§5 - Zahlen Ein zentrales Thema in der Mathematik sind die Zahlen. Wer sich noch an seine Schulzeit erinnert, weiß auch, dass immer wieder Probleme aufgetaucht sind, die es nötigt machten, neue Zahlenmengen einzuführen. In diesem Kapitel soll diese Entwicklung wiederholt werden, um abermals an die Grenzen des bisher Berechenbaren zu stoßen, nur um diese Grenze abermals zu überwinden. Beginnen wir mit den natürlichen Zahlen... Definition 5.1 (natürliche Zahlen) Dies ist zwar durchaus keine formal saubere Definition, doch sollte sie an dieser Stelle genügen. Die natürliche Zahlen sind eine wichtige mathematische Menge, schließlich reichen sie in vielen Situationen des Lebens aus. Die Anzahl von Objekten beispielsweise lässt sich mit natürlichen Zahlen problemlos darstellen. Doch führt man einige Rechenoperationen mit ihnen aus, gerät man sehr schnell an die Grenzen des machbaren: beispielsweise wäre alleine mit dieser Zahlenmenge nicht lösbar, was zur Einführung der ganzen Zahlen führt. Definition 5.2 (ganze Zahlen) Mit den ganzen Zahlen wurde die Addition und Subtraktion vollständig abgedeckt. Man sagt auch, dass die ganzen Zahlen auf Addition und Subtraktion abgeschlossen sind. Dies wird vor allem in der Linearen Algebra und anderen Teilgebieten der Mathematik von Bedeutung sein, hier jedoch soll nicht weiter darauf eingegangen werden. Viel wichtiger ist, warum es auch hier nötig ist den Zahlenbereich zu erweitern. Addiert und subtrahiert man zwei ganze Zahlen ist alles in bester Ordnung. Multipliziert man sie, bleibt man ebenfalls im Zahlenbereich. Bei der Division jedoch gerät man ganz leicht aus diesem heraus. Teilt man beispielsweise durch 2, so befindet man sich bereits außerhalb des Zahlenbereichs. Aus diesem Grund definiert man die rationalen Zahlen, die komplett als Bruch zweier ganzer Zahlen dargestellt werden können. Definition 5.3 (rationale Zahlen) Die rationalen Zahlen dagegen sind extrem wirklichkeitstauglich. Man müsste einige Zeit überlegen, bis man auch mit ihnen an die Grenzen des machbaren stößt und doch sollten die Grenzen den meisten von euch bekannt sein: Wurzeln. Zieht man die Wurzel aus 2, so lässt sich beweisen, dass das Ergebnis keine rationale Zahl sein kann. Damit führt man nicht nur einen der bekanntesten Widerspruchbeweise durch, sondern stellt abermals die Zahlenwelt auf den Kopf. Im nachfolgenden sollen die reellen Zahlen eingeführt werden, ohne sie gründlich mathematisch zu definieren. Dies sollte auch für die meisten Studiengänge problemlos genügen. Kapitel 1 - Mathematische Grundlagen Seite 1 Bemerkung 5.3 (reelle Zahlen) ℝ: Entsteht aus den rationalen Zahlen durch "Vervollständigung" Das reelle Zahlensystem gilt bis zur 13. Klasse für die meisten Schüler (zumindest jene, die einen letzten Zahlenbereich noch nicht behandelt haben) als ultimative Grundmenge für ihre Berechnungen. Jedoch lässt sich auch hier zeigen, dass es mehr als genug Möglichkeiten gibt auch diesen Zahlenbereich zu verlassen. Lässt sich die Gleichung denn ohne weiteres mit den reellen Zahlen lösen? Der Mathematiker behilft sich hier mit einer letzten Zahlenmenge: Den komplexen Zahlen. Definition 5.4 (komplexe Zahlen) ℝ und Das Verhältnis der Zahlenebenen untereinander kann anhand eines Bildes am Besten beschrieben werden: Wobei die komplexe Zahlenebene die Obermenge aller anderen Zahlenebenen darstellt. Doch kommen wir nun zum oben beschriebenen Problem zurück. Das Problem der oberen Gleichung kann mit dieser Definition gelöst werden. Aufgrund der Tatsache, dass als definiert wurde, findet sich nun eine äußert triviale Lösung: . Doch was genau ist dieses ? Definieren wir nun die Bestandteile der komplexen Zahl! Definition 5.5 (Real- und Imaginärteil) Sei eine komplexe Zahl, dann bezeichnen wir als Real- und als Imaginärteil wird als Imaginärteil der komplexen Zahl bezeichnet. Eine komplexe Zahl kann man sich relativ einfach geometrisch Vorstellen. Während natürliche, ganze, rationale und reelle Zahlen allesamt auf einem Zahlenstrahl eingetragen werden konnten, ist dies bei komplexen Zahlen nicht möglich. Abhilfe schafft ein zweiter Zahlenstrahl, der speziell für den imaginären Anteil der Zahl gedacht ist. Dies führt zu einer Koordinatensystem-Ähnlichen Struktur: Kapitel 1 - Mathematische Grundlagen Seite 2 Eine komplexe Zahl stellt dabei nicht, wie man zunächst vielleicht vermuten könnte einen Punkt in dieser Zahlenebene (Gauß'sche Zahlenebene) dar, sondern einen Vektor, der auf einen bestimmten Punkt zeigt. Wir wissen zwar nun, wie wir komplexe Zahlen darstellen können, jedoch fehlt uns eine Vorstellung der Rechenoperationen. Diese soll uns mit nachfolgenden Grundrechenarten gegeben werden. Definition 5.6 (Grundrechenarten der komplexen Zahlen) Seien und zwei komplexe Zahlen, dann gilt: i) ii) iii) iv) Zusätzlich zu den Rechenarten gibt es genau, wie bei den bisherigen Zahlen Werte, die die Operationen umkehren. additive und multiplikative Inversen genannt. Definition 5.7 (Additives und multiplikatives Inverses) Sei i) ii) eine komplexe Zahl, dann gilt (additives Inverse) (multiplikatives Inverse) Da man sich die komplexen Zahlen als ein geometrisches Gebilde vorstellen kann, ist es möglich, weitere Eigenschaften zu definieren. Zu besitzen auch sie einen Betrag, der den Abstand zum Nullpunkt darstellt und die sogenannte konjungiert komplexe Zahl, die einer Spiegelung an der Real-Achse der Gauß'schen Zahlenebene entspricht. Definition 5.8 (Die konjungiert komplexe Zahl und der Betrag) Sei i) eine komplexe Zahl, dann gilt (konjungiert komplexe Zahl) Kapitel 1 - Mathematische Grundlagen Seite 3 i) (konjungiert komplexe Zahl) ii) oder (Betrag von z) Beispiel 5.8 Sei mit |z| = = = = Sei mit |z| = = = = Sei mit |z| = = = = Für bestimmte Berechnung kann es einfacher sein, bestimmte Formeln für die Bestandteile der komplexen Zahlen zu benutzen und grundlegende Rechenregeln zu können. Im Nachfolgenden werden die wichtigsten Rechenregeln vorgestellt und im Anschluss dessen bewiesen. Satz 5.9 (Eigenschaften der komplexen Zahlen) Für die komplexen Zahlen und b gelten folgende Regeln: i) Re(a) = ii) Im(a) = iii) =a iv) v) vi) vii) Kapitel 1 - Mathematische Grundlagen Seite 4 vii) viii) Beweis 5.9 (Eigenschaften der komplexen Zahlen) i) ii) iii) iv) v) Die bisher benutzte Darstellungsweise von komplexen Zahlen wird auch algebraische Form genannt. Diese Darstellung ist jedoch nicht für jede Operation optimal geeignet. Das Potenzieren beispielsweise geschieht umständlich durch Multiplikation und Anwenden der binomischen Formeln, wohingegen Wurzelziehen bei komplexeren Zahlen in algebraischer Form schlichtweg unmöglich ist. Aus diesem Grund beweisen wir die Existenz einer weiteren Darstellungsform, mit der diese Rechnungen sehr simpel ausgeführt werden können: Die Polarkoordinaten. Satz 5. 10 (Existenz von Polarkoordinaten) Zu jedem und ein gibt es ein eindeutig bestimmtes ℝ mit und Die neue Schreibweise für Polarkoordinaten ist noch ein wenig umständlich. Wir wollen sie mit der nachfolgenden Definition vereinfachen. Definition 5.11 (Polarkoordinaten) Polarkoordinaten sind wie folgt definiert: also ist Je nach Einsatz und Bearbeitungsweise ist es nötig die Polarkoordinaten in die algebraische Form zu überführen und umgekehrt. Dies geschieht wie nachfolgend gezeigt mit einigen grundlegenden Umformungen. Bemerkung 5.11 (Umwandlung algebraische Form und Polarkoordinatenform) Kapitel 1 - Mathematische Grundlagen Seite 5 Bemerkung 5.11 (Umwandlung algebraische Form und Polarkoordinatenform) Benutze: , , , Übungen zu Zahlen 1. Gegeben seien nachfolgende komplexe Zahlen. Bestimme Real- und Imaginärteil, Betrag, die konjungiert komplexe Zahl, die Polarkoordinate und zeichne sie in die Gauß'sche Zahlenebene. a. b. c. d. e. 2. Forme in die algebraische Form um Kapitel 1 - Mathematische Grundlagen Seite 6