Zum Beispiel - Institut für Philosophie und Wissenschaftstheorie

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Handout
Wissenschaftsphilosophie für WIWI
Deduktive Logik (Wiederholung)
25 Vernunft versus Beobachtung?
• Vernunft könnte als nichtsinnliche Erkenntnis verstanden werden.
• Vernunft zieht im Unterschied zur Sinneswahrnehmung Schlüsse.
• Die Formulierung von Schlüssen geschieht mit Argumenten.
26 Vernunft in Form deduktiver Logik (Aussagenlogik)
26.1 Der Bereich der Logik
• Logik beschäftigt sich mit Argumenten und Schlüssen
• stellt Methoden bereit, die es ermöglichen, die logisch gültigen von den logisch ungültigen Argumenten
und Schlüssen zu unterscheiden
• befaßt sich mit einer objektiven Beziehung zwischen Prämissen und Konklusion
26.2 Eine Definition von Logik
u Theorie zur Überprüfung der Gültigkeit von Argumenten u
26.3 Was Logik NICHT ist:
Logik ist keine Beschreibung des menschlichens Denkens
die Regeln der Logik sind nicht die Gesetze des Denkens
Logik gehört nicht zur Psychologie
26.4 Was Logik ist:
die Lehre von den Regeln des gültigen Schließens
Logik ist deduktiv
Deduktion liefert keine neuen Information; garantiert aber die Wahrheitsübertragung von den
Prämissen auf die Konklusion
ein formales Kalkül
Lehre des Schließens
Präzisierung von Argumentationsstrukturen
beschreibt den (bzw. einen) Begründungszusammenhang nicht den Entdeckungszusammenhang
27 Klassische oder zweiwertige Logik
zweiwertig bedeutet: nur zwei Wahrheitswerte sind möglich – wahr, falsch (tertium non datur)
27.1 Aussagenlogik
ZIEL: alle natürlichsprachlichen Aussagen in aussagenlogische Argumente zu TRANSFORMIEREN
vergleichbar mit einer Übersetzung
bei der Gehalt, und die Relationen der natürlichsprachlichen Ausdrücke erhalten bleiben sollen
• Wörter, Ausdrücke, Sätze werden durch Buchstaben (a, b, c, …) ersetzt
Aldo VISINTIN
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Handout
Wissenschaftsphilosophie für WIWI
• es gibt für alle Aussagen nur ZWEI mögliche Zustände (wahr oder falsch)
tertium non datur
• mit der Methode der WAHRHEITSTAFELN darstellbar
• Bindewörter (Junktoren) werden normiert (¬, ∧, ∨, →, ↔)
jede mögliche Relation die in natürlichsprachlichen Sätzen auftritt kann (soll) mithilfe der Junktoren
(=normierte Bindewörter) ausgedrückt werden
27.2 Normierte Bindewörter (Junktoren)
werden auch wahrheitsfunktionale Verknüpfungszeichen genannt
27.2.1 Disjunktion: oder (∨)
lateinisch vel (gilt als einschließendes oder)
a∨b
nimmt den Wert f an genau dann, wenn beide a und b falsch sind
in jeder anderen Kombination wahr
27.2.2 Konjunktion: und (∧)
lateinisch et
a∧b
nimmt den Wert w an genau dann, wenn beide a und b wahr sind
in jeder anderen Kombination falsch
27.2.3 Negation: nicht (¬)
lateinisch non
¬a
verändert den Wert f zu w und vice versa
27.2.4 Konditional: wenn, dann (→)
auch materiale Implikation genannt
a→b
nimmt den Wert f an genau dann, wenn das Antecedens w und das Konsequens f ist
in jeder anderen Kombination wahr
auch als ¬a ∨ b darstellbar (sprich «logisch äquivalent»)
28 Konditionale Argumente
modus ponens: (Bejahung des Antecedens)
a→b
a
b
modus tollens: (Verneinung des Konsequens)
a→b
¬b
¬a
hypothetischer Syllogismus: (Transitivität)
a→b
b→c
a→c
Aldo VISINTIN
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⇒ Diese drei Argumentationsstrukturen sind in allen Welten gültig.
⇒ Die einzige Möglichkeit, solche gültigen Argumente anzugreifen, besteht darin,
die Wahrheit der Prämissen anzuzweifeln.
29 Exkurs: Logik und Psychologie
die Psychologie beschreibt unser schlußfolgerndes Denken als eine Problemlöseaufgabe
Menschen verfügen über verschiedene, allgemeine Problemlöse-Operatoren
diese Operatoren haben den Status von HEURISTIKEN
in Untersuchungen scheitern Menschen am Modus Tollens
a → b wird nicht als logisch äquivalent mit ¬b → ¬a erkannt
im sozialen Kontext, in dem „cheating“ aufgedeckt werden soll, scheint aber der Modus Tollens bei den meisten
Menschen verfügbar
zwei Beispiele: (zur Selbsterfahrung) [siehe voriges Handout]
30 Theorie des rationalen Argumentierens (Wiederholung)
30.1 Argument
das Argument ist eine Gruppe von Aussagen
•
Zustimmungszwang ergibt sich durch die STRUKTUR der Argumentation
30.2 Begründung einer Aussage
die Begründung einer Aussage ist ein Argument und besitzt zwei Aspekte:
• Logische Korrektheit des Arguments
‚ Wahrheit der Prämissen
30.3 Wahrheit versus Gültigkeit
¤ auch unwahre Prämissen können zu gültigen Argumenten führen
¤ wenn der Schluß nach gültigen Regeln gezogen wurde, ist das Argument gültig (inference-machine)
¤ anders ausgedrückt: Ein Argument ist dann gültig, wenn die Bejahung der Prämissen und die Verneinung der
Konklusion zu einem logischen Widerspruch führt.
¤ das besagt natürlich nichts über die WAHRHEIT der Konklusion
¤ Aussagen sind wahr oder falsch
¤ Argumente sind gültig oder ungültig
¤ Die Gültigkeit oder Ungültigkeit eines Arguments wird durch seine Form festgelegt!
nicht durch das; wovon die Prämissen und die Konklusion handeln
30.4
‘Ewig-gültige’ Argumentformen (Tautologien)
Argumentformen die immer gültig sind heißen Tautologien
feststellbar mit der Methode des Gegenbeispiels (reductio ad absurdum)
es gibt unendlich viele logische Wahrheiten
sie sind wahr in jeder möglichen Welt (true in every possible world)
Aldo VISINTIN
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Gründe für Wissenschaftstheorie (Ergänzung)
31 Einführende Überlegungen
31.1 Normen und Philosophie
Der Ausdruck »Philosophie« hat nicht nur eine beschreibende sondern auch eine wertende Bedeutung bzw.
Funktion.
„Wie die Erkenntnis der objektiven Wahrheit, so ist auch die Philosophie ein Ideal, das wohl in Annäherungen
aber noch nie vollständig realisiert worden ist.“ (Ferber, 1994, 24)
31.2 Grenzen der Philosophie
Sobald wir anfangen, philosophische Fragen zu lösen, so fühlen wir über kurz oder lang unser Ungenügen,
sie endgültig zu lösen.
32 Wissenschaftsphilosophie im Kontext
32.1 Das Verhältnis Wissenschaftstheorie versus Einzelwissenschaft
WT (Wissenschaftstheorie) ist in mehrere Teildisziplinien gegliedert
Philosophie der Wissenschaften (philosophy of science),
Geschichte der Wissenschaft (history of science),
Soziologie der Wissenschaft (social epistemology),
Wissenschaftslogik (logic of science),
Wissenschaftskritik, Wissenschaftsethik (ethics of science) und
Erkenntnistheorie (epistemology)
Aber gerade auch die philosophisch-wissenschaftstheoretischen Beschäftigung mit verschiedenen Zweigen der
Wissenschaft zieht weitere Teildisziplinen nach sich zB:
Philosophy of Economics,
Philosophy of Physics,
Philosophy of Natural Sciences und
Philosophy of Social Sciences
32.1.1 Das Verhältnis Wissenschaftstheorie und Sozial- und Wirtschaftswissenschaften
•
•
Viele Ansätze der WT ‘betrachten’ Physik als DIE ideale Wissenschaft an
♦
Frage der Übertragbarkeit umstritten
ergo wurden und werden WT-Modelle (für Theorien, Theorienstrukturen, Confirmation, wissenschaftliche Erklärung,
usw.) aus den bzw. für die NAWI ‘entwickelt’
Stichwort: social sciences need their own standards and methodology
Zum Beispiel Hermeneutik und SOWI versus NAWI
NAWI beschäftigt sich mit objektiven kausalen P r o z e s s e n
die SOWI beschäftigt sich mit bedeutungsvollen Handlungen
Ziel ist die Erklärung
Ziel ist das Verstehen
‡
32.2 Wozu Wissenschaftsphilosophie?
Frage nach Sinn und Nutzen
¢
Sinn ist schwierig zu fassen ( und nicht meßbar)
¢
Nutzen ist schwierig zu bestimmen (Nutzen ist oft in monetären Größen meßbar)
Aldo VISINTIN
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¢
Messung abhängig von Bewertung - schwierig
‡
was ist/war die Entwicklung des Lasers ‘wert’
‡
Gründe für WT
¢
WT im Sinne einer ‘second rationalisation’ (cf. Stegmüller)
¢
outside fruitfulness der WT (‘adequatäre’ Anwendung)
¢
bestehende Theoriestrukturen offenlegen
¢
Vorschläge für eine ‘strukturelle’ Reform liefern
Beschäftigung mit WT gewinnbringend für das
¢
Verständnis der Theorie,
¢
die Haltung der AnwenderInnen gegenüber der Theorie und
¢
bei der konkreten Anwendung sein kann
33 Gründe für Wissenschaft
Πpraktische:
• reiner Wissensdrang:
Aldo VISINTIN
Warum-Fragen (Erklärung-verlangende-Fragen)
Voraussagen (Wetter...)
steuern, beeinflussen, manipulieren (Medizin bis Rüstungsindustrie)
epistemisch (Begründung-verlangende-Fragen)
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Hypothesen in den Wissenschaften
34 Hypothesen
34.1 Hypothesenbildung (als kreativer Akt)
versuchsweise Antwort auf „Fragen“
kein mechanisches Vorgehen möglich
schöpferische Erfindungskraft (glückliche Vermutungen)
34.2 Hypothetische Methode
♦ nicht durch Anwendung irgendeines induktiven Schlußverfahrens gelangen WissenschaftlerInnen von
zuvor gesammelten Daten zu wissenschaftlicher Erkenntnis,
♦ sondern durch Hypothesen die als versuchsweise Antworten auf zu untersuchende Probleme erfunden
werden
♦ und anschließend empirischen Tests unterworfen werden
35 Wissenschaftshistorische Fälle als Beispiele
35.1 Fall 1: Kindbettfieber
«Modus tollens» (Verneinung des Konsequens) ist deduktiv gültig, (in allen möglichen Welten)
H →B
¬B
¬H
1) «Modus tollens» ist deduktiv gültig
H1:
H2:
B:
Frauen in lateraler Gebärstellung
Priester vom Gang durch die Gänge absieht
Die tödlich endenden Fälle von Kindbettfieber werden weniger
Wenn H wahr ist, dann ist auch B wahr
Aber (wie die Befunde zeigen) B ist nicht wahr
H ist nicht wahr
2) «Konversionsfehlschluß» ist deduktiv UNgültig
Kindbettfieber ist eine durch Leichensubstanz erzeugte Blutvergiftung (H), geeignete
antiseptische Maßnahmen reduzieren die Todesfälle (B)
Wenn H wahr ist, dann ist auch B wahr
B ist wahr (wie die Befunde zeigen)
H ist wahr
Hypothese nicht logisch zwingend!:
∗ auch faulende Substanzen von lebenden Organismen können Kindbettfieber erzeugen
∗ H ist eine hinreichende aber nicht notwendige Bedingung für B [Stichwort: INUS]
Aldo VISINTIN
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35.2 Fall 2: „Erfindung“ des Quecksilberbarometers
• indirekter Test des Luftdrucks mithilfe von Quecksilber
• Pascals weitere Testimplikation am Puy-de-Dome (1460 m)
7,5 cm kürzere Quecksilbersäule
36 Hypothesen, Tests und Vorhersage
Aber die Beobachtung, daß der positive Ausgang noch so vieler Tests keinen schlüssigen Beweis für eine
Hypothese liefern kann, sollte nicht zu der Ansicht verführen, man/frau stände dann, wenn man/frau eine
Hypothese einer Anzahl von Tests unterwirft, die alle positiv auslaufen, auch nicht besser da, als wenn
man/frau die Hypothese überhaupt nicht überprüft hätte. Denn jeder Test hätte ja ein negatives Resultat
haben und zur Zurückweisung der Hypothese führen können (cf. Hempel 1974:17 ff.)
⇒ experimentelle Tests (heuristisches Verfahren - Entdeckungsmethode)
vgl. Hypothesenbildung
⇒ versus Prüf-Tests
36.1 Vorhersage und Erklärung (Prediction and Explanation)
Gesezte und Theorien
Anfangsbedingungen
Erklärung/Vorhersage
Aldo VISINTIN
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Karl R. Popper - Kritischer Rationalismus - Postpopperians
37 Kritischer Rationalismus
Popper begründet mit seinen Ideen v.a. im dt. Sprachraum den Kritischen Rationalismus (KriRa)
NICHT zu verwechseln mit dem Kritischen Realismus
KriRa ist eine Bezeichnung für Poppers Wissenschaftsphilosophie (Methodologie)
• die von Popper vorgeschlagene Methodologie ist rational, weil sie präzisen Regeln folgt
(Logik der Falsifikation)
• und kritisch wegen ihrer Forderung, daß wir mit allen Mitteln versuchen sollen,
unsere eigenen Hypothesen zu widerlegen (falsifizieren)
38 Das Falsifikationskriterium
• empirisch-wissenschaftliche Theorien sind dadurch gekennzeichnet, daß sie falsifizierbar sind
• es ist grundsätzlich möglich, sie zu widerlegen (falsifizieren), indem nachgewiesen wird, daß ein von der
Theorie vorausgesagtes Ereignis sich nicht bestätigen läßt
39 Karl R. Popper
39.1 Das Leben Sir Karl Raimund Popper’s (1902-1994)
1902 in Wien geboren und aufgewachsen
Tischlerlehre, Lehrer, und Studium
nahm an den Diskussionen des Wiener Kreis teil
1934 zentrales Werk: Logik der Forschung
1937 Flucht nach Neuseeland vor den Nationalsozialisten
1945 sozialpolitisch wichtiges Werk: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde
1946 gründet an der LSE (London) das Department for Philosophy, Logic and Scientific Method
1963 erscheint: Concjectures and Refutations (keine deutsche Ausgabe erhältlich)
1964 von der Queen Elisabeth II. geadelt
1970 emeritiert (Nachfolger wurde: Imre Lakatos)
1972 erscheint: Objective Knowledge (auch auf deutsch übersetzt)
1994 in der Nähe von London gestorben
39.2 Popper und Induktion
• Popper hält an der Einsicht David Hume’s fest, daß ein universelle Aussage (All Ravens are Black) auch
durch noch so viele singuläre Aussagen (This Raven is Black) nicht endgültig bewiesen werden kann
• mit seiner falsifikationistischen Methodologie glaubt Popper das Induktionsproblem gelöst zu haben
• darüber herrscht noch Uneinigkeit
∗ ein Teil der Popperianer hält an dieser Einstellung fest
∗ der Rest der [wissenschaftstheoretischen] Welt denkt, daß die Induktion durch die
„Hintertür“ der Corroboration of Theories in Poppers Methodologie zurückkehrt)
∗ für Professor Volker Gadenne hängt eine Bewertung der Popperschen Einschätzung
davon ab, was man/frau genau unter Induktion versteht
Aldo VISINTIN
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39.3 Popper und Wahrnehmung/Beobachtung
•
Popper bestreitet die Existenz voraussetzungsloser Beobachtungen
•
jede Wahrnehmung ist selektiv (theoriegeleitete, theoriegeladene Beobachtung)
(Wahrnehmungen werden von vornherein durch das Filter von Theorien im Hintergrund gesehen)
39.4 Popper als „Erfinder“ der hypothetisch-deduktiven Methode
die hypothetisch-deduktiven Methode beschreibt ein Schema der wissenschaftlichen Theoriebildung
39.4.1 Operatives Schema
•
Wissenschaftliches Problem (Anomalie)
überraschendes Beobachtung in Bezug auf anerkannte Theorien
‚
Hypothesenbildung
versuchsweise wird eine Hypothese als MÖGLICHE Erklärung des gegebenen Problems
aufgestellt
Vorschläge zu einer möglichen Erklärung des Problems werden gesucht
ƒ
Voraussage
als logische Ableitung
wird aus den Hypothesen logisch gefolgert (deduziert)
wird durch Beschreibungen der Anfangsbedingungen und Theoreme ergänzt
„
Test
Nachprüfung der Hypothese in Form von Beobachtungen oder Experimenten
Ergebnis des Tests bestätigt/bewährt oder falsifiziert die Hypothese
39.4.2 Bestätigung/Bewährung durch Test
Bei Bestätigung/Bewährung kann die Hypothese weiteren Prüfungen unterworfen werden
39.4.3 Falsifikation/Widerlegung durch Test
Bei Falsifikation muß eine neue Hypothese aufgestellt werden und damit die Schritte ‚ - „ nochmals
durchlaufen werden (trial-and-error)
damit wird die hypothetisch-deduktive Methode bei Popper dynamisch
auch für zeitgenössische kritische Rationalisten gestaltet sich nach dem o.a. Prozeß die Entwicklung der
Wissenschaften
39.5 Popper und wissenschaftliche Hypothesen (Theorien)
39.5.1 Hypothesenbildung:
Hypothesenbildung besteht aus Vermutungen (und ist Gegenstand der Denkpsychologie)
39.5.2 Anforderungen zur Hypothesenbildung (Theorienbildung):
⇒ Hypothese muß widerlegbar sein (zumindest prinzipiell)
⇒ Hypothesen (Theorien) müssen eindeutig aufgestellt werden
⇒ Hypothesen (Theorien) müssen präzise (exakt) formuliert sein
⇒ suche nach derjenigen Hypothese, die den größten Grad an Falsifizierbarkeit aufweist
(größte Chance hat, falsifiziert zu werden)
jene Hypothese mit dem höchsten Grad an Falsifizierbarkeit besitzt den größten empirischen Gehalt
Aldo VISINTIN
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⇒ überprüfe die Hypothese mit schonungsloser Hartnäckigkeit und allen denkbaren Mitteln
⇒ nimm Dir zum Ziel die Hypothese zu widerlegen
um damit einen neuen Ausgangspunkt für weitere Forschungen zu schaffen
⇒ neue Theorien müssen falsifizierbarer sein als ihre Konkurrentinnen
d.h. wenn sie Phänomene vorhersagt, die von der konkurrierenden Theorie nicht berührt wurden
39.5.3 Falsifikationismus
Der Falsifikationismus betrachtet Wissenschaft als eine Menge von Hypothesen, die versuchsweise
vorgeschlagen werden, um das Verhalten irgendwelcher Aspekte der Welt oder des Universums zu
beschreiben und zu erklären. (Chalmers 1986:46)
39.5.4 Falsifikation des Hintergrundwissens als wissenschaftlicher Fortschritt
das Hintergrundwissen (als historische Komponente) wird falsifiziert
wenn sich kühne bzw. neuartige Vermutungen bewähren (corroborating of bold conjectures)
oder wenn behutsame Vermutungen falsifiziert werden (conjecture)
39.6 Popper und Corroboration of Theories
♦ eine Hypothese die eine große Zahl von Falsifizierungsversuchen übersteht gilt als corroborated
(gefestigt)
♦ diese ‘corroborated’ Hypothese kann VORLÄUFIG als gültige Erklärung akzeptiert werden
39.7 Popper und die Rationalität wissenschaftlicher Theoriebildung
• nach Popper geschehen die entscheidenden Fortschritte dort, wo besonders gefestigte Theorien falsifiziert
werden
Schulbeispiel Popper’s: Umsturz der Physik Newtons zugunsten der Physik Einsteins
• Falsifikation des Hintergrundwissens als wissenschaftlicher Fortschritt
• die Falsifizierung einer alten Theorie ist für die Wissenschaft erhellend und zugleich Ausgangspunkt für
neue Versuche in einer neuen Erkenntnislage
gerade an dieser Rationalität der wissenschaftlichen Theoriebildung haben sich die Schüler und
„Nachfolger“ von Popper *aufgehängt*
berühmte Beispiele ‘alternativer’ Ansätze:
•
Imre LAKATOS: Research Programmes (hochentwickelter Falsifikationismus)
•
Thomas KUHN: Paradigms (Normalwissenschaft - Krise - wissenschaftliche Revolution)
•
Paul FEYERABEND mit seinem anarchistischen „Anything goes“
40 Falsifikation als logisches Argument
Aus einer Theorie, Modell, Hypothese (T) können Konsequenzen (Voraussagen, Erklärungen) (P) abgeleitet
oder kalkuliert werden, die mithilfe von Evidenzen (Beobachtung, Experiment) (E) ge- oder überprüft
werden.
Anmerkung 1:
die Prognose muß zu diesem Zweck in einen ‘meßbaren’ Sachverhalt
übersetzt werden
Anmerkung 2:
die Evidenz muß (von Menschen) als eine positive oder negative interpretiert
werden
Aldo VISINTIN
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Anmerkung 3:
ACHTUNG – PRÄMISSE: in beiden Fällen (siehe unten) wird E bzw. ¬E als
wahr angesehen
40.1 Bewährung/Corroboration
T →P
T→P
gemäß der
E→P
P
deduktiven Logik
T ∨ ¬T
T oder non-T
-- - ??? - -- > T
nicht logisch zwingend (Konversionsschluß)
falls E mithilfe eines ‘echten’ Tests (severe test) zustande kam = bestandener Falsifikationsversuch
damit Bewährung von T (gemäß methodologischer Regel)
40.2 Falsifikation/Falsification
T →P
T→P
¬E → ¬P
¬P
¬T
¬T
non-T gemäß modus tollens
logisch zwingend !!! (deduktive Regel = modus tollens)
Falsifikation von T
41 Grenzen der Falsifikation
∗ die Falsifikation ist zentral abhängig von der Wahrheit von E
• Beobachtungsaussagen (Basissätze nach Popper) können nie endgültig wahr sein
• Alle Beobachtungssaussagen sind fehlbar!
• daher können wir nie zu endgültigen Falsifikationen gelangen.
Aldo VISINTIN
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„Eine Beobachtungsaussage wird in einem bestimmten Stadium der Entwicklung einer Wissenschaft
vorläufig anerkannt, wenn sie in der Lage ist, allen Überprüfungen die bei dem Stand der entsprechenden
Wissenschaft in diesem Stadium möglich sind, standzuhalten.“ (Chalmers 1986:77)
Stichwort: unobservable versus observable (van Fraassen 1980) im historischen Kontext
♦ Anerkennung ist (bis zu einem gewissen Grad) ‘Konvention’
42 Exkurs: Duhem-Quine-Problem
wenn das Ergebnis eines Tests ¬E ist (und ¬E als wahr anerkannt ist) kann
nur die Theorie als Ganzes als falsifiziert gelten
in einer REALEN TESTSITUATION besteht ein reale wissenschaftliche Theorie (T für theory) aus
•
•
einer Vielzahl von einzelnen allgemeinen Aussagen (L für law bzw. lawlike regularities)
einer Vielzahl von Hilfshypothesen (A für auxiliary assumptions kurz auxiliaries)
wie z.B. durch Gesetze und Theorien, die den Gebrauch von benötigten Instrumenten bestimmen
•
einer Vielzahl von Anfangsbedingungen (I für initial conditions kurz initials)
Beschreibung des Anfangszustandes (Druck, Temperatur, Intelligenz, Kultur)
Die Logik erlaubt uns in einer Situation allenfalls die Schlußfolgerung, daß mindestens eine der
Voraussetzungen falsch gewesen sein muß
Die (unmittelbare) Identifikation DER falschen Voraussetzung ist uns damit nicht möglich
42.1 Hilfshypothesen und Anfangsbedingungen
•
ein Bezug auf Hilfshypothesen und Anfangsbedingungen ist bei der Überprüfung wissenschaftlicher
Hypothesen die Regel!
Gesetzesaussage(n)
Hilfshypothese(n)
Anfangsbedingunge(n)
Ereignis bzw. Voraussage
Aldo VISINTIN
L1 , L 2 , L 3 ... Ln
A1 , A2 , A3 ... Ar
I 1 , I 2 , I 3 ....... I m
Explanans
P
Explanandum
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Ein Beispiel:
wenn Hände desinfiziert werden (T), mit einer Seifenlösung (I),
dann reduziert sich die Sterblichkeit (P)
Wenn sowohl T als auch I wahr sind, dann ist auch P wahr
P ist nicht wahr (wie die Befunde zeigen)
T und I sind nicht wahr
•
•
eine „negative Evidenz“ könnte (logisch idealisiert) so dargestellt werden:
Karl R. POPPER (1935/37)
Pierre DUHEM (1907/08)
T →P
L n ,A r ,I m → P
¬E → ¬P
¬E → ¬P
¬T
¬(L n ,A r ,I m )
Was bedeutet das für T?
für Prof. Gadenne Teil des Holismusproblems bei der Prüfung von Theorien
•
Anmerkung:
die logisch-idealisierte Darstellung mithilfe der deduktiven Logik ist für viele Fälle der Wissenschaftspraxis
nicht möglich
z.B. bei Evidenzen die mithilfe von statistischen Testverfahren zustandekommen
•
ungünstige Testbefunde werden wie erklärt?
u
Testgeräte (Interviewbogen, Datenerhebung, Aufbau des Experiments) sind fehlerbehaftet
u
Duhem-Quine-Problem als „Erklärung“ (ein «Mit-testen» aller Hypothesen, der Outcome des Prüfversuchs
gilt nur für alle Hypothesen gemeinsam, Testbewertung ist nur im Lichte der Hypothesen im Gesamtpaket
möglich)
historische Beispiele:Sternparallaxe, Viskosität der Luft
42.2 Experimentum crucis
H 1 und H 2 sind rivalisierende Hypothesen
Beispiel:
•
•
Welle-Teilchen-Dualismus (Licht ist Welle oder Partikel)
»Experimentum crucis in der Wissenschaft unmöglich« (Pierre Duhem 1905)
abhängig von der Stärke des Test (aber im strengem Sinn ist keine widerlegbar)
• ernsthaft inadäquat versus stark gestützt
42.3 Ad-hoc-Hypothesen (Auxiliaries)
Änderungen im System der Hilfshypothesen
− Hilfsannahmen A1 , A 2 , A 3 … Ar werden verändert (abgewandelt, weggelassen, hinzugefügt)
in der Wissenschaftstheorie sind keine präzisen Kriterien was eine Auxiliary zu einer ad-hoc-Hypothese macht,
verfügbar (nachträglich ist es immer leicht Vorschläge als ad-hoc abzutun)
Beispiel 1:
Beispiel 2:
Neptun
Gegenbeispiel:
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negatives Gewicht in der Phlogiston-Theorie
aus Sicht der Theorie (Newton’s) plus Auxiliaries führte die unregelmäßige
Bewegung Uranus zur „Entdeckung“ von einem weiteren Planeten >
aber auch die (anomalische) Perihel-Bewegung des Merkur führte zu einer
„vorübergehenden Entdeckung“ eines (in Wirklichkeit)
nicht existenten Planetens namens Vulkan
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42.3.1 Welche Kriterien könnten genannt werden?
⇒ sollen die ad-hoc-Hypothesen nur die Theorie retten?
⇒ erklären sie auch andere Phänomene
⇒ liefern sie weitere signifikante Testimplikationen (sind sie testbar)?
⇒ empirical import versus prinzipielle Prüfbarkeit
43 Die Suche nach neuen Wegen oder die Postpopperians
Für viele Wissenschaftstheoretiker war und ist die von Popper vorgeschlagene Methodologie mit zu vielen
*Defekten* behaftet und so war und ist die Popper’sche Methodologie starker Kritik ausgesetzt
43.1 Kritik an Poppers Methodologie
Beispiele
∗ eine Methodologie, die nicht von der Forschungspraxis ausgeht, sondern sie in das Korsett abstrakter Regeln
zwängen will
∗ das Falsifikationspostulat blieb nicht grundlos ein Verbalismus ohne forschungpraktische Relevanz
∗ die Falsifikation löst das Induktionsproblem nicht, sondern verschiebt es nur in die Theorie der Bewährung
von Hypothesen
für z.B. Keuth
∗ bleibt daher von Poppers methodologischen Versuchen im Grunde nur das Bekenntnis zu einer Attitüde, der
kritischen Einstellung gegenüber Theorien
44 Kuhn als Ausweg
Für Kuhn verkennt eine Wissenschaftstheorie, die ihre Kriterien allein szientifisch entwickelt, daß der
Wissenschaftsprozeß nur als sozialer Prozeß darstellbar ist und KEINESFALLS in der Form - Bildung von
Hypothesen, Falsifikation der Hypothesen und einer erneuten Bildung von Hypothesen.
45 Lakatos als Nachfolgeprogramm
Seine wissenschaftstheoretischen Überlegungen bauen auf zwei Ausgangspunkten auf
1. die Mängel der Methodologie Poppers zu beseitigen
2. in Kuhns Ansatz, dessen (für Lakatos) irrationalen Implikationen auszumerzen
im Gegensatz zu Popper
— werden Theorien nicht aufgegeben wenn sie falsifiziert werden,
— sondern falsifizierte Theorien werden nur ersetzt, wenn ein bessere, alternative Theorie vorhanden ist
hochentwickelter Falsifikationismus — sophisticated falsificationism
— werden Theorien als strukturiertes Ganzes dargestellt
für Lakatos aufgrund wissenschaftshistorischer Überlegungen bzw. der bestehenden
Theorienabhängigkeit der Beobachtung (theory-ladeness)
im Gegensatz zu Kuhn
— sollen wissenschaftliche Revolutionen nicht als religiöse Bekehrungen
— sondern als rationaler Fortschritt begriffen werden
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46 Paul Feyerabend’s Anarchismus
• Feyerabend war auch gegen einen Methodologie-Normativmus (anything goes)
• hat sich entschieden gegen eine klare Trennung zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft gewehrt
(Demarkationskriterium)
• Feyerabend war grundsätzlich gegen ein Demarkationskriterium jedweder Art!
46.1.1 Exkurs: Demarkationskriterium (criterion of demarcation)
Kriterium mit dessen Hilfe verschiedene Gegenstandsbereiche voneinander abgegrenzt werden können
wichtig für zB:
die Wissenschaft (im Gegensatz zur Nicht-Wissenschaft)
À
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die Philosophie (im Unterschied zur Weltanschauung oder Fachwissenschaft)
Seite 28
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