ALBERT-LUDWIGS-UNIVERSITÄT FREIBURG Starkeffekt-induzierte Dissoziation von dreiatomigem Wasserstoff Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Fakultät für Mathematik und Physik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau vorgelegt von Frank Baumgartner aus Freiburg April 2010 Studiendekan Erstgutachter Zweitgutachter Mündl. Prüfung : Prof. Dr. Andreas Buchleitner : Prof. Dr. Hanspeter Helm : Prof. Dr. Bernd von Issendorff : 8. Juni 2010 Publikationshinweis Wesentliche Teile dieser Dissertation sind Inhalt einer Veröffentlichung und in dem folgenden Artikel erschienen: • Frank Baumgartner and Hanspeter Helm Stark field control of nonadiabatic dynamics in triatomic hydrogen Phys. Rev. Lett. 104(10), 103002 (2010) Die Arbeit wurde unterstützt durch das DFG-Projekt HE 2525/5. Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1 2 Das H3 -Molekül 2.1 Historischer Abriss . . . . . . . . . . . . . 2.2 Quantenmechanische Behandlung . . . . . 2.2.1 Der Hamiltonoperator . . . . . . . 2.2.2 Die Born-Oppenheimer Näherung . 2.2.3 Nicht-adiabatische Kopplungen . . 2.3 Symmetrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Klassifikation molekularer Zustände 2.4 Elektronische Niveaus . . . . . . . . . . . 2.4.1 Hypersphärische Koordinaten . . . 2.4.2 Potentialflächen . . . . . . . . . . . 2.4.3 Prädissoziation der n=2 Zustände . 2.5 Vibration und Rotation . . . . . . . . . . . 2.5.1 Eigenschwingungen . . . . . . . . . 2.5.2 Vibrationsdrehimpuls . . . . . . . . 2.5.3 Rotationsmoden . . . . . . . . . . . 2.6 Starkeffekt im elektrischen Feld . . . . . . 2.6.1 Eigenenergien . . . . . . . . . . . . 2.6.2 Wellenfunktionen . . . . . . . . . . 2.6.3 Dissoziationsraten . . . . . . . . . . 2.6.4 Zerfallskanäle . . . . . . . . . . . . 2.6.5 Interferenzeffekte . . . . . . . . . . I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 6 7 7 10 12 15 16 18 19 20 22 23 23 25 26 27 28 30 31 34 37 INHALTSVERZEICHNIS 3 Das Experiment 3.1 Erzeugung des schnellen Ionenstrahls . 3.1.1 Ionenquelle . . . . . . . . . . . 3.1.2 Massenselektion im Magnetfeld 3.2 Neutralisierung durch Ladungstausch . 3.3 Dissoziation im Starkfeld . . . . . . . . 3.4 Detektion der Fragmente . . . . . . . . 3.4.1 Die Micro Channel Plates . . . 3.4.2 Die Delayline-Anode . . . . . . 3.5 Datennahmesystem . . . . . . . . . . . 3.5.1 Signalanalyse im Diskriminator 3.5.2 Zeitmessung mit dem TDC . . . . . . . . . . . . . 4 Datenauswertung 4.1 Koinzidenzprüfung . . . . . . . . . . . . 4.2 Auswertealgorithmus . . . . . . . . . . . 4.2.1 Longitudinale Impulse . . . . . . 4.2.2 Transversale Impulse . . . . . . . 4.2.3 Freisetzungsenergie . . . . . . . . 4.2.4 Fragmentationsebene . . . . . . . 4.3 Darstellung im Dalitzplot . . . . . . . . 4.4 Effizienzkorrektur . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Monte-Carlo Simulation . . . . . 4.4.2 Effizienzen für die n=2 Zustände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Feldinduzierte Dissoziation 5.1 Energiespektren . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Dissoziationsraten . . . . . . . . . . . . 5.2 Impulsvektorkorrelationen . . . . . . . . . . . 00 5.2.1 Der 2p 2A2 -Zustand im Starkfeld . . . . 0 5.2.2 Der 2s 2A1 -Zustand im Starkfeld . . . . 5.3 Alignment der Fragmentationsebene . . . . . . 5.3.1 Winkelabhängigkeit der Detektion . . . 5.3.2 Gemessene Winkelverteilungen . . . . . 5.4 Schwingungsangeregte Niveaus . . . . . . . . . 5.4.1 Verstärkung im elektrischen Feld . . . 5.4.2 Dissoziationsverhalten . . . . . . . . . 5.4.3 Vergleich zu theoretischen Vorhersagen II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 40 40 42 43 45 47 48 49 51 51 52 . . . . . . . . . . 55 55 57 58 60 61 61 63 64 65 66 . . . . . . . . . . . . 68 69 72 73 75 77 80 81 83 85 86 88 91 INHALTSVERZEICHNIS 6 Störungstheoretisches Modell 6.1 Feldstärkeverlauf . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Effektive Dissoziationslänge . . 6.2 Dissoziationsraten . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Einfluss der Molekülorientierung 6.2.2 Sättigungseffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 95 97 98 100 102 7 Zusammenfassung und Ausblick 104 Literaturverzeichnis 107 III Kapitel 1 Einleitung Das neutrale dreiatomige Wasserstoffmolekül ist seit vielen Jahren Gegenstand umfangreicher experimenteller und theoretischer Studien. Seine zentrale Bedeutung für die Molekülphysik beruht auf seiner einfachen Struktur, die das H3 zu einem Modellsystem für die Erforschung dynamischer Prozesse in mehratomigen Molekülen macht. Darüber hinaus spielt es auch in der Astrophysik eine zentrale Rolle bei der Bildung von Molekülen in interstellaren Wasserstoffwolken [Dal94, DSB+ 95]. Schon in den ersten Jahren der Entwicklung der Quantenmechanik führten Max Born und Robert Oppenheimer ein Konzept ein [BO27], das bis heute von fundamentaler Bedeutung für die Molekülphysik ist. Es basiert auf der Annahme, dass sich die Elektronen eines Moleküls aufgrund ihrer geringeren Masse instantan an die Position der Kerne anpassen können, und ermöglicht eine separate Behandlung von Elektronen- und Kernbewegung. Die elektronischen Zustände eines Moleküls werden dabei durch einzelne adiabatische Potentialflächen beschrieben, auf denen sich die Bewegung der Kerne vollzieht. Dieses Konzept ist unter dem Namen Born-Oppenheimer-Näherung in die Physikbücher eingegangen und hat sich über die Jahre als äußerst erfolgreiches Hilfsmittel zur Interpretation molekularer Strukturen und Spektren erwiesen. Gleichwohl gibt es in der Molekülphysik eine ganze Reihe von Aspekten, die nicht im Rahmen dieser Näherung verstanden werden können. Dazu zählen fundamentale Prozesse wie die Bildung oder Dissoziation von Molekülen ebenso wie die dynamischen Abläufe chemischer Reaktionen [Tul04]. Diese Effekte beruhen zu einem wesentlichen Teil auf Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen adiabatischen Zuständen und werden als sogenannte nicht-adiabatische Kopplungen bezeichnet. 1 KAPITEL 1. EINLEITUNG Von experimenteller Seite wurden in jüngerer Zeit erhebliche Anstrengungen unternommen, um mit leistungsfähigen Technologien die Auswirkungen nicht-adiabatischer Prozesse zu erforschen: So ermöglicht der Einsatz ultraschneller Laser eine Verfolgung des Ablaufs chemischer Reaktionen [Sag01, Tru03, Sto03], Molekülstrahl-Experimente erlauben die gezielte Präparation eines definierten Quantenzustandes ebenso wie den selektiven Nachweis seiner Reaktionsprodukte [San99, Liu01, BL03], und neuartige MehrteilchenKoinzidenztechniken liefern eine Fülle bisher unerreichbarer Informationen über die Korrelation vektorieller Größen beim Dissoziationsprozess von Molekülen [MEBH99, SLK+ 02, LMCC04, GBM+ 05]. Demgegenüber stellt die theoretische Behandlung nicht-adiabatischer Kopplungen auch heute noch eine große Herausforderung dar. Zum einen ist es die Vielfalt der verschiedenen Typen nicht-adiabatischer Kopplungen, welche eine einheitliche Beschreibung erschwert. Zum anderen wird die Behandlung gekoppelter elektronischer Niveaus umso komplizierter, je größer die Anzahl der zu berücksichtigenden Zustände ist. Selbst für ein vergleichsweise einfaches Molekül wie das H3 stellt das quantitative Verständnis der beim Zerfall beobachteten Impulsvektorkorrelationen die Theorie vor große Schwierigkeiten. So ist es erst im vergangenen Jahr durch Galster und Jungen gelungen, die grundlegenden Strukturen eines Dalitzplots mit Hilfe semiklassischer Trajektorienmodelle erfolgreich vorherzusagen [Gal10, LJ09]. In der vorliegenden Arbeit wird mit der Starkeffekt-induzierten Dissoziation nun ein neuartiges Konzept vorgestellt, welches zum ersten Mal eine experimentelle Kontrolle nicht-adiabatischer Kopplungen beim Zerfallsprozess des H3 ermöglicht. Die entwickelte Methode basiert auf der Wechselwir00 kung des metastabilen 2p 2A2 -Zustandes mit dem energetisch benachbarten 0 2s 2A1 -Niveau unter dem Einfluss eines externen elektrischen Feldes. Mittels des Starkeffekts wird das Molekül in einen Superpositions-Zustand |Ψi = α |2si + β |2pi gebracht, aus dem es über zwei grundlegend verschiedene Zerfallspfade in drei einzelne H-Atome dissoziieren kann: Λ2p |Ψi −−→ H (1s) + H (1s) + H (1s) Λ 2s |Ψi −−→ H (1s) + H (1s) + H (1s) (1.1) (1.2) Auf jedem der beiden Wege unterliegt das Molekül dabei unterschiedlichen nicht-adiabatischen Kopplungsmechanismen, angedeutet durch die Wirkung 2 der Operatoren Λ2p und Λ2s . Während das reine 2p-Niveau ausschließlich durch Rotationskopplung dissoziiert wird, kann der im elektrischen Feld beigemengte 2s-Anteil über die wesentlich effizientere Vibrationskopplung auf die Grundzustandsfläche übergehen [DH80]. Durch Regulierung der Feldstärke besteht nun die Möglichkeit, die Amplituden α und β der beteiligten Niveaus und damit den Anteil der jeweiligen Kopplung experimentell zu kontrollieren. Die vorgestellten Messungen belegen sehr eindrucksvoll, dass sich der Grad der Zustandsmischung unmittelbar in den beobachteten Impulsvektorkorrelationen der drei H-Fragmente widerspiegelt. So nimmt der anfangs durch die 00 Rotationskopplung dominierte Dalitzplot des 2p 2A2 -Zustands mit steigen0 dem E-Feld zunehmend Strukturen des 2s 2A1 -Niveaus an - ein Effekt, der sehr anschaulich das allmähliche Zuschalten der Vibrationskopplung illustriert. Besonders bemerkenswert ist dabei das Auftreten eines Interferenzmusters im Dalitzplot, wenn die beiden Kopplungsmechanismen eine vergleichbare Stärke erreicht haben. Die Interferenz kommt dadurch zustande, dass die unterschiedlichen Zerfallskanäle (1.1) und (1.2) das Molekül auf verschiedenen Pfaden in das identische Kontinuum führen. In diesem Sinne stellt das Experiment einen Doppelspalt-Versuch auf molekularer Ebene dar: Das Dreiteilchen-Kontinuum repräsentiert hierbei den Schirm, während das Interferenz-Muster des Doppelspaltes in eine Korrelation der Impulsvektoren dreier langsamer H-Atome projiziert wird. Darüber hinaus entsteht bei der feldinduzierten Dissoziation ein Alignment der Fragmentationsebene des H3 . Infolge der anisotropen Wirkung des Starkeffekts wird durch das Anlegen eines externen Feldes eine Vorzugsrichtung in das Experiment eingeführt. Entsprechend wird nun die Dissoziation solcher Moleküle begünstigt, deren Hauptsymmetrieachse in Richtung der Feldlinien orientiert ist. Die gemessenen Winkelverteilungen belegen sehr klar, wie sich parallel zu den Änderungen im Dalitzplot dieses Alignment der Fragmentationsebene ausbildet. Den im Strahl verbliebenen, nicht dissoziierten Molekülen wird im Gegenzug ein Anti-Alignment in der Ebene senkrecht zur Feldrichtung aufgeprägt. Ein störungstheoretisches Modell der Zustandsmischung rundet diese Arbeit schließlich ab und untermauert in einer quantitativen Beschreibung die experimentell beobachteten Dissoziationsraten. 3 Kapitel 2 Das H3-Molekül Neutraler dreiatomiger Wasserstoff ist das einfachste Beispiel eines mehratomigen Moleküls. Wie in Abbildung 2.1 illustriert, sind die drei Protonen in Form eines gleichseitigen Dreiecks angeordnet. Der Bindungsabstand beträgt in der Gleichgewichtskonfiguration 0.873 Å, was in etwa dem 1.65 fachen des Bohrschen Radius entspricht [MBB86]. Es handelt sich hierbei um eine sogenannte Dreizentrenbindung, bei der das positiv geladene Kerngerüst durch ein Elektronenpaar in seiner Mitte zusammengehalten wird. Während das H3 als Ion noch stabil ist, führt der zusätzliche Einbau eines dritten Elektrons in ein energetisch höheres Orbital zur Lockerung der Bindungsverhältnisse. So gehört das neutrale H3 -Molekül zur Klasse der Excimere 1 : Es ist ausschließlich in seinen elektronisch angeregten Niveaus gebunden und besitzt keinen stabilen Grundzustand. Letzterer besteht aus zwei repulsiven Potentialflächen, die aufgrund der Symmetrie des Moleküls bei gleichseitiger Anordnung der Kerne energetisch entartet sind. Ihre Besetzung führt zur unmittelbaren Dissoziation in die Fragmente H+H2 bzw. H+H+H. Dabei ist 0 das obere 2p 2 E -Blatt ausschließlich für den Dreiteilchenzerfall verantwortlich, während ein Übergang auf die untere Teilfläche vorwiegend zu einer Dissoziation in zwei Teilchen führt [Gal10]. Die typischen Lebensdauern der angeregten Zustände liegen aufgrund starker nicht-adiabatischer Kopplungen 00 im Bereich weniger ns. Einzig das metastabile 2p 2A2 -Niveau ist mit ≈ 700 ns deutlich langlebiger [BCH90]. Dadurch bietet sich die Möglichkeit, Moleküle gezielt in diesen Zustand zu präparieren und ihr Verhalten in einem externen elektrischen Feld zu analysieren. 1 Kurzform von excited dimer (=angeregtes Dimer) 4 Abbildung 2.1: Das H3 als Rydbergmolekül. Dargestellt ist die Elektronenverteilung im metastabilen 00 2p 2A2 -Zustand. Bereits die ersten experimentellen und theoretischen Studien deuteten darauf hin, dass das H3 in guter Näherung als Rydbergmolekül beschrieben werden kann [Her79, KM79]. Das von dem H+ 3 -Kern erzeugte Potential, in dem sich das äußere Elektron bewegt, unterscheidet sich nur geringfügig von einem reinen Coulomb-Potential. Wie die Rechnungen von King und Morokuma zeigen, nimmt der Bahndrehimpuls des Valenzelektrons selbst in Schalen niedriger Hauptquantenzahlen (n = 2, 3) nahezu ganzzahlige Werte an. Die elektronischen Energieniveaus des H3 können deshalb analog zu den Rydbergzuständen des Wasserstoffatoms durch Angabe von Haupt- und Nebenquantenzahl klassifiziert werden. Sie lassen sich mit Hilfe der Rydbergformel En = EIon − R (n − δ)2 (2.1) beschreiben, in welcher R = 109717 cm−1 [Hel86] die Rydbergkonstante und EIon = 29563 cm−1 [Hel88] die Ionisierungsenergie relativ zum metastabi00 len 2p 2A2 -Niveau angibt. Der Quantendefekt δ berücksichtigt Abweichungen vom Coulomb-Potential, die von der nicht kugelsymmetrischen Ladungsverteilung innerhalb des Kerns herrühren, und ist beim H3 typischerweise gering. 5 KAPITEL 2. DAS H3 -MOLEKÜL 2.1 Historischer Abriss Während das H+ 3 -Ion seit Anfang des 20. Jahrhunderts aus massenspektroskopischen Untersuchungen bekannt war, zog Gerhard Herzberg im Jahre 1927 bei der Beobachtung von Wasserstoffspektren in einer Gasentladung als einer der ersten die Existenz des neutralen H3 -Moleküls in Betracht [Her27]. Experimentelle Hinweise auf quasistabile Zustände des H3 wurden jedoch erst vier Jahrzehnte später von Devienne gefunden [Dev68]. Seine Untersuchungen zum Ladungstausch von H+ 3 an H2 -Molekülen konnten in der Folge durch ähnliche Experimente bestätigt werden [NDW+ 72, Vog78]. Der entscheidende Beleg für die Existenz quasistabiler Zustände des dreiatomigen Wasserstoffs blieb jedoch erneut Herzberg vorbehalten: In einer Wasserstoff-Gasentladung beobachtete er Emissionslinien, die sich eindeutig dem Rydberg-Spektrum von H3 bzw. D3 zuordnen ließen [Her79]. Diese Entdeckung war der Auftakt für eine erste umfassende Untersuchung der Niveaustruktur von dreiatomigem Wasserstoff [DH80, HW80, HLSW81, HHW82], deren Ergebnisse sich bemerkenswert genau mit ab initio Rechnungen von King und Morokuma deckten [KM79]. In den frühen 80er Jahren folgten Bestimmungen der Lebensdauern einiger angeregter Zustände des H3 [GP83, FFKW84], verbunden mit der Entdeckung der Metastbilität des rotations00 losen 2p 2A2 -Niveaus, welches mit ≈ 700 ns [BCH90] deutlich langlebiger ist als alle anderen beobachteten Zustände. Damit war der Weg geebnet für eine Reihe umfangreicher laserspektroskopischer Untersuchungen, die diesen Zustand als eine Plattform zur Photoanregung des Moleküls nutzten [Hel86, Hel88, DKMW88, KMW89, LHH89, BHL91, FWB94, MMRB97, MBRS98]. Neben den spektroskopischen Studien fokussierte sich das Interesse der Wissenschaft seit Beginn der 90er Jahre zunehmend auf den Dissoziationsprozess des Moleküls [CH88, BH91, KKLO92, PDHG92, MC96, MC99, SO99, TK02, KG03, LMCC04]. Seine Untersuchung ermöglicht grundlegende Einblicke in die molekulare Dynamik eines Mehrteilchen-Systems: Denn obwohl das H3 aus nur drei Protonen und drei Elektronen besteht, zeigt es praktisch alle Besonderheiten, die für das Verständnis nicht-adiabatischer Kopplungen von Bedeutung sind. Dazu zählen Effekte wie der Vibrationsdrehimpuls, JahnTeller Kreuzungen oder Rotationskopplungen, deren Beschreibung bis heute eine Herausforderung für die Theorie darstellt. Insbesondere jüngere Experimente in Freiburg haben maßgeblich zu einem besseren Verständnis dieser Punkte beigetragen [MEBH99, GKB+ 01, MRHM01, GMH04, GBM+ 05]. Eine zusätzliche Motivation für die Untersuchungen des Dissoziationsverhal6 2.2. QUANTENMECHANISCHE BEHANDLUNG tens resultiert aus der bedeutenden Rolle des H+ 3 in der Astrophysik: Neben dem H2 ist es das am häufigsten produzierte Molekül in interstellaren Gaswolken. Als Protonenspender initiiert das H+ 3 -Ion die Bildung schwererer Moleküle, die maßgeblich zur Kühlung gravitationell kollabierender Gasmassen beitragen [Oka06, Lar08]. Die beiden konkurrierenden Prozesse der Autoionisation [MRM+ 00] und Prädissoziation von H3 ∗ kontrollieren dabei die Gleichgewichts-Konzentration des H+ 3 im interstellaren Medium und sind entscheidende Faktoren für das Verständnis der Sternentstehung. 2.2 Quantenmechanische Behandlung Aufgrund seiner einfachen Struktur stellt das H3 -Molekül ein beliebtes Modellsystem für die Untersuchung grundlegender quantenmechanischer Vorgänge dar. Erkenntnisse, die an diesem einfachen mehratomigen System gewonnen werden, lassen sich in ähnlicher Weise auf komplexere Moleküle übertragen. Insofern ist ein umfassendes theoretisches Verständnis des H3 von fundamentaler Bedeutung für zahlreiche Aspekte der Molekülphysik. In diesem Abschnitt soll die quantenmechanische Beschreibung des Moleküls dargestellt werden, ausgehend vom Hamiltonoperator über die Born-Oppenheimer Näherung bis hin zu nicht-adiabatischen Kopplungen. 2.2.1 Der Hamiltonoperator Den Ausgangspunkt unserer Überlegungen bildet die Formulierung des vollständigen Hamiltonoperators. Dieser setzt sich aus den kinetischen Energien T der Elektronen und Kerne, den gegenseitigen elektrostatischen Wechselwirkungen V , sowie den Kopplungen der Elektronen- und Kernspins zusammen: H = T + V + HElektronspin + HKernspin (2.2) Effekte, die von den letzten beiden Termen herrühren, werden typischerweise als Störungen behandelt. Beim H3 sind sie vernachlässigbar klein und sollen im folgenden nicht näher betrachtet werden. Die wesentlichen Eigenschaften des Moleküls rühren vom ersten Teil des Hamiltonoperators H0 = T + V her, welcher die rovibronischen2 Freiheitsgrade umfasst. In kartesischen Koordinaten kann dieser sofort angeschrieben werden als Summe der kinetischen 2 rovibronisch = rotatorisch, vibratorisch und elektronisch 7 KAPITEL 2. DAS H3 -MOLEKÜL Energien aller sechs Teilchen und ihrer elektrostatischen Paarwechselwirkungen. 6 6 X ~2 2 X Ci Cj e2 H0 = − ∇i + (2.3) i=1 2mi i<j 4π0 Rij Dabei bezeichnet Rij den Abstand zwischen dem i-ten und j-ten Teilchen, während die Polarität der Ladung die Werte Ci = ±1 annehmen kann. Trotz ihrer Übersichtlichkeit ist die Form (2.3) nicht geeignet, um die stationären und dynamischen Grundeigenschaften des H3 abzuleiten. Hierzu ist die Einführung eines molekülfesten Koordinatensystems erforderlich, welches eine Separation von Translations-, Vibrations- und Rotationsbewegung des Moleküls ermöglicht. Für eine detaillierte Herleitung des rovibronischen Hamiltonoperators sei auf die Originalarbeit von Wilson & Howard [WH36] sowie deren Weiterführung durch Watson verwiesen [Wat68]. An dieser Stelle soll lediglich das prinzipielle Vorgehen umrissen und die erhaltenen Ergebnisse andiskutiert werden: Der Ursprung des molekülfesten Koordinatensystems wird in den Massenschwerpunkt der drei Protonen gelegt, um die Translation von den restlichen Freiheitsgraden abzukoppeln und eine Separation zwischen Elektronen- und Kernkoordinaten zu erreichen. Es bietet sich an, die Koordinatenachsen entlang der Hauptträgheitsachsen des Kerngerüsts zu fixieren, weshalb man streng genommen von einem kernfesten Koordinatensystem sprechen sollte. Dieser Umstand führt dazu, dass die Positionen ri der Elektronen in einem rotierenden Bezugssystem angegeben werden, dessen Lage durch die drei Eulerwinkel (θ, φ, χ) festgelegt ist (vgl. Abbildung 2.2). Die auftretenden Zentrifugal- und Corioliskräfte führen dabei zu einer Reihe nicht-adiabatischer Kopplungsterme zwischen den einzelnen elektronischen Zuständen. Im letzten Schritt wird schließlich die Vibrationsbewegung der Kerne nach den Normalkoordinaten (Q1 , Q2a , Q2b ) entwickelt, welche den in Abbildung 2.8 gezeigten Eigenschwingungen entsprechen. Zusammengefasst lässt sich der Hamiltonoperator H0 damit in folgenden Koordinaten angeben: • Euler-Winkel (θ, φ, χ) zur Beschreibung einer reinen Rotation des Kerngerüsts • Normalkoordinaten (Q1 , Q2a , Q2b ) zur Beschreibung einer reinen Vibration des Kerngerüsts • Elektronische Koordinaten (r4 , r5 , r6 ) 8 2.2. QUANTENMECHANISCHE BEHANDLUNG Abbildung 2.2: Die Lage des kernfesten Koordinatensystems (schwarz) wird in Bezug zu den raumfesten Achsen (grün) durch Angabe der drei Eulerwinkel θ , φ , χ spezifiziert. Eine Separation von Schwingungs- und Rotationsbewegung gelingt beim H3 Molekül auch in diesen Koordinaten nur näherungsweise. Ursache ist die Existenz zentrifugaler Kopplungen sowie eines vibronischen Drehimpulses. Beide Effekte verhindern eine exakte Separation von Rotation und Vibration sogar dann, wenn man Wechselwirkungen mit der elektronischen Bewegung unberücksichtigt lässt. Die resultierende Form des Hamiltonian ist nun erheblich komplexer, ermöglicht im Gegenzug aber eine einfachere Interpretation der auftretenden Terme. Der Ausdruck für die potentielle Energie V bleibt durch die Transformation unberührt, da er nur von relativen Koordinaten abhängt. Die kinetische Energie wird zu einer Summe aus drei Anteilen: T = TK + Te + U TK = Te = (2.4) 3 X 1 1X (Nα − πα − Πα )µαβ (Nβ − πβ − Πβ ) + Pk2 2 α,β 2 k=1 (2.5) 6 6 1 X 1 X p2i + pp 2me i=4 2mH i,j=4 i j (2.6) U = − ~2 X µαα 8 α (2.7) 9 KAPITEL 2. DAS H3 -MOLEKÜL Dabei stehen α, β = {x, y, z} für die drei Raumrichtungen, und die Matrix µ bezeichnet das Inverse des effektiven Trägheitstensors.3 Wir beginnen die folgende Diskussion mit dem Ausdruck (2.5), welcher die kinetische Energie der Kernbewegung beschreibt und aus zwei verschiedenen Anteilen besteht: Die erste Summe entspricht einer Rotationsenergie und umfasst die Beiträge von elektronischem Bahndrehimpuls Π, Vibrationsdrehimpuls π und der Rotation des Kerngerüsts N . In der zweiten Summe drückt sich dagegen die kinetische Energie der Vibration aus, beschrieben durch die Impulse Pk der Nukleonen im kernfesten Koordinatensystem. Der nächstfolgende Ausdruck (2.6) entspricht der kinetischen Energie der Elektronen. Er enthält neben dem selbsterklärenden ersten Term einen von der Kernmasse abhängigen zweiten Summanden. Dieser resultiert aus der Wahl des Koordinatenursprungs und ist das Analogon zur Einführung der reduzierten Masse bei der Beschreibung des Wasserstoffatoms. Der verbleibende Term (2.7) schließlich kann als ein massenabhängiger Beitrag zur potentiellen Energie angesehen werden. Er hängt lediglich in geringem Umfang von den Kernkoordinaten ab und findet nur in den genauesten theoretischen Analysen Berücksichtigung [Wat68]. 2.2.2 Die Born-Oppenheimer Näherung Nach diesen Überlegungen kann nun die zeitunabhängige Schrödingergleichung für das H3 -Molekül angeschrieben werden. [TK + Te + U (Q) + VeK (r, Q) + VK (Q) − E] |Ψ(r, Q, ◦)i = 0 (2.8) Eine Abhängigkeit von elektronischen Koordinaten sei dabei mit r bezeichnet, von den Positionen der Kerne mit Q und von den Eulerwinkeln mit ◦ . Während die ersten drei Summanden der Schrödingergleichung durch die Ausdrücke (2.5) - (2.7) gegeben sind, beinhaltet VeK alle elektrostatischen Elektron-Elektron und Kern-Elektron Wechselwirkungen, VK hingegen allein die Coulomb-Abstoßung der drei Kerne untereinander. Im nächsten Schritt werden wir mit der Born-Oppenheimer Näherung eines der bedeutendsten Konzepte der Molekülphysik einführen. Es geht auf Max Born und Robert Oppenheimer zurück [BO27] und basiert auf dem großen Massenunterschied zwischen Elektronen und Kernen. Unter der Annahme, dass sich die schneller 3 Die explizite Form der µ-Matrix findet sich in [Rei02], Appendix A 10 2.2. QUANTENMECHANISCHE BEHANDLUNG bewegliche Elektronenhülle eines Moleküls „instantan“ an die jeweilige Kernkonfiguration anpassen kann, wird im Rahmen dieser Näherung eine Separation von Elektronen- und Kernbewegung erreicht. Wir beschränken uns zunächst auf die Bewegung der Elektronen und stellen eine Schrödingergleichung auf, in welche die Kernkoordinaten nur als Parameter eingehen: He |φn (r, Q)i = En (Q) |φn (r, Q)i (2.9) mit dem elektronischen Hamiltonoperator He = Te + VeK (r, Q) . (2.10) Für jede gegebene Kernkonfiguration Q besitzt die Gleichung (2.9) eine separate Lösung, was zu einem Satz elektronischer Eigenfunktionen |φn (r, Q)i und Eigenenergien En (Q) führt, die parametrisch von den Kernkoordinaten abhängen. Als Eigenzustände eines hermiteschen Operators bilden die |φn (r, Q)i ein vollständiges orthonormales Funktionensystem, nach dem die Lösung der Gesamt-Schrödingergleichung entwickelt werden kann: |Ψ(r, Q, ◦)i = X χn (Q, ◦) · |φn (r, Q)i (2.11) n Setzt man diesen Ansatz in Gleichung (2.8) ein, so erhält man nach linksseitiger Multiplikation mit hφm (r, Q)| ein System gekoppelter Gleichungen für die Koeffizienten χn (Q, ◦): [Em (Q) + VK (Q) + U (Q) − E] χm + X hφm | TK |χn φn i = 0 (2.12) n Man beachte, dass die Bewegung der Nukleonen, beschrieben durch den zweiten Term in (2.12), zu einer Kopplung verschiedener elektronischer Zustände führt. Da der Operator TK sowohl auf den Koeffizienten χn (Q, ◦) als auch auf den elektronischen Zustand |φn (r, Q)i wirkt, müssen bei einer exakten Lösung des Gleichungssystems erste und zweite partielle Ableitungen aller elektronischen Wellenfunktionen nach den Kernkoordinaten berechnet werden. Eine wesentliche Vereinfachung des Lösungswegs gelingt unter der Annahme TK |χn φn i ≈ [TK |χn i] · |φn i . (2.13) Dies ist die mathematische Formulierung der Born-Oppenheimer Näherung, mit der sich (2.12) auf ein System entkoppelter Gleichungen reduziert: [TK + Veff,m (Q) − E] χm (Q, ◦) = 0 11 (2.14) KAPITEL 2. DAS H3 -MOLEKÜL Für jeden elektronischen Zustand m des Moleküls stellt (2.14) eine Schrödingergleichung dar, welche die Bewegung der Nukleonen in einem effektiven Potential Veff,m (Q) = Em (Q) + VK (Q) + U (Q) beschreibt. Die ursprünglich als Entwicklungskoeffizienten eingeführten χm (Q, ◦) erhalten damit ihre Bedeutung als Wellenfunktionen des Kerngerüsts. Die verschiedenen elektronischen Energieniveaus Em (Q) bilden zusammen mit der elektrostatischen Wechselwirkung VK der Kerne untereinander und dem Term U (Q) die sogenannten Potentialflächen des H3 -Moleküls. Ihre spezifische Form entscheidet über die Existenz gebundener Zustände und bestimmt darüber hinaus deren Kernkonfiguration, sowie die Energien möglicher Schwingungs- und Rotationsniveaus. Innerhalb der Born-Oppenheimer Näherung kann man die vollständige Berechnung der molekularen Eigenzustände und Wellenfunktionen demnach in zwei getrennten Schritten ausführen: • Die Lösung der elektronischen Schrödingergleichung (2.9) für ein als starr angenommenes Kerngerüst • Die Lösung der Schrödingergleichung (2.14) für die Kernbewegung auf den im vorigen Schritt ermittelten Potentialflächen Veff,m (Q) Man beachte, dass es erst durch die Separation der Elektronen- und Kernbewegung möglich wird, von definierten elektronischen Niveaus |φm i und zugehörigen rovibronischen Zuständen |χm,ν,r i des Kerngerüsts zu sprechen! Demzufolge lässt sich die Gesamtwellenfunktion des Moleküls |Ψm,ν,r i = |χm,ν,r i · |φm i (2.15) nur im Gültigkeitsbereich der Born-Oppenheimer Näherung als ein Produkt aus Elektronen- und Kern-Anteil darstellen. 2.2.3 Nicht-adiabatische Kopplungen Das H3 -Molekül besitzt eine Reihe von Eigenschaften, die auf der Wechselwirkung zwischen der Elektronen- und Kernbewegung beruhen. Effekte wie der Vibrationsdrehimpuls oder Rotationskopplungen führen zu einer Mischung verschiedener elektronischer Zustände |φm i und initiieren letztlich die rasche Prädissoziation des Moleküls. Diese Effekte können nicht mehr im Rahmen der Born-Oppenheimer Näherung verstanden werden und erfordern einen tiefergehenden Einblick in die molekulare Dynamik. Wir betrachten 12 2.2. QUANTENMECHANISCHE BEHANDLUNG hierzu den entscheidenden Schritt (2.13) im Detail und multiplizieren den Operator TK aus Gleichung (2.5) explizit aus. Dieser wirkt auf das Produkt |χn (Q, ◦) φn (r, Q)i zweier Wellenfunktionen, welche beide von den Positionen der Kerne abhängen. Entsprechend ist für die Operatoren π und Pk die Anwendung der Kettenregel erforderlich, da sie jeweils Ableitungen nach den Normalkoordinaten Q beinhalten. Im Ergebnis resultiert eine Vielzahl unterschiedlicher Terme: X 1X (Nα − πα )µαβ (Nβ − πβ ) − µαβ Πα (Nβ − πβ ) TK = 2 α,β α,β + 3 1X 1X µαβ Πα Πβ + P2 2 α,β 2 k=1 k (2.16) Wenn man sich das Gleichungssystem (2.12) in Form einer Matrix dargestellt denkt, so repräsentieren alle Beiträge, in denen der zweite Faktor |φn (r, Q)i unberührt bleibt, ausschließlich Diagonalelemente. Die restlichen Terme führen sowohl zu diagonalen als auch zu nicht-diagonalen Einträgen, und am Ende erhalten wir 3 1X 1X (Nα − πα )µαβ (Nβ − πβ ) + P 2 + Veff,m − E χm (Q, ◦) 2 α,β 2 k=1 k + X Λmn χn = 0 (2.17) n Die Kopplung zwischen verschiedenen elektronischen Zuständen wird dabei durch die Beiträge Λmn im letzten Term eingeführt. Seine komplette Vernachlässigung entspricht der Born-Oppenheimer Näherung. Für eine Entkopplung des Gleichungssystems (2.17) genügt es jedoch bereits, alle nicht-diagonalen Elemente X 1 1 Λmn = µαβ hφm | πα πβ |φn ir + hφm | Πα Πβ |φn ir + hφm | Πα πβ |φn ir 2 2 α,β − X µαβ [hφm | πβ |φn ir (Nα − πα ) + hφm | Πα |φn ir (Nβ − πβ )] α,β + 3 X k=1 1 hφm | Pk |φn ir Pk + hφm | Pk2 |φn ir 2 (2.18) zu vernachlässigen. Dieser Schritt wird als adiabatische oder Born-Huang Näherung bezeichnet [AM77] und führt zu kleinen Korrekturen der BornOppenheimer Potentialflächen. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, 13 KAPITEL 2. DAS H3 -MOLEKÜL dass die Elektronenhülle mit einer gewissen Verzögerung auf Änderungen der Kernkonfiguration reagiert. Auch in dieser Näherung lässt die Bewegung der Nukleonen jedoch den elektronischen Zustand unverändert, so dass das Molekül stets auf derselben Potentialfläche verbleibt! Die nicht-diagonalen Elemente Λmn aus Gleichung (2.18) wollen wir im folgenden als nicht-adiabatische Kopplungen bezeichnen. Diese Terme induzieren Übergänge zwischen den verschiedenen rovibronischen Niveaus des H3 Moleküls. Alle Beiträge in der 3. Reihe von (2.18) werden dabei ausschließlich durch die Schwingungsbewegung des Kerngerüsts hervorgerufen und unter dem Begriff Vibrationskopplungen zusammengefasst. Die meisten theoretischen Untersuchungen beschränken sich auf den Term hφm | Pk |φn ir Pk , welcher in vielen Fällen die Kopplung hφm | Pk2 |φn ir deutlich überwiegt [LBF04]. Die Terme in der 1. und 2. Reihe von Gleichung (2.18) enthalten zum einen den Vibrationsdrehimpuls π und zum anderen Beiträge von elektronischem Bahndrehimpuls Π und Kernrotation N . In der Literatur hat sich für sie die Bezeichnung Rotationskopplungen eingebürgert, obwohl man korrekterweise von „Drehimpuls-Kopplungen“ sprechen müsste. Wie in Abbildung 2.3 illustriert, gewinnen nicht-adiabatische Kopplungen dort an Bedeutung, wo sich die Potentialflächen zweier elektronischer Zustände energetisch nahe kommen. Die Bedingung |hχm | Λmn |χn i| |Em − En | (2.19) stellt ein allgemeines Kriterium für die Gültigkeit der Born-Oppenheimer Näherung dar [Daw92, KMD02]. Das H3 besitzt nun eine ganze Reihe von Abbildung 2.3: Schematische Darstellung zur Gültigkeit der Born-Oppenheimer Näherung, entnommen aus [Dem03] 14 2.3. SYMMETRIE Potentialflächen, die in der Gleichgewichtskonfiguration des Moleküls energetisch benachbart liegen und das Auftreten nicht-adiabatischer Effekte begünstigen (vgl. Abbildung 2.6). Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die konische Überschneidung der beiden Grundzustandsflächen. 2.3 Symmetrie Die Symmetrieeigenschaften eines Moleküls sind bestimmt durch die räumliche Anordnung seiner Nukleonen. Dabei gibt es für jedes Molekül bestimmte Abbildungen, unter denen die Kernkonfiguration als Ganzes wieder in sich selbst übergeht, so dass ein vom ursprünglichen System nicht zu unterscheidendes Duplikat entsteht. Man kann die Symmetrie eines Moleküls anhand von vier elementaren Symmetrieoperationen klassifizieren, die im folgenden zusammen mit ihrer Schönflies-Notation aufgeführt sind: • Drehung von 360◦/n um eine Achse Cn • Spiegelung an einer Ebene σ, die vertikal (σv ) oder horizontal (σh ) bezüglich der Drehachse mit dem höchsten n ausgerichtet sein kann • Drehspiegelung an einer Achse Sn , entspricht einer Rotation um den Winkel 360◦/n mit nachfolgender Spiegelung an einer Ebene senkrecht zur Drehachse • Punktspiegelung an einem Inversionszentrum i Zusammen mit der Identitätsabbildung stellen alle bei einem Molekül möglichen Symmetrieoperationen die Elemente einer Gruppe dar. In der Literatur findet häufig auch der Begriff Punktgruppe Verwendung, weil der Schwerpunkt des Moleküls unter jeder Operation invariant bleibt. Ausgehend von der Geometrie des starren Kerngerüsts, bei der alle Nukleonen in der Gleichgewichtslage festgehalten werden, gehört das dreiatomige Wasserstoffmolekül der Symmetriegruppe D3h an. Die einzelnen Symmetrieelemente dieser Gruppe sind in Abbildung 2.4 graphisch veranschaulicht. Die Hauptsymmetrieachse C3 steht senkrecht auf der von den Kernen aufgespannten Spiegelebene σh und definiert üblicherweise die z-Richtung in einem molekülfesten Koordinatensystem. Darüber hinaus besitzt das Molekül drei zweizählige Rotationsachsen C2 , welche jeweils die Position eines 15 KAPITEL 2. DAS H3 -MOLEKÜL Kernes fixieren und das verbleibende Protonenpaar austauschen. Drei senkrechte Spiegelebenen σν komplettieren schließlich die Symmetrieelemente des H3 -Moleküls. Abbildung 2.4: Überblick über die Symmetrieelemente der D3h -Gruppe. Aus Gründen der Übersichtlichkeit ist nur eine von insgesamt drei Spiegelebenen σν dargestellt. Jede der beschriebenen Operationen basiert auf einer fundamentalen Symmetrieeigenschaft des Systems. Aus diesem Grunde gestattet die Kenntnis der Symmetriegruppe im folgenden eine systematische Klassifikation der möglichen molekularen Zustände. Neben einem einfacheren Verständnis beobachteter Spektren lassen sich damit insbesondere auch Auswahlregeln für nicht-adiabatische Übergänge ableiten. 2.3.1 Klassifikation molekularer Zustände Da sich bei einer Symmetrieoperation die Positionen der Kerne nicht ändern, bleibt auch das Coulombfeld, in dem sich die Elektronen bewegen, konstant. Deshalb besitzen nicht nur die Zustände des Kerngerüsts, sondern auch die elektronischen Niveaus Symmetriespezies der Gruppe D3h . Für die Klassifikation eines einzelnen Zustandes ist nun entscheidend, wie sich dessen Wellenfunktion unter Anwendung der Symmetrieoperationen verhält. Betrachten wir zunächst einen nicht-entarteten Zustand des Moleküls, so muss eine Symmetrieabbildung diesen Zustand bis auf sein Vorzeichen unverändert lassen. Er hat also bezüglich eines gegebenen Symmetrieelements den Eigenwert 1 (symmetrisch) oder -1 (antisymmetrisch). Man bezeichnet dieses Verhalten der Wellenfunktion auch als ihren Charakter, welcher im Falle der Operation i mit der Parität übereinstimmt. Ein Zustand aus einem Entartungsraum muss dagegen nicht zwangsläufig Eigenzustand einer 16 2.3. SYMMETRIE Bezeichnung A B E T Eigenschaften eindimensional, symmetrisch bezüglich der höchstzähligen Drehachse eindimensional, antisymmetrisch bezügl. der höchstzähligen Drehachse zweidimensional dreidimensional Index (unten) g/u symmetrisch/antisymmetrisch unter Inversion 1/2 symmetrisch/antisymmetrisch unter σv oder C2 Bem: Beim H3 wird das Verhalten unter C2 angegeben Index (oben) ’/” symmetrisch/antisymmetrisch unter σh , sofern kein Inversionszentrum vorhanden ist Tabelle 2.1: Nomenklatur irreduzibler Darstellungen Symmetrieoperation sein. Da ihre Anwendung jedoch nicht aus dem Entartungsraum herausführt, lässt sich die Symmetrieoperation mit Hilfe einer Matrix darstellen, welche die Transformation der Basisvektoren des entarteten Zustands beschreibt. Einen Satz solcher Matrizen, der das Verhalten einer gegebenen Wellenfunktion unter den verschiedenen Symmetrieelementen der Gruppe beschreibt, bezeichnet man als eine Darstellung. Durch die Wahl einer entsprechenden Basis lässt sich jede Darstellung in eine möglichst einfache, irreduzible Form transformieren [HW02]. Ihre Symmetrieeigenschaften sind jedoch basisunabhängig und eignen sich deshalb zur Klassifikation der molekularen Zustände. Die übliche Nomenklatur ist in Tabelle 2.1 aufgeführt, wobei für Moleküle der D3h -Gruppe lediglich Darstellungen vom Typ A bzw. E existieren. Die erlaubte Gesamtsymmetrie der rovibronischen Wellenfunktion wird darüber hinaus durch das Austauschprinzip eingeschränkt 0 00 0 00 und kann beim H3 nur die Werte A2 , A2 , E , E annehmen. 17 KAPITEL 2. DAS H3 -MOLEKÜL 2.4 Elektronische Niveaus Die elektronische Struktur des H3 zeichnet sich durch eine Reihe ungewöhnlicher Eigenschaften aus. Zum einen ist das Molekül nur in angeregten Zuständen gebunden; die beiden Blätter der Grundzustandsfläche sind repulsiv und führen zu einer raschen Dissoziation. Zum anderen haben die Orbitale der elektronisch angeregten Niveaus kaum Ähnlichkeit mit einer Linearkombination aus Wellenfunktionen dreier gleichseitig angeordneter H-Atome. Vielmehr gleichen sie den Orbitalen eines Einzelatoms und werden daher häufig als Rydbergzustände bezeichnet. Die beiden inneren Elektronen füllen die kugelsymmetrische 1s-Schale auf, während das Valenzelektron eines der Rydberg-Orbitale besetzt und für die Benennung des Zustandes verantwortlich ist. In Tabelle 2.2 sind die Konfigurationen aller elektronischen Zustände mit Hauptquantenzahlen n ≤ 3 aufgeführt. Ihre gebräuchlichen Kurzbezeichnungen umfassen neben der Symmetrie der Wellenfunktion auch die Multiplizität des Spins, gekennzeichnet durch die hochgestellte Ziffer 2. Die Quantenzahl λ entspricht der Projektion des elektronischen Bahndrehimpulses l auf die molekulare Hauptsymmetrieachse und kann 2l+1 verschiedene Werte annehmen. Orbitale mit gleichem Betrag von λ sind energetisch entartet, da eine Reflexion der Wellenfunktion an der Ebene σh das elektrostatische Potential des Moleküls nicht verändert. Entsprechend besitzen alle Niveaus mit λ > 0 die elektronische Symmetrie E, während die nicht entarteten Zustände mit λ = 0 dem Symmetrietyp A angehören. Elektronenkonfiguration 0 (1sa1 )2 0 (1sa1 )2 0 2 (1sa1 ) 0 (1sa1 )2 0 (1sa1 )2 0 2 (1sa1 ) 0 (1sa1 )2 0 (1sa1 )2 0 (1sa1 )2 0 (2pe ) 0 (2sa1 ) 00 (2pa2 ) 0 (3pe ) 0 (3sa1 ) 00 (3pa2 ) 0 (3de ) 00 (3de ) 0 (3da1 ) [λ = 1] [λ = 0] [λ = 1] [λ = 0] [λ = 2] [λ = 1] [λ = 0] Bezeichnung 0 2p 2E 0 2s 2A1 00 2p 2A2 0 3p 2E 0 3s 2A1 00 3p 2A2 0 3d 2E 00 3d 2E 0 3d 2A1 Tabelle 2.2: Niedrigste elektronische Zustände des H3 -Moleküls 18 2.4. ELEKTRONISCHE NIVEAUS 2.4.1 Hypersphärische Koordinaten Ein zentraler Schlüssel für das Verständnis dynamischer Vorgänge in Molekülen besteht in der Kenntnis der elektronischen Energien als Funktion der Kernkoordinaten. Im Falle eines dreiatomigen Moleküls hat es sich dabei als günstig erwiesen, die Anordnung der Kerne in einem hypersphärischen Koordinatensystem (ρ, ϑ, ϕ) darzustellen [Joh80]. Das Konzept beruht auf der Verwendung zweier Winkel und einer Länge, welche zusammen das von den Kernen aufgespannte Dreieck beschreiben. Die drei Seitenlängen a, b, c sind in hypersphärischen Koordinaten gegeben durch a = 3−1/4 · ρ · (1 + cos ϑ cos(ϕ+120◦ ))1/2 b = 3−1/4 · ρ · (1 + cos ϑ cos(ϕ−120◦ ))1/2 c = 3 −1/4 (2.20) 1/2 · ρ · (1 + cos ϑ cos ϕ) Wie in Abbildung 2.5 illustriert, lässt sich die Bedeutung des Koordinatensystems am besten mit Hilfe einer Kugel veranschaulichen: Die beiden Winkel ϑ und ϕ können als Breiten- bzw. Längengrade auf der Kugeloberfläche interpretiert werden und legen die Grundgestalt des Dreiecks fest. Der Radius ρ bestimmt dagegen lediglich die Größe der aufgespannten Figur und nimmt in der Gleichgewichtskonfiguration des H3 einen Wert von ρ = 2.172 au an. Abbildung 2.5: Beschreibung der Kernkonfiguration mittels hypersphärischer Koordinaten. Das rechte Diagramm entspricht einer Sicht von oben auf die Kugeloberfläche bei einem gegebenen Wert von ρ. 19 KAPITEL 2. DAS H3 -MOLEKÜL Im rechten Teil von Abbildung 2.5 ist die Bedeutung der Winkel für einen festen Wert von ρ gezeigt. Die Koordinate ϑ = 90◦ entspricht demnach immer einer gleichseitigen Anordnung der drei Kerne, wohingegen Werte von ϑ = 0◦ bzw. 180◦ lineare Konfigurationen beschreiben. Unter Änderung des Winkels ϕ variiert die Form der Dreiecke periodisch zwischen stumpfwinkligen und spitzwinkligen Geometrien. Wegen der Ununterscheidbarkeit der H-Kerne reicht eine Beschränkung auf den Bereich 0◦ ≤ ϕ ≤ 60◦ und 0◦ ≤ ϑ ≤ 90◦ aus, um alle möglichen Konfigurationen des Kerngerüsts abzudecken. Alternativ können für ϑ auch Werte zwischen 0◦ und 180◦ erlaubt werden, wenn man im Gegenzug den Winkel ϕ auf den Bereich 0◦ ≤ ϕ ≤ 30◦ begrenzt. 2.4.2 Potentialflächen Basierend auf quantenchemischen Rechnungen von Jungen [NJ82, GBM+ 05] werden in Abbildung 2.6 die Potentialflächen der energetisch niedrigsten H3 Zustände gezeigt. In dem Schaubild ist der Winkel ϕ bei 0◦ festgehalten, so dass die dargestellten Kernanordnungen auf gleichschenklige Dreiecke beschränkt sind. Der Winkel ϑ variiert von 0◦ (linear) über stumpfwinklige Geometrien bis 90◦ (gleichseitig) und von dort bei zunehmend spitzwinkligeren Konfigurationen weiter bis 135◦ . Die Koordinate ρ startet etwas unterhalb des Gleichgewichtswertes von 2.172 au und reicht hinauf bis 4.9 au, wo die Kernabstände auf mehr als das Doppelte angewachsen sind. 0 Das Schaubild zeigt die beiden Blätter des repulsiven 2p 2 E -Grundzustandes, sowie eine Reihe gebundener Potentialflächen, welche jeweils Minima um ϑ = 90◦ besitzen. Für Experimente zum Starkeffekt sind insbesondere die 0 00 energetisch benachbarten Zustände 2s 2A1 und 2p 2A2 von Interesse, die in der Gleichgewichtslage einen Abstand von lediglich 110 meV aufweisen. Bei linearer Anordnung der Kerne (ϑ = 0◦ ) tritt wegen der höheren Symmetrie sogar eine Entartung der beiden Niveaus auf. In annähernd gleichseitigen Konfigurationen (|90◦ − ϑ| < 30◦ ) ist dieses Zustandspaar deutlich von allen weiteren elektronischen Niveaus separiert. Sobald das Kerngerüst jedoch in Richtung stumpfwinkliger oder spitzwinkliger 0 Dreiecke verformt wird, kommt die obere 2p 2 E -Fläche energetisch sehr nahe 0 heran. Aufgrund dessen unterliegt das 2s 2A1 -Niveau ausgeprägten Vibrationskopplungen an den Grundzustand und wird in ungewöhnlich kurzer Zeit dissoziiert (τ2s ≈ 200 fs [DH80]). Das viel weiter vom Grundzustand entfernte 0 3s 2A1 -Level besitzt zum Vergleich eine Lebensdauer von etwa 1 ns [BHL91]. 00 Im Falle des metastabilen 2p 2A2 -Niveaus ist eine Vibrationskopplung aus 20 2.4. ELEKTRONISCHE NIVEAUS Symmetriegründen verboten, weshalb das Molekül ausschließlich über die erheblich weniger effiziente Rotationskopplung dissoziieren kann. Eine bemerkenswerte Eigenschaft der elektronischen Struktur des H3 ist die symmetriebedingte Überschneidung der Grundzustandsflächen bei ϑ = 90◦ . Nach dem Jahn-Teller-Theorem spaltet jeder elektronisch entartete Zustand eines nicht-linearen Moleküls auf, wenn die Kernkonfiguration zu niedrigerer Symmetrie hin deformiert wird [JT37]. Dabei bildet sich eine konische Überschneidung der Potentialflächen aus, in deren Nähe die Kopplung zwischen Elektronen- und Kernbewegung so stark zunimmt, dass die BornOppenheimer-Näherung zusammenbricht. Die Situation ist in Abbildung 2.7 illustriert, wo die beiden Grundzustandsflächen als Funktion von ϑ und ϕ für zwei feste Werte von ρ dargestellt sind. Das linke Diagramm zeigt sehr anschaulich, wie die beiden Teilflächen bei ϑ = 90◦ kegelförmig aufeinander zulaufen. Im rechten Diagramm ist ρ auf annähernd das Doppelte gestie0 gen und man erkennt, dass die obere 2p 2 E -Fläche gegen das DreiteilchenLimit bei E = −1.5 au zu konvergieren beginnt. Entsprechend werden bei einer Dissoziation des Moleküls ausschließlich die Fragmente H+H+H gebil0 det. Demgegenüber öffnet sich das untere 2p 2 E -Blatt auch zum energetisch tiefer gelegenen Zweiteilchenkontinuum hin, so dass ein großer Anteil der Zerfallsprozesse auf dieser Fläche zur Entstehung von H+H2 führt [Gal10]. Abbildung 2.6: Dreidimensionale Darstellung der energetisch niedrigsten Potentialflächen des H3 -Moleküls in den hypersphärischen Koordinaten ϑ und ρ. Durch die Festlegung ϕ = 0◦ ist die Geometrie des Kerngerüstes auf gleichschenklige Dreiecke beschränkt. 21 KAPITEL 2. DAS H3 -MOLEKÜL Ρ " 3.872 a.u. Ρ " 7.072 a.u. 300° 0° 30° $ % 0° 60° #1.4 300° 0° 30° $ % 0° 60° 240° 90° 180° 60° #1.4 120° 240° 90° 180° 60° 120° #1.5 5 #1.5 5 a.u. #1.6 1.6 a.u. #1.6 1.6 Abbildung 2.7: 0 Die beiden Blätter des 2p 2 E -Grundzustandes als Funktion der Koordinaten ϑ und ϕ für zwei ausgewählte Werte von ρ, entnommen aus [Gal06]. Die Darstellung illustriert die konische Überschneidung der Potentialflächen bei ϑ = 90◦ , sowie ihre Anbindung an die verschiedenen Dissoziationskontinuen. 2.4.3 Prädissoziation der n=2 Zustände Das vorgestellte Experiment zur Starkeffekt-induzierten Dissoziation von H3 basiert auf dem unterschiedlichen Zerfallsverhalten der beiden angeregten 00 n=2 Niveaus. Während der 2p 2A2 -Zustand ausschließlich über die Rotation 0 dissoziiert werden kann, unterliegt das 2s 2A1 -Niveau der wesentlich effizienteren Vibrationskopplung. Die Ursache für diesen Unterschied liegt in den elektronischen Symmetrien der Zustände begründet, welche zu verschiedenen 0 Kopplungsmechanismen an die repulsive 2p 2 E -Grundzustandsfläche führen. Verantwortlich für die Vibrationskopplung sind die beiden Beiträge in der untersten Reihe von Gleichung (2.18): Λvib = 3 X hφm | Pk |φn ir Pk + k=1 3 1 X hφm | Pk2 |φn ir 2 k=1 (2.21) Die Summation erfolgt jeweils über die verschiedenen Schwingungsmoden des Kerngerüsts, beschrieben durch die Impulsoperatoren P1 , P2a , P2b . Ihre Sym22 2.5. VIBRATION UND ROTATION metrien entscheiden darüber, welche elektronischen Wellenfunktionen |φn i durch die Terme in (2.21) an den Grundzustand gekoppelt werden: 1 2 3 Operatoren Symmetrie P1 , P12 P2a , P2b 2 2 P2a , P2b A1 0 E 0 0 0 A1 ⊕ A2 ⊕ E Kopplung an 2pE 0 0 0 E 0 0 0 E , A1 , A2 0 0 0 E , A1 , A2 0 Im Falle des 2s 2A1 -Niveaus erzeugen die Operatoren der entarteten Biege0 schwingung (Zeilen 2 & 3) einen nicht-adiabatischen Übergang nach 2p 2 E . Der Wechsel der elektronischen Symmetrie wird dabei durch eine Änderung der Vibrationswellenfunktion kompensiert, so dass die rovibronische Gesamtsymmetrie des Moleküls erhalten bleibt. In einem anschaulichen Bild wechselt bei diesem Übergang die Anregung der Biegemode, obwohl auf der repulsiven Grundzustandsfläche keine stabilen Schwingungsniveaus existieren. 00 Die Dissoziation eines 2p 2A2 -Moleküls kann dagegen durch keinen der Ope00 0 ratoren aus Gleichung (2.21) induziert werden. Der Paritätswechsel A2 → E der Wellenfunktion wird für Niveaus mit Gesamtdrehimpuls N 6= 0 durch eine Änderung des Rotationszustandes um ∆K = ±1 ausgeglichen [Gal06]. Beim metastabilen (N = 0, K = 0) Niveau ist die elektronische Spin-Bahn Kopplung für den Übergang auf die Grundzustandsfläche verantwortlich [BHL91]. 2.5 Vibration und Rotation Als dreiatomiges Molekül besitzt das H3 insgesamt 9 Freiheitsgrade. Nach Abzug von jeweils dreien für die Translation und Rotation entfallen die verbleibenden auf Schwingungen des Kerngerüsts. Die mathematische Behandlung gelingt am einfachsten in einem molekülfesten Koordinatensystem, das eine näherungsweise Entkopplung von Rotations- und Vibrationsbewegung erlaubt. Die entsprechenden Rechnungen sind detailliert in [Rei02] beschrieben, weshalb wir uns an dieser Stelle auf eine Besprechung der Ergebnisse beschränken wollen. 2.5.1 Eigenschwingungen Das H3 -Molekül besitzt drei verschiedene Schwingungsmoden [Q1 , Q2a , Q2b ], die in Abbildung 2.8 schematisch veranschaulicht sind. Bei Q1 handelt es sich 23 KAPITEL 2. DAS H3 -MOLEKÜL Abbildung 2.8: Vibrationsmoden des H3 -Moleküls mit den zugehörigen Normalkoordinaten. Links die symmetrische Streckschwingung, in der Mitte und rechts die beiden entarteten Biegemoden. um eine symmetrische Streckschwingung des Kerngerüsts, welche in einem anschaulichen Bild häufig auch Atemmode genannt wird. Die anderen beiden Moden tragen dieselbe Energie und werden zusammenfassend meist als entartete Biegeschwingung bezeichnet. Wenn eine einzelne Betrachtung erfolgen soll, unterscheidet man entsprechend der Kernbewegungen die symmetrische [Q2a ] von der asymmetrischen Biegemode [Q2b ]. Für kleine Auslenkungen aus der Gleichgewichtslage entspricht die Streckschwingung einer eindimensionalen harmonischen Oszillation der Frequenz ω1 , während die entartete Biegemode durch einen zweidimensionalen Oszillator der Frequenz ω2 beschrieben werden kann. Die Vibrationsniveaus ergeben sich damit zu 1 ~ω1 + (ν2 + 1) ~ω2 , = ν1 + 2 Evib (2.22) wobei ν1 und ν2 = ν2a + ν2b die Zahl der Anregungsquanten in der jeweiligen 00 Schwingung bezeichnen. Für den metastabilen 2p 2A2 -Zustand des H3 betragen die Niveauabstände ~ω1 = 0.40 eV bzw. ~ω2 = 0.32 eV [KMW89]. Der Vibrationszustand des Moleküls wird üblicherweise in der Notation (ν1 , ν2 ) angegeben, wobei sich für die niedrigsten Anregungen folgende Abkürzungen eingebürgert haben: Zustand Kurzform (0, 0) ν0 (1, 0) ν1 (0, 1) ν2 24 2.5. VIBRATION UND ROTATION 2.5.2 Vibrationsdrehimpuls Eine deutlich praktischere Basis für die Beschreibung des zweidimensionalen harmonischen Oszillators Q2a/b erhält man unter Einführung komplexer Normalkoordinaten Q± = mit 1 (Q2a ± iQ2b ) = Qr exp(±iϕ∗ ) 2 Q2r = Q22a + Q22b ϕ∗ = arctan (Q2a /Q2b ) und (2.23) (2.24) Durch den Ausdruck (2.23) wird eine Rotation der Kerne um ihre Gleichgewichtslagen beschrieben, die zur Entstehung eines molekülinternen Drehimpulses l2 entlang der Hauptsymmetrieachse führt. Die klassische Bewegung, die einer Variation von ϕ∗ bei fixem Qr entspricht, ist in Abbildung 2.9 veranschaulicht. Der entscheidende Vorteil dieser Beschreibung liegt darin, dass die zugehörigen Basisfunktionen gleichzeitig Eigenzustände des Operators π sind, der ein Bestandteil mehrerer nicht-adiabatischer Kopplungsterme in Gleichung (2.18) ist. Die Eigenfunktionen bezüglich der Koordinaten (Qr , ϕ∗ ) werden durch die Quantenzahlen (ν2 , l2 ) charakterisiert. Letztere bestimmt dabei den Betrag des Vibrationsdrehimpulses und kann die Werte l2 = −ν2 , −ν2 + 2, . . . , ν2 − 2, ν2 (2.25) annehmen [CTDL99]. Bei Schwingungszuständen, in denen der vibronische Drehimpuls von Bedeutung ist, wird er dem Tupel der Besetzungszahlen als Superscript hinzugefügt: (ν1 , ν2 )l2 . Abbildung 2.9: Klassische Interpretation des vibronischen Drehimpulses als Rotation der Kerne um ihre Gleichgewichtslagen. Die Bewegungen erfolgen synchron, aber mit jeweils 120◦ Phasenversatz. 25 KAPITEL 2. DAS H3 -MOLEKÜL 2.5.3 Rotationsmoden Ein einfaches Modell für die Rotation des H3 basiert auf der Annahme, dass sich der Kernabstand durch die Drehbewegung nicht ändert und die drei HAtome in ihren Gleichgewichtspositionen verharren. Wir wählen die Hauptträgheitsachsen gemäß Abbildung 2.10 und definieren dadurch gleichzeitig die Orientierung des molekülfesten Koordinatensystems: Die x- und y-Achse weisen zu den Gleichgewichtspositionen der Kerne 1 und 3, während die Richtung der z-Achse so festgelegt wird, dass das Koordinatensystem rechtshändig ist. Aufgrund seiner Geometrie bildet das Kerngerüst des H3 einen oblaten symmetrischen Kreisel mit den Hauptträgheitsmomenten Ix = Iy = 2mH (r0 /2)2 = 0.5 mH r02 √ 2 Iz = 3mH r0 / 3 = mH r02 (2.26) (2.27) Die Größe r0 ≈ 0.87 Å [MBB86] bezeichnet dabei den Gleichgewichtsabstand ~ rotiert, der H-Atome. Wenn das Kerngerüst nun mit einem Drehimpuls N wird seine Bewegung durch den folgenden Hamiltonian beschrieben: Hrot Ny2 Nz2 Nx2 1 1 2 2 = + + = N − Nz 2Ix 2Iy 2Iz 2Ix 2 (2.28) Die Eigenwerte hängen sowohl vom Betrag als auch von der Richtung des Drehimpulses ab und sind durch die Quantenzahlen N und K festgelegt: 1 Erot = Be N (N + 1) − Be K 2 (2.29) Abbildung 2.10: Skizze der Hauptträgheitsachsen beim H3 -Molekül. Wegen Ix = Iy < Iz bildet das Kerngerüst einen oblaten symmetrischen Kreisel. 26 2.6. STARKEFFEKT IM ELEKTRISCHEN FELD N entspricht dem Gesamtdrehimpuls des Moleküls ohne Elektronen- und Kernspin, K dessen Projektion auf die z-Achse, und die Rotationskonstante ist gegeben durch Be = ~/(2πcIx ). Aufgrund unterschiedlicher Bindungslängen variiert sie geringfügig in Abhängigkeit vom elektronischen Anregungszustand. Typische Werte für das H3 liegen um Be ≈ 44 cm−1 [DH80, HHW82]. Man muss sich darüber klar sein, dass der Hamiltonoperator (2.28) eines starren Rotators verschiedene Effekte vernachlässigt, die im realen Molekül eine Rolle spielen: Zum einen werden die Gleichgewichtsabstände r0 infolge der Zentrifugalkräfte bei zunehmender Rotationsgeschwindigkeit größer, zum anderen führen die Kerne auch Schwingungen um die Gleichgewichtslage aus, so dass der Kernabstand während der Rotation variiert. Dadurch ändern sich die mittleren Trägheitsmomente (→ schwingungsabhängige Rotationskonstanten), und es treten Corioliskräfte innerhalb des Moleküls auf, die eine Kopplung zwischen verschiedenen Vibrationsmoden bewirken. Zentrifugalund Coriolis-Störungen sind beim H3 relativ klein und können mit Hilfe von Korrekturtermen berücksichtigt werden [DH80, HLSW81]. Zu guter Letzt nehmen auch die Elektronen an der Rotationsbewegung des Moleküls teil. Insbesondere in den energetisch niedrigen Zuständen (n ≤ 3) ist ihr Bahndrehimpuls wesentlich stärker an das Kerngerüst gekoppelt als an den elektronischen Spin (Hund’scher Kopplungsfall b). Entsprechend folgt die Bewegung der Elektronenhülle den drei rotierenden H-Atomen. Geringfügige Störungen durch Corioliskräfte sind in den Rotations-Kopplungen in Gleichung (2.18) enthalten und können im Rahmen der Born-OppenheimerNäherung vernachlässigt werden. 2.6 Starkeffekt im elektrischen Feld Das Prinzip der Starkeffekt-induzierten Dissoziation von H3 basiert auf der Wechselwirkung des Moleküls mit einem externen elektrischen Feld. In der Beschreibung der Quantenmechanik wird dieses Feld als eine äußere Störung betrachtet, welche den ungestörten Hamilton-Operator H0 modifiziert: H = H0 + WS (2.30) Die Wechselwirkungsenergie des Moleküls mit dem elektrischen Feld E~ ist ~ Entbestimmt durch die Größe und Orientierung seines Dipolmoments q R. sprechend der Situation im Experiment nehmen wir eine Feldrichtung parallel 27 KAPITEL 2. DAS H3 -MOLEKÜL zur z-Achse an und erhalten den Stark-Hamiltonian ~ = −q Ez . WS = −q E~ · R (2.31) Unter dem Einfluss dieser Störung beginnen sich die Eigenenergien und Eigenzustände des Moleküls gegenüber dem feldfreien Fall zu verändern. Wir beschränken unsere Betrachtungen des Starkeffekts im folgenden auf die Wechselwirkung zweier energetisch benachbarter, nicht entarteter Zustän0 00 de. Im Hinblick auf die vorgestellten Untersuchungen des 2s 2A1 und 2p 2A2 Niveaus ist dieser Ansatz gerechtfertigt, da deren Abstand untereinander um eine ganze Größenordnung geringer ist als ihre Energiedifferenzen zu weiter entfernt liegenden Zuständen. 2.6.1 Eigenenergien Um die Energien der H3 -Niveaus im elektrischen Feld zu berechnen, müssen wir den Hamilton-Operator des Gesamtsystems diagonalisieren. In der Basis der ungestörten Eigenfunktionen {|2si, |2pi} hat seine Darstellungsmatrix ! die Form E1 W12 H= , (2.32) W21 E2 mit den ungestörten Eigenenergien E1 = 1.084 eV und E2 = 0.973 eV. Die Diagonalelemente der Störung verschwinden, weil der Stark-Hamiltonian (2.31) ungerade ist und nur Zustände verschiedener Parität miteinander koppelt. Darüber hinaus genügen die nicht-diagonalen Elemente wegen der Hermite∗ zität des Operators der Bedingung W12 = W21 . Die Matrix (2.32) lässt sich ohne weitere Schwierigkeiten diagonalisieren. Der zugehörige Rechenweg ist in [CTDL99] beschrieben und soll an dieser Stelle nicht näher erläutert werden. Man erhält für die Eigenwerte im Starkfeld E2p = Em + E2s = Em − q ∆2 /4 + |W12 |2 q ∆2 /4 + |W12 |2 (2.33) Die Abkürzungen Em = 21 (E1 + E2 ) und ∆ = E1 − E2 bezeichnen dabei die energetische Mitte, bzw. den Abstand der Zustände im feldfreien Fall. Die Stärke der Störung erhöht sich entsprechend Gleichung (2.31) proportional zum angelegten Feld E, mit dem Dipolmatrixelement der ungestörten Eigenfunktionen als Proportionalitätsfaktor: |W12 | = |h2s|qz|2pi| · E 28 (2.34) 2.6. STARKEFFEKT IM ELEKTRISCHEN FELD 0 00 Petsalakis et al. berechnen für den 2s 2A1 und 2p 2A2 Zustand des H3 ein Übergangsmatrixelement |h2s|qz|2pi| = 2.689 a.u. [PTW88]. Dieser Wert liegt nur 10 % unter dem Ergebnis, welches man bei Verwendung reiner WasserstoffWellenfunktionen erhalten würde. Hierin bestätigt sich die Tatsache, dass selbst die kernnahen n = 2 Niveaus beim H3 -Molekül in guter Näherung als Rydberg-artig angesehen werden können. Für die im Experiment eingesetzten Felder zwischen 0 und 20 kV/cm erreicht das Verhältnis |W12 /∆| lediglich Maximalwerte um 2 · 10−3 . Die Stärke der Störung ist also durchweg um 3 Größenordnungen kleiner als der Energieabstand der beiden Niveaus. Unter diesen Voraussetzungen können wir die Wurzel in den Ausdrücken (2.33) nach Potenzen von |W12 /∆| entwickeln: q ∆ ∆2 /4 + |W12 |2 = · 2 s W12 2 1 + 4 ∆ W12 2 ∆ + ... ≈ · 1 + 2 2 ∆ ! Wir beschränken uns auf die ersten beiden Terme dieser Entwicklung und erhalten nach Einsetzen in (2.33) eine quadratische Abhängigkeit der Eigenenergien von der elektrischen Feldstärke: E2p E2s |h2s|qz|2pi|2 2 ≈ E1 + ·E ∆ |h2s|qz|2pi|2 2 ≈ E2 − ·E ∆ (2.35) Die Zusammenhänge (2.35) entsprechen genau dem Ergebnis, das man auch im Rahmen einer störungstheoretischen Behandlung des Starkeffekts erhält. Der letztgenannte Ansatz basiert ja gerade auf der geringen Größe der Störung und erweist sich unter den Bedingungen des vorgestellten Experiments als sehr exakte Näherung. 0 00 Abbildung 2.11 illustriert die Energien des vibrationslosen 2s 2A1 und 2p 2A2 Zustandes in Abhängigkeit von der elektrischen Feldstärke E. Während das 2p-Niveau unter der Wirkung des Starkeffekts energetisch angehoben wird, erfährt das 2s-Niveau eine Absenkung um denselben Energiebetrag. Man beachte dabei insbesondere den Maßstab der x-Achse im linken Diagramm! Erst für Felder oberhalb von 2500 kV/cm überschreitet die auftretende Energieverschiebung die Auflösungsgrenze der Messapparatur von 10 meV. Zum Vergleich veranschaulicht das rechte Diagramm die Größe des Effekts im Feldstärkebereich zwischen 0 und 20 kV/cm. Selbst für die höchsten Felder, 29 KAPITEL 2. DAS H3 -MOLEKÜL Abbildung 2.11: 0 00 Starkeffekt des vibrationslosen 2s 2A1 und 2p 2A2 Niveaus in Abhängigkeit vom angelegten elektrischen Feld. Links eine Übersicht der Energieverläufe bis 5000 kV/cm, rechts eine Darstellung der Energieverschiebung innerhalb des experimentell eingesetzten Feldstärkebereichs zwischen 0 und 20 kV/cm. die im Rahmen dieser Arbeit Anwendung finden, bleibt die Energieverschiebung beider Zustände unterhalb von 1 µeV. Die blaue Kurve illustriert darüber hinaus den quadratischen Verlauf des Starkeffekts, wie er sich aus den Gleichungen (2.35) als Näherung für kleine Störungen ergibt. 2.6.2 Wellenfunktionen Neben einer Verschiebung der Eigenenergien bewirkt das externe elektrische Feld auch eine Änderung der Wellenfunktionen. Dabei wird dem Ausgangszustand jeweils ein Anteil des energetisch benachbarten Niveaus beigemischt, so dass eine Superposition verschiedener elektronischer Zustände entsteht. In der Basis der ungestörten Wellenfunktionen {|2si, |2pi} nehmen die neuen Eigenzustände des Moleküls nun folgende Form an: √ 1 − α2 |2pi + α |2si |Ψ+ i = √ |Ψ− i = 1 − α2 |2si − α |2pi (2.36) Der Koeffizient α beschreibt dabei die Wahrscheinlichkeitsamplitude der bei√ gemischten Wellenfunktion und kann zwischen 0 und 1/ 2 variieren. Sein genauer Wert ist durch die Stärke der Störung bestimmt und ergibt sich aus 30 2.6. STARKEFFEKT IM ELEKTRISCHEN FELD dem Diagonalisierungs-Formalismus zu W12 1 α = sin arctan 2 2 ∆ (2.37) Auch hier können wir wieder voraussetzen, dass der Einfluss des elektrischen Feldes über den im Experiment relevanten Feldstärkebereich zu einer Störung |W12 | << ∆ führt. Für die trigonometrischen Funktionen aus (2.37) gilt dann in guter Näherung sin(x) ≈ x und arctan(x) ≈ x : W12 1 sin arctan 2 2 ∆ W12 1 ≈ arctan 2 2 ∆ ≈ W12 ∆ Mit Hilfe dieser Näherung erhalten wir unter Berücksichtigung des Zusammenhangs (2.34) eine lineare Abhängigkeit der beigemischten Wellenfunktion von der elektrischen Feldstärke: α ≈ |h2s|qz|2pi| ·E ∆ (2.38) In Abbildung 2.12 ist die Änderung der Eigenzustände (2.36) unter der Wirkung des Starkeffekts graphisch veranschaulicht. Wie aus dem linken Diagramm ersichtlich, nimmt der Anteil der Beimengung α zunächst linear mit dem angelegten Feld zu, um sich oberhalb von E = 1000 kV/cm allmählich zu verlangsamen. Die schwarz gepunktete Linie spiegelt die Näherung (2.38) wider. Sie entspricht einer Behandlung des Starkeffekts in 1.Ordnung Störungstheorie und beschreibt den Verlauf der Zustandsmischung für Felder unterhalb der 1000 kV/cm-Grenze in ausreichender Genauigkeit. Das rechte Diagramm stellt den für diese Arbeit relevanten Feldstärkebereich zwischen 0 und 20 kV/cm in einer Ausschnittsvergrößerung dar. Selbst die 0 00 höchsten angelegten Felder bewirken sowohl beim 2s 2A1 als auch beim 2p 2A2 Niveau lediglich Beimengungen in der Größenordnung von 2.5 · 10−3 . Unter diesen Voraussetzungen entspricht die Wahrscheinlichkeitsamplitude α des beigemischten Zustandes unmittelbar seinem Anteil r an der Gesamtwellenfunktion: α √ ≈ α (2.39) rbeigemischt = α + 1 − α2 2.6.3 Dissoziationsraten 0 00 Die Mischung der 2s 2A1 und 2p 2A2 Wellenfunktion infolge des Starkeffekts hat unmittelbare Auswirkungen auf das Dissoziationsverhalten des Moleküls 31 KAPITEL 2. DAS H3 -MOLEKÜL Abbildung 2.12: Anteil der Beimengung α in den Eigenzuständen (2.36) als Funktion des elektrischen Feldes. Links eine Übersicht bis 5000 kV/cm, rechts eine Ausschnittsvergrößerung des experimentell genutzten Feldstärkebereichs. Die schwarz gepunktete Gerade entspricht einer Näherung in 1.Ordnung Störungstheorie. im elektrischen Feld. Für den Bereich niedriger Feldstärken spielt dabei insbesondere der große Lebensdauer-Unterschied beider Zustände eine entscheidende Rolle. Um die folgenden Betrachtungen zunächst auf eine allgemeine Basis zu stellen, bezeichnen wir den Ausgangszustand des Moleküls im feldfreien Raum mit |Ai und das durch den Starkeffekt beigemischte Niveau mit |Bi. Im Einflussbereich des elektrischen Feldes nimmt die Wellenfunktion des Moleküls nun eine Superposition der Form |Ψi = √ 1 − α2 |Ai + α |Bi (2.40) an, wobei die Koeffizienten über die Normierungsbedingung miteinander verknüpft sind. Im Unterschied zur Dissoziation eines ungestörten Eigenzustandes stehen dem Molekül aus einer Superposition heraus zwei verschiedene Zerfallskanäle in das identische Dreiteilchen-Kontinuum offen. Das Verzweigungsverhältnis der beiden Kanäle variiert mit der Beimengung α und kann durch geeignete Wahl des elektrischen Feldes experimentell reguliert werden. Wenn man die Dissoziationsrate R des Superpositionszustandes (2.40) berechnen möchte, so muss man bedenken, dass seine beiden Anteile im allge32 2.6. STARKEFFEKT IM ELEKTRISCHEN FELD meinen verschiedene natürliche Lebensdauern τA und τB besitzen: R (α) = (1 − α2 ) 1 1 + α2 τA τB (2.41) Während der erste Summand die Dissoziationsrate des Ausgangsniveaus beschreibt, manifestiert sich im zweiten Summanden der zusätzliche Zerfallskanal, welcher sich für das Molekül innerhalb des elektrischen Feldes eröffnet. Durch Ausklammern von 1/τA lässt sich der Ausdruck (2.41) in eine Form überführen, anhand derer die auftretenden Effekte leicht diskutiert werden können: τA 2 2 (2.42) α R (α) = R0 · 1 − α + τB Im feldfreien Fall (α = 0) dissoziiert der ungestörte Ausgangszustand |Ai entsprechend seiner natürlichen Lebensdauer mit einer Rate R0 . Durch den Eintritt des Moleküls in das elektrische Feld erfährt diese Rate nun zwei verschiedene Korrekturen, welche durch die beiden α - abhängigen Summanden in Gleichung (2.42) beschrieben werden. Der mittlere Term mit dem negativen Vorzeichen resultiert aus einer Abnahme der Bevölkerung im Zustand |Ai aufgrund der zunehmenden Beimengung von Zustand |Bi. Dieser sogenannte Populationstransfer wird erst bei Mischungsgraden α > 0.1 für das Experiment relevant und hat im Bereich niedriger Feldstärken keinen nennenswerten Einfluss auf die Dissoziationsrate. Besondere Aufmerksamkeit gebührt dem letzten Term in Gleichung (2.42), welcher die entscheidende Grundlage für den Erfolg des vorgestellten Experiments bildet. Er beschreibt eine Zunahme der Dissoziationsrate des Moleküls infolge der unterschiedlichen Lebensdauern zweier wechselwirkender Zustände. Unter der Bedingung τA = τB wird dieser Effekt groß genug, um die Rateneinbuße durch den Populationstransfer vollständig zu kompensieren. Für τA > τB resultiert daraus im Endergebnis eine Zunahme der Zerfallsrate bei steigendem elektrischem Feld, und genau dieses Phänomen bezeichnen wir mit dem Begriff feldinduzierte Dissoziation. 0 00 Das H3 besitzt mit dem 2s 2A1 und 2p 2A2 -Niveau zwei energetisch dicht benachbarte Zustände, die sich in ihrer Lebensdauer um 6 Größenordnungen unterscheiden. Aufgrund dieser Konstellation ist das Molekül geradezu prädestiniert für Analysen der feldinduzierten Dissoziation. Das metastabile 2p-Niveau übernimmt dabei die Rolle des Ausgangszustands, der im elektrischen Feld durch die Beimengung eines extrem kurzlebigen 2s-Anteils 33 KAPITEL 2. DAS H3 -MOLEKÜL dissoziiert wird. Unter Berücksichtigung der Lebensdauern τ2p = 700 ns und τ2s = 200 fs ergibt sich aus (2.42) eine Dissoziationsrate h i R2p (α) = R0 · 1 + 3.5 ·106 α2 . (2.43) Damit wird klar, dass im vorliegenden Fall bereits Beimischungen im Bereich α ≈ 10−3 genügen, um die Dissoziationsrate des Moleküls zu vervierfachen! Die benötigten elektrischen Felder liegen bei einigen kV/cm und lassen sich ohne Schwierigkeiten im Experiment realisieren. 2.6.4 Zerfallskanäle Die Tatsache, dass sich das dissoziierende H3 -Molekül in einer Superposition zweier elektronischer Zustände befindet, eröffnet einen neuartigen Ansatz für Untersuchungen der molekularen Dynamik des Zerfallsprozesses. Wie in 00 Abbildung 2.13 für ein 2p 2A2 -Molekül veranschaulicht, existieren aus einem solchen Superpositionszustand heraus zwei verschiedene Zerfallspfade in dasselbe Dreiteilchen-Kontinuum: Λ2p |Ψi −−→ H (1s) + H (1s) + H (1s) Λ 2s |Ψi −−→ H (1s) + H (1s) + H (1s) (2.44) (2.45) Die Wellenfunktion |Ψi des Moleküls erfährt dabei auf jedem der Wege unterschiedliche nicht-adiabatische Kopplungen, beschrieben durch die Operatoren Λ2p und Λ2s . Im abgebildeten Beispiel entsteht der 2p-Pfad (2.44) aus einer Kopplung des Ursprungsniveaus an die Grundzustandsfläche, während eine Dissoziation über den 2s-Pfad (2.45) erst durch die Wechselwirkung mit dem elektrischen Feld E ermöglicht wird. Das Verzweigungsverhältnis zwischen den beiden Kanälen kann direkt aus Gleichung (2.41) entnommen werden: α2 τ2p R (2s−Pfad) = · (2.46) 2 R (2p−Pfad) 1 − α τ2s Es steigt aufgrund der Gewichtung mit dem Lebensdauer-Unterschied τ2p /τ2s rasch an und erlaubt eine experimentelle Beobachtung beider Zerfallspfade bei Feldstärken von wenigen kV/cm. In einem zeitabhängigen Ansatz wollen wir den Prädissoziationsprozess des Moleküls nun etwas detaillierter betrachten und teilen den Vorgang in eine Abfolge zweier Teilschritte auf: Erstens einen nicht-adiabatischen Übergang 34 2.6. STARKEFFEKT IM ELEKTRISCHEN FELD Abbildung 2.13: Schematische Darstellung der möglichen Dissoziationspfade 00 eines 2p 2A2 -Moleküls im elektrischen Feld. des Moleküls aus dem angeregten Niveau in den Grundzustand, und zweitens 0 eine anschließende Propagation der Wellenfunktion auf der repulsiven 2p 2 E Potentialfläche. Wir kennzeichnen die Rotations- und Vibrationsbewegung der Kerne mit |χi und erhalten für das H3 -Molekül im elektrischen Feld die Gesamtwellenfunktion |Ψges i = |χi (α|2si + β |2pi) . (2.47) 0 Während wir unsere bisherigen Rechnungen ausschließlich auf das 2s 2A1 und 00 2p 2A2 -Niveau beschränkt hatten, muss eine quantenmechanische Beschreibung des Dissoziationsvorgangs auch die beiden Blätter der Grundzustandsfläche berücksichtigen. Ihre orthonormierten Eigenvektoren |Gu i und |Gl i4 spannen zusammen mit den angeregten Zuständen |2si und |2pi eine Basis des Zustandsraums auf, in der wir den Hamiltonian für die Kernbewegung anschreiben können: H = TK I V2p W(E) + Λ 2p,u Λ2p,l W(E) Λ2p,u Λ2p,l V2s Λ2s,u Λ2s,l Λ2s,u Vu Λ2s,l Λu,l Λu,l (2.48) Vl TK bezeichnet den Operator für die kinetische Energie der Kerne, I die Einheitsmatrix, und die Diagonalelemente V die adiabatischen Potentiale der Basiszustände. In den nicht-diagonalen Einträgen stehen die Störung W(E) 4 angelehnt an die englischen Bezeichnungen upper & lower sheet 35 KAPITEL 2. DAS H3 -MOLEKÜL durch das elektrische Feld, sowie die nicht-adiabatischen Kopplungen Λ zwischen den einzelnen Niveaus. Die zeitliche Entwicklung des Superpositionszustandes (2.47) ist damit gegeben durch |Ψges (t)i = exp[−iHt] (α|χ0 i|2si + β |χ0 i|2pi) , (2.49) wobei die Wellenfunktion |χ0 i den Rotations- und Vibrationszustand des Moleküls zum Zeitpunkt t = 0 bezeichnet. Mit zunehmender Dauer führt die Wirkung der nicht-adiabatischen Kopplungselemente zu einem Populationstransfer vom angeregten Niveau auf die Grundzustandsfläche. Während eines kleinen Zeitintervalls [t0 , t0 + dt0 ] geht dabei ein Anteil E E |∂Ψu,l (t0 )i = −i Pu,l H αχ(t0 ) |2si + β χ(t0 ) |2pi dt0 = −i (α|∂φs i + β |∂φp i) dt0 (2.50) 0 der Wellenfunktion auf die beiden 2p 2 E -Blätter über. Dieser setzt sich aus einem Beitrag des 2s- und des 2p-Dissoziationspfades zusammen: E E (2.51) E E (2.52) |∂φs i = Λ2s,u χ(t0 ) |Gu i + Λ2s,l χ(t0 ) |Gl i |∂φp i = Λ2p,u χ(t0 ) |Gu i + Λ2p,l χ(t0 ) |Gl i Der Operator Pu,l führt eine Projektion auf den von |Gu i und |Gl i aufgespannten Unterraum aus, in welchem sich auch die anschließende Propagation der einzelnen Wellenfunktionsanteile vollzieht. Da die Dissoziation auf beiden Blättern der Grundzustandsfläche innerhalb von ≈ 20 fs abläuft [MK98], entfernen sich die Beiträge |∂Ψu,l (t0 )i sehr rasch vom Ort des Übergangs und werden an einer weiteren Wechselwirkung mit dem angeregten Zustand gehindert. Wir können die Beschreibung der Zeitentwicklung für t > t0 daher allein auf die Grundzustandsfläche beschränken: |∂Ψu,l (t)i = exp[−iHu,l (t − t0 )] |∂Ψu,l (t0 )i , (2.53) mit dem Hamiltonoperator Hu,l = Pu,l HPu,l . Wenn wir jetzt den Ausdruck (2.50) in (2.53) einsetzen und über die Zeit t0 integrieren, so erhalten wir |Ψu,l (t)i = −i Z t 0 exp[−iHu,l (t − t0 )] (α|∂φs i + β |∂φp i) dt0 (2.54) Diese Gleichung kann man auf folgende Weise interpretieren: In einem kleinen Zeitintervall dt0 fließt ein Anteil (α|∂φs i + β |∂φp i) dt0 der Bevölkerung 36 2.6. STARKEFFEKT IM ELEKTRISCHEN FELD des angeregten Zustandes in das Kontinuum ab. Dieser Anteil propagiert auf den gekoppelten Blättern der Grundzustandsfläche, was durch den Term exp[−iHu,l (t−t0 )] beschrieben wird. Zum Zeitpunkt t haben sich viele solcher Anteile im Grundzustand angesammelt und addieren sich zu einer Gesamtwellenfunktion |Ψu,l (t)i. Man kann den Ausdruck (2.54) in die Form |Ψu,l (t)i = − iα|φs (t)i − iβ |φp (t)i (2.55) überführen und erkennt, dass alle Beiträge des 2s-Pfades |∂φs i ebenso wie diejenigen des 2p-Pfades |∂φp i ein unabhängiges Wellenpaket bilden: |φs (t)i = |φp (t)i = Z t 0 Z t 0 exp[−iHu,l (t − t0 )] |∂φs i dt0 (2.56) exp[−iHu,l (t − t0 )] |∂φp i dt0 (2.57) Die beiden Wellenpakete |φs (t)i und |φp (t)i resultieren aus unterschiedlichen nicht-adiabatischen Kopplungen und propagieren entlang verschiedener Trajektorien auf der Grundzustandsfläche. Infolgedessen bilden sich zwischen ihnen Phasendifferenzen heraus, die sich bei einer Messung von ||Ψu,l (t)i|2 als Interferenzeffekte äußern. 2.6.5 Interferenzeffekte Bei einem Dreiteilchenzerfall des Moleküls wird die Wellenfunktion (2.55) am Ort des Detektors (t → ∞) auf eine Produktwellenfunktion dreier einzelner Wasserstoffatome abgebildet: |Ψu,l i = lim |Ψu,l (t)i = φ1 (~k1 ) φ2 (~k2 ) φ3 (~k3 ) t→∞ (2.58) Die Größen ~ki bezeichnen die Impulsvektoren der Fragmente im Schwerpunktsystem und genügen dem Energie- und Impulserhaltungssatz. Im vorgestellten Experiment können wir für jedes einzelne detektierte Molekül die Vektoren ~k1 , ~k2 und ~k3 bestimmen. Das Ergebnis einer Vielzahl solcher Messungen liefert uns ein Abbild der Wahrscheinlichkeitsverteilung ||Ψu,l i|2 und kann in einem Dalitzplot veranschaulicht werden (siehe Abschnitt 4.3). 37 KAPITEL 2. DAS H3 -MOLEKÜL In Abwesenheit eines elektrischen Feldes können wir die Beiträge der verschiedenen Zerfallskanäle getrennt voneinander beobachten. Die KontinuumsWellenfunktion (2.55) besteht dann entweder nur aus dem 2s- oder nur aus dem 2p-Wellenpaket, und wir messen die ungestörten Dalitzplots D2s = | lim |φs (t)i |2 = D2s (x, y) t→∞ D2p = | lim |φp (t)i |2 = D2p (x, y) t→∞ (2.59) mit den gebräuchlichen Koordinaten (x, y) aus Gleichung (4.19). Bei einer Dissoziation des Moleküls im elektrischen Feld setzt sich die KontinuumsWellenfunktion dagegen aus den Anteilen beider Zerfallskanäle zusammen. Diese addieren sich entsprechend ihrer Wahrscheinlichkeitsamplituden zu einem Dalitzplot DSup = | lim (α|φs (t)i+β |φp (t)i) |2 t→∞ 6= |α|2 D2s + |β|2 D2p (2.60) Aufgrund der Phasenunterschiede von |φs (t)i und |φp (t)i entspricht das Ergebnis (2.60) für eine Superposition nicht einfach der Summe der ungestörten Dalitzplots, sondern beinhaltet Interferenzen der beiden Wellenpakete. In diesem Sinne kann man das vorgestellte Experiment als einen molekularen Doppelspalt-Versuch interpretieren: Die beiden Dissoziationskanäle stellen dabei den Doppelspalt dar, aus dem zwei Wellenpakete dreier korrelierter Wasserstoffatome resultieren. Das Dreiteilchen-Kontinuum fungiert in diesem Bild als Schirm, und das Interferenzmuster wird auf die Impulsvektorkorrelationen der entstehenden Zerfallsfragmente projiziert. 38 Kapitel 3 Das Experiment Mit Hilfe eines Translationsspektrometers wird die Wirkung eines äußeren elektrischen Feldes auf den Dissoziationsprozess metastabiler H3 -Moleküle untersucht. In einer Wasserstoff-Gasentladung erzeugte H+ 3 -Ionen werden auf Energien von 3 keV beschleunigt und in einem Magnetfeld massenselektiert. Der schnelle Ionenstrahl passiert eine mit Cs-Dampf gefüllte Kammer, wo er durch Ladungstausch neutralisiert wird. Dabei werden zahlreiche angeregte H3 -Zustände bevölkert, die jedoch zumeist sehr kurzlebig sind und unmittelbar nach ihrer Entstehung wieder dissoziieren. Lediglich der metastabile 00 2p 2A2 -Zustand und einige hochangeregte Rydbergzustände überdauern den 700 ns langen Flug in die 30 cm entfernte Starkfeld-Zone. Hier passieren die Moleküle ein inhomogenes elektrisches Feld, dessen maximale Stärke im Bereich zwischen 0 und 20 kV/cm variiert werden kann. Über den Stark-Effekt wird dabei dem metastabilen 2p-Niveau ein Anteil des kurzlebigen 2s-Zustandes beigemischt, wodurch eine Superposition beider elektronischer Zustände entsteht: |Ψi = α |2si + β |2pi (3.1) Die Amplituden α und β sind durch die Stärke des äußeren elektrischen Feldes bestimmt. Jeder ungestörte Zustand koppelt an den dissoziativen Grundzustand, so dass das Molekül im Zustand (3.1) das Dreiteilchen-Kontinuum über zwei verschiedene Kanäle erreichen kann. Da das Molekül dabei unterschiedliche nicht-adiabatische Kopplungen erfährt, eröffnet dieses Konzept erstmals die Möglichkeit, über eine Regulierung der Feldstärke den Anteil der beteiligten Kopplung experimentell zu kontrollieren. 39 KAPITEL 3. DAS EXPERIMENT Starkfeld Slit H 3+ _ H3 Beamflag Detektor Cs 3 keV Ionenstrahl 2 2p A”2 + Ladungstausch Abbildung 3.1: Experimenteller Aufbau zur Starkeffekt-induzierten Dissoziation von H3 . Die bei der Dissoziation entstehenden Fragmente driften über eine Länge von 2,39 m auseinander, ehe sie mit einem multihitfähigen Detektorsystem zeitund ortsaufgelöst nachgewiesen werden. Um Ablenkungen der Teilchen durch Stöße weitgehend auszuschließen, findet das Experiment in einer VakuumApparatur bei einem Druck von 10−8 mbar statt. Aus den am Detektor registrierten Auftreffzeiten und -orten lassen sich die Impulsvektoren aller Fragmente im Schwerpunktsystem rekonstruieren. Diese kinematisch vollständige Erfassung der Zerfallsprodukte ermöglicht eine Analyse der räumlichen Orientierung des Moleküls zum Zeitpunkt der Dissoziation, sowie die Beobachtung quantenmechanischer Interferenzeffekte beim Dreiteilchenzerfall eines Superpositions-Zustandes. 3.1 3.1.1 Erzeugung des schnellen Ionenstrahls Ionenquelle Die Erzeugung der H+ 3 -Ionen erfolgt in einer mit Wasserstoff betriebenen Gasentladung, die zwischen zwei hohlzylindrisch geformten Elektroden aufgebaut wird. Über ein externes Einlassventil kann H2 -Gas in die Entladungszone zwischen Anode und Kathode eingebracht werden. Zufällig in diesem Bereich erzeugte freie Elektronen (z.B. aufgrund der Höhenstrahlung) werden in Richtung der Anode beschleunigt und lösen durch Stoßionisation eine Ladungsträger-Lawine aus, die schließlich zur Zündung der Gasentladung führt. Die dabei entstandenen H+ 2 -Ionen bewegen sich in umgekehrter Richtung und lösen bei ihrem Aufprall auf die Kathode Sekundärelektronen aus der Oberfläche heraus, welche den Entladungsvorgang weiter aufrecht erhalten. Auf diese Weise stellt sich bei einem Gasdruck von etwa 1 mbar eine selbständig brennende Glimmentladung ein. 40 3.1. ERZEUGUNG DES SCHNELLEN IONENSTRAHLS Verschiedene chemische Prozesse in der Entladung führen zur Bildung der + Wasserstoffionen H+ , H+ 2 und H3 . Durch Reaktionen von Restgas-Molekülen entstehen darüber hinaus die Wasserionen H2 O+ und H3 O+ , sowie geringe Mengen an O+ , OH+ und N+ 2 . Die Konzentration der verschiedenen Ionensorten wird durch den Druck und die Temperatur innerhalb der Entladung bestimmt. Im vorliegenden Experiment wird die Kathode mit 18◦ C kaltem Wasser gekühlt, um über die Reaktion → H+ H2 + H+ 3 +H 2 (3.2) eine möglichst hohe Ausbeute an H+ 3 zu gewährleisten. Darüber hinaus wird durch die Wasserkühlung eine bevorzugte Besetzung der niederenergetischen Schwingungsniveaus erreicht. Wie in Abbildung 3.2 dargestellt, gelangen die Abbildung 3.2: Schematische Darstellung der Hohlkathoden-Ionenquelle und des Potentialverlaufs während dem Betrieb der Gasentladung. 41 KAPITEL 3. DAS EXPERIMENT gebildeten Ionen durch eine 200 µm große Extraktorblende in das umgebende Vakuum. Die Potentialdifferenz zwischen dieser Blende und der Anode begrenzt dabei den austretenden Ionenstrom. Im vorliegenden Experiment hat sich eine Extraktorspannung um 30 V als günstiger Kompromiss erwiesen, der eine ausreichende Stromstärke mit einer geringen Energieunsicherheit der Ionen vereint. Nach ihrem Austritt in das Vakuum durchqueren die Ionen eine Potentialdifferenz von 3 kV, welche sie auf Geschwindigkeiten von mehreren 105 m/s beschleunigt. Eine positiv geladene Ringelektrode (Linse) am Ausgang der Quelle ermöglicht schließlich eine Fokussierung des Ionenstrahls. 3.1.2 Massenselektion im Magnetfeld Um die H+ 3 -Moleküle von den übrigen Ionensorten separieren zu können, passiert der schnelle Molekülstrahl anschließend ein homogenes Magnetfeld. Da alle erzeugten Ionen einfach positiv geladen sind und dieselbe Beschleunigungsspannung U0 durchlaufen haben, treten sie mit einer Geschwindigkeit s v0 = 2eU0 m (3.3) in das Magnetfeld ein, die ausschließlich von ihrer Masse m abhängt. Inner~ unterliegen die Ionen der geschwindigkeitsabhalb des homogenen Feldes B hängigen Lorentzkraft ~ , F~L = e ~v0 × B (3.4) Abbildung 3.3: Massenselektion im Magnetfeld. Bei geeigneter Wahl der ~ können die H+ Flussdichte B 3Ionen die Austrittsblende passieren. Alle anderen Ionensorten werden abgeblockt. 42 3.2. NEUTRALISIERUNG DURCH LADUNGSTAUSCH die sie auf Kreisbahnen unterschiedlicher Radien zwingt und zu einer räumlichen Separation der einzelnen Massen führt. Am Ende des Magnetfeldes ist eine Austrittsblende angebracht, die den möglichen Radius R der Teilchenbahn in der Apparatur eingrenzt (Abbildung 3.3). Durch entsprechende Anpassung der Magnetfeldstärke kann damit gezielt eine Molekülsorte aus dem Strahl ausgewählt werden, deren Masse der Bedingung m= eR2 2 B 2U0 (3.5) genügt. Das homogene Magnetfeld wird mittels eines Helmholtz-Spulenpaares realisiert und kann durch Variation der Stromstärke stufenlos geregelt werden. Für H+ 3 misst man an der Austrittsblende einen Ionenstrom von einigen 10 nA, was größenordnungsmäßig 1011 Molekülen pro Sekunde entspricht. Mit Hilfe elektrischer Ablenkplatten kann der H+ 3 -Strahl nach Verlassen des Magnetfeldes auf die Mittelachse der Vakuumapparatur einjustiert werden. 3.2 Neutralisierung durch Ladungstausch Im nächsten Schritt wird der schnelle Ionenstrahl durch eine Ladungstauschzelle geführt, um die H+ 3 -Moleküle zu neutralisieren. Diese wird mit einer 1 gAmpulle reinen Cäsiums befüllt, das während des Experiments auf Temperaturen von etwa 80◦ C geheizt wird. Dadurch bildet sich in der Ladungstauschzelle eine dünne Atmosphäre aus Cs-Dampf aus. Bei ihrem Durchqueren kann ein H+ 3 -Ion das schwach gebundene Valenzelektron eines Cäsiumatoms aufnehmen und neutralisiert werden: ∗ + H+ 3 + Cs → H3 + Cs + ∆E (3.6) Besonders effizient ist dieser Ladungstausch, wenn die Geschwindigkeit des Molekülstrahls an die Differenz der Ionisierungsenergien beider Partner ∆E angepasst ist. Anhand der Energie-Zeit-Unschärferelation lässt sich die hierfür benötigte Beschleunigungsspannung leicht abschätzen [Has72]: Die Reaktion (3.6) kann nur stattfinden, solange sich die Tauschpartner innerhalb eines ≈ 7Å messenden Wechselwirkungsbereiches ` befinden. Während der zur Verfügung stehenden Zeit δt nimmt das vorbeifliegende H+ 3Molekül die Ionisierungsenergie des Cs-Atoms mit einer Unsicherheit δE = ~ / δt 43 (3.7) KAPITEL 3. DAS EXPERIMENT wahr, wodurch die Wahrscheinlichkeit für einen nicht-resonanten Ladungstausch ansteigt. Unter Berücksichtigung der entsprechenden Ionisationspotentiale1 ergibt sich eine optimale Strahlgeschwindigkeit v0 = ` ∆E ≈ 2.4 · 105 m/s , ~ (3.8) wenn man einen möglichst hohen Anteil an metastabilem H3 erzeugen möchte. Dem entspricht gemäß Gleichung (3.3) eine Beschleunigungsspannung U0 ≈ 1 kV. Im vorliegenden Experiment wurde eine etwas höhere Potentialdifferenz von 3 kV gewählt, damit die Dissoziationsfragmente genügend Energie besitzen, um mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ein Signal am Detektor auszulösen. Aufgrund der höheren Geschwindigkeit der Ionen verkürzt sich ihre Wechselwirkungsdauer mit den Cs-Atomen um den Faktor 1,7. Die daraus resultierende Effizienzeinbuße beim Ladungstausch ist gering und reduziert die Ausbeute neutraler H3 -Moleküle im metastabilen Zustand nur unwesentlich. Nicht neutralisierte Ionen werden am Ausgang der Ladungstauschzelle mit Hilfe eines elektrischen Feldes aus dem Strahl entfernt. 00 Neben dem metastabilen 2p 2A2 -Niveau wird durch den Ladungstausch ein ganzes Spektrum weiterer elektronisch angeregter Zustände des H3 bevölkert. Die meisten von ihnen sind sehr kurzlebig und dissoziieren innerhalb weniger ns. Ihre Fragmente driften von der Strahlachse weg und werden durch den sogenannten Slit, eine Lochblende mit 1 mm Durchmesser, am Eintritt in das elektrische Feld gehindert. Lediglich Zustände mit Lebensdauern im Bereich von einigen 100 ns überdauern den Flug in die 30 cm entfernte StarkfeldZone und stehen für die feldinduzierte Dissoziation zur Verfügung. Bemerkenswert ist dabei die Tatsache, dass neben den Molekülen im metastabilen 00 2p 2A2 -Niveau auch eine Reihe hochangeregter Rydbergzustände mit Hauptquantenzahlen n ≥ 5 in der Starkfeld-Zone nachgewiesen werden kann (vgl. Abbildung 5.10). 1 00 Für Cs (6s): 3,89 eV , für H3 (2pA2 ): 3,67 eV 44 3.3. DISSOZIATION IM STARKFELD 3.3 Dissoziation im Starkfeld Nachdem der Molekülstrahl neutralisiert wurde und zu einem Großteil in 00 den metastabilen 2p 2A2 (N=0, K=0) Zustand präpariert ist, kann das eigentliche Dissoziations-Experiment beginnen. Durch die kleine Lochöffnung des Slits treten die H3 -Moleküle in die Starkfeld-Zone ein und passieren zwei halbzylindrische Aluminium-Elektroden mit einem Radius von 1 cm (s. Abbildung 3.4). An ihrer engsten Stelle in einem Abstand von 3 mm positioniert, können sie unter den herrschenden Hochvakuum-Bedingungen von 10−8 mbar jeweils auf Potentiale bis zu 5 kV gelegt werden, ohne dass es zu einem Funkenüberschlag kommt. In dem Raum zwischen den beiden Starkplatten bildet sich ein inhomogenes elektrisches Feld aus, dessen Verlauf in Abbildung 3.5 für eine Spannung von 1.5 kV pro Elektrode gezeigt wird. Die Feldstärke erreicht dabei im Zentrum der Anordnung ein Maximum von 10.3 kV/cm und fällt bis zum Rand der Elektroden auf ein Viertel dieses Wertes ab. Die geerdete Halterung des Slits fungiert als Abschirmung, die einen definierten Eintrittsort der Moleküle in den felddurchsetzten Bereich gewährleisten soll. Demgegenüber greifen die Feldlinien in Richtung des Beamflags deutlich weiter entlang der Strahlachse aus. Die Spitzenfeldstärke der Anordnung ist stufenlos regulierbar und wurde für die vorgestellten Untersuchungen im Bereich zwischen 0 und 20 kV/cm variiert. Abbildung 3.4: Ansichten der Starkfeld-Zone aus Richtung des H3 -Strahls (a) und senkrecht dazu (b). Durch eine kreisförmige Öffnung (Slit) gelangen die Moleküle in das elektrische Feld. Zwischen zwei halbzylindrischen Elektroden sind sie Feldstärken bis zu 20 kV/cm ausgesetzt und werden über den Starkeffekt dissoziiert. 45 KAPITEL 3. DAS EXPERIMENT Abbildung 3.5: Feldlinienverlauf im Bereich der Starkfeldzone, berechnet für eine Potentialdifferenz von 3 kV zwischen den beiden Elektroden. Die Zahlen entlang der Molekülstrahlachse kennzeichnen die jeweilige Feldstärke in kV/cm. Während ihres etwa 50 ns dauernden Fluges durch das elektrische Feld wird 00 den metastabilen 2p 2A2 -Molekülen über den Starkeffekt ein Anteil des ener0 getisch benachbarten 2s 2A1 -Zustandes beigemischt, so dass eine Superposition zweier elektronischer Niveaus entsteht: |Ψi = α |2si + β |2pi (3.9) In Abwesenheit eines externen Feldes prädissoziieren beide Niveaus in den 0 repulsiven 2p 2 E -Grundzustand, wobei sich ihre natürlichen Lebensdauern τ2s = 200 fs und τ2p = 700 ns jedoch um 6 Größenordnungen unterscheiden! Dies hat zur Folge, dass bereits kleine Beimengungen an 2s-Charakter die Lebensdauer der metastabilen 2p-Moleküle drastisch reduzieren. Mit den im Experiment erreichbaren Feldstärken lassen sich typischerweise Beimischungen im Bereich α ≤ 0.25 % realisieren. Für die Superposition (3.9) gilt demnach β ≈ 1 und die Zerfallsrate R des Moleküls ist gegeben durch R2p (α) = |α|2 1 + τ2p τ2s (3.10) Wegen τ2s << τ2p werden bereits bei einem 2s-Anteil von nur 0.1 % vier Mal so viele Moleküle dissoziiert wie im feldfreien Fall. Die Kurzlebigkeit des 46 3.4. DETEKTION DER FRAGMENTE 0 2s 2A1 -Zustandes stellt also eine entscheidende Voraussetzung dar, welche die feldinduzierte Dissoziation von metastabilem H3 bei Feldstärken im Bereich einiger kV/cm überhaupt erst ermöglicht. 00 Da es im Experiment nicht gelingt, den 2p 2A2 -Zustand vollständig zu entvölkern, wurde im Abstand von 10 cm hinter dem Starkfeld ein Beamflag angebracht, welcher den Reststrahl aus nicht dissoziierten Molekülen blockiert. Seine Breite ist mit 1,2 mm gerade so ausgelegt, dass er den Totbereich zwischen den beiden Detektorplatten abschirmt. Die Fragmente dissoziierter H3 -Moleküle können den Beamflag dagegen seitlich passieren, weil sie sich aufgrund der freiwerdenden kinetischen Energie allmählich von der Strahlachse entfernen. 3.4 Detektion der Fragmente Nach ihrer Entstehung in der Starkfeld-Zone driften die Molekülfragmente zunächst in einem 2,39 m langen Flugrohr auseinander, ehe sie an dessen Ende den Detektor erreichen. Ihre räumlichen Abstände sind in der Zwischenzeit auf einige cm angewachsen, was eine optimale Ausnutzung der aktiven Detektorfläche garantiert. Um die Zerfallskonfiguration eines Moleküls rekonstruieren zu können, müssen alle drei Fragmente zeit- und ortsaufgelöst in Koinzidenz nachgewiesen werden. Hierfür kommt ein multihitfähiges Detektorsystem zum Einsatz, welches ursprünglich von Müller et al. konzipiert wurde [MEBH99] und vor wenigen Jahren von Gisi [Gis07] modernisiert worden ist. Nach Erneuerung der Nachweiselektronik können nun auftreffende Neutralteilchen mit einer räumlichen Auflösung von 80 µm und einer Zeitgenauigkeit von 50 ps erfasst werden. Für den Nachweis der Dissoziationsfragmente kommt ein MCP-Detektor mit angeschlossener Delayline-Anode zum Einsatz. Dieser besteht aus zwei kreisförmigen Einheiten mit einer sensitiven Fläche von jeweils 46 mm Durchmesser. Dazwischen befindet sich ein 26 mm breiter Totbereich, innerhalb dessen keine Teilchen registriert werden können (siehe Abbildung 3.6). Ein Effizienzverlust ist damit jedoch nicht verbunden, weil dieses Areal ohnehin durch den Beamflag abgeschattet wird. Die im Schwerpunktsystem unter beliebigen Raumwinkeln emittierten Dissoziationsfragmente werden durch die hohe Geschwindigkeit des Molekülstrahls auf die Detektorebene projiziert. Für den 00 metastabilen 2p 2A2 -Zustand erreicht man damit typischerweise geometrische Nachweiseffizienzen um 25 % pro Einzelfragment. 47 KAPITEL 3. DAS EXPERIMENT Abbildung 3.6: Die multihitfähige Detektoreinheit. Links ein Gesamtüberblick, rechts die schematische Ansicht einer einzelnen Detektorhälfte. Während das Zeitsignal direkt an den MCP’s abgegriffen wird, erfolgt die Positionsbestimmung über die dahinter liegende Delayline-Anode. 3.4.1 Die Micro Channel Plates Das Herzstück jeder Detektorhälfte bildet ein Satz dreier Micro Channel Plates (MCP’s). Hierbei handelt es sich um jeweils 1 mm dicke Glasplättchen, die von einer Vielzahl mikroskopisch feiner Kanäle durchzogen sind. Zwischen ihren metallisierten Oberflächen kann eine Potentialdifferenz bis zu 1 kV angelegt werden. Trifft nun ein Teilchen an der Vorderseite der MCP auf die Wand eines Glaskanals, so löst es dort Sekundärelektronen aus, die im elektrischen Feld beschleunigt werden und weitere Ladungsträger freisetzen. Durch diesen Vervielfachungseffekt hat sich die Anzahl der Elektronen bis zu ihrem Austritt an der MCP-Rückseite um einen Faktor 1000 erhöht. Die von uns verwendeten Plattenmodelle besitzen Kanäle mit 25 µm Durchmesser, welche um 8◦ gegen die Oberflächennormale verkippt sind, damit die Ladungsträger häufiger gegen die Kanalwand stoßen. Pro Detektorhälfte sind jeweils drei MCP’s hintereinander angebracht, über die eine Spannung von insgesamt 2,2 kV angelegt wird. Diese als Z-Stack bezeichnete Anordnung bietet neben einer höheren Verstärkung den Vorteil einer gesättigten Pulshöhenverteilung, was die elektronische Weiterverarbeitung der Signale 48 3.4. DETEKTION DER FRAGMENTE 250 µm vereinfacht. Während der Detektion eines Teilchens führt der kurzzeitig fließende Elektronenstrom zu einem Abfall der Spannung zwischen Vorder- und Rückseite des MCP-Stacks. Mit Hilfe eines Kondensators werden diese Spannungspulse ausgekoppelt und als Signale für die Zeitmessung benutzt. 3.4.2 Abbildung 3.7: Lichtmikroskop-Aufnahme der Oberfläche einer MCP. Die einzelnen Glaskanäle haben im Mittel einen Durchmesser von 25 µm und einen gegenseitigen Abstand von 32 µm. Die Delayline-Anode Zur Bestimmung der Auftreffposition eines nachgewiesenen Teilchens sind beide Detektorhälften mit einer 8 x 8 cm großen Delayline-Anode ausgestattet. Sie besteht aus einer geerdeten Trägerplatte und ist in zwei isolierten Schichten von jeweils einem Drahtpaar umspannt. Innerhalb jeder Schicht bildet dieses Drahtpaar eine Übertragungsleitung aus einem Signal- und einem Referenzpegel, die zueinander auf eine Potentialdifferenz von 50 V gelegt werden. Der Einsatz eines solchen Lecher-Leiters ermöglicht eine differenzielle Übertragung der Ortssignale, wodurch deren Empfindlichkeit gegenüber Störungen deutlich reduziert werden kann. Wie in Abbildung 3.8 farbig veranschaulicht, sind die beiden Drahtlagen senkrecht zueinander gewickelt und erlauben eine Positionsbestimmung in zwei Raumrichtungen. Trifft nun die Ladungswolke eines detektierten Teilchens am Ort (y0 , z0 ) auf die Delayline-Anode, so entsteht in beiden Drahtschichten ein Strompuls, der sich in Richtung der Leiterenden ausbreitet. Die Elektronen werden dabei nur von dem positiver geladenen Signaldraht absorbiert, während sich auf dem Referenzdraht ein gegenphasiger Puls ausbildet. Die Signalgeschwindigkeit auf den Leitern beträgt etwa 2/3 der Lichtgeschwindigkeit. Bei 100 Windungen pro Drahtlage ergibt sich in tangentialer 49 KAPITEL 3. DAS EXPERIMENT Richtung ein Ausbreitungsgeschwindigkeit v⊥ in der Größenordnung von 1 mm/ns. Abhängig vom Auftreffort der Ladungswolke erreicht der Spannungspuls die entgegengesetzten Enden der Leiter nach unterschiedlichen Laufzeiten. Bezeichnen t1 , t2 die Ankunftszeiten in y-Richtung und t3 , t4 die entsprechenden Zeitpunkte in z-Richtung, so lassen sich aus diesen vier Messgrößen die Koordinaten des Auftreffortes rekonstruieren: y0 = (t1 − t2 ) · v⊥ z0 = (t3 − t4 ) · v⊥ (3.11) Da nur Zeitdifferenzen in die Positionsbestimmung eingehen, kann ein beliebiger Referenzpunkt für die Zeitmessung gewählt werden. Der genaue Wert der Ausbreitungsgeschwindigkeit v⊥ lässt sich im Experiment mit Hilfe eines Eichverfahrens ermitteln. Eine detaillierte Beschreibung dieser Ortseichung findet der Leser in [Gis07]. Die Genauigkeit der Positionsbestimmung hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: Zum einen ist eine prinzipielle Grenze durch die Auflösung der Zeitmessungen vorgegeben. Zum anderen spielt die Homogenität des Elektronen-Abzugsfeldes zwischen der MCP-Rückseite und der DelaylineAnode eine entscheidende Rolle. Während die Ortsauflösung bei Treffern im Zentrum der aktiven Detektorfläche typischerweise im Bereich von 80 µm liegt, nimmt die Genauigkeit an ihren Rändern um einen Faktor drei ab [Gis07]. Ursache dafür sind Verzerrungen des Abzugsfeldes nahe den MCPFassungen. Diese lassen sich mittels einer ringförmigen Shaping-Anode reduzieren, eine vollständige Kompensation ist jedoch nicht erreichbar. Abbildung 3.8: Funktionsweise der DelaylineAnode. Eine ankommende Ladungswolke erzeugt Pulse, die über zwei Drahtpaare zu den Ecken der Trägerplatte geführt werden. Aus den vier Ankunftszeiten ti lässt sich der Auftreffort (y0 , z0 ) bestimmen. 50 3.5. DATENNAHMESYSTEM Aufgrund ihrer Ausdehnung wird eine ankommende Ladungswolke stets von mehreren benachbarten Windungen der Delayline-Anode absorbiert. Bei der anschließenden Propagation auf dem Leiter laufen die einzelnen Teilpulse infolge der Dispersion ineinander und kombinieren zu einem Gesamtpuls. Dieses sogenannte Center of gravity averaging führt dazu, dass die Ortsauflösung über die gesamte Detektorfläche erheblich genauer ist als der Abstand der einzelnen Drahtwicklungen! 3.5 Datennahmesystem Wie im vorigen Abschnitt beschrieben, löst jedes nachgewiesene Teilchen am Detektor insgesamt fünf Signale aus: Eines davon wird direkt an den MCP’s ausgekoppelt und enthält die Zeitinformation, während die restlichen vier von der Delayline-Anode stammen und die Ortsinformation beinhalten. Die elektronische Verarbeitung der Signale erfolgt mit einem neu gestalteten Datennahmesystem, dessen Aufbau in Abbildung 3.10 illustriert ist. 3.5.1 Signalanalyse im Diskriminator In einem ersten Schritt werden alle von der Detektoreinheit gelieferten Signale vorverstärkt und mittels eines Constant-Fraction-Diskriminators analysiert. Ankommende Pulse, deren Höhe unterhalb eines eingestellten Schwellenwertes liegt, werden als Rauschen identifiziert und verworfen. Bei den verbleibenden Signalen wird jeweils der Zeitpunkt ermittelt, zu dem der ansteigende Puls einen festgelegten Bruchteil seiner Gesamthöhe erreicht hat. Dieses Verhalten wird realisiert, indem das eingehende Signal in zwei verschiedene Komponenten aufgespalten wird (siehe Abbildung 3.9). Die eine wird invertiert und verzögert, die andere Komponente lediglich etwas abgeschwächt. Durch Addition beider Komponenten erhält man einen bipolaren Puls, dessen negativer Nulldurchgang von der Amplitude des Eingangssignals nahezu unabhängig ist. Zu diesem Zeitpunkt gibt der Diskriminator schließlich ein standardisiertes NIM-Signal aus. Einschränkungen bestehen bei sehr schnell aufeinander folgenden Teilchen, deren Pulse sich gegenseitig überlappen. Hier nimmt die Präzision des beschriebenen Verfahrens ab, bis die einzelnen Signale bei Zeitabständen unter 10 ns schließlich gar nicht mehr getrennt werden können. Diese Grenze ist der limitierende Faktor bei der elektronischen Verarbeitung von Doppeltreffern. 51 KAPITEL 3. DAS EXPERIMENT 400 Spannung [mV] 200 0 5 10 Zeit [ns] 15 20 25 - 200 - 400 Abbildung 3.9: Bei der Signalverarbeitung im CF-Diskriminator wird der ankommende Puls (schwarz) in die beiden gestrichelten Komponenten aufgespalten. Ihre Addition erzeugt ein bipolares Signal (rot), dessen Nulldurchgang den Auslösezeitpunkt des Diskriminators definiert. 3.5.2 Zeitmessung mit dem TDC Für eine präzise Zeitmessung der Signale steht seit Ende 2007 ein neuer, multihitfähiger Time to Digital-Konverter (TDC) der Firma CAEN zur Verfügung. Er besteht aus 16 unabhängigen Kanälen und arbeitet nach dem Prinzip einer Stoppuhr: Von einem Triggersignal gemeinsam gestartet, messen alle TDC-Kanäle die verstrichene Zeit in ps und können durch das Eintreffen eines NIM-Pulses jeweils einzeln gestoppt werden. Die Zeitauflösung der Kanäle liegt dabei unabhängig von der eingestellten Messdauer bei 50 ps. Daraus resultiert eine theoretisch mögliche Ortsauflösung von 50 µm, die mit dem Detektorsystem in seiner jetzigen Form allerdings nicht restlos ausgeschöpft wird (vgl. Abschnitt 3.4.2). Ein weiterer Vorteil des neuen TDC’s gegenüber den früheren Modellen liegt in der Multihitfähigkeit der einzelnen Kanäle. Bereits 5 ns nach der Registrierung eines Signals ist der entsprechende Kanal erneut messbereit. Dadurch ist gewährleistet, dass alle von den Constant-Fraction-Diskriminatoren noch trennbaren Doppeltreffer auch vom TDC weiterverarbeitet werden können. 52 3.5. DATENNAHMESYSTEM Bei der Durchführung einer koinzidenten Dreiteilchenmessung wird aus Gründen der Impulserhaltung auf einer Detektorhälfte nur ein Teilchen gemessen, während die andere Seite zwei Fragmente verwerten muss. Das Zeitsignal des ersten nachgewiesenen H-Atoms fungiert dabei als Trigger, der die Zeitmessung am TDC initialisiert. Alle Signale, die relativ zu diesem Trigger innerhalb eines einstellbaren Zeitfensters auftreten, werden zu einer Gruppe zusammengefasst und als sogenanntes Event gespeichert. Es muss deshalb sichergestellt sein, dass für drei zusammengehörige Molekülfragmente nur ein einziges Triggersignal erzeugt wird. Dies geschieht mit Hilfe einer Logikschaltung, welche die Zeitsignale aus den MCP’s in einem ODER zusammenfasst. Nach Ankunft des ersten Teilchens wird für einen vorgebbaren Zeitraum ∆t eine logische 1 ausgegeben. Kommt nun ein weiteres Signal innerhalb dieses Zeitfensters an, so wird kein neues Triggersignal erzeugt, sondern die Ausgabe der logischen 1 entsprechend verlängert. Man macht sich hierbei die Tatsache zunutze, dass physikalisch zusammengehörige Fragmente aus dem Zerfall desselben H3 -Moleküls ausschließlich innerhalb eines definierten Zeitfensters am Detektor ankommen können. Mit diesem Konzept lassen sich ohne Änderungen an der Elektronik sowohl Einzeltreffer, als auch Zwei- und Dreiteilchenereignisse messen. Die zu Events gruppierten Rohdaten werden zunächst im internen Speicher des TDC’s abgelegt. Von dort können sie über ein VME-PCI Interface auf den externen Messrechner ausgelesen und mit LabVIEW verarbeitet werden. Die Verbindung wird über ein Glasfaserkabel hergestellt, das Übertragungsraten bis zu 70 MB/s unterstützt und damit eine Auswertung der Messdaten in Echtzeit ermöglicht. 53 KAPITEL 3. DAS EXPERIMENT Detektor B Detektor A Orts- und zeitempfindlicher Detektor Vorverstärker CF 0 CF 1 CF 2 CF 3 CF 0 CF 4 CF 1 CF 2 CF 3 CF 4 ConstantFraction Diskriminatoren Triggerlogik ch 0 Zeit ch 1 ch 2 ch 3 ch 4 trigger ch 8 Zeit Ort A ch 9 ch 10 ch 11 ch 12 Time to Digital Converter Ort B VME - PCI Interface Abbildung 3.10: Schematische Darstellung des Datennahmesystem, entnommen aus [Gis07]. Die grün eingefärbten Bereiche verarbeiten die Ortssignale der DelaylineAnode, während die von den MCP’s kommende Zeitinformation den violetten Teil der Schaltung durchläuft. 54 Kapitel 4 Datenauswertung Auf einem externen Computer steht eine umfangreiche LabVIEW -Software zur Verfügung, welche sowohl die Durchführung einer Messung als auch die anschließende Auswertung der Daten von zentraler Stelle aus steuert. Bei einer Dreiteilchenmessung entspricht jedem vollständig registrierten Zerfall ein Satz von 15 Signalen, deren Ankunftszeiten zu einer Gruppe zusammengefasst und im TDC-internen Speicher abgelegt sind. Nach ihrer Übertragung auf den Messrechner werden diese Rohdaten in eine Warteschlange einsortiert und von einem Auswertealgorithmus der Reihe nach abgearbeitet. Auf diese Weise können bereits aufgenommene Daten schon während des laufenden Messbetriebs analysiert werden. Für den Experimentator ergibt sich daraus der Vorteil, die korrekte Funktionsweise der Apparatur im Verlauf einer Messung überprüfen zu können. 4.1 Koinzidenzprüfung Vor Beginn der eigentlichen Auswertung werden die aufgenommenen Datensätze einer Prüfung unterzogen und die als fehlerhaft erkannten Ereignisse aussortiert. Dabei kann es sich entweder um Fehlfunktionen innerhalb der Elektronik handeln, oder aber um zufällige Koinzidenzen, bei denen Dissoziationsfragmente verschiedener Moleküle zu einem Event gruppiert worden sind. In einem ersten Bearbeitungsschritt werden alle Ereignisse in der Warteschlange automatisch auf eine Reihe unterschiedlicher Koinzidenzkriterien geprüft. Am Ende werden nur diejenigen Ereignisse ausgewertet, welche die folgenden Tests fehlerfrei durchlaufen haben: 55 KAPITEL 4. DATENAUSWERTUNG 1. Gesamtzahl der Messwerte Eine physikalisch sinnvolle Dreiteilchenmessung umfasst immer mindestens 15 Zeitmesswerte. Ereignisse, die dieses Kriterium nicht erfüllen, sind grundsätzlich unverwertbar. 2. Anzahl der Messwerte pro Kanal Eine der beiden Detektorhälften verarbeitet stets einen Doppeltreffer. Entsprechend muss jeder ihrer fünf Kanäle mindestens 2 Zeiten beinhalten, die andere Detektoreinheit mindestens 1 Messwert pro Kanal. 3. Zeitsummen der Ortssignale Unabhängig vom Auftreffort eines Teilchens bildet die Summe der Signallaufzeiten zu zwei gegenüberliegenden Enden der Delayline-Anode eine Konstante. Dieses Kriterium erlaubt darüber hinaus auch eine Identifikation zusammengehöriger Ortssignale für den Fall, dass zwei verschiedene Ereignisse einander zeitlich überlappen. 4. Doppeltreffer-Crosscheck Um mögliche Zuordnungsfehler der Signale bei einem Doppeltreffer zu vermeiden, werden die an den MCP’s ermittelten Ankunftszeiten anhand der Ortssignale gegengeprüft: Betrachtet man hierzu jedes Leiterpaar der Delayline-Anode einzeln, so muss die Summe der Zeitdifferenzen zwischen 1. und 2. Signal an gegenüberliegenden Drahtenden dem doppelten Zeitabstand der Teilchen entsprechen. 5. Nachpulsen der MCP’s Bei der Elektronenvervielfachung in den MCP’s können durch Stöße mit Restgas-Atomen positive Ionen entstehen, die in den Glasröhrchen zurücklaufen und eine weitere Elektronenlawine am selben Ort auslösen. Aus diesem Grund werden alle Ereignisse verworfen, bei denen sich die Positionen zweier Treffer um weniger als 2 mm unterscheiden. 6. Maximale Ankunftszeitdifferenz Beim Dreiteilchenzerfall wird abhängig vom Anregungszustand des H3 Moleküls ein diskreter Energiebetrag freigesetzt. Dieser bestimmt die möglichen Relativgeschwindigkeiten der Fragmente und bedingt einen Maximalwert für die Zeitdifferenz zwischen der Ankunft des ersten und des letzten Teilchens am Detektor. 56 4.2. AUSWERTEALGORITHMUS Nachdem die Daten hinsichtlich der genannten Kriterien überprüft und von fehlerhaften Ereignissen bereinigt wurden, beginnt in einem zweiten Bearbeitungsschritt die Berechnung der Fragment-Impulse. 4.2 Auswertealgorithmus Der Auswertealgorithmus basiert auf einem kartesischen Koordinatensystem, dessen Ursprung im Zentrum des Starkfeldes liegt. Wie in Abbildung 4.1 dargestellt, betrachten wir ein H3 -Molekül, das sich mit der Geschwindigkeit ~v0 entlang der Strahlachse bewegt und durch feldinduzierte Dissoziation am Ort (xD , 0, 0) in drei einzelne H-Atome zerfällt. Dabei behält der Massenschwerpunkt seine geradlinig gleichförmige Bewegung bei, während die Fragmente relativ dazu mit Geschwindigkeiten ~ui auseinander driften. Nach entsprechender Flugzeit erreichen die Bruchstücke des dissoziierten Moleküls den Detektor, wo das i-te Fragment gemäß dem Weg-Zeit-Gesetz an der Position L xD v0x + uix yi = 0 + v0y + uiy · (ti − tD ) zi 0 v0z + uiz (4.1) aufkommt. Während der genaue Dissoziationszeitpunkt tD im Allgemeinen unbekannt ist, können in unserem Experiment für jedes der drei Teilchen die Auftreffkoordinaten (yi , zi ) und die Ankunftszeit am Detektor ti gemessen werden. Der Abstand zwischen Detektor und Starkfeld-Zone geht als Länge L in die Rechnung ein, und anhand der Beschleunigungsspannung U0 lässt sich die Anfangsgeschwindigkeit der Moleküle in Strahlrichtung abschätzen: v0x = v u u t 2eU0 m(H3 ) (4.2) Berücksichtigt man darüber hinaus, dass die Geschwindigkeitsvektoren der Zerfallsfragmente durch den Impulserhaltungssatz miteinander verknüpft sind (u~1 + u~2 + u~3 = 0), dann enthält das Gleichungssystem (4.1) insgesamt zehn unabhängige Variablen. Dazu zählen neben den Fragmentgeschwindigkeiten (u~1 , u~2 ) auch die transversalen Anteile der Schwerpunktsbewegung (v0y , v0z ), sowie Zeitpunkt und Ort der Dissoziation (tD , xD ). Angesichts von neun verfügbaren Gleichungen, muss eine der Unbekannten in sinnvoller Weise festgelegt werden, um die Lösbarkeit des Gleichungssystems zu gewährleisten. 57 KAPITEL 4. DATENAUSWERTUNG Abbildung 4.1: Feldinduzierte Dissoziation eines H3 -Moleküls. Während sich der Massenschwerpunkt entlang der Strahlachse weiterbewegt, driften die entstandenen Fragmente mit Relativgeschwindigkeiten ~ui auseinander. Als geeignete Vereinfachung bietet sich im vorgestellten Experiment eine Lokalisierung des Zerfallsortes an. Unter realen Bedingungen dissoziieren die Moleküle typischerweise innerhalb eines ungefähr 4 cm langen Bereiches, der durch die Ausdehnung des Feldes vorgegeben ist. Die Annahme eines fixen Zerfallsortes im Zentrum der Starkfeld-Zone (xD = 0) führt daher im Mittel zu einem Fehler von ± 2 cm, was bei einer Driftstrecke L=2,39 m eine Unsicherheit von lediglich 1% in die Auswertung einbringt. 4.2.1 Longitudinale Impulse Trotz seines einfachen Aussehens lässt sich das Gleichungssystem (4.1) nicht auf rein analytischem Wege lösen. Als problematisch erweisen sich dabei vor allem die longitudinalen Geschwindigkeitsanteile uix , deren Berechnung ein iteratives Lösungsverfahren erfordert. Unter der Annahme xD = 0 erhalten wir für sie aus der ersten Komponente des Gleichungssystems den Zusammenhang uix = L − v0x ti − tD (4.3) Um den unbekannten Dissoziationszeitpunkt tD zugunsten der experimentell zugänglichen Werte ∆t1 = (t2 − t1 ) und ∆t2 = (t3 − t1 ) aus der Rechnung zu 58 4.2. AUSWERTEALGORITHMUS eliminieren, bilden wir zunächst die Geschwindigkeitsdifferenzen ∆t1 · (v0x + u1x ) · (v0x + u2x ) L ∆t2 u1x − u3x = · (v0x + u1x ) · (v0x + u3x ) (4.4) L und erhalten ein gekoppeltes Gleichungssystem für die gesuchten Größen uix . Aus der Impulserhaltung beim Dissoziationsprozess lässt sich für die Geschwindigkeitskomponenten der Zusammenhang u1x − u2x = u1x = −u2x − u3x (4.5) ableiten, so dass (4.4) effektiv ein Gleichungssystem mit nur 2 unabhängigen Variablen darstellt. Weil die Geschwindigkeiten jedoch quadratisch in beide Gleichungen eingehen, scheidet eine analytische Lösung aus, und es muss auf ein numerisches Verfahren zurückgegriffen werden. Dazu addieren wir die entsprechenden Gleichungen und erhalten 3u1x = v0x + u1x · [∆t1 (v0x + u2x ) + ∆t2 (v0x + u3x )] L (4.6) Auf der linken Seite wurde hierbei die Impulserhaltung (4.5) ausgenutzt. Nach minimalen Umformungen bildet (4.6) zusammen mit den beiden Gleichungen aus (4.4) ein zur iterativen Lösung geeignetes Gleichungssystem: u1x = u2x = u3x = v0x +u1x 3L [∆t1 (v0x + u2x ) + ∆t2 (v0x + u3x )] u1x − u1x − ∆t1 (v0x L ∆t2 (v0x L + u1x )(v0x + u2x ) + u1x )(v0x + u3x ) (4.7) Wie in [Bec00] aufgezeigt, konvergiert das Iterationsverfahren unter Verwendung der Startwerte u1x =u2x =u3x = 0 und ermöglicht eine Berechnung der Longitudinal-Geschwindigkeiten mit beliebiger Genauigkeit. Zur Minimierung der benötigten Rechenzeit lässt sich die Konvergenz des Verfahrens beschleunigen, indem die aus der 1. Gleichung erhaltene Geschwindigkeit u1x noch im selben Iterationsschritt für die Berechnung der anderen beiden Komponenten eingesetzt wird. Auf diese Weise genügen durchschnittlich vier Iterationen, um die beim Zerfall übertragenen Impulskomponenten pix = mH uix mit ausreichender Genauigkeit zu ermitteln. 59 KAPITEL 4. DATENAUSWERTUNG 4.2.2 Transversale Impulse Nachdem die Longitudinal-Geschwindigkeiten uix bekannt sind, können alle verbleibenden Größen rein analytisch bestimmt werden. Aus (4.3) ergeben sich nun unmittelbar die Flugzeiten der einzelnen Fragmente: ti − tD = L v0x + uix (4.8) Diese werden im Folgenden benötigt, um über das Weg-Zeit-Gesetz die unbekannten Transversal-Geschwindigkeiten ermitteln zu können. Wir beschränken unsere Überlegungen dabei auf die y-Richtung und entnehmen der mittleren Komponente aus Gleichungssystem (4.1) den Zusammenhang yi − v0y (4.9) uiy = ti − tD Durch Summation über alle drei Teilchen kann auf einfache Weise eine Separation von Relativ- und Schwerpunktsbewegung erreicht werden. 3 X 3 X yj ujy = 3v0y + j=1 tj − tD j=1 (4.10) Der zweite Summand auf der rechten Seite verschwindet infolge der Impulserhaltung beim Dissoziationsvorgang, was eine direkte Bestimmung der Schwerpunktsgeschwindigkeit ermöglicht: v0y 3 1 X yj = · 3 j=1 tj − tD (4.11) Durch Einsetzen von (4.11) in (4.9) erhält man schließlich die Relativgeschwindigkeiten der Fragmente in y-Richtung. Auf völlig analogem Weg lassen sich im Anschluss auch die z-Komponenten ermitteln. uiy = 3 1 X yj yi − · ti − tD 3 j=1 tj − tD (4.12) uiz = 3 zi 1 X zj − · ti − tD 3 j=1 tj − tD (4.13) Mit der Berechnung der transversalen Impulse piy = mH uiy und piz = mH uiz ist der kinematische Zustand der drei H-Atome nach der Dissoziation nun vollständig rekonstruiert. 60 4.2. AUSWERTEALGORITHMUS 4.2.3 Freisetzungsenergie Während des Zerfallsprozesses wird auf jedes der Fragmente eine gewisse kinetische Energie übertragen, die sich aus den zuvor errechneten Impulskomponenten ergibt: p2 + p2iy + p2iz (4.14) εi = ix 2mH Da bei einem Dreiteilchenzerfall keine elektronische Anregung der H-Atome auftreten kann, entspricht die Summe aller kinetischen Teilchenenergien W = 3 X εi (4.15) i=1 dem insgesamt freigesetzten Energiebetrag. Für einen gegebenen rovibronischen Zustand bildet W im Experiment eine Konstante. Diese wichtige Eigenschaft ermöglicht es, neben einer Messung der Fragmentimpulse auch Informationen über den Ausgangszustand des Moleküls vor dem Zerfall zu gewinnen. Dabei kann für Zustände mit Hauptquantenzahlen n ≤ 3 sowohl die elektronische Anregung als auch der Schwingungszustand des Kerngerüsts zum Zeitpunkt der Dissoziation spezifiziert werden. Lediglich für eine Unterscheidung verschiedener Rotationsniveaus reicht die Energieauflösung der Apparatur von 10 meV in der Regel nicht aus. Darüber hinaus liefert die Bestimmung der Freisetzungsenergie jedes Einzelereignisses eine sehr effiziente Möglichkeit, verbliebene zufällige Koinzidenzen aus den Datensätzen zu entfernen. Diese verteilen sich im Gegensatz zu echten Events über einen breiten Bereich des Energiespektrums. Im Verlauf der Auswertung können sie durch die Wahl eines entsprechenden Energiefensters großenteils ausselektiert werden. 4.2.4 Fragmentationsebene Infolge der Impulserhaltung bei der Dissoziation spannen die Geschwindigkeitsvektoren der drei H-Atome eine Ebene auf. Die räumliche Orientierung dieser sogenannten Fragmentationsebene kann durch ihren Normalenvektor ~n charakterisiert werden, welcher sich aus dem Kreuzprodukt zweier Fragmentgeschwindigkeiten ergibt: ~n = u~1 × u~2 |u~1 × u~2 | 61 (4.16) KAPITEL 4. DATENAUSWERTUNG Die Richtung des Normalenvektors im Raum zeichnet die Lage der Hauptsymmetrieachse des H3 -Moleküls zum Zeitpunkt seiner Dissoziation nach. 00 Bei Molekülen im metastabilen 2p 2A2 -Zustand entspricht diese Achse der Orientierung des keulenförmigen 2pz -Orbitals. Im Folgenden verwenden wir die beiden Eulerwinkel φ und θ, um die räumliche Lage des Normalenvektors im Laborsystem zu definieren: φ = ± arccos q ny n2x + n2y θ = arccos (nz ) + wenn nx ≥ 0 − wenn nx < 0 (4.17) (4.18) Wie in Abbildung 4.2 illustriert, beschreibt θ den Winkel des Normalenvektors ~n gegen die Richtung des Starkfeldes, während φ in der Ebene senkrecht zum Feld von der y-Achse aus gemessen wird. Für das vorgestellte Experiment ist insbesondere die Verteilung des Winkels θ von Interesse, anhand derer das Alignment der felddissoziierten Moleküle analysiert werden kann (vgl. Abschnitt 5.3). Abbildung 4.2: Die Lage der Fragmentationsebene beim Dreiteilchenzerfall wird durch die Winkel θ und φ angegeben. Man beachte, dass φ gegen die punktiert dargestellte Projektion des Normalenvektors in der xy-Ebene gemessen wird. 62 4.3. DARSTELLUNG IM DALITZPLOT 4.3 Darstellung im Dalitzplot Die experimentell gewonnenen Daten ermöglichen eine explizite Angabe der Zerfallskonfiguration für jedes einzelne, detektierte Molekül. Bei einer Anzahl von typischerweise mehreren tausend Zerfällen sammelt sich im Laufe einer Dreiteilchen-Messung eine ganze Fülle von Information an, die nach einer übersichtlichen Darstellung verlangt. Hierfür kommt ein ursprünglich zum Studium von Elementarteilchenzerfällen entworfenes Konzept zum Einsatz, der sogenannte Dalitzplot. Im Jahre 1953 von dem australischen Physiker Richard H. Dalitz eingeführt [Dal53], bildet das Diagramm ein hervorragendes Werkzeug, um die Dynamik von Dreikörperzerfällen zu analysieren. Es basiert auf der Tatsache, dass die gesamte Energiefreisetzung W beim Dissoziationsprozess eine Konstante ist, und folglich nur zwei der drei Energien aus (4.15) voneinander unabhängig sind. Dadurch können die möglichen Impulskonfigurationen dreier Teilchen in einem nur zweidimensionalen Schaubild dargestellt werden. Der Dalitzplot erreicht eine elegante und übersichtliche Form durch die Verwendung der Koordinaten x = ε2 − ε1 √ W 3 und y = ε3 1 − W 3 , (4.19) welche die kinetischen Energien εi der Fragmente im Schwerpunktsystem mit der Anordnung ihrer Impulsvektoren p~i in Beziehung setzen. Aus dieser ungewöhnlichen Art der Auftragung resultiert eine ganze Reihe von Vorteilen: • Jeder Punkt (X,Y) des Diagramms entspricht eindeutig einer Anordnung der drei Impulsvektoren. • Der Plot gewährleistet eine homogene Abbildung des gesamten Phasenraumes [Bra99]. Dadurch entspricht die Punktdichte im Diagramm der jeweiligen Wahrscheinlichkeitsdichte, mit der eine Zerfallskonfiguration aufgetreten ist. • Alle Vektorkorrelationen, die der Energie- und Impulserhaltung genügen, werden innerhalb eines Kreises mit Mittelpunkt (0, 0) und Radius r = 1/3 dargestellt. • Die Art der Darstellung von Impulskonfigurationen im Dalitzplot ist identisch mit der Darstellung räumlicher Konfigurationen in hypersphärischen Koordinaten [GBM+ 05]. 63 KAPITEL 4. DATENAUSWERTUNG Abbildung 4.3: Schematische Darstellung von Zerfallskonfigurationen in einem Dalitzplot. Die sechsfache Symmetrie resultiert aus der Nicht -Unterscheidbarkeit der einzelnen Fragmente. Zur Veranschaulichung gibt Abbildung 4.3 einen Überblick, wie die verschiedenen Impulskonfigurationen innerhalb eines Dalitzplots angeordnet sind. Während sich lineare Muster am Rand des Diagramms gruppieren, ist das Zentrum von Zerfällen geprägt, deren Fragmente annähernd in Form eines gleichseitigen Dreiecks auseinanderdriften. Untersucht man ein System aus drei identischen Teilchen, so existieren zu jeder Impulskonfiguration 3! = 6 mögliche Permutationen der Fragmente, die im Rahmen einer Messung nicht unterschieden werden können. Diese Eigenschaft spiegelt sich in einer sechsfachen Symmetrie des Dalitzplots wieder, angedeutet durch die gestrichelten Linien in Abbildung 4.3. In jedem einzelnen Sektor ist dann bereits die vollständige Information des Dissoziations-Experimentes enthalten. Dennoch wird üblicherweise auf die Darstellung als Vollkreis zurückgegriffen, mit deren Hilfe sich Strukturen in den Randbereichen der Sektoren optisch besser erfassen lassen. 4.4 Effizienzkorrektur Im bisherigen Verlauf der Auswertung ist noch unberücksichtigt geblieben, dass unterschiedliche Zerfallskonfigurationen im Allgemeinen nicht mit derselben Effizienz vom Detektor nachgewiesen werden. Grundlegende Faktoren, welche das Sammelverhalten des Detektors beeinflussen, sind neben Form und Größe der aktiven Fläche vor allem die Energie des untersuchten Zustan64 4.4. EFFIZIENZKORREKTUR des sowie die Flugzeit der Fragmente. Aber auch der Dissoziationsprozess an sich spielt eine Rolle: Sowohl die Länge des Dissoziationsbereiches als auch ein Alignment der Moleküle im Starkfeld können dazu beitragen, dass gewisse Konstellationen bevorzugt, andere dagegen mit geringerer Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Damit sich das inhomogene Sammelverhalten des Detektors nicht in den Ergebnissen widerspiegelt, müssen die gemessenen Dalitzplots in geeigneter Weise korrigiert werden. 4.4.1 Monte-Carlo Simulation Um die entsprechende Korrekturfunktion zu ermitteln, wird im Rahmen einer Monte-Carlo Simulation die Nachweiseffizienz des Detektorsystems unter den vorliegenden experimentellen Bedingungen modelliert. Dabei werden für typischerweise mehrere Millionen Zerfälle die Trajektorien der einzelnen H-Fragmente explizit berechnet. Sofern alle drei Bruchstücke eines Moleküls die aktive Detektorfläche erreicht haben, werden ihre Auftrefforte und -zeiten an das Auswerteprogramm übergeben. Dieses verarbeitet die Daten wie bei einer gewöhnlichen Messung, errechnet die Fragmentimpulse und trägt alle registrierten Events in einem Dalitzplot auf. Legt man nun in der Monte-Carlo Simulation eine homogene Anfangsverteilung der Zerfallskonfigurationen zugrunde, so entsteht auf diese Weise ein direktes Abbild der Nachweiseffizienz. Mit deren Kenntnis kann schließlich der Einfluss des Detektors aus den gemessenen Dalitzplots herausgerechnet werden. Um eine möglichst realistische Simulation des Experiments zu gewährleisten, wird für jedes Molekül zunächst ein Zufalls-Geschwindigkeitsvektor ~v0 errechnet, der die Energieverteilung und Divergenz des H3 -Strahls nachformt. In einem zweiten Schritt erfolgt dann die Festlegung des Dissoziationsortes. Dabei kann im feldfreien Fall eine gleichmäßige Dissoziation über die gesamte Strecke zwischen Slit und Beamflag angenommen werden1 , wohingegen der Zerfallsort bei eingeschaltetem E-Feld im Wesentlichen auf den Bereich zwischen den Stark-Elektroden beschränkt ist. Um auch den Feldstärkeverlauf in die Simulation einzubeziehen, wird eine gaußförmige Verteilung der Zerfallsorte mit einer Standardabweichung von 1 cm zugrunde gelegt. Darüber hinaus kann mittels des Alignment-Parameters β auch die Orientierung der Moleküle während der Dissoziation berücksichtigt werden. 1 Die Population des H3 -Strahls variiert auf dieser Strecke nur um ± 15 % 65 KAPITEL 4. DATENAUSWERTUNG 4.4.2 Effizienzen für die n=2 Zustände In Abbildung 4.4 sind die Monte-Carlo simulierten Sammeleffizienzen für den 0 00 vibrationslosen 2s 2A1 und 2p 2A2 Zustand des H3 gezeigt. Wir betrachten zunächst den feldfreien Fall, in dem das Nachweisverhalten beider Zustände ausschließlich aufgrund der unterschiedlichen Energiefreisetzung differiert. Der um 0.11 eV tiefer liegende 2s-Zustand profitiert dabei von einer besseren Effizienz in den rot eingefärbten Außenbereichen des Dalitzplots. Die dort angesiedelten spitzwinkligen Konfigurationen besitzen jeweils ein hochenergetisches Fragment, das alleine mehr als 50 % der Dissoziationsenergie aufnimmt. Entsprechend weit kann es sich von der Molekülstrahlachse entfernen und trifft bei steigender Energiefreisetzung zunehmend außerhalb der aktiven Detektorfläche auf. In den restlichen Bereichen des Dalitzplots unterscheiden sich die Nachweiseffizienzen für beide Zustände nur marginal. Auffallend sind drei kleine Totbereiche bei annähernd linearen Geometrien. Hier spiegelt sich die blockierende Wirkung des Beamflags wider, der eine Passage des niederenergetischen mittleren Fragmentes generell verhindert. Die Unterschiede im Nachweisverhalten der beiden n=2 Zustände vergrößern sich deutlich, wenn das Experiment bei eingeschaltetem Starkfeld durchge0 führt wird. Während das 2s 2A1 -Niveau von der Wirkung des Feldes praktisch 00 unberührt bleibt (s. Abschnitt 5.2.2), erfährt der 2p 2A2 -Zustand zwei grundlegende Änderungen: Zum einen ist der Zerfallsort durch das elektrische Feld nun erheblich genauer lokalisiert. Zum anderen begünstigt der Starkeffekt die Dissoziation von Molekülen, deren Hauptsymmetrieachse in Feldrichtung orientiert ist. Das daraus resultierende Alignment der Fragmentationsebene (β = 2) führt zu einer charakteristischen Änderung der Nachweiseigenschaften gegenüber dem feldfreien Fall (β = 0). Wie aus Abbildung 4.4 ersichtlich, wird die Detektionseffizienz mit dem Einschalten des Feldes zwar insgesamt homogener, nimmt aber zugleich für fast alle Konfigurationen deutlich ab. Die Ursache dieser Abnahme liegt in der Orientierung der aktiven Detektorflächen begründet. Sie sind im Experiment parallel zur Richtung des Starkfeldes angeordnet, so dass die nunmehr bevorzugte Lage der Zerfallsebene vom Detektor nicht erfasst werden kann. Die Nachweiseffizienz sinkt dadurch insgesamt um einen Faktor 2, bleibt aber immer noch hoch genug für sinnvolle Messungen. Dank dieses Effektes besitzt die Apparatur eine hohe Sensitivität gegenüber Änderungen des molekularen Alignments und erlaubt eine Analyse der Richtungsabhängigkeit feldinduzierter Dissoziationsprozesse. 66 4.4. EFFIZIENZKORREKTUR 2s ν0 / feldfrei 2s ν0 / Starkfeld 2p ν0 / feldfrei 2p ν0 / Starkfeld Max 0 Abbildung 4.4: 00 0 Geometrische Nachweiseffizienzen für den vibrationslosen 2s 2A1 und 2p 2A2 Zustand des H3 , ermittelt in einer Monte-Carlo Simulation. Dargestellt ist jeweils das Sammelverhalten des Detektors im feldfreien Fall (links) und bei eingeschaltetem E-Feld (rechts). Den Rechnungen liegt eine Beschleunigungsspannung von 3 kV und eine Driftstrecke von 2,39 m zugrunde. 67 Kapitel 5 Feldinduzierte Dissoziation Nachdem sich die experimentelle Erforschung von dreiatomigem Wasserstoff in den letzten Jahren vornehmlich auf die Photodissoziation [GMH04, GBM+ 05], den Ladungstausch an Cäsium [LMCC04, MLSC09] und die dis+ soziative Rekombination von H+ 3 -Ionen [SLK 02, LSZ05] fokussiert hat, wird mit der vorliegenden Arbeit nun ein völlig neuer Weg beschritten: Unter Ausnutzung des Starkeffektes werden neutrale H3 -Moleküle in einem externen elektrischen Feld zur Dissoziation gebracht. Das Prinzip basiert auf der Mischung zweier energetisch benachbarter Zustände unterschiedlicher Lebensdauer und ermöglicht erstmals eine experimentelle Kontrolle nicht-adiabatischer Kopplungen während des Zerfallsprozesses [BH10]. Im vorgestellten Beispiel wird diese Kontrolle durch eine Mischung des me0 00 tastabilen 2p 2A2 -Zustandes mit dem kurzlebigen 2s 2A1 -Niveau erreicht, deren Wellenfunktionen innerhalb des elektrischen Feldes eine Superposition |Ψi = α |2si + β |2pi bilden. Während der 2p-Anteil ausschließlich über die Rotation des Moleküls an das Dreiteilchen-Kontinuum koppelt, kann der 2sAnteil infolge der wesentlich effizienteren Vibrationskopplung dissoziieren. Die Wahrscheinlichkeitsamplituden α und β der zwei verschiedenen Dissoziationspfade sind durch die Stärke des elektrischen Feldes bestimmt und können im Experiment auf einfache Weise variiert werden. Die kinematisch vollständige Erfassung aller Fragmente ermöglicht dabei neben der Messung von Dissoziationsraten auch eine Analyse der Impulsvektor-Korrelationen beim Dreiteilchenzerfall. Die aufgenommenen Dalitzplots zeigen bemerkenswerte Interferenzeffekte, welche daraus resultieren, dass Moleküle in einem Superpositionszustand das identische Kontinuum auf zwei grundlegend verschiedenen Dissoziationspfaden erreichen können (vgl. Abbildung 2.13). 68 5.1. ENERGIESPEKTREN Darüber hinaus entsteht infolge der anisotropen Wirkung des Starkeffektes ein Alignment der Fragmentationsebene. Moleküle, deren Hauptsymmetrieachse entlang der Feldlinien orientiert ist, wechselwirken dabei am stärksten mit dem externen Feld und werden bevorzugt dissoziiert. 5.1 Energiespektren Beim Zerfallsprozess eines H3 -Moleküls in drei einzelne H-Atome wird keine Energie durch Strahlung abgeführt oder in innere Anregung der Fragmente umgewandelt. Die Summe der kinetischen Teilchenenergien W nimmt daher für jeden Molekülzustand einen diskreten Wert an, der dessen Abstand vom Dreiteilchen-Dissoziationslimit widerspiegelt. Trägt man die gemessene Energiefreisetzung vieler Events in einem Spektrum auf, so stellen die enthaltenen Peaks ein Abbild der bevölkerten H3 -Niveaus dar. Man beachte dabei, dass nur Zerfälle innerhalb einer 10 cm langen Zone zwischen Slit und Beamflag vom Detektor registriert werden können. Kurzlebige Zustände, welche in der Ladungstauschzelle entstehen, jedoch vor Erreichen der Nachweiszone wieder dissoziieren, werden durch den Slit abgeschirmt und tauchen nicht in den Datensätzen auf. Abbildung 5.1 zeigt gemessene Energiespektren des Dreiteilchenzerfalls in Abhängigkeit von der elektrischen Feldstärke im Zentrum der Starkplatten. Der dargestellte Ausschnitt ist jeweils auf den niederenergetischen Bereich W ≤ 3 eV beschränkt. Für eine Übersicht des gesamten Energiespektrums sei der Leser auf Abschnitt 5.4 dieser Arbeit verwiesen. A) Feldfreier Fall Wir beginnen unsere Betrachtung zunächst mit dem feldfreien Fall und erkennen die benachbarten Peaks der vibrationslosen n=2 Zustände bei Frei0 00 setzungsenergien von 0.97 eV (2s 2A1 ) und 1.08 eV (2p 2A2 ). Die Existenz des kurzlebigen 2s-Niveaus innerhalb der Nachweiszone resultiert aus einem langsamen Strahlungsübergang des höher gelegenen 2p-Niveaus. Ausgehend von der zugehörigen Lebensdauer τrad ≈ 60 µs [PTW88] lässt sich das Populationsverhältnis der beiden Zustände näherungsweise abschätzen: Die Aufenthaltszeit tA eines metastabilen 2p-Moleküls in dem 10 cm langen Bereich zwischen Slit und Beamflag beträgt ca. 230 ns - wenn man von einer eventuellen Dissoziation einmal absieht. Die Wahrscheinlichkeit für einen Strahlungsübergang während dieser Zeit entspricht nun gerade dem 69 KAPITEL 5. FELDINDUZIERTE DISSOZIATION Populationsverhältnis der beiden Niveaus: N2s tA = ≈ 0.4 % N2p τrad (5.1) Aufgrund seiner kurzen Lebensdauer zerfällt ein 2s-Molekül praktisch am Ort seiner Entstehung, während im Falle des langlebigen 2p-Niveaus nur 1/3 der Population vor ihrem Aufprall auf den Beamflag dissoziiert ist. Damit zerfallen pro Zeiteinheit 80 Mal mehr Moleküle aus dem 2p- als aus dem 2sZustand! Diese Überlegung steht im Widerspruch zu dem experimentellen Befund bei E = 0 kV/cm, welcher ein Verhältnis der Peakhöhen von 7:1 zugunsten des 2s-Niveaus zeigt (Abb. 5.1 oben). Als Ursache für die Diskrepanz kommt nur ein in beiden Zuständen hochgradig unterschiedliches Verzweigungsverhältnis zwischen Zwei- und Dreiteilchenzerfall in Betracht. Um das beobachtete Energiespektrum erklären zu können, muss die Wahrscheinlichkeit für einen Dreiteilchenzerfall aus dem 2s-Niveau heraus ungefähr 500 Mal höher sein als für ein 2p-Molekül. B) Eingeschaltetes E-Feld Mit dem Anschalten des elektrischen Feldes setzt eine charakteristische Änderung des Energiespektrums ein, die in der Diagrammserie in Abbildung 5.1 eindrucksvoll illustriert ist. Die beginnende Dissoziation metastabiler 2pMoleküle zwischen den Starkplatten macht sich durch eine ausgeprägte Zunahme an Zerfällen bei einer Energiefreisetzung von 1.08 eV bemerkbar. Da die Dissoziationsrate des 2s-Niveaus unterdessen konstant bleibt, gleichen sich die Peakhöhen beider Zustände mit steigendem E-Feld rasch an und erreichen nahe 4 kV/cm ein 1:1 Verhältnis. Für noch höhere Felder wird der Starkeffekt-induzierte Zerfall des metastabilen Niveaus zur dominierenden Struktur in den Energiespektren. Parallel dazu treten bei Energien von 00 1.41 eV und 1.49 eV schwingungsangeregte 2p 2A2 -Zustände aus dem Untergrund hervor, deren Dissoziation in analoger Weise durch das Starkfeld gefördert wird. Ihre Positionen sind in dem Diagramm für E = 6 kV/cm mit Pfeilen gekennzeichnet. Darüber hinaus wird durch das externe Feld der Zerfallsort der metastabilen Moleküle räumlich besser eingegrenzt, wodurch sich die Genauigkeit der Energiebestimmung erhöht. Dieser Effekt äußert sich in einer Abnahme der Halbwertsbreite des 2pν0 -Peaks von 75 meV im feldfreien Fall auf 25 meV bei 20 kV/cm. Das 2s-Niveau hingegen bleibt vom E-Feld völlig unberührt. 70 5.1. ENERGIESPEKTREN Abbildung 5.1: Energiespektren des Dreiteilchenzerfalls in Abhängigkeit von der Feldstärke. 71 KAPITEL 5. FELDINDUZIERTE DISSOZIATION Der Untergrund in den Energiespektren resultiert aus zufälligen Koinzidenzen dreier Teilchen, die ein Event mit beliebiger Energie verursachen können. Das Ergebnis ist eine breite Untergrundverteilung über den gesamten Energiebereich, deren Höhe mit der Stärke des Molekülstrahls skaliert. Man beachte, dass die gezeigten Spektren nicht für einen Vergleich der Absolutwerte geeignet sind. Zum einen liegen den Diagrammen unterschiedliche Messzeiten zugrunde, und zum anderen kann die Stärke des Molekülstrahls aus technischen Gründen von Messung zu Messung variieren. 5.1.1 Dissoziationsraten Aus den Energiespektren in Abbildung 5.1 lassen sich nach Abzug des Untergrundes und unter Berücksichtigung der jeweiligen Messdauer die Disso0 00 ziationsraten des vibrationslosen 2p 2A2 und 2s 2A1 -Niveaus ermitteln. Um die Ergebnisse der einzelnen Messungen miteinander vergleichen zu können, muss jedoch der schwankende Einfluss der Molekülstrahlstärke aus den Datensätzen herausgerechnet werden. Angesichts der Tatsache, dass sich zeitliche Variationen der Moleküldichte auf alle H3 -Zustände in gleicher Weise Abbildung 5.2: Experimentell beobachtetes Verhältnis der Dissoziationsraten des vibrations00 0 losen 2p 2A2 und 2s 2A1 Niveaus in Abhängigkeit vom angelegten Feld. Die grüne Kurve zeigt das Ergebnis eines quadratischen Fits an die Messdaten. 72 5.2. IMPULSVEKTORKORRELATIONEN auswirken, bietet sich eine Betrachtung von Verhältnissen beobachteter Raten an. Als geeignete Vergleichsgrundlage kann dabei der 2s-Zustand dienen, dessen Zerfallsverhalten unabhängig von der angelegten Feldstärke ist. Abbildung 5.2 zeigt das im Experiment ermittelte Verhältnis der Dissoziationsraten von vibrationslosem 2p und 2s Niveau als Funktion des elektrischen Feldes. Wie anhand der grünen Kurve veranschaulicht, folgen die Messpunkte einem quadratischen Zusammenhang der Form f (x) = A + C · x2 , dessen Koeffizienten mit Hilfe eines Fitverfahrens zu Aexp = (0.14 ± 0.01) und Cexp = (0.074 ± 0.003) cm2/kV2 bestimmt wurden. 5.2 Impulsvektorkorrelationen Eine der spannendsten Neuerungen des vorgestellten Experiments ist die Möglichkeit einer Feldstärke-aufgelösten Analyse von Impulsvektorkorrelationen beim Dreiteilchenzerfall. Angewendet auf den Superpositionszustand |Ψi = α |2si + β |2pi erlaubt dieses Konzept eine direkte Beobachtung der Auswirkungen sich ändernder nicht-adiabatischer Kopplungen auf die Dyna0 mik des Zerfallsprozesses. Während der 2s 2A1 -Anteil infolge von Vibrations00 kopplungen dissoziiert, kann der 2p 2A2 -Zustand das Dreiteilchen-Kontinuum ausschließlich über die weniger effiziente Rotationskopplung erreichen (siehe Abschnitt 2.4.3). Die beiden verschiedenen Dissoziationsmechanismen führen zur Ausbildung völlig unterschiedlicher Impulsvektorkorrelationen der entstehenden Zerfallsfragmente. Dies zeigt sich am deutlichsten in Abwesenheit eines externen elektrischen Feldes, wo die beiden Zustände in ungestörter Form beobachtet werden können (Abbildung 5.3). Die Dissoziation des 2p-Niveaus ist dominiert von annähernd gleichseitigen Zerfallskonfigurationen im Zentrum des Dalitzplots. Im Gegensatz dazu dissoziiert der 2s-Zustand hauptsächlich in stumpfwinkligen Geometrien und vermeidet die vom 2p bevorzugte totalsymmetrische Anordnung der Impulsvektoren komplett. Der Ursprung der beobachteten Muster war lange Zeit unverstanden. Erst in jüngster Zeit ist es der Theorie gelungen, mit Hilfe semiklassischer Trajektorienmodelle das Verhalten des 2s-Zustandes erfolgreich vorherzusagen [LJ09, Gal10]. Für die Impulsvektorkorrelationen des 2p-Niveaus steht eine schlüssige Erklärung dagegen immer noch aus. Die gegensätzlichen Dissoziationsmuster beider Zustände deuten jedoch darauf 73 KAPITEL 5. FELDINDUZIERTE DISSOZIATION hin, dass die Bewegung der Fragmente auf der Grundzustandsfläche jeweils entlang völlig unterschiedlicher Trajektorien verläuft. Nach bisherigem Kenntnisstand koppelt das nicht-vibrationsangeregte H3 so0 00 wohl im 2s 2A1 als auch im 2p 2A2 Zustand bevorzugt an das obere Blatt der Grundzustandsfläche [Gal09], welches ausschließlich zu einem Zerfall in 0 3 Teilchen führt. Infolge der Wechselwirkung beider 2p 2 E -Flächen kann jedoch ein Teil der Population vom oberen auf das untere Blatt transferiert werden und in die Fragmente H+H2 dissoziieren. Der Effekt ist besonders ausgeprägt für annähernd gleichseitige Kernkonfigurationen (ϑ ≈ 90◦ ), in denen die beiden Potentialflächen energetisch entartet sind. Genau in dieser Geometrie erfolgt jedoch der nicht-adiabatische Übergang des Moleküls aus einem angeregten n = 2 Niveau in den Grundzustand (vgl. Abbildung 2.6). Angesichts der beobachteten Dalitzplots liegt nun die Vermutung nahe, dass die 2p-Fragmente während des Auseinanderdriftens ihre annähernd gleichseitige Konfiguration beibehalten, wohingegen die 2s-Fragmente sich zu stumpfwinkligen Geometrien hin entwickeln und damit einer beständigen Kopplung 0 an das untere 2p 2 E -Blatt entgehen. Auf diese Weise würde sich das ungleiche Verhältnis der Dreiteilchenzerfalls-Wahrscheinlichkeiten beider Zustände erklären, das sich aus dem Experiment zu r2s /r2p ≈ 500 ergibt. Abbildung 5.3: 0 00 Dalitzplots des reinen 2s 2A1 und 2p 2A2 Niveaus, gemessen bei ausgeschaltetem elektrischem Feld. Die unterschiedlichen nicht-adiabatischen Kopplungsmechanismen führen zu deutlich differierenden Zerfallsmustern beider Zustände. 74 5.2. IMPULSVEKTORKORRELATIONEN 5.2.1 00 Der 2p 2A2 -Zustand im Starkfeld Mit dem Zuschalten eines externen elektrischen Feldes beginnen sich die Im00 pulsvektorkorrelationen des metastabilen 2p 2A2 -Zustandes von Grund auf zu verändern. Die Diagrammserie in Abbildung 5.4 illustriert eindrucksvoll den enormen Einfluss der Feldstärke auf die Prädissoziation des vibrationslosen ν0 -Niveaus. Der anfänglich reine 2p-Zustand wird unter der Wirkung des Starkeffektes in eine Superposition |Ψ+ i = α |2si + β |2pi (5.2) überführt, deren zunehmender 2s-Anteil sich in den Vektorkorrelationen der Zerfallsfragmente widerspiegelt. Die in den Dalitzplots auftretenden Änderungen lassen sich dabei in drei verschiedene Phasen einteilen, welche durch die einzelnen Spalten in Abbildung 5.4 repräsentiert werden. Feldstärke von 0 - 2 kV/cm Der Bereich niedriger Feldstärken ist charakterisiert durch eine rasche Rückbildung der 2p-typischen Anhäufung gleichseitiger Zerfallsgeometrien. Bereits Felder von wenigen 100 V/cm genügen, um die Ereignisdichte im Zentrum des Dalitzplots spürbar abfallen zu lassen. Die Verteilung der Impulskonfigurationen wird dadurch insgesamt homogener, und mit Erreichen der 2 kV/cm-Grenze sind auch letzte Andeutungen des zentralen Maximums vollständig verschwunden. Parallel zu dieser Entwicklung gewinnt die Dissoziation des Moleküls in annähernd linearen Konfigurationen vorübergehend an Gewicht. Die drei isolierten Inseln am Rand des Diagramms bei 0.5 kV/cm verdeutlichen den erwähnten Effekt. Mit zunehmender Feldstärke schwächen sich diese Strukturen jedoch rasch wieder ab und werden schließlich in den expandierenden Innenteil des Schaubilds integriert. Feldstärke von 2 - 5 kV/cm Ab einem elektrischen Feld von 2 kV/cm beginnt ein Übergangsbereich, in dem die beobachteten Dalitzplots Strukturen beider Niveaus zeigen. Während bei stumpfwinkligen Geometrien die ersten Anzeichen des charakteristischen 2s-Musters auftauchen, bleibt der 2p-typische gleichseitige Zerfallskanal im Zentrum des Schaubildes immer noch offen. Die Veränderungen der Impulskorrelationen folgen nun keiner klaren Linie mehr und spielen 75 KAPITEL 5. FELDINDUZIERTE DISSOZIATION Abbildung 5.4: 00 Dalitzplots des 2p 2A2 ν0 -Niveaus in Abhängigkeit von der Spitzen-Feldstärke im Zentrum der Starkplatten. Die Farbgebung ist für jedes Diagramm separat angepasst, um eine optimale Darstellung der Entwicklung zu gewährleisten. 76 5.2. IMPULSVEKTORKORRELATIONEN sich hauptsächlich in feinen Details ab. Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang der Dalitzplot bei 4 kV/cm, in welchem sich ein interessantes Interferenzmuster abzeichnet. Die gemessene Intensitätsverteilung kann nicht im Sinne einer einfachen Addition der beiden ungestörten Anteile aus Abbildung 5.3 erklärt werden. Als Resultat der unterschiedlichen Entwicklung zweier Wellenpakete auf der Grundzustandsfläche verlangt die Interpretation dieser Struktur vielmehr nach einer quantenmechanischen Behandlung, wie man sie in Abschnitt 2.6.4 beschrieben findet. Generell ist das Studium solcher Interferenzeffekte auf einen Bereich mittlerer Feldstärke beschränkt, da ihre Beobachtung ein ungefähr ausgeglichenes Verzweigungsverhältnis beider Zerfallspfade voraussetzt. Feldstärke von 5 - 20 kV/cm Mit Erreichen der 5 kV/cm-Marke beginnt sich der totalsymmetrische Dissoziationskanal im Zentrum des Dalitzplots zu verschließen. Die Entstehung dieser verbotenen Zone markiert zugleich den Übergang des Zerfallsmusters in den Bereich der hohen Felder. Die Dominanz der Maxima bei stumpfwinkligen Konfigurationen wird nun immer ausgeprägter, und der Dalitzplot nähert sich zunehmend der Gestalt des ungestörten 2s-Niveaus an. Interessant ist eine leichte Neigung zu extrem spitzwinkligen Zerfallsgeometrien, die sich in drei hellblauen Seitenausläufern äußert und ab etwa 10 kV/cm durchgängig beobachtet wird. Bei dieser Feldstärke beträgt das Verzweigungsverhältnis der beiden Dissoziationspfade bereits 6:1 zugunsten des 2s-Niveaus. Entsprechend hat sich das Muster des Dalitzplots praktisch vollständig dem Dissoziationsverhalten des reinen 2s-Zustandes angeglichen und zeigt bei weiter ansteigendem E-Feld nur noch marginale Änderungen. 5.2.2 0 Der 2s 2A1 -Zustand im Starkfeld 00 0 Im Unterschied zum metastabilen 2p 2A2 -Niveau kann der kurzlebige 2s 2A1 Zustand nicht über den Starkeffekt dissoziiert werden. Zwar führt das elektrische Feld auch in diesem Fall zur Ausbildung einer Superposition |Ψ− i = β |2si − α |2pi , (5.3) die kurze Lebensdauer des Ausgangsniveaus verhindert jedoch einen Zerfall des Moleküls über den beigemischten 2p-Kanal. Man kann sich die Situation 77 KAPITEL 5. FELDINDUZIERTE DISSOZIATION Abbildung 5.5: Theoretisch berechnete Disso0 ziationsrate des 2s 2A1 Niveaus in Abhängigkeit vom angelegten elektrischen Feld. anhand von Gleichung (2.42) verdeutlichen, welche die Dissoziationsrate im Starkfeld als Funktion der Beimengung α beschreibt: τA 2 α R (α) = R0 · 1 − α + τB 2 (5.4) Wie in Abschnitt 2.6.3 erläutert, ist der letzte Summand dieses Ausdrucks für den Effekt der feldinduzierten Dissoziation verantwortlich. Seine Größe wird durch das Verhältnis der Lebensdauern von Anfangsniveau (τA ) und beigemischtem Zustand (τB ) bestimmt. Wählt man den 2p-Zustand als Basisniveau, so liegt dieses Verhältnis in der Größenordnung von 106 und führt bereits für kleine Beimengungen α zu einem signifikanten Anstieg der Zerfallsrate. Betrachten wir dagegen ein Molekül im 2s-Zustand, dann beläuft sich das entsprechende Verhältnis auf 3 · 10−7 und der Ausdruck (5.4) reduziert sich zu h i R2s (α) = R0 · 1 − α2 . (5.5) Damit wird klar, dass die im Experiment erreichten 2p-Beimischungen von α ≈ 10−3 keinerlei Einfluss auf die Dissoziationsrate des 2s-Niveaus haben. Wie in Abbildung 5.5 veranschaulicht, bleibt die Zerfallsrate für Felder bis zu 800 kV/cm innerhalb von 1 % konstant und kann im Experiment als fixer Referenzwert betrachtet werden. Erst bei noch höheren Feldstärken beginnt sie infolge des zunehmenden Populationstransfers in den langlebigen 2p-Anteil spürbar abzunehmen. Das Verzweigungsverhältnis der beiden unterschiedlichen Dissoziationspfade ergibt sich aus Gleichung (2.41): 78 5.2. IMPULSVEKTORKORRELATIONEN R (2p−Pfad) α2 τ2s = · R (2s−Pfad) 1 − α2 τ2p (5.6) Infolge der Gewichtung mit dem Verhältnis τ2s /τ2p kommt der Anteil √des 2p-Pfades selbst für die höchsten erreichbaren Mischungsgrade (α → 1/ 2) nicht über die Grenze von 3 · 10−7 hinaus. Während der große LebensdauerUnterschied also im Falle des 2p-Zustands die Ausbildung eines zusätzlichen Dissoziationskanals fördert, verhindert er den analogen Effekt beim 2sNiveau sehr effizient. Entsprechend wird man erwarten, dass der Starkeffekt 0 keine Auswirkungen auf die bevorzugten Zerfallskonfigurationen eines 2s 2A1 Moleküls hat. Die Messungen am vibrationslosen ν0 -Niveau in Abbildung 5.6 bestätigen diese Vorhersage für den experimentell untersuchten Bereich zwischen 0 und 20 kV/cm. Unabhängig von der angelegten Feldstärke werden alle aufgenommenen Dalitzplots durch Zerfälle in stumpfwinkligen Konfigurationen dominiert, deutlich erkennbar an den drei charakteristischen, roten Abbildung 5.6: 0 Dalitzplots des 2s 2A1 ν0 -Niveaus in Abhängigkeit von der Spitzen-Feldstärke im Zentrum der Starkplatten. Die Diagramme sind relativ zueinander normiert und belegen, dass sich das Zerfallsverhalten des Zustands nicht ändert. 79 KAPITEL 5. FELDINDUZIERTE DISSOZIATION Arealen. Die Intensitätsschwankungen feinerer Einzelheiten sind rein statistischer Natur und resultieren aus der begrenzten Anzahl an Messwerten. 5.3 Alignment der Fragmentationsebene Neben einer Untersuchung der Impulsvektorkorrelationen erlaubt die zeitund ortsaufgelöste Detektion der Zerfallsfragmente auch eine Analyse der räumlichen Orientierung des Moleküls. Die Lage der Dissoziationsebene lässt sich dabei unmittelbar aus den Fragmentimpulsen errechnen und kann im Laborsystem durch Angabe des Normalenvektors ~n beschrieben werden. Für 00 ein Molekül im metastabilen 2p 2A2 -Niveau entspricht dessen Orientierung gerade der Ausrichtung des pz -Orbitals zum Zeitpunkt der Dissoziation. Wie aus Abbildung 5.7 ersichtlich, begünstigt die Anordnung der beiden Detektorhälften den Nachweis von Molekülen, die in der xz-Ebene dissoziieren. Fragmente aus Zerfällen in der xy-Ebene treffen dagegen im Totbereich zwischen den aktiven Flächen auf und sind von der Detektion ausgeschlossen. Um die Messergebnisse korrekt interpretieren zu können, müssen wir daher zunächst das Nachweisverhalten des Detektors etwas eingehender betrachten. Abbildung 5.7: Die Ausrichtung der beiden Detektorhälften bedingt eine optimale Nachweisbarkeit von Molekülen, die in der xz-Ebene fragmentieren. Zerfälle in der xy-Ebene können dagegen prinzipiell nicht detektiert werden. 80 5.3. ALIGNMENT DER FRAGMENTATIONSEBENE 5.3.1 Winkelabhängigkeit der Detektion Nach dem Verlassen der Cäsium-Zelle ist die Orientierung der Moleküle innerhalb des schnellen H3 -Strahls statistisch über alle Raumrichtungen verteilt. Dementsprechend wird man erwarten, dass im feldfreien Fall eine isotrope Verteilung der Fragmentationsebene vorliegt. Die Situation ändert sich jedoch, wenn mit dem Zuschalten des elektrischen Feldes eine Vorzugsrichtung in das Experiment eingeführt wird. Aufgrund der anisotropen Wirkung des Starkeffekts wird dann gezielt die Dissoziation von Molekülen begünstigt, deren Hauptsymmetrieachse entlang der Feldrichtung zeigt. In der Folge bildet sich ein Alignment der Fragmentationsebene aus, welches sich in den experimentell gemessenen Winkelverteilungen widerspiegelt. Um das Nachweisverhalten des Detektors bei unterschiedlichem Alignment zu modellieren, wurden in einer Monte-Carlo Simulation für das vibrations00 lose 2p 2A2 -Niveau die Trajektorien mehrerer Millionen Zerfälle berechnet und auf ihre Detektierbarkeit überprüft. Die räumliche Orientierung der Molekülachsen wurde dabei durch eine Wahrscheinlichkeitsverteilung P (θ) = 1 [1 + βP2 (cos θ)] 4π (5.7) vorgegeben, mit dem zweiten Legendre-Polynom 1 P2 (cos θ) = (3 cos2 (θ) − 1) . 2 (5.8) θ bezeichnet den Winkel zwischen der Hauptsymmetrieachse des Moleküls und dem Starkfeld, während der Parameter β ∈ [−1, 2] als Maß für das Alignment dient. Bezüglich des Winkels φ senkrecht zur Feldrichtung wurde in allen betrachteten Fällen eine Gleichverteilung der Molekülachsen zugrunde gelegt. In Abbildung 5.8 sind die Ergebnisse der Monte-Carlo Rechnungen für drei ausgewählte Werte von β zusammengefasst. Die tatsächliche Winkelverteilung der Molekülachse P (θ) ist auf der linken Seite gezeigt und jeweils dem simulierten Messergebnis des Detektors N (θ) gegenübergestellt. Zwischen den beiden Verteilungen besteht der Zusammenhang N (θ) = Nges · P (θ) · Γ(θ) , (5.9) wobei Nges die Gesamtzahl der simulierten Zerfälle und Γ die Detektionswahrscheinlichkeit als Funktion des Winkels θ beschreibt. Im Falle einer 81 KAPITEL 5. FELDINDUZIERTE DISSOZIATION Abbildung 5.8: 00 Nachweisverhalten der Apparatur für das 2p 2A2 ν0 -Niveau in Abhängigkeit vom Alignment der Fragmentationsebene. Links die tatsächliche Verteilung der Molekülachsen bezüglich des Winkels θ, rechts das Monte-Carlo simulierte Messergebnis. Der Totbereich des Detektors ist in grauer Farbe unterlegt. 82 5.3. ALIGNMENT DER FRAGMENTATIONSEBENE isotropen Anfangsverteilung [β = 0] ergibt das berechnete Messergebnis (a) ein direktes Abbild der geometrischen Nachweiseffizienz: Erwartungsgemäß ist die Sammelleistung des Detektors bei einer Ausrichtung der Molekülachse senkrecht zum Starkfeld am größten, wie das Maximum der Kurve für θ = 90◦ belegt. Sobald sich das Molekül in Feldrichtung neigt, beginnt die Nachweiswahrscheinlichkeit abzunehmen und sinkt schließlich auf null, wenn die Hauptsymmetrieachse mit dem Starkfeld einen Winkel von weniger als 30◦ , bzw. mehr als 150◦ einschließt. Dieser Totbereich entsteht aufgrund der Lücke zwischen den aktiven Detektorhälften und ist in der rechten Spalte von Abbildung 5.8 jeweils als graue Fläche gekennzeichnet. Wenn man die vom Detektor nachgewiesenen Winkelverteilungen (b) und (c) mit dem isotropen Fall (a) vergleicht, so stellt man fest, dass eine bevorzugte Ausrichtung der Moleküle senkrecht zum Feld [β = −1] lediglich zu einer geringfügigen Verschmälerung der Kurvenform führt. Ein Alignment entlang der Feldlinien [β = 2] hat dagegen die Ausbildung eines charakteristischen Minimums bei θ = 90◦ zur Folge. Aus diesem Grund ist eine Orientierung des Starkfeldes parallel zum Detektor von Vorteil, wenn man eine optimale Sensitivität der Apparatur auf die zu erwartende Änderung des Alignments sicherstellen möchte. Der einzige Nachteil dieser Anordnung liegt in einer deutlichen Verringerung der Gesamteffizienz, wie man anhand der Absolutskalen in den Diagrammen (a) und (c) sofort erkennen kann. 5.3.2 Gemessene Winkelverteilungen Die experimentell ermittelten Winkelverteilungen der Dissoziationsebene sind in Abbildung 5.9 für verschiedene Feldstärken zwischen 0 und 20 kV/cm gezeigt. In der linken Spalte ist die räumliche Orientierung der Molekülachse als Funktion von θ dargestellt, während die rechte Spalte die Abhängigkeit vom Winkel φ illustriert. Die Diagramme bezüglich θ belegen sehr anschaulich, dass die Zustandsmischung durch den Starkeffekt zu einem Alignment der Fragmentationsebene im Laborsystem führt. 00 Im feldfreien Fall sind die Achsen der dissoziierenden 2p 2A2 -Moleküle rein statistisch im Raum orientiert. Entsprechend liegt die experimentell gemessene θ-Verteilung in guter Übereinstimmung mit dem rot gestrichelten β = 0 Modell. Bereits bei einer Feldstärke von 2 kV/cm beginnt der Einfluss des elektrischen Feldes diese Isotropie aufzuheben, gut erkennbar an dem sich ausbildenden Einschnitt um θ = 90◦ . Dieser wird mit zunehmender Feldstärke 83 KAPITEL 5. FELDINDUZIERTE DISSOZIATION Abbildung 5.9: Gemessene Winkelverteilungen felddissoziierter 2p-Moleküle bezügl. θ und φ. Die rot gestrichelten Kurven zeigen zum Vergleich ein theoretisches Modell. 84 5.4. SCHWINGUNGSANGEREGTE NIVEAUS rasch tiefer und überführt das Schaubild in die charakteristische DoppelpeakForm, welche das zunehmende Alignment der Moleküle in Feldrichtung widerspiegelt. Bei E = 20 kV/cm hat sich die gemessene θ-Verteilung schließlich weitgehend an das β = 2 Modell angeglichen, das zum Vergleich als gestrichelte Kurve gezeigt ist. Die Tatsache, dass die beiden Peaks im Experiment leicht zur Mitte verschoben erscheinen, resultiert aus dem verbliebenen Restanteil von Dissoziationen über den 2p-Zerfallskanal. Dieser macht bei 20 kV/cm noch 4 % aller Events aus und produziert einen isotropen Beitrag, der sich dem Doppelpeak-Muster der feldinduzierten Zerfälle überlagert. Die Ursache für die so markante Veränderung der gemessenen Winkelverteilung in θ liegt darin, dass die Fragmentationsebene des metastabilen Zustandes mit steigender Feldstärke aus dem optimalen Nachweisbereich des Detektors herausdriftet und sich vorzugsweise in dessen Totbereich verlagert. Verantwortlich für die auftretende Verschiebung ist die anisotrope Wirkung 00 des Starkeffekts: 2p 2A2 -Moleküle, deren pz -Orbital entlang der Feldrichtung 0 orientiert ist, werden besonders effizient mit dem kurzlebigen 2s 2A1 -Zustand gemischt und somit auch bevorzugt dissoziiert. Eine ähnlich eindrucksvolle Entwicklung ist für die Winkelverteilung bezüglich φ nicht zu erwarten. Hier führt das zunehmende Alignment der Dissoziationsebene lediglich zu einer leichten Verbesserung der Detektionswahrscheinlichkeit für Zerfälle mit Winkeln von |φ| > 15◦ . In den Diagrammen der Abbildung 5.9 manifestiert sich dieser Effekt in einer Zunahme der Halbwertsbreite, sowie seitlich weiter ausgreifenden Flanken der gezeigten φ-Verteilungen. 5.4 Schwingungsangeregte Niveaus Das Prinzip der feldinduzierten Dissoziation kann angewendet werden, um 0 das Zerfallsverhalten schwingungsangeregter Zustände des 2s 2A1 -Niveaus zu untersuchen. Im Unterschied zum D3 sind diese Zustände beim H3 auf herkömmlichem Wege experimentell nur schwer zugänglich. Einzig im Falle des ν2 -Niveaus konnten bisher die Impulsvektorkorrelationen eines schwingungs0 angeregten H3 2s 2A1 -Zustandes beobachtet werden [GBM+ 05]. Experimentelle Daten in diesem Bereich sind mehr denn je erwünscht, nachdem inzwischen erste theoretische Vorhersagen für das Dissoziationsverhalten des 2s-Zustandes unter Vibrationsanregung veröffentlicht wurden [LJ09, Gal10]. Die vorgestellte experimentelle Methode basiert auf einer Mischung schwin00 gungsangeregter 2p 2A2 -Niveaus mit den entsprechenden 2s-Zuständen in ei85 KAPITEL 5. FELDINDUZIERTE DISSOZIATION nem elektrischen Feld. Bei genügend hoher Feldstärke kann man den 2pZerfallskanal über den Starkeffekt praktisch vollständig unterdrücken und die Impulsvektorkorrelationen der reinen 2s-Niveaus beobachten. Wie das feldfreie Energiespektrum in Abbildung 5.10 (a) zeigt, enthält der 0 00 Molekülstrahl neben dem vibrationslosen 2s 2A1 und 2p 2A2 Niveau noch eine Reihe weiterer Zustände. Dabei handelt es sich zum einen um schwingungsangeregte Metastabilenniveaus, und zum anderen um langlebige Rydbergzustände mit Hauptquantenzahlen n ≥ 5. Letztere bilden eine breite Verteilung, welche bei Energien von etwa 4 eV beginnt und sich bis über das Ionisationslimit des Moleküls hinaus erstreckt. Erstmals im Jahre 2007 von Gisi beobachtet [Gis07], ist das Dissoziationsverhalten dieser Zustände Thema einer aktuellen Studie von Fechner [Fec10] und soll an dieser Stelle nicht näher behandelt werden. 5.4.1 Verstärkung im elektrischen Feld 00 Die vibrationsangeregten 2p 2A2 -Niveaus zeigen aufgrund ihrer schwachen Besetzung sehr niedrige Dissoziationsraten und können im feldfreien Fall überhaupt nur dann beobachtet werden, wenn der Untergrund an zufälligen Koinzidenzen auf ein Minimum reduziert ist. So wurde die Messung 5.10 (a) mit einer extrem geringen Zählrate von 250 Treffern pro Sekunde und Detektorhälfte realisiert. Entsprechend betrug die Aufnahmezeit für dieses Spektrum etwa 48 Stunden, obwohl es für jedes einzelne Schwingungsniveau nur wenige Events beinhaltet. Durch Anlegen eines elektrischen Feldes von 20 kV/cm kann die Dissoziationsrate der vibrationsangeregten 2p-Niveaus so weit erhöht werden, dass sie sich klar aus dem Untergrund zufälliger Koinzidenzen herauslösen. Der Messaufwand für das Spektrum 5.10 (b) liegt mit 69 Stunden in einem zu (a) vergleichbaren Zeitrahmen. Dennoch umfasst es das Hundertfache (!) an Ereignissen, wie ein Vergleich der Absolutskalen beider Diagramme verdeutlicht. Dieser Gewinn von 2 Größenordnungen in der Anzahl nachgewiesener 2p-Zerfälle resultiert aus einer Kombination zweier günstiger Effekte: Zum einen wird die Dissoziationsrate jedes einzelnen Moleküls durch das elektrische Feld um ein Vielfaches verstärkt, zum anderen verbessert sich gleichzeitig das Signal zu Untergrund Verhältnis. In der Folge können nun auch hohe Ereignisraten gewinnbringend eingesetzt werden, wodurch sich der Zeitaufwand für eine Messung weiter reduziert. 86 5.4. SCHWINGUNGSANGEREGTE NIVEAUS Abbildung 5.10: Gesamtes Energiespektrum des Dreiteilchenzerfalls im feldfreien Fall (a) und bei 20 kV/cm (b). Ganz unten die 2p-Vibrationsniveaus in einer Ausschnittsvergrößerung. 87 KAPITEL 5. FELDINDUZIERTE DISSOZIATION Abbildung 5.10 (c) zeigt den Energiebereich zwischen 0.9 und 2.5 eV in einer vergrößerten Darstellung. Die vertikalen Linien markieren die theoretischen 00 Positionen der schwingungsangeregten 2p 2A2 -Niveaus, gekennzeichnet durch die Quantenzahlen (ν1 , ν2 ). Für alle beobachteten Zustände stimmt die experimentell gemessene Energiefreisetzung W innerhalb einer Toleranz von 20 meV mit dem erwarteten Wert überein. Der Peak des vibrationslosen 2p-Niveaus wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit abgeschnitten; er überragt die nächsthöheren Zustände (0, 1) und (1, 0) um einen Faktor 25. Wie aus dem Diagramm ersichtlich, ermöglicht eine Feldstärke von 20 kV/cm die Beobachtung von Schwingungszuständen mit bis zu drei Anregungsquanten. Infolge der höheren Dissoziationsenergie nehmen jedoch die Nachweischancen der Fragmente bei steigender Vibrationsanregung kontinuierlich ab. So können die Zustände mit Energien W > 1.8 eV bei einer Driftstrecke von 2,39 m bereits nicht mehr in allen Zerfallskonfigurationen den Detektor erreichen. 5.4.2 Dissoziationsverhalten Anhand der vorliegenden Daten lassen sich auch Aussagen über die Impulsvektorkorrelationen bei der Dissoziation schwingungsangeregter H3 -Moleküle treffen. Für alle Niveaus mit insgesamt einem oder zwei Anregungsquanten ist die Statistik gut genug, um einen verwertbaren Dalitzplot erstellen zu können (siehe Abbildung 5.11). Man beachte, dass sich die Beschriftung „2s“ lediglich auf das Dissoziationsmuster der Zustände bezieht. Energetisch gesehen handelt es sich um 2p-Niveaus, deren Zerfallsverhalten bei einer Feldstärke von 20 kV/cm jedoch vollständig durch den beigemischten 2s-Charakter bestimmt wird! Auf diese Weise ist es nun erstmals gelungen, die Impulsvektor0 korrelationen der schwingungsangeregten H3 2s 2A1 -Niveaus systematisch zu vermessen. Die grundlegenden Strukturen der Dalitzplots ähneln dabei den Ergebnissen von Galster, der vor einigen Jahren die entsprechenden Zustände im D3 beobachtet hat [Gal06]. Die klarsten Übereinstimmungen treten für die Niveaus mit ν2 = 0 auf. Aber auch bei angeregter Biegeschwingung sind die Dalitzplots zumindest in ihrer Grundstruktur miteinander vergleichbar; die relativen Intensitäten der einzelnen Details differieren dann allerdings deutlich zwischen beiden Isotopologen. Wie die vorliegenden Messungen zeigen, wird das Zerfallsverhalten der n = 2 Zustände sowohl beim D3 als auch beim H3 in erster Linie vom Anregungsgrad der Biegeschwingung ν2 bestimmt. Eine Variation in ν1 bewirkt dagegen lediglich geringfügige Modifikationen der bereits vorhandenen Strukturen. 88 5.4. SCHWINGUNGSANGEREGTE NIVEAUS Abbildung 5.11: 0 Zerfallsverhalten des H3 2s 2A1 -Zustandes in Abhängigkeit der Vibrationsanregung, beobachtet durch feldinduzierte Dissoziation schwingungsangeregter 00 2p 2A2 -Moleküle bei E = 20 kV/cm. Für Freisetzungsenergien oberhalb 1.8 eV entsteht im Zentrum des Dalitzplots ein Totbereich, der in den Diagrammen rosa eingefärbt ist. 89 KAPITEL 5. FELDINDUZIERTE DISSOZIATION A) Schwingungsniveaus mit ν2 = 0 Die Zustände mit ν2 = 0 (oberste Reihe in Abb. 5.11) zeigen ein bemerkenswert einfaches Dissoziationsmuster, welches durch die drei charakteristischen Maxima bei stumpfwinkligen Geometrien gekennzeichnet ist. Wenn die symmetrische Streckschwingung angeregt wird (ν1 = 1, 2), scheint dieses Muster insgesamt nach außen hin zu expandieren, wodurch die verbotene Zone im Zentrum des Diagramms an Ausdehnung gewinnt. Parallel dazu werden Zerfälle in extrem spitzwinkligen Konfigurationen unterdrückt, wie man am Verschwinden der drei seitlichen Ausläufer des Dalitzplots beim Übergang (0, 0) → (1, 0) erkennen kann. Die beobachtete Expansion des Dissoziationsmusters ist insofern erstaunlich, als beim D3 -Molekül genau der gegenteilige Effekt erkennbar wird. Dort bewirkt eine Anregung der ν1 -Mode eine Kontraktion der Strukturen zur Mitte des Diagramms. B) Schwingungsniveaus mit ν2 = 1 Schwingungsniveaus mit einem Anregungsquant in der Biegemode (ν2 = 1) besitzen ein etwas komplizierteres Dissoziationsverhalten. Im Gegensatz zu den Zuständen mit ν2 = 0 tritt nun im Zentrum des Plots ein Maximum auf, d.h. Zerfälle in gleichseitigen Konfigurationen werden begünstigt. Ungeachtet dessen sind in den Außenbereichen immer noch Reste jener Strukturen vorhanden, welche die Diagramme mit ν2 = 0 dominieren. Wenn zusätzlich die Atemschwingung angeregt wird, expandieren die Maxima bei stumpfwinkligen Geometrien analog zum Fall A) nach außen, während die für ν2 = 1 typischen Strukturen im Innenteil des Schaubilds kontrahiert erscheinen. C) Schwingungsniveaus mit ν2 = 2 Bei Erhöhung der Anregung auf ν2 = 2 gewinnen die Impulsvektorkorrelationen weiter an Komplexität. Von dem charakteristischen Muster der ν2 = 0 Zustände sind jetzt nur noch kleine Relikte bei annähernd linearen Konfigurationen übrig geblieben. Äußerst bemerkenswert ist dagegen das Geschehen im Innenbereich des Diagramms. Hier hat sich das für ν2 = 1 typische Zerfallsmuster bis in feinste Details hinein in ein perfektes Negativ verkehrt! Man vergleiche dazu die Dalitzplots der Schwingungsniveaus (0, 1) und (0, 2). Während bei einfacher Anregung der Biegemode gleichseitige und spitzwinklige Konfigurationen eine Rolle spielen, ist die Dissoziation des Moleküls nun wieder fast ausschließlich auf stumpfwinklige Geometrien beschränkt. 90 5.4. SCHWINGUNGSANGEREGTE NIVEAUS 5.4.3 Vergleich zu theoretischen Vorhersagen Im Folgenden sollen die experimentell gemessenen Dalitzplots der einzelnen 0 2s 2A1 -Niveaus mit den Vorhersagen semiklassischer Trajektorien-Modelle von U. Galster [Gal10] und M. Jungen [LJ09] verglichen werden. Während die Rechnungen von Galster auf das obere Blatt der Grundzustandsfläche beschränkt sind, berücksichtigt das Modell von Jungen auch das untere Blatt, 0 sowie die Kopplung zwischen beiden 2p 2 E -Teilflächen. Wir beginnen unseren Vergleich bei den Schwingungsniveaus mit ν2 = 0: Wie in Abbildung 5.12 illustriert, sind hier beide Modelle in der Lage, die grobe Struktur der gemessenen Impulsvektorkorrelationen zu reproduzieren. Sowohl die drei dominanten Maxima bei stumpfwinkligen Geometrien als auch die Dreiecksstruktur um diese Maxima herum werden qualitativ richtig wiedergegeben. Alle genannten Details resultieren dabei aus einer direkten Kopplung der Wellenfunktion an das obere Blatt der Grundzustandsfläche. Die Rechnung von Jungen prognostiziert darüber hinaus ein vermehrtes Auftreten von spitzwinkligen Konfigurationen, das durch die Messungen jedoch nicht bestätigt wird. Im Zentrum des Dalitzplots haben offensichtlich beide Modelle ihre Schwierigkeiten, das Verbot von gleichseitigen Zerfallsgeometrien korrekt vorherzusagen. Trajektorien, die in dieser Impulskonfiguration enden, haben sich lange Zeit durch Bereiche der Grundzustandsfläche bewegt, in denen starke Wechselwirkungen zwischen dem oberen und unteren Blatt auftreten. Da das Galster-Modell diese Kopplungen nicht berücksichtigt, ist es prinzipiell nicht in der Lage, zuverlässige Vorhersagen über den Zentralteil eines Dalitzplots zu treffen. Dass auch die Rechnungen von Jungen in diesem Bereich versagen, deutet auf ein grundsätzliches Problem bei der Beschreibung von Jahn-Teller Kopplungen mittels semiklassischer Methoden hin. Nach Analysen von Jasper und Truhlar führt das Modellieren von Trajektorien-Sprüngen zwischen zwei konisch überschnittenen Potentialflächen im Fall eines dreiatomigen Systems zu typischen Fehlern von 40-60 % in den Endzustandsverteilungen [JT05]. 0 Etwas komplizierter wird die Situation, wenn wir 2s 2A1 -Zustände mit angeregter Biegeschwingung betrachten (Abbildung 5.13). Im Unterschied zu den ν2 = 0 Niveaus trägt nun nicht allein das obere, sondern auch das untere Blatt der Grundzustandsfläche nennenswert zu den Mustern im Dalitzplot bei. Dementsprechend kann das Modell von Galster lediglich einen Teil der beobachteten Strukturen erklären. Die drei Maxima bei stumpfwinkligen Konfigurationen und die dreieckige Außenbegrenzung des Diagramms 91 KAPITEL 5. FELDINDUZIERTE DISSOZIATION Abbildung 5.12: 0 Experimentell gemessene Dalitzplots von H3 2s 2A1 -Niveaus mit ν2 = 0 im Vergleich zu theoretischen Modellen von Galster [Gal10] und Jungen [LJ09]. 0 Die Beschriftung gibt an, auf welchem Blatt der 2p 2 E -Grundzustandsfläche die berechneten Trajektorien starten. Offensichtlich rührt das grundlegende Muster von einer Kopplung an die obere Teilfläche her. 92 5.4. SCHWINGUNGSANGEREGTE NIVEAUS Abbildung 5.13: 0 Experimentell gemessene Dalitzplots von H3 2s 2A1 -Niveaus mit angeregter Biegeschwingung im Vergleich zu theoretischen Modellen von Galster [Gal10] und Jungen [LJ09]. Die charakteristischen Strukturen im Zentrum der Plots 0 werden durch eine Kopplung an das untere 2p 2 E -Blatt erzeugt. Für den Zustand (0, 2) ist lediglich eine Rechnung zum D3 verfügbar. 93 KAPITEL 5. FELDINDUZIERTE DISSOZIATION werden wie im Fall ν2 = 0 qualitativ richtig modelliert. Die neu hinzugekommenen Details im Innenbereich des Dalitzplots stellen das Galster-Modell dagegen vor Probleme. Zum einen wird die verstärkte Dissoziation bei spitzwinkligen Geometrien fehlerhaft beschrieben. Sie ist in der Vorhersage für das Niveau (0, 1) überhaupt nicht enthalten und wird umgekehrt für den Zustand (1, 1) zu stark prognostiziert. Dieses Problem ist vermutlich ebenso wie das Fehlen eines zentralen Maximums der Beschränkung auf die obere Potentialfläche geschuldet. Wie ein Vergleich mit dem Ergebnis von Jungen zeigt, werden gerade die Strukturen im Mittelteil des Dalitzplots durch eine 0 Kopplung an das untere 2p 2 E -Blatt erzeugt. Abschließend verbleibt noch der Zustand (0, 2) mit doppelt angeregter Biegemode, für den lediglich eine auf das D3 bezogene Vergleichsrechnung vorliegt. Während die randnahen Maxima bei stumpfwinkligen Geometrien auf 0 dem oberen 2p 2 E -Blatt entstehen, wird das Geschehen im Innenbereich des Dalitzplots auch hier wieder durch die untere Potentialfläche bestimmt. Abgesehen von dem zentralen Maximum hat das modellierte Muster definitive Ähnlichkeit mit dem experimentellen Ergebnis; es erscheint jedoch im Vergleich dazu um 60◦ gedreht. Möglicherweise ist die Orientierung der Struktur durch den vibronischen Drehimpuls l2 vorgegeben, welcher für ν2 = 2 die Werte 0 und ±2 annehmen kann. Die Modellrechnung von Jungen basiert auf einem Vibrationsdrehimpuls von l2 = 2, wohingegen dessen Wert bei dem experimentell beobachteten Zustand unbekannt ist. 94 Kapitel 6 Störungstheoretisches Modell Um die beobachtete Zustandsmischung durch den Starkeffekt auf ein quantitatives Fundament zu stellen, wird abschließend ein theoretisches Modell vorgestellt, welches die Dissoziation im elektrischen Feld unter den gegebenen experimentellen Bedingungen beschreibt. In einem ersten Schritt wird der inhomogene Feldverlauf zwischen den Stark-Elektroden näherungsweise modelliert, und eine effektive Länge des Dissoziationsbereiches abgeschätzt. Daran anschließend erfolgt eine Berechnung der Dreiteilchen-Zerfallsraten für 00 0 das vibrationslose 2s 2A1 und 2p 2A2 Niveau in Abhängigkeit von der angelegten Feldstärke. Neben der Ausdehnung des Dissoziationsbereiches wird dabei auch die räumliche Orientierung der Moleküle, sowie das Nachweisverhalten des Detektors berücksichtigt. Die eingesetzten Feldstärken zwischen 0 und 20 kV/cm ermöglichen eine Behandlung der Zustandsmischung in erster Ordnung Störungstheorie. Entsprechend der Überlegungen aus Abschnitt 2.6.2 liegt der dadurch entstehende Fehler für diesen Feldbereich weit unterhalb von 1 % und kann komplett vernachlässigt werden. 6.1 Feldstärkeverlauf In einem näherungsweisen Ansatz beschreiben wir den Feldverlauf entlang der Molekülstrahlachse als Funktion des Abstands d der beiden Starkplatten. Den Koordinatenursprung für unsere folgenden Betrachtungen legen wir in den Punkt der höchsten Feldstärke im Zentrum der halbzylindrischen Elektroden. Wie in Abbildung 6.1 skizziert, erreicht der Plattenabstand an dieser Stelle sein Minimum d0 = 3 mm, um dann mit steigendem Betrag von x nach 95 KAPITEL 6. STÖRUNGSTHEORETISCHES MODELL beiden Seiten anzuwachsen: d(x) = d0 + 2 · (r − h) √ = d0 + 2 · (r − r2 − x2 ) (6.1) Der Radius der verwendeten Elektroden ist auf r = 10 mm festgelegt, während sich die Strecke h aus dem Satz des Pythagoras ergibt. Wir beschränken unsere Rechnungen auf den Bereich direkt zwischen den Starkplatten, in welchem |x| ≤ r gilt und die Gleichung (6.1) durchgehend definiert ist. Wie der gezeigte Feldverlauf im linken Diagramm von Abbildung 6.2 verdeutlicht, nimmt die Feldstärke bis zum Rand der Elektroden auf ein Viertel ihres Maximalwertes ab. Entsprechend geht die Dissoziationsrate um einen Faktor 16 zurück, so dass auch unter realen Bedingungen feldinduzierte Zerfallsprozesse im Wesentlichen auf den Bereich x ∈ [−r, r] beschränkt sind. Bei gegebener Potentialdifferenz U zwischen den beiden Starkplatten erhalten wir unter der Annahme E = U/d einen Feldverlauf U √ E(x) = d0 + 2 · (r − r2 − x2 ) = 1 + 2 · (r − E0 √ r2 − x2 )/d0 (6.2) Die Güte dieser einfachen Näherung ist dabei durchaus vertretbar: Der Spitzenwert E0 im Zentrum des Feldes wird um lediglich 3 % unterschätzt, und erst für |x| ≥ r/2 überschreitet der Fehler die 10 %-Grenze (s. Abb. 6.2 rechts). Am Rand der Dissoziationszone werden die Abweichungen dagegen beträchtlich, zumal hier auch noch eine Asymmetrie des Feldes ins Spiel kommt. Abbildung 6.1: Skizze zur Herleitung des Feldstärkeverlaufs im Bereich zwischen den Stark-Elektroden. 96 6.1. FELDSTÄRKEVERLAUF Abbildung 6.2: Vergleich des beschriebenen Feldstärkemodells (schwarz) mit dem tatsächlichen Feldverlauf im Experiment (rot). Das Diagramm auf der rechten Seite illustriert die Größe der auftretenden Abweichungen. 6.1.1 Effektive Dissoziationslänge Um den Einfluss des inhomogenen Feldverlaufs auf die beobachtete Zerfallsrate zu quantifizieren, führen wir den Begriff der effektiven Dissoziationslänge leff ein. Darunter verstehen wir die Ausdehnung eines homogenen elektrischen Feldes der Stärke E0 , welches pro Zeiteinheit dieselbe Anzahl an Molekülen dissoziiert wie das im Experiment vorliegende inhomogene Feld. Wir betrachten dazu einen Strahl metastabiler H3 -Moleküle, die mit einer Geschwindigkeit v0 in ein elektrisches Feld eindringen und über eine Zeitspanne t dem Starkeffekt ausgesetzt sind. Während ihrer Passage zwischen den Elektroden werden sie am Ort x in Abhängigkeit von der herrschenden Feldstärke mit einer Rate R = k · E 2 dissoziiert. Der genaue Wert der Konstanten k ergibt sich aus den Gleichungen (6.9) und (6.10). Die Gesamtzahl induzierter Zerfallsprozesse beim Durchqueren des Feldes ist damit gegeben durch Z t Z x2 k Z x2 2 1 · E (x) dx , (6.3) N = R(t0 ) dt0 = R(x) dx = v0 v 0 x1 0 x1 wobei das Intervall [x1 , x2 ] den felddurchsetzten Bereich begrenzt. Wir berechnen nun die Anzahl dissoziierter Moleküle bei der Passage des inhomogenen Feldes E(x) aus Gleichung (6.2) und vergleichen diesen Wert mit einem 97 KAPITEL 6. STÖRUNGSTHEORETISCHES MODELL homogenen Feld der Stärke E0 und Länge l: N(inhomogen) N(homogen) k Zr 2 · E (x) dx = v0 −r k = · l E02 v0 (6.4) (6.5) Nach Gleichsetzen der Ausdrücke (6.4) und (6.5) erhalten wir einen Zusammenhang, welcher eine ungefähre Abschätzung der effektiven Dissoziationslänge ermöglicht: lmin = 1 Zr 2 · E (x) dx ≈ 7.85 mm E02 −r (6.6) Das Ergebnis bildet eine untere Grenze für den tatsächlichen Wert von leff , der hier aufgrund zweier Faktoren unterschätzt wird: Zum einen prognostiziert das verwendete Modell (6.2) durchgehend etwas zu niedrige Feldstärken, zum anderen ist es auf den Bereich unmittelbar zwischen den StarkElektroden beschränkt. Der erstgenannte Effekt lässt sich sehr leicht in die Rechnungen einbeziehen, wenn man den in Abbildung 6.2 (rechts) gezeigten Fehler des Modells mittels einer quadratischen Korrekturfunktion berücksichtigt. Das Ergebnis (6.6) steigt dadurch um 17 % auf 9.2 mm. Angesichts der Tatsache, dass Teile des elektrischen Feldes im Experiment auch über den bisher betrachteten Bereich x ∈ [−r, r] hinausragen, muss man realistischerweise von einer effektiven Dissoziationslänge leff ≈ 10 mm ausgehen. 6.2 Dissoziationsraten Für die folgende Berechnung der Dissoziationsraten beschränken wir uns auf 00 die Wechselwirkung des metastabilen 2p 2A2 -Zustandes mit dem energetisch 0 benachbarten 2s 2A1 -Niveau. Der Einfluss von weiter entfernt liegenden Zuständen kann aufgrund der großen Energieabstände vernachlässigt werden. Bei ausgeschaltetem Starkfeld ist die Zerfallsrate R des 2p-Niveaus allein durch die natürliche Lebensdauer τ2p = 700 ns und die Anzahl der Moleküle in der 10 cm langen Dissoziationszone L bestimmt. R= 1 ρL τ 98 (6.7) 6.2. DISSOZIATIONSRATEN Abbildung 6.3: Detaillierte Ansicht der Starkfeld-Zone. Für die Teilchendichte ρ, die entlang der Strecke zwischen Slit und Beamflag um ca. 30 % abnimmt, wird zur Vereinfachung ein konstanter Mittelwert angenommen. Die vorgestellten Messungen beschränken sich ausschließlich auf den Dreiteilchenzerfall des H3 , so dass lediglich ein Anteil r aller Dissoziationsprozesse von Belang ist. Um die im Experiment tatsächlich beobachtete Zerfallsrate Rexp abschätzen zu können, müssen darüber hinaus die geometrische Nachweiseffizienz Γ, sowie die Auslösewahrscheinlichkeit des Detektors Γdet berücksichtigt werden: 1 (6.8) Rexp = ρ L r Γ Γdet τ Mit dem Einschalten des elektrischen Feldes wird der 2p-Wellenfunktion nun ein gewisser Anteil α des 2s-Zustandes beigemischt. Die Stärke dieser Beimengung ist abhängig vom Übergangsmatrixelement der beteiligten Zustände, dem Niveauabstand ∆, sowie dem angelegten elektrischen Feld E. In einem störungstheoretischen Ansatz 1.Ordnung ergibt sie sich zu |h2s|qz|2pi| ·E (6.9) ∆ Der Ausdruck (6.8) für die beobachtete Dissoziationsrate muss folglich um einen zweiten Term erweitert werden, welcher die Ratenzunahme durch den beigemischten 2s-Anteil beschreibt: 1 1 R2p (E) = ρ L r2p Γ2p Γdet + ρ leff r2s Γ∗2p Γdet |α(E)|2 (6.10) τ2p τ2s α= | {z Natuerlicher Zerfall } | {z Feldinduzierter Zerfall } Γ∗ berücksichtigt dabei die veränderte Nachweiswahrscheinlichkeit aufgrund des molekularen Alignments. Man beachte, dass der natürliche Metastabilenzerfall entlang der ganzen Strecke zwischen Slit und Beamflag stattfinden 99 KAPITEL 6. STÖRUNGSTHEORETISCHES MODELL kann, wohingegen die Wirkung des feldinduzierten Terms auf einen effektiven Bereich der Länge leff ≈ 0.1L beschränkt ist (vgl. Abbildung 6.3). 0 Der reine 2s 2A1 -Zustand wird innerhalb der gesamten Nachweiszone aus00 schließlich durch einen infraroten Strahlungsübergang des 2p 2A2 -Niveaus bevölkert und dissoziiert nach τ2s = 200 fs praktisch am Ort seiner Entstehung. Infolge dieser Kurzlebigkeit ist die beobachtete Dissoziationsrate an 2s-Molekülen allein durch die Strahlungs-Lebensdauer des 2p-Niveaus τrad = 60 µs bestimmt und damit unabhängig von der elektrischen Feldstärke. R2s = 1 τrad ρ L r2s Γ2s Γdet , (6.11) Um das Modell mit den experimentellen Ergebnissen vergleichen zu können, bilden wir das Verhältnis der Raten (6.10) und (6.11) beider Zustände und erhalten einen quadratischen Zusammenhang R2p = A + C · E2 R2s (6.12) mit den Koeffizienten A = τrad r2p Γ2p τ2p r2s Γ2s (6.13) C = τrad Γ∗2p leff |h2s|qz|2pi|2 τ2s Γ2s L ∆2 (6.14) Der Term A beschreibt das Ratenverhältnis im feldfreien Fall und stimmt mit dem experimentellen Wert Aexp = (0.14 ± 0.01) überein, wenn wir das unbekannte Verhältnis der Dreiteilchenzerfalls-Wahrscheinlichkeiten r2s /r2p in der Größenordnung von 500 annehmen. Die wesentlich effizientere Kopplung des 2s-Zustandes an das Dreiteilchen-Kontinuum spiegelt sich entsprechend in dem Energiespektrum für E= 0 kV/cm wider (s. Abbildung 5.1). Die geometrischen Effizienzen für einen Nachweis aller drei Zerfallsfragmente wurden mittels einer Monte-Carlo Simulation zu Γ2p = 1.49% und Γ2s = 1.68% bestimmt. Bei feldinduzierten Dissoziationsprozessen des metastabilen Niveaus ist zusätzlich das Alignment der Fragmentationsebene zu berücksichtigen, welches die Detektionswahrscheinlichkeit auf Γ∗2p = 0.74% herabsetzt. 6.2.1 Einfluss der Molekülorientierung Die anisotrope Wirkung des Starkeffektes bedingt, dass die Kopplung zwi0 00 schen dem 2s 2A1 und 2p 2A2 Zustand mit der räumlichen Orientierung des 100 6.2. DISSOZIATIONSRATEN Moleküls variiert. Um diesem Effekt Rechnung zu tragen, ermitteln wir unter der Annahme wasserstoffartiger Wellenfunktionen einen Durchschnittswert der erfahrenen Kopplung. Hierzu muss das Übergangsmatrixelement als Funktion der Molekülorientierung ausgedrückt werden h2s|qz|2pi(θ0 ) = 3 cos(θ0 ) , 1 + sin2 (θ0 ) (6.15) wobei θ0 den Winkel zwischen dem Starkfeld und der Richtung des 2pz Orbitals bezeichnet. Im Falle einer zufälligen Ausrichtung der Molekülachsen, wie sie in der Starkfeld-Zone typischerweise vorliegt, resultiert im Mittel ein Betragsquadrat des Übergangsmatrixelements von 1 Zπ |h2s|qz|2pi|2 dθ0 = 3.18 au . |h2s|qz|2pi| = π 0 2 (6.16) Unter Verwendung dieses Wertes ergibt sich aus (6.12) - (6.14) der gepunktet dargestellte Kurvenverlauf in Abbildung 6.4. Zum Vergleich sind in schwarz die experimentell ermittelten Werte eingetragen, die auf einen etwas langsameren Anstieg des Ratenverhältnisses hindeuten. Ursache für diese leichte Diskrepanz ist die vereinfachende Annahme rein wasserstoffartiger Wel- Abbildung 6.4: Experimentell bestimmte Verhältnisse der Dreiteilchen-Dissoziationsraten 00 0 des 2p 2A2 und 2s 2A1 Zustandes (schwarz) im Vergleich mit dem beschriebenen Stark-Modell (rot). Der gepunktete Kurvenverlauf entspricht der Annahme rein wasserstoffartiger Zustände, während die durchgezogene Vorhersage auf präzisen H3 -Wellenfunktionen beruht. 101 KAPITEL 6. STÖRUNGSTHEORETISCHES MODELL lenfunktionen. In einer exakten Behandlung müssen auch die Quantendefekte δ2s = (0.072 ± 0.002)1 und δ2p = (0.05 ± 0.01)2 der beteiligten Zustände mit berücksichtigt werden. Wie Berechnungen von Petsalakis et al. zeigen [PTW88], nimmt das Betragsquadrat des Übergangsmatrixelements infolge eines geringeren radialen Überlapps um den Faktor 1.24 ab, wenn präzise H3 Wellenfunktionen zugrunde gelegt werden. Daraus ergibt sich für den Koeffizienten C ein Wert von 0.078 cm2/kV2 , der nur etwas mehr als 1 Standardabweichung von dem experimentellen Resultat Cexp = (0.074 ± 0.003) cm2/kV2 abweicht. Die durchgezogene Kurve in Abbildung 6.4 entspricht dem Modellverlauf unter Berücksichtigung der Quantendefekte und verdeutlicht die nahezu perfekte Übereinstimmung mit dem Experiment. Lediglich für Felder nahe 20 kV/cm beginnt die Vorhersage aufgrund einer einsetzenden Sättigung der Zerfallsrate leicht nach oben abzuweichen. 6.2.2 Sättigungseffekt 00 In demselben Maße wie die Dissoziationsrate des 2p 2A2 -Niveaus ansteigt, reduziert sich auch die Anzahl intakter metastabiler Moleküle innerhalb der Starkfeldzone. Dies hat zur Folge, dass ab einer gewissen Feldstärke keine weiteren 2p-Moleküle mehr dissoziiert werden können und die Zerfallsrate in eine Sättigung läuft. Um die Relevanz des Effektes für Felder zwischen 0 und 20 kV/cm quantitativ zu erfassen, betrachten wir die Dissoziationsrate eines einzelnen 2p-Moleküls als Funktion des Ortes x: R2p (x) = 1 1 + · |α(x)|2 τ2p τ2s (6.17) Man beachte, dass in dem Ausdruck (6.17) sowohl Zwei- als auch Dreiteilchenzerfälle berücksichtigt sind, da beide Prozesse gleichermaßen zur Entvölkerung des metastabilen Niveaus beitragen. Der beigemischte 2s-Anteil α ergibt sich mit Gleichung (6.9) und dem Feldstärkemodell aus (6.2) zu α(x) = |h2s|qz|2pi| E0 √ · ∆ 1 + 2 · (r − r2 − x2 )/d0 (6.18) Um nun der fortschreitenden Entvölkerung des Metastabilenstrahls innerhalb der Starkfeldzone Rechnung zu tragen, ermitteln wir die Überlebens1 2 entnommen aus [MRHM01] entnommen aus [BLH91] 102 6.2. DISSOZIATIONSRATEN wahrscheinlichkeit p eines Moleküls bis zum Erreichen des Ortes x: Z t p(x) = exp − 0 R2p (t0 ) dt0 = exp − 1 Zx R2p (x0 ) dx0 v0 −r (6.19) Diese hängt von dem genauen Verlauf der Feldstärke ab, die das Molekül während seines Fluges zwischen den Elektroden erfährt. Entsprechend summiert das Integral in Gleichung (6.19) den Einfluss des elektrischen Feldes über das Ortsintervall [−r, x] auf. Die Exponentialfunktion beschreibt schließlich den daraus resultierenden Bevölkerungsverlust des metastabilen Niveaus, der in die Dissoziationsrate (6.17) mit einzurechnen ist: ∗ R2p (x) = R2p (x) · p(x) (6.20) ∗ ist in Abbildung 6.5 für Der Verlauf dieser populationsgewichteten Rate R2p verschiedene Spitzenfeldstärken E0 illustriert, wobei eine Orientierung der Molekülachse in Feldrichtung zugrunde gelegt wurde. Während die Entvölkerung des 2p-Niveaus für Felder bis zu 10 kV/cm vollständig vernachlässigbar ist, beginnt sie sich bei E0 = 20 kV/cm in einer Asymmetrie der Kurve bemerkbar zu machen. Die maximale Dissoziationsrate wird hier bereits 0.6 mm vor dem Punkt der höchsten Feldstärke erreicht, da der zunehmende Populationsverlust im Strahl einen weiteren Anstieg der Rate verhindert. Dieses Ergebnis wird auch von den experimentellen Daten in Abbildung 6.4 gestützt, die für Felder um 20 kV/cm den Ansatz einer Sättigung zeigen. Abbildung 6.5: 00 Ortsabhängigkeit der 2p 2A2 -Dissoziationsrate bei unterschiedlicher Spitzenfeldstärke E0 . Die Kurve für 20 kV/cm deutet eine beginnende Sättigung an. 103 Kapitel 7 Zusammenfassung und Ausblick Die vorliegende Arbeit gibt einen Überblick über das Dissoziationsverhalten von dreiatomigem Wasserstoff in einem externen elektrischen Feld. Unter 00 Ausnutzung des Starkeffekts wird dem metastabilen 2p 2A2 -Niveau ein Anteil 0 des kurzlebigen 2s 2A1 -Zustandes beigemischt, so dass sich die Lebensdauer des Moleküls erheblich verringert und der Dissoziationsprozess initiiert wird. Die vorgestellten Messungen zum Dreiteilchenzerfall belegen sehr anschaulich die Auswirkungen der Zustandsmischung auf die Impulsvektorkorrelationen der Fragmente und die räumliche Orientierung der Zerfallsebene. Mit steigendem E-Feld transformiert sich der Dalitzplot von den typischen 00 0 2p 2A2 -Strukturen in das grundlegend verschiedene 2s 2A1 -Muster, während gleichzeitig ein zunehmendes Alignment der dissoziierten Moleküle entlang der Feldrichtung auftritt. Im Übergangsbereich können bei einer Feldstärke von 4 kV/cm Interferenzeffekte im Dalitzplot des 2p-Niveaus beobachtet werden. Sie resultieren aus der Tatsache, dass sich das Molekül in einer Superposition zweier elektronischer Zustände befindet und auf zwei unterschiedlichen Zerfallspfaden in das selbe Dissoziationskontinuum gelangen kann. Während der 2p-Anteil ausschließlich über die Rotationsbewegung an den Grundzustand koppelt, unterliegt das Molekül auf dem 2s-Pfad der wesentlich effizienteren Vibrationskopplung. Durch Abstimmung der elektrischen Feldstärke gelingt es nun, die Amplituden der beiden interferierenden Pfade zu regulieren und damit erstmals experimentelle Kontrolle über die nichtadiabatischen Kopplungsmechanismen im H3 zu gewinnen. Das Experiment erfolgt in einem Translationsspektrometer unter Einsatz ei104 nes multihitfähigen Detektorsystems. Durch einen zeit- und ortsaufgelösten Nachweis aller drei Zerfallsfragmente kann der Dissoziationsprozess für jedes einzelne Molekül kinematisch vollständig rekonstruiert werden. Damit wird neben einer Analyse der Zerfallsrate auch die Erfassung vektorieller Informationen ermöglicht, wie sie in den Impulsvektorkorrelationen oder der räumlichen Orientierung der Molekülachse enthalten sind. Ein quantitatives Verständnis dieser Ergebnisse erfordert eine fundierte theoretische Behandlung der Bewegung von Dreiteilchen-Wellenpaketen auf den Potentialflächen des H3 -Grundzustandes. Die jüngsten Erfolge der Theorie [Gal10, LJ09, LAK07] 0 hinsichtlich der Prädissoziation des 2s 2A1 -Niveaus stimmen zuversichtlich, 00 dass eine ähnliche Behandlung des 2p 2A2 -Niveaus in naher Zukunft auch die Modellierung eines Superpositionszustandes ermöglichen wird. Es ist zu erwarten, dass eine quantitative Erklärung der beobachteten Interferenzeffekte unser Wissen im Bereich nicht-adiabatischer Kopplungen beträchtlich voranbringen wird. In einer ersten Anwendung wurden mit dem Konzept der feldinduzierten Dis0 soziation die Dalitzplots mehrerer vibrationsangeregter 2s 2A1 -Niveaus des H3 untersucht (→ Kapitel 5.4). Diese ansonsten nur schwer zugänglichen Zustände können im elektrischen Feld infolge der Drehimpuls-Mischung mit 00 dem 2p 2A2 -Niveau auf einfache Weise beobachtet werden. Die gewonnenen Daten sind von besonderem Interesse, da sie einen Vergleich mit den theoretischen Vorhersagen von Galster [Gal10] und Jungen [LJ09] ermöglichen. Dabei kristallisiert sich heraus, dass die Strukturen im Außenbereich der Da0 litzplots von Kopplungen an das obere 2p 2 E -Blatt herrühren, wohingegen der Zentralteil der Diagramme durch Trajektorien auf der unteren Grundzustandsfläche bestimmt wird. Ein weiterer Ansatz, der sich aus dem vorgestellten Experiment ergibt, betrifft die Kontrolle molekularen Alignments durch ein externes elektrisches Feld. Wie die Messungen am Beispiel des metastabilen H3 -Strahls belegen, ist das Prinzip der feldinduzierten Dissoziation dazu geeignet, die räumliche Verteilung der Molekülachsen gezielt zu beeinflussen (→ Kapitel 5.3). Die anisotrope Wirkung des Starkeffekts ermöglicht ein richtungsselektives Dis00 soziieren des 2p 2A2 -Zustandes, wodurch dem verbleibenden Reststrahl ein Anti-Alignment in der Ebene senkrecht zur Feldrichtung aufgeprägt wird. Unter Einsatz zweier gekreuzter elektrischer Felder kann man auf diese Weise einen Strahl präparieren, der ausschließlich Moleküle einer bestimmten Orientierung enthält. 105 KAPITEL 7. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK Das Konzept lässt sich dabei auf beliebige Moleküle übertragen, in denen ein langlebiger Zustand mit einem instabilen Niveau gekoppelt werden kann. Dazu zählen beispielsweise zweiatomige Edelgas-Excimere wie Ne2 oder Ar2 , 1 + welche die langlebigen Zustände 3 Σ+ u und Σu besitzen [Mul74]. Darüber hinaus bietet sich auch das metastabile He− 2 Molekül [BCP84, Mic86] als Studienobjekt an. Aus theoretischen Überlegungen dieser Arbeit folgt, dass die Lebensdauer-Differenz der beteiligten Zustände neben einem geringen energetischen Abstand die zentrale Voraussetzung für das Zustandekommen von feldinduzierter Dissoziation bildet. 106 Literaturverzeichnis [AM77] T. Azumi and K. Matsuzaki. What does the term ’vibronic coupling’ mean? 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Michael Gisi gilt mein herzlicher Dank für die Erneuerung der Detektorelektronik und die Entwicklung eines neuen Datennahmesystems. Seine Arbeit hat die Steuerung des H3 -Experiments erheblich vereinfacht. Dr. Ulrich Galster und Prof. John Briggs bin ich dankbar für hilfreiche Diskussionen und ihren kompetenten Rat in Fragen zur theoretischen Beschreibung des Dissoziationsprozesses. Peer Fechner danke ich für regelmäßig sehr anregenden Gedankenaustausch zu verschiedensten experimentellen und theoretischen Aspekten des H3 und Hannes Höffler für aufmerksames Korrekturlesen dieser Arbeit. Mein weiterer Dank geht an das Technik-Team der Abteilung Helm: Isabella Siegel und Uwe Feldmeyer waren immer überaus hilfsbereit, wenn technische Probleme im Labor oder am Computer aufgetreten sind. Und nicht zuletzt möchte ich mich von ganzem Herzen bei meiner Mutter Sigrun Baumgartner bedanken, die mich während meines gesamten Studiums sehr unterstützt und mir finanzielle Sorgenfreiheit ermöglicht hat. Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ausschließlich unter Verwendung der angegebenen Quellen verfasst habe. Frank Baumgartner