-Mittelwerte mit der Gruppe „keine ED“ verdeutlicht ebenfalls
die Problematik auf diesem Gebiet. Die Bereiche, in denen der größte Unterschied zwischen
den Mittelwerten beider Gruppen besteht, sind Körperschema, Aufrechterhaltung des Körper-
Diskussion
99
gewichts, Impulskontrolle (hier meistens bezogen auf Essanfälle) und das Handhaben von
Ernährung und Fitness (das Durchführen einer rigiden Diät wurde hier ebenso kodiert wie
exzessive körperliche Bewegung im Sinne einer der Gewichtszunahme entgegensteuernden
Maßnahme).
Betrachtet man die Bereiche, in denen die Patienten ohne Essstörung zum Zeitpunkt der
Nachuntersuchung die größten Schwierigkeiten haben, zeichnet sich das im Vordergrund Stehen einer eher psychischen Problematik ab. Es sind die Gebiete Sexualität, Selbstvertrauen,
Emotionen und die Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen, in denen die Patienten am meisten beeinträchtigt sind.
Aus diesen Ergebnissen lässt sich für die Therapie ableiten, dass im Laufe des Heilungsprozesses bei Anorexia nervosa unterschiedliche Problembereiche im Vordergrund stehen.
Eine regelmäßige Re-Evaluation der Therapieziele wäre daher wünschenswert. In einem Editorial über die Anwendung der ICF auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie schlägt
Bölte eine Anwendung „besonders im Rahmen der Status- und Prozessdiagnostik“ vor (Bölte,
2009). Die Resultate dieser Arbeit unterstützen diese Forderung und machen deutlich, dass
der Einsatz der ICF einen wichtigen Beitrag bei der Verbesserung der Therapie leisten kann.
Zahlreiche Arbeiten haben sich mit der Eruierung prädiktiver Faktoren beschäftigt. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse findet sich im Abschnitt 4.4 auf Seite 95. In der vorliegenden
Nachuntersuchung konnten in einem Regressionsmodell 2 Prädiktoren identifiziert werden,
die ein schlechtes Langzeitergebnis – definiert durch einen niedrigen MRS Durchschnittsscore – wahrscheinlicher machten. Das Vorhandensein des Merkmals „Empfehlung zur Durchführung einer stationären oder teilstationären Therapie“ und das Nicht-Vorhandensein des
Merkmals „Eine mindestens deutliche Besserung der Gesamtsituation“ zum Zeitpunkt der
Entlassung aus der KJP klärten insgesamt 36 % der Varianz auf. Dieses Ergebnis ist in Bezug
auf seine Varianzaufklärung zufriedenstellend. Die identifizierten Variablen wiesen jedoch
den Schwachpunkt auf, dass es sich um globale Einschätzungen handelt, die nur schwer reproduzierbar sind.
Das alternative Regressionsmodell, das sich mit den Daten der vorliegenden Arbeit berechnen
ließ, war ein logistisches Regressionsmodell, das als abhängige Variable das binäre Merkmal
Essstörung bzw. keine Essstörung zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung hatte. Mit der Unterscheidung „Beendigung der stationären Therapie in der KJP im ärztlichen Einvernehmen“
bzw. „Beendigung der Therapie gegen ärztlichen Rat“ konnte ein Modell generiert werden,
Diskussion
100
das in 74,3 % der Fälle die Diagnose einer Essstörung korrekt vorhersagen konnte. Dieses
Ergebnis legt nahe, dass ein Therapieabbruch in der Vergangenheit das Vorliegen einer Essstörung zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung wahrscheinlicher macht.
Für die Therapie bedeutet dieses Ergebnis, dass ein Therapieabbruch dann vermieden
werden sollte, wenn sich eine andere Perspektive für die Weiterbehandlung bietet. Ein wichtiger Faktor für die reguläre Beendigung der Therapie ist die Motivation der Patienten in Bezug
auf den eigenen Entwicklungsprozess (Vitousek et al., 1998). Gleichzeitig besteht ein Zusammenhang zwischen steigender Motivation zur Therapie und Verbesserung der essstörungs-spezifischen Psychopathologie. Dies konnte bei der Untersuchung von 47 Patienten mit
Anorexia nervosa gezeigt werden (Wade et al., 2009). Künftige Therapiekonzepte sollten daher die Motivation zur Behandlung und die „Motivation zur Veränderung“ (Vitousek) als eigenständiges Therapieziel definieren.
Ein vielversprechendes Ergebnis lassen die Daten dieser Studie für den Zusammenhang zwischen dem Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung bzw. einem hohen Ausmaß an psychiatrischer Komorbidität und einem schlechten Langzeitergebnis erwarten. Zahlreiche Studien
konnten diesen Zusammenhang bereits bestätigen (Gillberg et al., 1995; Rastam et al., 1995;
Nilsson et al., 1999; Herpertz-Dahlmann et al., 2001; Wentz et al., 2009).
Da diese Informationen jedoch alle zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung erhoben wurden, ist eine Auswertung in einem Prädiktorenmodell aus testtheoretischen Gründen derzeit
nicht möglich. Eine Überprüfung der Hypothesen im Rahmen weiterer Nachuntersuchungen
wäre daher sinnvoll.
5
Zusammenfassung
Die vorliegende Studie ist eine katamnestische Nachuntersuchung zum Langzeitverlauf der adoleszenten Anorexia nervosa. Gegenstand der Nachuntersuchung waren 47 Patienten (96 % weiblich) der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Freiburg, die in einem Zeitraum von vier Jahren (20.10.1997–19.10.2001) mit der Diagnose einer Anorexia nervosa nach
ICD-10 zur stationären Therapie konsekutiv aufgenommen wurden.
Das Alter der Patienten bei Krankheitsbeginn betrug 14,0 Jahre, das Alter bei stationärer
Aufnahme in die KJP Freiburg lag bei 15,3 Jahre. Der durchschnittliche BMI bei Aufnahme betrug 14,8. Die mittlere BMI-Perzentile bei Aufnahme lag bei 1,6. Die stationäre Behandlung dauerte durchschnittlich 4,5 Monate. Zum Zeitpunkt der Entlassung nach der stationären Behandlung
lag der BMI im Mittel bei 17,7. Die mittlere BMI-Perzentile bei Entlassung betrug 15,8. Im Rahmen der Katamnese konnte zu allen 47 Patienten Kontakt aufgenommen werden. Kein Patient war
verstorben. Zur Teilnahme am Interview waren 35 (74 %) Patienten bereit. Der Vergleich zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern ergab keine signifikanten Unterschiede.
Zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung lag bei 12 (34 %) Patienten die Diagnose einer Essstörung vor: 3 (9 %) Anorexia nervosa, 3 Bulimia nervosa, 6 (17 %) EDNOS. Der mittlere BMI
der Patienten lag bei 21,2. Die mittlere BMI-Perzentile zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung betrug 35,0. Nach den Kriterien des General Outcome Scores (Morgan und Russell, 1975;
Ratnasuriya et al., 1991) hatten 18 (51 %) Patienten ein gutes, 9 (26 %) ein mittleres und 8 (23 %)
ein schlechtes Outcome. Der Durchschnittsscore der Morgan-Russel-Skala (Morgan und
Hayward, 1988) betrug 9,5. Insgesamt hatten 12 (34 %) Patienten eine derzeitige psychische Störung (Essstörungen nicht enthalten) und 9 (26 %) hatten eine Persönlichkeitsstörung. Patienten
mit einer Essstörung waren signifikant häufiger betroffen. Die Patienten hatten im Vergleich zur
Allgemeinbevölkerung eine signifikant geringere Lebensqualität. Die allgemeine Psychopathologie war bei Patienten mit einer Essstörung stärker ausgeprägt.
Die Erstellung und Anwendung eines ICF Core Sets für Patienten mit Anorexia nervosa
wurde im Rahmen dieser Arbeit erstmals durchgeführt. Die Anwendung ergab, dass die Patienten
die größten Probleme in den Bereichen Körperschema, Selbstvertrauen, emotionale Funktionen
und sexuelle Funktionen hatten. Ein Regressionsmodell konnte die Einschätzungen „Empfehlung
zur Durchführung einer weiteren stationären oder teilstationären Therapie“ (negativer Prädiktor)
und „eine mindestens deutliche Besserung der Symptomatik“ (positiver Prädiktor) zum Zeitpunkt
der Entlassung als Prädiktoren für ein schlechtes Langzeitergebnis (definiert als geringer MRSWert) identifizieren. Die Aufklärung der Varianz lag bei 36 %.
Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit lassen sich in die Resultate vergleichbarer Studien
einreihen (Herpertz-Dahlmann et al., 2001; Wentz et al., 2009). Es wird deutlich, dass die Anwendung der ICF eine sinnvolle Ergänzung im Bezug auf Therapie und Rehabilitation der adoleszenten Anorexia nervosa darstellt. Die Ergebnisse machen deutlich, dass auf das Einbeziehen der
Familie in den therapeutischen Prozess großen Wert gelegt werden sollte.
6
Abkürzungsverzeichnis
AN
Anorexia nervosa
ANOVA
Analysis of variance
APA
American Psychiatric Association
BED
Binge-eating disorder
BMI
Body Mass Index
BN
Bulimia nervosa
DGKJPP
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
DIMDI
Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information
DSM
Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders
ED
Eating disorder
EDI
Eating Disorder Inventory
EDNET
Eating Disorders Diagnostic and Treatment Network
EDNOS
Eating disorder not otherwise specified
EEA
Ersterkrankungsalter
FBB
Fragebogen zur Beurteilung der Behandlung
GOS
General Outcome Scale
ICD
International Classification of Diseases
ICF
International Classification of Functioning, Disability and Health
ILK
Inventar zur Erfassung der Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen
KJP
Kinder- und Jugenpsychiatrie
MeSH
Medical Subject Headings
MRS
Morgan-Russell-Skala
NICE
National Institute for Clinical Excellence
NIH
National Institute of Health
SCL
Die Symptom-Checkliste von Derogatis
SD
Standard deviation
SSRI
Selective Serotonin Re-uptake Inhibitors
SIAB
Strukturiertes Inventar für Anorektische und Bulimische Essstörungen
SKID
Strukturiertes klinisches Interview für DSM-IV
WHO
World Health Organization
WHOQOL
WHO Quality of Life Fragebogen
7
Literaturverzeichnis
Abraham, S. F., Brown, T., Boyd, C., Luscombe, G., Russell, J. (2006) Quality of life: eating
disorders. Aust N Z J Psychiatry 40: 150-5.
Adair, C. E., Marcoux, G. C., Cram, B. S., Ewashen, C. J., Chafe, J., Cassin, S. E., Pinzon, J.,
Gusella, J. L., Geller, J., Scattolon, Y., Fergusson, P., Styles, L., Brown, K. E. (2007)
Development and multi-site validation of a new condition-specific quality of life
measure for eating disorders. Health Qual Life Outcomes 5: 23.
Agras, W. S., Brandt, H. A., Bulik, C. M., Dolan-Sewell, R., Fairburn, C. G., Halmi, K. A.,
Herzog, D. B., Jimerson, D. C., Kaplan, A. S., Kaye, W. H., le Grange, D., Lock, J.,
Mitchell, J. E., Rudorfer, M. V., Street, L. L., Striegel-Moore, R., Vitousek, K. M.,
Walsh, B. T., Wilfley, D. E. (2004) Report of the National Institutes of Health
workshop on overcoming barriers to treatment research in anorexia nervosa. Int J Eat
Disord 35: 509-21.
American Psychiatric Association (APA) (1994) Diagnostic and Statistical Manual of Mental
Disorders, 4th edition (DSM-IV). American Psychiatric Association, Washington, DC.
American Psychiatric Association (APA) (2001) Diagnostisches und Statistisches Manual
Psychischer Störungen (DSM-IV). Hogrefe, Göttingen; Bern; Toronto; Seattle.
Arkell, J., Robinson, P. (2008) A pilot case series using qualitative and quantitative methods:
biological, psychological and social outcome in severe and enduring eating disorder
(anorexia nervosa). Int J Eat Disord 41: 650-6.
Austin, S. B., Field, A. E., Wiecha, J., Peterson, K. E., Gortmaker, S. L. (2005) The impact of
a school-based obesity prevention trial on disordered weight-control behaviors in early
adolescent girls. Arch Pediatr Adolesc Med 159: 225-30.
Austin, S. B., Kim, J., Wiecha, J., Troped, P. J., Feldman, H. A., Peterson, K. E. (2007)
School-based overweight preventive intervention lowers incidence of disordered
weight-control behaviors in early adolescent girls. Arch Pediatr Adolesc Med 161:
865-9.
Bartels, C. (1998) Heilungserfolg, psychosoziale Adaptation und prognostische Faktoren der
adoleszenten Anorexia nervosa: Ergebnisse einer prospektiv angelegten 7-JahresKatamnese. Philipps-Universität Marburg, Marburg.
Bohn, K., Doll, H. A., Cooper, Z., O'Connor, M., Palmer, R. L., Fairburn, C. G. (2008) The
measurement of impairment due to eating disorder psychopathology. Behav Res Ther
46: 1105-10.
Bölte, S. (2009) [The ICF and its meaning for child and adolescent psychiatry]. Z Kinder
Jugendpsychiatr Psychother 37: 495-7.
Bühl, A. (2008) SPSS Version 16: Einführung in die moderne Datenanalyse. Pearson
Studium, München.
Literaturverzeichnis
105
Bulik, C. M., Sullivan, P. F., Tozzi, F., Furberg, H., Lichtenstein, P., Pedersen, N. L. (2006)
Prevalence, heritability, and prospective risk factors for anorexia nervosa. Arch Gen
Psychiatry 63: 305-12.
Cieza, A., Chatterji, S., Andersen, C., Cantista, P., Herceg, M., Melvin, J., Stucki, G., de Bie,
R. (2004) ICF Core Sets for depression. J Rehabil Med: 128-34.
Currin, L., Schmidt, U., Treasure, J., Jick, H. (2005) Time trends in eating disorder incidence.
Br J Psychiatry 186: 132-5.
de la Rie, S., Noordenbos, G., Donker, M., van Furth, E. (2007) The patient's view on quality
of life and eating disorders. Int J Eat Disord 40: 13-20.
de Zwaan, M., Zipfel, S., Herzog, W., Herpertz-Dahlmann, B., Konrad, K., Hebebrand, J.,
Schade-Brittinger, C., Schafer, H., Fichter, M., Quadflieg, N., Jacobi, C., Herpertz, S.
(2009) [EDNET - eating disorders diagnostic and treatment network]. Psychother
Psychosom Med Psychol 59: 110-6.
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
(DGKJP) (2007) Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen
im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter. 3. Auflage, Deutscher Ärzte Verlag, Köln,
117-130.
Eisler, I., Dare, C., Russell, G. F., Szmukler, G., le Grange, D., Dodge, E. (1997) Family and
individual therapy in anorexia nervosa. A 5-year follow-up. Arch Gen Psychiatry 54:
1025-30.
Eisler, I., Simic, M., Russell, G. F., Dare, C. (2007) A randomised controlled treatment trial
of two forms of family therapy in adolescent anorexia nervosa: a five-year follow-up.
J Child Psychol Psychiatry 48: 552-60.
Engel, S. G., Wittrock, D. A., Crosby, R. D., Wonderlich, S. A., Mitchell, J. E., Kolotkin, R.
L. (2006) Development and psychometric validation of an eating disorder-specific
health-related quality of life instrument. Int J Eat Disord 39: 62-71.
Fairburn, C. G. (2008) Eating disorders: the transdiagnostic view in the cognitive behavioral
theory. In: Cognitive behavior therapy and eating disorders. C. G. Fairburn (Hrsg.)
Guilford Press, New York, S. 7-22.
Fairburn, C. G., Cooper, Z., Shafran, R. (2003) Cognitive behaviour therapy for eating
disorders: a "transdiagnostic" theory and treatment. Behav Res Ther 41: 509-28.
Ferguson, C. P., La Via, M. C., Crossan, P. J., Kaye, W. H. (1999) Are serotonin selective
reuptake inhibitors effective in underweight anorexia nervosa? Int J Eat Disord 25:
11-7.
Fichter, M. M., Herpertz, S., Quadflieg, N., Herpertz-Dahlmann, B. (1998) Structured
Interview for Anorexic and Bulimic disorders for DSM-IV and ICD-10: updated
(third) revision. Int J Eat Disord 24: 227-49.
Fichter, M. M., Quadflieg, N. (1999) Strukturiertes Inventar für Anorektische und Bulimische
Eßstörungen (SIAB). Deutschsprachige Edition, Hogrefe, Göttingen.
Literaturverzeichnis
106
Fisher, M., Simpser, E., Schneider, M. (2000) Hypophosphatemia secondary to oral refeeding
in anorexia nervosa. Int J Eat Disord 28: 181-7.
Fleischhaker, C., Bock, K., Hennighausen, K., Horwath, D., Kuhn-Hennighausen, C., Rauh,
R., Wewetzer, G., Dromann, S., Schulz, E. (2008) [Twenty-year follow-up
investigation of the Clinic for Child and Adolescent Psychiatry "Haus Vogt"]. Z
Kinder Jugendpsychiatr Psychother 36: 191-203.
Fleischhaker, C. F. (2004) Konzept für die Behandlung der Anorexia nervosa. AlbertLudwigs-Universität Freiburg, Freiburg.
Franke, G. (2002) Die Symptom-Checkliste von Derogatis (SCL-90-R). Deutsche Version,
Beltz Test, Göttingen.
Franke, G. H. (1992) Eine weitere Überprüfung der Symptom-Check-Liste (SCL-90-R) als
Forschungsinstrument. Diagnostica 38: 160-167.
Fydrich, T., Renneberg, B., Schmitz, B., Wittchen, H.-U. (1997) Strukturiertes Klinisches
Interview für DSM-IV - Achse II: Persönlichkeitsstörungen (SKID-II).
Deutschsprachige, erweiterte Bearbeitung, Hogrefe, Göttingen.
Gillberg, I. C., Rastam, M., Gillberg, C. (1995) Anorexia nervosa 6 years after onset: Part I.
Personality disorders. Compr Psychiatry 36: 61-9.
Godt, K. (2008) Personality disorders in 545 patients with eating disorders. Eur Eat Disord
Rev 16: 94-9.
Grundmann, J., Keller, K., Brauning-Edelmann, M. (2005) [The practical application of the
International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) in medical
rehabilitation of psychiatric patients]. Rehabilitation (Stuttg) 44: 335-43.
Halmi, K. A., Agras, W. S., Crow, S., Mitchell, J., Wilson, G. T., Bryson, S. W., Kraemer, H.
C. (2005) Predictors of treatment acceptance and completion in anorexia nervosa:
implications for future study designs. Arch Gen Psychiatry 62: 776-81.
Halvorsen, I., Andersen, A., Heyerdahl, S. (2004) Good outcome of adolescent onset anorexia
nervosa after systematic treatment. Intermediate to long-term follow-up of a
representative county-sample. Eur Child Adolesc Psychiatry 13: 295-306.
Halvorsen, I., Heyerdahl, S. (2006) Girls with anorexia nervosa as young adults: personality,
self-esteem, and life satisfaction. Int J Eat Disord 39: 285-93.
Hemmelmann, C., Brose, S., Vens, M., Hebebrand, J., Ziegler, A. (2010) [Percentiles of body
mass index of 18-80-year-old German adults based on data from the Second National
Nutrition Survey]. Dtsch Med Wochenschr 135: 848-52.
Herpertz-Dahlmann,
B.
(2003)
Essstörungen.
In:
Entwicklungspsychiatrie
Biopsychologische Grundlagen und die Entwiclung psychischer Störungen. B.
Herpertz-Dahlmann, F. Resch, M. Schulte-Markwort, A. Warnke (Hrsg.) Schattauer,
Stuttgart.
Literaturverzeichnis
107
Herpertz-Dahlmann, B. (2005) Essstörungen. In: Kinder- und Jugendpsychiatrie: Eine
praktische Einführung. H. Remschmidt (Hrsg.) 4. Auflage, Thieme, Stuttgart,
271-280.
Herpertz-Dahlmann,
B.
(2008)
Essstörungen.
In:
Entwicklungspsychiatrie:
Biopsychologische Grundlagen und die Entwicklung psychischer Störungen. B.
Herpertz-Dahlmann, F. Resch, M. Schulte-Markwort, A. Warnke (Hrsg.) 2. Auflage,
Schattauer, Stuttgart, S. 835-859.
Herpertz-Dahlmann, B., Muller, B., Herpertz, S., Heussen, N., Hebebrand, J., Remschmidt, H.
(2001) Prospective 10-year follow-up in adolescent anorexia nervosa--course,
outcome, psychiatric comorbidity, and psychosocial adaptation. J Child Psychol
Psychiatry 42: 603-12.
Herpertz-Dahlmann, B., Wille, N., Holling, H., Vloet, T. D., Ravens-Sieberer, U. (2008)
Disordered eating behaviour and attitudes, associated psychopathology and healthrelated quality of life: results of the BELLA study. Eur Child Adolesc Psychiatry 17
Suppl 1: 82-91.
Hjern, A., Lindberg, L., Lindblad, F. (2006) Outcome and prognostic factors for adolescent
female in-patients with anorexia nervosa: 9- to 14-year follow-up. Br J Psychiatry
189: 428-32.
Hoek, H. W., Bartelds, A. I., Bosveld, J. J., van der Graaf, Y., Limpens, V. E., Maiwald, M.,
Spaaij, C. J. (1995) Impact of urbanization on detection rates of eating disorders. Am J
Psychiatry 152: 1272-8.
Hoek, H. W., van Hoeken, D. (2003) Review of the prevalence and incidence of eating
disorders. Int J Eat Disord 34: 383-96.
Holtkamp, K., Hebebrand, J., Mika, C., Heer, M., Heussen, N., Herpertz-Dahlmann, B.
(2004) High serum leptin levels subsequent to weight gain predict renewed weight
loss in patients with anorexia nervosa. Psychoneuroendocrinology 29: 791-7.
Holtkamp, K., Herpertz-Dahlmann, B., Mika, C., Heer, M., Heussen, N., Fichter, M.,
Herpertz, S., Senf, W., Blum, W. F., Schweiger, U., Warnke, A., Ballauff, A.,
Remschmidt, H., Hebebrand, J. (2003) Elevated physical activity and low leptin levels
co-occur in patients with anorexia nervosa. J Clin Endocrinol Metab 88: 5169-74.
Holtkamp, K., Konrad, K., Kaiser, N., Ploenes, Y., Heussen, N., Grzella, I., HerpertzDahlmann, B. (2005a) A retrospective study of SSRI treatment in adolescent anorexia
nervosa: insufficient evidence for efficacy. J Psychiatr Res 39: 303-10.
Holtkamp, K., Muller, B., Heussen, N., Remschmidt, H., Herpertz-Dahlmann, B. (2005b)
Depression, anxiety, and obsessionality in long-term recovered patients with
adolescent-onset anorexia nervosa. Eur Child Adolesc Psychiatry 14: 106-10.
Hsu, L. K. (1980) Outcome of anorexia nervosa. A review of the literature (1954 to 1978).
Arch Gen Psychiatry 37: 1041-6.
Hsu, L. K. G. (1987) Outcome and treatment effects. In: Handbook of Eating Disorders. P. J.
Beaumont, J. Burrows, R. C. Casper (Hrsg.) Part I, Elsevier Science Publishers,
London.
Literaturverzeichnis
108
Katschnig, H., Angermeyer, M. C. (1997) Quality of life in depression. In: Quality of life in
mental disorders. H. Katschnig, H. Freeman, N. Sartorius (Hrsg.) John Wiley & Sons,
Chichester, S. 137-147.
Kaye, W. (2008) Neurobiology of anorexia and bulimia nervosa. Physiol Behav 94: 121-35.
Kaye, W. (2009) Neurobiology of Anorexia and Bulimia Nervosa Purdue Ingestive Behavior
Research Center Symposium Influences on Eating and Body Weight over the
Lifespan: Children and Adolescents. Physiol Behav. Author manuscript: available in
PubMedCentral.
Kaye, W. H., Bulik, C. M., Plotnicov, K., Thornton, L., Devlin, B., Fichter, M. M., Treasure,
J., Kaplan, A., Woodside, D. B., Johnson, C. L., Halmi, K., Brandt, H. A., Crawford,
S., Mitchell, J. E., Strober, M., Berrettini, W., Jones, I. (2008) The genetics of
anorexia nervosa collaborative study: methods and sample description. Int J Eat
Disord 41: 289-300.
Keel, P. K., Dorer, D. J., Franko, D. L., Jackson, S. C., Herzog, D. B. (2005) Postremission
predictors of relapse in women with eating disorders. Am J Psychiatry 162: 2263-8.
Keilen, M., Treasure, T., Schmidt, U., Treasure, J. (1994) Quality of life measurements in
eating disorders, angina, and transplant candidates: are they comparable? J R Soc Med
87: 441-4.
Kendell, R. E., Hall, D. J., Hailey, A., Babigian, H. M. (1973) The epidemiology of anorexia
nervosa. Psychol Med 3: 200-3.
Kleiser, C., Schaffrath Rosario, A., Mensink, G. B., Prinz-Langenohl, R., Kurth, B. M. (2009)
Potential determinants of obesity among children and adolescents in Germany: results
from the cross-sectional KiGGS Study. BMC Public Health 9: 46.
Klump, K. L., Strober, M., Bulik, C. M., Thornton, L., Johnson, C., Devlin, B., Fichter, M.
M., Halmi, K. A., Kaplan, A. S., Woodside, D. B., Crow, S., Mitchell, J., Rotondo, A.,
Keel, P. K., Berrettini, W. H., Plotnicov, K., Pollice, C., Lilenfeld, L. R., Kaye, W. H.
(2004) Personality characteristics of women before and after recovery from an eating
disorder. Psychol Med 34: 1407-18.
Kromeyer-Hauschild, K., Wabitsch, M., Kunze, D., Geller, F., Geiß, H. C., Hesse, V., von
Hippel, A., Jaeger, U., Johnsen, D., Korte, W., Menner, K., Müller, G., Müller, J. M.,
Niemann-Pilatus, A., Remer, T., Schaefer, F., Wittchen, H.-U., Zabransky, S., Zellner,
K., Ziegler, A., Hebebrand, J. (2001) Perzentile für den Body-mass-Index für das
Kindes- und Jugendalter unter Heranziehung verschiedener deutscher Stichproben.
Monatsschr Kinderheilkd 149: 807–818.
le Grange, D., Lock, J., Loeb, K., Nicholls, D. (2010) Academy for Eating Disorders position
paper: the role of the family in eating disorders. Int J Eat Disord 43: 1-5.
Lehman, A. F. (1997) Quality of life in mental disorders. In: Quality of life in mental
disorders. H. Katschnig, H. Freeman, N. Sartorius (Hrsg.) John Wiley & Sons,
Chichester, S. 79-94.
Lindberg, L., Hjern, A. (2003) Risk factors for anorexia nervosa: a national cohort study. Int J
Eat Disord 34: 397-408.
Literaturverzeichnis
109
Lock, J., Couturier, J., Agras, W. S. (2006) Comparison of long-term outcomes in adolescents
with anorexia nervosa treated with family therapy. J Am Acad Child Adolesc
Psychiatry 45: 666-72.
Lucas, A. R., Crowson, C. S., O'Fallon, W. M., Melton, L. J., 3rd (1999) The ups and downs
of anorexia nervosa. Int J Eat Disord 26: 397-405.
Mattejat, F., Jungmann, J., Meusers, M., Moik, C., Nolkel, P., Schaff, C., Scholz, M.,
Schmidt, M. H., Remschmidt, H. (1998) [An inventory for assessing the quality of life
of children and adolescents--a pilot study]. Z Kinder Jugendpsychiatr Psychother 26:
174-82.
Mattejat, F., Remschmidt, H. (1993) Evaluation von Therapien mit psychisch kranken
Kindern und -jugendlichen. Entwicklung und Überprüfung zur Beurteilung eines
Fragebogens zur Beurteilung der Behandlung (FBB). Zeitschrift für klinische
Psychologie 22: 192-233.
Mattejat, F., Remschmidt, H. (1998) Fragebögen zur Beurteilung der Behandlung (FBB).
Hogrefe, Göttingen.
Mattejat, F., Simon, B., Konig, U., Quaschner, K., Barchewitz, C., Felbel, D., HerpertzDahlmann, B., Hohne, D., Janthur, B., Jungmann, J., Katzenski, B., Naumann, A.,
Nolkel, P., Schaff, C., Schulz, E., Warnke, A., Wienand, F., Remschmidt, H. (2003)
[Quality of life of children and adolescents with psychiatric disorders. Results of the
1st multicenter study with an inventory to assess the quality of life in children and
adolescents]. Z Kinder Jugendpsychiatr Psychother 31: 293-303.
McClelland, L., Crisp, A. (2001) Anorexia nervosa and social class. Int J Eat Disord 29:
150-6.
McIntosh, V. V., Bulik, C. M., McKenzie, J. M., Luty, S. E., Jordan, J. (2000) Interpersonal
psychotherapy for anorexia nervosa. Int J Eat Disord 27: 125-39.
McIntosh, V. V., Jordan, J., Carter, F. A., Luty, S. E., McKenzie, J. M., Bulik, C. M.,
Frampton, C. M., Joyce, P. R. (2005) Three psychotherapies for anorexia nervosa: a
randomized, controlled trial. Am J Psychiatry 162: 741-7.
Mond, J. M., Hay, P. J., Rodgers, B., Owen, C., Beumont, P. J. (2005) Assessing quality of
life in eating disorder patients. Qual Life Res 14: 171-8.
Morgan, H. G., Hayward, A. E. (1988) Clinical assessment of anorexia nervosa. The MorganRussell outcome assessment schedule. Br J Psychiatry 152: 367-71.
Morgan, H. G., Russell, G. F. (1975) Value of family background and clinical features as
predictors of outcome in anorexia nervosa: for-year follow-up study of 41 patients.
Psychol Med 5: 355-371.
Morgan, J. F., Reid, F., Lacey, J. H. (1999) The SCOFF questionnaire: assessment of a new
screening tool for eating disorders. BMJ 319: 1467-8.
Morris, J., Twaddle, S. (2007) Anorexia nervosa. BMJ 334: 894-8.
Literaturverzeichnis
110
Müller, B., Wewetzer, C., Jans, T., Holtkamp, K., Herpertz, S. C., Warnke, A., Remschmidt,
H., Herpertz-Dahlmann, B. (2001) Persönlichkeitsstörungen und psychiatrische
Komorbidität im Verlauf der Zwangsstörung und der Anorexia nervosa. Vergleich
zweier 10-Jahres-Katamnesen. Fortschritte der Neurologie, Psychiatrie 69: 379-387.
National Institute for Cinical Excellence (NICE) and National Collaborating Centre for
Mental Health (NCCMH) (2004) Eating Disorders: Core interventions in the treatment
and management of anorexia nervosa, bulimia nervosa and related eating disorders.
National Clinical Practice Guideline Number CG9. The British Psychological Society
and Gaskell, London.
Nilsson, E. W., Gillberg, C., Gillberg, I. C., Rastam, M. (1999) Ten-year follow-up of
adolescent-onset anorexia nervosa: personality disorders. J Am Acad Child Adolesc
Psychiatry 38: 1389-95.
Nilsson, K., Hägglöf, B. (2005) Long-term follow-up of adolescent onset anorexia nervosa in
northern Sweden. European Eating Disorders Review 13: 89-100.
Papadopoulos, F. C., Ekbom, A., Brandt, L., Ekselius, L. (2009) Excess mortality, causes of
death and prognostic factors in anorexia nervosa. Br J Psychiatry 194: 10-7.
Paul, T., Thiel, A. (2005) Eating Disorder Inventory-2 (EDI-2). Deutsche Version, Hogrefe,
Göttingen.
Rastam, M., Gillberg, C., Wentz, E. (2003) Outcome of teenage-onset anorexia nervosa in a
Swedish community-based sample. Eur Child Adolesc Psychiatry 12 Suppl 1: I78-90.
Rastam, M., Gillberg, I. C., Gillberg, C. (1995) Anorexia nervosa 6 years after onset: Part II.
Comorbid psychiatric problems. Compr Psychiatry 36: 70-6.
Ratnasuriya, R. H., Eisler, I., Szmukler, G. I., Russell, G. F. (1991) Anorexia nervosa:
outcome and prognostic factors after 20 years. Br J Psychiatry 158: 495-502.
Russell, G. F. (1971) Clinical and endocrine features of anorexia nervosa. Trans Med Soc
Lond 87: 40-50.
Ruuska, J., Koivisto, A. M., Rantanen, P., Kaltiala-Heino, R. (2007) Psychosocial functioning
needs attention in adolescent eating disorders. Nord J Psychiatry 61: 452-8.
Schmidt, U. (2003) Aetiology of eating disorders in the 21(st) century: new answers to old
questions. Eur Child Adolesc Psychiatry 12 Suppl 1: I30-7.
Shroff, H., Reba, L., Thornton, L. M., Tozzi, F., Klump, K. L., Berrettini, W. H., Brandt, H.,
Crawford, S., Crow, S., Fichter, M. M., Goldman, D., Halmi, K. A., Johnson, C.,
Kaplan, A. S., Keel, P., LaVia, M., Mitchell, J., Rotondo, A., Strober, M., Treasure, J.,
Woodside, D. B., Kaye, W. H., Bulik, C. M. (2006) Features associated with excessive
exercise in women with eating disorders. Int J Eat Disord 39: 454-61.
Smolak, L., Murnen, S. K. (2002) A meta-analytic examination of the relationship between
child sexual abuse and eating disorders. Int J Eat Disord 31: 136-50.
Spindler, A., Milos, G. (2007) Links between eating disorder symptom severity and
psychiatric comorbidity. Eat Behav 8: 364-73.
Literaturverzeichnis
111
Stahl, S. (2003) Der Langzeitverlauf der Anorexia nervosa unter besonderer Berücksichtigung
von psychiatrischer Komorbidität und Persönlichkeitsstörungen. Görich &
Weiershäuser, Marburg.
Steinhausen, H. C. (2002) The outcome of anorexia nervosa in the 20th century. Am J
Psychiatry 159: 1284-93.
Steinhausen, H. C. (2006) Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen: Lehrbuch der
Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. 6. Auflage, Urban & Fischer,
München; Jena.
Strober, M., Freeman, R., Lampert, C., Diamond, J., Kaye, W. (2000) Controlled family study
of anorexia nervosa and bulimia nervosa: evidence of shared liability and transmission
of partial syndromes. Am J Psychiatry 157: 393-401.
Strober, M., Freeman, R., Morrell, W. (1997) The long-term course of severe anorexia
nervosa in adolescents: survival analysis of recovery, relapse, and outcome predictors
over 10-15 years in a prospective study. Int J Eat Disord 22: 339-60.
Swinscow, T. D. V., Campbell, M. J. (2002) Statistics at Square One. Tenth Edition,
Blackwell Publishing, Malden, Oxford, Carlton.
Theander, S. (1970) Anorexia nervosa. A psychiatric investigation of 94 female patients. Acta
Psychiatr Scand Suppl 214: 1-194.
Theander, S. (1985) Outcome and prognosis in anorexia nervosa and bulimia: some results of
previous investigations, compared with those of a Swedish long-term study. J
Psychiatr Res 19: 493-508.
van der Ham, T., van Strien, D. C., van Engeland, H. (1998) Personality characteristics
predict outcome of eating disorders in adolescents: a 4-year prospective study. Eur
Child Adolesc Psychiatry 7: 79-84.
van Son, G. E., van Hoeken, D., Bartelds, A. I., van Furth, E. F., Hoek, H. W. (2006) Time
trends in the incidence of eating disorders: a primary care study in the Netherlands. Int
J Eat Disord 39: 565-9.
Vieta, E., Cieza, A., Stucki, G., Chatterji, S., Nieto, M., Sanchez-Moreno, J., Jaeger, J.,
Grunze, H., Ayuso-Mateos, J. L. (2007) Developing core sets for persons with bipolar
disorder based on the International Classification of Functioning, Disability and
Health. Bipolar Disord 9: 16-24.
Vitousek, K., Watson, S., Wilson, G. T. (1998) Enhancing motivation for change in
treatment-resistant eating disorders. Clin Psychol Rev 18: 391-420.
Wade, T. D., Frayne, A., Edwards, S. A., Robertson, T., Gilchrist, P. (2009) Motivational
change in an inpatient anorexia nervosa population and implications for treatment.
Aust N Z J Psychiatry 43: 235-43.
Weigl, M., Cieza, A., Andersen, C., Kollerits, B., Amann, E., Stucki, G. (2004) Identification
of relevant ICF categories in patients with chronic health conditions: a Delphi
exercise. J Rehabil Med: 12-21.
Literaturverzeichnis
112
Wentz, E., Gillberg, C., Gillberg, I. C., Rastam, M. (2001) Ten-year follow-up of adolescentonset anorexia nervosa: psychiatric disorders and overall functioning scales. J Child
Psychol Psychiatry 42: 613-22.
Wentz, E., Gillberg, I. C., Anckarsater, H., Gillberg, C., Rastam, M. (2009) Adolescent-onset
anorexia nervosa: 18-year outcome. Br J Psychiatry 194: 168-74.
Wentz, E., Gillberg, I. C., Gillberg, C., Rastam, M. (2005) Fertility and history of sexual
abuse at 10-year follow-up of adolescent-onset anorexia nervosa. Int J Eat Disord 37:
294-8.
Wewetzer, C. (1990) Katamnestische Untersuchung an Patienten mit Anorexia nervosa:
Klinischer Erfolg und Behandlungserfolg. Philipps-Universität Marburg, Marburg.
World Health Organization (WHO) (1992) International Classification of Diseases, 10th
Revision. World Health Organization, Geneva.
WHO (1998) Development of the World Health Organization WHOQOL-BREF quality of
life assessment. The WHOQOL Group. Psychol Med 28: 551-8.
World Health Organization (WHO) (2001a) Multiaxiales Klassifikationsschema für
psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 der WHO. H.
Remschmidt, M. Schmidt, F. Poustka (Hrsg.) 4. Auflage, Hans Huber, Bern;
Göttingen; Toronto; Seattle.
World Health Organization (WHO) (2001b) The International Classification of Functioning,
Disability and Health. World Health Organization, Geneva.
World
Health Organization (WHO) (2005) Internationale Klassifikation
Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF). DIMDI, Köln.
der
World Health Organization (WHO) (2006) ICF – Internationale Klassifikation der
Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. DIMDI, Köln.
Wittchen, H.-U., Wunderlich, U., Gruschwitz, S., Zaudig, M. (1997) Strukturiertes Klinisches
Interview für DSM-IV - Achse I: Psychische Störungen (SKID-I). Deutschsprachige,
erweiterte Bearbeitung, Hogrefe, Göttingen.
Wonderlich, S. A., Lilenfeld, L. R., Riso, L. P., Engel, S., Mitchell, J. E. (2005) Personality
and anorexia nervosa. Int J Eat Disord 37 Suppl: S68-71; discussion S87-9.
Zipfel, S. (1998) Medical complications of eating disorders. In: Neurobiology in the treatment
of eating disorders. H. W. Hoek, J. Treasure, M. Katzman (Hrsg.) Wiley, Chichester,
NY, S. 457-484.
8
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 Jahresinzidenz von Anorexia nervosa in psychiatrischen Gesundheitssystemen
Nord- und Mitteleuropas im 20 Jahrhundert ...................................................................... 6!
Abbildung 2 Multifaktorielles Ätiologiemodell der Essstörungen ........................................ 11!
Abbildung 3 Zusammensetzung und Auswahl der Studienteilnehmer der Katamnese ......... 33!
Abbildung 4 Alter und BMI bei Aufnahme in die KJP Freiburg........................................... 47!
Abbildung 5 BMI-Perzentilen aller Patienten bei Aufnahme in die KJP Freiburg und zum
Zeitpunkt der Entlassung.................................................................................................. 48!
Abbildung 6 BMI-Perzentilen der Teilnehmer bei Aufnahme, bei Entlassung und zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung............................................................................................ 49!
Abbildung 7 Vorliegen einer Essstörung und BMI-Perzentilen der Teilnehmer zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung............................................................................................ 55!
Abbildung 8 Ergebnisse des WHOQOL-BREF der AN-Patienten im Vergleich zur deutschen Normalbevölkerung, stationären Patienten aus dem somatischen Bereich und
stationären Patienten aus dem psychiatrischen Bereich................................................... 64!
9
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1 Apparative und laborchemische Untersuchungen bei AN ..................................... 15
Tabelle 2 Differentialdiagnose der AN bei Kindern und Jugendlichen ................................. 16
Tabelle 3 Übersicht über die wichtigsten Studien zum Langzeitverlauf der AN ................... 22
Tabelle 4 Verzweigung der ICF am Beispiel des Farbsehvermögens.................................... 37
Tabelle 5 Kategorien der ICF für das kurze Core Set für AN ................................................ 40
Tabelle 6 Derzeitige und frühere Achse I und Achse II-Diagnosen nach DSM-IV der beiden
Gruppen zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung .............................................................. 52
Tabelle 7 Ergebnisse des SIAB-EX........................................................................................ 53
Tabelle 8 Ergebnisse beider Gruppen im SIAB-EX zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung . 54
Tabelle 9 Ergebnisse beider Gruppen für die MRS................................................................ 58
Tabelle 10 Ergebnisse für das kurze ICF Core Set für AN .................................................... 59
Tabelle 11 Vergleich beider Gruppena für das kurze ICF Core Set für AN........................... 61
Tabelle 12 Ergebnisse des WHOQOL-BREF für beide Gruppen .......................................... 63
Tabelle 13 Ergebnisse des EDI-2 für beide Gruppen ............................................................. 66
Tabelle 14 Ergebnisse des SCL-90-R für beide Gruppen in T-Werten.................................. 67
Tabelle 15 Ergebnisse des ILK für beide Gruppen ................................................................ 68
Tabelle 16 Ergebnisse des FBB-P für beide Gruppen ............................................................ 69
Tabelle 17 Korrelationen der Gesamtskalen für die Instrumente der Nachuntersuchung...... 72
Tabelle 18 Kategorien der ICF für das ausführliche Core Set für AN ................................. 115
Tabelle 19 Vergleich von Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern ......................................... 117
Tabelle 20 Fragebogen zur soziodemografischen Situation in Anlehnung an die Basisdokumentation der KJP Freiburg ........................................................................................... 118
10 Tabellen
Tabelle 18 Kategorien der ICF für das ausführliche Core Set für AN
ICF Kodierung
ICF Komponente
ICF Kategorie
2. Ebene
Körperfunktionen
3. Ebene
b117
Funktionen der Intelligenz
b122
Globale psychosoziale Funktionen
b126
Funktionen von Temperament und Persönlichkeit
b1260
Extraversion
b1261
Umgänglichkeit
b1262
Gewissenhaftigkeit
b1263
Psychische Stabilität
b1264
Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen
b1265
Optimismus
b1266
Selbstvertrauen
b1267
Zuverlässigkeit
b130
Funktionen der psychischen Energie und des Antriebs
b1300
Ausmaß der psychischen Energie
b1301
Motivation
b1302
Appetit
b1303
Drang nach Suchtmitteln
b1304
Impulskontrolle
b134
Funktionen des Schlafes
b140
Funktionen der Aufmerksamkeit
b1400
Daueraufmerksamkeit
b1401
Wechsel oder Lenkung der Aufmerksamkeit
b152
Emotionale Funktionen
b1520
(Situations-)Angemessenheit der Emotion
b1521
Affektkontrolle
b1522
Spannweite von Emotionen
b160
Funktionen des Denkens
b180
Selbstwahrnehmung und Zeitwahrnehmung
b270
b1800
Selbstwahrnehmung
b1801
Körperschema
b1802
Zeitwahrnehmung
Sinnesfunktionen bezüglich Temperatur und anderer
Reize
Tabellen
116
ICF Kodierung
ICF Komponente
ICF Kategorie
2. Ebene
3. Ebene
b2703
Aktivitäten und Partizipation/
Teilhabe
Wahrnehmung schädlicher Reize
b530
Aufrechterhaltung des Körpergewichts
b535
Mit dem Verdauungssystem verbundene Empfindungen
b5350
Brechreiz und Übelkeit
b5351
Blähungsgefühl
b640
Sexuelle Funktionen
b650
Menstruationsfunktionen
b6500
Regelmäßigkeit des Menstruationszyklus
b6501
Menstruationsintervall
b6502
Stärke der Menstruationsblutung
b730
Funktionen der Muskelkraft
d160
Aufmerksamkeit fokussieren
d230
Die tägliche Routine durchführen
d240
Mit Stress und anderen psychischen Anforderungen
umgehen
d570
Auf seine Gesundheit achten
d5700
Für seinen physischen Komfort sorgen
d5701
Ernährung und Fitness handhaben
d5702
Seine Gesundheit erhalten
d710
Elementare interpersonelle Aktivitäten
d720
Komplexe interpersonelle Interaktionen
d750
Informelle soziale Beziehungen
d760
Familienbeziehungen
d770
Intime Beziehungen
d810
Informelle Bildung/Ausbildung
d815
Vorschulerziehung
d820
Schulbildung
d825
Theoretische Berufsausbildung
d830
Höhere Bildung und Ausbildung
d845
Eine Arbeit erhalten, behalten und beenden
d850
Bezahlte Tätigkeit
d855
Unbezahlte Tätigkeit
Tabellen
117
ICF Kodierung
ICF Komponente
ICF Kategorie
2. Ebene
Umweltfaktoren
3. Ebene
e310
Engster Familienkreis
e320
Freunde
e355
Fachleute der Gesundheitsberufe
e410
Individuelle Einstellungen des engsten Familienkreises
e420
Individuelle Einstellungen von Freunden
e450
Individuelle Einstellungen von Fachleuten der
Gesundheitsberufe
ICF, Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. AN, Anorexia nervosa.
Tabelle 19 Vergleich von Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern als MW ± SD (Range) bzw. n (%)
Teilnehmer (n = 35)
Nicht-Teilnehmer
(n = 12)
p-Werta
bei Krankheitsbeginn
14,0 ± 1,24 (12–16)
14,0 ± 1,61 (11–15)
0,904
bei der ersten stationären Aufnahme in die KJP
15,4 ± 1,74 (13–17)
15,0 ± 1,21 (11–17)
0,494
zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung
22,5 ± 1,58 (19–25)
22,2 ± 1,28 (19–24)
0,497
bei der ersten stationären Aufnahme in die KJP
1,36 ± 0,89 (0,3–3,3)
1,05 ± 0,49 (0,5–2,1)
0,245
zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung
8,5 ± 1,2 (6,4–11,0)
8,2 ± 1,1 (6,6–9,8)
0,512
erster stationärer Aufenthalt
4,7 ± 2,18 (1,6–9,9)
4,1 ± 1,88 (1,2–8,3)
0,373
zweiter stationärer Aufenthalt (n = 7)
2,8 ± 1,6 (0,8–5,4)
2,8 (n = 1)
0,983
dritter stationärer Aufenthalt (n = 2)
1,9 ± 2,1 (0,4–3,4)
—
–
vor Erkrankungsbeginn
21,2 ± 2,1 (18–27)
19,5 ± 2,9 (17–27)
0,091
bei der ersten stationären Aufnahme in die KJP
14,9 ± 1,3 (13–17)
14,4 ± 1,2 (12–16)
0,294
bei Entlassung
17,8 ± 0,8 (15–19)
17,3 ± 0,9 (15–19)
0,145
zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung
1,83 ± 1,34 (0–4)
—
–
1,5 ± 2,40 (0–9)
1,9 ± 3,90 (0–13,5)
0,673
bei Entlassung
16,1 ± 9,00 (1,2–40)
14,8 ± 9,80 (0,7–36)
0,698
zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung
35,0 ± 24,0 (0,1–97)
—
–
Parameter
Alter [Jahre]
Dauer der Erkrankung [Jahre]
Dauer der Behandlung [Monate]
BMI [kg/m2]
BMI-Perzentile [%]
bei der ersten stationären Aufnahme in die KJP
Tabellen
118
Teilnehmer (n = 35)
Nicht-Teilnehmer
(n = 12)
p-Werta
33 (94 %)
12 (100 %)
0,397b
im ärztlichem Einvernehmen
26 (74 %)
10 (83 %)
gegen ärztlichen Rat
9 (26 %)
2 (17 %)
mindestens deutlich gebessert
21 (60 %)
9 (75 %)
etwas, kaum oder gar nicht gebessert
14 (40 %)
3 (25 %)
mindestens deutlich gebessert
15 (43 %)
6 (50 %)
etwas, kaum oder gar nicht gebessert
20 (57 %)
6 (50 %)
Parameter
Geschlecht [n (%)]
weibliche Patientinnen
Art der Beendigung der Behandlung [n (%)]
0,523b
Ergebnis Symptomatik [n (%)]
0,351b
Ergebnis Gesamtsituation [n (%)]
a
0,668b
zweiseitiger t-Test. b !2-Test.
Tabelle 20 Fragebogen zur soziodemografischen Situation in Anlehnung an die Basisdokumentation der KJP Freiburg
Kapitel
Eltern
Item
Kategorie
Schulabschluss der Mutter/ Ersatzmutter
Kein Schulabschluss; Sonderschule; Hauptschule;
Realschule; Abitur; (Fach)Hochschule/ Universität
Schulabschluss des Vaters/ Ersatzvaters
Kein Schulabschluss; Sonderschule; Hauptschule;
Realschule; Abitur; (Fach)Hochschule/ Universität
Beruf der Mutter/ Ersatzmutter
Ganztags erwerbstätig, Schichtarbeit (keine Teilzeit);
Regelmäßige Teilzeit; Gelegenheitsarbeit;
Arbeitslos; Rentner; im Haushalt tätig
Beruf des Vaters/ Ersatzvaters
Ganztags erwerbstätig, Schichtarbeit (keine Teilzeit);
Regelmäßige Teilzeit; Gelegenheitsarbeit;
Arbeitslos; Rentner; im Haushalt tätig
Schichtzugehörigkeita
Ungelernter Arbeiter; Angelernte Berufe; Facharbeiter;
Angestellter; leitender Angestellter; Selbständig;
Akademiker oder größerer Unternehmer
Aktueller Beziehungsstatus der leiblichen
Eltern
Leben zusammen; Leben getrennt; Durch den Tod getrennt; Haben nie zusammen gelebt
Beziehungsstatus der Eltern zum Zeitpunkt der Aufnahme
Leben zusammen; Leben getrennt; Durch den Tod getrennt; Haben nie zusammen gelebt
Tabellen
Kapitel
Schule/ Beruf
Item
Höchster Schulabschluss
Gegenwärtig besuchte Schule
Wohnsituation
Geschwister
a
119
Kategorie
Kein Schulabschluss; Sonderschule; Hauptschule;
Realschule; Abitur; (Fach)Hochschule/ Universität
Kein derz. Schulbesuch; Sonderschule; Hauptschule;
Realschule; Abitur; (Fach)Hochschule/ Universität
Gegenwärtige Berufs- / Erwerbstätigkeit
Ganztags erwerbstätig, Schichtarbeit (keine Teilzeit);
Regelmäßige Teilzeit; Gelegenheitsarbeit;
Arbeitslos; im Haushalt tätig
Aktuelle Wohnsituation
In Herkunftsfamilie; Stat. Jugendhilfe; Reha, TherapieEinrichtung; Allein; Mit Partner/in; In einer WG
Wohnsituation zum Zeitpunkt der
Aufnahme
In Herkunftsfamilie; Stat. Jugendhilfe; Reha, TherapieEinrichtung; Allein; Mit Partner/in; In einer WG
Anzahl leiblicher Geschwister
Einzelkind; 1; 2; 3; >3
Kinderzahl in der gegenwärtigen
Aufenthaltsfamilie
1; 2; 3; >3
Stellung in der Kinderreihe in der
Herkunftsfamilie
Einzelkind; Jüngstes Kind; Mittleres Kind; Ältestes
Kind; Lebt nicht in einer Familie
Stellung in der Kinderreihe in der
Aufenthaltsfamilie
Einzelkind; Jüngstes Kind; Mittleres Kind; Ältestes
Kind; Lebt nicht in einer Familie
es zählt der sozial höher gestellte Elternteil. KJP, Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie. WG, Wohngemeinschaft.
Die Seiten 120–121 (Lebenslauf und Danksagung) enthalten persönliche Daten. Sie sind deshalb nicht Bestandteil der Online-Veröffentlichung.
Die Seiten 120–121 (Lebenslauf und Danksagung) enthalten persönliche Daten. Sie sind deshalb nicht Bestandteil der Online-Veröffentlichung.
Herunterladen