Inhaltsverzeichnis

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Inhaltsverzeichnis
I
Complexe Zahlen
1
2
3
4
5
Überblick über die bekannten Zahlbereiche N, Z,
Erstes Kennenlernen der komplexen Zahlen C . . .
2.1
Konstruktion von C . . . . . . . . . . . . . .
2.2
Rechnen mit komplexen Zahlen . . . . . . .
2.3
Komplexe Konjugation und Betrag . . . . .
2.4
Übungsaufgaben zum Rechnen in C . . . .
Der Körper der komplexen Zahlen . . . . . . . . .
3.1
Was ist eine Gruppe? . . . . . . . . . . . . .
3.2
Was ist ein Ring? . . . . . . . . . . . . . . .
3.3
Was ist ein Körper? . . . . . . . . . . . . . .
3.4
Unmöglichkeit der Anordnung von C . . .
3.5
Ausblick: Der Quaternionenschiefkörper H
Algebraische Gleichungen in C . . . . . . . . . . .
4.1
Komplexe Quadratwurzeln . . . . . . . . .
4.2
Quadratische Gleichungen in C . . . . . . .
4.3
Der Fundamentalsatz der Algebra . . . . .
4.4
Anwendung auf reelle Polynome . . . . . .
Polarform komplexer Zahlen . . . . . . . . . . . . .
5.1
Polarkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . .
5.2
Exkurs: Die eulersche Zahl e . . . . . . . . .
5.3
Eulers Identität . . . . . . . . . . . . . . . .
5.4
Komplexes Wurzelziehen leicht gemacht .
1
Q,
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R
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2
2
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5
7
8
8
9
11
13
13
16
16
18
19
20
22
22
23
24
26
I COMPLEXE Z AHLEN
1 Überblick über die bekannten Zahlbereiche N, Z, Q, R
In den natürlichen Zahlen N = { 0, 1, 2, . . . } können die Rechenoperationen + und · ausgeführt
werden, ohne aus N “herauszufallen”, d.h. für a, b ∈ N gilt a + b ∈ N und a · b ∈ N. Man sagt: N
ist abgeschlossen bezüglich der Rechenoperationen + und · . Doch bereits eine einfache Subtraktion
wie z.B. 3 − 7 führt aus N heraus. Anders ausgedrückt: Eine Gleichung der Form
a, b ∈ N
x+a = b,
ist in N nicht universell lösbar, da x = b − a keine natürliche Zahl zu sein braucht. Um dieses Defizit zu beheben, erweitern wir N durch Hinzunahme der negativen Zahlen zu den ganzen Zahlen
Z = { 0, ±1, ±2, . . . }. Nun ist obige Gleichung stets lösbar durch x = b − a ∈ Z (für alle a, b ∈ Z).
Die Zahlenmenge Z ist zwar bezüglich der Rechenoperationen +, − und · abgeschlossen, nicht
jedoch bezüglich der Division. Eine Gleichung der Form
x·a = b ,
a, b ∈ Z, a 6= 0
ist in Z nicht universell lösbar, da x = ba i.a. keine ganze Zahl ist. Dieses Problem beseitigt man
durch Hinzunahme von Brüchen, also durch die Erweiterung von Z zu den rationalen Zahlen
Q = { ba | a, b ∈ Z, b 6= 0 } . Dieser Zahlbereich ist vom algebraischen Standpunkt aus schon
recht befriedigend, da er bezüglich der Grundrechenarten ±, · und : abgeschlossen ist (Q ist ein
sogenannter Körper; Details s. später). Doch auch Q ist noch “unvollständig”; so besitzt z.B. eine
einfache Gleichung wie
x2 = 2
√
keine rationale Lösung, denn (±) 2 ist bekanntermaßen irrational. Nehmen wir zu den rationalen alle (überabzählbar unendlich vielen) irrationalen Zahlen hinzu, so gelangen wir zum Körper
R der reellen Zahlen. Für uns in der Schule besteht R aus allen Dezimalzahlen; die rationalen
Zahlen besitzen dabei eine abbrechende oder periodische Dezimaldarstellung, während die irrationalen Zahlen dadurch charakterisiert sind, dass ihre Dezimaldarstellung weder abbricht noch
periodisch wird. Eine abstrakte Konstruktion der reellen Zahlen (z.B. als Äquivalenzklassen von
Cauchy-Folgen) geht weit über den Schulstoff hinaus.
Algebraisch gesehen können wir uns jedoch mit R immer noch nicht wirklich zufrieden geben,
denn die simple Gleichung
x 2 = −1
ist in R unlösbar, was ganz einfach daran liegt, dass das Quadrat x2 = x · x einer reellen Zahl
x niemals negativ sein kann. Anders formuliert:
Es gibt reelle Polynome wie z.B. f ( x ) = x2 + 1,
√
die keine reellen Nullstellen besitzen, da “ −1” in R keinen Sinn ergibt. Um dieses Manko zu
beheben, kümmern wir uns nun um die Konstruktion der komplexen Zahlen C.
Diese sind nicht nur in der reinen Mathematik unverzichtbar geworden (Funktionentheorie, analytische Zahlentheorie, komplexe Mannigfaltigkeiten, etc.), sondern auch aus Naturwissenschaft
und Technik nicht mehr wegzudenken. So beruht z.B. der gesamte mathematische Formalismus
der Quantenphysik auf der Verwendung komplexer Zahlen (genauer: komplexer Wellenfunktionen und Operatoren auf komplexen Hilberträumen). Aber auch jeder Elektroingenieur verwendet
komplexe Zahlen, um z.B. in Wechselstromkreisen möglichst elegant zu rechnen.
1
Mathe-AG / Glosauer
2
2.1
COMPLEXE Z AHLEN
2
Erstes Kennenlernen der komplexen Zahlen C
Konstruktion von C
Idee: Da sich auf der reellen Zahlengeraden R keine Zahl finden lässt, deren Quadrat −1 ergibt,
fügen wir eine weitere Achse (Dimension) hinzu und begeben uns in den R2 . Anstatt geordneter
Zahlenpaare ( a , b ) wollen wir die Elemente von R2 als Vektoren schreiben (da uns dies aus der
Geometrie geläufiger ist), d.h.
a 2
R =
a, b ∈ R .
b
Die Kunst besteht nun darin, auf dieser Menge von Vektoren eine Addition + und vor allem
eine Multiplikation · einzuführen, die denselben Rechenregeln wie in Q oder R genügen. Formal
korrekt gelang dies erstmals dem genialen irischen Mathematiker und Physiker S IR W ILLIAM
R OWAN H AMILTON1 (1805-1865) im Jahre 1835. Wir definieren
a
c
a+c
+
:=
b
d
b+d
und
a
c
ac − bd
·
:=
b
d
ad + bc
und bezeichnen R2 zusammen mit diesen beiden Verknüpfungen als die komplexen Zahlen C.
Die Addition zweier komplexer Zahlen ist nichts anderes als die gewöhnliche Addition von Vektoren (geometrisch: Parallelogrammregel!), d.h. es gelten alle gewohnten Rechengesetze (Näheres
in Abschnitt 3).
Mit der Multiplikation komplexer Zahlen wollen wir uns nun genauer beschäftigen; wie man
überhaupt auf eine solch seltsam anmutende Definition kommt, wird weiter unten motiviert. Die
erste wichtige Erkenntnis ist, dass C eine Erweiterung von R ist, denn für komplexe Zahlen, deren
zweite Komponente 0 ist, gilt
a
c
a+c
a
c
ac − 0 · 0
ac
+
=
und
·
=
=
,
0
0
a·0+0·c
0
0
0
0
d.h. diese komplexe Zahlen kann man wie gewöhnliche reelle Zahlen addieren und multiplizieren. Abstrakter ausgedrückt stellt die Abbildung
a
ι : R → C, a 7→
0
eine Einbettung der reellen in die komplexen Zahlen dar. Geometrisch gesprochen: Auf der xAchse in der komplexen Zahlenebene C = R2 gelten die gewohnten Rechenregeln von R. Insbesondere gibt es in C eine “Eins”, sprich eine komplexe Zahl, die bei Multiplikation nichts
verändert:
1
1
a
1·a−0·b
a
1C : =
;
1C · z =
·
=
=
für alle z ∈ C .
0
0
b
1·b+0·a
b
In C können wir nun mit Leichtigkeit unser ursprüngliches Problem lösen, die Unlösbarkeit der
Gleichung x2 = −1 in R ! Betrachten wir dazu die komplexe Zahl
0
i :=
1
(die Bezeichnung i steht für “imaginäre Einheit” und geht auf E ULER zurück). Für dieses i gilt
0
0
0·0−1·1
−1
2
i = i· i =
·
=
=
= −1C ,
1
1
0·1+1·0
0
d.h. in den komplexen Zahlen besitzt die Gleichung z2 = −1 zwei Lösungen, nämlich i und −i !
1 Ein Wunderkind, das im Alter von 5 Jahren Latein, Griechisch und Hebräisch konnte; mit 12 beherrschte er bereits zwölf Sprachen (u.a. Arabisch und Sanskrit). Berühmt wurde er durch seine wichtigen Beiträge zur theoretischen
Mechanik und durch die Erfindung der Quaternionen H, welche die komplexen Zahlen erweitern (siehe 3.5).
COMPLEXE Z AHLEN
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3
V EREINBARUNG : Ab sofort lassen wir den Index C bei der 1 weg und identifizieren 1C mit der
reellen 1 (nach der oben besprochenen Einbettung ι). Durch die Einführung von i gelangen wir
auch zu einer gebräuchlicheren Darstellung komplexer Zahlen. Es ist nämlich
a
a
0
a
b
0
=
+
=
+
·
= a+bi ,
b
0
b
0
0
1
wobei wir im letzten Schritt wieder von der Einbettung ι : R ⊂ C Gebrauch machen. Halten wir
also fest:
C = { z = a + b i | a, b ∈ R } .
Mit Hilfe dieser Darstellung wird auch sofort ersichtlich, wie man auf die seltsame Multiplikationsregel für komplexe Zahlen kommen kann. Setzen wir die Gültigkeit des Distributivgesetzes
voraus (siehe 3.3), so erhalten wir für das Produkt zweier komplexer Zahlen
( a + b i) · (c + d i) = ac + bc i + ad i + bd i2 = ( ac − bd) + ( ad + bc) i ,
wobei im letzten Schritt i2 = −1 eingeht. Hier steht nun aber nichts anderes als unsere ursprüngliche Definition; diese muss man sich also gar nicht merken, sondern man nimmt komplexe Zahlen
mal durch ganz intuitives “Ausmultiplizieren”.
Noch zwei Bezeichnungen:
a = Re z heißt Realteil
b = Im z heißt Imaginärteil
der komplexen Zahl z = a + b i ; beides sind reelle Zahlen.
Eine Zahl z heißt rein imaginär, falls z = b i mit b ∈ R.
Nebenstehende Graphik veranschaulicht die Verhältnisse
in der komplexen Zahlenebene, die zu Ehren von C. F.
G AUß oft nach ihm benannt wird. Gauß – einer der größten
Mathematiker aller Zeiten – verwendete bereits um 1800 eine geometrische Version der Hamilton-Definition von C.
Historisches. Die Geschichte der komplexen Zahlen reicht viel weiter zurück als bis ins 19. Jahrhundert. Bereits 1545 beschäftigte sich G. C ARDANO mit dem Lösen von Gleichungen 3. und 4.
Grades und rechnete dabei mit Quadratwurzeln aus
√ negativen Zahlen – allerdings “unter Überwindung geistiger Qualen”. Ausdrücke wie “ i = −1 ” blieben den Mathematikern noch lange Zeit suspekt, und das Rechnen mit diesen “imaginären” (also eingebildeten) Größen wurde
zunächst als bloße Spielerei angesehen. Dies änderte sich spätestens, als der großartige L EON HARD E ULER 2 (1707-1783) komplexe Zahlen mit großem Gewinn in der Analysis verwendete.
Und als schließlich auch G AUß (1777-1855), der “Fürst der Mathematik”, Veröffentlichungen über
komplexe Zahlen herausbrachte, fanden sie allgemeine Anerkennung.
Um es noch einmal hervorzuheben:
Das Geniale an Hamiltons Definition ist, dass wir keine
√
ominösen Ausdrücke wie i = −1 hineinstecken müssen, sondern lediglich mit Paaren reeller
man Ausdrücken wie
√ Zahlen hantieren. Ist C auf diese Weise erst einmal konstruiert, kann
2
−1 tatsächlich Sinn geben – nämlich als Lösung(en) der Gleichung z = −1. Solche Ausdrücke
jedoch bereits in die Definition von C einzubauen, ist unsauber!
2 Mit
866 Veröffentlichungen einer der produktivsten Mathematiker aller Zeiten, der große Beiträge zur reinen Mathematik (Analysis, Zahlentheorie, Algebra) wie auch zur Physik (Mechanik, Hydrodynamik, Optik) leistete. Obwohl
er die letzten 13 Jahre seines Lebens vollständig erblindet war, entstand in dieser Zeit die Hälfte seines Gesamtwerkes:
Unermüdlich diktierte er jeden Tag seinem Diener die Rechnungen, die er im Kopf ausführte. Dies führte zum Zitat
“Euler rechnete, wie andere atmen”.
COMPLEXE Z AHLEN
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2.2
4
Rechnen mit komplexen Zahlen
Nach all diesen abstrakten Konstruktionen wird es höchste Zeit für ein paar Zahlenbeispiele3 .
Beispiel 1. Bilde Summe und Differenz der komplexen Zahlen z = 2 + 5 i und w = 4 − 2 i
(wobei 4 − 2 i natürlich abkürzend für 4 + (−2) i steht.)
z + w = 2 + 5 i + 4 − 2 i = 2 + 4 + (5 − 2) i = 6 + 3 i
Man muss also lediglich die Real- und Imaginärteile beider Zahlen addieren. Ebenso leicht
ist das Subtrahieren, denn z − w bedeutet nichts weiter als das Negative von w zu z zu
addieren: z − w = z + (−w), wobei −w = −(4 − 2 i) = −4 + 2 i ist (vgl. 3.3).
z − w = 2 + 5 i − (4 − 2 i) = 2 − 4 + (5 + 2) i = −2 + 7 i .
Beispiel 2. Berechne das Produkt z · w sowie den Quotienten wz für obige Zahlen.
Das Produkt bilden ist einfach; wie oben dargelegt, multiplizieren wir einfach aus:
(2 + 5 i) · (4 − 2 i) = 2 · 4 − 2 · 2 i + 5 i · 4 − 5 i · 2 i = 8 − 10 i2 + (−4 + 20) i = 18 + 16 i ,
5i
wobei im letzten Schritt i2 = −1 zu beachten ist. Wie aber soll man den Quotienten wz = 24+
−2 i
berechnen? Offensichtlich stört der komplexe Nenner; um ihn zu beseitigen, verwenden
wir denselben Trick wie beim “Rationalmachen des Nenners” ! Durch Erweitern mit 4 + 2 i
verschwindet aufgrund der 3. binomischen Formel (die auch in C gilt) das i im Nenner, d.h.
wir haben “den Nenner reell gemacht”:
z
−2 + 24 i
2 + 5 i 4 + 2i
8 + 10 i2 + (4 + 20) i
−2 + 24 i
1
=
=
·
=
=
= − 10
+ 65 i .
2
2
2
w
4 − 2 i 4 + 2i
4 − (2 i)
20
16 − 4 i
Beispiel 3. Was ist (1 + i)−1 ? (Wir suchen das multiplikative Inverse von 1 + i.)
Wir wenden denselben Trick wie eben an, um den Nenner reell zu machen:
(1 + i ) −1 =
1
1− i
1
1−i
1− i
=
=
·
= 2
=
2
1+ i
1+ i 1−i
2
1 −i
1
2
− 12 i .
Zur Kontrolle kann man leicht nachrechnen, dass tatsächlich ( 21 − 12 i) · (1 + i) = 1 ergibt.
Den Trick der letzten beiden Beispiele müssen wir unbedingt allgemein festhalten.
Satz.
Jedes z = a + b i ∈ C \ {0} besitzt ein multiplikatives Inverses z−1 , nämlich
( a + b i ) −1
a−bi
a
b
= 2
= 2
− 2
i.
2
2
a +b
a +b
a + b2
Anders ausgedrückt ist die komplexe Gleichung z · w = c für jedes w ∈ C \ {0} lösbar, nämlich
durch z = c · w−1 = wc .
Beweis. Es muss lediglich ( a + b i) · ( a + b i)−1 = 1 nachgewiesen werden (vgl. 3.3), wenn für das
Inverse die behauptete obige Formel eingesetzt wird. Direkte Rechnung bestätigt dies:
( a + b i) ·
3 Hier
( a + b i) · ( a − b i)
a 2 − b 2 i2
a2 + b2
a−bi
=
=
= 2
=1.
2
2
2
2
2
2
a +b
a +b
a +b
a + b2
geht es zunächst nur um “naives” Rechnen mit komplexen Zahlen. Die Rechtfertigung aller verwendeter
Rechenregeln erfolgt erst in Abschnitt 3.3.
COMPLEXE Z AHLEN
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5
Beachte: Teilen durch a2 + b2 ist erlaubt, da dieser Ausdruck für jedes z 6= 0 größer 0 ist.
Wie aber kommt man auf diese Formel für das Inverse? Ganz einfach: wieder durch “Nenner reell
machen”, d.h. Erweitern von a+1b i mit a − b i (ÜA).
Und wenn man diesen Trick nicht sieht? Nun, dann macht man den allgemeinen Ansatz z−1 = c + d i und
dröselt die Bedingung z · z−1 = 1 in Komponenten auf:
!
z · z−1 = ( a + b i) · (c + d i) = ac − bd + ( ad + bc) i = 1C = 1 + 0 i .
Vergleich von Real- und Imaginärteil führt dann auf folgendes 2 × 2 –LGS:
I :
II :
Aus I0 folgt c =
a
a2 + b2
ac − bd
ad + bc
=1
=0
I0 :
II :
a ·I+b ·II
−→
a2 c + b2 c
ad + bc
, und einsetzen in II liefert (für a 6= 0): d = − bc
a =
− 1b
=a
=0
−b
a2 + b2
. Ist a = 0, so reduziert
und c = 0, was mit obiger Form für a = 0
sich das LGS auf −bd = 1 und bc = 0, d.h. es ist d =
übereinstimmt. Insgesamt erhält man also dieselbe Formel für das Inverse, nur mit größerem Aufwand.
2.3
Komplexe Konjugation und Betrag
Eine simple Rechenoperation, Konjugation genannt, erleichtert oftmals die Notation im Umgang
mit komplexen Zahlen. Für z = a + b i ∈ C (a, b ∈ R) definieren wir die zu z konjugiert komplexe
Zahl als
z = a−bi ,
d.h. wir ersetzen den Imaginärteil von z einfach durch sein Negatives. In der Gaußschen Zahlenebene bedeutet dies, dass der zu z gehörige Pfeil an der reellen Achse gespiegelt wird.
√
√
Es ist 3 + 2 i = 3 − 2 i . Spezialfälle: z = −z für rein imaginäres z, z.B. i = − i ;
für reelles z gilt natürlich z = z .
Beispiel 1.
Rechenregeln für die komplexe Konjugation. Für alle z, w ∈ C gilt:
(1)
z+w = z+w ,
(2)
Re z = 12 (z + z) ,
(3)
z · z = a2 + b2 ;
Beweis.
z·w = z·w
Im z =
1
2 i (z
(d.h. Konjugieren ist “verträglich” mit + und · )
− z)
z · z ist somit reell und ≥ 0 (kurz: z · z ∈ R0+ ).
Sei z = a + b i und w = c + d i (mit a, b, c, d ∈ R).
(1) Es ist
sowie
z + w = a + c + (b + d) i = a + c − (b + d) i = a − b i + c − d i = z + w ;
z · w = ac − bd + ( ad + bc) i = ac − bd − ( ad + bc) i ,
was dasselbe ist wie
2
z · w = ( a − b i) · (c − d i) = ac + bd i − ad i − bc i = ac − bd − ( ad + bc) i .
(2) Es gilt
und
z + z = a + b i + a − b i = 2a = 2 Re z
z − z = a + b i − ( a − b i) = 2b i = 2 i Im z
(3) Mit dem 3. Binom ergibt sich
z · z = ( a + b i) · ( a − b i) = a2 − (b i)2 = a2 + b2 ∈ R0+ .
Als Folgerung aus (3) können wir nun Folgendes definieren. Der Betrag einer komplexen Zahl
ist die nicht negative reelle Zahl
|z| =
√
z·z =
√
a2 + b2 .
Nach dem Satz des Pythagoras ist |z| nichts anderes als die Länge des Pfeiles, der z in der Gaußschen
Zahlenebene repräsentiert. Zudem stimmt
|z| für reelles z mit dem gewöhnlichen Betrag überein,
√
√
denn für z = a ∈ R ist |z| = a · a = a2 = | a|.
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6
Mit Hilfe von Betrag und Konjugation sind wir nun in der Lage, die Formel für das Inverse wesentlich kompakter aufzuschreiben, denn offenbar ist (vgl. 2.2)
z −1
a−bi ! z
= 2
=
.
a + b2
| z |2
Auch der Nachweis dieser Formel gelingt nun eleganter:
z · z −1 = z ·
Für das Inverse ergibt sich damit
(3 + 4 i ) −1
z
z·z
| z |2
=
=
=1.
| z |2
| z |2 | z |2
√
32 + 42 = 5 .
z
3−4i
=
=
=
2
|z|
52
Der Betrag von z = 3 + 4 i ist |z| = |3 + 4 i| =
Beispiel 2.
3
25
−
4
25
i.
Zum Abschluss beweisen wir noch einige
Rechenregeln für den Betrag. Für alle z, w ∈ C gilt
(1)
|z| > 0 für z 6= 0 und
(2)
|z · w| = |z| · |w| , d.h. der Betrag ist multiplikativ,
(3)
|z + w| ≤ |z| + |w|
Beweis.
|z| = |z| ,
“Dreiecksungleichung”.
(1) ist offensichtlich!
(2) Es ist
|zw|2 = zw · zw = zw · z · w = zz · ww = |z|2 · |w|2 ;
p
(. . .) liefert die Behauptung.
(3) Geometrisch ist die Dreicksungleichung sofort einsichtig:
Beachtet man, dass der Addition von komplexen Zahlen
in der Gaußschen Zahlenebene einfach die Addition von
Vektoren nach der Parallelogrammregel entspricht, so verbirgt sich hinter |z + w| ≤ |z| + |w| lediglich die Aussage,
dass eine Seite in einem Dreieck nicht länger als die Summe der beiden anderen Seiten sein kann. Rechnerischer
Beweis:
| z + w |2 = ( z + w ) · ( z + w ) = ( z + w ) · ( z + w )
= zz + zw + wz + ww = |z|2 + zw + zw + |w|2 = |z|2 + 2 Re(zw) + |w|2
≤ |z|2 + 2 |zw| + |w|2 = |z|2 + 2 |z| · |w| + |w|2 = (|z| + |w|)2 ,
und Wurzelziehen liefert wieder die Behauptung. In der zweiten Zeile geht w = w ein und
beim ≤ -Schritt wurde die Ungleichung Re z ≤ |z| verwendet (Begründung?).
Den Beweis von (3) nochmals Schritt für Schritt durchzugehen und zu überlegen, welche Rechenregeln für Betrag und Konjugation wo eingesetzt wurden, ist eine hervorragende Übung!
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7
2.4 Übungsaufgaben zum Rechnen in C
Aufgabe 1. Bringe die folgenden komplexen Zahlen auf die Form a + b i mit a, b ∈ R.
a) (2 + 3 i) − (1 − i)
3+4i
e)
2− i
c) (8 + 6 i)2
b) (5 − 3 i) · (4 + i)
1
3
f) +
i 1+ i
1+ i
1− i
g)
d)
1
1+ i
!n
, n∈N
h) (1 + i)10
i) Im (2 − 4 i) + Re (|5 + 2 i|)
Aufgabe 2. Bestimme Real- und Imaginärteil von
1
für z = a + b i 6= 0 (a, b ∈ R).
z2
Aufgabe 3. Stelle folgende Punktmengen zeichnerisch in der Gaußschen Zahlenebene dar.
a)
M1 = { z ∈ C | Re z ≥ 1
b)
M2 = { z ∈ C | |z| = 1 }
c)
M3 = { z ∈ C | |z − i| = 1 }
d)
M4 = { z ∈ C | 1 ≤ |z − i| < 2 }
e)
M5 = { z ∈ C | |z − 1| = |z + 1| }
f)
M6 = { z ∈ C | |z|2 − (z + z) = 0 }
und
Im z < 2 }
bzw.
M20 = { z ∈ C | |z| ≤ 1 }
Aufgabe 4. Zeige in Verallgemeinerung von 3 f), dass jede Lösungsmenge der Gleichung
|z|2 − (bz + bz) + c = 0
mit
b ∈ C, c ∈ R
und
| b |2 − c > 0
einen Kreis in der komplexen Ebene beschreibt. Wo liegt sein Mittelpunkt?
Aufgabe 5. Beweise das sogenannte Parallelogrammgesetz
| z + w |2 + | z − w |2 = 2 | z |2 + 2 | w |2
und interpretiere es geometrisch.
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3
COMPLEXE Z AHLEN
8
Der Körper der komplexen Zahlen
Nachdem wir nun schon ganz gut mit komplexen Zahlen rechnen können, wollen wir kurz innehalten und einige algebraische Grundstrukturen kennenlernen, die uns später noch häufig begegnen werden. Die abstrakten Bezeichnungsweisen, die wir hier wählen, scheinen auf den ersten
Blick vielleicht verwirrend oder gar unnötig zu sein, stellen aber einen der wichtigsten Grundpfeiler der Mathematik dar. Die große Macht der Mathematik liegt unter anderem in ihrer Allgemeinheit. Sie ist dadurch in der Lage, in völlig unterschiedlichen Dingen “ähnliche Strukturen”
zu entdecken und diese damit durch dieselbe Theorie beschreibbar zu machen.
3.1
Was ist eine Gruppe?
Betrachten wir beispielsweise die ganzen Zahlen Z zusammen mit der gewöhnlichen Addition.
Der Mathematiker drückt die Tatsache, dass man zwei ganze Zahlen addieren kann und dabei
wieder eine ganze Zahl erhält, folgendermaßen aus:
+: Z × Z → Z,
( a, b) 7→ a + b
ist eine sogenannte innere Verknüpfung auf der Menge Z, denn sie ordnet einem beliebigen
Zahlenpaar wie z.B. (−4, 3) ∈ Z × Z stets wieder eine ganze Zahl zu, im Falle unseres Beispiels
−4 + 3 = −1 ∈ Z. Diese Verknüpfung ist assoziativ, d.h. es gilt ( a + b) + c = a + (b + c), weshalb
man die Klammern bei mehrfachen Summen auch einfach weglassen kann.
Desweiteren gibt es in Z ein Neutralelement, welches bei Addition gar nichts verändert, nämlich
die 0. Und jedes z ∈ Z besitzt ein Inverses, d.h. ein Element von Z, welches bei Addition mit z
das Neutralelement 0 ergibt; in diesem Fall einfach das Negative von z.
Obwohl die Elemente von Q oder R meist ganz anders aussehen als ganze Zahlen, erfüllen sie
bezüglich der Addition ebenfalls die gerade aufgeführten Rechenregeln. Wir haben also in unterschiedlichen Objekten (Z, Q, R) eine gemeinsame Struktur bezüglich der Addition “+ ” entdeckt.
Eine Menge zusammen mit einer inneren Verknüpfung, die die eben aufgeführten Eigenschaft
hat, bezeichnet man in der Mathematik als Gruppe. Die Gruppentheorie, die sich einzig und allein dem Studium solcher Objekte widmet, besitzt unvorstellbar viele Anwendungen sowohl in
der reinen als auch der angewandten Mathematik, Physik und sogar Chemie!
Wir werden uns in einem späteren Kapitel mit den elementarsten Grundzügen der Gruppentheorie beschäftigen; hier wollen wir vorerst nur noch die allgemeine Definition einer Gruppe festhalten; die sogenannten Gruppenaxiome.
Definition. Eine Menge G zusammen mit einer inneren Verknüpfung
∗: G × G → G ,
( a, b) 7→ a ∗ b
heißt Gruppe, wenn die folgenden Eigenschaften erfüllt sind.
(1) Die Verknüpfung ist assoziativ, d.h. es gilt a ∗ (b ∗ c) = ( a ∗ b) ∗ c für alle a, b, c ∈ G.
(2) Es gibt ein e ∈ G, welches a ∗ e = e ∗ a = a für alle a ∈ G erfüllt (Neutralelement).
(3) Für jedes a ∈ G gibt es ein inverses Element b ∈ G, so dass a ∗ b = b ∗ a = e gilt. Wir
schreiben b = a−1 dafür.
Eine Gruppe heißt kommutativ oder abelsch4 , falls zusätzlich a ∗ b = b ∗ a für alle a, b ∈ G gilt,
die Verknüpfung also kommutativ ist.
In abelschen Gruppen wird häufig die additive Schreibweise, also a + b statt a ∗ b, verwendet. In
diesem Fall wird das neutrale Element mit 0 und das Inverse mit − a bezeichnet.
4 Zu
Ehren des norwegischen Mathematikers N IELS H ENRIK A BEL (1802–1829), einem der Begründer der Gruppentheorie, die damals im Wesentlichen zur Untersuchung der Lösbarkeit algebraischer Gleichungen entwickelt wurde.
COMPLEXE Z AHLEN
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9
Es heißt stets das Neutralelement und das Inverse. Dies ist gerechtfertigt, da man aus den Gruppenaxiomen leicht deren Eindeutigkeit folgern kann (siehe später).
Beispiele.
1. Wie wir bereits oben bemerkt haben, sind (Z , +), (Q , +) und (R , +) Gruppen, mit 0 als
Neutralelement. Sie sind alle abelsch, weil die Addition kommutativ ist. Tatsächlich werden
wir Beispiele für nicht abelsche Gruppen erst später kennen lernen (siehe z.B. 3.5).
2. Ist vielleicht auch (N , +) eine Gruppe? Die Addition + ist zwar eine assoziative innere Verknüpfung auf N, und es gibt ein Neutralelement 0 (auch wenn bei vielen Autoren die 0 nicht
zu N gezählt wird). Allerdings gibt es in N keine Inversen, da das Negative einer natürlichen Zahl nicht mehr in N liegt. (N , +) ist also keine Gruppe (aber dafür eine Halbgruppe).
3. Q \{0} ist bezüglich der Multiplikation eine abelsche Gruppe, mit 1 als Neutralelement,
und dem Kehrbruch ba als inverses Element eines Bruches ba ∈ Q \{0}. Deshalb muss man
die Null hier ausschließen, da sie keinen Kehrbruch besitzt und damit kein multiplikatives
Inverses besitzen kann (bzw. weil 0 · q = 0 6= 1 für alle q ∈ Q gilt). Ebenso ist (R \{0}, · )
eine Gruppe.
4. Rn , die Menge aller reellen Vektoren mit n Komponenten, ist bezüglich der Vektoraddition
(komponentenweises Addieren) eine abelsche Gruppe.
5. R[ x ], die Menge aller reellen Polynome, d.h.
R[ x ] =
n
o
n
∑ ak x k ak ∈ R, n ∈ N ,
k =0
ist bezüglich der koeffizientenweisen Addition (zwei Polynome werden addiert, indem man
die Koeffizienten gleicher x-Potenzen addiert) eine abelsche Gruppe.
Aufgabe. Prüfe die Gruppenaxiome in den letzten beiden Beispielen explizit nach.
3.2
Was ist ein Ring?
Auf manchen abelschen Gruppen, wie z.B. (Z , +), existiert neben der Addition eine weitere innere Verknüpfung, die Multiplikation. “Vertragen” sich diese beiden in einem gewissen Sinne, so
spricht man von einem Ring.
Definition. Eine Menge R mit zwei inneren Verknüpfungen “+ ” (Addition) und “ · ” (Multiplikation) heißt Ring, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind.
(1) ( R , +) ist eine abelsche Gruppe.
(2) Die Multiplikation ist assoziativ.
(3) Es gelten die beiden Distributivgesetze (“Verträglichkeit von + und · ”)
a · (b + c) = a · b + a · c
und
( a + b) · c = a · c + b · c für alle a, b, c ∈ R .
Das neutrale Element 0 (bezüglich +) heißt Nullelement des Ringes. Der Ring heißt kommutativ,
wenn die Multiplikation kommutativ ist.
Gibt es ein Einselement 1 ∈ R, welches 1 · a = a = a · 1 für alle a ∈ R erfüllt, so nennt man R
einen Ring mit Eins.
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COMPLEXE Z AHLEN
10
Beispiele.
1. Die ganzen Zahlen Z mit der gewöhnlichen Addition und Multiplikation sind wohl das
natürlichste Beispiel eines Ringes, genauer: Eines kommutativen Ringes mit Eins.
2. Ebenso sind Q, R und – wie wir weiter unten zeigen werden – C Beispiele kommutativer
Ringe mit Eins.
3. Dass nicht jeder Ring eine Eins zu haben braucht, zeigt das einfache Beispiel des Ringes der
geraden Zahlen
R = 2Z = { 2z | z ∈ Z } = { 0, ±2, ±4, . . . } .
Es ist R ein kommutativer Ring (überzeuge Dich davon!), aber offenbar ist 1 ∈
/ R. Findest
Du weitere einfache Beispiele von Ringen ohne Eins? Und bilden auch die ungeraden Zahlen
einen Ring?
4. Die abelsche Gruppe (R[ x ] , +) aller reeller Polynome ist in natürlicher Weise ein Ring, indem man zwei Polynome multipliziert, wie man das eben tut (“einfach ausmultiplizieren”).
Dieser Polynomring ist kommutativ und hat eine Eins, nämlich das konstante Polynom 1
(= 1 x0 ).
5. Für Leser, die das Kreuzprodukt von Vektoren kennen: Dieses definiert auf der abelschen
Gruppe (R3 , +) eine weitere innere Verknüpfung, da es zwei Vektoren ~a und ~b wieder einen
Vektor ~a × ~b ∈ R3 zuordnet (der senkrecht auf ~a und ~b steht). Wegen ~a × ~b = −~b ×~a handelt es sich um eine nicht kommutative Multiplikation. Aber gelten die übrigen Ringaxiome
überhaupt? Die Rechenregeln für das Kreuzprodukt
~a × (~b +~c) = ~a × ~b +~a ×~c und (~a + ~b) ×~c = ~a ×~c + ~b ×~c
garantieren jedenfalls die Gültigkeit der Distributivgesetze. Leider scheitern wir aber an der
Assoziativität, denn die Graßmann-Identität besagt ~a × (~b ×~c) = (~a ·~c)~b − (~a ·~b)~c , wobei
~a ·~b ∈ R das gewöhnliche Skalarprodukt von Vektoren ist. Mit ihrer Hilfe sieht man schnell
ein, dass ~a × (~b × ~c) 6= (~a × ~b) × ~c ist (ÜA!). Wir haben also kein Beispiel für einen nicht
kommutativen Ring gefunden; schade (siehe wieder 3.5).
In Ringen kann man vieles von dem tun, was das Algebraikerherz begehrt: Man kann addieren,
subtrahieren (d.h. das Negative addieren), multiplizieren und Produkte mit Summen distributiv
ausmultiplizieren. Eines kann man im Allgemeinen jedoch leider nicht: Dividieren.
So besitzen in Z nur die Zahlen ±1 ein multiplikatives Inverses (nämlich sich selbst), alle anderen
jedoch nicht: Für 2 z.B. ist das Inverse 21 ∈
/ Z, weshalb man die Gleichung z · 2 = 1 in Z nicht
durch eine Division mit 2 lösen kann.
Ebenso besitzen im Polynomring R[ x ] nur die konstanten Polynome f ( x ) = c 6= 0 ein multiplikatives Inverses, nämlich g( x ) = 1c . Schon für das simple Element x findet man kein Polynom
p( x ) ∈ R[ x ] mehr, welches x · p( x ) = 1 erfüllt. Denn das Polynom x · p( x ) besitzt mindestens
Grad 1, während das Einspolynom Grad 0 hat. (Und p( x ) = 1x ist keine zulässige Wahl, weil es
kein Polynom mehr ist.)
Kommutative Ringe, in denen jedes Element 6= 0 ein multiplikatives Inverses besitzt (wie z.B. Q
oder R), heißen (kommutative) Divisionsringe oder Körper.
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3.3
11
Was ist ein Körper?
Das Manko, dass man in Ringen im Allgemeinen nicht dividieren kann (weil es keine multiplikativen Inversen, ja noch nicht mal eine 1 zu geben braucht), und dass die Multiplikation nicht
kommutativ sein kann, ist bei Körpern behoben. Grob gesagt sind Körper algebraische Strukturen, in denen man so rechnen kann, wie man es von den rationalen oder reellen Zahlen her kennt.
Definition. Ein Körper ist eine Menge K zusammen mit zwei inneren Verknüpfungen “+” (Addition) und “ · ” (Multiplikation), so dass folgende Bedingungen (Körperaxiome) erfüllt sind.
(1)
( a + b) + c = a + (b + c) für alle a, b, c ∈ K
(2)
Es gibt ein 0 ∈ K mit 0 + a = a für alle a ∈ K
(Neutralelement der Addition)
(3)
Zu jedem a ∈ K gibt es ein b ∈ K mit a + b = 0
(inverses Element der Addition)
(4)
Für alle a, b ∈ K gilt a + b = b + a
(5)
( a · b) · c = a · (b · c) für alle a, b, c ∈ K
(6)
Es gibt ein 1 ∈ K \{0} mit 1 · a = a für alle a ∈ K
(7)
Zu jedem a ∈ K \{0} gibt es ein b ∈ K mit a · b = 1
(8)
Für alle a, b ∈ K gilt a · b = b · a
(9)
a · (b + c) = a · b + a · c für alle a, b, c ∈ K
(Assoziativität der Addition)
(Kommutativität der Addition)
(Assoziativität der Multiplikation)
(Neutralelement der Multiplikation)
(inverses Element der Multipl.)
(Kommutativität der Multiplikation)
(Distributivgesetz)
B EMERKUNGEN .
1. In (6) wird 1 ∈ K \{0} gefordert, d.h. 1 6= 0, um den unerwünschten Spezialfall K = {0}
auszuschließen. K \{0} wird übrigens oft als K∗ abgekürzt.
2. Das additive Inverse von a bezeichnen wir mit − a, das multiplikative Inverse mit a−1 .
3. Das “Rechtsdistributivgesetz” folgt aufgrund der Kommutativität der Multiplikation aus
dem “Linksdistributivgesetz” (9):
(8)
(9)
(8)
( a + b) · c = c · ( a + b) = c · a + c · b = a · c + b · c .
4. Mit Hilfe des Gruppenbegriffes lässt sich die lange Liste der Körperaxiome auf eine viel
leichter einprägsame Form bringen! Die Körperaxiome für (K , + , · ) sind nämlich äquivalent zu den folgenden drei Bedingungen:
(K , +) sowie (K∗ , · ) sind abelsche Gruppen und es gilt das Distributivgesetz.
Uns bereits wohlbekannte Beispiele von Körpern sind die rationalen Zahlen Q, die reellen Zahlen
R und – wie wir gleich nachrechnen werden – seit Neuestem auch die komplexen Zahlen C. Viele
weitere Beispiele von Körpern (auch solche mit nur endlich vielen Elementen) lernen wir in einem
späteren Kapitel kennen.
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Satz.
COMPLEXE Z AHLEN
12
Die Menge C = R2 ist mit den in 2.1 definierten Verknüpfungen
a
c
a+c
a
c
ac − bd
+
:=
und
·
:=
b
d
b+d
b
d
ad + bc
ein Körper; der Körper der komplexen Zahlen.
Beweis. Wir müssen uns davon überzeugen, dass (C , +) und (C∗ , · ) abelsche Gruppen sind,
und dass das Distributivgesetz gilt. Wir verwenden dabei die Vektorschreibweise, weil diese hier
etwas platzsparender ist.
Die Addition ist jedenfalls eine innere Verknüpfung auf C = R2 , da die Summe zweier Vektoren
offenbar wieder ein Vektor aus R2 ist. Zudem ist sie assoziativ, denn es gilt
a
c
e
a+c
e
( a + c) + e (∗) a + (c + e)
a
c
e
+
+
=
+
=
=
=
+
+
.
b
d
f
b+d
f
(b + d) + f
b + (d + f )
b
d
f
Uff... eine solch offensichtliche aber mühsame Rechnung will man nur einmal in seinem Leben
ausführlich aufschreiben. Wenn man genau hinschaut, ist (∗) der einzige interessante Schritt, und
hier wird lediglich ausgenutzt, dass die gewöhnliche Addition in R assoziativ ist. Wir hätten also
auch einfach sagen können, dass sich die Assoziativität von +C komponentenweise auf die Assoziativität der Addition in R zurückführen lässt.
Die restlichen Gruppenaxiome für (C , +) sind nun schnell abgehakt.
Neutralelement: 0C =
0
,
0
Inverses:
−
a
−a
=
,
b
−b
und die Gruppe ist kommutativ, weil die gewöhnliche Addition in R dies ist (schreibe die zugehörige Rechnung auf!).
Schon weniger offensichtlich ist der Nachweis der Gruppenaxiome für (C∗ , · ). Auch hier ist klar,
dass es sich um eine innere Verknüpfung handelt. Etwas unangenehm ist wieder die Assoziativität, aber da müssen wir jetzt durch. Man rechnet
und
a
c
e
ac − bd
e
( ac − bd)e − ( ad + bc) f
·
·
=
·
=
b
d
f
ad + bc
f
( ac − bd) f + ( ad + bc)e
a
c
e
a
ce − d f
a(ce − d f ) − b(c f + de)
·
·
=
·
=
.
b
d
f
b
c f + de
a(c f + de) + b(ce − d f )
Durch Ausmultiplizieren in beiden Komponenten, also Anwenden des Distributivgesetzes in R,
erkennt man, dass das Ergebnis beider Rechnungen gleich ist. Weiterhin ist gemäß 2.1 und 2.2
!
−1
a
a
1
a
2 + b2
a
invers zu
.
1C =
das Neutralelement bezüglich “ · ”, und
=
−b
b
0
b
a2 + b2
Schließlich ist (C∗ , · ) abelsch, denn a
c
ac − bd ! ca − db
c
a
=
=
=
·
,
·
b
d
ad + bc
da + cb
d
b
wobei die Kommutativität der gewöhnlichen Multiplikation in R eingeht.
Zu guter Letzt muss noch das Distributivgesetz nachgerechnet werden. Packen wir’s an.
a
c
e
a
c+e
a(c + e) − b(d + f )
ac + ae − bd − b f
·
+
=
·
=
=
b
d
f
b
d+ f
a(d + f ) + b(c + e)
ad + a f + bc + be
ac − bd + ae − b f
ac − bd
ae − b f
a
c
a
e
=
=
+
=
·
+
·
ad + bc + a f + be
ad + bc
a f + be
b
d
b
f
Auf das geschickte Umsortieren in der zweiten Zeile kommt man natürlich nur, wenn man sich
vor Augen hält, wie das Endergebnis aussehen soll.
Hurra, geschafft! C ist also bewiesenermaßen ein Körper, was bedeutet, dass wir die aus Q oder
R gewohnten Rechengesetze ab jetzt guten Gewissens auch in C anwenden dürfen.
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3.4
COMPLEXE Z AHLEN
13
Unmöglichkeit der Anordnung von C
In diesem kurzen Abschnitt werden wir sehen, dass es – obwohl R und C beides Körper sind –
auf R eine Anordnung gibt, die sich nicht auf die komplexen Zahlen übertragen lässt. Gemeint ist
die wohlbekannte “>”-Relation, die wir hier etwas abstrakter beschreiben wollen.
Definieren wir diejenigen reellen Zahlen, die “rechts von der Null auf der Zahlengeraden liegen”,
als positiv, dann sind auf R die folgenden beiden Anordnungsaxiome erfüllt.
(A1)
Für jedes a ∈ R gilt genau eine der drei Relationen:
(A2)
Sind a > 0 und b > 0, so folgt
a+b > 0
und
a > 0,
a = 0,
−a > 0 .
ab > 0 .
Ist − a positiv, so nennen wir a negativ. Mit Hilfe des Positivitätsbegriffes lässt sich nun leicht eine
“größer als”-Relation auf R einführen, indem man definiert: a > b, falls a − b > 0. Wir werden
nun gleich zeigen, dass ein solcher Größenvergleich komplexer Zahlen nicht möglich ist, was letztendlich daran liegt, dass die Gleichung z2 + 1 = 0 in C Lösungen besitzt.
Dazu brauchen wir eine wichtige Folgerung aus den Anordnungsaxiomen, nämlich dass stets
a2 > 0 für jedes a 6= 0 gilt. Für a > 0 folgt dies sofort aus (A2), indem man dort b = a setzt; ist
− a > 0, so folgt wegen (−1)2 = 1 (Beweis?), dass a2 = (− a)2 > 0 ist; wieder nach (A2).
Satz.
Es ist unmöglich auf C einen Positivitätsbegriff zu definieren, der (A1) und (A2) erfüllt5 .
Da wir gar nicht wissen, welche und wie viele Möglichkeiten es geben kann, auf C einen Positivitätsbegriff einzuführen, können wir sicher nicht all diese Möglichkeiten durchprobieren und
feststellen, dass sie immer (A1) oder (A2) verletzen (vielleicht gibt es ja unendlich viele solcher
Möglichkeiten, die wir in endlicher Zeit gar nicht alle überprüfen könnten).
Deshalb bietet sich hier ein Widerspruchsbeweis (indirekter Beweis) an: Wir nehmen an, die Aussage des Satzes sei falsch, und zeigen, dass diese Annahme stets zu einem Widerspruch führt. Folglich muss die Aussage des Satzes richtig gewesen sein.
Beweis. Annahme: Es gibt einen Positivitätsbegriff auf C, der (A1) und (A2) erfüllt. Wie wir eben
gesehen haben, gilt dann aufgrund von (A2) stets z2 > 0 für jedes z ∈ C \{0}. Insbesondere folgt
1 = 12 > 0 und −1 = i2 > 0, was (A1) widerspricht. Somit muss die Annahme falsch gewesen
sein, und der Satz ist bewiesen.
3.5
Ausblick: Der Quaternionenschiefkörper H
In 2.1 gelang es auf R2 , der Menge aller Paare reeller Zahlen, eine Addition und Multiplikation
zu definieren, die R2 zum Körper der komplexen Zahlen machten. Hmmm, vielleicht gelingt das
dann auch mit Paaren komplexer Zahlen?
Dies ist in der Tat (fast) so; das Ergebnis sind die berühmten hamiltonschen Quaternionen H
(manchmal auch als hyperkomplexe Zahlen bezeichnet). Allerdings ist H kein kommutativer
Körper mehr, sondern nur noch ein Schiefkörper: Alle Körperaxiome gelten weiterhin, bis auf
die Kommutativität der Multiplikation, die in H verloren geht.6
Wir skizzieren im Folgenden eine Konstruktion des Quaternionenschiefkörpers, die sich an das
Vorgehen von 2.1 anlehnt. Der geneigte Leser ist aufgefordert, die (teilweise mühsamen) Details
selbst auszuarbeiten.
n o
u Wir definieren zwei innere Verknüpfungen auf H = C2 =
u,
v
∈
C
wie folgt:
v
u
w
u+w
+
:=
v
z
v+z
und
u
w
uw − vz
·
:=
,
v
z
uz + vw
in (A1) natürlich R durch C zu ersetzen ist.
dies so sein muss, lernt man in der Körpertheorie. Da C algebraisch abgeschlossen ist (siehe 4.3), kann es
keinen echten Erweiterungskörper von C geben.
5 Wobei
6 Dass
COMPLEXE Z AHLEN
Mathe-AG / Glosauer
14
wobei z die gewöhnliche komplexe Konjugation bezeichnet (diese bei der Multiplikation an den
geeigneten Stellen einzubauen, ist entscheidend!).
Satz.
Die Quaternionen (H , +, · ) sind ein Schiefkörper.
Beweisanleitung. Überprüfe, dass (H , + ) eine abelsche Gruppe ist, was keinerlei Probleme bereitet. (Orientiere dich am Vorgehen des Beweises aus 3.3.)
Schwieriger ist der Nachweis, dass (H∗ , · ) eine (nicht abelsche) Gruppe bildet.
◦ Rechne das Assoziativgesetz explizit nach (äußerst unangenehm, da viel Schreibarbeit).
◦ Finde das Neutralelement 1 (Tipp: wie in 3.3).
◦ Um möglichst elegant das multiplikative Inverse eines Quaternions q ∈ H∗ angeben zu
können, bedienen wir uns desselben
Kunstgriffes wie in C.
u
u
Wir definieren das zu q =
konjugierte Quaternion als q :=
. Rechne nach, dass
v
−v
| u |2 + | v |2
gilt. Weiter definieren wir in Anlehnung an C den (reellen) Ausq·q = q·q =
0
druck
| u |2
+ | v |2
als Betragsquadrat |q|2 des Quaternions. Zeige, dass dann durch q−1 =
q
| q |2
das (Rechts- und Links-) Inverse eines jeden q ∈ H∗ gegeben ist. (Der Faktor |q1|2 ist dabei so
zu verstehen, dass er mit den beiden komplexen Einträgen von q zu multiplizieren ist.)
◦ Finde zwei (möglichst einfache) Quaternionen q und r, für die q · r 6= r · q gilt. Damit ist die
Multiplikation auf H nicht kommutativ, wir haben es also mit einem Schiefkörper zu tun.
Abschließend muss die Gültigkeit beider Distributivgesetze überprüft werden. Wer sich jedoch
durch den Nachweis von q · (r + s) = q · r + q · s gekämpft hat, darf sich guten Gewissens den
Nachweis des Rechtsdistributivgesetzes sparen. Es gilt ebenfalls; versprochen!
Um die Struktur der Quaternionen noch besser zu verstehen, lohnt es sich, zu einer anderen Darstellungsform überzugehen. Ebenso wie wir durch Einführen der imaginären Einheit i zur a + b iDarstellung komplexer Zahlen gelangten, führen wir in H nun drei imaginäre Einheiten i, j und k
ein. Wir setzen
1
i
0
0
1 :=
,
i :=
,
j :=
,
k :=
.
0
0
1
i
Achtung: Das fettgedruckte i ist ein Element von H = C2 , während i ∈ C die “normale” komplexe imaginäre Einheit bezeichnet. Zeige, dass sich jedes Quaternion q ∈ H damit als
q = a1 + b i + c j + d k
mit a, b, c, d ∈ R
darstellen lässt. Verifiziere zudem die Rechenregeln (von deren Entdeckung Hamilton so begeistert war, dass er sie mit einem Messer auf einem Stein der Brougham Bridge in Dublin einritzte)
i2 = j2 = k2 = i · j · k = −1 ,
sowie
i · j = k = − j · i (was explizit zeigt, dass H nicht kommutativ ist). Wer viel Geduld hat, überprüfe die Produktformel für zwei Quaternionen q = a1 + b i + c j + d k und q0 =
α1 + β i + γ j + δ k:
q · q0 =( aα − bβ − cγ − dδ)1 + ( aβ + bα + cδ − dγ) i
+ ( aγ − bδ + cα + dβ) j + ( aδ + bγ − cβ + dα) k .
Zu guter Letzt überzeuge man sich von der Richtigkeit der Darstellung des Inversen eines q =
a1 + b i + c j + d k ∈ H∗ :
q−1 = |q1|2 ( a1 − b i − c j − d k) ,
wobei der quaternionische Betrag durch |q|2 = a2 + b2 + c2 + d2 gegeben ist.
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COMPLEXE Z AHLEN
15
Historisches. Nachdem es Hamilton gelungen war, eine Körpermultiplikation auf R2 zu definieren, versuchte er viele Jahre vergeblich, dies auch im R3 zu schaffen (heutzutage kann man
leicht beweisen, dass dies unmöglich ist). Eines Tages kam ihm dann die Eingebung, eine vierte
Dimension hinzu zu nehmen, und die Quaternionen waren geboren.
Leider begann Hamilton daraufhin eine ungesunde Besessenheit von den Quaternionen zu entwickeln, und widmete den Rest seines Lebens der Erforschung ihrer Bedeutung in der Mathematik und Physik. Er schrieb über 100 Veröffentlichungen und 60 (!) Buchmanuskripte über Quaternionen. Obwohl die Quaternionen heutzutage einige nette Anwendungen erfahren (z.B. auch in
der Computergrafik), hatten Hamilton und seine Anhänger deren Bedeutung weit überschätzt.
Wer mehr über Geschichte und Eigenschaften von H erfahren möchte, dem sei wärmstens das
Buch “Zahlen” von Ebbinghaus, Hirzebruch u.a. empfohlen.
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4
16
Algebraische Gleichungen in C
4.1
Komplexe Quadratwurzeln
Durch die Einführung der komplexen Zahlen wurde die Gleichung z2 = −1 lösbar, nämlich durch
z1 = i und z2 = − i. Wie im Reellen bezeichnet man diese Lösungen als Quadratwurzeln, d.h.
√
−1 = ± i .
In R besitzt die Gleichung x2 = 4 zwei Lösungen, x1 = 2 und x2 = −2, aber man
√ legt fest, dass
die
Quadratwurzel
aus
4
nur
die
positive
der
beiden
L
ösungen
sein
soll,
also
4 = 2 und nicht
√
4 = −2. Da es auf C jedoch keine Anordnung und damit keine positiven Zahlen mehr gibt
(siehe 3.4), kann man diese Festlegung hier nicht treffen. Die Zahl −1 besitzt in C also zwei Quadratwurzeln.
√
Beispiel 1. Was ist −4 ?
√
√
Unter −4 ∈ C sind die Lösungen der Gleichung z2 = −4 zu verstehen, also −4 = ±2 i.
(Denn z2 = −4 ist äquivalent zu
z2
4
= ( 2z )2 = −1, d.h.
z
2
= ± i, also z = ±2 i.)
Aber in C kann man nicht nur aus negativen reellen Zahlen die Wurzel ziehen, sondern aus allen
komplexen Zahlen, wie wir nun beweisen werden.
Satz.
Für jedes w ∈ C \{0} besitzt die Gleichung z2 = w genau zwei Lösungen; d.h. jede
komplexe Zahl (6= 0) besitzt zwei Quadratwurzeln in C.
Beweis. Es sei w = a + b i mit a, b ∈ R. Wir müssen x, y ∈ R finden, so dass z = x + y i die
Gleichung
z2 = w , d.h. ( x + y i)2 = a + b i
erfüllt. Ausführen des Quadrats liefert
!
x2 + 2xy i + (y i)2 = x2 − y2 + 2xy i = a + b i .
Vergleichen von Real- und Imaginärteil führt auf das reelle Gleichungspaar
(1) x 2 − y2 = a
und
(2) 2xy = b .
Um dieses elegant zu lösen, beachten wir, dass aus z2 = w zudem folgt, dass |z|2 = |z2 | = |w| gilt,
d.h.
(3) | z |2 = x 2 + y2 = | w | .
(3) + (1) und (3) − (1) führt dann auf
2x2 = |w| + a
und
2y2 = |w| − a ,
also gilt für den Real- und Imaginärteil des gesuchten z = x + y i
r
r
|w| + a
|w| − a
x=±
und
y=±
2
2
p
( (. . .) bezeichnet hier die gewöhnliche reelle Quadratwurzel).
Nun haben wir aber Gleichung (2) noch gar nicht verwendet. Diese sagt uns, welche Vorzeichen
von x und y wir zu wählen haben. Ist b > 0, dann müssen x und y wegen 2xy = b jeweils dasselbe
Vorzeichen besitzen, also ist oben (+, +) und (−, −) auszuwählen; im Falle b < 0 muss (+, −)
und (−, +) gewählt werden. Man rechnet zur Kontrolle leicht nach (ÜA!), dass mit diesen Zahlen
x und y (mit geeigneten Vorzeichen) tatsächlich z2 = ( x + y i)2 = w gilt.
COMPLEXE Z AHLEN
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17
Es lohnt sich, das Ergebnis des obigen Beweises noch einmal explizit festzuhalten. Wir haben
gezeigt, dass jedes w = a + b i ∈ C \ {0} zwei komplexe Quadratwurzeln besitzt, nämlich
√
a + b i = ±(α + εβ i) ,
wobei gemäß der oben diskutierten Vorzeichenpaarungen ε = 1 für b ≥ 0√und ε = −1 für b < 0
zu wählen ist und die Zahlen α und β gegeben sind durch (beachte |w| = a2 + b2 )
s√
α=
a2 + b2 + a
2
s√
und
β=
a2 + b2 − a
.
2
√
Obacht: Die Formel a + b i = ±(. . .) ist nur als kompakte Schreibweise für die beiden Lösungen
der Gleichung z2 = a + b i zu verstehen. Diese werden wir zunächst beibehalten, obwohl sie für
b =√
0 und a > 0 mit der Positivität der reellen Wurzel kollidiert (denn laut obiger Formel wäre
z.B. 4 = ±2).
Will man die komplexe Wurzel als Funktion definieren, so muss man eine der beiden Lösungen
auswählen, damit die Funktion nicht mehrdeutig wird. Dazu evtl. später mehr.
Beispiel 2. Wir berechnen
√
−4, indem wir in obigen Formeln a = −4 und b = 0 setzen:
q√
q√
16−4
16+4
α=
=
0
,
β
=
=2,
2
2
√
d.h. −4 = ±(α + εβ i) = ±(0 − 2 i) = ±2 i, in Übereinstimmung mit Beispiel 1. Die Wurzel
aus einer negativen reellen Zahl ist übrigens immer rein imaginär.
√
Aufgabe. Zeige: √w ist genau dann reell, wenn w reell und ≥ 0 ist.
w ist genau dann rein imaginär, wenn w reell und negativ ist.
Beispiel 3. Was ist
√
i?
Wir suchen die Lösungen von z2 = i, d.h. es ist w = i = 0 + 1 i. Einsetzen von a = 0 und
b = 1 in die obigen Formeln liefert
q √
q√
√
1+0
1−0
√1 + √1 i .
i=±
+
i
=
±
2
2
2
2
Rechne zur Übung nach, dass das Quadrat der rechten Seite auch wirklich i ergibt.
Beispiel 4. Was ist
√
3−4i ?
Wir setzen oben a = 3 und b = −4 ein und beachten ε = −1 sowie |w|2 = a2 + b2 = 25
q √
q√
√
25+3
25−3
3−4i = ±
−
i = ± (2 − i) .
2
2
2
Hübsch, nicht wahr? Hier erkennt man auch leicht, dass tatsächlich (±(2 − i)) = 3 − 4 i
gilt.
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18
Beispiel 5. Finde alle Lösungen der Gleichung z4 = − i .
Durch die Substitution z2 = w bringen wir die Gleichung zunächst auf die bekannte Form
w2 = − i, die wir durch Einsetzen von a = 0 und b = −1 (also ε = −1) in die “WurzelFormel” leicht lösen können:
q √
q√
√
1+0
1−0
√1 − √1 i .
w = −i = ±
−
i
=
±
2
2
2
2
Die Rücksubstitution w = z2 führt auf zwei Gleichungen, nämlich
z2 =
√1
2
−
√1
2
i
Um die erste Gleichung zu lösen ist a =
a2 + b2 =
1
2
+
1
2
= 1 und
√1
2
√
=
2
2
z2 = − √1 +
und
√1
2
2
√1
2
i.
= −b einzusetzen. Beachtet man, dass dann
ist, so ergibt sich nach kurzer Umformung (ÜA)
√
z1,2 = ±
√
2+ 2
2
√
−
√
2− 2
2
i
.
Ebenso erhält man für die Lösungen der zweiten Gleichung
√ √
√ √ 2− 2
z3,4 = ±
+ 22+ 2 i ,
2
womit wir vier verschiedene Lösungen von z4 = − i kennen. Nun kann aber das Polynom
f (z) = z4 + i maximal vier verschiedene Nullstellen besitzen (siehe Folgerung in 4.3), d.h.
wir haben bereits alle Lösungen der Gleichung z4 + i = 0 bzw. z4 = − i gefunden.
Dieses war nun keine schwere, aber doch eine recht aufwändige Rechnung. Etwas weiter unten
lernen wir eine viel elegantere Methode zur Bestimmung von (n-ten) Wurzeln kennen, mit Hilfe
der Polarform komplexer Zahlen. Diese liefert zudem eine einfache geometrische Erklärung für
das Ergebnis der folgenden
Aufgabe. Stelle die vier Lösungen obiger Gleichung zeichnerisch dar. Was fällt auf?
4.2
Quadratische Gleichungen in C
Die Existenz der komplexen Quadratwurzel versetzt uns nicht nur in die Lage, die rein quadratisch Gleichung z2 = w lösen zu können, sondern jede quadratische Gleichung über C! Beginnen
wir zunächst mit einer quadratischen Gleichung mit reellen Koeffizienten (die man wegen R ⊂ C
natürlich auch als komplex auffassen kann), die über R keine Lösungen besitzt.
Beispiel 1. Löse die Gleichung
x2 − 2x + 2 = 0
über C.
Wir wenden wie gewohnt die “Mitternachtsformel” an:
p
√
2 ± (−2)2 − 4 · 2
2 ± −4
x1,2 =
=
.
2
2
Wegen dem negativen
Radikanden wäre die Lösungsmenge
√
√ über R leer, aber über C erhalten wir wegen −4 = ±2 i (welches Vorzeichen wir bei −4 verwenden ist egal, da in der
Formel sowieso ein ± davor steht) die zwei Lösungen
x1,2 =
2±2i
= 1± i .
2
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19
Diese Lösungsformel gilt auch für nicht-reelle Koeffizienten.
Satz.
az2 + bz + c = 0 mit a, b, c ∈ C besitzt die Lösungen
√
−b ± b2 − 4ac
z1,2 =
.
2a
Die quadratische Gleichung
Hier ist unter
√
b2 − 4ac eine der oben konstruierten komplexen Wurzeln zu verstehen.
Beweis. Entweder verifiziert man direkt durch Einsetzen, dass z1,2 Lösungen der quadratischen
Gleichung sind (ÜA), oder man leitet diese Formel her. Dies funktioniert wortwörtlich wie in R
durch quadratisches Ergänzen. Es ist
b 2
az2 + bz + c = a z2 + ba z + c = a z2 + ba z + ( 2a
) − ( 2ab )2 + c
= a (z +
b 2
2a )
−
b2
4a2
+c = a z+
b 2
2a
−
b2
4a
+c .
Damit verwandelt sich die Gleichung az2 + bz + c = 0 in
a z+
b 2
2a
=
b2
4a
−c
bzw.
z+
b 2
2a
=
b2 −4ac
4a2
,
und Ziehen der komplexen Wurzel liefert7
z+
Beispiel 2. Löse
b
2a
√
=±
b2 −4ac
2a
,
also
z1,2 =
√
−b± b2 −4ac
2a
.
z2 − 2z − 2 + 4 i = 0.
Wir wenden die eben gefundene Lösungsformel an:
p
√
2 ± (−2)2 − 4(−2 + 4 i)
2 ± 12 − 16 i
z1,2 =
=
2
2
√
Als eine der Wurzeln 12 − 16 i erhält man 4 − 2 i durch Einsetzen in die Formeln aus 4.1
(ÜA), so dass sich insgesamt ergibt
z1,2 =
2 ± (4 − 2 i)
= 1 ± (2 − i) ,
2
also
L = { 3 − i ; −1 + i } .
Anders ausgedrückt bedeutet die Lösbarkeit quadratischer Gleichungen über C, dass – im krassen
Gegensatz zum Reellen – jedes komplexe Polynom vom Grad 2 mindestens eine Nullstelle besitzt. Dass
dies nicht nur für den Grad 2, sondern ganz allgemein gilt, sehen wir im nächsten Abschnitt.
4.3
Der Fundamentalsatz der Algebra
Das Polynom f (z) = z2 + 1 besitzt in C zwei Nullstellen, nämlich ± i, und lässt sich damit in
(komplexe) Linearfaktoren aufspalten
f ( z ) = z2 + 1 = ( z − i) · ( z + i) .
Gerade eben haben wir gesehen, dass dies sogar für jedes komplexe Polynom 2. Grades möglich
√
ist. Wie steht es aber mit komplizierteren Polynomen wie z.B. f (z) = i z5 − 2z3 + (2 − i)z2 + 2.
Besitzen vielleicht auch sie stets komplexe Nullstellen? Die Antwort lautet immer: JA!
√
hatten wir w als Symbol für beide Lösungen von z2 = w definiert; um jedoch das gewohnte ± in der
Mitternachtsformel zu erhalten, wählen wir hier eine der Lösungen aus und schreiben das ± explizit davor.
7 Oben
COMPLEXE Z AHLEN
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20
Der Körper C hat die wunderbare Eigenschaft algebraisch abgeschlossen zu sein, was bedeutet,
dass jedes komplexe Polynom (mindestens) eine Nullstelle in C besitzt ! Dies ist der Inhalt des folgenden
berühmten Theorems.
Fundamentalsatz der Algebra. Jede Gleichung mit komplexen Koeffizienten ai ∈ C der Form
a n z n + a n −1 z n −1 + . . . + a 1 z + a 0 = 0
besitzt in C mindestens eine Lösung.
Beachte: Der Fundamentalsatz ist ein reiner Existenzsatz, d.h. er sagt uns nicht, wie die Nullstellen
konkret aussehen (z.B. durch eine allgemeine Lösungsformel8 ), sondern nur dass es stets welche
gibt. Für viele mathematische Anwendung ist aber bereits diese Existenz ein großer Gewinn.
Ein Beweis des Fundamentalsatzes liegt leider weit außerhalb unserer Reichweite. Alle großen
Mathematiker des 18. Jahrhunderts versuchten sich daran, doch fehlerfreie Beweise gelangen erstmals L APLACE (1795) und G AUß (1799). Heutzutage sind weit mehr als ein Dutzend verschiedene
Beweise des Fundamentalsatzes bekannt, die aber interessanterweise allesamt Hilfsmittel aus der
Analysis verwenden (obwohl es sich um eine rein algebraische Aussage handelt). Besonders elegant lässt sich der Fundamentalsatz mit Mitteln der Funktionentheorie beweisen, d.h. dem Studium
sogenannter holomorpher Funktionen f : C → C.
Folgerung. Jedes komplexe Polynom zerfällt über C in Linearfaktoren.
Beweis. Sei f (z) = zn + an−1 zn−1 + . . . + a1 z + a0 (es genügt, den Fall an = 1 zu betrachten). Nach
dem Fundamentalsatz gibt es eine Lösung z1 der Gleichung f (z) = 0, d.h. eine Nullstelle von f .
Durch Polynomdivison (die wortwörtlich wie bei reellen Polynomen funktioniert) erhält man die
Darstellung
f ( z ) = ( z − z1 ) · g ( z ) ,
wobei g ein Polynom vom Grad n − 1 ist, welches (für n ≥ 2) selbst wieder eine Nullstelle z2
besitzt. Erneute Polynomdivision liefert g(z) = (z − z2 ) · h(z) mit grad(h) = n − 2, d.h.
f ( z ) = ( z − z1 ) · ( z − z2 ) · h ( z ) .
Dieses Verfahren lässt sich genau n-mal anwenden, da f ein Polynom vom Grad n ist. Am Ende
erhält man die behauptete Linearfaktorzerlegung
n
f ( z ) = ( z − z1 ) · ( z − z2 ) · . . . · ( z − z n ) =
∏ ( z − zi ) ,
i =1
in welcher die zi natürlich nicht notwendigerweise verschieden sein müssen.
4.4
Anwendung auf reelle Polynome
Als kleine Anwendung wollen wir ein interessantes Resultat über reelle Polynome beweisen, welches ohne den “Umweg” übers Komplexe zunächst nur schwer einzusehen wäre.
Satz.
Ein Polynom mit reellen Koeffizienten lässt sich faktorisieren in Polynome vom Grad ≤ 2.
Für Polynome dritten Grades, wie etwa f ( x ) = x3 − 2x2 + 2x − 1 ist dies klar: Aufgrund ihres
Globalverlaufs müssen sie mindestens eine Nullstelle besitzen, im obigen Fall x = 1, und Polynomdivision liefert
f ( x ) = ( x 2 − x + 1) · ( x − 1) ,
8 die
es für n ≥ 5 überhaupt nicht geben kann, was N. H. A BEL 1824 bewies.
COMPLEXE Z AHLEN
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21
also eine Faktorisierung von f in ein Polynom zweiten Grades (welches in diesem Beispiel keine
Nullstellen mehr hat) und einen Linearfaktor. Aber wie steht es mit Polynomen vierten Grades,
wie z.B. g( x ) = x4 − 2x2 + 2x + 4? Dieses besitzt keine Nullstelle, enthält also keinen reellen Linearfaktor, und es ist alles andere als klar, dass man g( x ) als Produkt zweier Polynome vom Grad
2 darstellen kann.
Zum Beweis des Satzes benötigen wir einen Hilfssatz (“Lemma”), welcher auch für sich genommen interessant ist. Wir wollen ihn zuerst am Beispiel von f ( x ) = 12 x2 − x + 2 motivieren. Die
Nullstellen von f berechnen sich nach der Mitternachtsformel zu
√
√
√
1± (−1)2 −4 · 12 ·2
=
1
±
−
3
=
1
±
3i .
x1,2 =
1
2·
2
f besitzt somit zwar keine reellen, dafür aber zwei komplexe Nullstellen (was nach dem Fundamentalsatz bzw. 4.2 ja auch so sein muss), welche wegen x1 = x2 sogar komplex konjugiert
zueinander sind. Dass dies immer so sein muss, zeigt das folgende
Lemma. Sei f ein reelles Polynom, das eine komplexe Nullstelle z ∈ C\R besitzt. Dann ist automatisch auch z eine Nullstelle von f . Nicht-reelle Nullstellen reellwertiger Polynome treten also
immer in komplex-konjugierten Paaren auf.
n
Beweis. Es sei f ( x ) = an x n + an−1 x n−1 + . . . + a1 x + a0 = ∑ ak x k und z eine Nullstelle von f , d.h.
k =0
f (z) = 0. Wir rechnen nach, dass dann auch f (z) = 0 sein muss. Dabei verwenden wir
(1) ak = ak , denn die ak sind reell.
(2) z · w = z · w, insbesondere zk = z · . . . · z = zk
(Verträglichkeit der Konjugation mit · )
(3) z1 + . . . + zn = z1 + . . . + zn ; kurz: ∑ zk = ∑ zk
k
(Verträglichkeit der Konjugation mit + )
k
Damit folgt nun ohne Probleme die Behauptung, denn
f (z) =
∑ ak z k
k
(2)
=
∑ ak zk
(1)
=
k
∑ ak zk
k
(2)
=
∑ ak zk
k
(3)
=
∑ ak zk =
f (z) = 0 = 0 .
k
Wer mit der Σ-Notation noch Schwierigkeiten hat, sollte sich diese Schritte nochmals ganz ausführlich in der an x n + . . . + a1 x + a0 -Schreibweise notieren.
Nun zum Beweis des Satzes. Nach dem Fundamentalsatz bzw. der Folgerung daraus besitzt f
über C genau n Nullstellen. Seien x1 , . . . , xk die reellen und zk+1 , . . . , zn die nicht-reellen Nullstellen (falls keine reellen existieren, ist k = 0). Die Linearfaktorzerlegung von f lautet damit
k
f ( x ) = an
∏ ( x − xi ) ·
i =1
n
∏
( x − zi ) .
i = k +1
Nach dem Lemma treten die zi jedoch immer in komplex-konjugierten Paaren auf, d.h. in dem
zweiten Produkt kommen nach Umsortieren immer Paare der Form ( x − zi ) · ( x − zi ) vor. Ausmultiplizieren liefert
( x − zi ) · ( x − zi ) = x2 − (zi + zi ) x + zi · zi = x2 − 2 Re zi x + |zi |2 ,
und da Re zi und |zi |2 reell sind, ist ( x − zi ) · ( x − zi ) stets ein Polynom zweiten Grades mit reellen
Koeffizienten. Somit lässt sich f tatsächlich in reelle Polynome vom Grad ≤ 2 faktorisieren.
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5
22
Polarform komplexer Zahlen
Dies ist das für Anwendungen bedeutsamste Kapitel, da wir hier eine einfach handhabbare Darstellung komplexer Zahlen kennen lernen. Diese wird uns ein geometrisches Verständnis der komplexen Multiplikation eröffnen, was uns eine simple Formel für n-te komplexe Wurzeln liefern
wird.
5.1
Polarkoordinaten
Einen Pfeil z in der Gaußschen Zahlenebene kann
man nicht nur durch die x- und y-Koordinaten seines
Endpunktes charakterisieren. Wie sich rechts erkennen lässt, kann man die Lage von z 6= 0 ebenso eindeutig angeben durch seine Länge r = |z| sowie den
Winkel ϕ, den z mit der x-Achse einschließt. Das Paar
(r, ϕ) nennt man die Polarkoordinaten von z ∈ C.
Der Null kann man offenbar keinen eindeutigen Winkel zuordnen.
Der Zusammenhang zwischen der Polardarstellung und der bisherigen Form z = a + b i ist dem
Bild leicht zu entnehmen, denn für den Realteil a und den Imaginärteil b gilt
a = r cos ϕ
und
b = r sin ϕ .
Beachte: Dies gilt auch für ϕ > π2 , d.h. wenn der Pfeil nicht im ersten Quadranten liegt. Sinus oder
Kosinus sind dann ggf. eben negativ. Ob man den Winkel ϕ im Grad- oder Bogenmaß angibt, ist
Geschmackssache. Wir werden meistens das Bogenmaß verwenden und vereinbaren zudem, dass
ϕ ∈ [ 0; 2π ) sein soll.
Es folgt
z = a + b i = r (cos ϕ + i sin ϕ)
Weil “sin ϕ i ” komisch aussieht (und man hier eigentlich Klammern um das ϕ machen müsste),
schreiben wir in der Polarform das i stets vor den Sinus.
Beispiel 1. Welche komplexe Zahl wird durch die Polarkoordinaten (2, π3 ) beschrieben?
z = 2(cos π3 + i sin π3 ) = 2( 12 +
√
3
2
i) = 1 +
√
3i
√
2 + 2 i in Polarform um!
p√
√
Zunächst ist r = |z| =
2 2 + 2 2 = 2. Um den Winkel ϕ – manchmal auch als Argument
von z bezeichnet – zu bestimmen, beachten wir, dass
Beispiel 2. Wandle z =
√
tan ϕ =
b
Im z
=
Re z
a
√
gilt. Hier ist also tan ϕ = √2 = 1, was ϕ = π4 (45◦ ) liefert. Allerdings ist auch π4 + π = 5π
4
2
eine Lösung von tan ϕ = 1, die in [ 0; 2π ) liegt,
da
der
Tangens
eine
Periode
von
π
besitzt.
√
√
Nun erkennt man an der Darstellung z = 2 + 2 i sofort, dass z im ersten Quadranten
liegt (wegen Re z > 0 und Im z > 0), also ist ϕ = π4 der gesuchte Winkel. Somit gilt
z=
√
2+
√
2 i = 2(cos π4 + i sin π4 ) .
COMPLEXE Z AHLEN
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23
√
Beispiel 3. Dasselbe für z = 3 − 3 i .
q
√
√
√
Betrag von z: r = |z| = 32 + (− 3)2 = 12 = 2 3. Argument von z:
b
a
tan ϕ =
=
√
− 3
3
ϕ1 = tan−1 (−
=⇒
√
3
3 )
= − π6
(−30◦ ) .
11π
Wegen ϕ1 ∈
/ [ 0; 2π ) betrachten wir ϕ2 = ϕ1 + π = 5π
6 und ϕ3 = ϕ1 + 2π = 6 . Wegen
Re z > 0 und Im z < 0 liegt z im 4. Quadranten, d.h. ϕ3 ist der korrekte Winkel. Damit ergibt
√
√
sich
11π
z = 3 − 3 i = 2 3 (cos 11π
6 + i sin 6 ) .
Was aber bringt das Ganze? Die Polarform sieht doch ehrlich gesagt viel umständlicher aus als
die a + b i-Darstellung. Die alles entscheidende Einsicht bringt uns mal wieder der große E ULER !
5.2
Exkurs: Die eulersche Zahl e
Um E ULERs berühmte Identität verstehen zu können, müssen wir einen kurzen Ausflug in die
Analysis machen, um Bekanntschaft mit der Zahl e sowie der e-Funktion zu schließen.
Die eulersche Zahl ist definiert als der Grenzwert der unendlichen Reihe
∞
e :=
1
.
n!
n =0
∑
Zur Erinnerung: Das bedeutet, dass die Folge (Sn )n∈N der Partialsummen, in diesem Falle
S0 =
1
0!
=1
S1 =
1
0!
+
1
1!
= 1+1 = 2
S2 =
1
0!
+
1
1!
+
1
2!
= 1+1+
S3 =
1
0!
+
1
1!
+
1
2!
+
1
3!
= 1+1+
S4 =
1
0!
+
1
1!
+
1
2!
+
1
3!
+
1
4!
1
2 ·1
= 2,5
1
2 ·1
+
= 1+1+
1
3 ·2 ·1
1
2 ·1
+
= 2,6
1
3 ·2 ·1
+
1
4 ·3 ·2 ·1
= 2,7083
...
gegen eine Zahl konvergiert, die wir e nennen. Berechnet man S6 , so erhält man bereits die ersten
drei korrekten Nachkommastellen von e:
e ≈ 2,718 .
Euler selbst bewies, dass e irrational ist. Eine weitere Darstellung bzw. Definition von e ist der
Grenzwert
1 n
e := lim 1 +
.
n→∞
n
Berechnet man mit dem Taschenrechner das millionste Folgenglied, so erhält man die ersten fünf
korrekten Nachkommastellen: e ≈ 2,71828.
Die e-Funktion definieren wir durch eine Potenzreihendarstellung (wie man auf diese kommt, können
wir hier nicht darstellen)
e x :=
∞
∑
n =0
1 n
x = 1 + x + 12 x2 + 61 x3 +
n!
1
24
x4 +
1
120
x5 + . . .
Man kann zeigen, dass diese Reihe für jedes x ∈ R, das man einsetzt, konvergiert. Das Schaubild
der Funktion e x : R → R, die man auf diese Weise erhält, sieht genau so aus, wie es sich für eine
Exponentialfunktion (wie z.B. 3x ) gehört. Plottet man das Näherungs-Polynom
f ( x ) = 1 + x + 21 x2 + 16 x3 +
1
24
x4 +
1
120
x5 ,
so sieht es für x > −1 schon ziemlich genau wie eine Exponentialfunktion aus.
COMPLEXE Z AHLEN
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24
Desweiteren kann man zeigen, dass die e-Funktion zwei ganz wichtigen Regeln gehorcht, nämlich
(1)
e x +y = e x · ey
(2)
(e x )0 = e x ,
(“Funktionalgleichung” bzw. Additionstheorem)
d.h. die e-Funktion bleibt beim Ableiten unverändert!
Es stellt sich heraus, dass sie deshalb perfekt geeignet ist, um Wachstums- und Zerfallsprozesse
zu beschreiben, was die e-Funktion in Mathematik und Naturwissenschaft unentbehrlich macht.
∗ Aufgabe.
Gehe wie folgt vor, um eine erste Idee von der Gültigkeit des Additionstheorems zu bekommen: Multipliziere die ersten 4 Terme der Reihe von e x mit den ersten 4 Termen der ey -Reihe und vergleiche
das Resultat mit den Anfangstermen der Potenzreihe von e x+y . (Tipp: Binomische Formeln!)
Jetzt sind wir fast gewappnet, um Eulers Identität zu begegnen. Vorher müssen wir aber noch
einen Blick auf die Potenzreihen von Sinus und Kosinus werfen, die da lauten
∞
cos x =
∑
(−1)n
(2n)!
∑
(−1)n
(2n+1)!
n =0
∞
sin x =
n =0
x2n = 1 − 21 x2 +
1
24
x4 − . . .
x2n+1 = x − 16 x3 +
1
120
x5 − . . .
Aufgabe. Plotte ein Näherungs-Polynom für cos x (mindestens bis zum x6 -Term) und überzeuge
dich, dass es für −π < x < π bereits ziemlich gut mit der cos-Funktion übereinstimmt. Dasselbe
für sin x, hier mindestens bis zum x7 -Term.
Berechne Näherungswerte für cos π4 und sin π2 durch Einsetzen in die Näherungspolynome.
5.3
Eulers Identität
Die Potenzreihe der e-Funktion konvergiert nicht nur für jede reelle Zahl, sondern sogar für jede
komplexe Zahl, d.h. durch
∞
1 n
ez := ∑
z
n=0 n!
wird eine Funktion C → C definiert, komplexe e-Funktion genannt. Setzt man für z eine rein imaginäre Zahl ein, z = ϕ i mit ϕ ∈ R, passiert etwas Wunderbares:
eϕ i =
∞
∑
n =0
1
n!
( ϕ i) n =
∞
∑
n =0
1
n!
ϕ n in =
∑
1
n!
ϕ n in +
n gerade
∑
1
n!
ϕ n in ,
n ungerade
wobei wir einfach mal ganz frech so tun, als dürfe man unendliche Reihen so umsortieren9 , wie
hier geschehen, d.h. Zerlegen in gerade (einschließlich 0) und ungerade Potenzen.
Nun lässt sich jede gerade natürliche Zahl als n = 2k mit k ∈ N und jede ungerade natürliche
Zahl als n = 2k + 1 mit k ∈ N darstellen. Beachten wir nun noch, dass
i2k = (i2 )k = (−1)k
und
i2k+1 = i2k · i = (−1)k i
gilt, so ergibt sich
eϕ i =
∞
∑
k =0
1
(2k)!
ϕ2k i2k +
∞
∑
k =0
1
(2k+1)!
ϕ2k+1 i2k+1 =
∞
∑
k =0
(−1)k
(2k)!
∞
ϕ2k + i ∑
k =0
(−1)k
(2k+1)!
ϕ2k+1 ,
wobei im letzten Schritt das i vor die Reihe gezogen wurde. Hoppla, da stehen ja plötzlich die
Potenzreihen von Kosinus und Sinus, d.h. wir haben soeben Eulers Identität “bewiesen”:
9 Damit
eϕ i
= cos ϕ + i sin ϕ .
dies tatsächlich erlaubt ist, muss man eine verschärfte Konvergenzbedingung an die Reihe stellen, welche
die Exponentialreihe allerdings erfüllt.
COMPLEXE Z AHLEN
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25
Als einfache Folgerung aus dieser Beziehung erhalten wir ein besonderes Schmankerl, wenn wir
ϕ = π einsetzen:
eπ i = cos π + i sin π = −1 + 0 i
Drei der wichtigsten Zahlen der Mathematik, nämlich e, π und i (die ersten beiden sind irrational,
ja sogar transzendent10 und die dritte ist gar nicht mehr reell) hängen also auf verblüffend einfache Weise zusammen!
e π i = −1
Die große Bedeutung der eulerschen Identität liegt für uns nun darin, dass durch sie die Polarform
komplexer Zahlen eine äußerst kompakte und leicht handhabbare Gestalt annimmt:
r (cos ϕ + i sin ϕ) = r e ϕ i ,
z.B. ist die Polarform von
√
2+
√
π i
2 i einfach 2 e 4
(vergleiche Beispiel 2 weiter oben).
Aufgrund des Additionstheorems, das auch für die komplexe e-Funktion gilt, erhält die Multiplikation zweier komplexer Zahlen z = r e ϕ i und w = s eθ i eine einfache geometrische Interpretation. Es gilt
!
z · w = r e ϕ i · s eθ i = rs e ϕ i · eθ i = rs e ϕ i+θ i = rs e( ϕ+θ ) i ,
d.h. komplexe Zahlen (in Polarform) werden multipliziert, indem man ihre Beträge multipliziert und ihre Winkel addiert.
Beispiel 1. Welche geometrische Bedeutung besitzt die Abbildung “Multiplikation mit i”
C → C,
Da das Argument von i offenbar
π i
2
π
2
z 7→ z · i ?
(also 90◦ ) ist, und | i | =
√
02 + 12 = 1 gilt, lautet die
ϕi
Polarform von i einfach e . Für jedes z = r e ist dann
ϕi
π i
z· i = re ·e2 = re
( ϕ+ π
2 )i
.
Die Multiplikation mit i dreht einen komplexen Zeiger also um 90◦ im Gegenuhrzeigersinn,
ohne aber seine Länge zu verändern.
Beispiel 2. Begründe die Formel von D E M OIVRE
(cos ϕ + i sin
ϕ)n
= cos nϕ + i sin nϕ .
Mit Eulers Identität ist das ein Kinderspiel, denn
(cos ϕ + i sin ϕ)n = (e ϕ i )n = enϕ i = cos nϕ + i sin nϕ ,
wobei im zweiten Schritt das Additionstheorem der komplexen e-Funktion (n − 1)-mal eingeht:
(e ϕ i )n = e ϕ i · . . . · e ϕ i = e ϕ i+...+ ϕ i = enϕ i .
kein rationales Polynom f ( x ) = an x n√
+ . . . + a1 x + a0 , ai ∈ Q, n ∈ N besitzt π oder e als Nullstelle. Dies ist
eine viel stärkere Forderung als Irrationalität: 2 z.B. ist irrational, aber nicht transzendent, denn es ist Nullstelle von
f ( x ) = x2 − 2. Die Transzendenz von π oder e ist sehr schwer zu beweisen!
10 D.h.
COMPLEXE Z AHLEN
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26
Für n = 2 ergibt sich eine interessante Folgerung, wenn man das Binom ausführt und dann
dem Ergebnis der DeMoivre-Formel gegenüberstellt:
!
(cos ϕ + i sin ϕ)2 = cos2 ϕ + 2i cos ϕ sin ϕ − sin2 ϕ = cos 2ϕ + i sin 2ϕ .
Ein Vergleich von Real- und Imaginärteil liefert die wohlbekannten Doppelwinkelformeln
für Sinus und Kosinus (für deren Beweis im Reellen man etwas tiefer in die trigonometrische
Trickkiste greifen muss), nämlich
sin 2ϕ = 2 cos ϕ sin ϕ
Aufgabe. Zeige:
5.4
und
cos 2ϕ = cos2 ϕ − sin2 ϕ .
sin 3ϕ = − sin3 ϕ + 3 cos2 ϕ sin ϕ , sowie cos 3ϕ = cos3 ϕ − 3 cos ϕ sin2 ϕ .
Komplexes Wurzelziehen leicht gemacht
In Abschnitt 4.1 mussten wir einen ziemlichen Aufwand betreiben, um die Quadratwurzeln einer komplexen Zahl zu berechnen. Mit Hilfe von Eulers Identität bzw. der Polardarstellung in
e-Gestalt können wir jetzt mit Leichtigkeit nicht nur Quadrat- sondern sogar beliebige n-te Wurzeln aus komplexen Zahlen ziehen.
Beginnen wir mit der Gleichung z3 = 1 , d.h. mit dem Finden aller dritten Wurzeln der Zahl 1
in C. Natürlich ist 1 eine solche Zahl, aber im Unterschied zu R gibt es noch weitere! Ist z = r e ϕ i ,
dann gilt
z3 = (r e ϕ i )3 = r3 e3ϕ i ,
!
d.h. beim Potenzieren mit 3 wird der Winkel von z verdreifacht. Wenn das Ergebnis nun 1 = e2π i
sein soll, dann folgt
√
3
◦
r= 1=1
und
ϕ1 = 2π
3 = 120 .
◦
Aber auch für ϕ2 = 4π
3 = 240 erhält man eine weitere komplexe Zahl, deren Winkel beim Poten◦
zieren mit 3 den Wert 3 · 240 = 720◦ hat und damit auf die reelle Achse führt (da 720◦ = 2 · 360◦
ist). Somit haben wir drei verschiedene Lösungen von z3 = 1 gefunden,
ζ1 = e
2π i
3
,
ζ2 = e
4π i
3
,
ζ3 = e
6π i
3
=1,
welche man als dritte Einheitswurzeln bezeichnet. Beachte: ζ 2 = ζ 12 und ζ 3 = ζ 13 = 1.
Da die Argumente der dritten Einheitswurzeln sich jeweils um 120◦
unterscheiden, bilden sie die Eckpunkte eines regelmäßigen, d.h.
gleichseitigen Dreiecks. Mit Hilfe der simplen Gleichung z3 = 1
lässt sich also ein gleichseitiges Dreieck in der komplexen Zahlenebene beschreiben. Diese Erkenntnisse können wir nun leicht auf
jedes n ∈ N erweitern.
Satz.
Die Gleichung zn = 1 , n ∈ N, besitzt in C genau die n Lösungen
ζk = e
k 2π
n i
2π
= cos(k 2π
n ) + i sin( k n ) ,
k ∈ { 1, . . . , n } .
Man nennt sie die n-ten Einheitswurzeln. In der komplexen Zahlenebene bilden sie die Eckpunkte eines regelmäßigen n-Ecks, denn es gilt ζ k = ζ 1k .
COMPLEXE Z AHLEN
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27
Beweis. Zunächst ist jedes ζ k Lösung der Gleichung zn = 1, denn für alle k ∈ { 1, . . . , n } gilt
k 2π i n
k
n ·k 2π i
ζ kn = e n
= e n = ek2π i = e2π i = 1k = 1 .
Hierbei wurde das “Potenzgesetz” (ez )m = em ·z (m ∈ N, z ∈ C) verwendet, das sich leicht aus
dem Additionstheorem der komplexen e-Funktion ableiten lässt (vgl. Bsp. 2 oben).
Alle ζ k sind offensichtlich verschieden, denn jedes besitzt einen anderen Winkel k 2π
n ∈ [ 0; 2π ).
Somit haben wir n verschiedene Lösungen von zn = 1 gefunden und mehr kann es nicht geben,
weil das Polynom zn − 1 maximal n verschiedene Nullstellen besitzt.
Abschließend ist
ζ 1k = e
2π i
n
k
=e
k 2π
n i
= ζk .
Daher entsteht ζ 2 = ζ 12 durch Multiplikation von ζ 1 mit sich selbst, was geometrisch der Drehung
3
von ζ 1 um ϕ = 2π
n entspricht; ζ 3 = ζ 1 wiederum entsteht aus ζ 1 durch Rotation um 2ϕ usw. Also
bilden die n-ten Einheitswurzeln die Eckpunkte eines regelmäßigen n-Ecks.
Aufgabe 1. Gib die fünften Einheitswurzeln an und stelle sie zeichnerisch dar.
Beispiel 1. Finde erneut alle Lösungen von z4 = − i (vergleiche Beispiel 5 in 4.1).
Dies lässt sich nun erheblich eleganter als mit der Wurzel-Methode aus 4.1 bewerkstelligen.
3π i
3π i
3π i
Es ist − i = e 2 und eine Lösung der Gleichung z4 = e 2 ist w = e 8 , denn es gilt ja
3π i 3π i
4
= e 2 = − i.
e8
Um alle vier Lösungen zu erhalten, muss man lediglich noch w mit den vierten Einheitswurzeln ζ k = e
k 2π i
4
, k ∈ { 1, . . . , 4 }, multiplizieren, denn dann ist
(ζ k w)4 = ζ k4 · w4 = 1 · w4 = − i .
Somit lauten alle Lösungen obiger Gleichung
z1 = ζ 1 w = e
z2 = ζ 2 w = e
z3 = ζ 3 w = e
2π i
4
4π i
4
6π i
4
·e
·e
·e
3π i
8
3π i
8
3π i
8
z4 = ζ 4 w = 1 · w = e
=e
=e
=e
3π i
8
7π i
8
11π i
8
15π i
8
7π
= cos 7π
8 + i sin 8
11π
= cos 11π
8 + i sin 8
15π
= cos 15π
8 + i sin 8
3π
= cos 3π
8 + i sin 8 .
Rechts ist die Geometrie der Lösungsmenge dargestellt. Durch Multiplikation mit w = e3π/8 i wird das
regelmäßige Viereck, d.h. Quadrat, der vierten Ein◦
heitswurzeln ζ 1 , . . . , ζ 4 um 3π
8 = 67, 5 im Gegenuhrzeigersinn gedreht. Wegen |w| = 1 bleiben seine Seitenlängen aber erhalten.
Stellen wir diese “trigonometrischen Lösungen” einmal den “algebraischen Lösungen” aus
4.1 gegenüber. Ein Vergleich der Lösungen im ersten Quadranten (also derjenigen mit positivem Real- und Imaginärteil) liefert z.B. eine interessante exakte Darstellung des Sinus◦
und Kosinuswertes von 3π
8 = 67, 5 :
√
cos 3π
8 =
√
2− 2
2
√
und
sin 3π
8 =
√
2+ 2
2
.
Das Vorgehen des letzten Beispiels halten wir zum Abschluss allgemein fest.
COMPLEXE Z AHLEN
Mathe-AG / Glosauer
Korollar.11
28
Die Gleichung zn = c besitzt für jedes c ∈ C \{0} genau n Lösungen.
Beweis. Wir geben die n verschiedenen Lösungen explizit an. Sei c = r e ϕ i ; dann ist
w=
√
n
ϕ
r en
i
ϕ
√
n· i
sicher eine Lösung obiger Gleichung, denn wn = n r n e n = r e ϕ i = c. Um alle Lösungen zu
erhalten, multiplizieren wir dieses w mit den n-ten Einheitswurzeln ζ k , k ∈ { 1, . . . , n }. Wegen
(ζ k w)n = ζ kn · wn = 1 · wn = c sind damit
zk = ζ k w = e
k 2π
n i
·
√
n
ϕ
i
r en =
√
n
re
ϕ+2kπ
i
n
;
k ∈ { 1, . . . , n }
die n (offensichtlich) verschiedenen Lösungen der Gleichung zn = c.
Jedes c = r e ϕ i 6= 0 besitzt in C somit genau n verschiedene n-te Wurzeln. Mit Eulers Identität
erhalten diese übrigens die Gestalt
√ ϕ+2kπ
ϕ+2kπ
zk = n r cos( n ) + i sin( n ) ; k ∈ { 1, . . . , n } .
In der komplexen Zahlenebene bilden diese zk ein regelmäßiges
n-Eck, das im Vergleich zum
√
ϕ
Einheitswurzel-n-Eck um n rotiert und mit dem Faktor n r gestreckt bzw. gestaucht wurde.
Aufgabe 2. Finde alle Lösungen von
z6 =
1√
+i
2
und stelle sie zeichnerisch dar.
Ja Moment mal, und was ist mit der gewöhnlichen Quadratwurzel? Ganz einfach, wir müssen
oben lediglich n = 2 einsetzen. Demnach sind
√
√ ϕ+2π
ϕ
ϕ+2π
ϕ
z1 = r cos( 2 ) + i sin( 2 ) = r cos( 2 + π ) + i sin( 2 + π )
und
z2 =
√
√ ϕ+4π
ϕ+4π
r cos( 2 ) + i sin( 2 ) = r cos
ϕ
2
+ i sin
ϕ
2
die beiden komplexen Quadratwurzeln von c = r e ϕ i (beim letzten Gleichheitszeichen geht die
2π-Periodizität ein, d.h. cos( x + 2π ) = cos( x ) sowie sin( x + 2π ) = sin( x )).
Beispiel 2. Bestimme die Quadratwurzeln von 3 − 4 i (vergleiche Beispiel 4 in 4.1).
Die Polarform von 3 − 4 i ist 5 e ϕ i mit ϕ = tan−1 ( −34 ) ≈ 306, 9◦ (bzw. −53, 1◦ , aber wir hatten
ϕ ∈ [ 0; 360◦ ) vereinbart). Damit sind die beiden Quadratwurzeln aus dieser Zahl
z1 =
√
TR
ϕ
ϕ
5 cos( 2 + π ) + i sin( 2 + π ) = 2 − i
und
z2 =
√
5 cos
ϕ
2
+ i sin
ϕ TR
2 =
−2 + i .
Der Vorteil an diesem Lösungsweg ist, dass man sich die trigonometrische Form der Wurzel
wohl leichter merken (bzw. selber herleiten) kann, als die Wurzelausdrücke von 4.1.
Der Nachteil ist jedoch, dass man hier ohne Taschenrechner nicht weit kommt; allerdings
kann man sich die Rechnung für z2 sparen, da natürlich z2 = −z1 sein muss. (Der abstrakte
Grund hierfür ist übrigens die Tatsache, dass ζ 1 = eπ i = −1 ist.)
11 So
bezeichnet der Mathematiker eine Aussage, die sich aus einem bereits bewiesenen Satz leicht folgern lässt.
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